Edward Hargreaves, Abgeordneter und dem Nordirland-Minister zugeordneter Staatssekretär, schlug ab. Er beschirmte die Augen vor der Nachmittagssonne, während der Ball in den Himmel über den alten Platz von St. Andrews schoss. Der Golfball driftete ab, zog nach links und begann seinen langsamen Sinkflug. Dann schlug er dreimal auf und verschwand in einem Ginstergebüsch.
»Satansbraten«, knurrte Hargreaves und reichte seinen Schläger dem Caddy, ohne ihn dabei anzusehen.
»Pech, Sir«, sagte der dritte Anwesende. Als Compton sich vorbeugte, beulte sich in seinem Kreuz eine Waffe aus.
Hargreaves war zwar froh, dass sein neuer persönlicher Personenschutzbeamter im Unterschied zu dem Kerl, den er vorher gehabt hatte, einigermaßen umgänglich war, aber warum hatten sie ihm ausgerechnet einen schicken müssen, der so gut Golf spielte? Comptons perfekter Schlag schickte den Ball genau zwischen zwei Bunkern aufs Grün. Von da aus würde er ihn leicht einlochen können.
Heute war ohnehin schon ein abscheulicher Tag gewesen, und vermutlich würde er noch schlimmer werden. Um acht Uhr war Hargreaves in seinem Hotel von dem Telefon auf dem Nachttisch geweckt worden, mit schlechten Nachrichten. Bei den wenigen Anlässen, wo er ihm begegnet war, hatte er Michael McKenna als ausgesprochen unangenehm empfunden, deshalb empfand er jetzt auch keine Trauer. Aber der Ärger, den dieser Mord heraufbeschwor, konnte Jahre an harter Arbeit zunichtemachen.
Zugegeben, es war die harte Arbeit des Nordirland-Ministers und seiner Vorgänger, aber trotzdem.
Gott steh mir bei, dachte Hargreaves. Womöglich würde er diesen Monat sogar noch einmal in diese gottverlassene Region reisen müssen, dabei war er doch gerade erst nach drei Wochen am Stück von dort zurückgekehrt. Reichte das denn nicht? Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte man dieses verfluchte Stück Land schon vor Jahren davontreiben lassen. Aber es gab ein paar Leute in der Regierung und in der Königsfamilie, die den sechs Grafschaften jenseits des Meeres gegenüber irgendein törichtes Pflichtgefühl entgegenbrachten, also musste er dieses Joch auf sich nehmen.
Dabei hatten sich die verschiedenen Lager in Nordirland nun endlich darauf geeinigt, die Regierung des Landes in Eigenregie unter sich aufzuteilen, also bestand Hargreaves’ Rolle eigentlich hautsächlich darin, dem Minister irgendwelche Papiere zur Unterschrift weiterzuleiten. Das war nicht ganz so schrecklich - vorausgesetzt, die Eingeborenen benahmen sich.
Das Telefon in seiner Tasche vibrierte. Da war der Anruf, vor dem ihm schon so graute. Schweren Herzens ging er dran.
Eine Frauenstimme sagte: »Der Chief Constable wäre jetzt so weit, mit Ihnen zu sprechen, Sir. Es ist eine abhörsichere Leitung. Sie können anfangen.«
»Guten Tag, Geoff«, sagte Hargreaves. »Was haben Sie für mich?«
»Nicht besonders viel«, antwortete Pilkington.
Hargreaves mochte den Chief Constable nicht, aber er respektierte ihn. Geoff Pilkington war ein harter Bursche, der, bevor er die Karriereleiter erklommen hatte, auf den Straßen von Manchester aufgeräumt hatte. Er gehörte zu den wenigen Chief Constables, die in ihrem Berufsleben tatsächlich echte Polizeiarbeit verrichtet hatten, anstatt sich einfach über Privatschulen und ein Studium in Oxford oder Cambridge in eine solche Position zu hieven. Er war gnadenlos gegenüber jedermann, besaß aber einen scharfen politischen Verstand, der sein ungeschlachtes Außeres Lügen strafte. Er wusste, wann es zu poltern galt und wann zu flüstern. Wenn Pilkington statt einem der ranghöchsten Polizeiposten im Lande eine Parlamentskarriere angestrebt hätte, säße er jetzt im Kabinett, dessen war Hargreaves sich sicher. In der Umbruchphase, als man die Royal Ulster Constabulary aufgelöst hatte, hatte er den obersten Job in der neuen Polizeitruppe übernommen. Es war eine Testphase gewesen, aber er hatte sie überstanden und das Unmögliche möglich gemacht, indem er sich den Respekt der gesamten nordirischen Gesellschaft erworben hatte, auch wenn er ihm auch aus einigen Lagern nur grollend gezollt wurde.
»Wer ist es gewesen?«, fragte Hargreaves. »Loyalisten? Dissidenten?«
»Weder noch, glauben wir. Die Tat wurde aus nächster Nähe ausgeführt, es gibt keine Anzeichen eines Kampfes. Wir sind uns ziemlich sicher, dass es jemand war, den er kannte.«
»Seine eigenen Leute?« Hargreaves machte sich auf den Weg zu seinem Ball, Compton und der Caddy folgten.
