Kapitel 10

GRAVITATION: Ein noch weitgehend unbekanntes Phänomen. Es sorgt dafür, daß kleine Dinge wie Nomen auf großen Dingen wie PLANETEN bleiben. Wegen der WISSENSCHAFT geschieht das selbst dann, wenn man sich nicht mit der Gravitation auskennt Was beweist, daß die Wissenschaft dauernd passiert.

Aus: Eine wissenschaftliche Enzyklopädie für den
wißbegierigen jungen
Atom von Angalo Kurzwarenler

Angalo sah sich um.

»Komm, Gurder.«

Der Abt lehnte an einem Grasbüschel und schnappte nach Luft.

»Es hat keinen Sinn«, keuchte er. »Was für ein Unfug – wir können nicht allein gegen die Menschen kämpfen!«

»Pion begleitet uns. Und dies ist eine gute Steinaxt.«

»Oh, und damit wirst du den Großen einen enormen Schrecken einjagen. Eine Steinaxt. Wenn du zwei hättest …

Bestimmt würden sie sofort fliehen.«

Angalo schwang die Waffe hin und her. Sie fühlte sich gut an.

»Wir müssen es versuchen«, erwiderte er schlicht. »Komm, Pion. Was beobachtest du? Gänse?«

Der Floridianer starrte zum Himmel.

»Da oben ist ein Punkt«, stellte Gurder fest und kniff die Augen zusammen.

»Wahrscheinlich ein Vogel«, sagte Angalo.

»Sieht nicht wie ein Vogel aus.«

»Ein Flugzeug?«

»Sieht auch nicht nach einem Flugzeug aus.«

Jetzt blickten alle drei Wichte zum Firmament. Ihre nach oben gewandten Gesichter bildeten ein Dreieck.

Ein schwarzer Fleck schwebte am hohen Blau. »Hat er es wirklich geschafft?« fragte Angalo unsicher.

Aus dem Fleck wurde eine kleine dunkle Scheibe.

»Das Objekt bewegt sich nicht«, brummte Gurder.

»Zumindest bewegt es sich nicht seitwärts.« Angalo sprach langsam, dehnte jedes Wort. »Aber es sinkt herab.«

Die kleine dunkle Scheibe verwandelte sich in eine große dunkle Scheibe, und irgend etwas deutete auf Dampf an ihrem Rand hin.

»Vielleicht eine Art Wetter«, murmelte Angalo. »Ihr wißt schon. Besonderes floridianisches Wetter.«

»Ach? Ein riesiges Hagelkorn, wie? Nein, es ist das Schiff.

Und es kommt, um uns abzuholen!« Es war jetzt viel größer und … und noch immer weit, weit entfernt.

»Ich hätte kaum etwas dagegen, wenn es nicht direkt zu uns käme«, sagte Gurder mit zittriger Stimme. »Ich wäre durchaus bereit, einige Dutzend Meter zu gehen, um es zu erreichen.«

»Ja.« Angalos Miene zeigte wachsende Verzweiflung.

»Eigentlich kommt es nicht in dem Sinne. Es …«

»… fällt eher«, beendete Gurder den Satz.

Er sah Angalo an.

»Sollen wir weglaufen?« erkundigte er sich.

»Das wäre einen Versuch wert.«

»Und wohin?«

»Ich schlage vor, wir folgen Pion. Er lief schon vor einer ganzen Weile weg.«

Masklin hätte sofort zugegeben, daß er sich mit Transportmitteln nicht sehr gut auskannte, doch seiner Ansicht nach schienen sie folgendes gemeinsam zu haben: Die vordere Seite befand sich vom und die hintere hinten. Und: Die vordere Seite zeigte an, wo es nach vorn ging. Doch das vom Himmel herabsinkende Schiff war eine Scheibe mit einem Buckel oben drauf und mit Kanten am Rand. Es verursachte keine Geräusche, aber die Menschen schienen trotzdem sehr beeindruckt zu sein.

»Das ist es?« fragte Masklin.

»Ja.«

»Oh.«

Dann verschob sich die Perspektive.

