17

 

»Seid ihr sicher, daß ihr heute abreisen wollt?« fragte Lee, wobei sie entschlossen dem flehenden Blick ihres Mannes auswich. »Ich meine, ihr müßt nach dem Theaterspielen und dieser grausamen Nacht schrecklich müde sein. Möchtet ihr nicht lieber noch ein oder zwei Tage warten?«

Aber wie es geht bei Leuten, die an einem Ort mehr als lange blieben — mit einem Mal sind alle von der Notwendigkeit überzeugt, sofort abreisen zu müssen.

»Liebling, ich muß einfach fliegen.« So Cynthia, und Lawrence als ihr Echo: »Es war ein wunderbares ländliches Zwischenspiel, meine Lieben, aber jetzt ruft die Stadt. Deswegen: die Straße frei!«

Der Professor sagte höflich: »Ich kann Ihnen beiden für diesen herrlichen Aufenthalt nicht genug danken. Aber selbst >Der Mann, der zum Dinner kam< reiste einmal ab, und mein Zimmer ist bestellt.«

Sally, die nach ihrem Abenteuer blaß und mitgenommen aussah, sagte trotzdem, sie müsse reisen »Aber du kannst nicht fahren«, wandte Lee ein.

»Mach dir darüber keine Sorgen. Donald hat sich verpflichtet, Miss Connors Wagen zu holen, und der Dummkopf besteht darauf, mich nach Hause zu bringen. Ich weiß auch nicht, warum. Als ob eine kleine Tablette etwas schaden könnte.«

»Tante Hesters Wagen? Oh je«, wiederholte Lee erschrocken. Sich von dieser gemischten Gesellschaft zu trennen, fiel nicht so schwer, aber Tante Hester würde sie vermissen. Die Dame blieb jedoch nicht nur standhaft, sondern war auch vernichtend offen.

»Aber sicher, Liebes, und ich darf doch sagen, daß es höchste Zeit ist, daß du und Andrew, daß ihr euer Haus für euch habt. Mr. Harvey sagte mir gestern abend, daß er den Wagen völlig zufriedenstellend finde, deshalb gebe ich ihm heute einen Scheck und lege mein Schicksal in die Hände von Mr. Major, Parsivals und meines.«

Der kleine Hund hörte seinen Namen und öffnete ein Auge, schloß es aber sofort wieder. Er war von seinen heldenhaften Abenteuern und dem ungewöhnlichen Getue, das seither um ihn gemacht wurde, restlos erschöpft, sah nur sein Frauchen einmal an und legte sich dann wieder schlafen. Alle lachten und Lee sagte: »Welch ein Segen, daß du ihn damals morgens im Gestrüpp gefunden hast, Tante Hester. Wie lange das schon her zu sein scheint!«

»Das ist es wahrhaftig«, sagte Grant laut, und Lee errötete.

»Oh, das meinte ich wirklich nicht. Es war herrlich mit euch allen. Ich werde diese Zeit nie vergessen«, und sie versuchte mit einem Blick Andrew dazu zu bringen, ihre Worte zu bekräftigen.

Statt dessen wandte er sich an Miss Connor: »Mußt du wirklich so überstürzt abreisen? Du gehörst doch zur Familie, und die Familie tut sich immer zusammen, um über die Gäste zu lästern, wenn sie gegangen sind.«

Übertönt von neckenden Worten und Gelächter sagte Lee: »Liebe Tante Hester, das meinen wir wirklich ernst. Geh noch nicht.«

Ebenso leise antwortete Miss Connor, in der Stimme noch mehr herzliche Zuneigung als sonst: »Meine liebe kleine Nichte, ich muß. Wenn ich bleibe, bleibt Dennis auch, und wer weiß, wer seinem Beispiel noch folgen könnte? Andrew war sehr geduldig, aber auch bei ihm ist irgendwo eine Grenze.«

Als Lawrence startbereit war, erklärte Grant plötzlich: »Wenn es dir nichts ausmacht, alter Junge, fahre ich nicht mit.«

Es entstand ein unangenehmes Schweigen. Lee wußte zwar, daß Andrew Grant schätzen gelernt hatte, aber trotzdem... Sie sagte tapfer: »Nein, Grant, warum solltest du mitfahren? Bleib noch ein bißchen«, aber jetzt fürchtete sie um die Laune ihres Mannes.

Es gab jedoch keinen Grund zu irgendwelchen Befürchtungen. Grant bekam einen hochroten Kopf und erklärte, er fände es eine gute Idee, Arbeitsferien zu machen, und Mr. Macgregor habe ihm eine vorläufige Beschäftigung angeboten, wenn also Lawrence seinen Kram hinüberfahren und vor Macgregors Tür absetzen würde, könnte er selbst zu Fuß gehen.

