Kapitel 8
I. Und die Oberhäupter der Nomen versammelten sich, und der Abt Gurder sprach zu ihnen: Höret die Worte des Draußenlers.
II. Und einige wurden zornig und sagten: Er ist ein Draußenler.
III. Warum sollen wir ihm zuhören?
IV. Da sprach der Abt Gurder: Weil es der alte Abt wünschte. Ja, und ich teile seinen Wunsch.
V. Da murrten die Versammelten, erhoben jedoch keine Einwände mehr.
VI. Und der Draußenler sprach: Was die Gerüchte über den Abriß betrifft… Ich habe einen Plan.
VII. Lasset uns nicht wie Bohrasseln aus einem umgedrehten Baumstamm fliehen, sondern als stolzes, würdevolles Volk. Und lasset uns den Zeitpunkt selbst bestimmen.
VIII. Und die Versammelten unterbrachen ihn und fragten: Was sind Bohrasseln? Und der Draußenler antwortete: Na schön, Ratten.
IX. Lasset uns Dinge mitnehmen, die wir brauchen, um im Draußen ein neues Leben zu beginnen, nicht in einem anderen Kaufhaus, sondern unter dem Himmel.
X. Lasset uns alle Nomen mitnehmen, die alten wie die jungen, und genug Nahrung und Material und notwendige Informationen.
XI. Und die Versammelten fragten: Alle? Und der Draußenler antwortete: Alle. Da sprachen die Oberhäupter der Nomen: Das ist unmöglich…
Aus dem Buch der Nomen, Dritter Stock,
Verse I-IX
»Doch, es ist möglich«, sagte Masklin. »Wenn wir einen Lastwagen stehlen.« Völlige Stille folgte diesen Worten.
Der Graf von Eisenwaren wölbte die Brauen. »Meinst du die großen stinkenden Dinger mit Rädern an jeder Ecke?« fragte er.
»Ja«, bestätigte Masklin. Alle Blicke klebten an ihm fest, und er spürte, wie seine Wangen zu glühen begannen.
»Ein Narr bist du!« rief der Herzog von Kurzwaren.
»Selbst wenn das Kaufhaus in Gefahr wäre, und ich sehe keinen Grund, daran zu glauben, ich wiederhole: keinen Grund …
Ein solche Idee ist absurd und grotesk.«
Masklin errötete, »Ein Laster bietet genug Platz. Wir können alles mitnehmen und Bücher stehlen, die uns Dinge erklären…«
»Der Mund bewegt sich, die Zunge wackelt, aber nichts ergibt einen Sinn«, sagte der Herzog. Einige der anderen Wichte lachten nervös. Aus den Augenwinkeln sah Masklin Angalo, der mit glänzenden Augen neben seinem Vater stand.
»Ehre dem verstorbenen Abt«, ließ sich einer der anderen Würdenträger vernehmen, »aber ich habe gehört, daß es im Draußen andere Kaufhäuser geben soll. Ich meine, wir müssen irgendwo gewohnt haben, bevor dieses Kaufhaus erschaffen wurde.« Er schluckte. »Äh, ich will auf folgendes hinaus: Wenn dieses Kaufhaus 1905 gebaut wurde, wo waren wir dann im Jahre 1904? Womit ich natürlich niemandem zu nahe treten möchte …«
»Ich spreche nicht davon, in ein anderes Kaufhaus umzuziehen«, erwiderte Masklin. »Ich schlage euch vielmehr vor, im Freien zu leben.«
»Und ich habe keine Lust, mir diesen Unsinn noch länger anzuhören. Der alte Abt war ein sehr vernünftiger Mann, aber kurz vor seinem Tod wurde er ein wenig verschroben.« Der Herzog von Kurzwaren drehte sich um und stürmte hinaus. Die meisten anderen Familien und Abteilungsoberhäupter folgten ihm, einige eher widerstrebend, wie Masklin bemerkte. Mehrere verharrten an der Tür, so daß sie behaupten konnten, gerade gehen zu wollen, falls sie jemand fragte. Es blieben der Graf, eine kleine dicke Frau – Gurder hatte sie als Baronin del Ikatessen vorgestellt – und eine Reihe von recht unwichtigen Unterabteilungsleitern.
