1

Kithik

Beltane 1962, San Francisco

Ich bin heute meiner Zukunft begegnet und ich tanze auf Sonnenlicht! Catspaw hat heute Morgen im Park in der Innenstadt Beltane gefeiert, und dabei haben wir in aller Öffentlichkeit wunderbare Magie gewirkt, während die Menschen zugesehen haben. Die Sonne schien, wir haben Blumen im Haar getragen und unsere Bänder um den Maibaum geflochten, Musik gemacht und eine Energie heraufbeschworen, die alles mit Licht erfüllt hat. Wir haben Holunderblütenwein getrunken und alles war frei und schön. Die Göttin war in mir und hat mich mit ihrer Lebenskraft durchdrungen, bis ich Respekt vor meiner eigenen magischen Kraft bekam.

Da wusste ich, dass ich bereit war, mit einem Mann zusammen zu sein – ich bin siebzehn und eine Frau. Und kaum war mir der Gedanke gekommen, schaute ich auf und blickte ihm in die Augen. Stella Laban hat ihm einen Pappbecher Wein gereicht, und er hat ihn genommen und getrunken, und wie ich so seine Lippen betrachtete, bekam ich weiche Knie.

Stella hat uns einander vorgestellt. Er heißt Patrick und stammt aus Seattle und sein Hexenzirkel heißt Waterwind. Er ist also ein Woodbane, wie ich, wie wir alle in Catspaw.

Ich konnte den Blick nicht von ihm lösen. Mir fiel auf, dass sein kastanienbraunes Haar mit Grau durchsetzt war, und er hatte Lachfältchen um die Augen. Er war älter, als ich gedacht hatte, viel älter, womöglich sogar schon fünfzig.

Dann lächelte er mich an, und ich spürte, wie mein Herz aufhörte zu schlagen. In dem Moment packte jemand Stella um die Taille und sie tanzte lachend davon. Patrick streckte die Hand aus, und ohne lange zu überlegen, legte ich meine Hand in die seine und er führte mich von der Gruppe fort. Wir haben uns auf einen Felsblock gesetzt, wo die Sonne warm auf meine nackten Schultern schien, und haben uns ewig unterhalten. Als er aufgestanden ist, bin ich ihm zu seinem Auto gefolgt.

Jetzt sind wir in seinem Haus und er schläft und ich bin unendlich glücklich. Wenn er aufwacht, werde ich zwei Sachen zu ihm sagen: Ich liebe dich. Bring mir alles bei.

SB

Ich war schon einmal bei Sharon zu Hause gewesen, zusammen mit Bree – damals, als Bree und ich noch beste Freundinnen waren. Unser Hexenzirkel Cirrus traf sich heute bei ihr, um das samstägliche Kreisritual abzuhalten. Ich war neugierig, wie es heute sein würde. Jeder Ort war anders, hatte seine eigene Atmosphäre, und jedes Kreisritual war anders.

»Hübsche Bude«, meinte Robbie, mein anderer bester Freund aus Kindertagen, und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Gartenbeleuchtung, die akkurat geschnittenen Sträucher mit ihren Schneemützen und die weißgetünchten Backsteinmauern des Hauses im Kolonialstil. Allein die Gartengestaltung hatte wahrscheinlich mehr gekostet, als mein Vater in einem Jahr bei IBM verdiente. Sharons Vater war Kieferorthopäde mit einer langen Liste berühmter Patienten. Es ging das Gerücht, er hätte gerade Justin Timberlake die Zähne gerichtet.

»Stimmt.« Ich schob die Hände in die Taschen und ging den Weg zum Haus hoch. Robbie hatte mich in seinem roten Beetle mitgenommen, und an der breiten Straße parkten noch mehr Autos, die ich erkannte. Die von Jenna und Matt, der natürlich mit seinem eigenen Wagen gekommen war, denn er und Jenna hatten sich kürzlich getrennt. Ethans Auto stand ebenfalls dort und auch Hunters erkannte ich. Ich zitterte in meinem Mantel – eine Mischung aus Aufregung und Furcht. In der Nähe parkten noch mehr Autos, doch die konnte ich nicht zuordnen, und ich ging davon aus, dass in der Nachbarschaft irgendwo eine Party gefeiert wurde.