Das Schiff war nicht groß. Man brauchte ein neues Wort, um seine Ausmaße zu beschreiben. Es fiel nicht durch die faserigen Wolkenschleier, sondern schob sie beiseite. Wenn man glaubte, eine gute Vorstellung von der Größe gewonnen zu haben, zog eine Wolke daran vorbei und erforderte neue Maßstäbe. Etwas so Großes konnte man nur mit einem ganz besonderen Ausdruck beschreiben.

»Stürzt es ab?« hauchte Masklin.

»Ich lande es im Gebüsch.«, verkündete das Ding. »Um die Menschen nicht zu erschrecken.«

»Lauf!«

»Glaubst du etwa, ich ruhe mich aus?«

»Das Schiff ist noch immer über uns!«

»Ich laufe! Ich laufe! Schneller kann ich nicht laufen!«

Ein Schatten fiel auf die drei rennenden Nomen.

»Die weite Reise bis nach Floridia – nur um unter unserem eigenen Schiff zerquetscht zu werden«, stöhnte Angalo. »Du hast nie wirklich daran geglaubt, oder? Nun, jetzt wirst du fest daran glauben müssen!«

Der Schatten wurde dunkler. Die Wichte sahen, wie er vor ihnen über den Boden huschte, grau am Rand. Er schuf die Finsternis der Nacht – eine ganz persönliche Nacht für die Nomen.

»Die anderen sind noch immer irgendwo dort draußen«, sagte Masklin.

»Ah«, erwiderte der schwarze Kasten. »Das habe ich vergessen.«

»So etwas darfst du nicht vergessen!«

»In der letzten Zeit bin ich sehr beschäftigt gewesen. Ich kann nicht an alles denken. Nur an fast alles.«

»Du solltest vermeiden, jemanden zu zerquetschen!«

»Keine Sorge. Ich halte das Schiff an, bevor es landet.«

Die Menschen sprachen aufgeregt miteinander, und einige von ihnen liefen dem fallenden Schiff entgegen. Viele andere wichen hastig zurück.

Masklin riskierte einen Blick in Enkel Richards Gesicht, der das Schiff mit einem seltsam verzückten Lächeln beobachtete.

Einige Sekunden später neigten sich die Augen zur Seite.

Der Kopf folgte ihrem Beispiel, und Enkel Richard starrte zum Nom auf seiner Schulter.

Der Mensch sah ihn nun zum zweiten Mal. Und jetzt konnte Masklin nicht weglaufen.

Der Wicht klopfte auf das Ding.

»Kannst du meine Stimme verlangsamen?« fragte er rasch.

Die Züge des Menschen offenbarten Verblüffung.

»Wie meinen Sie das?«

»Kannst du wiederholen, was ich sage, nur langsamer? Und lauter? Damit er mich versteht?«

»Sie möchten kommunizieren? Mit einem Menschen?«

»Ja. Kannst du es?«

»Ich rate Ihnen dringend davon ab! Es wäre sehr gefährlich!«

Masklin ballte die Fäuste. »Im Vergleich womit, Ding? Im Vergleich womit? Ist es gefährlicher als nicht zu kommunizieren? Also los! Sag ihm … Sag ihm, daß wir niemandem ein Leid zufügen wollen! Sag es ihm jetzt sofort!

Er hebt bereits die Hand!« Der Nom hielt den schwarzen Kasten an Enkel Richards Ohr.

Das Ding sprach so langsam und dumpf wie die Menschen.

Seine Stimme erklang recht lange. Der Mensch erstarrte.

»Was hast du gesagt?« fragte Masklin. »Was hast du gesagt?«

»Wenn er irgend etwas gegen Sie unternimmt, explodiere ich und reiße ihm den Kopf ab – das habe ich gesagt«, antwortete der Kasten.

»Nein!«

»Doch.«

»Und so etwas nennst du ›kommunizieren‹?«

»Es ist eine sehr wirkungsvolle Art der Kommunikation.«

»Aber du hast ihm gedroht! Außerdem … Ich wußte nicht, daß du explodieren kannst.«

»Eine solche Möglichkeit fehlt mir«, entgegnete das Ding.

