15

 

Obwohl es noch nicht sieben Uhr war, als »Die Shakespeare-Amateurtruppe« durch die Stadt fuhr, herrschte bereits Betriebsamkeit und Aufregung. Die Leute kamen vom Strand geeilt; zwei der Geschäfte hatten schon geschlossen, statt jede Verkaufschance zu nutzen; Kinder wurden von ihren Müttern gerufen zu »kommen und sich waschen und anziehen zu lassen, sonst würde es zu spät«.

Lee verspürte eine gewisse Aufregung und stimmte Tante Hester vollauf bei, als diese feststellte, daß sie sich im Ruhm der anderen sonnten. »Eine Situation, an die ich noch aus der Zeit meines lieben Vaters gewöhnt bin, und die ich viel lieber habe als aktive Teilnahme.«

»Ich verstehe gut, was du meinst«, sagte Lee. »Ich hätte jetzt schreckliches Lampenfieber, wenn ich Phöbe spielen müßte.«

»Miss Jordan kam genau im richtigen Moment«, meinte Miss Connor bedeutungsvoll. Obwohl kein weiteres Wort fiel, merkte ihre Nichte, daß Tante Hester das, was sich in den letzten paar Tagen unter der Decke abspielte, genau beobachtet hatte.

Kitty und ihre Tante kamen mit Donald und Kathleen an. Mrs. Harvey, erklärten sie, folge mit den Kindern, die schrecklich aufgeregt seien. Und behalte sie bitte etwas im Auge, Lee, wenn du kannst, denn Mutter wird bestimmt nicht mehr an sie denken.«

»Natürlich. Ich werde mich, so oft ich kann, zu ihnen setzen. Aber wo ist Mr. Macgregor?«

»Mein Onkel kommt nicht«, verkündete Kitty bereitwillig. »Er fühlt sich heute abend nicht ganz wohl.«

»O du lieber Himmel«, sagte Lee mit gespieltem Mitleid, aber geheimer Erleichterung, »hoffentlich nichts Ernstes?«

»Nur ein bißchen Magenschmerzen«, erklärte Mrs. Macgregor ruhig.

»Daran bin ich schuld. Ich hatte völlig vergessen, daß Vater keinen Schellfisch verträgt, und ich habe ihm Fischsuppe gegeben. Er hat nur ein paar Löffel gegessen, er wird sich in Kürze wieder wohlfühlen.«

Ihr Gesicht zeigte milde Zerknirschung, aber Kittys Augen blitzten, und wie Lee später zu Sally sagte, schien es ihr etwas eigenartig, wenn eine Frau nach vierzigjähriger Ehe vergaß, daß ihr Mann keinen Schellfisch vertrug.

Sally lachte. »Sie ist gerissen, diese kleine Frau. Gott sei Dank, daß sie den kleinen Propheten zu Hause gehalten hat, auch wenn sie ihn dazu ein bißchen vergiften mußte.«

Lawrence schien an diesem Abend sein Gleichgewicht wiedergewonnen zu haben. Er brachte Cynthia gleichgültige Höflichkeit entgegen, und Cynthia war so klug, sein Verhalten mit derselben Gleichgültigkeit zu beantworten. Die freundliche Gönnerhaftigkeit, die er Grant gegenüber an den Tag legte, hatte er nun auch auf Kitty ausgedehnt, und da er sich seines guten Aussehens und seines hervorragenden Schauspieltalents bewußt war, wiegte er sich in der Gewißheit, der Star des Abends zu sein.

Mrs. Harvey war ebenfalls bester Laune, bei Schauspielern wie Einheimischen, denen sie leutselig und gönnerhaft begegnete. Sie benahm sich, als sei die ganze Veranstaltung nur ihr Verdienst. Sie begnügte sich nicht damit, geschäftig an Kulissen und Kostümen herumzumachen, sondern begrüßte jeden Besucher von größerer Bedeutung persönlich. Zweifellos war es ihr Abend, wie Lee in aller Ruhe zu Sally bemerkte.

