10
Dann begann ein endloses Hin und Her wegen der auszuwählenden Shakespeare-Szenen. Sally, Lawrence und Dennis fühlten sich hier auf vertrautem Grunde. Die Meinungen über die Auswahl waren geteilt, aber ein Punkt stand fest: Sie würden nicht Stunden damit zubringen, etwas Neues zu »ochsen«. Es mußten Szenen sein, die sie schon früher einmal gespielt hatten.
»Warum nicht die Balkonszene aus Romeo und Julia?« fragte Lee, denn sie erinnerte sich, daß das einer von Dennis und Sallys großen Erfolgen gewesen war.
»Aber nicht an einem heißen Abend im Kino von Ruru mit Sally als Julia«, erwiderte Dennis mit uneingeschränkter Offenheit.
»Diese selbstgemachten Balkone wackeln immer und lassen einen schließlich ganz im Stich. Auf dem Höhepunkt der Leidenschaft lassen sie einen dann Julia in die Arme fallen.«
»Aber das Publikum wäre hell begeistert.«
»Das Publikum vielleicht, aber ich nicht. Außerdem ist Sally überhaupt nicht für die Julia geeignet. Ja, ich weiß, daß sie damals gut war, aber die Beleuchtung war hervorragend und die Schminke auch. Im Kino von Ruru aber, wo irgendein Stümper grelles Rampenlicht zusammenbastelt und sie sich ungeschickt selbst schminkt, würde es einfach nicht hinhauen. Ja, wenn es Kathleen Estrade wäre oder auch Kitty. Wahrhaftig, Kitty wäre eine Julia.«
Hier brach Kitty in Gelächter aus. »Ich könnte all diese Seiten nie lernen, und dann denkt mal an meinen Onkel. Er würde wahnsinnig, wenn ich im Mondschein auf einem Balkon mit einem jungen Mann flirten würde. Er würde wahrscheinlich alles kurz und klein schlagen.«
»Wie Simson bei den Philistern; war es nicht der Kinnbacken eines Esels?« fragte Lee völlig unvermittelt.
Kitty dachte ganz praktisch. »Hier gibt es zwar keine Esel, aber ich habe schon einige Kieferknochen gesehen, die einmal zu Rindern gehörten, und wenn mein Onkel sie in die Finger bekäme, könnten sie ziemlich gefährlich werden.«
»Wie schade, denn du hättest eine herrliche Julia abgegeben«, sagte Sally völlig unbeeindruckt von Dennis abfälligen Bemerkungen.
So wurde Romeo und Julia gestrichen, und die Diskussion immer hitziger, denn die Wahl blieb ausschließlich auf die Stücke beschränkt, die die Hauptdarsteller schon einmal gespielt hatten.
»Nicht, daß ich mich drücken möchte, bemerkte Dennis, »aber es ist sinnlos, für einen einzigen Abend seitenlange Texte zu büffeln.«
Sally schenkte dem behandelten Thema keine ungeteilte Aufmerksamkeit, denn ihr Gewissen erinnerte sie daran, daß irgend etwas wegen der Seife geschehen mußte. Schon jetzt bedauerte sie ihre verfehlte Begeisterung, hatten doch sie und Dennis in Ruru jeden Laden nach Harz abgeklappert, bis sie schließlich in einer Ecke zwischen Spinnweben welches fanden, das dort jahrelang vergessen gelegen hatte. Soda hatte es zu kaufen gegeben, aber bei Borax war es wieder schwierig geworden.
Wenn auch ihr Verlangen, selbst Seife zu sieden, schon nicht mehr so groß war, hatte Sally sich doch verpflichtet gefühlt, die Suche fortzusetzen. Und schließlich fand Atkins, der schielende Ladenbesitzer, ein kleines Päckchen mit der Aufschrift »Gift«, in dem seiner Aussage nach aber mit Sicherheit Borax war.