Lawrence lachte etwas überheblich. »Herzlichen Glückwunsch, mein Junge. In Ordnung, ich werde mich um den Koffer und alles andere kümmern. Und jetzt können wir wohl starten, meine ich. Es ist zehn Uhr. Es gibt nichts besseres, als früh zu reisen.«

Sie versammelten sich alle, um ihn zu verabschieden, und plötzlich empfand Lee eine bisher unbekannte Zuneigung für Lawrence. Schließlich hatte hauptsächlich er einen großen Erfolg aus den Theaterstücken gemacht, und er hatte die Niederlage, die er bei Kitty erlitten hatte, sehr sportlich genommen. Außerdem hatte er nie auch nur andeutungsweise an die schreckliche Situation erinnert, als er zutiefst gedemütigt und mit einem zerstörten Selbstbewußtsein an seiner Zelttüre gestanden hatte und sie und Tante Hester beschämt an ihm vorbeigeschlichen waren.

Miss Connor, merkte Lee, empfand dasselbe, denn sie verabschiedete sich von Lawrence herzlich und ging sogar so weit zu sagen, sie habe sich gefreut, die Gesellschaft eines Künstlers genießen zu dürfen. »Ich war erstaunt festzustellen, wie sehr die Kunst in den Kolonien fortgeschritten ist, sie hat in der Tat meinen Horizont überschritten«, fügte sie humorvoll hinzu, »aber sie hat trotzdem die Kultur wesentlich gefördert.«

Lawrence zeigte sich von diesem Lob beeindruckt und beugte sich sehr galant über ihre Hand, die nicht mehr ganz so weiß und makellos war wie vor ungefähr einem Monat.

Er sagte dem Professor fröhlich auf Wiedersehen. »Und ich hoffe, Sir, daß Sie mir Ihren Unfall vergeben«, worauf der Professor, wie man es nicht anders erwartet hatte, antwortete, daß er ihm mehr als vergeben habe, denn ohne die zerbrochene Flasche wären ihm diese herrlichen Ferien nie in den Schoß gefallen.

Damit hatten Lawrences schöne Reden sich erschöpft. Er verabschiedete sich kurz von Sally, gab der Hoffnung Ausdruck, daß sie ein Förderer ländlicher Kultur werden möge, sobald sie Mrs. Harvey in die Flucht geschlagen habe, was ihm einen finsteren Blick eintrug. Er küßte Lee leidenschaftlich, aber trotz dieser rein konventionellen Geste erntete Lawrence von Andrew einen noch finstereren Blick als von dessen Kusine. Seinem widerwilligen Gastgeber schüttelte er die Hand und gab unaufgefordert das Versprechen, sie im Laufe der Zeit noch einmal aufzusuchen. Zu Cynthia sagte er nur: »Dich sehe ich ja dann heute abend«, und ließ damit eine kleine Gesellschaft zurück, die brennend neugierig war, wie und wo dieses Treffen stattfinden würde. Dann kletterte er in seinen eleganten Wagen, winkte anmutig und war verschwunden.

Cynthia zeigte keine ungebührliche Eile, ihm zu folgen. Sie hatte sich, überlegte Lee, äußerst gut benommen und sie würde zweifellos ihre Belohnung erhalten — wenn man die unbeständige und anspruchsvolle Zuneigung von Lawrence Dean als Belohnung betrachten konnte. Als sie diese Bedenken ihrer Tante mitteilte, erwiderte Miss Connor, sie halte Miss Jordan für eine sehr tüchtige junge Frau mit einem starken Willen, und erinnerte daran, daß der frühere Gouverneur zu bemerken pflegte, eine entschlossene Frau könne jedem Mann Glück oder Unglück bringen.