Auf der Veranda hielt Robbie mich auf, als ich gerade läuten wollte. Ich sah ihn fragend an.

»Alles klar bei dir?«, fragte er leise und mit einem Schatten über seinen graublauen Augen.

Ich machte den Mund auf, um entrüstet »klar« zu antworten, doch dann klappte ich ihn wieder zu. Ich kannte Robbie zu lange und hatte zu viel mit ihm erlebt, um ihn mit Lügen abzuwimmeln. Er war einer der Ersten gewesen, denen ich erzählt hatte, dass ich eine Bluthexe war, dass ich adoptiert und eine Woodbane war. Von den sieben großen Clans von Wicca waren die Woodbanes die, die um jeden Preis Macht erringen wollten und sich dafür schwarzer Magie bedienten. Als ich erfahren hatte, dass ich eine Bluthexe war, hatte ich nicht gewusst, von welchem Clan ich abstammte. Damals hatte ich gehofft, ich wäre eine Rowanwand, eine Wyndenkell, eine Brigthendale oder eine Burnhide. Selbst eine schelmische Leapvaughn oder eine kriegerische Vikroth wäre gut gewesen. Aber nein, ich war eine Woodbane – mit dem Bösen behaftet.

Vor drei Wochen hatten Robbie und Bree mir das Leben gerettet, als Cal, der Typ, in den ich verliebt war, versucht hatte, mich umzubringen. Und Robbie hatte mir mit seiner Freundschaft geholfen und mir die Kraft gegeben, weiter nach der Wahrheit über meine leiblichen Eltern zu suchen. Er kannte mich gut und wusste, dass ich im Augenblick ziemlich dünnhäutig war.

Deshalb sagte ich nur: »Also, ich hoffe, das Kreisritual hilft mir.«

Er nickte zufrieden und ich drückte auf die Klingel.

»Hi!«, sagte Sharon, als sie die Tür weit öffnete und uns hereinbat – ganz die perfekte Gastgeberin. Mein Blick fiel auf Jenna und Ethan, die hinter ihr standen und sich unterhielten. »Legt eure Jacken ins Wohnzimmer. Ich habe im Kinozimmer Platz für uns gemacht. Hunter hat gesagt, heute Abend könnte es eng werden, und er hatte recht.« Sie zeigte auf eine Tür am hinteren Ende des großen Wohnzimmers. Ihr dünnes dunkles Haar wirbelte ihr um die Schultern, als sie sich umdrehte, um eine Frage von Jenna zu beantworten, und ihre goldenen Armreifen klimperten.

Ich überlegte, wie klein der Raum sein musste, wenn es für die sieben Mitglieder von Cirrus eng wurde, da fing Robbie meinen Blick auf. »Kinozimmer?«, formulierte er stumm mit den Lippen und zog seinen Mantel aus. Ich musste unwillkürlich lächeln.

Dann spürte ich ein Kribbeln im Nacken, und da ich wusste, was es bedeutete, drehte ich mich um und sah Hunter entschlossen auf mich zusteuern. Der übrige Raum verblasste und plötzlich dröhnte mein Herzschlag laut in meinen Ohren. Nur am Rande bekam ich mit, dass Robbie sich abwandte, um jemanden zu begrüßen.

»Du gehst mir aus dem Weg«, sagte Hunter leise mit seinem englischen Akzent.

»Ja«, gestand ich und blickte in seine meergrünen Augen. Er hatte mindestens zweimal bei mir zu Hause angerufen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, aber ich hatte ihn nicht zurückgerufen.

Er lehnte sich mit dem Rücken an den Türrahmen. Ich war ein Meter achtundsechzig und Hunter war etwa zwanzig Zentimeter größer als ich. Es waren ein paar Tage vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Da war ich Zeugin geworden, wie er in Ausübung seines Berufes einen Freund von mir, David Redstone, seiner magischen Kräfte beraubt hatte. Als Sucher und Mitglied des Internationalen Rats der Hexen war Hunter dazu gezwungen gewesen, damit David nie wieder Magie wirken konnte, egal zu welchem Zweck. Es war, als hätte ich zugesehen, wie jemand gefoltert wurde, und die Bilder verfolgten mich seither in meinen Träumen.