»Eigentlich habe ich es gefunden, und auch das nur, weil dort so eine schreckliche Unordnung herrscht; jedesmal, wenn man irgend etwas braucht, was nicht ganz vorne liegt, muß man hinter dem Ladentisch herumgraben. Dabei bin ich schließlich in einer großen Schachtel mit der Aufschrift >Pinguin< auf diese Papiertüte gestoßen.«
»Pinguin? Aber was hat Borax mit Pinguinen zu tun?«
»Das wollte Atkins auch wissen, und er wurde ganz wütend, denn er sagte, das Mädchen, das ihm vor einem Jahr beim Aufräumen geholfen habe, habe ihn sicherlich auf den Arm genommen. Aber auf dem Grund der Schachtel lagen ein paar alte Bücher, und ich erklärte ihm, daß es Pinguin-Taschenbücher gebe; das beruhigte ihn dann. Er wog also das kleine Päckchen und sagte, es enthalte genau die hundertfünfzig Gramm, die wir brauchten, und er erinnere sich ziemlich gut, vor fünf Jahren Borax gekauft zu haben, es wird also schon seine Richtigkeit haben.«
Lee betrachtete das Pulver, versuchte ein bißchen auf der Fingerspitze und verzog das Gesicht. »Ich glaube, es stimmt. Scheußlich genug ist es schon, aber eigentlich habe ich keine Ahnung, wie Borax schmeckt.«
Sie berieten noch immer über die Zutaten, und Sally versuchte, sich eine Ausrede auszudenken, um die Seifenherstellung auf den nächsten Tag zu verschieben, als Donald Harvey und Andrew hereinkamen und eine Tasse Tee haben wollten.
Donald zögerte einen Augenblick, als er Sally sah, dann begrüßte er beide Mädchen ziemlich kühl, während Andrew Lee über die Schulter blickte und dann rief: »Seife. Lieber Himmel, ist es schon so weit mit uns gekommen? Laß um Himmelswillen die Finger davon. Du wirst nur Unheil anrichten.«
»Das wird zufällig Sally übernehmen«, sagte Lee eiskalt, »nicht ich — und außerdem würde ich kein Unheil anrichten.«
Donald sagte beiläufig: »Das Zeug hat seine Tücken. Besser, die Finger davon lassen.«
Sally geriet sofort in Harnisch. »So ein kleiner Geist. Es ist schwierig, also versucht man es erst gar nicht. Ich persönlich glaube, daß es für einen intelligenten Menschen ganz einfach ist.«
»Ich könnte es wahrscheinlich nicht, da ich kein Hauswirtschaftsexamen habe«, gab Donald ärgerlich zurück.
Zu Andrews Erstaunen feuerte Sally, die sonst jeden Witz über sich selbst vertragen konnte, sofort zurück. »Natürlich ist ein naturwissenschaftliches Examen nicht zwangsläufig eine Garantie für Intelligenz«, sagte sie bissig, »vor allem nicht, wenn es um die Wahl des Berufs geht.« Donald schwieg eine Minute lang und sagte dann, bemüht, gelassen zu wirken: »Na ja, wenn ich das nächste Mal hereinschaue, erwarte ich, Stapel hausgemachter Seife zu Gesicht zu bekommen — aber ich würde ohne weiteres mit dir wetten, Lee, daß das nicht der Fall sein wird.«
Das festigte Sallys Entschluß. Widerwille und Unlust bei dem Gedanken, meterweise Talg und pfundweise Fett verarbeiten zu müssen, waren in einen sonderbaren Eifer umgeschlagen; sie setzte sich trotzig an den Küchentisch und begann, das Fett zu schneiden. Sie ließ Donald absichtlich links liegen und sagte zu Lee: »Sobald ich damit fertig bin, muß ich es als nächstes auslassen. Wie weit ist der Ofen?«