Wie dem auch sei, Cynthia verabschiedete sich sehr freundlich und verdiente eigentlich nach ihrer Abfahrt Sallys Kommentar nicht, sie könne es sich leisten, Lawrence beim Start einige Zeit vorzugeben. »So ein Auto holt ihn leicht, wenn auch nicht für immer ein.«

Lee sah den Professor nur ungern gehen. Er verabschiedete sich von Andrew, Tante Hester und ihr mit unbeschreiblichem Charme. Wie schade, daß die beiden guten Alten nicht vergnügt zusammen abfuhren, mit der Absicht, die — nach Lees Meinung — wenigen, ihnen noch verbleibenden Jahre in harmonischer, kultivierter Gemeinsamkeit zu verbringen. Es kam jedoch von niemandem sonst irgendein Zeichen der Rührung. Miss Connor war äußerst herzlich, aber völlig distanziert; nach seiner Abfahrt meinte sie, er sei ein ungewöhnlich netter Mensch, und sein Besuch habe ihr Freude gemacht. »Ich finde es sehr interessant zu entdecken, wie hochgebildet die Lehrkräfte an den Universitäten in den Kolonien doch sind. Sie halten unbedingt den Absolventen von Oxford oder sogar Cambridge stand.«

Danach sagte Lee traurig zu sich selbst und später zu Andrew, sie habe sich vielleicht doch geirrt, wenn sie angenommen habe, Tante Hester und der liebe Professor hätten je daran gedacht, bis an ihr Lebensende glücklich vereint zu sein.

Der aufregendste Augenblick kam, als Donald am Steuer von Miss Connors Wagen auftauchte. Die Besitzerin selbst war bei diesem Anblick nicht halb so bewegt wie ihr zukünftiger Chauffeur. »Großer Gott«, sagte Dennis und vergaß ganz, Donald zu seiner Verlobung zu gratulieren, die er insgeheim für sehr riskant hielt. »Großer Gott, was für ein schönes Auto. Es wird eine wahre Wonne sein, damit zu fahren. Wissen Sie«, sagte er zu Miss Connor, wobei er sehr jung und begeistert aussah, »gerade dieses Modell wollte ich immer einmal kaufen. Das wird phantastisch werden.«

Tante Hester sah fröhlich aus. »Auch ich werde die Reise genießen. In dem einen Monat, den Sie Zeit haben, sollte es uns gelingen, eine ganze Menge von Neuseeland zu sehen.«

Bei einem Abschiedstee zogen alle Lee mit ihren fehlgeschlagenen Heiratsvermittlungsversuchen auf. »Trotzdem verdankt ihr zwei mir ziemlich viel«, sagte sie, um sich zu verteidigen, zu Donald und Sally. »Vielleicht habe ich manchmal danebengehauen, aber wenn du nicht hierher gekommen wärst, Sally, hättest du Donald nie wiedergesehen. Stell dir das vor.«

»Wenn man bedenkt, daß niemand Sally eingeladen hat, sondern daß sie lediglich ein Eindringling war«, sagte ihr Vetter brutal, »dann sehe ich nicht ganz ein, worauf du dir etwas einbildest.«

Sally sah nachdenklich aus. »Es war ein eigenartiger Zufall und ein schrecklicher Schlag, meine unselige Zukunft hier wieder erstehen zu sehen.«

»Dein unseliger Zukünftiger möchte jetzt Miss Connor den Wagen aushändigen, und dich sicher auf die Reise bringen«, kommentierte Donald ruhig, und Sally küßte alle überglücklich und flüsterte Lee zu: »Eigentlich schön, eines Tages Nachbarn zu sein — vielleicht.«

Das hörte Donald, der bestimmt sagte: »Vielleicht wird Gewißheit, oder hat das nicht Shakespeare gesagt? Dann war es jemand anders. Jetzt beeil dich, mein Kind. Siehst du nicht, daß du alles aufhältst?«

Sie fuhren vergnügt streitend ab, und Lee sah ihnen nachdenklich nach. »Ich glaube, sie werden glücklich sein, wenn sie nur nicht immer zanken würden«, sagte sie, aber Miss Connor antwortete beschwichtigend, daß manche Menschen die bedauerliche Angewohnheit hätten, ihre tiefsten Gefühle unter dem Deckmantel des Streitens zu verbergen — eine Angewohnheit, die Sally zweifellos bald aufgeben würde.

»Und nun meine liebe Nichte und mein lieber Neffe, muß auch ich mich auf meine Reise machen. Ich sehe, daß Mr. Major oder Dennis, wie er von mir genannt werden möchte, meine Koffer freundlicherweise schon in den Wagen geladen hat. Ich beginne schon, die moderne Gewohnheit anzunehmen, Vornamen mit einer Leichtfertigkeit zu gebrauchen, die mein lieber Vater nie geduldet hätte. Nichtsdestoweniger, wenn der Papst — etc., etc. Auf Wiedersehen Lee! Ich hoffe, ich werde vor deiner Abreise noch einmal mit dir zusammensein. Schöner als dieses Zusammensein kann es gar nicht mehr werden, und ich freue mich sehr darauf. Andrew, du warst so gut zu mir, du hast meine altjüngferlichen Gepflogenheiten toleriert, hast sogar Parsival toleriert. Das war sehr freundlich von dir. Auf Wiedersehen, mein lieber Junge«, und Tante Hester streckte zum Abschied eine behandschuhte Hand aus.