Doch das war nicht alles. Hunter und ich hatten uns an dem Abend vor dem Ritus geküsst, und ich hatte ein Verlangen nach ihm empfunden, das mich erstaunt und verstört hatte. Dann, nach dem Ritual, hatte Hunter mir einen mit einem magischen Spruch belegten Kristall gegeben, in den er durch die reine Macht seiner Gefühle mein Bild projiziert hatte. Wir wussten beide, dass da etwas war zwischen uns, etwas, was womöglich unglaublich mächtig war, doch wir hatten es noch nicht genauer erkundet. Ich wollte es und wollte es auch wieder nicht. Ich fühlte mich zwar zu ihm hingezogen, doch was er getan hatte, machte mir immer noch Angst. Und da ich meine Gefühle nicht auf die Reihe bekam, hatte ich Zuflucht zu einer bewährten Strategie genommen: Ich war ihm aus dem Weg gegangen.

»Ich bin froh, dass du heute Abend gekommen bist«, sagte er, und seine Stimme löste gleich ein wenig von meiner Anspannung. »Morgan«, fügte er hinzu und klang ungewohnt zögerlich. »Es war hart, was du mit angesehen hast. Es ist hart, an so etwas teilzuhaben. Es war das dritte Mal, dass ich es tun musste, und es wird mit jedem Mal schwerer. Doch der Rat hat es verfügt und es musste sein. Du weißt, was Stuart Afton zugestoßen ist.«

»Ja«, sagte ich leise. Stuart Afton, ein hiesiger Unternehmer, hatte sich noch nicht ganz erholt von dem Schlaganfall, den er erlitten hatte, weil David schwarze Magie gegen ihn gewirkt hatte. Zurzeit war David in Irland in einer speziellen Klinik, die von einem Brightendale-Hexenzirkel geführt wurde. Er würde sicher sehr lange dort bleiben müssen, um zu lernen, ohne Magie zu leben.

»Manche Menschen schließen sich Wicca an oder werden hineingeboren und alles läuft mehr oder weniger glatt«, fuhr Hunter fort. Ethan ging auf dem Weg ins Kinozimmer an uns vorbei, und ich hörte das Zischen, als jemand eine Coladose öffnete. Hunter senkte die Stimme, denn das hier ging nur uns beide an. »Sie studieren viele Jahre, sie wirken Magie, und es ist schlicht ein Bekenntnis des Kreislaufs, des Kreises, des Rads des Lebens.«

Im Kinozimmer erhob sich Gelächter, und ich schaute über Hunters Schulter und erhaschte einen Blick auf einen Jungen, der mir irgendwie bekannt vorkam. Er gehörte nicht unserem Hexenzirkel an, und ich überlegte, was er hier machte.

Hunter machte mich, wie so oft, nervös und zappelig. Er hatte von Anfang an eine starke Wirkung auf mich gehabt, und ich verstand die Verbindung zwischen uns genauso wenig wie die überraschende, ja angsteinflößende Anziehungskraft, die er auf mich ausübte.

»Ja?«, sagte ich und versuchte, seinem Gedanken zu folgen.

»Bei dir«, fuhr er fort, »ist es bisher alles andere als glatt gelaufen. Wicca und alles, was damit zusammenhängt, war ein gigantischer Schock nach dem anderen. Deine leibliche Mutter, Belwicket, die dunkle Welle, Cal, Selene, jetzt David … Du hattest noch kaum Gelegenheit, in der Schönheit der Magie zu schwelgen, die Freude auszukosten, die daraus erwächst, einen vollkommenen magischen Spruch zu wirken, zu erfahren, wie aufregend es ist, zu lernen und immer mehr zu erfahren …«

Ich nickte und sah ihn an. Meine Gefühle ihm gegenüber hatten sich in kürzester Zeit radikal gewandelt. Zuerst hatte ich ihn gehasst. Jetzt fand ich ihn unwiderstehlich und attraktiv und zwischen uns stimmte die Chemie. Wie kam das? Hatte er sich verändert oder ich mich?

