12
Vier Tage später war die »Operation Shakespeare«, wie die Enthusiasten es nannten, in vollem Gange. Dank dringender Telegramme, Eilbriefe und Fahrten zum Postamt in Ruru, hatte ein Teil der Schauspielertruppe schon seine Kostüme, einige wurden an Ort und Stelle von Mrs. Harvey und eifrigen Helfern aus Ruru eingekleidet, und die übrigen führten ständig teure Ferngespräche und waren beunruhigt, ob sie ihre Kostüme rechtzeitig erhalten würden. Lee hatte jeden Versuch, das Haus in Ordnung zu halten, aufgegeben, und langsam nahm es das Aussehen eines munteren Jahrmarktes an. Andrew beklagte sich bitter und meinte, man könne genausogut in einem Trödelladen wohnen, aber es würde ihm ja nicht soviel ausmachen, wenn nicht dauernd jemand in irgendeiner Ecke etwas von ein paar Pfund Fleisch oder von der Absicht, treue Schäferinnen zu heiraten, murmeln würde.
Gerade an diesem Morgen war Mrs. Harvey mit dem Zentimetermaß in der Hand über sie hergefallen, redete schrecklich viel und brachte vom Küchentischtuch bis zu Eßzimmervorhängen alles mit. Lee hatte ihren eigenen Vorrat an Stoff geopfert, den ihre Mutter für Vorhänge und Bettbezüge vorgesehen hatte und der noch nicht zugeschnitten war; das ganze Haus war ein Durcheinander an Kostümen, seltsamen farbenfreudigen Gegenständen, geliehenen Möbeln und Farbtöpfen.
Mrs. Harvey war gegangen, und Lawrence probte mit Sally seine Szene aus Der Widerspenstigen Zähmung, wobei er sich ständig unterbrach, wenn ihm ein neuer Einfall für die Kulisse für den Ardenner Wald kam. Miss Connor versuchte ihr Glück mit Portias Kostüm für die Gerichtsszene — Dennis’ Talar, der auf telegraphische Anforderung eingetroffen war und gekürzt werden mußte. Lee suchte wie wahnsinnig nach dem Nest der weißen Henne, weil sie zum Mittagessen Rühreier machen wollte, und Andrew war gerade von der Arbeit zurückgekehrt und betrachtete die Szene mit höhnischer Miene, als das Telephon klingelte.
Da niemand Notiz davon nahm, durchquerte er widerwillig das Zimmer und nahm den Hörer ab. Als Lee zwei Minuten später mit sieben wenig vertrauenerweckenden Eiern in einer Schüssel ins Haus kam, hörte sie, wie er ungehalten sagte: »Wiederholen Sie es bitte. Ich glaube, ich werde es besser aufschreiben. Hoogendam? Buchstabieren Sie bitte. Ja, das habe ich. >Hoogendam und Gefolge Ankunft ein Uhr< Sind Sie sicher, daß die Adresse stimmt? Gut, dankeschön.«
Etwas in seiner Stimme war sogar bis zu den geistesabwesenden Schauspielern vorgedrungen, und plötzliche Stille senkte sich über den Raum. In diese Stille schallte Andrews gereizte und sehr bestürzte Stimme: »Kennt jemand von euch einen Menschen namens Hoogendam? Ich weiß, es ist unwahrscheinlich, aber die Leute vom Postamt schwören, daß es stimmt. Hoogendam, ob ihr es glaubt oder nicht.«
Im Chor erfuhr er, daß das nicht der Fall sei, und Lee sagte: »Wieso, was ist mit ihnen los? Was haben sie mit uns zu tun?«
»Sehr viel, oder zumindest werden sie es bald mit uns zu tun haben. Im Telegramm steht: >Hoogendam und Gefolge Ankunft ein Uhr<. Das bedeutet zum Mittagessen — und wer zum Teufel ist Hoogendam?«
Plötzlich geriet alles in Aufruhr. Lawrence hörte auf, um seine Katharina wie ein Supermann zu werben. Der Professor schloß sein Notizbuch, in das er die Zusammenfassung von Wie es Euch gefällt eintrug, und sogar Tante Hester hielt im Säumen von Portias Talar inne. Lee stellte die Schüssel mit den Eiern der weißen Henne so stürmisch hin, daß zwei sofort zerbrachen und eindeutig bewiesen, daß der Nestinhalt doch schon älter war.