»Aber nicht doch, meine liebe Tante Hester«, sagte Andrew, und ohne Umschweife gab er ihr einen herzlichen Kuß und einen vertraulichen Klaps auf die Schulter, was die Dame mit äußerster Befriedigung entgegennahm.

Dennis drückte Lee die Hand und versicherte ihr, es sei eine herrliche Zeit gewesen, und er könne gar nicht glauben, daß er auf diese Weise nun noch zu dieser phantastischen Reise kommen werde. Andrew klopfte er herzlich auf die Schulter und meinte, jetzt wisse er wenigstens, wie man ein Loch fachmännisch aushebe, rief Grant »Auf Wiedersehen« zu, legte vorsichtig den Gang ein und fuhr unter wahnsinnigem Gekläffe von Parsival und dem lauten Beifall der drei auf der Veranda zurückgebliebenen davon.

»Du lieber Himmel«, sagte Lee, »das ist ein komisches Gefühl. Nur noch du und Grant sind übriggeblieben. Wahrscheinlich wartet Kitty schon am Zaun.«

Bei diesen Worten wurde Grant verlegen und richtete plötzlich eine unzusammenhängende Dankesrede an sie beide. »Die schönsten Ferien meines Lebens... Eine schreckliche Belastung für dich, Lee... Soviel Glück hätte ich mir nie träumen lassen... Das verdanke ich nur euch beiden... Ich werde euch immer dankbar sein«, und dann machte er sich irgendwie schließlich doch auf den Weg, murmelte noch immer stammelnd Dankesworte und hörte erst damit auf, als Andrew ihn erinnerte, daß er in der Nähe blieb und man sich nicht für immer trennte.

Lee lachte, als sie die gedrungene Gestalt über dem Hügelrücken verschwinden sah. »Tja, es kann wohl niemand sagen, daß diese Ferien nicht viel Gutes getan haben. Donald und Sally. Lawrence und Cynthia. Grant und Kitty. Tante Hester und Dennis.«

»Jetzt hör aber auf. Die letzten beiden kannst du nicht als ein Paar in Verbindung bringen. Das ist unanständig.«

»Sei nicht albern. Ich meine nur, daß sie zusammengebracht wurden und nun herrliche Ferien verbringen. Das war die viele Arbeit und die Theaterstücke und Mrs. Harvey und alles wert.«

»Jetzt muß ich dir schon sagen, mein Kind, daß das alles nicht wirklich dein Verdienst ist. Deine ganze Heiratsvermittlung ist daneben gegangen. Nicht ein einziges Paar entspricht deinen Absichten. Hör also auf, dir etwas darauf einzubilden, zieh lieber deine Reithosen an, und dann machen wir einen herrlichen Ritt.«

Als sie an einem Gatter hielten, kam Lee auf ihr Thema zurück.

»Ist es nicht schade, wenn alte Leute einsam sind? Weißt du, beide, Tante Hester und der Professor, werden früher oder später einsam sein. Ist es nicht ein Jammer, daß sie sich dessen nicht bewußt sind und...«

»Jetzt dreh es nicht noch so, daß du sagen kannst >Ist das nicht alles mein Verdienst?< Mein liebes Kind, sie haben beide mehr gesunden Menschenverstand. Tante Hester ist ein guter Kamerad, aber als Frau eines Professors in einer Stadt, die sie als Provinz betrachten würde, wäre sie völlig fehl am Platz. Dem Professor würde es auch nicht gefallen. Er liebt seine Freiheit, und er würde sie nicht um alles in der Welt aufgeben.«

»Ich meine, ich hätte mehr tun können, sie mehr zusammenbringen, oder vielleicht etwas nachhelfen können...«

Andrew sah seine Frau entsetzt an. »Nachhelfen? Was hast du bloß vor? Diese Dinge spuken dir ständig im Kopf herum. Ich mache mir allmählich Sorgen um dich. Kannst du sie nicht einfach vergessen, wo doch jetzt alles vorbei ist?«

»Ich finde, man sollte andere Menschen nie vergessen, nur weil man selbst glücklich ist«, sagte Lee mit übertriebenem Selbstbewußtsein. »Ich muß immer über Sally und Donald nachdenken. Sie scheinen nicht richtig zueinander zu passen, und...«

An dieser Stelle öffnete Andrew entschlossen das Gatter. »Ich weigere mich, diese verdammten Liebesaffären zu erörtern. Komm schwimmen, dann wird es dir wieder besser gehen.«

So war es auch. Nach einer halben Stunde in der Brandung wies Lee die Sorgen anderer Menschen weit von sich. Was machte es schon, wenn Lawrence Cynthia noch einmal im Stich lassen sollte?