Die Männer tranken hastig ihren Tee, und Andrew sagte: »Laß uns hinausgehen, Donald. Wahrscheinlich stecken sie das Haus in Brand oder versengen ihre Augenbrauen. Wenn du mir hilfst, können wir jetzt die Nachzügler kennzeichnen.«
Kommentare von Lee über die Feigheit der Männer und ein bedrohliches Schweigen von seiten Sallys begleiteten die Hinausgehenden. Als ausgerechnet in diesem Augenblick aus Versehen Dennis hereinkam, sagte sie scharf: »Hör auf, Shakespeare zu deklamieren, und mach dich nützlich. Das Feuer zu schüren, ist doch wohl Männersache.«
»Natürlich tue ich das, aber paßt einmal auf. Wir wollen nichts Sentimentales bringen. Um Himmelswillen keine Tragödie. Die Leute wollen unterhalten werden. Und laßt euch warnen, nicht diese Szene aus Ein Sommernachtstraum. Ich werde nicht noch einmal mit einem Eselskopf herumhüpfen.«
Sally machte eine freche Bemerkung und wusch sich die Hände. »Das wäre geschafft. So Lee, jetzt schieben wir die ganze Angelegenheit in den Ofen und gehen raus, um im Garten ein paar von den frühen Pflaumen zu pflücken.«
Dennis hatte zweifellos das Feuer mehr als ausreichend geschürt, und die zwei Mädchen waren wohl zu lange im Garten geblieben. Als sie zurückkamen, schlug ihnen bereits vor der Tür ein gräßlicher Gestank entgegen, und die Stimme des Professors war höflich, aber aufgeregt zu vernehmen: »Ich fürchte, irgend etwas brennt. Wenn ich nur nicht so behindert wäre. Dieses verdammte Bein«, und sie sahen, wie er versuchte, zur Küche zu humpeln.
»Gehen Sie bitte zurück«, schrie Lee. Es ist nur das Fett. Wir werden schon fertig damit.« Dann sagte sie leise zu Sally: »Gerade das ist so feuergefährlich. Du nimmst den größten Lappen, den du finden kannst, und packst sofort die Form, wenn ich die Tür aufmache. Dann schließe ich sie sofort wieder. Fünf Minuten länger, und das ganze Zeug wäre in die Luft geflogen.«
Entsetzt, aber mutig packte Sally ein großes Handtuch und ergriff damit den Tiegel, wobei Augenbrauen und Haare in höchster Gefahr schwebten. Aber das Fett fing kein Feuer, und sie konnte sich mit dem Ganzen in den Hintergarten flüchten Allmählich ließ der Qualm so weit nach, daß die beiden Mädchen sich heranwagten, um den Schaden zu besichtigen. Es war ein trauriger Anblick — eine dunkelbraune Soße, auf der trostlos einige schwarze Klümpchen schwammen.
»Tut mir schrecklich leid«, sagte Sally, »aber ich habe noch nie in meinem Leben einen Holzofen gesehen; er hat nicht einmal einen Thermostat. Müssen wir jetzt alles wegschütten?«
»Ach wo. Macht nichts, wenn es verbrannt ist. Hast du schon mal was von verbrannter Seife gehört? Es gibt nur eine kräftigere Farbe.«
Völlig getröstet machte Sally sich an die nächste Arbeitsetappe, wog ab, gab vorsichtig Soda zu und maß die Wassermenge, dann sagte sie: »Was auch passiert, Lee, diese Seife muß gut werden. Ich möchte es Andrew beweisen.«
Als Lee jedoch ihr angestrengtes Gesicht sah, wußte sie, daß es nicht Andrew war, der diese plötzliche, verbissene Begeisterung wachgerufen hatte.
