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Lee war verwirrt und zum ersten Mal sprachlos, aber Miss Connor schien das nicht zu beachten und wandte sich herablassend Donald Harvey zu.
»Dieser vorbildliche Mensch war so freundlich, mir eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Der Mann in dem äußerst sonderbaren Laden, wo ich euren Wohnsitz erfragte, berichtete ihm von meiner mißlichen Lage, und er erbot sich, mich herzubringen.« Dann, noch immer mit lauter Stimme, aber zu Lee gewandt: »Sag mal, gibt man in Neuseeland Trinkgeld?«
Lee geriet in äußerste Verlegenheit. Natürlich mußte Donald diese Frage hören. Sie sah zu ihm hinüber und war unendlich erleichtert, daß »dieser vorbildliche Mensch« offensichtlich vergnügt lächelte. Sofort war Lee überzeugt, daß sie diesen Nachbarn gerne mögen würden. Jeder, der mit Tante Hester so spielend fertig wurde, kam ihnen gelegen. Ihr Blick traf den seinen, sie lächelte vielsagend und sagte dann bestimmt: »Natürlich nicht, Tante Hester. Mr. Harvey ist unser Nachbar, und es war sehr freundlich von ihm, dich mitzunehmen.« Mit ausgestreckter Hand ging sie zu ihm hinüber und flüsterte eine Entschuldigung. »Lassen Sie die Koffer bitte stehen. Andrew wird sie hineintragen. Ich weiß gar nicht, wohin er verschwunden ist. Vor einer Minute war er noch hier, der dumme Mensch. Kommen Sie doch zu einer Tasse Kaffee herein.« Dann riß sie sich schnell zusammen, nahm ihre Tante beim Arm und sagte mit einiger Verspätung: »Wie schön, dich kennenzulernen, liebe Tante Hester.«
Donald Harvey war ein ziemlich junger Mann, dunkel wie seine Mutter, aber sonst ganz anders, hochgewachsen, schlank und gutaussehend. Er lächelte Lee an und sagte: »Nein, vielen Dank. Sie möchten jetzt gewiß mit Miss Connor allein sein. Verzeihen Sie, daß ich Sie so überfallen habe. Ich habe versucht anzurufen, bekam aber keine Antwort. Ich konnte Mrs. Drill nicht mitbringen — einer ihrer schlechten Tage, von denen Mutter Ihnen sicher erzählt hat. Bis heute abend hat sie es überstanden, und morgen kann sie wieder arbeiten.«
»O du lieber Himmel — und Sie sollten das Haus sehen.«
»Das tut mir leid. Glücklicherweise muß ich morgen noch einmal nach Ruru fahren, um das Traktorteil, das zusammengeschweißt werden mußte, abzuholen. Ich werde sie dann abholen und bei Ihnen absetzen. Doch, lassen Sie mich die Koffer hineinbringen, bevor ich gehe.«
Aber in diesem Moment tauchten Andrew und Grant mit schuldbewußter Miene auf, begrüßten Miss Connor mit tausend Entschuldigungen und bedankten sich bei Donald. Er fuhr ab, und Lee führte ihre Tante ins Haus, wobei sie verzweifelt überlegte, welche Erklärung sie für die schmutzigen Böden und Fenster und die allgemeine Atmosphäre eines Durchgangslagers geben sollte. Dann zuckte sie unbekümmert die Achseln, beschloß, daß Vorspiegelung falscher Tatsachen unmöglich und
Erklärungen sinnlos seien, und sagte: »So ein Durcheinander. Wir haben deinen Heißwasserboiler eben erst anbringen lassen — du weißt ja, wie die Klempner sind —, und in Neuseeland kommt die Farm immer an erster Stelle. Wir erwarteten eine Frau zum Reinemachen, aber anscheinend genehmigt sie sich einen Tag Erholung und kommt erst morgen. Du wirst also vor allem die Augen verschließen, liebe Tante Hester, außer vor der Aussicht und uns.«
Das war der richtige Start. Sofort legte Miss Connor die Gouverneurstochter ab und wurde zu der Frau, die in all den winzigen Kolonien, in denen sie gelebt hatten, als »guter Kamerad« bezeichnet worden war. Sie sagte fröhlich: »Mein liebes Kind, was machen denn schon die Böden? Ich habe immer eine tiefe Abneigung gegen alle Frauentypen verspürt, die erklären, daß man von ihrem Boden essen kann. Warum sollte das irgend jemand wollen? Ich werde mit meiner Nichte und ihrem Mann — so eine männliche Erscheinung und durch und durch ein Farmer — sehr zufrieden sein.«