Sally selbst blieb seltsam unberührt von der Aufregung. Als Lee ihr beim Anziehen half, sagte sie nicht gerade sehr taktvoll: »Wie kannst du das nur so hinnehmen, wo du doch zwei große Rollen zu spielen hast? Bist du nicht nervös? Hast du keine Angst, deinen Text zu vergessen?«

Aber diese ungeschickten Äußerungen beunruhigten Sally nicht. Sie schien mit ihren Gedanken woanders zu sein und antwortete gleichgültig: »Na, und wenn? Der Professor wird mir schon beistehen. Nein, ich habe kein Lampenfieber. Bin wahrscheinlich schon zu lange dabei. Vergiß nicht, daß ich ein schrecklich frühreifes Schauspielkind war und in Dunedin viel Theater gespielt habe.«

Lee wurde auf einmal von unschicklicher Neugierde geplagt und sie fragte: »Sag mal, kanntest du Donald Harvey damals gut?« Entsetzt wurde sie gewahr, wie Sallys Lippen zitterten und ihre Hand einen Augenblick im Schminken innehielt.

Dann geschah etwas Seltsames. Sally, die ihren Freunden immer ein Rätsel gewesen war, die »irgendeine Liebesaffäre« gehabt hatte, die niemand kannte, und die sich nie jemandem anvertraut hatte, wandte sich plötzlich zu Lee um und sagte: »Gut? Du wärst wahrscheinlich der Ansicht, daß ich ihn gut kannte. Ich hätte ihn beinahe geheiratet.«

Lee stammelte eine lahme Entschuldigung. »Ich hätte dich nicht fragen sollen. Tut mir schrecklich leid.«

Von Sally kam das typische Achselzucken, mit dem sie über jede Gefühlsregung hinwegging, dann schien sie ihre Meinung zu ändern und sagte: »Schon in Ordnung, Lee. Du bist so gut zu mir gewesen. Dir kann ich es ruhig sagen. Ich fahre morgen sowieso weg und komme nicht wieder.« Hier hielt sie inne und lachte leise. »Andrew wird froh darüber sein. Du hast wirklich Glück, weißt du, Lee. Er ist ganz vernarrt in dich. Du wirst es gut haben«, und ihre Züge wurden plötzlich hart, so daß Lee fragte: »Und du? Du — du machst dir noch immer nichts aus ihm?«

Sally sah in den Spiegel und trug ihre Lidschatten sorgfältig auf, bevor sie antwortete: »Und wenn, was würde das ändern?«

»Sehr viel, weil ich sicher bin, daß er dich auch gern hat. Was ist damals passiert, Sally?«

»Ich war ein Narr. Er schien auf eine so phantastische Karriere loszusteuern — — damals hielt ich das für sehr wichtig.«

»Aber jetzt?«

»Jetzt verstehe ich, glaube ich, daß er zurückgehen und tun mußte, was er getan hat — die Farm wieder hochbringen und für seine Mutter sorgen, und dann später für Kathleen und ihre Kinder. Aber damals hielt ich ihn für verrückt, weil er allem, worauf es ankam, den Rücken kehrte. Ich war durch und durch ein kleiner intellektueller Snob, und das um so mehr, als ich selbst nicht überragend bin. Wir haben uns gestritten.«

»Nur darüber?«

»Damit fing es an, und dann kamen noch viele andere Dinge. Er kritisierte die Jungens, mit denen ich befreundet war, und war eifersüchtig auf sie. Oh, und dann sagten wir einander Unverzeihliches, und ich ging weg von Dunedin. Es war ihm schrecklich, auf seine Karriere zu verzichten, und er dachte, ich würde ihn verstehen und mit ihm fühlen — und das habe ich nicht getan.«

»Ja — und jetzt?«

»Jetzt ist es zu spät. Jetzt ist er endgültig an seine Familie gebunden. Selbst wenn er — wenn er noch dieselben Gefühle hätte, wäre es nicht möglich.«

Gerne hätte Lee jetzt die Sache in die Hand genommen. »Natürlich wäre es möglich. Mrs. Harvey würde woanders hinziehen. Sie sagt immer, daß sie hier in einer kulturellen Wüste lebe.«

»Dann bleibt immer noch Kathleen.«

»Nicht mehr lange. Hast du Kathleen und dem Pfarrer nichts angemerkt?«

»Was ist mit ihnen? Sie scheinen fast nie miteinander zu sprechen.«

»Das mag schon sein, aber trotzdem ist da etwas — ich glaube, Mutter nannte es >Verstehen< oder so ein ähnliches altmodisches Wort.«

»Schön für Kathleen. Er ist nett. Sie hat Glück. O je, der Shakespeare macht mich ganz weich und sentimental«, und Sally schminkte sich weiter und beendete das Thema.