Der Graf sah sich theatralisch um.
»Ah«, sagte er, »endlich genug Platz, um zu atmen! Fahr fort, junger Mann!«
»Nun, das wär’s im großen und ganzen«, entgegnete Masklin. »Um mehr zu planen, muß ich mehr herausfinden.
Zum Beispiel: Seid ihr in der Lage, Elektrizität zu erzeugen?
Ich meine, es genügt nicht, sie aus den Kabeln des Kaufhauses zu stehlen. Könnt ihr sie selbst herstellen?«
Der Graf rieb sich das Kinn.
»Verlangst du von mir, die Geheimnisse meiner Abteilung preiszugeben?«
»Wenn wir so verzweifelte Maßnahmen beschließen«, sagte Gurder scharf, »müssen wir offen zueinander sein und unser Wissen teilen.«
»Das finde ich auch«, pflichtete ihm Masklin bei.
»Ja.« Gurder nickte ernst. »Das Wohl der Nomen steht an erster Stelle.«
»Eine lobenswerte Einstellung«, lobte Masklin. »Die Büromaterialer leisten einen eigenen Beitrag und werden allen interessierten Wichten beibringen, wie man – liest.« Einmal mehr folgte Stille – abgesehen von einem leisen Schnaufen Gurders, der offenbar einen Erstickungsanfall erlitt.
»Wie man liest…«, stöhnte er.
Masklin zögerte. Nun, den ersten Schritt hatte er bereits hinter sich – warum mit dem zweiten warten? Er fühlte Grimmas Blick auf sich ruhen.
»Auch den Frauen«, proklamierte er.
Diesmal wirkte der Graf überrascht. Die Baronin hingegen lächelte. Gurder ächzte nach wie vor.
»In der Abteilung Büromaterial und Schreibwaren stehen viele Bücher in den Regalen«, sagte Masklin. »Ganz gleich, was wir anstellen wollen: Es gibt ein Buch, in dem alles genau erklärt wird! Aber wir brauchen viele Leute, um sie zu lesen – damit wir die erforderlichen Informationen finden.«
»Ich glaube, der junge Büromaterialer braucht ein Glas Wasser«, bemerkte der Graf. »Ich glaube, er ist ganz überwältigt vom neuen Geist der Zusammenarbeit und des geteilten Wissens.«
»Junger Mann«, begann die Baronin, »vielleicht hast du recht. Aber teilen uns die Bücher auch mit, wie man einen Lastwagen fährt?«
Masklin nickte. Auf diese Frage war er vorbereitet. Grimma taumelte näher, in den Armen ein Buch, das fast so groß zu sein schien wie sie selbst. Der Jäger half ihr dabei, es aufzurichten, so daß es alle sehen konnten.
»Hier stehen Worte drauf«, verkündete er stolz. »Ich habe sie schon gelernt. Sie heißen…« Er zeigte mit dem Speer auf die verschiedenen Schriftzeichen. »Straßenverkehrsordnung.
Straßenverkehrsordnung. Und das Buch enthält auch Bilder.
Wenn uns die Straßenverkehrsordnung bekannt ist, können wir fahren. Es steht hier drin. Straßenverkehrsordnung«, wiederholte er unsieher.
»Und ich weiß bereits, was ein paar der anderen Worte bedeuten«, sagte Grimma.
»Ja, sie hat einige davon gelesen.« Masklin beobachtete, wie Interesse im Gesicht der Baronin aufleuchtete.
»Und mehr ist nicht nötig?« erkundigte sich der Graf.
»Äh«, antwortete Masklin. Dieser Punkt beunruhigte ihn ebenfalls. Er hatte das unangenehme Gefühl, daß es nicht ganz so einfach sein konnte, aber dies war wohl kaum der geeignete Zeitpunkt, um vergleichsweise unwichtige Details zu klären. Er erinnerte sich an den Hinweis des Abts: Es spielt keine Rolle, ob ein Anführer recht oder unrecht hat – er muß sicher sein.
Natürlich kann es nicht schaden, recht zu haben.