»Mittagessen? Wie gräßlich. Seht euch das Haus an«, rief sie und vergaß in ihrer Panik, auch nur darüber nachzudenken, wer Hoogendam sein könnte.
Sally sagte: »Andrew, du hast falsch verstanden. Das Telegramm ist für jemand anders, und außerdem, wer hat jemals gehört, daß einer Hoogendam heißt?«
Sie lief stürmisch zum Telephon und rief das Postamt an, das gereizt erklärte, daß das Telegramm ganz bestimmt für Andrew Marsden sei, und daß der Name so laute, wie er Mr. Marsden selbst schon zweimal buchstabiert worden sei.
Tante Hester steckte die letzte Stecknadel in Portias Talar und erhob sich von den Knien. »Wahrscheinlich ein Holländer, obwohl ich schon sehr eigenartige englische Namen gehört habe. Zum Beispiel gab es im Orient einen Mann, der Roller hieß, und so unglaublich es klingt, er war mit einem Mädchen namens Rad verheiratet. Die Form der Botschaft kündigt jedoch jemanden von Bedeutung an. Hoogendam und Gefolge klingt irgendwie nach diplomatischem Dienst. Wahrscheinlich ein bedeutender Holländer, vielleicht sogar ein Konsul.«
»Oh, Tante Hester, mach es nicht noch schlimmer — es ist nichts zum Mittagessen da.«
»Mein liebes Kind, es sind noch Reste von einer sehr guten kalten Hammelkeule in der Speisekammer«, verbesserte sie ihre Tante. »Schön aufgeschnitten, mit etwas Petersilie garniert, das würde auch für eine Ministergesellschaft ausreichen.«
»Aber auf dem Lande bietet man den Leuten keinen kalten Hammel an. Und dann um ein Uhr — jetzt ist es viertel nach zwölf. Fangt doch bitte alle an aufzuräumen. Grant, verstau das schreckliche Gemälde von Lawrence. Es hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Wald, aber das wußte ich vorher, und räum die Farblappen und Bürsten weg. Sally, mach dich auf! Es sieht überall gräßlich aus. Wie in einem Irrenhaus. Oh je — Hoogendam«, und ohne Vorwarnung ließ Lee sich unter schallendem Gelächter auf das Sofa fallen.
Die anderen schenkten ihr keine Beachtung. Nach einem Blick auf die Uhr hatten sie sich in hektische Betriebsamkeit gestürzt, Andrew jedoch sagte streng: »Reiß dich zusammen und laß deine trübe Vergangenheit an dir vorüberziehen. Gab es da einen Hoogendam? Bist du sicher, daß kein holländischer Konsul auf unserer Hochzeit war?«
Lee hörte auf zu lachen und wurde völlig grundlos böse. »Natürlich nicht. Als ob ich einen Hoogendam vergessen würde. Es ist viel wahrscheinlicher, daß er zu deinen Bekannten gehört. Jetzt stell dich nicht hin und starr mich an. Könntest du nicht hinausgehen und irgend etwas für sie schlachten?«
»Das kann ich nicht. Mir wäre jeder Vorwand recht, um die weiße Henne zu schlachten — lieber Himmel, wie diese Eier stinken —, aber ich fürchte, nicht einmal die Hoogendams werden sie in — warte mal — in genau vierzig Minuten essen können.«
»Vierzig Minuten!« Lee sprang auf und schloß sich den wie besessen Arbeitenden an.