Andrew hatte recht, auch Tante Hester und der Professor waren glücklich mit ihrer Ungebundenheit. Sally und Donald würden wahrscheinlich manches Hoch und Tief erleben, aber sie schienen es gewollt zu haben.

Als sie das Andrew mitteilte, stimmte er ihr bei, sagte aber mit Bestimmtheit, falls Sally tatsächlich die Absicht hätte, derartiges in Szene zu setzen, dann besser nicht auf ihrer Schwelle hier. Er wolle ein ruhiges Leben.

Als sie nach Hause zurückgekehrt waren, besprachen sie das Problem, das sie nicht mit ihren Gästen hatten erörtern wollen. Was sollte mit Sallys Zimmer geschehen? Andrew hatte Sally dazu gebracht, nach dem Frühstück ihre ganzen Habseligkeiten herauszuholen, und dann hatte er die Türe fest verschlossen. Es war ja egal, und niemand sollte sich Sorgen machen. Wenn alles normal verlaufen wäre, hätte natürlich die Versicherung gezahlt. Aber Andrew hatte entdeckt, was er Lee nun sagte, daß der Anwalt, der mit der Übergabe beauftragt gewesen war, die Versicherung hatte auslaufen lassen. Es war möglich, daß man den Anwalt dafür haftbar machen konnte, aber es war absolut nicht sicher.

Das Zimmer sah mehr als traurig aus. Bett, Tisch und Matratze waren natürlich nicht mehr zu retten. Die Wand mußte neu tapeziert und ein Regal neben dem Bett ersetzt werden. Lee sagte sofort, es wäre noch etwas Geld von den Hochzeitsschecks übrig, und sie würden es zum Herrichten des Zimmers benutzen. Dagegen wehrte sich Andrew entschieden. »Laß es, wie es ist. Wir werden die Wand in Ordnung bringen, aber nicht den Raum neu möblieren. Dieser Sommer hat gezeigt, wie wahnsinnig es ist, drei Gästeschlafzimmer zu haben. Eins weniger kann absolut nicht schaden.«

Aber Lee schüttelte hartnäckig den Kopf. »Es ist ein nettes kleines Zimmer und kann vielleicht von Nutzen sein. Wir werden es im Winter herrichten. Ich kann keinen Schandfleck in unserem lieben alten Haus ertragen.«

Andrew sah erstaunt aus, widersprach aber nicht. Er hätte nie gedacht, daß Lee selbst in der größten Begeisterung einen einzelnen Schandfleck an einem Haus beklagt hätte, das man beim besten Willen nicht als makellos bezeichnen konnte.

Eine Woche später begutachtete Lee nachdenklich Sallys früheres Zimmer. Trotz Andrews Protest hatte sie ihn gezwungen, das verbrannte Regal zu ersetzen, und er hatte damit begonnen, Wände und Möbel zu säubern und den vom Feuer angerichteten Schaden zu beheben. Zum Glück waren noch einige Tapeten übrig, aber als Lee versucht hatte, die Wand zu tapezieren, war das Ergebnis so erstaunlich gewesen, daß Andrew es an einem Regentag selbst machte.

»Aber jetzt laß es so. Es wird nicht neu möbliert. Das bringt nur Einladungen mit sich.«

Lee lachte. »Ich verspreche dir, ich werde so schnell niemanden mehr einladen. Nein, um ein neues Bett wollen wir uns jetzt nicht kümmern. Aber wenn es mir gelingt, werde ich einen Tisch besorgen.«

»Warum denn? Was soll ein Tisch, wenn das Zimmer doch verschlossen bleibt? Aber nun, wenn du es wirklich unbedingt willst...«

Wie immer hatte er schreckliche Angst, ihr irgend etwas nicht zu gönnen. Schließlich wurde die Angelegenheit durch einen Brief von Sallys Mutter gelöst, dem ein Scheck beigefügt war.