Und Lee? Natürlich brannte sie darauf, zu Donald zu eilen und ihm zu erzählen, daß Sally ihn noch liebte, aber dann fiel ihr Andrew ein und was er wahrscheinlich von einer solchen Einmischung halten würde. Mit einem Seufzer über die Dummheit der anderen wechselte sie zu Kathleen über, die sich für die Gerichtsszene fertigmachte.

Als Lee das klare schöne Gesicht eifrig über den Schminktisch gebeugt sah, überkam sie eine große Zuneigung für diese neue Freundin und überstürzt sprudelte sie hervor: »Kathleen, wirst du immer so weiterleben?«

Kathleens feine dunkle Brauen, die sie gerade mit einem schwarzen Stift bearbeitete, gingen in die Höhe, und sie wandte sich ab von dem Spiegel, den sie in der Hand hielt. »Wie >so weiterleben<?«

»Mit deiner Mutter. Nicht wirklich leben. Wirst du nie wieder heiraten?«

Es entstand ein kurzes Schweigen, und Lee blickte verzweifelt um sich. Was war mit ihr los? Das war schrecklich ungehörig, Kathleen gegenüber durfte man sich so eine Frage nicht herausnehmen. Jetzt würde sie streng zurechtgewiesen werden.

Und dann geschah erneut das Unerwartete. War es möglich, fragte sich Lee automatisch, daß Theaterspielen die Menschen dazu brachte, sich gegen ihre Gewohnheiten zu verhalten? Kathleen lächelte und drückte Lee eine Minute lang die Hand. »Liebe kleine Lee. Du möchtest alle glücklich machen, nicht wahr? Du hast alle möglichen Paare dir ausgedacht — und alles geht daneben. Ich glaube, du wolltest sogar den Professor und Miss Connor zusammenbringen — gräßlich von dir«, und sie gab ein vergnügtes, glucksendes Lachen von sich. »Ja, ich weiß, du meintest auch, der nette Grant Lawton wäre etwas für mich. Aber siehst du, Hugh Knight und ich, wir lieben uns schon lange, und wir warten mit der Hochzeit nur, bis er eine andere Gemeinde bekommt — eine, die weit weit weg ist von der armen guten Mutter.«

Das war die längste Rede, die Lee je von Kathleen gehört hatte; ja, heute abend lag zweifellos etwas in der Luft. Sie drückte sie schnell an sich und sagte: »Du bist ein Engel, daß du es mir erzählt hast, aber ich bin nicht so dumm, wie du denkst. Ich habe es gestern abend gemerkt, bei eurem Spiel — und ich wünsche so sehr, ich hätte es Andrew gesagt, statt mich mit ihm zu streiten, denn dann hätte er mich ausgelacht, und heute abend hätte ich sagen können: >Siehst du, ich habe es gleich gewußt<.«

Kathleen aber fuhr verträumt fort: »Wir sind schon lange befreundet, weißt du. Er war mit meinem Mann bei der Luftwaffe, und ich weiß nicht, was ich ohne ihn getan hätte, als es — es passierte. Aber es ist jetzt drei Jahre her, und nun soll Hugh versetzt werden, und er wird für uns sorgen und es vielleicht fertigbringen, die Kinder richtig zu erziehen.«

In diesem Augenblick trappelten kleine Füße über die Bühne, und dann erklang Robins Stimme: »Uuh, Joan, komm und guck mal, wie ich meinen Fuß durch das alte Bild stecke. Oh, da ist Mammi, und sie hat das ganze Gesicht voll mit komischer Schminke, und...«

Lee und Kathleen sahen sich an. Kathleen packte den kleinen Fuß, der neben der Kulisse hin und her pendelte, und sagte ruhig: »Es wird höchste Zeit für diesen Umzug, meinst du nicht?« und dann streng: »Robin, du mußt das hier in Ruhe lassen. Es ist ein römischer Turm. Nein, stimmt nicht; es ist eine Kommode — und auf jeden Fall darfst du nicht mit den Füßen danach treten.«

