FÜNF

 

Der Gestank nach Blut, Schweiß und Alkohol waberte bis zur obersten Sitzreihe der Zuschauerränge. Der alte Mann war größer als alle anderen in der Scheune und konnte mühelos über all die erhobenen Fäuste hinwegsehen, die mit Euroscheinen und Pfundnoten wedelten. Er hatte immer den besten Sitzplatz, der zu vergeben war. Schließlich gehörte ihm der Schuppen.

Trotz des Gebrülls der Menge hörte man von unten noch das Knurren und Bellen. Die Hunde umkreisten einander, schnappten, kläfften und fielen übereinander her. Beide waren gleich stark, mit mächtigen Kiefern und dicken Hälsen. Beide gute, ausgewachsene Rüden, kampferprobt, voller Narben und mit schweren Hoden zwischen den Beinen, aus denen ihre Aggressivität kam. Erstklassige Pitbulls. Gute Tiere. Er liebte gute Tiere, wie jeder Mann, der einen Pfifferling wert war.

Sie gingen jetzt schon vierzig Minuten aufeinander los. Ihre Schnauzen und mächtigen Brustkörbe waren über und über mit Blut besudelt, die frischen Wunden glänzten im harten Licht. Einer hatte ein Stück seiner Lefzen verloren, der andere eine aufgerissene Schulter, aber keiner zeigte irgendwelche Ermüdungserscheinungen, während ihre Hundeführer sie zu immer neuen Attacken anstachelten. Die Wände des Kampfplatzes waren mit hölzernen Planken ausgekleidet, auf denen in bizarren Bögen und Spritzern altes und neues Blut klebte.

Der Gestreifte und der Rote ließen voneinander ab und starrten einander an. Der Alte spürte ein Zucken in den Lenden, er ahnte, dass jetzt die letzte Runde kam. Das Gebrüll der Menge erstarb zu einem Raunen. Fast sechzig Männer warteten auf diesen Moment.

Meine Güte, wie schnell die waren! Sie mochten vielleicht dumpf aussehen, nur grobschlächtige Klötze aus Fleisch und Zähnen, aber wer das glaubte, den hatten sie im nächsten Moment schon. Sie sprangen im selben Moment los, die Pfoten in die Luft gereckt, schlugen sie aufeinander ein und versuchten, den anderen zu Boden zu drücken. Ihre Hinterläufe waren angespannt, während sie aufeinander einprügelten und mit den Zähnen schnappten. Einzelne Rufe wurden in der Menge laut, während die Hunde weiter knurrend umeinander tanzten, jeder wollte die Oberhand gewinnen, den anderen niederdrücken und erledigen. Zuerst schien es, als würde der Rote gewinnen, er hatte sich in der Nackenhaut des anderen verbissen. Dann aber warf sich der Gestreifte mit seinem ganzen Gewicht auf den Roten.

Im nächsten Moment war es vorbei. Der Gestreifte vergrub sein mächtiges Gebiss im Nacken des Roten, und ein lautes Winseln gellte durch die alte Scheune. Ein tiefes, triumphierendes Knurren entfuhr der Brust des Gestreiften, während er die Schnauze des Roten in den Staub drückte. Der Rote strampelte mit den Läufen, aber er war dem anderen Hund ausgeliefert. Gnade kannte der Gestreifte nicht, und so bündelte er alle Kraft in seinen kräftigen Kiefermuskeln. Instinkt und Zucht sorgten dafür, dass er die Kiefer zusammendrückte.

»In Ordnung, das reicht!« Bull O’Kane stieg die Tribüne Rang um Rang hinunter, sein massiger Körper ließ die Bänke der Tribüne ächzen. Die Hundeführer sprangen in die Arena, um die Rüden zu trennen. »Aus!«, schrie der Besitzer des Gestreiften, packte sein Ohr und zog daran.

Der Besitzer des anderen Hundes versuchte mit einer Metallstange, die er sonst benutzte, um sein eigenes Tier damit abzurichten, die Kiefer des Gewinners auseinanderzustemmen. »Verdammter Mist, der bringt ihn ja um!« Der Gestreifte wackelte mit dem Kopf hin und her und biss noch fester zu.

»Zum Teufel noch mal, aus dem Weg!«, befahl O’Kane.

Er stieg in die Arena hinab und stieß die beiden Hundebesitzer beiseite. Der empfindliche Hodensack des Gestreiften baumelte ungeschützt zwischen seinen Hinterläufen. Mit einem satten Klatschen traf ihn O’Kanes Stiefel. Der Hund jaulte auf, ließ aber nicht los.