Bei diesen Worten schluckte Lee und versuchte, Andrews Blick zu treffen, aber er beachtete sie nicht, sondern sagte nur: »Sie haben uns überrascht, Miss Connor. Entschuldigen Sie, daß dieser Raum ein ziemliches Schlachtfeld ist, aber wir werden das im Nu in Ordnung gebracht haben.«
»Aber doch nicht Miss Connor, mein lieber Junge — Tante Hester. Du gehörst doch zur Familie.«
Andrew nahm dieses Kompliment mit mäßiger Begeisterung auf und machte sich daran, die vielen Koffer aufzuschnallen. Miss Connor fuhr fort: »Noch einmal zu dem jungen Mann, der mich gebracht hat. Ich hoffe, du hattest recht, daß man ihm kein Trinkgeld geben durfte?«
»Aber natürlich. Er ist ein Nachbar mit einer ziemlich großen Farm.«
»Ach du meine Güte, wie eigenartig. Ich finde es sehr schwierig, in den Kolonien die Klassen auf den ersten Blick auseinanderzuhalten, obwohl, wenn ich es mir richtig überlege, dann sprach er ein gutes Englisch, und sein H ist ausgezeichnet. Mit der Zeit werde ich mich schon an die zwanglose Kleidung der jungen Kolonialbewohner gewöhnen. Als ich einen jungen Mann im bunten Hemd ohne Rock und Krawatte sah, habe ich natürlich nicht gedacht, daß er ein Gutsbesitzer ist.«
Lee lachte. »Wie feudal das klingt! Meine Liebe, wir sind doch nur Schaffarmer und kein bißchen vornehm, obwohl es den Harveys gutzugehen scheint. Dieses Durcheinander hier tut mir schrecklich leid. Donald sagt, die Frau käme morgen, um Ordnung zu schaffen.«
»Mein liebes Kind, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich bin gewohnt, mich durchzuschlagen. Zu der Zeit, als dein lieber Großvater im diplomatischen Dienst war, bin ich oft an den ausgefallensten Orten abgesetzt worden. Lager, wo die Maultiere praktisch den Wohnraum mit einem teilten. Ich habe auch oft mein Bett selbst machen müssen.« Ihrem triumphierenden Ton war zu entnehmen, daß sie allem gewachsen sei. Später ging Lee mit ihrem Mann einmal hinaus, vorsichtshalber, um ihm anzuvertrauen, daß Tante Hester unglaublich sei. »Sie hat keine Ahnung. In Auckland hat sie in einem ziemlich guten Hotel gewohnt, und sie erzählte mir, daß sie danach nichts mehr erschüttern könne. Warte nur mal ab, bis sie das Bad sieht.«
Aber Hester Connor war ein erstaunlicher Mensch. Nichts schien sie zu entmutigen, und sie bemerkte lediglich, daß das Bad viel bequemer sei als das Zeltbad, das sie auf einer Safari hatte benutzen müssen, und daß sie schließlich hergekommen sei, um ihre Nichte zu besuchen, und nicht, um das Klempnerhandwerk in Neuseeland zu erforschen. Sie war freundlich zu Grant und lächelte tolerant, als Lee erklärte, er habe gerade ein Diplom in Kunst erworben, wobei sie bemerkte, es sei äußerst interessant festzustellen, daß die Kunst in diesem jungen Land schon blühe. »Aber ich verstehe nichts davon«, gab sie zu, »da ich mehr mit den Realitäten des Lebens und dem Bemühen, dem Imperium zu dienen, beschäftigt war.« (Lee stellte belustigt fest, daß sie immer von Imperium sprach, an Commonwealth hatte sie sich offensichtlich noch nicht gewöhnt.)
Zu Andrew war sie ausgesprochen herzlich, denn sie schloß ihn in die, wie sie offensichtlich glaubte, äußerst vornehme Familie ein, aber als Lawrence beim Mittagessen eine gelangweilte Miene aufsetzte, rückte sie ihren Kneifer zurecht (den sie noch nach alter Art an einer Goldkette und an ihrem Kleid festgesteckt trug) und wies ihn sofort in seine Schranken.