»Aber das weiß der Mensch nicht. Er ist nur ein Mensch.«

Das Schiff fiel jetzt langsamer und glitt übers Gebüsch hinweg, bis es seinen eigenen Schatten traf. Das Shuttle-Startgerüst wirkte wie eine kleine Nadel neben einem sehr großen schwarzen Teller.

»Du hast es auf dem Boden gelandet!« entfuhr es Masklin.

»Du wolltest es doch vorher anhalten!«

»Das Schiff befindet sich nicht auf dem Boden. Es schwebt dicht darüber.«

»Für mich sieht es aus, als läge es darauf!«

»Es schwebt dicht darüber«, wiederholte das Ding.

Enkel Richard spähte über seine Nase hinweg und musterte Masklin. Er blinzelte verwirrt.

»Was sorgt dafür, daß es schwebt?« fragte der Nom. Der schwarze Kasten antwortete.

»Auntie [7] wer? Wie heißt sie? Es befinden sich Verwandte an Bord?«

»Nicht ›Auntie‹, sondern ›Anti‹. Antigravitation.«

»Aber es gibt weder Flammen noch Rauch!«

»Flammen und Rauch sind nicht wichtig.«

Fahrzeuge rasten dem Schiff entgegen.

»Äh«, sagte Masklin. »Wie dicht über dem Boden schwebt das Schiff?«

»Zehn Zentimeter erschienen mir ausreichend.«

Angalo lag auf dem Bauch und preßte das Gesicht in den Sand.

Zu seinem großen Erstaunen lebte er noch – oder er konnte selbst als Toter denken. Vielleicht war er tot und befand sich nun im Jenseits.

Allerdings: Das Jenseits unterschied sich kaum von Floridia.

Der Nom überlegte. Er hatte beobachtet, wie das große Etwas vom Himmel herabfiel und dabei direkt auf seinen Kopf zu zielen schien. Daraufhin warf er sich zu Boden und rechnete damit, zu einem schmierigen Fleck in einem ziemlich großen Loch zu werden. Nein, vermutlich war er nicht gestorben. Ein so bedeutungsvolles Ereignis in seinem Leben konnte er unmöglich vergessen haben.

»Gurder?« fragte er zaghaft.

»Bist du das?« erklang die Stimme des Abts.

»Ich hoffe es. Pion?«

»Pion!« erwiderte der Floridianer irgendwo in der Dunkelheit.

Angalo stemmte sich behutsam hoch, verharrte auf Händen und Knien.

»Hat jemand eine Ahnung, wo wir sind?« erkundigte er sich.

»Im Schiff?« entgegnete Gurder.

»Das glaube ich nicht«, murmelte Angalo. »Hier gibt es Boden und Gras und so.«

»Wohin verschwand das Schiff? Und warum ist es hier so finster?« Angalo strich Schmutz von der Jacke. »Was weiß ich? Vielleicht… Vielleicht hat es uns verfehlt. Oder wir wurden getroffen und verloren das Bewußtsein. Vielleicht hat inzwischen die Nacht begonnen.«

»Ich sehe etwas Licht am Horizont«, sagte Gurder.

»Das ist nicht richtig, oder? Richtige Nächte sollten anders sein, stimmt's?«

Angalo blickte sich um. Es glühte tatsächlich ein Lichtstreifen in der Ferne. Darüber hinaus nahm er ein sonderbares Geräusch wahr, so leise, daß man es leicht überhörte. Aber wenn man es einmal bemerkt hatte, schien es die ganze Welt zu füllen.

Er stand auf, um die Umgebung besser beobachten zu können.

Ein dumpfes Pochen. »Au!«

Angalo hob die Hand zum Kopf – und berührte Metall. Er duckte sich ein wenig und starrte nach oben. Eine Zeitlang schwieg er nachdenklich.

Dann sagte er: »Es wird dir sehr schwer fallen, dies zu glauben, Gurder…«

»Ich möchte, daß du von jetzt an alles genau übersetzt«, wandte sich Masklin an das Ding. »Ist das klar? Verzichte darauf, Enkel Richard zu erschrecken!«

Menschen umringten das Schiff. Sie versuchten zumindest, es zu umringen, doch angesichts der Größe des Schiffes waren dazu sehr viele Menschen erforderlich. Deshalb beschränkten sie sich darauf, es an einigen Stellen zu umringen.