»Blöder Mistköter!« O’Kane wischte sich den Speichel vom Mund, holte noch einmal aus und trat dem Gestreiften mit dem Stiefel erneut zwischen die Beine. Der Hund taumelte zur Seite, seine Hinterläufe zitterten, doch er ließ mit seinen monströsen Kiefern immer noch nicht los.

»Jetzt bist du dran, du Töle!« O’Kane war beinahe siebzig, aber trotzdem immer noch der Bulle. Er legte sein ganzes Gewicht in den rechten Fuß, und endlich machte der Hund das Maul auf und reckte die Schnauze zum verrosteten Dach hoch. Er heulte, knurrte und wirbelte herum, um seinen Peiniger anzugreifen.

O’Kane starrte ihm in die Augen. »Na komm doch.«

Der Hund duckte sich zum Sprung.

O’Kane stellte sich breitbeinig hin.

Der Gestreifte zögerte nicht. Mit gebleckten Zähnen sprang er ihn an. Die Augen in seinem Kopf rollten, blutroter Sabber troff ihm aus den Lefzen.

Er hatte keine Chance.

O’Kane ließ ihn kommen und hielt ihm eine schwielige Hand hin. In dem Moment, wo der Hund versuchte, seine Zähne in die rechte Faust zu schlagen, drückte O’Kane ihm die Finger tief in den Rachen und legte ihm den linken Arm um den starken Hals.

Der Gestreifte machte das Maul auf und zu und versuchte, einen besseren Angriffspunkt zu finden, aber O’Kane drückte noch fester und packte mit seinen dicken Fingern die Zunge. Er nahm den Arm vom Hals des Hundes, verdrehte das glitschige, rosarote Fleisch und zog so lange, bis die Pfoten des Hundes im Dreck scharrten. Er hustete, würgte und jaulte, die Augen traten ihm aus dem Kopf.

O’Kane trat den an seiner Hand hängenden Hund noch einmal fest in die Rippen, dann ließ er den Arm sinken und verdrehte dabei weiter den Kopf des Hundes.

Er wandte sich zu dessen Besitzer um. »Wenn du dein Tier nicht im Griff hast, dann bring es gefälligst nicht zum Kämpfen her, verdammt.«

»Ja, Mr. O’Kane.« Der Besitzer senkte den Blick. »Es tut mir leid, Mr. O’Kane.«

»Schaff dieses Vieh hier raus.« O’Kane ließ die Zunge des winselnden Hundes los, und der Besitzer legte ihm eine Kette um den Hals.

O’Kane sah Sean an, den Buchmacher. Grinsend wischte er sich an seinem Mantel die Hand ab. Sean zwinkerte zurück und rückte seine Schirmmütze gerade. Die meisten aus der Menge hatten auf den Roten gesetzt. Bis jetzt war der Abend gut gelaufen.

Vom offenen Scheunentor her meldete sich eine Stimme. »Da!«

O’Kane drehte sich um und sah seinen Sohn Pädraig, ebenso groß wie der Vater und zweimal so dick. »Was ist?«

»Dein Mann ist hier.«

O’Kane nickte, kletterte die Stufen hoch und verließ die Arena. An seinem Sohn vorbei, der sich umdrehte und ihm folgte, trat er hinaus auf den Hof. Die in den ehemaligen Ställen eingesperrten Hunde bellten und knurrten, als sie vorbeikamen. Er fuhr sie an, Ruhe zu geben. In Frachtkäfigen auf der gegenüberliegenden Seite waren die mitgebrachten Tiere untergebracht. Neben dem heruntergekommenen Haus ratterte ein Dieselgenerator, der den Hof mit Strom versorgte. Auf dem Gelände roch man immer noch den beißenden Chemiegestank von der Dieselaufbereitungsanlage, die hier gestanden hatte, bevor der Zoll eine Razzia durchgeführt hatte. Die Hunde brachten nicht so viel Geld ein, machten ihm aber mehr Spaß. Und er als alter Mann musste jedes Vergnügen mitnehmen, das er noch kriegen konnte. Außerdem hatte er entlang der Grenze noch eine Menge anderer Bauernhöfe, die gereinigtes Diesel lieferten.