»Komische alte Vogelscheuche«, sagte er später zu den anderen. »Es sieht aus, als würde sie sich ein Fernglas vorhalten und nicht diesen komischen Kneifer. Wo hat sie den denn ausgegraben?«
Trotz dieses kühnen Kommentars ließ sich der junge Mann von Miss Connors gezielten Fragen über die Dauer seines Aufenthalts so sehr beeindrucken, daß er noch am selben Nachmittag nach Ruru ging, um sich erneut um eine Unterkunft zu bemühen. Er war den ganzen Nachmittag weg, und Andrews gute Laune stieg beträchtlich, obwohl er Lee ganz offen gesagt hatte, er würde Grant nicht gerne abreisen sehen. »Ein guter Junge, und ich verstehe nicht, daß er mit Lawrence rumzieht.«
»Heldenverehrung«, erklärte ihm Lee. »Lawrence verkörpert das, was Grant gerne sein möchte, klug, gutaussehend, reich.« Bei dieser Beschreibung brummte Andrew nur verächtlich. Alle Hoffnungen wurden jedoch zerstört, als Lawrence zurückkehrte, um zu berichten, daß es ihm nicht gelungen war, eine Unterkunft zu finden. Alles war ausgebucht, und die kleinste Hütte vermietet. So habe ich mein Bestes getan, meine Lieben, und mir ein großes Zelt gemietet, weil niemand, absolut niemand, meine reizende Lee, ein paar arme Künstler auf nehmen wollte.«
»Aber was hast du denn mit diesem riesigen Zelt vor?«
»Es aufzuschlagen, mein kleines Dummerchen — auf einer von Andrews herrlichen Koppeln. Dann sind wir völlig unabhängig, natürlich abgesehen von einer Mahlzeit täglich, die uns die liebe kleine Lee sicherlich nicht verwehren wird. Ihr seht, ich habe nach einer ziemlich unfruchtbaren Zeit etwas recht Vielversprechendes gestartet.«
Lee verkniff sich die Bemerkung, daß der vielversprechende Start offensichtlich ein Flirt mit Kitty Macfarlane war, und meinte stattdessen, daß sie sich wohl besser überzeugen sollten, ob sie für die restlichen beiden Mahlzeiten das Notwendige dahätten. Zum Mittagessen könnten sie natürlich ins Haus kommen. Als sie dann an Grants gute Hilfe dachte und merkte, wie unbehaglich er sich in dieser Lage fühlte, sagte sie schnell: »Und natürlich kommt und geht ihr, wie es euch gefällt.«
»Vor allem gehen«, sagte ihr Mann später, als sie allein waren. »Soll das immer so weitergehen? Ich meine natürlich nicht Grant, aber wirklich, der andere Mensch...«
»Ich weiß, und es tut mir schrecklich leid, daß ich dir das angetan habe. Du hättest an unserer Hochzeit besser auf den Sekt aufpassen sollen. Aber es scheint wirklich, als meinte Lawrence es diesmal ernst, obwohl ich das vor drei Monaten bei Cynthia auch geglaubt habe. Na ja, Mrs. Macgregor hat ihn bestimmt richtig eingeschätzt, wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen.«
»Tante Hester ganz sicher auch. Sie ist eine seltsame alte Dame. Schlau sind diese Leute, trotz der ganzen vornehmen Manieren. Aber wo hat sie sich die ganze Zeit versteckt? Wenn dein Großvater vor zehn Jahren gestorben ist, hat sie genug Zeit gehabt, die Gouverneurstochter zu überwinden und ihre viktorianischen Ideen abzulegen.«
»Das sollte man meinen, aber, siehst du, sie ist mehrmals in den Orient zurückgekehrt, und wenn sie in England ist, lebt sie in diesem kleinen Dorf, das sie als seine Herrin betrachtet. Das ist wahrscheinlich noch der einzige Ort, der ihre Ideen schluckt, aber er tut es. Sie hat mir davon erzählt. Wirst du sie ertragen können?«