»Ins Badezimmer«, riet Grant, »da ist Platz für die Kulisse und die Kostüme und alles«, aber Miss Connor sagte bestimmt: »Ich glaube nicht. Eine Gesellschaft aus Diplomatenkreisen wird sich vor dem Mittagessen sicher die Hände waschen wollen. Mein Zimmer ist eigentlich der sicherste Aufbewahrungsort.«
Aus irgendeinem Grund waren inzwischen alle völlig überzeugt, daß der unbekannte Hoogendam ein vornehmer Ausländer sei und von einem kaum weniger vornehmen Gefolge begleitet werde. Diese Aussichten trieben sie zu verzweifelter Geschäftigkeit an, und in einer halben Stunde war das Haus oberflächlich aufgeräumt. Zumindest würden die vornehmen Ausländer nicht über geliehene Möbel, bemalte Holzschwerter, Stapel eigenartiger Kostüme und hastig hingeworfene Shakespeare-Ausgaben stolpern.
Um viertel vor eins verkündete Sally: »Ich mache ein herrliches Omelett. Nein, Lee, nicht mit diesen Eiern. Dennis und ich haben gestern welche aus Ruru mitgebracht. Auf dem Gebiet bin ich Experte. Überlaß es nur mir.«
»Aber du kannst das Omelett doch erst machen, wenn sie vor der Tür stehen«, wandte Lee ein, »vielleicht verspäten sie sich.«
»Das glaube ich nicht«, meinte Miss Connor. »Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, und vornehme Leute halten sich im allgemeinen daran.«
»Gut, decken wir den Tisch. Natürlich nicht für uns; wir können den kalten Hammel später in der Küche essen. Wieviele sind Hoogendam und Gefolge wohl?«
»Mindestens vier, und wahrscheinlich ein Chauffeur«, sagte Miss Connor mit Bestimmtheit, «obwohl er natürlich an einem anderen Tisch essen wird.«
»Ich hole lieber das ganze gute Besteck heraus«, erklärte Lee. »Das Familiensilber, das Mutter mir unbedingt geben wollte. Ich habe es noch nicht einmal ausgepackt. Kathleen, komm und hilf. Und die herrlichen Sets und die gestickten Servietten. In welcher Kiste sind sie bloß? Kitty, bitte such sie doch!«
Wie durch ein Wunder wurden sie gefunden, und mit vereinten Kräften zauberten die drei Mädchen einen eindrucksvollen Tisch hervor. »Nicht einmal der gräßliche Hoogendam kann daran etwas aussetzen«, fand Sally. »Es ist zehn nach eins. Sie sind nicht pünktlich, aber wahrscheinlich ist die schlechte Straße schuld. Ein paar von euch sollten rausgehen und nach ihnen Ausschau halten. Gebt mir ein Zeichen, wenn sie in Sicht sind, ich fange dann mit dem Omlett an.«
Vom äußersten Ende des Rasens konnten sie ein ziemliches Stück Straße überblicken. Nichts in Sicht. »Sie müssen sich verfahren haben. Sie würden sich bestimmt nie der Unpünktlichkeit schuldig machen«, bemerkte Miss Connor.
Aber in diesem Augenblick kam ein sonderbarer Wagen ins Blickfeld. Vorne trug er ein Schild, auf dem in großen Buchstaben stand: »Achtung, Querladung folgt«. »Um Himmels Willen«, schrie Lee hysterisch, »das sind die Hoogendams. Es muß eine riesige Gesellschaft in einem ungeheuren Wagen sein«, und verzweifelt wandte sie sich dem Haus zu, um Sally zu benachrichtigen, die am Fenster stand.
Aber in der nächsten Minute brach sie in schallendes Gelächter aus. Die Querladung wurde sichtbar und erwies sich als riesiger Anhänger, beladen mit einer Hütte, die die schmale Straße bedrohlich versperrte.