Träge liefen Regentropfen die Fensterscheiben des Bauernhauses hinunter. Drinnen brannte schummriges Licht. O’Kane drückte eine Tür auf, die in die ehemalige Küche führte.

»Warte hier draußen«, befahl er seinem Sohn, bückte sich mit dem Kopf unter dem Türrahmen hindurch und trat ein.

Im Raum befanden sich noch drei andere Männer. An der einen Wand lehnte Tommy Downey aus Crossmagien, schlank und drahtig und mit zurückgegeltem Haar. An der anderen Kevin Malloy aus Monaghan, stämmig wie O’Kane, aber gut zwanzig Zentimeter kleiner. Downey deutete auf den Dritten, der in der Mitte des Raumes saß. »Hier ist er, Boss.«

»In der Tat.«

O’Kane trat auf den Mann zu. Der Kissenbezug über seinem Kopf bauschte sich bei jedem Atemzug aus und erschlaffte wieder. Auf seinem gut geschnittenen Anzug waren rote Flecken.

»Ja, was ist das denn? Ist er etwa nicht freiwillig mitgekommen?«

»Kann man nicht so sagen«, gab Malloy zurück. O’Kane schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Der soll sich was schämen.«

Er streckte die Hand aus und zog dem Mann den Kissenbezug vom Kopf. Der junge Bursche starrte zu ihm hoch. Um Mund und Nase klebte getrocknetes Blut.

»Meine Güte, Martin, du schwitzt ja wie ein Schwein.«

Martin blinzelte.

»Jammerschade, dass du nicht auf mich hören wolltest, Martin. Schau, wie weit es gekommen ist, dabei wäre das gar nicht nötig gewesen.«

Martins Augen quollen über. »Was wollen Sie?«

»Ich will dir Geld geben. Aber du willst es nicht annehmen. Das ist doch verrückt, oder? Ich will dir 200.000 geben, und du schlägst meine Hand weg.«

»Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen mit meinem Anwalt reden.«

O’Kane machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach Gott, Anwälte. Allesamt nur Betrüger. Warum so einem Mistkerl Geld in den Rachen schieben, wenn wir auch direkt ins Geschäft kommen können.«

Martins Stimme zitterte vor törichtem Trotz. »Dieses Land ist eine halbe Million wert, das wissen Sie ganz genau.«

O’Kane bückte sich und stützte die Hände auf den Knien ab. »Ach, tatsächlich?«

»Das hat mir der Immobilienmakler selbst gesagt.«

O’Kane grunzte und richtete sich wieder auf. »Immobilienmakler? Klar, das sind ja auch noch größere Betrüger als Anwälte. Du brauchst keinen Immobilienmakler, wenn du mit Bull Geschäfte machen willst. Nein, nein, nein. In die Hand spucken und einschlagen, so mache ich das.«

Der junge Mann starrte O’Kane unverwandt in die Augen. »Nu gut, ich verkaufe Ihnen das Land, aber ich brauche einen fairen Preis.«

O’Kane tätschelte ihm lächelnd auf die Schulter. »Du bist ein tapferer Bursche, mein Junge. Nicht viele Männer würden mir die Stirn bieten. Aber jetzt hörst du mir mal zu. Du solltest dein Glück nicht überstrapazieren. Der einzige Grund, warum ich dich noch nicht an die Hunde verfüttert habe, ist der, dass dein alter Herr ein guter Freund von mir war. Deshalb habe ich ihm den Hof auch so lange gelassen. Du dagegen hast dich nach England verdünnisiert und dir einen netten Abschluss und einen guten Job besorgt. Und jetzt, wo er tot ist, kommst du flugs zurückgelaufen und willst Kohle machen.«

»Er hat mir den Hof vererbt. Ich kann damit machen, was ich will. Ich kann ihn an jeden verkaufen, der…«

»Du kannst ihn an mich verkaufen, mehr nicht. Niemand kauft oder verkauft in Süd-Armagh ohne meine Erlaubnis irgendwelches Land. Je schneller du das in die Birne bekommst, desto schneller können wir die Sache hinter uns bringen.«

Martin starrte stur geradeaus. »Sie können mit meinem Anwalt reden.«

O’Kane seufzte und legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. »Martin, bitte. Dein Vater war ein Freund von mir. Tu das nicht.«

»Die alten Zeiten sind vorbei. So läuft das heute nicht mehr. Ich kann auch zur Polizei gehen.« Martin blickte zu O’Kane hoch. Er sah genauso aus wie sein Vater.