»Natürlich. Ehrlich gesagt, ich mag das alte Mädchen. Sie ist ein richtiger Kamerad und läßt sich nichts vormachen. Unser Lawrence hat das sofort erkannt und rechnet sich aus, daß seine guten Tage bei uns vorüber sind.«
Im Augenblick gab Tante Hester, die auf ihrem ungemachten Bett saß und weder dem schmutzigen Boden noch den fehlenden Vorhängen Beachtung schenkte, eine Erklärung für ihre unerwartete Ankunft. »Kein Lebenszeichen von deiner Mutter in Auckland, obwohl ich ihr eine Woche vorher geschrieben hatte, um ihr Tag und Stunde unserer Ankunft mitzuteilen. Glücklicherweise hatte ich ihre Adresse, und als ich mir schließlich eine Unterkunft beschafft hatte, rief ich sie zu Hause an, und da wurde mir von jemandem, der sich Haushälterin nannte, erklärt, daß die Familie schon seit zehn Tagen verreist sei.«
Ihre empörte Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß Miss Connor dies für äußerst rücksichtslos und Angelas leichtsinnigem Charakter völlig entsprechend hielt. Lee sagte eilig: »Dann hat sie deinen Brief bestimmt nicht bekommen. Ich habe ihr geschrieben, um ganz sicher zu sein, daß sie mir den Tag deiner Ankunft telegraphiert, damit wir für dich alles schön und bereit hätten — aber ich fürchte, das haben wir nicht.«
Davon wollte Tante Hester nichts wissen. »Ich bin in die Kolonien gekommen, und ich bin darauf vorbereitet, mich den Verhältnissen anzupassen. Außerdem haben mir die Leute erklärt, daß das hier das sogenannte >Hinterland< sei. Eine komische Bezeichnung, und sie kam mir so schrecklich amerikanisch vor.«
Am nächsten Tag setzte Donald Harvey Mrs. Drill vor ihrer Türe ab. Sie war eine sehr achtbare Person, bei der man sich gar nicht vorstellen konnte, daß sie ihre »schlechten Tage« hatte, an denen sie sich, so Donald, von der Außenwelt abschloß und sich hartnäckig durch eine Flasche Gin kämpfte. »Aber das ist der einzige Fehler an dem armen alten Mädchen, und Sie werden sehen, daß sie arbeiten kann«, sagte er, und als Lee eine Stunde lang zugesehen hatte, wie Mrs. Drill mit ungeheurer Energie und wenigen Worten die schmutzigen Böden in Angriff nahm, stimmte sie ihm gerne zu.
Wie sie jetzt merkte, war Donald beträchtlich älter als seine Schwester, ein gedienter Soldat, der — wie sie später erfahren sollte — vorzeitig eingerückt war und mehrere Jahre Krieg miterlebt hatte. Er war ein stiller, humorvoller Mensch, und man hielt es kaum für möglich, daß er der Sohn seiner Mutter war. Wieder konnte Lee nur vermuten, daß der verstorbene Mr. Harvey ausgesprochen gut ausgesehen und sehr nett gewesen sein mußte. Seine einzige Schattenseite war wohl seine Frau gewesen.
Bevor Donald sich verabschiedete, lud er die ganze Gesellschaft für Sonntag zum Tennis ein.
»Wir haben einen Tennisplatz, aber es wird zu selten gespielt, außer wenn die Sommerfrischler nach Ruru kommen. Kathleen und ich, wir freuen uns über Partner.«
Lee nahm die Einladung gerne an. Klar, Andrew könne sich sehr gut freimachen. Außerdem war es ohnehin Sonntag.