»Ach, das ist doch die Bauhütte, die Donald gekauft hat«, rief Kathleen. »Wahrscheinlich kriecht der Wagen von Hoogendam hinterher. Völlig aussichtslos zu überholen.«
Aber die sperrige Ladung rollte langsam vorüber und kein Diplomatenwagen kam in Sicht. Die Straße war auf einige Entfernung wie ausgestorben, und von Minute zu Minute ließ die Spannung nach. Irgend jemand erwog die Möglichkeit einer Panne. Ein anderer meinte, daß sie nie an die Hoogendams geglaubt hätten, und Miss Connor bemerkte, daß in der Hochsaison Irrtümer auf einem kleinen Postamt möglich seien.
»Jetzt ist es ein Uhr dreißig«, erklärte sie. »Ich habe in meiner langen Erfahrung noch nie erlebt, daß ein Diplomatenwagen eine halbe Stunde Verspätung hatte, außer wenn Automassen die Straßen versperrten. Das kann jedoch kaum der Fall gewesen sein. Ich neige zu der Auffassung, daß entweder ein Fehler oder eine größere Panne im Programm unterlaufen ist. Es erscheint jedenfalls nicht notwendig, die Straße weiter zu beobachten.«
Langsam und den Blick rückwärts gerichtet für den Fall, daß sie doch noch überrascht würden, begab sich die ganze Gesellschaft zum Haus zurück. Sally rief aus der Küche: »Kommt niemand? Hurra. Dann werden wir alle Eier aufschlagen und ein riesiges Omelett essen. Aber in der Küche. Räumt den Tisch nicht ab; wenn Hoogendam und Gefolge dann ankommen, können sie sehen, wie vornehm wir speisen, auch wenn sie kalten Hammel essen müssen.«
Aber Hoogendam und Gefolge trafen nicht ein. Ziemlich nervös rief Lee das Postamt an, nur um eine freundliche Bestätigung des Telegramms zu erhalten. Es war von einer einhundert Meilen entfernten Stadt um neun Uhr abgeschickt worden, jedoch mit Verspätung angekommen, weil die Leitungen besetzt waren. Notizbücher wurden verglichen. Niemand hatte irgendeinen Freund oder auch nur einen Bekannten in dieser Stadt. Es bestand also kaum die Möglichkeit, daß sich jemand einen Scherz mit ihnen erlaubt hatte. Hoogendam und Gefolge blieben ein Geheimnis, das nie gelöst werden sollte.
»Wir wollen sie vergessen«, schlug Lawrence fröhlich vor. »Das Omelett ist wirklich gut. Wenn wir damit fertig sind, können wir alles aus Miss Connors Zimmer holen und dort weitermachen, wo wir aufgehört haben.«
Nachdem Hoogendam und Gefolge vergessen waren, wurde die »Operation Shakespeare« wieder aufgenommen. Nur Lee zerbrach sich noch den Kopf über das Geheimnis. Es verfolgte sie, und sie wachte in kühler Dämmerstunde auf, um ärgerlich zu sagen: »Ich frage mich, wo sie jetzt sind.«
»Wo wer ist?« brummte ihr Mann verschlafen.
»Hoogendam und Gefolge. Haben sie sich verirrt oder gibt es sie nicht? Lieber Himmel, wenn wir das nur wüßten. Und ich glaube kaum, daß wir es je erfahren werden. Wie ein Buch mit sieben Siegeln.«
Da hatte Lee recht. Das Geheimnis von Hoogendam und Gefolge wurde nie gelöst. Am nächsten Tag wurde das Familiensilber wieder in die Koffer gepackt; die Servietten, die aus Rücksicht nicht benutzt worden waren, wurden zusammengefaltet und mit Lavendel versehen weggepackt, und die kunstvollen Platzdeckchen kehrten in ihre Schachtel zurück. Nur die Tatsache, daß ein Dutzend Eier hastig verschwendet worden war, sollte sie noch an Hoogendam erinnern.