»Unwahrscheinlich«, sagte Pilkington. »Es hat keinerlei Anzeichen für irgendwelche Flügelkämpfe gegeben. Und selbst wenn, würde doch keiner für Unruhe sorgen wollen. Nicht jetzt, wo sie im Stormont mit am Tisch sitzen.«
»Wer dann? Irgendwas muss ich dem Minister ja sagen können.«
»Wir wissen, dass McKenna mit ein paar Litauern Geschäfte gemacht hat, die Illegale aus Dublin über die Grenze gebracht haben. Meistens Mädchen für den Sexmarkt.«
»Hätte gar nicht gedacht, dass McKenna und seinesgleichen sich mit so was abgeben. Das ist doch mehr eine Stärke der Loyalisten.«
»Die offizielle Parteilinie ist, dass es überhaupt keine kriminellen Aktivitäten gibt, aber sie kontrollieren nicht, was der Einzelne macht. Das lässt Leuten wie McKenna etwas mehr Freiraum für ihre Umtriebe. Wenn damit Geld zu verdienen ist, machen sie es. Und egal, was die Partei sagt, Geld fließt bekanntlich immer noch nach oben.«
Es verblüffte Hargreaves immer noch, dass die Leute Kriminellen ihre Stimme gaben, obwohl sie darüber genau Bescheid wussten. Er bezweifelte, dass es irgendwo in der Welt ein zynischeres Wahlvolk gab. Der nordirische Durchschnittsbürger konnte bei einer Rede besser zwischen den Zeilen lesen als irgendein politischer Beobachter. Er glaubte kein einziges betrügerisches Wort. Dennoch waren die Ergebnisse an den nordirischen Urnen vollkommen vorhersagbar, egal bei welcher Wahl. Er fragte sich, warum sie nicht einfach alle vier Jahre die konfessionelle Zugehörigkeit erhoben und fertig.
Bei der letzten Kabinettsumbildung hatte Hargreaves inständig darauf gehofft, einen Kabinettsposten zu bekommen, egal welchen. Doch wie sich herausstellte, war er nicht einmal Nordirland-Minister geworden, obwohl diesen Posten kein Mensch wollte. Nein, er war jetzt der gottverdammte Staatssekretär des Mannes, dessen Posten niemand wollte. Beim Weitergehen mahlte er mit den Kiefern.
»Haben Sie denn irgendetwas, um die Litauer damit in Verbindung zu bringen?«, fragte er.
»Eigentlich nicht. Im Augenblick haben wir nur sehr wenige brauchbare Informationen, mit denen wir arbeiten können.«
»Was haben Sie denn überhaupt?« Hargreaves wartete nicht mehr darauf, dass Compton und der Caddy ihm folgen konnten.
Morgen früh würde er Compton zum Joggen mitnehmen, damit der in Spielform kam.
»Wir kennen seine letzten Schritte. Er besaß eine Bar in der Springfield Road. Die Lizenz lief zwar auf seinen Bruder, aber sie gehörte ihm. Von da hat er einen Betrunkenen im Auto nach Hause gefahren. Dreißig bis fünfundvierzig Minuten später erhielt der Wirt dann von ihm einen Anruf. Er sagte, er habe den Betrunkenen zu Hause abgesetzt und sei dann zu den Docks gefahren, um noch jemanden wegen einer geschäftlichen Angelegenheit zu treffen. Wir überprüfen immer noch das Material der Überwachungskameras auf dieser Strecke, aber auf den Bildern, die wir bislang haben, sieht man ihn allein fahren. Die letzte Kamera hat ihn in der York Street aufgenommen, als er unter der Überführung der M3 abgebogen und in Richtung Docks weitergefahren ist. Wir vermuten, dass derjenige, den er traf, es dort getan hat. Der Wagen wird noch von den Forensikern untersucht, aber ich bezweifle, dass sie viel finden werden. Es war ein sauberer Job. Professionell.«
Hargreaves verspürte eine Brise der Erleichterung. »Wir glauben also nicht, dass es etwas Politisches war? Ich brauche Ihnen ja nicht zu erklären, wie unangenehm es sonst würde.«
»Nein, Sir, brauchen Sie nicht. Bis jetzt deutet vieles darauf hin, dass hier irgendein Deal schiefgelaufen ist. Wir haben bereits den Betrunkenen verhört, aber der wusste nicht viel, ungeachtet dessen, um wen es sich handelt.«
Die erleichternde Brise war fort, und Hargreaves machte sich wieder auf den Weg zu seinem Ball. »Was soll das heißen? Um wen handelt es sich?«
»Gerald Fegan. Er steht im Verdacht, nicht weniger als zwölf Morde verübt zu haben, davon zwei, während er auf Hafturlaub zur Beerdigung seiner Mutter war. Verurteilt wurde er wegen eines Bombenanschlags 1988 auf einen Metzgerladen in der Shankill Road. Dabei kamen drei Menschen ums Leben, darunter eine Mutter und ihr Baby. Er war ein Fußsoldat. Einer ihrer besten - oder schlimmsten, je nach Standpunkt. Kurz gesagt, ein Killer.«
»Und der ist nicht verdächtig?«
»Gegenwärtig nicht. Seit seiner vorzeitigen Entlassung hat er sich mucksmäuschenstill verhalten, und das war …« Hargreaves hörte Papier rascheln.
»Anfang 2000. Soweit ich mitbekommen habe, hatte er vor seiner Entlassung einige psychische Probleme, und in letzter Zeit spricht er dem Alkohol zu.«
Die Brise der Erleichterung wehte wieder. »Verstehe«, sagte Hargreaves, während er sich dem Ginstergebüsch näherte, das seinen Ball verschluckt hatte. »Es ist also nichts Politisches. Wir sollten zusehen, dass es dabei bleibt, nicht wahr?«
»Natürlich, Sir. Die Politiker aller Lager drücken zwar schon auf die Tube, um möglichst viel Kapital aus der Sache zu schlagen, aber das war ja zu erwarten. Keine Sorge, wir halten den Deckel drauf.«
»Guter Mann«, sagte Hargreaves. Er beendete das Gespräch, schob das Telefon wieder in seine Tasche und trat gegen den Ginster. »Also, wo ist jetzt dieser verdammte Ball?«