»Ihr Mann hat mir erzählt, daß Sie häufig mit ihm auf die Farm hinausgehen. Da sind Sie sicher sehr beschäftigt, aber für ihn ist es schön.«
Seine Stimme klang etwas wehmütig, und als er gegangen war, sagte Lee zu ihrem Mann: »Donald ist unheimlich nett. Wir müssen eine Frau für ihn finden. Ich glaube, Kitty Macfarlane wäre genau richtig für ihn. Sie kommt von einer schottischen Farm, und es wäre nett für sie, wenn sie sich in der Nähe ihrer Tante niederlassen könnte.«
»Du wirst sie doch nicht verkuppeln wollen. Das geht immer schief und du verdirbst alles. Und außerdem, was soll mit Lawrence werden?«
»Ich sage dir doch schon die ganze Zeit, daß er keine ernsten Absichten hat. Kitty mag so schön wie ein Gemälde sein, aber Lawrence würde nie ein einfaches Schottenmädchen heiraten. Auf unseren Lawrence wartet nichts Geringeres als die Tochter eines Regierungschefs. Zu schade, daß Kitty sich nicht um Grant kümmert. Ich bin sicher, der arme Kerl ist schrecklich in sie verliebt, aber er ist so bescheiden. Außerdem steht in seinem Horoskop...«
»Lee, jetzt sei mal vernünftig! Du mußt dieses Buch einfach verbrennen und damit aufhören, andere bevormunden zu wollen. Grant ist ein lieber Kerl, und es wäre mir völlig egal, wie lange er bleibt, aber ihm ist es unangenehm. Jetzt ist er dabei, dieses Zelt aufzuschlagen.«
Mrs. Harvey hatte die Wahrheit gesagt, als sie behauptete, Mrs. Drill würde gut arbeiten. Den ganzen Tag lang schrubbte und polierte sie, und am Abend waren Böden und Schränke makellos. »Und morgen mache ich mich an die Fenster«, sagte sie vergnügt und ging früh schlafen, um sich auf einen neuen Kampftag vorzubereiten.
Lee hatte sich etwas Sorgen gemacht, wie es ihrer Tante gefallen würde, sich mit der Reinemachefrau an einen Tisch zu setzen; aber sie hätte sich den Kopf nicht zu zerbrechen brauchen. Unter den vielen Dingen, die das Leben Miss Connor gelehrt hatte, war auch die wertvolle Kunst, die Herzen derer zu gewinnen, die für sie arbeiteten, und die sie seltsamerweise als »die unteren Klassen« bezeichnete. Als Mrs. Drill zwei Tage später ging und ein ordentliches und makelloses Haus zurückließ, war sie schon ganz in Miss Connors Bann.
Sie hatte beschlossen, zu Mrs. Harvey weiterzugehen, »für sie zu arbeiten und so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen«. Sie lieferte ihr eine begeisterte Beschreibung der Besucherin: »Eine echte Dame, das sieht man auf den ersten Blick. In diesem Teil der Welt gibt es sowas nicht nochmal.«
Dieses zweifelhafte Kompliment nahm Mrs. Harvey mit einiger Zurückhaltung auf, beschloß aber, den Neuankömmling so bald wie möglich zu besuchen.
»Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß sie diesen unordentlichen Haushalt sehr sympathisch findet«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Diese junge Mrs. Marsden ist offensichtlich keine Hausfrau. Wie sollte sie auch, wenn sie den ganzen Tag in Kattunzeug auf der Farm herumreitet und Sommersprossen auf der Nase bekommt?«
»Ich mag sie gerne«, sagte Kathleen ruhig. »Und sie trägt sehr gute Reithosen. Und Sommersprossen wird sie bei ihrer dunklen Haut nicht bekommen. Nein, ich gehe nicht mit. Gar nicht nötig, denn sie kommen am Sonntag zum Tennis.«
»Und bringen die zwei jungen Männer mit, die sich dort eingenistet zu haben scheinen. Ein seltsamer Haushalt und wohl kaum geeignet, eine Dame wie Miss Connor zufriedenzustellen. Wie ich höre hat sie sich immer in Regierungskreisen bewegt. Eigenartig, denn man würde nie glauben, daß dieses Mädchen vornehme Verwandte hat. Ich muß sie einfach besuchen. Ich möchte sie bitten, am Sonntag mit den anderen zu kommen.
Mrs. Harvey rief an, um ihre Absicht kundzutun, erhielt aber keine Antwort. Das konnte sehr leicht geschehen, denn Lee war häufig außer Hause, und Miss Connor weigerte sich entschieden, vom Läuten eines Telefons Notiz zu nehmen, besonders bei einem Sammelanschluß. So kam es, daß es im Haus totenstill war, als Mrs. Harvey dort eintraf. Entschlossen drang die Besucherin bis hinter das Haus vor und wurde von einem erstaunlichen Anblick überrascht. Die Dame, die sich immer in Regierungskreisen bewegt hatte, mühte sich damit ab, ein paar widerspenstige Lämmer zu füttern. Sie trug die weite Sackschürze, die Lee normalerweise bevorzugte, ihr Kneifer saß schief, und ihre aristokratische Wange war völlig verschmiert. Nichts vermochte jedoch ihr würdevolles Auftreten zu beeinträchtigen.