Die Proben liefen jetzt auf Hochtouren. Am Weihnachtstag dämmerte ein heißer Morgen herauf, und Lee hielt ihr Versprechen. Es gab keine Hausarbeit. Jeder mußte selbst für sein Mittagessen sorgen, und Lee erklärte unerbittlich, sie würde für niemanden Brot schneiden, denn dadurch würde ihr Versprechen gebrochen. »Es ist auf jeden Fall besser, sich den Hunger bis heute abend für ein Essen aufzuheben, das weder von Sally noch von mir gekocht ist.«
Die Männer kochten das Blechgeschirr aus, und nun saßen alle im Schatten eines hohen Teebaumhains über dem Strand. Sie schwammen, aßen und dösten, und das Ganze wäre völlig friedlich abgelaufen, wäre nicht von Zeit zu Zeit einer aufgesprungen, um ohne ersichtlichen Grund irgendeine Shakespearerolle zu deklamieren und sich dann gelegentlich in ein leidenschaftliches Streitgespräch über die Art des Vortrags einzulassen.
Als einen kurzen Augenblick lang Ruhe herrschte, überredeten sie den Professor, seine knappen und ausgezeichneten Anmerkungen zu den einzelnen Szenen vorzulesen; sogar Andrew hörte zu und merkte zum ersten Mal, worum es ging. Alle waren eigentlich herrlich entspannt, und niemand horchte auf, als Lee verträumt sagte: »Stellt euch mal vor, wenn Hoogendam und Gefolge heute ankämen.«
Grant sagte jetzt: »Weihnachten. Heute in einer Woche ist Neujahr.«
»Neujahr pflegt immer eine Woche nach Weihnachten zu sein«, meinte Lawrence spitz. Er war ausnahmsweise schlechter Stimmung, weil Kitty ihn aus irgendeinem Grund zu meiden schien und beim Schwimmen Grants Gesellschaft suchte.
»Ich meine ja nur«, erklärte Grant entschuldigend, »daß die Aufführung dann vorbei ist und wir alle im Aufbruch sein werden. Es ist mir unbegreiflich, wie Lee und Andrew uns so lange ertragen konnten.«
Lee murmelte etwas wenig Überzeugendes und Zusammenhangloses, aber Andrews Schweigen war schrecklich beredt. Alle begannen jetzt, Pläne zu schmieden, fast, als wären sie plötzlich aus einem langen Traum erwacht und wieder aktiv geworden. Der Professor sagte, er beabsichtige, an Neujahr abzureisen, da ihm sein Knöchel keine Beschwerden mehr verursache. Lee äußerte Bedenken wegen des starken Straßenverkehrs an diesem Tag und bemerkte plötzlich Andrews bösen Blick. Der angesprochene Gast dankte ihr jedoch sehr herzlich, aber er sagte, er habe sich vorgenommen, morgens abzureisen und am nächsten Tag in die Stadt weiterzufahren. Er habe in einem Motel an der Straße schon ein Zimmer bestellt.
Das Beispiel machte Schule. Sally sagte: »Dennis und ich müssen auch sofort fahren. Zumindest ich muß abreisen. Wie steht es mit dir, Dennis? Du wolltest doch per Anhalter zur Südinsel fahren, oder?«
»Ja, ich möchte vor meiner Abreise etwas mehr vom Land sehen, und das scheint die einzige Möglichkeit zu sein.«
»Wie geht die spannende Reise vor sich?« fragte Miss Connor. »Per Anhalter — sagt man so?«
Sie erklärten es ihr, aber ihr Blick war mißbilligend, und sie sagte, sie hielte das für äußerst problematisch und unbequem. »Ich habe, wie ihr wißt, selbst vor, in den Süden zu reisen, aber ich hoffe, mit dem Auto zu fahren.«
Lee sah sie erstaunt an. »Aber liebe Tante Hester, du kannst doch gar nicht fahren und hast kein Auto. Ich dachte, du würdest fliegen oder einen Bus nehmen.«