»Nun, heute morgen habe ich das Lastwagennest besucht – ich meine die Garage«, sagte Masklin. »Wenn man an den Lastern hochklettert, kann man hineinsehen. Mir sind Hebel, Räder und andere Dinge aufgefallen, aber es läßt sich bestimmt feststellen, wozu sie dienen.« Er holte tief Luft. »Es muß einfach sein – sonst kämen Menschen überhaupt nicht damit zurecht.«
Diesem Argument hatten die Wichte nichts entgegenzusetzen.
»Faszinierend«, kommentierte der Graf. »Darf ich fragen, was du jetzt brauchst?«
»Helfer«, erwiderte Masklin sofort. »So viele wie du entbehren kannst. Insbesondere jene Leute, die du eigentlich nicht entbehren kannst. Und wir benötigen Nahrung für sie.«
Die Baronin blickte den Graf an. Er nickte, und daraufhin nickte sie ebenfalls.
»Ich wüßte gern von der jungen Frau, wie sie sich fühlt«, sagte sie. »Nach dem Lesen, meine ich.«
»Ich kenne nur einige wenige Worte«, erklärte Grimma.
»Zum Beispiel ›links‹, ›rechts‹ und ›Fahrrad‹.«
»Und du verspürst keinen Druck im Kopf?«
»Nein, Madam.«
»Hmm. Das ist äußerst interessant.« Die Baronin starrte Gurder an.
Der neue Abt setzte sich. »Ich … ich …«, begann er. Masklin stöhnte innerlich. Er hatte gedacht, es sei schwer zu lernen, wie ein Lastwagen funktionierte, wie man ihn fuhr, wie man Bücher las. Doch dabei handelte es sich nur um, nun – Aufgaben.
Wenn man sich lange genug Mühe gab, erzielte man irgendwann einen Erfolg. Daran bestand kein Zweifel. Weitaus schwieriger war der Umgang mit Nomen.
Achtundzwanzig Helfer trafen ein.
»Das reicht nicht«, sagte Grimma.
»Es ist ein Anfang«, entgegnete Masklin. »Ich hoffe, im Lauf der Zeit kommen mehr. Sie alle müssen lesen lernen.
Nicht perfekt, aber durchschnittlich gut. Und anschließend sollen fünf der besten Leser den anderen beibringen, wie man Büchern Informationen entlockt.«
»Woher hast du diese Idee?« fragte Grimma erstaunt.
»Vom Ding«, antwortete Masklin. »Es geht dabei um etwas, das man Tiefenanalyse nennt. Es bedeutet, daß man immer zuerst an etwas denken muß. Zum Beispiel: Um ein Haus zu bauen, braucht man Ziegelsteine. Und bevor man Ziegelsteine herstellen kann, sollte man wissen, welchen Ton man dazu verwendet. Und so weiter.«
»Ton? Man benötigte Geräusche, um ein Haus zu bauen?«
»Keine Ahnung.«
»Was sind Ziegelsteine?«
»Weiß nicht.«
»Und was ist ein Haus?«
»Hab’s noch nicht herausgefunden«, gestand Masklin ein.
»Aber wie dem auch sei: Sie ist sehr wichtig, die Tiefenanalyse. Und dann gibt es noch etwas, das man sequentielle Zielfestsetzung mit ständiger Ablaufkontrolle nennt.«
»Und was ist das?«
»Vermutlich soll man die Leute antreiben und fragen, warum sie noch nicht fertig sind.« Masklin betrachtete seine Füße.
»Ich schätze, damit können wir Oma Morkie beauftragen. Sie ist bestimmt nicht daran interessiert, lesen zu lernen, aber sie versteht sich gut darauf, Leute anzutreiben.«
»Und ich?«
»Ich möchte, daß du noch viel mehr und besser liest.«
»Warum?«
»Weil wir lernen müssen, richtig zu denken«, erklärte Masklin.
»Ich kann denken!«
»Glaubst du?« erwiderte Masklin. »Ich meine, ja, natürlich.
