Kapitel 11

Der Schrecken hatte begonnen.

Lauf zum Lift.

Lift, warum trägst du mich nicht? Lauf zu den Wänden.

Wände, warum versteckt ihr mich nicht? Lauf zum Lastwagen.

Lastwagen, warum nimmst du mich nicht auf?

Alles an einem Tag.

Aus dem Buch der Nomen, Ausgänge,
Kapitel 1, Vers I

Es begann mit Stille zu einer Zeit, während der es eigentlich laut sein sollte. Tagsüber waren alle Nomen an das von Menschen verursachte dumpfe Pochen und Brummen gewöhnt, und deshalb nahmen sie es gar nicht mehr zur Kenntnis. Jetzt wich diese beständige Geräuschkulisse einer seltsamen, gespenstischen Stille. Natürlich gab es Tage, an denen keine Menschen ins Kaufhaus kamen – zum Beispiel erlaubte ihnen Arnold Bros (gegr. 1905) manchmal, eine ganze Woche fortzubleiben, oft zwischen der Aufregung von Weihnachten und dem Durcheinander des Winterschlußverkaufs. Aber die Wichte hatten so etwas schon oft erlebt; es gehörte zum Rhythmus des Lebens im Kaufhaus. Diesmal jedoch …

Nach einigen Stunden Stille hörte man keine Bemerkungen mehr wie: Seid unbesorgt; es hat überhaupt nichts zu bedeuten.

Oder: Wahrscheinlich ist heute ein besonderer Tag für die Menschen. Oder: Einmal dauerte das Geschlossen mehr als eine Woche lang, und man klebte anderes Papier an die Wände und so.

Einige besonders tapfere Nomen wagten es, die Welt unter dem Fußboden zu verlassen und sich in den riesigen Sälen umzusehen.

Leere erstreckte sich zwischen den vertrauten Ladentischen.

Und es lagen kaum mehr Dinge in den Regalen.

»So ist es immer nach einem Großen Verkauf«, sagten sie.

»Und dann, ganz plötzlich, sind die Regale wieder voll. Wir brauchen uns deshalb keine Sorgen zu machen. Es gehört alles zu Arnold Bros’ (gegr. 1905) Plan.«

Und die Wichte hockten stumm im Halbdunkel, summten vor sich hin oder versuchten, sich mit irgendetwas von ihrer Unruhe abzulenken. Es gelang kaum jemandem.

Und dann kamen Menschen, nahmen die wenigen noch übrig gebliebenen Sachen aus den Regalen und von den Ladentischen, verstauten sie in großen Kartons, trugen sie in die Garage und brachten sie dort in den Lastwagen unter…

Masklin erwachte, als sie anschließend die ersten Bodendielen lösten.

Jemand rüttelte ihn an den Schultern, und in der Ferne ertönten laute Stimmen. Es klang vertraut.

»Steh auf, schnell!« drängte Gurder.

»Was ist denn los?« Masklin gähnte.

»Die Menschen reißen das Kaufhaus ab!«

Masklin erstarrte.

»Unmöglich!« entfuhr es ihm. »Wir haben noch Zeit genug.«

»Die Menschen scheinen anderer Ansicht zu sein!«

Masklin stand auf und streifte sich die Kleidung über. Er hüpfte umher, nur erst ein Bein in der Hose, und klopfte auf das Ding.

»He!« rief er. »Du hast doch behauptet, der Abriß finde erst in einer halben Ewigkeit statt!«

»In vierzehn Tagen«, antwortete das Ding.

»Er beginnt jetzt!«

»Vermutlich werden die restlichen Warenbestände transferiert, um mit vorbereitenden Arbeiten zu beginnen

»Oh, gut. Dann können wir ja ganz beruhigt sein. Warum hast du uns nicht darauf hingewiesen?«

»Ich dachte. Sie wissen Bescheid.«

»Das ist leider nicht der Fall. Was schlägst du jetzt vor?«

»Verlassen Sie das Kaufhaus so schnell wie möglich.«

Masklin schnitt eine Grimasse. Er hatte gehofft, noch zwei Wochen Zeit zu haben, um alle Probleme zu lösen. Um Vorräte anzulegen. Um Sachen zu sammeln, die sie später brauchten.

Um Pläne zu schmieden. Selbst zwei Wochen reichten dafür kaum aus. Und jetzt wurden vierzehn Tage zu einem unerfüllbaren Wunsch.

Er bahnte sich einen Weg durch die Scharen verschreckter und völlig aufgelöster Nomen. Glücklicherweise waren die Dielen nicht in bewohnten Bereichen entfernt worden. Einige der vernünftigeren Flüchtlinge berichteten, daß man sie nur am einen Ende der Abteilung Gartenbau aus dem Boden gerissen hatte – Menschen hantierten dort an den Wasserrohren –, doch die in der Nähe lebenden Wichte wollten kein Risiko eingehen.

Oben klopfte etwas. Einige Minuten später traf ein atemloser Nom ein und erzählte, daß man die Teppiche zusammenrolle und fortbringe.

Erschrockene Stille folgte, und Masklin fühlte alle Blicke auf sich ruhen.

»Äh«, sagte er.

Dann fuhr er fort: »Ich glaube, jeder sollte so viel Nahrung holen, wie er tragen kann. Anschließend begeben wir uns in den Keller, in die Nähe der Garage.«

»Meinst du noch immer, wir sollten es versuchen?« fragte Gurder.

»Wir haben keine Wahl, oder?«

»Aber…«, begann der neue Abt. »Ich meine, du hast doch gesagt, wir sollten alles aus dem Kaufhaus mitnehmen, Drähte und Werkzeuge und so. Und Bücher.«

»Wir können froh sein, wenn wir imstande sind, uns selbst mitzunehmen. Es bleibt nicht mehr genug Zeit!« Ein weiterer Kurier traf ein, ein Nom aus Dorcas Gruppe. Er flüsterte Masklin etwas zu, und daraufhin lächelte der Jäger.

»Ist es wirklich möglich, daß uns Arnold Bros (gegr. 1905) in der Stunde der Not im Stich läßt?« fragte Gurder.

»Ich glaube nicht«, entgegnete Masklin. »Vielleicht hilft er uns. Ratet mal, wohin die Menschen all jene Kisten tragen…«