»Das wollte ich, bevor ich Parsival aufgelesen hatte«, antwortete Tante Hester ernst, und als sein Name fiel, krabbelte der kleine Hund auf ihren Schoß und sah sie bittend an. »Er hat sich jetzt so an mich gewöhnt, daß ich ihn nicht verlassen kann, und außerdem kann ich auch Lee die Pflege für ihn nicht aufbürden. Wie dem auch sei, ich verabscheue Busse. Nein, ein Auto ist die einzige Lösung, und ich habe mich schon nach den Angeboten erkundigt. Unglücklicherweise scheint ein neues nicht in Frage zu kommen.«
Alle starrten sie an. War es wirklich möglich, daß Miss Connor vorhatte, wegen dieses wertlosen kleinen Bastards ein Auto zu kaufen? Da sie ihre Gedanken erriet, lächelte sie und sagte: »Ihr mögt mich für eine sentimentale alte Hundenärrin halten, aber ich kann euch versichern, daß ich, wenn möglich, immer mit einem Auto fahren würde. Meine liebe Freundin in England, Miss Skelton, fährt, wie ihr wißt, sehr gut. Es wird das beste sein, einen Gebrauchtwagen zu kaufen und ihn vor der Abreise wieder zu verkaufen. Ich finde, Parsival kann nach Hause fliegen, obwohl er dort in Quarantäne bleiben muß.«
Alle verharrten in erstauntem Schweigen, und stellten sich vor, wie Parsival für viel Geld mit dem Flugzeug reiste und in einem leicht entschuldigenden Ton fuhr Hester fort: »Ich muß zugeben, es klingt etwas extravagant, aber ich bin eine alleinstehende alte Frau und nicht arm. Außerdem habe ich immer behauptet, daß man, wenn man einen Hund hält, eine fast ebenso große Verantwortung übernimmt, wie wenn man ein Kind adoptiert. Mein alter Freund Flip, ein weißhaariger Terrier, ist letztes Jahr gestorben, und Parsival wird seinen Platz einnehmen. Ich muß gestehen, daß mich vor einigen Jahren die Angst, Flip allein zu lassen, trotz der Fürsorge von Annie Skelton, davon abgehalten hat, Neuseeland zu besuchen. Ihr denkt natürlich alle jetzt, daß ich eine verrückte alte Frau bin», und offensichtlich Zustimmung erwartend blickte sie sich um.
Natürlich wurde höfliches Gemurmel des Protestes laut, aber dann kam Lee auf das Thema Auto zu sprechen. »Wie willst du denn eins bekommen? Und wer soll es fahren?«
»Da habe ich ausgesprochen Glück gehabt. Ich habe fast zufällig von einem Gebrauchtwagen gehört, und er soll in einem sehr guten Zustand sein.«
Lee überlegte, daß das wahrhaftig nicht nach Tante Hester aussah. Wie sollte sie von einem Auto hören? Entweder ihre Tante war verrückt oder Lee.
Aber Hester Connor redete ganz ruhig weiter, und Lee mußte zugeben, daß sie alles andere als wahnsinnig zu sein schien. »Das hat sich alles so ergeben, weil ich zufällig mit Mr. Harvey, Kathleens Bruder, auf das Thema zu sprechen kam. Er war äußerst liebenswürdig und hilfsbereit. Ich habe ihn eines Morgens gefragt, als er hereinschaute, um Andrew zu besuchen, und seitdem habe ich häufig mit ihm telephoniert.« Als sie die erstaunten Gesichter sah, lächelte sie und sagte: »Ich war nicht absichtlich so verschwiegen. Ich habe sogar ein- oder zweimal versucht, davon zu sprechen, aber ihr wart so in eure Arbeit versunken, und Lee und Andrew so beschäftigt, daß es mir egoistisch erschien, einen von euch damit zu behelligen. Außerdem ist Mr. Harvey ein äußerst fähiger junger Mann, und er hat die ganze Sache in die Hand genommen.«