Aber einige Dinge können wir nicht denken, weil uns dazu die Worte fehlen. Nimm die Kaufhaus-Nomen als Beispiel. Sie wissen nicht einmal, was es mit Wind und Regen auf sich hat!«
»O ja. Ich habe versucht, der Baronin von Schnee zu erzählen…«
Masklin nickte. »Na bitte. Die hiesigen Wichte haben keine Ahnung, und sie wissen nicht einmal, daß sie keine Ahnung haben. Und was wissen wir nicht? Wir müssen alle Bücher lesen, die wir bekommen können. Gurder hält kaum etwas davon. Er meint, nur Büromaterialer sollten lesen. Aber das Problem ist: Sie versuchen nicht, Dinge zu verstehen.«
Gurder war sehr erbost gewesen.
»Lesen!« hatte er gerufen. »Dauernd kommen dumme Wichte hierher und nutzen das Papier ab, indem sie dauernd darauf hinabstarren! Warum verraten wir nicht alle unsere Geheimnisse, da wir schon einmal dabei sind? Warum bringen wir den Leuten nicht auch das Schreiben bei?«
»Dazu haben wir später noch Gelegenheit«, sagte Masklin sanft.
»Was?«
»Es ist nicht so wichtig.«
Gurder hämmerte an die Wand. »Bei Arnold Bros (gegr. 1905): Weshalb hast du mich vorher nicht um Erlaubnis gefragt?«
»Hättest du es erlaubt?«
»Nein!«
»Jetzt kennst du den Grund«, sagte Masklin.
»So etwas habe ich nicht erwartet, als ich dir meine Hilfe anbot!« heulte Gurder.
»Ebensowenig wie ich!« schnappte Masklin. Der neue Abt zögerte.
»Wie meinst du das?« fragte er.
»Ich dachte, du wolltest helfen«, antwortete Masklin schlicht.
Gurder ließ die Schultern hängen. »Na schön, na schön«, murmelte er. »Jetzt kann ich es nicht mehr verbieten. Wäre meiner Autorität sehr abträglich.« Er seufzte. »Also gut. Du hast freie Hand. Nimm dir alle Leute, die du brauchst.«
»Gut«, sagte Masklin. »Wann kannst du anfangen?«
»Ich? Aber…«
»Du hast dich selbst als besten Leser bezeichnet.«
»Ja, das stimmt auch, aber…«
»Gut.«
Die Wichte gewöhnten sich später an dieses Wort. Masklin sprach es auf eine Weise aus, die darauf hindeute, daß alles geklärt war, daß es keinen Sinn mehr hatte, noch etwas hinzuzufügen.
Gurder wirkte fahrig.
»Was verlangst du von mir?«
»Wie viele Bücher gibt es?« fragte Masklin.
»Hunderte! Tausende!«
»Und weißt du, wovon sie berichten?«
Gurder musterte ihn verblüfft. »Ist dir eigentlich klar, was du da fragst?«
»Nein, aber ich möchte es gern herausfinden.«
»Die Bücher berichten über alles. Es ist kaum zu fassen! Sie sind voller Wörter, die nicht einmal ich verstehe!«
»Existieren auch Bücher, die einem unverständliche Wörter erklären?« Das ist Tiefenanalyse, fuhr es Masklin durch den Sinn. Und ich führe sie durch, ohne darüber nachzudenken.
Donnerwetter!
Gurder zögerte. »Eine interessante Vorstellung«, sagte er.
»Ich will möglichst viel über Lastwagen, Elektrizität und Nahrung erfahren«, fuhr Masklin fort. »Und dann brauche ich ein Buch über, über …«
»Ja?« Das Gesicht des Jägers offenbarte so etwas wie Verzweiflung. »Gibt es ein Buch, das mitteilt, wie Nomen einen für Menschen gebauten Laster fahren können?«
»Du weißt es nicht?«
»Nun, nicht – genau. Ich dachte, wir kommen früher oder später dahinter.«
»Aber du hast doch gesagt, man braucht sich nur mit der Straßenverkehrsordnung auszukennen!«
»Jja«, erwiderte Masklin unsicher. »Darin steht geschrieben, daß man zuerst die Straßenverkehrsordnung lernen muß.
Trotzdem: Ich habe das Gefühl, daß es nicht so einfach sein kann.«
»Günstige Angebote in Hülle und Fülle – steht uns bei!«
»Das hoffe ich«, sagte Masklin. »Das hoffe ich von ganzem Herzen.«
Und dann wurde es Zeit für ein gewagtes Experiment. Es war kalt im Lastwagennest, und es stank nach Sel. Darüber hinaus erwartete sie ein langer Sturz nach unten, wenn sie vom Träger fielen. Masklin versuchte, nicht in die Tiefe zu starren.