Wieder wurde der Borax zum Stein des Anstosses. Wie das in Lees Haus so gehen konnte, war die kleine Papiertüte spurlos verschwunden. Sie suchten an allen möglichen und unmöglichen Stellen, und schließlich meinte Lee ungeduldig: »Komm, wir machen die Seife ohne Borax. So wichtig kann er ja nicht sein. Nur so ein unnützer Zusatz. Ich habe den Kanister auf den Ofen gestellt, aber einer von uns bleibt besser dabei stehen. Du weißt, daß Mrs. Macgregor sagte, es würde überkochen, sobald man eine Minute den Rücken kehrt. Ich bin vorsichtig geworden.«
Aber Sally, die nur noch an eines dachte und fest entschlossen war, eine vollkommene Seife zu produzieren, suchte weiter.
Schließlich stieß sie einen triumphierenden Schrei aus. »Ich habe es. In der Schublade deiner Nähmaschine. Ich bin wirklich froh, denn ich halte nichts davon, von einem bewährten Rezept abzugehen. Lee, versuch mal, ob es genauso schmeckt. Aber ich bin sicher, daß es die richtige Tüte ist.«
»Ich versuche das scheußliche Zeug nicht noch einmal. Wozu auch? Wir wissen beide nicht, wie Borax schmecken soll. Schütte es einfach hinein. Du hast gesagt, Atkins hätte hundertfünfzig Gramm abgewogen. Das ist genau richtig. Jetzt legen wir los.«
Aber die Seife legte von selbst los, denn sobald sie den Inhalt der Tüte hineingeschüttet hatten, benahm sich die ganze Masse äußerst eigenartig. Sie war bestimmt höchstens lauwarm, aber sie schien sofort überzukochen. Die schäumende Masse stieg geräuschlos auf eine unheimliche Art und Weise, und mit einem Schreckensschrei sprang Lee zurück. Irgendeine unerklärliche Wandlung hatte sich vollzogen, sodald sich der sogenannte Borax mit dem Soda vermischte. Sally zog den Behälter vom Feuer und stand dann wie gelähmt, um die Naturerscheinung zu betrachten.
»Nimm es ganz runter, Lee. Guck mal, es kocht noch immer. O Dennis, du kommst wie gerufen. Vergiß deinen Shakespeare und nimm den Kanister vom Ofen, bevor ein Unglück passiert.«
Wütend warf Dennis das Buch auf den Tisch und griff nach dem heißen Kanisterhenkel. Mit einem Schmerzensschrei zog er ihn vom Ofen und stellte ihn auf den Boden. »Nicht dahin, du Idiot«, brüllte seine Gastgeberin. »Nach draußen in den Garten. Sieh dir das an, das Zeug ist völlig übergeschnappt. Kocht auf dem kalten Boden weiter.«
Aber Dennis hatte sein Pulver verschossen und zog sich zurück, um seine verbrannte Hand zu behandeln. Die unheimliche Mischung stieg unerbittlich weiter nach oben, erreichte jetzt den Topfrand und ergoß sich nun ganz langsam auf den Boden. Während die Mädchen noch dastanden und zusahen, begann ein kleines, träges Rinnsal den Raum zu durchqueren.
Ausgerechnet in diesem Moment kamen Andrew und Donald zurück. Eine Sekunde lang standen sie wie vom Schlag gerührt in der Tür; als Sally sie erblickte, fluchte sie sehr undamenhaft, nahm die große Sackschürze, die Miss Connor und den Lämmchen geheiligt war, und grapschte nach dem Kanisterhenkel. Den hatte jedoch Dennis im ersten Entsetzen in die geschmolzene Masse rutschen lassen, und der Topf selbst war zu heiß zum Anfassen.