»Meine Lieben«, schrieb sie. »Ich bin entsetzt über den Schaden, den meine böse, kleine Tochter in Eurem netten Haus angerichtet hat. Ein Glück, daß Ihr nicht alle in den Betten verbrannt seid! Nehmt es mir nicht übel, wenn ich einen kleinen Scheck schicke, um einen Teil des Schadens wiedergutzumachen. Ich hoffe, es wird ihr eine Lehre sein, nicht im Bett zu rauchen; wie Ihr wißt, habe ich sie immer davor gewarnt, aber sie hat sich nicht darum gekümmert. Sie ist ein ausgesprochen dickköpfiges Mädchen, und ich kann nur hoffen, daß Donald Harvey weiß, worauf er sich einläßt. Ich persönlich glaube kaum, daß er viel Erfolg haben wird. Es wird Euch interessieren, was ich von dieser Verlobung halte. Ich hatte Donald nie vorher gesehen. Diese alte Freundschaft begann in Dunedin, und wir wurden natürlich in keiner Weise um Rat gefragt. Ich mag ihn gerne und Euer Onkel auch, aber ich kann mir Sally nicht auf dem Lande vorstellen, und Euch wünschte ich, ihr würdet nicht so nahe wohnen.

Ihr Vater sagte mir jedoch, ich würde ihre Anpassungsfähigkeit und die Veränderung, die das Glück bewirkt, unterschätzen. In den letzten Jahren ist sie zwar weder glücklich noch einfach gewesen, aber ich beginne jetzt eine Veränderung festzustellen. Ihre Launen sind noch immer unberechenbar, aber sie scheint nun zum ersten Mal seit ihrer gelösten Verlobung zur Ruhe gekommen zu sein, und es läßt sich viel leichter mit ihr leben. Für uns alle, wenn auch vielleicht nicht für Euch, ist es ein Segen, daß sie sich Euch so aufgedrängt hat — obwohl ich das ausgesprochen mißbilligt habe —, und so ihren jungen Mann wiedertreffen konnte. Ich danke Euch herzlich, daß ihr sie aufgenommen habt. Und verzeiht bitte das schreckliche Unglück, das sie beinahe verursacht hätte.«

Sie lasen den Brief zusammen und lachten. »Tante Louisa sagt immer ihre Meinung, und Sally hat ihr das Leben schwer gemacht.«

»Hoffentlich macht sie es Donald nicht zu schwer.«

»Ich glaube schon, aber darüber mache ich mir keine Sorgen. Er scheint es nicht anders zu wollen. Ich vermute, du willst jetzt ein neues Bett und andere Sachen kaufen, weil der Scheck gekommen ist. Ich würde das Geld zurückschicken. Ich finde es Wahnsinn, noch ein leeres Zimmer herzurichten.«

Lee lachte. »Du armer Liebling, du hast einen Horror vor Besuchern und Gästezimmern bekommen. Was war das für eine herrliche Woche. Kaum Hausarbeit und Kochen, und ich war fast den ganzen Tag mit dir draußen. Es ist ein ganz anderes Leben.«

»Das hätten wir von Anfang an haben können, wenn man uns in Frieden gelassen hätte.«

»Trotzdem, es hat Spaß gemacht, oder nicht?«

»Vielleicht jetzt, wenn man zurückblickt. Du vermißt sie doch nicht, oder? Schließlich sind es Menschen, die zu dir passen.«

Lee beantwortete diese wesentliche Frage äußerst zufriedenstellend, indem sie bemerkte, daß Andrew einen albernen Komplex entwickelt habe, unter dem viele Farmer litten, wenn sie eine Frau aus der Stadt aufs Land verpflanzten. Abschließend meinte er noch: »Jetzt ist es ja erst einmal vorbei, aber ich glaube, nächstes Jahr um diese Zeit wird es wieder losgehen. Das Haus wird gerammelt voll sein, und du wirst wieder versuchen, alle möglichen Leute miteinander zu verheiraten.«

»Ganz bestimmt nicht. Ich habe nicht die Absicht, das Haus im nächsten Dezember mit Leuten zu füllen.«

»Dann im November, jedenfalls, sobald die Universitätsferien beginnen.«

»November wäre noch schlimmer.«

»Da ist es aber nicht so heiß. Trotzdem, du hast recht. Es wäre noch schlimmer, denn dann würden sie bis Dezember bleiben.«

»Weder November noch Dezember.«

Etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen. Gab es irgendein Geheimnis?

»Wozu diese guten Vorsätze? Du weißt, daß du dich im entscheidenden Moment doch nicht daran halten wirst.«

»O doch, ganz bestimmt. Im nächsten Sommer werden wir keine Gäste haben. Unser Baby wird dann erst fünf Monate alt sein.«

»Was? Was sagst du da?«

Lee lachte. Sie hätte nie gedacht, daß Andrew sie so fassungslos anstarren könnte, aber anders konnte man seinen Gesichtausdruck nicht beschreiben, und das sagte sie ihm.