Ihre lobenden Worte richteten sich an Kathleen mit einer solchen Liebenswürdigkeit, daß die Angesprochene es fast für erforderlich hielt, aufzustehen und sich zu verbeugen. Statt dessen sagte sie: »Jetzt sagen Sie nur noch, Miss Connor, daß es der hübsche Wagen ist, den Donald ausprobiert hat? Für einen Freund, sagte er.«
»Und ich glaube, er betrachtet mich wirklich auch als eine Freundin. Ich bin ihm natürlich sehr dankbar.«
»Tante Hester, bedeutet das — bedeutet das wirklich, daß du ein Auto gekauft hast?«
»Praktisch ja, meine Liebe. Es gehört einem Mann in Ruru, der es gut gepflegt hat und es jetzt gegen ein neueres Modell austauschen möchte. Mr. Harvey betrachtet es als >einen guten Fang<, wie er es nennt, und er hat es für mich auf Herz und Nieren geprüft.«
Es folgte ein Schweigen, und dann lachte Andrew. »Lieber Himmel, Tante Hester, du bist wirklich unschlagbar. Wir regen uns alle wie wahnsinnig über ein paar lächerliche Theaterstücke auf, und du kaufst ganz ruhig ein Auto und machst überhaupt kein Aufhebens davon. Wenn ich einen Hut aufhätte, würde ich ihn vor dir abnehmen.«
»Danke, Andrew. Ich werde den Willen für die Tat nehmen. Ich versichere euch, daß mir Mr. Harveys Hilfe alles sehr leicht gemacht hat. Niemand schien zu merken, daß ich das Telephon benutzte. Ich habe sogar ziemlich oft mit Mr. Harvey gesprochen, während um mich herum die Proben stattfanden, und die einzige Schwierigkeit war, mich verständlich zu machen. Das Telephon ist ein Instrument, das ich immer skeptisch betrachtet und abgelehnt habe, aber jetzt merke ich, daß es auch nützlich ist.«
Alle lachten, und Sally sagte: »Und wir dachten, wir seien alle tüchtig. Na ja! Und wann findet die erste Ausfahrt in Ihrem Auto statt, Miss Connor? Und — wir wollen ja nicht neugierig sein, aber wer fährt es denn? Ich nehme nicht an, daß Sie zufällig Ihren Führerschein machten, während wir mit dem alten Shakespeare beschäftigt waren?«
Hester lächelte. »Nein, das habe ich nicht versucht. Außerdem hättet Ihr vielleicht meine Abwesenheit nicht bemerkt, aber bestimmt meine Rückkehr, wahrscheinlich mit einem gebrochenen Bein. Nein, ich kann nicht fahren, und ich werde noch irgendeinen freundlichen Menschen finden müssen, der das übernimmt.«
Ihr Blick ruhte vielsagend auf Dennis, und der junge Mann bekam einen hochroten Kopf. Da ihm die Worte zu fehlen schienen, sagte Miss Connor: »Sie sprachen eben davon, daß Sie das Land näher kennenlernen wollten, Mr. Major. Sie haben davon gesprochen, per Anhalter zu fahren, wie Sie es nannten.«
Es war Hesters Persönlichkeit zuzuschreiben, daß niemand lächelte, und sie redete gelassen weiter: »Wenn es Sie nicht fürchterlich langweilen würde, eine alte Frau zu fahren, wäre ich glücklich, Sie hinter dem Steuer zu sehen. Es würde natürlich, wie ihr sagt, auf >meine Rechnung< gehen, und ich wäre trotzdem tief in Ihrer Schuld.«
Dennis sprang erregt auf. »Ich muß sagen«, begann er. »Ich muß sagen...«
Aber Hester unterbrach ihn mit einer ihrer würdevollen Gesten: »Sagen Sie gar nichts. Lassen Sie sich nicht, ohne gründlich zu überlegen, auf eine vielleicht äußerst langweilige Reise ein, und denken Sie daran, daß ich nicht Ihr einziger Fahrgast sein werde. Parsival ist auch noch da. Nicht, daß ich Grund zu der Annahme hätte«, fügte sie schnell hinzu, »daß er dazu neigt, reisekrank zu werden, aber trotzdem...«