Eine dramatische Szene spielte sich ab. Angestachelt von der Anwesenheit der Zuschauer wollte Sally schon mit der Hand in die Flüssigkeit greifen, als ihr Handgelenk plötzlich mit festem Griff gepackt wurde, und Donald schnell sagte: »Paß auf! Das Soda wird dich schrecklich verbrennen. Laß das mich machen.«
Lee erklärte später, daß Sally regelrecht die Hände gerungen hätte. »Doch, das hast du getan, und ich habe oft in Büchern davon gelesen, aber nie hätte ich gedacht, daß ich so etwas in meiner eigenen Küche erleben würde.«
»Und wenn schon«, erwiderte Sally schlagfertig, »ich hatte keine Angst, daß dieser alberne Mensch sich verbrennen könnte, es tat mir nur um unsere schöne Seife leid.«
Aber Donald verbrannte sich nicht. Er nahm den langen Schürhaken vom Kamin, steckte ihn durch den untergetauchten Henkel und trug den Kanister nach draußen. Sogar auf dem kalten Zement ging der geheimnisvolle Prozeß weiter; langsam entleerte sich der Inhalt des Behälters als dickes Rinnsal, um allmählich zu erstarren.
Bevor es dieses Stadium endgültig erreicht hatte, kam unglücklicherweise Parsival dazu, und eben von einem Spaziergang mit seinem Frauchen zurückgekehrt und immer neugierig, schnüffelte er einmal, heulte auf und steckte in der klebrigen Masse fest. Verzweifelt hob er seine kleinen Pfoten, um das erstarrte Fett abzuschütteln, und begann dann, eine Pfote nach der anderen zu lecken. Lee war entsetzt.
»Halte ihn zurück«, schrie sie. »Er wird sich vergiften. Das ist ein Zündstoff. Er wird platzen«, und sie packte das zitternde Häufchen, steckte es ganz ins Waschbecken und ließ unbarmherzig heißes Wasser über die zuckenden Pfoten laufen.
In diesem Augenblick setzte sich Andrew durch. »Kümmert euch nicht mehr um das scheußliche Zeug. Es wird bald die Bucht erreichen. Was habt ihr um Himmelswillen angestellt, daß es so übergekocht ist?«
Lee wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, während sie den erregten Parsival absetzte und nach einer Scheuerbürste griff. »Ich weiß nicht. Irgend etwas Außergewöhnliches ist geschehen, denn es konnte gar nicht kochen. Es war nur lauwarm, und als Sally das hineinschüttete, was wir für Borax hielten, sprudelte es hoch wie ein Geiser und stieg immer weiter. Was ist da bloß passiert?«
»Ich glaube nicht, daß es Borax war. Wahrscheinlich irgendeine Säure, die auf das Soda reagierte. Aber mach dir nichts daraus. Ich habe dir gleich gesagt, es bleiben zu lassen. Na, ist schon gut. Ihr braucht mir nicht gleich ins Gesicht zu springen. Ich sagte nur... sprechen wir nicht mehr darüber. Jetzt müssen wir wohl vor allem die Bescherung wieder wegmachen.«
Erstaunlicherweise nahm Donald Lee die Scheuerbürste aus der Hand. »Das ist Männerarbeit. Ihr zwei verschwindet am besten. Ihr habt euer Teil beigetragen. Andrew und ich werden alles schnellstens in Ordnung bringen. Vielleicht holst du ein paar Messer, Andrew. Wir müssen erst abkratzen«, und überrascht sahen sich die beiden Mädchen ausgesperrt und die Türe hinter sich geschlossen.
Während sie langsam zur Veranda gingen, sagte Sally: »Ich habe dir gleich gesagt, daß schon ein Wunder geschehen müßte, wenn aus diesem Fett Seife wird, und das Wunder haben wir gehabt.«
»Ja, aber wir haben keine Seife«, sagte Lee traurig. »Ach du meine Güte, das ganze herrliche Fett vertan und das Soda und deine ganze Arbeit. Aber es ist sehr nett von Donald, daß er beim Saubermachen hilft.«
Sally gab der Fußmatte einen ärgerlichen Tritt und antwortete dann: »Ich hasse Männer, die einen erst ins Unrecht setzen und sich dann großmütig gebärden. Am Ende steht man dümmer denn je da.«
»Oh, ich weiß nicht. Ich bin ganz froh, daß ich den Boden nicht schrubben muß. Du bist unlogisch, Sally, denn... Mein Gott, was ist das für ein komisches Geräusch im Hinterhof?«
Beide Mädchen rannten um das Haus. Natürlich, es war die alte weiße Henne. Als sie am Ort des Geschehens anlangten, marschierte sie über ein Rinnsal aus Fett, während aus ihrer Kehle eigenartige, erstickte Geräusche drangen.