Lee war ganz stolz. Heute wurde sie von allen ins Vertrauen gezogen. Um ein Haar wäre sie zu Donald gegangen und hätte ihm befohlen, sich mit Sally zu versöhnen, und am liebsten hätte sie Hugh nochmals bewegen wollen, bei seinem Bischof um eine Versetzung einzukommen. Statt dessen beschloß sie zum Glück, einen Blick durch den Vorhang zu werfen. Ein aufregendes Bild bot sich ihr. Jeder Platz war besetzt, außerdem waren Bretter über Petroleumkanister gelegt worden, um zusätzliche Sitzgelegenheiten zu schaffen. Joe Frost, der sich liebenswürdigerweise als Türhüter betätigte, dirigierte die Kinder nach vorne. »Ihr dürft ganz alleine da vorne sitzen. Da seht ihr gut und hört, was sie sagen. Nicht daß ihr es versteht«, fügte er pessimistisch hinzu, »ist nicht wie ein guter Western.«

Um acht Uhr wurden die Türen abgeschlossen, und Mrs. Frost spielte drei dröhnende Akkorde auf dem Klavier. Dann ging der Vorhang auf und gab die Sicht auf Mrs. Harvey frei, die — ihrer Bedeutung voll bewußt — in einem hautengen Abendkleid glücklich lächelte.

»Ich wurde gebeten, ein paar Worte zu sprechen«, begann sie nicht ganz wahrheitsgetreu, denn abgesehen von sich selbst hatte sie niemand gebeten. Es handelte sich jedoch wirklich nur um ein paar gut gewählte Worte, und wenn auch bei den etwas rücksichtsloseren Hinterbänklern die Neigung bestand, sie auszuzählen, so wurde dieser Versuch vom Rest des Publikums schnell unterdrückt. Sie dankte den Anwesenden für ihre Aufmerksamkeit, den »begabten Amateuren von unserer Universität« für ihre Hilfe und bat Professor Meredith, »unseren prominenten Gast«, einen kurzen Überblick über das erste Stück zu geben. Als sie sagte, sie wolle sie nicht länger warten lassen, ertönte heftiger Applaus, und in dem darauf folgenden Schweigen hörte man, wie Robins Stimme fragte, ob seine Schwester nicht glaube, daß Großmamas Kleid platzen würde.

Professor Merediths Darstellung war kurz und sachlich, und das Publikum hörte ihm aufmerksam zu. Nachdem er die Handlung von Der Widerspenstigen Zähmung mit wenigen Worten skizziert hatte, zog er sich unter Applaus zurück, um seinen Platz als Souffleur einzunehmen.

Während der ersten Szene wurden seine Dienste nicht in Anspruch genommen. Sally und Lawrence kannten ihre Rollen in- und auswendig, und wenn sie mit dem Text gelegentlich etwas großzügig verfuhren, so saßen im Publikum keine Puristen, die sich dagegen gewehrt hätten. Vom ersten Augenblick an, als der Vorhang aufging und Sally in einem großartigen Kleid aus der damaligen Zeit sich zeigte und in ebenso großartiger Wut auf den äußerst höflichen und hübschen Lawrence in Wams und Hose losfuhr, ging sogar der lahmere Teil des Publikums mit. Nach geschickter Kürzung war nun der Ablauf der Szene ausgesprochen spritzig und wurde sozusagen von tosendem Gelächter begleitet. Beim letzten Satz Petruchios »Und kurz und gut: Wir stimmen so zusammen, daß nächsten Sonntag unsre Hochzeit ist«, auf den Katharina mit wütenden Gebärden und einem entrüsteten Abgang reagierte, brach nicht endenwollender Applaus los, bis der Vorhang fiel.

Laute Pfiffe und Schreie wie »Komm schon, Käthchen«, und »Gib’s ihr, Petruchio, alter Junge«, veranlaßten das lachende Paar, noch einmal kurz zu erscheinen, und ihr endgültiger Abgang, bei dem Katharina Petruchios Ohren ziemlich wüst mißhandelte, brachte das Haus zum Rasen.