»Mrs. Harvey? Ach ja! Ihr liebenswürdiger Sohn hat mich gerettet und mich hierher gebracht. Wie nett von Ihnen, mich zu besuchen. Wie Sie sehen, bin ich in leichten Schwierigkeiten. Obwohl ich alle Tiere gerne mag, habe ich noch nie mit Lämmern zu tun gehabt, und dieses Kleine kann ich nur schwer zum Trinken bewegen.«
Mrs. Harvey war außer sich. »Aber man verlangt doch wohl nicht von Ihnen, daß Sie Lämmer füttern?«
»Man verlangt es ganz bestimmt nicht.« Miss Connors Stimme klang beschwichtigend, und die Besucherin erkannte, daß sie einen Fehler gemacht hatte. »Aber meine Nichte kommt heute spät zurück. Das hat irgend etwas mit einem Bullen zu tun, der in die falsche Koppel geraten ist. Ich glaube, das sind schwierige Wesen. Ich wollte nicht, daß Lee von blökenden Lämmern begrüßt wird, wenn sie müde zurückkommt, und deshalb dachte ich, ich versuche es. Aber Sie sind wahrscheinlich viel erfahrener als ich und lieben Tiere.«
Mrs. Harvey murmelte irgend etwas Unverbindliches, denn in Wirklichkeit mochte sie die Tierwelt nicht und betrachtete sie nur als bequeme Geldquelle. »Am rechten Ort ja«, gab sie zu, und Miss Connor lächelte.
»Da ist meine Nichte anderer Ansicht. Ich persönlich habe noch nie so nahen Kontakt zu Tieren gehabt, und Lämmer sind bedauerlich primitiv in ihren persönlichen Gepflogenheiten. Aber ich mag sie gerne, trotz ihres Geruchs. Natürlich gewöhnt man sich im Orient an viele Gerüche, und Ziegengeruch ist noch durchdringender. Tja, ich glaube, wenn ich dieses Lämmchen fest zwischen meine Knie klemme, und Sie die Flasche halten...«
Mrs. Harvey wollte einwenden, daß sie nichts vom Lämmerfüttern verstehe, daß man auf ihrer Farm die Zeit nicht so vergeude, daß sie ein gutes Kleid anhabe und Lämmer schmutzige Tiere seien. Aber sie sagte nichts; statt dessen nahm sie die Flasche an, so daß Lee, als sie später in den Hof ritt, ihre Tante erblickte, die ein Lämmchen fest im Griff hatte und befriedigt erklärte: »Wenn Sie ihn — oder ist es eine Sie? — überreden könnten, etwas langsamer zu trinken. Ah ja, ich sehe schon, Sie sind richtig naturverbunden.«
Der Anblick von Mrs. Harveys zusammengeknotetem Rock und ihrem Gesichtsausdruck, in dem sich Hilfsbereitschaft für Miss Connor und Abscheu vor etwas so Gewöhnlichem wie einem Lamm vereinten, erschreckte und belustigte Lee zugleich. »Oh, wie nett von dir«, rief sie und versuchte, nicht zu lachen, »aber das sollst du doch nicht... Und Sie auch nicht, Mrs. Harvey. Tante Hester, wie konntest du nur?«
Mrs. Harvey zog ihren Rock herunter, und Tante Hester versuchte, einen vielsagenden belustigten Blick mit Lee zu tauschen. Auf jeden Fall hatte die unangenehme Aufgabe das Eis völlig gebrochen, und als sie sich verabschiedete, tat sie es mit dem guten Gefühl, daß ihr Kleid zwar zerknautscht und ihre Strümpfe schmutzig waren, sie aber das Vertrauen der ausgesprochen exzentrischen Dame, die jedoch als Tochter eines früheren Gouverneurs gebildet sein mußte, gewonnen hatte.
»Und wir erwarten Sie am Sonntag«, rief sie fröhlich, als sie in ihren Wagen stieg.