Hunter drückte die Schultern durch. »Was ich sagen will, ist: Du hast eine schwere Zeit durchgemacht, einen schweren Herbst und bis jetzt einen harten Winter. Magie kann dir helfen. Ich kann dir helfen … wenn du mich lässt.« Dann drehte er sich um und ging ins Kinozimmer und ich blickte ihm hinterher. Einen Augenblick später wurden die Stimmen leiser und ich hörte, wie Hunter um Aufmerksamkeit bat.

Ich zog meinen Mantel aus, warf ihn auf einen Stuhl und ging hinüber, um mich dem Kreis anzuschließen.

Sharons feudales Kinozimmer war in der Tat rappelvoll. Unser Hexenzirkel Cirrus bestand aus sieben Mitgliedern: Hunter, der uns leitete, mir, Jenna, Matt, Sharon, Ethan und Robbie. Doch im Raum waren mehr als sieben Personen. Mein Blick fiel auf Robbie, der sich neben dem riesigen Fernseher mit Bree unterhielt. Bree, meine einstige beste Freundin und für eine Weile, als wir um Cal konkurrierten, meine Feindin. Was machte sie hier, beim Treffen unseres Hexenzirkels? Sie gehörte Kithic an, dem rivalisierenden Hexenzirkel, den sie zusammen mit Raven und Hunters Cousine Sky gegründet hatte.

»Morgan, kennst du Simon schon?«, fragte eine Stimme neben mir, und als ich mich umwandte, fiel mein Blick auf Sky. Sie zeigte auf den Jungen, der mir vage bekannt vorgekommen war. Jetzt dämmerte mir, dass ich ihn auf einer Party bei Practical Magick gesehen hatte, einem Wicca-Laden in der Stadt Red Kill. Der Laden, der einst David gehört hatte.

»Freut mich, dich kennenzulernen«, sagte Simon zu mir.

Ich blinzelte. »Gleichfalls.« Dann wandte ich mich an Sky: »Was macht ihr hier?«

Überrascht registrierte ich die Nervosität in Skys Gesicht, das Hunters Gesicht so ähnelte. Sie stammten beide aus England, waren groß, schlank, unglaublich blond und sehr cool und reserviert. Sie waren auch beide loyal, beherzt und fest entschlossen, das Richtige zu tun. Sky war entspannter im Umgang mit anderen Menschen als Hunter. Doch Hunter kam mir stärker vor.

»Hunter und ich haben einen Vorschlag«, sagte Sky. »Lass uns alle zusammenrufen, dann erklären wir es euch.«

»Danke, dass ihr alle gekommen seid«, sagte Hunter und hob die Stimme. Er trank einen Schluck Gingerale. »Wir haben hier zwei Hexenzirkel«, fuhr er fort und wies in den Raum. »Cirrus mit sieben Mitgliedern und Kithic mit sechs.« Er zeigte auf die Einzelnen. »Die Leiterin von Kithic, Sky Eventide. Bree Warren, Raven Meltzer, Thalia Cutter, Simon Bakehouse und Alisa Soto.«

Einen Augenblick lang lächelten wir alle und nickten einander zu. Anscheinend waren die anderen auch nicht schlauer als ich.

»Hunter und ich haben überlegt, ob wir die beiden Hexenzirkel nicht vereinen sollten«, sagte Sky und ich zog die Augenbrauen hoch. Wann haben sie das denn diskutiert?, fragte ich mich.

Quer durchs Zimmer fiel mein Blick auf Bree, die mich mit Ich-hab-davon-auch-nichts-gewusst-Miene ansah. Früher hatte Bree auch Cirrus angehört. Früher hatte ich ihre Gedanken gekannt wie meine eigenen. Aber, wir machten Fortschritte: Immerhin sprachen wir wieder miteinander, ohne uns zu streiten, und das war schon um einiges besser als das, was über Monate gelaufen war.