»Ein guter Start ist alles«, murmelte Sally, als sie zurückeilte, um schnell in Nerissas Gewand zu schlüpfen. Ihr Gesicht war triumphgerötet, sie war fröhlich und lachte und stieß dabei heftig mit einem Mann zusammen, der beim Kulissentragen half. Sally wäre über ihr Gewand gestolpert und gefallen, hätte sie nicht ein Arm gehalten und sie wieder auf die Füße gestellt. Eine Stimme flüsterte ihr ins Ohr: »Ich hörte, du seist rauh und wild«. Eine Sekunde zögerte sie, und es schien, als wolle sie auf die Neckerei mit Gelächter antworten. Doch dann erstarrte sie, trat zurück und zitierte gereizt: »Wo habt Ihr die gelehrte Red erlernt?« und ehe Donald mit einem weiteren Zitat zurückschlagen konnte, wie er es gerne getan hätte, war sie hinter dem Vorhang verschwunden.

Nach dieser lustigen Szene war es zunächst ziemlich schwierig, das Publikum auf die Gerichtsszene einzustimmen. Es gab zwangsläufig laute Kommentare, als die Anklagebank von der Polizeiwache sichtbar wurde, und es fielen einige respektlose Bemerkungen, als das Publikum seinen Pfarrer in dieser Umgebung erkannte. Die Freude und Begeisterung, mit der sie ihren Polizisten begrüßten, war so groß, daß sich Palmer gezwungen sah, die Stirne zu runzeln und die Hand des Gesetzes zu erheben, bevor er seine ersten Worte sprechen konnte: »Und hier, so glaub ich, kommt der Doktor schon«.

Mit Portias Erscheinen wurden die lebhaften Gemüter im Publikum dann stiller. Inzwischen war es Lee gelungen, in den Saal zu schlüpfen, um Robin und Joan zu zügeln, die Portias Auftritt mit einem vergnügten Quietschen »Mammi — da ist Mammi« begrüßt hatten. Kathleens Schönheit überraschte Lee erneut. Kein Wunder, daß sein ganzes Herz aus Antonios Augen sprach, als er das große blonde Mädchen ansah, die so glaubwürdig sprach und so ruhig, so vernünftig um Gnade bat. Lee seufzte erleichtert. Nicht einmal der Anblick der allzu vertrauten Anklagebank, noch das laute Geleier des Polizisten, der aus den Kulissen ab und zu hörbar vorgesagt bekam, konnten der Würde und Leidenschaft dieser berühmten Szene Abbruch tun. Ihre Wirkung war durch nichts mehr zu beeinträchtigen.

Aber hier trat wie gewöhnlich das Schicksal dazwischen. Die Szene ging fast ihrem Ende zu, die Spannung war auf ihrem Höhepunkt angelangt, Palmer hatte feierlich, wenn auch etwas schleppend mit seinem letzten Einsatz begonnen und war soeben bei den Worten »Dein halbes Gut gehört Antonio« angelangt, als ein leichtes Handgemenge an der Tür entstand und sich eine aufgeregte Stimme vernehmen ließ: »Ich sag doch, der Polizist wird gebraucht. Da bringen sich ‘n paar um.«

Beim Klang dieser unheilvollen Worte verlor der Doge den Faden. Er blickte verzweifelt um sich, vergaß dann Shylock und Antonio völlig und sagte: »Wo ist das? Ich werde es ihnen zeigen«, und verschwand ohne Zögern von der Bühne, zur großen Überraschung des Publikums und zur schnell unterdrückten Belustigung der Schauspieler.

Einen Augenblick lang herrschte Verwirrung. Dann kam Lawrence herein, langsam und würdevoll, und sprach Shylocks Text: »Nein, nehmt mein Leben auch, schenkt mir das nicht«, und es sprach sehr für sein Talent, daß die Belustigung nachließ, und alle Antonios Antwort und den letzten tragischen Worten von Shylock: »Ich bitt, erlaubt mir, weg von hier zu gehn: Ich bin nicht wohl« still zuhörten.

Brausender Applaus brach los, als die Szene zu Ende war. Nachdem der Professor vor den Vorhang getreten war, um eine Pause von zehn Minuten anzukündigen, meinte er leise zu Miss Connor, er würde gerne wissen, was geschehen sei; Palmer hätte es wohl nicht ganz leicht, sich mit Dogengewand und falschem Bart durchzusetzen.

Hinter den Kulissen herrschte eifrige Geschäftigkeit. Die Anklagebank verschwand, die Waldkulisse trat an die Stelle des Gerichtssaals, die Aspidistras wurden trotz Lawrences Einwänden aufgestellt, und die Schauspieler zogen sich schnell um. Lee half wieder fleißig hinter den Kulissen, und Robin und Joan, die ihre Freiheit wiedererlangt hatten, führten eine kleine Gruppe von Maori-Kindern an, mit denen sie wild den Gang hinauf-und hinunterschlitterten.