Weitere Fahrzeuge trafen ein, die meisten von ihnen mit blökenden Sirenen. Enkel, 39, stand abseits der anderen und hielt einen nervösen Blick auf seine Schulter gerichtet.

»Außerdem sind wir ihm etwas schuldig«, fuhr Masklin fort.

»Wir haben seinen Satelliten benutzt und Dinge gestohlen.«

»Sie wiesen einmal daraufhin, es allein schaffen zu wollen, auf Ihre eigene Art und Weise«, erwiderte der schwarze Kasten. »Ohne die Hilfe der Menschen.«

»Inzwischen hat sich die Situation verändert. Das Schiff ist hier. Unser Schiff. Wir brauchen nicht mehr um etwas zu bitten.«

»Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie auf Enkel Richards Schulter sitzen und nicht umgekehrt?«

»Und wenn schon«, sagte Masklin. »Sag ihm, er soll zum Schiff gehen. Bitte ihn darum. Und sag ihm: Wir wollen nicht, daß jemand zu Schaden kommt, mich eingeschlossen.« Enkel Richards Antwort dauerte recht lange. Schließlich setzte er sich in Bewegung und schritt zum Schiff. »Was hat er gesagt?«

fragte Masklin und hielt sich am Pullover fest.

»Ich kann es einfach nicht glauben.«

»Er glaubt mir nicht?«

»Er meinte, sein Großvater sprach häufig von Wichten, aber er hat nicht an sie geglaubt, bis jetzt. Er möchte wissen, ob Sie wie die kleinen Leute im Kaufhaus sind

Masklins Kinnlade klappte nach unten. Enkel Richard beobachtete ihn aufmerksam.

»Sag ihm ›ja‹«, krächzte der Nom.

»Wie Sie wünschen. Aber ich halte das nicht für eine gute Idee.«

Das Ding donnerte leise. Enkel Richard grollte. »Er sagt, sein Großvater scherzte über Wichte im Kaufhaus. Er meinte immer, sie brächten ihm Glück.«

Masklin hatte das schreckliche Gefühl, daß sich die Welt erneut veränderte, obwohl er gerade gehofft hatte, sie zu verstehen.

»Hat sein Großvater jemals einen Nom gesehen?« fragte er.

»Nein. Aber er sagt: Als sein Großvater und der Bruder des Großvaters das Kaufhaus bauten und bis spät abends im Büro

blieben… Sie hörten Geräusche in den Wänden und erzählten sich, es gäbe kleine Kaufhaus-Bewohner. Es handelte sich um eine Art Witz. Enkel Richard sagt auch: Als er klein war, berichtete ihm Großvater von winzigen Geschöpfen, die sich des Nachts mit seinen Spielzeugen vergnügten.«

»So etwas hätten die Kaufhaus-Nomen nie gewagt!« platzte es aus Masklin heraus.

»Ich behaupte nicht, daß diese Geschichten stimmen.«

Das Schiff war jetzt viel näher. Nirgends zeigten sich Türen oder Fenster. Die Außenfläche erwies sich als so glatt und fugenlos wie die Schale eines Eis.

Masklins Gedanken rasten. Er hatte die Menschen immer für halbwegs intelligent gehalten. Nomen waren sehr intelligent, Ratten und Füchse einigermaßen. Bestimmt enthielt die Welt noch genug Intelligenzreste, um auch den Menschen einen Verstand zu geben. Aber hier ging es um mehr.

Er entsann sich an das Buch Gullivers Reisen, das eine große Überraschung für die Nomen gewesen war. Masklin zweifelte kaum daran, daß es keine Insel gab, auf der Wichte wohnten.

Jemand hatte das alles … erfunden. Viele Kaufhaus-Bücher enthielten Erfundenes, was zu großer Verwirrung bei den Nomen führte. Aus irgendeinem Grund brauchten die Menschen unwahre Dinge.

Sie sind immer davon überzeugt gewesen, daß wir überhaupt nicht existieren, dachte Masklin. Und gleichzeitig wollten sie an uns glauben.