»Kannst du nicht einmal ernst sein? Lee, stimmt das wirklich?«

Die flehende Stimme ließ ihr Gelächter verstummen, und sie sagte in einem ganz veränderten Ton: »Ja. Wirklich und wahrhaftig. Ich war vor drei Wochen bei Dr. West, als ich Lebensmittel in Ruru einkaufen mußte. Liebling, findest du das nicht schön?«

Etwas später sagte Andrew: »Aber wie bist du nur mit diesen vielen Menschen fertiggeworden? Du hast wie eine Wahnsinnige gearbeitet. Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«

»Weil du wütend geworden wärst und außer Tante Hester alle rausgeworfen hättest. Oh, mir ist es gut gegangen. Ich glaube, ich bin so stark wie ein Pferd. Manchmal habe ich mich etwas unwohl gefühlt, aber es war nicht schlimm. Wenn ich mich so fühlte, dann habe ich dich angefahren. Erinnerst du dich nicht, wie böse ich war?«

»Böse? Unsinn! Du warst die ganze Zeit bester Laune«, und Lee merkte überrascht, daß er es wirklich ehrlich meinte.

Später sagte sie: »Du siehst also, der Scheck deiner Tante für das kleine Zimmer kommt wie gerufen. Kein Bett, sondern eine Wiege und einen herrlichen Wickeltisch. Oh, es wird soviel Spaß machen.«

Trotz seiner wirklich ehrlichen Freude konnte Andrew nicht umhin, ein leichtes Schuldgefühl zu verspüren. Hätte er ihre Freunde etwas netter behandelt, dann hätte sie dieses aufregende Geheimnis nicht vor ihm verborgen. Das sagte er ihr jetzt.

»Ich glaube, ich habe dich ziemlich im Stich gelassen. Ich hätte mich nicht so über die Leute aufregen sollen, aber irgendwie kam es dadurch, daß du soviel arbeiten mußtest und sie immer ihren Shakespeare herunterleierten und nicht nach Hause fahren wollten. Wie konntest du das nur geheimhalten? Hat niemand etwas geahnt?« Das kam plötzlich mit ziemlicher Eifersucht heraus. Ob sie es ihrer Tante erzählt hatte?

»Natürlich hat keiner etwas geahnt. Niemand hatte auch nur den leisesten Verdacht. Ich kann, wenn ich will, unheimlich gut etwas geheimhalten. Tante Hester? Ach was, sie am wenigsten von allen. Eine unverheiratete Frau!... Was sollte sie schon von Babys verstehen?«

In diesem Augenblick hörte man Schritte auf der Veranda, und Grant erschien mit entschuldigendem Blick und einem Brief in der Hand.

»Tut mir leid, so hereinzuplatzen, wo ihr zwei gerade ein bißchen zur Ruhe kommt. Aber dieser Brief ist in unsere Post geraten. Das Postamt hat sich geirrt. Mrs. Macgregor meinte, ihr müßtet ihn sofort bekommen, weil es ein Luftpostbrief ist.« Mit diesen Worten legte Grant den Brief auf den Tisch und zog sich zurück, denn offensichtlich hatte er gemerkt, daß er in einem ungelegenen Augenblick gekommen war.

Lee rief ihm ihren Dank nach, lud ihn zum Tee ein, erhielt aber eine Absage und nahm dann den Brief in die Hand. »Hurra, von Tante Hester, die liebe Gute. Jetzt werden wir erfahren, wie es ihr und Dennis geht. Sie wird sicher unheimlich überrascht sein, wenn sie zurückkommt, und wir ihr von dem Baby erzählen. Der Brief ist an uns beide gerichtet. Ich lese dir vor.«

»Meine liebe Nichte, mein lieber Neffe,

Wie Ihr seht, haben wir unsere Rundfahrt auf der Südinsel jetzt begonnen, und wir finden alles herrlich, was wir bis jetzt gesehen haben. Die Reise nach Wellington ist sehr gut verlaufen, wir haben nur eine Nacht in einem kleinen reizenden Hotel an der Straße verbracht. Dann sind wir mit dem Schiff übergesetzt, die Fahrt war sehr angenehm und erfreulich. Dennis ist für mich ein herrlicher Begleiter. Uns geht es beiden gut, und Parsival hat sich an das Reiseleben gewöhnt. Er setzt sich auf und sieht aus dem Fenster, und leider muß ich sagen, daß er jeden anderen Hund auf der Straße mit lautem Protest begrüßt.