Wie groß die Begeisterung für die Aufführung war, zeigte sich daran, daß das Publikum rechtzeitig, mit zerfließendem Eis in den heißen Händen, seine Plätze wieder eingenommen hatte.

Schnell und einfach skizzierte Professor Meredith die Handlung von Wie es Euch gefällt, und dann teilte sich der Vorhang und zeigte die drei Schauspieler vor einem Hintergrund ungewöhnlicher Phantasiebäume und mit einem Vordergrund aus Aspidistras und Topfpflanzen. Lebhafter Applaus wurde laut, dazu Bemerkungen und Gelächter; die Tatsache, daß die Mädchen Wams und Hose trugen, fand natürlich großen Anklang im hinteren Teil des Saales, aber die Brautwerbeszene mit Rosalindes Schüchternheit und Orlandos Hartnäckigkeit belustigte alle, sogar die Kinder schauten zwar verwirrt, doch vergnügt zu. Am Ende dieser fröhlichen Szene erschien der Professor vor dem Vorhang und erklärte, daß die notwendige Pause mit einigen Shakespeare-Liedern ausgefüllt würde, gesungen von ihrem schottischen Gast, Miss Kitty Macfarlane.

Lee machte sich für eine Minute von ihrer Arbeit hinter den Kulissen frei, um zu sehen, was Robin und Joan trieben, und war dankbar, sie in der strengen Obhut des Pfarrers zu entdecken, der Joan auf dem Schoß und Robin an der Hand hielt. Dann vergaß sie sie, als eine schlanke Gestalt auf der Bühne erschien und sich sehr anmutig vor dem Publikum verbeugte. Kitty trug ein einfaches weißes Kleid, und hatte, um das ihrem Onkel gegebene Versprechen zu halten, ihre Schultern mit einer blauen, zu ihren Augen passenden Stola bedeckt. Sie sah hinreißend aus und lächelte nur, als gierige Pfiffe sie begrüßten, hob dann halb im Scherz ihre kleine Hand, um sie zu beruhigen und begann lieblich »Komm denn Liebchen, küß mich herzig«. Das Publikum war hingerissen, und der Applaus so anhaltend, daß Kitty sich nach den Shakespeare-Liedern immer wieder verbeugen mußte. Schnell lief sie hinter die Bühne, wo Sally sie mit einem barschen Befehl empfing: »Geh zurück und sing weiter. Der verdammte Reißverschluß steckt.«

Gehorsam trat Kitty wieder auf, hielt inne, lächelte das Publikum an und sagte ganz bescheiden: »Von Shakespeare kann ich keine Lieder mehr, aber wenn Sie möchten, singe ich Ihnen ein schottisches Lied, das Sie alle kennen«, und im nächsten Augenblick lauschte der überfüllte Saal begeistert »Loch Lomond«. Wenn die Gebildeteren über diese Shakespeare nicht unbedingt angemessene Einlage auch leicht belustigt waren, so brachte Kittys liebliche Stimme und ihre treuherzige Erklärung alle Kritik zum Schweigen. Das Klatschen und Stampfen am Ende der alten Ballade war sogar noch ungestümer als nach den anspruchsvolleren Liedern.

Die Krise hinter den Kulissen war überwunden. Der Reißverschluß funktionierte wieder, und Sally war bereit, in den Wald zu eilen und die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Das Vergnügen der Zuschauer war ungeteilt, und als die ganze Schauspieltruppe sich zum Schluß bei den Händen nahm und vergnügt die ersten Schritte eines Bauerntanzes tanzte, erhob sich alles und jubelte ihnen zu. Sogar gebildete Besucher stimmten mit ein, als die Schauspieler immer wieder gedrängt wurden, vor dem Vorhang zu erscheinen, und als er sich dann doch schloß, wurde das allgemeine Urteil ganz wahrheitsgemäß, wenn auch nicht ganz formvollendet von einem leicht angetrunkenen Mann ausgesprochen, der darauf bestand, der entsetzten Mrs. Harvey die Hand zu schütteln und lauthals zu verkünden »das war ein verdammt gelungener Abend, mit Pfarrer, Polizist und allem Drum und Dran«.