»Jeder Hexenzirkel für sich ist recht klein«, erklärte Hunter. »Das spaltet unsere Energie und unsere magischen Kräfte. Wenn wir uns zusammenschließen, würde uns das stärker machen und Sky und ich könnten uns die Leitung teilen.«

»Und der neue Hexenzirkel hätte dreizehn Mitglieder«, sagte Sky. »In der Magie hat die Zahl dreizehn besondere Eigenschaften inne. Ein Hexenzirkel mit dreizehn Mitgliedern besitzt Kraft und Macht. Dadurch ist sozusagen jedem Einzelnen seine Magie leichter zugänglich – ein besseres Wort habe ich dafür nicht.«

»Zusammenschließen?«, fragte Jenna. Ihre hellbraunen Augen schossen rasch zu Raven, und mir fiel ein, dass sie gesagt hatte, sie könnte niemals im selben Hexenzirkel sein wie das Mädchen, das ihr unverfroren den Freund ausgespannt hatte. Dann sah sie zu Simon und er erwiderte ihren Blick. Auf der Party bei Practical Magick hatte ich mitbekommen, dass die beiden sich unterhalten hatten. Gut für sie, dachte ich. Vielleicht reizt sie ja der Kontakt zu Simon so sehr, dass ihre Gefühle gegenüber Raven in den Hintergrund treten.

»Dreizehn klingt wirklich groß«, sagte Alisa, die sehr jung wirkte, vielleicht gerade mal fünfzehn. Sie hatte gewelltes goldbraunes Haar, braune Haut und große dunkle Augen. »Im kleineren Kreis finde ich es schöner, weil wir uns alle kennen und uns völlig entspannen können.«

Hunter nickte. »Das verstehe ich«, sagte er, und sein Tonfall verriet mir, dass er sie gleich mit logischen Argumenten überschütten würde, so wie er es schon oft mit mir gemacht hatte. »Und ich stimme dir zu, dass ein Teil der Anziehungskraft eines Hexenzirkels in seiner Vertrautheit liegt, dem Gefühl der Nähe und der Unterstützung, die wir voneinander bekommen. Doch ich versichere euch, wenn wir mal ein, zwei Monate miteinander gearbeitet haben, wissen wir den größeren Kreis der Unterstützung zu schätzen, den größeren Freundeskreis, die größere Kraftquelle.«

Alisa nickte unsicher.

»Können wir das überhaupt mitbestimmen?«, fragte Robbie.

»Auf jeden Fall«, antwortete Sky sofort. »Darüber haben Hunter und ich lange und gründlich nachgedacht. Wir teilen einige eurer Sorgen. Aber wir glauben, es wäre das Beste, wenn die beiden Hexenzirkel sich vereinen würden, wenn wir unsere Energien und unsere Kraft zusammentun würden. Wir wünschen es uns, wir möchten unsere Entdeckungsreise gern zusammen fortsetzen. Aber natürlich wollen wir hören, was ihr davon haltet.«

Schweigen machte sich breit; jeder wartete darauf, dass der andere etwas sagte. Ich richtete mich auf. »Ich finde, es ist eine gute Idee«, sagte ich. Bis ich das Wort ergriffen hatte, war ich mir nicht sicher gewesen, wie ich auf den Vorschlag reagieren würde, doch jetzt wusste ich es. »Es ist völlig einleuchtend, uns zusammen zu tun, Verbündete zu sein, zusammen zu arbeiten statt getrennt.« Hunters Blick suchte den meinen, doch ich hatte mich an die Gruppe gewandt. »Magie kann zuweilen auch dunkel und gefährlich sein«, fügte ich hinzu. »Je mehr Menschen, auf die wir uns verlassen können, desto besser, finde ich.«

Zwölf Menschen sahen mich an. Siebzehn Jahre lang war ich schüchtern und zurückhaltend gewesen, und ich wusste, dass meine Klassenkameraden – Menschen, die mich gut kannten – überrascht waren, dass ich meine Meinung so offen kundtat. Doch in den letzten Monaten war so viel passiert, dass ich ehrlich gesagt nicht mehr viel Energie hatte, um noch länger zurückhaltend und unsicher zu sein.