Sie verharrten in der Nähe eines Lastwagens. Hier drin wirkte er weitaus größer als draußen – ein riesiges, rotes und schreckliches Blechgebirge, das im Zwielicht emporragte.
»Das ist weit genug«, sagte der Jäger nach einer Weile. »Wir sind jetzt direkt über dem Etwas, das aus dem Rest herausragt.
Der Fahrer sitzt da drin.«
»Du meinst das Führerhaus«, ließ sich Angalo vernehmen.
»Ja, genau. Das Führerhaus.«
Angalo war eine echte Überraschung gewesen. Keuchend und mit rotem Gesicht erschien er in der Abteilung Büromaterial und bat darum, in das Geheimnis der Büchersprache eingeweiht zu werden.
Um über Lastwagen zu lesen. Sie faszinierten ihn.
Masklin erinnerte sich an seine erste Reaktion: »Aber dein Vater hält doch gar nichts von der ganzen Idee.«
»Und wenn schon«, erwiderte Angalo. »Für dich spielt’s kaum eine Rolle. Ich meine, du kommst von dort! Ich möchte die vielen Dinge ebenfalls sehen. Ich möchte nach Draußen und feststellen, ob dort tatsächlich etwas existiert, ob es mehr ist als nur ein Traum!« Er war kein besonders guter Leser, gab sich jedoch große Mühe, als ihm die Büromaterialer Bücher mit Lastern auf den Titelbildern brachten. Daraufhin las er so angestrengt, bis ihm das Gehirn schmerzte. Jetzt wußte er wahrscheinlich mehr über Lastwagen als alle übrigen. Mit anderen Worten: etwas mehr als nichts. Masklin hörte, wie Angalo vor sich hin brummte, als er die Riemen und Gurte überstreifte.
»Gang«, sagte er. »Schaltung. Lenkrad. Scheibenwischer.
Automatisches Getriebe. Spediteur. Hau das Gas runter. Friß den Asphalt. Quietschende Reifen. Trukker.« Angalo sah zu Masklin auf und lächelte dünn.
»Alles klar.«
»Denk daran: Manchmal sind die Fenster geschlossen. Wenn das der Fall sein sollte, so zieh einmal am Seil. Dann holen wir dich wieder hoch.«
»Zehnvier.«
»Wie bitte?«
»Das bedeutet ›ja‹ in der Lastwagenfahrersprache«, erklärte Angalo.
»Oh. Na schön. Nun, wenn du im Führerhaus bist, dann such dir ein Versteck, von dem aus du den Fahrer beobachten kannst…«
»Ja, ja«, entgegnete Angalo ungeduldig. »Du hast mich immer wieder darauf hingewiesen.«
»Also gut. Hast du die belegten Brote dabei?« Angalo klopfte sich auf den Beutel an der Taille. »Und auch das Notizbuch«, betonte er. »Ich bin soweit. Drück das Gaspedal bis zur Vorderachse.«
»Was?«
»›Es kann losgehen‹ auf Lastwagisch.«
Masklin blinzelte verwirrt. »Müssen wir so viele Fachausdrücke kennen, um einen Laster zu fahren?«
»Negatief«, sagte Angalo stolz.
»Oh? Nun, Hauptsache, du verstehst, was damit gemeint ist.«
Dorcas, Leiter der Seil-Gruppe, klopfte Angalo auf die Schulter.
»Willst du nicht doch den Draußen-Schutzanzug benutzen?«
fragte er hoffnungsvoll.
Er war kegelförmig und bestand aus dickem Stoff, den der alte Erfinder an einem zusammenfaltbaren Regenschirmgestell befestigt hatte. Vorn verfügte die Vorrichtung über ein kleines Fenster, durch das man die Umgebung beobachten konnte.