Noch einmal muß ich Euch, meine lieben jungen Freunde, für die herzliche Aufnahme danken, die Ihr einer unbekannten älteren Tante gewährt habt. Ich weiß nicht, ob es Euch bewußt ist, daß Lee fast meine einzige nahe Verwandte ist? Deshalb, und weil dein Vater und ich in unserer Jugend gute Freunde waren, nehme ich mir eine kleine Freiheit heraus. Statt diesen Wagen bei meiner Abreise zu verkaufen, würde ich ihn Euch gerne schenken, wenn ich darf. Ich wäre glücklich zu wissen, daß Ihr ein zuverlässiges Fahrzeug habt.«

Hier hielt Lee inne und sah ihren Mann verwirrt an. »Andrew, das Auto. Das ist ja herrlich, ich kann es kaum glauben.«

Andrew schluckte einmal, denn er war ein Mann, dem es nicht leicht fiel, etwas anzunehmen, und die unausgesprochene Behauptung, daß sein Wagen unzuverlässig sei, obwohl das stimmte, hatte ihn aufgeregt. Aber er sagte tapfer: »Bei Gott, das ist wunderbar. Furchtbar lieb von ihr. Sie ist eine sehr großzügige alte Freundin, nicht wahr?«

»Großzügig? Sie ist ein Engel. Jetzt lese ich dir den Schluß vor, obwohl sich in meinem Kopf schon alles dreht.«

»Glaubt bitte nicht eine Sekunde, daß ich Euer eigenes ausgezeichnetes Auto unterschätze. Ich weiß, es war ein wertvoller, zuverlässiger Freund, aber zuweilen scheint es einen gewissen Widerwillen beim Start zu zeigen, und das könnte in einem dringenden Fall einmal unangenehm sein. Ich würde mir ganz besonders Sorgen machen, wenn ich denken müßte, daß Lee in einer Winternacht auf ihrem Weg zum Entbindungsheim in Ruru aufgehalten würde.«

Hier hielt Lee wieder inne und schnappte nach Luft. Dann las sie die Stelle langsam noch einmal: »Auf ihrem Weg zum Entbindungsheim«. Was bedeutete das? Konnte sie etwas geahnt haben?

Einen Augenblick lang sah Andrew verwirrt aus. Ein Mann möchte gern als erster etwas von seinem eigenen Baby wissen, überlegte er. Aber natürlich mußte diese Anspielung ein reiner Zufall sein. Sie konnte nichts geahnt haben. Was sollte Miss Connor von den Realitäten des Lebens wissen? »Sie meint so etwas wie einen Unfall. Einen Unfall, wie er dem Professor zugestoßen ist. Was schreibt sie weiter?«

Lee starrte einen Moment zerstreut auf den Brief, dann riß sie sich zusammen und fuhr fort: »Wie Ihr wißt, verlasse ich England im April, aber Ihr werdet in Gedanken stets bei mir sein. Euer Kind wird wahrscheinlich in den Wintermonaten ankommen, und ich hoffe, Ihr werdet es mich per Telegramm wissen lassen. Es ist mir durch den Kopf gegangen, liebe Lee, daß du, falls du einen Sohn bekommst, ihn nach seinem Großvater nennen solltest. Bei einer Tochter könnte der Name vielleicht abgewandelt werden. Das ist nur ein Vorschlag, und vielleicht seid Ihr nicht damit einverstanden, aber für einen zweiten Namen ginge es wohl, wenn Ihr den ersten schon festgelegt habt.«

Hier hielt Lee inne und begann zu lachen. »Und wir meinten, sie wäre so blind und unschuldig. >Ich glaube, Euer Kind wird wahrscheinlich in der Mitte des Winters ankommen< — sie muß es also schon ziemlich lange gewußt haben«, und jetzt brach sie in hemmungsloses Lachen aus.

Andrew packte sie fest bei den Schultern. »Jetzt ist es wieder um dich geschehen. Wenn das passiert, bin ich auf das Schlimmste gefaßt. Was ist denn jetzt los?«

»Der Name« keuchte Lee. »Großvaters Name . . .«

»Wie hieß er? Irgend so etwas Schreckliches wie Bert?«

»Schlimmer. Augustus Horatius«, sagte Lee und vergoß ein paar hysterische Tränen.

»Augustus Horatius, großer Gott!«

»Augusta ist als zweiter Name nicht so schlimm. Ob es wohl ein Junge oder ein Mädchen wird? Warte eine Sekunde, Andrew, ich hole das Horoskopbuch...«

 

ENDE