»Oh, wie schrecklich. Die gute Alte hat davon gefressen, und es hat ihr den Schnabel zugeklebt; sie wird ersticken oder sonst was«, und im nächsten Moment hatte Lee sich gebückt und die widerspenstige Henne auf den Arm genommen.
Im Badezimmer packte sie den Schnabel der Henne und wies Sally an, fest zu kratzen und zu schrubben. Da der nächste Gegenstand zufällig Lees Zahnbürste war, nahm Sally sie bedenkenlos, wobei sie lediglich der Hoffnung Ausdruck gab, daß ihre Freundin eine Ersatzzahnbürste habe. Andernfalls müsse sie solange Salz nehmen, bis Gelegenheit war, in Ruru eine neue Zahnbürste zu kaufen.
»Natürlich. Das macht überhaupt nichts. Aber beeil dich. Sie keucht schon.«
Als das Fett unter dem heißen Wasser schmolz, hörte das Keuchen auf. Feierlich wuschen sie anschließend die knorrigen Klauen und ließen den zitternden Vogel dann frei, der in den Schutz der Bäume wankte. Lee sah der Henne besorgt nach.
»Ich glaube, sie wird nicht mehr wie früher. Das wird bestimmt ihr Leben verkürzen.«
»Tja, ich würde sagen, das ist Glück im Unglück«, erwiderte Sally herzlos. »Sie ist alt und mager und legt keine Eier mehr. Je eher sie stirbt um so besser. Verzeih mir, Liebes. Ich weiß, es klingt abscheulich, aber ich habe meine gute Laune ziemlich verloren. Dieses geheimnisvolle Wunder will mir nicht gefallen. Wenn wir nur wüßten, was wirklich in der Papiertüte war.«
Als sich die Türe jetzt öffnete, fanden sie die Küche aufgeräumt vor, und Andrew bemerkte, daß jetzt nur noch der Hinterhof abgespritzt zu werden brauche. »Und ihr müßt mir außerdem euer feierliches Ehrenwort geben, daß ihr zukünftig überschüssiges Fett wegwerft und nie, nie wieder versucht, daraus Seife zu machen.«
Donald, der Sallys Blick auswich, meinte, daß der alte Atkins an allem schuld sei. »Er beschriftet seine Waren immer falsch, und früher oder später wird er jemanden vergiften«, sagte er.
»Na ja, gut daß wir nur einen Unglücksfall zu beklagen haben«, sagte Lee herzlos. »Nein, ich meine nicht die weiße Henne oder Parsival, die armen Tierchen. Ihnen ist nichts passiert. Aber ich glaube, Dennis hat sich schlimm verbrannt. Er raste fluchend weg, und seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Wahrscheinlich hat er der weißen Henne im Busch Gesellschaft geleistet«, kommentierte Sally, aber in diesem Augenblick kam Tante Hester herein, hörte sich die ganze traurige Geschichte an und berichtete dann, daß sie Mr. Majors Hand verarztet habe, und er spreche jetzt mit Professor Meredith über Shakespeare.
»Ja, seine Hand war verbrannt, aber ich glaube, ich habe den Verband noch rechtzeitig angelegt. Seine Gefühle scheinen jedoch noch mehr verletzt zu sein. Er hat uns wissen lassen, was er von Frauen hält, die bedenkenlos unbekannte Säuren auf kaustisches Soda gießen und die jemanden, der ihnen heldenhaft zu Hilfe eilt, einen Idioten heißen.«
In diesem Augenblick kam Dennis mit selbstbewußter Miene herein und trug auffällig seine bandagierte Hand zur Schau.