»Finde ich auch«, sagte Bree in die Stille hinein. Ich sah die Wärme in ihren braunen Augen und plötzlich lächelten wir einander an und es war fast wie in alten Zeiten.

Da redeten plötzlich alle durcheinander, und nach weiteren zwanzig Minuten Diskussion stimmten wir ab und beschlossen, die beiden Hexenzirkel zu vereinen. Insgesamt waren wir dann dreizehn Mitglieder und wir wollten uns Kithic nennen. Ich hoffte, das Ende von Cirrus würde mir helfen, das traumatische Ende meiner Beziehung zu Cal zu verarbeiten. Und ich versuchte, mich von den vielen Neuanfängen in meinem Leben nicht völlig überwältigen zu lassen.

Wir versammelten uns zu einem »Minikreisritual«, wie ich es für mich nannte: Wir machten nicht das ganze Ritual, sondern standen nur im Kreis, hielten einander an den Händen, und Hunter und Sky leiteten einige Atemübungen an.

»Wie einige von euch schon entdeckt haben«, sagte Hunter dann, »hat Wicca auch eine beängstigende Seite.« Er warf kurz einen Blick in meine Richtung. »Das ist vielleicht auch nicht überraschend, wenn man überlegt, dass wir alle in uns die Fähigkeit zum Licht sowie zur Dunkelheit haben. Wicca ist Teil der Welt und auch die Welt kann ein finsterer Ort sein. Doch dieser Hexenzirkel kann euch unterstützen und euch dabei helfen, eure ganz persönlichen Ängste zu überwinden. Je weniger unerforschte Orte ihr in euch habt, desto leichter wird es euch fallen, mit eurer Magie in Kontakt zu kommen.«

»Wir machen jetzt eine Runde«, fuhr Sky Hunters Ausführungen fort, »und jeder wird der Gruppe eine seiner Ängste nennen. Thalia, du fängst an.«

Thalia war groß und strahlte mit ihrem langen, lockigen Haar und ihrem hübschen Madonna-Gesicht (die Heilige, nicht die Sängerin) etwas aus, was mich an die Erdmutter erinnerte.

»Ich habe Angst vor Booten«, sagte sie und ihre Wangen röteten sich leicht. »Jedes Mal, wenn ich in ein Boot steige, gerate ich in Panik und denke, ein Wal steigt darunter auf und schmeißt mich ins Meer und ich ertrinke. Selbst wenn es nur ein Ruderboot auf einem Ententeich ist.«

Ich hörte, dass Matt ein Kichern unterdrückte, und ärgerte mich ein wenig darüber.

Robbie war der Nächste. Er sah Bree an und sagte: »Ich fürchte mich davor, nicht genug Geduld zu haben, um auf das zu warten, was ich wirklich will.« Robbie und Bree hatten vor Kurzem was miteinander angefangen, auf sehr vorsichtige, sich nicht festlegende Art. Er war in sie verliebt und wollte eine richtige Beziehung, doch sie schreckte bislang vor allem zurück, was ein bisschen mehr war als nur Rummachen.

Ich sah, dass Bree den Blick von ihm löste, und ich bemerkte auch das Interesse, das in Thalias Augen aufblitzte. Vor ein paar Wochen war mir zu Ohren gekommen, sie stünde auf Robbie. Wenn Bree nicht aufpasst, spannt Thalia ihr Robbie noch aus, dachte ich.

Ethan sprach als Nächster, ohne sein gewohntes Herumgealbere. »Ich fürchte mich davor, schwach zu sein und einen wirklich wichtigen Menschen zu verlieren.« Vermutlich sprach er über das Kiffen. In der Zeit, als er und Sharon sich näher gekommen waren, hatte er das Marihuanarauchen mehr oder weniger aufgegeben, teils weil er wusste, dass sie es nicht mochte, wenn er kiffte.

Sharon, die Ethans linke Hand hielt, sah ihn mit offener Zuneigung an. »Ich nicht«, sagte sie schlicht. Dann richtete sie den Blick in die Runde. »Ich habe große Angst vor dem Sterben«, sagte sie.