Hester Connor blickte ihr nachdenklich nach. »Ich habe schon oft beobachtet, daß die Tierwelt im Menschen das Beste hervorruft«, bemerkte sie scharfsinnig. »Diese kleine Frau wurde erst richtig menschlich, als sie einem hungrigen Lämmchen die Flasche gab.«
Lee lachte. »Es ist auch etwas schwierig, Eindruck zu machen, wenn man besabbert wird. Aber Tante Hester, du hättest dich mit den kleinen Biestern nicht abmühen sollen.«
»Unsinn. Ich habe beschlossen, die Lämmer zu übernehmen.
In der Hausarbeit bin ich nicht so sehr geübt, aber ich liebe Tiere, und Lämmer sind für mich etwas Neues.«
Sie hielt Wort, und die Lämmer gediehen, und ihre Manieren verbesserten sich unter der würdigen Führung.
Lee, die sich auf das Tennisspiel freute, war überrascht, daß Andrew überhaupt keine Begeisterung zeigte. »Das Vieh...«, begann er.
»Unsinn. Das Vieh kann gut bis morgen warten. Du hast neulich selbst gesagt, daß es nicht eilt. Wie dem auch sei, du solltest einmal einen freien Tag haben.«
»Einen freien Tag? Nennst du das einen freien Tag, wenn ich mich verrückt verkleide und stundenlang auf einem heißen Tennisplatz herumhüpfe oder mit Mrs. Harvey Unsinn rede, wenn wir gerade nicht spielen? Ich stelle mir vor, daß ich an einem freien Tag am Strand in der Sonne liege und nicht einmal denke.«
Lee war über diesen mangelnden Unternehmungsgeist wütend, aber ihre Tante sagte beschwichtigend: »Meine Liebe, nimm dir’s nicht zu Herzen. Die Männer sind alle gleich. Dein lieber Großvater hat bei gesellschaftlichen Verpflichtungen immer schrecklich protestiert, und dann hat es ihm so gefallen, daß er sich nur schwer überreden ließ, zu einer normalen Zeit nach Hause zu gehen. Du wirst sehen, daß Andrew genauso ist und vorbringen wird, es sei lächerlich, so früh zu gehen, wo das Licht doch noch so gut ist.«
Lee sah ihre Tante interessiert an. Sie begann zu begreifen, daß Tante Hester, obwohl sie nicht verheiratet war, fast alles über Männer oder vielmehr über Menschen überhaupt wußte.
Als der Sonntag kam, hatte sich das Auto wohl leider von Andrews Widerwillen anstecken lassen; es weigerte sich zum ersten Mal zu starten und zeigte eine allgemeine Bockigkeit, die später zur Gewohnheit werden sollte. Andrews Laune wurde dadurch nicht gerade besser. Wie jeder Besitzer eines etwas unansehnlichen Autos hatte er immer erklärt, daß es vielleicht nicht nach viel aussehe, ihn aber noch nie habe sitzen lassen und eine Hauswand hinauffahren könne. Heute zeigte es sich nicht einmal geneigt, auch nur einen sanften Hang hinaufzufahren. Andrew drehte verärgert den Zündschlüssel hin und her, stieg aus, machte die Kühlerhaube auf, rüttelte mit einer Miene profunden Wissens, aber wenig tatsächlicher Sachkenntnis an verschiedenen Drähten, prüfte das Benzin und suchte nach dem Kurbelgriff, der sich schließlich in der Küche fand, wo Lee ihn als Schürhaken gebraucht hatte. Andrew kurbelte wild los und fluchte leise vor sich hin, denn er mußte sich wegen Hester Connors Gegenwart etwas zurückhalten. Er machte gerade eine Pause und wischte sich die nasse, gefurchte Stirn, als Lawrence wie aus dem Ei gepellt in Tennishosen und Universitätsblazer vom Zelt herübergeschlendert kam.