O’Kane schloss einen Augenblick die Augen und schüttelte den Kopf. Er wandte sich zur Tür. Als er dort angekommen war, drehte er sich noch einmal um und sagte: »Also dann, Jungs.«

O’Kane trat hinaus in die Dunkelheit und klappte den Mantelkragen hoch, damit ihm der Regen nicht in den Nacken lief. Pädraig reichte ihm eine Zigarette und wölbte dann die Hände darum. Das Streichholz brannte gerade so lange, dass es den Tabak entzündete. O’Kane nahm einen tiefen Zug und spürte die beißende Hitze in seiner Lunge. Seit sechzig Jahren rauchte er nun, und alles, was er vorzuweisen hatte, war ein Tröpfchen Schleim am Morgen. Die Scheißärzte haben ja keine Ahnung, dachte er.

»Alles in Ordnung, Da?«, fragte Pädraig. Sein dummes Gesicht war nass und glänzte im Licht, das aus der Scheune drang.

»Ah, mir geht’s blendend, mein Junge. Ich bin nur ein bisschen müde, mehr nicht.«

Das Walkie-Talkie in Pädraigs Tasche knisterte. Er zog es hervor und drückte auf den Sprechknopf: »Ja?«

Statisches Rauschen mischte sich mit Jubelgeräuschen und Geknurre aus der Scheune. Aus dem Haus hinter ihnen drangen dumpfe Schläge, gefolgt von gedämpften Schreien.

»Ja, wir erwarten ihn. Lasst ihn durch.«

Pädraig steckte das Funkgerät zurück in die Tasche. »Es ist McGinty.«

O’Kane schaute an der Scheune vorbei und sah auf dem Zufahrtsweg Scheinwerfer näher kommen. »Geh und behalt den Kampf im Auge«, befahl er. »Pass auf, dass Sean nichts mitgehen lässt.«

»In Ordnung, Da.« Pädraig watschelte über den Hof und winkte dem vorbeikommenden rostigen Peugeot zu. Die Reifen zischten auf dem nassen Beton, als er anhielt. Die Beifahrertür ging auf, und Paul McGinty stieg aus. Er streckte die Hand aus.

»Wie geht’s, Paul?« O’Kane zerquetschte mit seiner Pranke schier die Finger des Politikers.

»Ging schon mal besser«, sagte McGinty.

»Wo hast du denn deine schicke Limousine?«

»Ich wollte kein Aufsehen erregen.« McGinty ließ seine weißen Zähne aufblitzen.

»Recht so.« O’Kane ließ die Hand los. »Ist alles arrangiert?«

McGintys Augen schossen in Richtung Haus, als von dort ein Schrei herausdrang. »Was war das?«

»Ein örtliches Problemchen. Mach dir keine Gedanken darüber.«

McGinty strich sein Jackett glatt. »Ja, alles ist erledigt. Sie sollten bald da sein. Marie hat eine Telefonnummer von Fegan. Wir rufen ihn dann an.«

»Die Frau.« McGinty zeigte mit dem Finger auf McGintys Lende. »Sieh zu, dass dir nicht dein Schwanz ins Gehege kommt. Du tust, was getan werden muss, egal, was in der Vergangenheit mal gewesen ist.«

McGinty legte erstaunt den Kopf zur Seite.

»Hast wohl nicht gedacht, dass ich darüber Bescheid weiß, wie?« O’Kane lachte, dass sein Bauch wackelte. »Ihr Burschen in Belfast glaubt wohl, dass ich hier unten zu tief in der Kuhscheiße hocke, um irgendwas mitzukriegen. Ich weiß alles.«

»Das sind doch uralte Geschichten.«

»Umso besser. Aber was anderes. Es gibt da noch eine Kleinigkeit, über die ich Bescheid weiß. Du aber nicht.«

McGinty runzelte die Stirn. »Und was?«

Ein langer, lauter Schrei drang aus dem Haus. O’Kane warf einen flüchtigen Blick über die Schulter, dann sah er wieder McGinty an. »Dein kleiner Freund Davy Campbell. Der hat noch ein Ass im Ärmel.«

»Was für ein Ass?«

»Jedenfalls müssen wir uns mal mit ihm unterhalten, wenn er mal da ist.«

Die Küchentür des Bauernhauses ging auf, und Tommy Downey trat heraus. O’Kane wandte sich zu ihm um. »Martin nimmt das Angebot an«, sagte Downey.