»Du bist vielleicht an Regen und Wind gewöhnt«, wandte sich Dorcas an Masklin. »Möglicherweise ist dein Kopf dadurch besonders hart und widerstandsfähig geworden. Aber wir Kaufhaus-Wichte…«
»Nein, danke«, lehnte Angalo höflich ab. »Das Ding ist zu schwer, und außerdem habe ich nicht vor, den Lastwagen bei dieser Reise zu verlassen.«
»Gut«, sagte Masklin. »Nun, vergeuden wir keine Zeit. Auf geht’s, Angalo. Ich meine: hinab. Haha! Seid ihr bereit, Jungs?
Also los, Angalo!«
Und da es nie schaden konnte, jeden möglichen Schutz in Anspruch zu nehmen, fügte er hinzu: »Möge Arnold Bros (gegr. 1905) mit dir sein.«
Angalo schob sich über den Rand des Trägers und wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem vagen Schemen im Halbdunkel, als Dorcas’ Wichte das Seil – beziehungsweise den Faden – hinabließen. Masklin hoffte inständig, daß ihr Vorrat reichte.
Sie hatten keine Gelegenheit gefunden, die Entfernung zu messen.
Plötzlich erzitterte der Strick mehrmals. Masklin beugte sich vor und sah Angalo etwa einen Meter unter ihm hängen.
»Wenn mir etwas zustößt…!« rief er. »Bitte verzichtet darauf, Bobo zu essen!«
»Sei unbesorgt«, antwortete Masklin. »Dir passiert bestimmt nichts.«
»Ja, ich weiß. Aber wenn wir uns irren … Bobo soll ein gutes Zuhause bekommen.«
»In Ordnung. Ein gutes Zuhause. Ja.«
»Wo niemand Ratten verspeist. Versprichst du mir das?«
»Ratten werden von der Speisekarte gestrichen«, erwiderte Masklin.
Angalo nickte, und die Nomen gaben noch mehr Seil zu.
Schließlich war die winzige Gestalt unten und eilte über das gewölbte Dach des Führerhauses. Dem Jäger wurde allein vom Zusehen schwindelig.
Angalo verschwand. Schließlich zog er zweimal am Seil, das Zeichen für noch etwas mehr Faden. Dorcas und seine Gruppe reagierten sofort, und der Strick glitt über den Rand des Trägers. Dann ein dreifaches Ziehen, nicht so stark wie vorher.
Und kurze Zeit später noch einmal. Masklin stieß den angehaltenen Atem zischend aus.
»Angalo hat das Ziel erreicht«, sagte er. »Holt das Seil ein.
Wir lassen es hier, falls er… Ich meine, damit wir ihn später wieder hochholen können.« Er riskierte einen weiteren Blick auf die gewaltige Masse unter ihnen. Lastwagen fuhren fort, Lastwagen kehrten zurück – Nomen wie Dorcas glaubten, daß es sich um die gleichen Lastwagen handelte. Sie verließen die Garage voll beladen mit Waren, und wenn sie später wieder in ihr Nest rollten, waren sie ebenfalls vollbeladen. Niemand wußte, warum Arnold Bros (gegr. 1905) es für notwendig hielt, bestimmte Waren für einen Tag fortzubringen. Nur eins stand fest: Nach ein oder höchstens zwei Tagen im Draußen kehrten sie heim.
Masklin beobachtete den Laster, in dem sich nun der Forscher befand. Wohin fuhr er? Was mochte geschehen? Was würde Angalo sehen, bevor er wieder im Kaufhaus eintraf?
Und wenn er verschwunden blieb –was sollte Masklin seinen Eltern sagen? Daß jemand aufbrechen mußte, daß ihr Sohn darum gebeten hatte, daß alles von ihm abhing, daß sie unbedingt Informationen darüber brauchten, wie man einen Lastwagen fuhr? Es klang sicher nicht sehr überzeugend.
Dorcas trat auf ihn zu.
»Dürfte ziemlich schwer werden, alle Nomen auf diese Weise nach unten zu bringen.«
»Ich weiß. Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.«
Der Erfinder deutete zu einem der stillen Lastwagen. »Dort ist eine kleine Stufe, an der Tür des Fahrers. Sieh nur. Wenn wir ein Seil am Griff festbinden …«
Masklin schüttelte den Kopf. »Zu weit oben«, erwiderte er.
»Ein kleiner Schritt für einen Menschen, doch ein weiter Sprung für Nomen.«