»Alles in allem«, sagte er ruhig und überging die Begebenheiten der letzten Stunden vollkommen, »ich glaube, die Gerichtsszene wäre das Beste. Der alte Kaufmann von Venedig kommt immer an, und Kathleen Estrade sagt, sie habe einmal die Portia gespielt und könne die Rolle ohne große Schwierigkeiten wieder aufpolieren.«
»Fein«, sagte Sally äußerst sarkastisch, »aus praktischen hilfreichen Männern mache ich mir eine Menge.« Dann errötete sie heftig und sah sich um. Aber Donald Harvey war zum Glück nicht mehr da.
Spät in der Nacht wachte Lee plötzlich aus tiefem Schlaf auf und sagte: »Andrew, ich habe von diesem Zeug in der Papiertüte geträumt. Ich bin sicher, wir sind auf irgendeine außergewöhnliche Erfindung gestoßen. Ein neuer Zündstoff, der unser ganzes Abwehrsystem auf den Kopf stellen könnte.«
»Ihr habt auch so schon genug auf den Kopf gestellt«, sagte ihr geduldiger Mann müde. »Der Schnabel der Henne, Parsivals Beine, Dennis verletzte Hand und gekränkte Gefühle. Ich würde es dabei lassen, wenn ich du wäre.«
Lee seufzte. »Aber es ist alles so enttäuschend. Ich wollte doch sparen, und jetzt ist es ziemlich teuer geworden. Ich habe mich auf Unmengen herrlicher Seife praktisch ohne Unkosten gefreut.«
»Wenn wir wieder nach Ruru fahren, werde ich dir Unmengen von Seife kaufen, vorausgesetzt, du hörst auf, dir deinen kleinen Kopf über alberne Sparmaßnahmen zu zerbrechen. Wir sind nicht pleite, schlaf also weiter und vergiß es.«
»Du bist so lieb«, murmelte sie schläfrig, und dann begann sie plötzlich zu lachen. »O Andrew, ich werde nie den Ausdruck auf dem Gesicht der weißen Henne vergessen.«
»Du sprichst im Schlaf. Hennen haben keine Gesichter, zumindest keine ausdrucksvollen.«
»Die aber schon. Sie hat die Augen gerollt und ganz verzweifelt gegurgelt«, sagte Lee noch und versuchte, wieder einzuschlafen.
Als Andrew fast weg war, schreckte sie ihn wieder auf, indem sie ihm laut ins Ohr flüsterte: »Andrew, ich bin absolut sicher, daß zwischen Donald und Sally einmal etwas war. Nur, weil er sie ausgelacht hatte, wollte Sally unbedingt Seife machen. Und dann erinnere dich nur, wie er den Boden geputzt hat! Früher hat er unsere Küche nicht einmal betreten, und...«
»Willst du jetzt wohl schlafen?« sagte ihr Mann plötzlich gereizt. »Ich kann es ertragen, wenn du alles mit Seife überschwemmst, ich kann es sogar ertragen, wenn du diese elende weiße Henne rettest. Ich kann alles ertragen, außer wenn du versuchst, wilde Romanzen über zwei Menschen zu erfinden, die sich, wie jeder deutlich sehen kann, nicht ausstehen können.«
»Das meine ich ja gerade, Liebling«, flüsterte seine Frau, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Wenn zwei Menschen sich auf so eigentümliche Weise nicht ausstehen können, dann nur, weil sie sich in ihrem Innersten davor fürchten, daß sie einander lieben könnten.«
Mit solchen Worten tiefschürfender, wenn auch etwas verworrener Weisheit drehte Lee sich wirklich um und schlief ein.