»Irgendwelche Schwierigkeiten?« fragte er unnötigerweise, und Andrew verbiß sich nur ungern die passende Antwort. »Kommt besser in meinen Wagen und überlaßt das alte Vehikel seinem Schicksal. Ist genügend Platz für uns alle.«
Lee sah, wie die blanke Wut über Andrews Gesicht blitzte, und sagte schnell: »Oh, ich bin sicher, es wird gleich anspringen. Hilf nur mal schnell schieben, Lawrence.«
Das traf verständlicherweise auf heftigen Protest. Der Schuppen, der als Garage diente, lag in einer kleinen Mulde, und die Vorstellung, den schweren alten Wagen den Abhang hinaufzuschieben, widerstrebte Lawrence natürlich. »Warum zum Teufel...«, begann er, traf auf Hesters stahlharten Blick und schluckte. »Was ist der Sinn der Sache?« begann er erneut. »Warum zwei Autos, wenn eines genügt? Morgen werde ich es ins Schlepp nehmen, wenn es nicht starten will, und dann kann einer von uns es nach Ruru bringen. Es ist am vernünftigsten, heute mit meinem zu fahren.«
Andrew warf dem herrlichen Auto einen bösen Blick zu und willigte dann widerstrebend ein. Seine Laune verbesserte sich nicht gerade, als er hörte, wie Lee Grant anvertraute, sie sei sicher, das Auto kenne Andrew in- und auswendig. »Denn schließlich sind sie ja zusammen alt geworden — deshalb merkte es, daß Andrew nicht gehen wollte, und benahm sich dementsprechend.« Gleichzeitig vertraute Lawrence Miss Connor an, daß er persönlich nicht viel davon halte, sein Herz an ein Auto zu hängen, und daß er seines alle zwei Jahre wechsle. Darauf entgegnete sie, daß sie ihrerseits alte Wagen für vornehmer halte, wie alte Möbel und altes Silber. Sie trügen alle einen bestimmten Stempel. Als Andrew sah, wie eine leichte Röte Lawrences Hals hinaufstieg, begann er sich besser zu fühlen.
Vom Standpunkt der jungen Leute aus war der Nachmittag mit Sicherheit gelungen. Wie er Tante Hester gefiel, darüber äußerte sie sich nicht, sondern bemerkte lediglich, daß ihre Gastgeberin ihr jedes einzelne Kleid von der königlichen Gartenparty beschrieben habe, wobei sie gleichzeitig erklärte, daß sie natürlich als einzige aus dieser Gegend eingeladen war.
»Und was hast du darauf gesagt, Tante Hester?« fragte Lee mit einem Augenzwinkern.
»Ich bemerkte, daß es meines Wissens nur darum ging, den Namen im Regierungspalast einzutragen, aber daß man hier vielleicht anders verfahre, und die Veranstaltungen exklusiver seien«, erwiderte Hester stolz.
Die Geschwister Harvey waren beide ausgezeichnete Tennisspieler, und Lawrence hatte in der Universitätsmannschaft gespielt. Das Erscheinen von Kitty Macfarlane schien jedoch mit einem Erschöpfungsanfall seinerseits zusammenzutreffen, und er zog sich in den Schatten einer alten Weide zurück, die ganz in der Nähe des Tennisplatzes wuchs. Hier saßen die Nichtspieler in ziemlich gelangweiltem Schweigen, bis Kitty kam, und die Männer — wie Lee bemerkte — plötzlich wieder ausgesprochen lebendig wurden.
Mrs. Harvey begrüßte Kitty gnädig. Miss Connor, die neben ihr saß, vertraute sie mit halber Stimme an: »Die Macgregors sind sehr gute Nachbarn, obwohl sie absolut nicht... Sie verstehen mich? Aber Kathleen bestand darauf, das Mädchen einzuladen, und es machte einen netten Eindruck...«
»Ganz bestimmt nett für die Herren«, erwiderte Hester scharf, die feststellte, daß Lawrence sich plötzlich in den Schatten des Baumes zurückgezogen hatte, Grant einen leichten Ball verschlug und Donald Harvey seinen ersten Doppelfehler des Tages eine Minute nach Kittys Ankunft machte.
»Nein, ich spiele nicht Tennis«, sagte Kitty mit einer Aufrichtigkeit und Bescheidenheit, die Lee persönlich noch besser gefielen als ihr Gesicht. »Wir hatten keinen Tennisplatz zu Hause. Was sollten Farmer wie wir damit anfangen?«
Nach dieser Bemerkung lag ihr die ganze Gesellschaft noch mehr zu Füßen, Mrs. Harvey vielleicht ausgenommen, und Hester Connor stellte mit schrecklich lauter Stimme fest, daß es nach ihrer Erfahrung keine bessere Erziehung als die des schottischen Farmers gebe. Keinerlei Angabe. Keine Vorspiegelung falscher Tatsachen.