»Sag Enkel Richard…«, begann er. »Sag ihm, ich muß ins Schiff.« Der Mensch flüsterte, und sein Atem wehte wie Sturmböen.

»Er meint, es sind zu viele Personen zugegen.«

»Warum stehen die Menschen in unmittelbarer Nähe des Schiffes?« fragte Masklin verwundert. »Wieso fürchten sie sich nicht?« Enkel Richards Antwort erzeugte einen neuerlichen Orkan.

»Er meint: Die Menschen glauben, daß Wesen von einer anderen Welt aus dem Schiff kommen, um mit ihnen zu sprechen.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte das Ding. »Vielleicht möchten sie nicht allein sein.«

Etwas heulte. Hunderte von Menschen hielten sich die Ohren zu.

Lichter erschienen am dunklen Schiff. Sie funkelten an seiner Außenfläche, bildeten Muster, die hin und her sausten, dann wieder verschwanden. Das Heulen wiederholte sich.

»Es ist doch niemand drin, oder?« vergewisserte sich Masklin. »Vielleicht Nomen, die fünfzehntausend Jahre geschlafen haben, wie Igel im Winter?«

Hoch oben am Schiff entstand eine Öffnung. Masklin hörte dumpfes Zischen und sah einen roten Blitz, der über die Menge hinwegzuckte und einen mehrere hundert Meter entfernten Strauch in Flammen aufgehen ließ.

Die Menschen flohen.

Das Schiff stieg einen halben Meter weit auf, wackelte und kippte zur Seite. Dann raste es so schnell empor, daß es zu einem Schemen wurde, verharrte hoch oben am Himmel. Und dann drehte es sich. Und dann hing es schräg in der Luft.

Schließlich sank es wieder herab und landete, mehr oder weniger: Die eine Seite berührte den Boden, und die andere ruhte in leerer Luft, auf nichts.

Das Schiff sprach mit lauter Stimme.

Für die Menschen hörte es sich wahrscheinlich wie schrilles Zirpen an.

Es sagte: »Entschuldigung! Tut mir leid! Ist dies ein Mikrofon? Ich habe noch immer nicht die Taste gefunden, mit der sich die Tür öffnen läßt. Versuchen wir's mit dieser hier…«

Ein weiteres quadratisches Loch bildete sich im Schiff, und helles blaues Licht gleißte daraus hervor. Erneut hallte die Stimme über den weiten Betonplatz.

»Na endlich!« Es donnerte zweimal kurz hintereinander: Jemand klopfte an ein Mikrofon, um festzustellen, ob es funktionierte. »Bist du da draußen, Masklin?«

»Das ist Angalo!« entfuhr es Masklin. »Niemand fährt wie er! Ding, sag Enkel Richard, daß ich ins Schiff muß! Bitte!«

Der Mensch nickte.

Andere Menschen drängten sich vor der riesigen Scheibe.

Die Tür befand sich ein ganzes Stück über ihnen, außerhalb ihrer Reichweite.

Masklin bohrte Finger und Zehen in den Pullover, als sich Enkel Richard einen Weg durch die Menge bahnte. Das Schiff heulte noch einmal.

»Äh«, klang Angalos ohrenbetäubend laute Stimme aus verborgenen Lautsprechern. Offenbar sprach er mit jemand anders. »Ich bin nicht ganz sicher, wozu dieser Schalter dient, aber… Nun, ich werde ihn ohnehin ausprobieren, also sollte ich nicht länger zögern. Er ist direkt neben der Taste für die Tür, was bedeutet: Sicher besteht keine Gefahr. Ach, sei still…«

Eine silbrig glänzende Rampe rutschte aus der Öffnung und neigte sich dem Boden entgegen.

»Siehst du? Siehst du?« schrillte Angalo.

»Kannst du mit ihm reden, Ding?« fragte Masklin.