Und so ging es im Kreis weiter. Jenna hatte Angst, sie wäre nicht mutig genug. Raven hatte Angst, auf irgendetwas festgenagelt zu werden. Matt fürchtete, niemand würde ihn je verstehen. Ich wollte ihm sagen, er solle mit dem Versuch anfangen, sich selbst zu verstehen, doch dann wurde mir klar, dass dies hier weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort war für so einen Kommentar.

»Ich fürchte mich davor, niemals zu bekommen, was ich mir wirklich wünsche«, sagte Bree leise, den Blick zu Boden gerichtet.

»Ich habe Angst vor unerwiderter Liebe«, sagte Sky, ihre dunklen Augen so rätselhaft wie immer.

»Ich habe Angst vor Feuer«, sagte Simon und ich fuhr erschrocken zusammen. Meine leiblichen Eltern waren beim Brand einer Scheune ums Leben gekommen, und Cal hatte versucht, mich ebenfalls auf diese Weise umzubringen, als ich mich nicht der Verschwörung anschließen wollte, der er und seine Mutter angehörten. Auch ich hatte Angst vor Feuer.

»Ich habe Angst vor meiner Wut«, sagte Alisa. Das überraschte mich, denn sie wirkte so nett.

Dann war ich an der Reihe. Ich öffnete den Mund, weil ich sagen wollte, ich hätte Angst vor Feuer, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Ich spürte Hunters Blick, und es war, als richtete er einen Scheinwerfer in die dunkelsten Nischen meiner Seele und drängte mich, meine tiefsten Ängste zu offenbaren.

»Ich habe Angst davor, niemals zu erfahren, wer ich wirklich bin«, sagte ich, und als ich es aussprach, wusste ich, dass es wahr war.

Hunter kam als Letzter dran. »Ich habe Angst davor, noch mehr Menschen zu verlieren, die ich liebe«, sagte er mit klarer Stimme.

Er tat mir furchtbar leid. Sein Bruder war mit fünfzehn gestorben, umgebracht von einem dunklen Geist, einem taibhs. Und sein Vater und seine Mutter waren vor zehn Jahren verschwunden. Sie versteckten sich vor der dunklen Welle, einer Wolke des Bösen und der Vernichtung, die viele Hexenzirkel ausgelöscht hatte, darunter auch den meiner leiblichen Eltern. Ich wusste, dass Hunter eine jüngere Schwester hatte, und mir ging durch den Sinn, dass er sicher ständig Angst um sie hatte.

Dann sah ich ihn an und bemerkte, dass er den Blick fest auf mich gerichtet hatte, und meine Haut kribbelte, als wäre die Luft plötzlich elektrisch geladen.

Einen Augenblick später lösten wir alle die Hände voneinander und es war vorbei. Einige würden vermutlich noch bleiben, um sich zu unterhalten, doch mir war seltsam ungesellig zumute, und so holte ich meinen Mantel. Die Ereignisse der vergangenen Woche hatten mich mehr erschüttert, als ich zugeben mochte. Seit gestern hatten wir offiziell Winterferien, und ich war unglaublich erleichtert, endlich viele freie Stunden in Aussicht zu haben, um auch nur ansatzweise die vielen Veränderungen meines Lebens in den letzten drei Monaten zu verarbeiten.

»Robbie?«, fragte ich und unterbrach damit sein Gespräch mit Bree. Sie schmiegten sich eng aneinander, und ich glaubte zu hören, dass Robbie schmeichelnd auf Bree einredete und sie sich scherzhaft widersetzte.

»Oh, hey, Morgan«, sagte Robbie und blickte zögerlich auf, und dann war Hunters Stimme dicht an meinem Ohr, und ein Schauder lief mir über den Rücken, als er sagte: »Kann ich dich heimbringen?«

Ich sah die Erleichterung in Robbies Miene und nickte. »Ja. Danke.«

Hunter zog seine Lederjacke und seine Mütze an und ich folgte ihm hinaus in die Dunkelheit.