»Kannst du ihm sagen, daß ich hier draußen bin und versuche, ins Schiff zu gelangen?«

»Nein. Allem Anschein drückt er wahllos Tasten. Hoffentlich wählt er nicht die falschen.«

»Ich dachte, du bist in der Lage, dem Schiff Anweisungen zu übermitteln!«

»Solange sich kein Nom an Bord aufhält«, erwiderte das Ding. Irgendwie brachte es der schwarze Kasten fertig, bestürzt zu klingen. »Ich sehe mich außerstande, die von einem Nom stammenden Befehle zu annullieren – immerhin bin ich nur eine Maschine.«

Enkel Richard schob sich durch die Masse aus winkenden, gestikulierenden und schreienden Menschen. Er kam nur langsam voran.

Masklin seufzte.

»Bitte Enkel Richard, mich abzusetzen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu. »Und danke ihm. Sag ihm … Sag ihm, ich hätte unser Gespräch gern fortgesetzt.« Das Ding übersetzte.

Enkel Richard wirkte überrascht. Das Ding brummte erneut.

Woraufhin der Mensch die Hand hob, sie nach Masklin ausstreckte.

Auf einer Liste der schrecklichsten aller schrecklichen Erlebnisse wäre für diesen Moment zweifellos die oberste Zeile reserviert gewesen. Masklin hatte gegen Füchse gekämpft und dabei geholfen, den Lastwagen zu fahren. Er war sogar mit einer Gans geflogen. Aber von einem Menschen berührt zu werden … Lange und dicke Finger näherten sich ihm, zielten nach beiden Seiten seiner Taille. Er schloß die Augen.

»Masklin?« donnerte Angalos Stimme. »Masklin? Wenn dir was zugestoßen ist, erleben die Menschen ihr blaues Wunder!«

Enkel Richards Finger schlossen sich so sanft um den Nom, als hielte der Mensch etwas sehr Zerbrechliches in der Hand.

Masklin spürte, wie er langsam zum Boden hinuntergelassen wurde. Nach einer Weile öffnete er die Augen und sah einen Wald aus Menschenbeinen um sich herum.

Er blickte zu dem gewaltigen Gesicht von Enkel Richard auf und versuchte, ganz langsam und mit möglichst tiefer Stimme zu sprechen. Masklin formulierte die einzigen Worte, die jemals ein Nom an einen Menschen gerichtet hatte.

»Leb wohl.«

Dann rannte er durch das Labyrinth aus Füßen. Mehrere Menschen mit offiziell aussehenden Hosen und großen Stiefeln standen vor der Rampe. Masklin eilte an ihnen vorbei und nach oben.

Blaues Licht glänzte ihm entgegen. Während er lief, bemerkte er zwei dunkle Flecken im Zugang. Die Rampe war sehr lang, und Masklin hatte seit Stunden nicht geschlafen. Er bedauerte nun, sich nicht auf dem kleinen Bett im Glaskasten ausgestreckt und ein wenig gedöst zu haben. Selbst das Erinnerungsbild verhieß überaus angenehme Behaglichkeit.

Plötzlich verspürten seine Beine nur noch den Wunsch, einen nahen Ort aufzusuchen und dort nicht mehr den Körper tragen zu müssen.

Er taumelte zum Ende der Rampe, und aus den beiden Flecken wurden Gurder und Pion. Sie stützten Masklin und führten ihn ins Schiff.

Nach einigen Schritten drehte er sich und blickte zu dem Meer aus menschlichen Gesichtern tief unten. Noch nie zuvor hatte er auf Menschen hinabgesehen.

Vermutlich können sie mich gar nicht erkennen, dachte er.

Sie warten auf grüne Männchen.

»Ist alles in Ordnung?« fragte Gurder besorgt. »Hat man dir irgend etwas angetan?«

»Es geht mir gut, es geht mir gut«, erwiderte Masklin erschöpft. »Ich bin nicht verletzt.«

»Du siehst schrecklich aus.«

»Wir hätten mit den Menschen reden sollen, Gurder«, sagte Masklin. »Sie brauchen uns.«

»Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?« Der Abt musterte ihn beunruhigt.

Masklins Kopf fühlte sich an, als sei er mit Baumwolle vollgestopft. »Weißt du noch, daß du an Amold Bros (gegr. 1905) geglaubt hast?« brachte er hervor.

»Ja«, antwortete Gurder.

»Nun, er hat auch an dich geglaubt. Was hältst du davon?«

Dann sank Masklin zu Boden.