14
Zwei Abende vor Neujahr hatte »Die Shakespeare-Amateurtruppe«, wie sie auf vielen, schnell gedruckten Plakaten an Telephonhäuschen und Geschäften großartig bezeichnet wurde, vom Saal in Ruru für die Generalprobe Besitz ergriffen. Trotz der Betäubung, in der Lawrence sich seit Kittys unglaublicher Zurückweisung befand, war es ihm gelungen, die Kulissen fertigzumalen. Grant, der unerklärlicherweise während der letzten Wochen häufiger abwesend war und ein Gesicht machte, in dem auf sonderbare Weise schlechtes Gewissen und Triumph sich vermischten, hatte Zeit gefunden, sowohl die letzte Hand an den Ardenner Wald zu legen, der jetzt leicht als Wald zu erkennen war, wie sich selbst in den beiden kleinen, aber von ihm zutiefst verabscheuten Rollen zu vervollkommnen. Mrs. Harvey hatte ausreichend Kostüme für den größten Teil der Schauspieler zusammengetragen, und die übrigen aus Tischtüchern, Gardinen und alten Karnevalskostümen zusammengeschustert, und jetzt strahlte sie vor Stolz und hätte am liebsten alles in die Hand genommen. Um dem vorzubeugen, hatten die Spieler den Professor soweit gebracht, nicht nur als Souffleur und Vortragender, sondern auch als, wenn auch etwas nervöser Theaterleiter zu fungieren.
Bei all diesen Unternehmungen hatte Cynthia sich als erstaunlich tüchtig und hilfsbereit erwiesen. Sie mochte zwar, wie Sally behauptete, eine berechnende Frau und schamlose Männerjägerin sein, zumindest aber hatte sie Verstand und Takt. Ob sie viel von Lawrences vorübergehender Liebe zu Kitty und deren Ende ahnte, das wußte niemand. Sie ließ sich nichts anmerken und erwies sich nicht nur als vollkommene Schauspielerin, sondern auch als umsichtiger Gast. Andrew mußte zugeben, daß, wenn ihnen schon noch ein Eindringling mehr aufgebürdet werden mußte, sie zumindest eine Hilfe war, worauf Lee fröhlich zurückgab, daß auch das nur ein Vorurteil sei, weil in diesem Fall die Einladung von ihm selbst ausgegangen sei.
Am Tag der Generalprobe aßen alle um fünf Uhr reichlich zu Abend und quetschten sich dann in die verschiedenen Autos.
Cynthia füllte ihren Wagen bereitwillig mit Zubehör und Kostümen, und Kathleen rief an, um zu sagen, daß ihr Bruder Kitty abholen würde. »Ja, Donald kommt, er kann zumindest dabei helfen, die Bühne herzurichten; er hat ein ganz schlechtes Gewissen, weil es ja schließlich Mutters Veranstaltung ist.«
Der Pfarrer, der nur einer Probe beizuwohnen vermocht hatte, sich dann aber in der Rolle von Antonio als sehr gut erwiesen hatte, würde sie im Saal treffen, und Tante Hester hatte sich angeboten, auf die Estrade-Kinder aufzupassen, die in Lees Haus ihrer Obhut anvertraut wurden. Der Ortspolizist hatte sich entschlossen, aus Anlaß seiner möglicherweise ungesetzlichen Vorhaben Ruru ausnahmsweise allein zu lassen und dann nicht nur seine Rolle zu deklamieren, sondern auch »bei allem zur Hand zu gehen«.
Es war ein ziemlicher Schlag, als alle in die verschiedenen Wagen verladen waren, entdecken zu müssen, daß Andrews zuverlässiger Freund erneut den Dienst verweigerte. Das, so erkannte Lee, gab ihrem Mann den Rest. Nach kräftigem Schieben, Abschleppen und Fluchen erwachte die Maschine widerwillig zu neuem Leben, aber alle merkten, daß es wahrscheinlich nur ein vorübergehendes Aufflackern sein würde. Von allen Seiten kamen Ratschläge, und immer von den Fahrern besserer Wagen, aber schließlich erklärte Andrew sich bereit, an der Spitze der Kolonne zu fahren, damit die anderen ihm jederzeit beistehen konnten.
Als sie abfuhren, sagte er murrend zu Lee: »Scheußlich für dich, in einem so alten Monstrum fahren zu müssen.«
»Ich würde lieber mit dir in einem Kinderwagen fahren als in einem Rolls Royce mit jemand anders«, verkündete seine Frau in liebevoller Übertreibung, «und außerdem, Liebling, weiß er natürlich, wie wir uns fühlen — er mag Schauspiele genausowenig wie du und ich.«
Diese ausgefallene Feststellung ermunterte Andrew wieder; er lachte kurz und nahm unklugerweise die Hand vom Steuer, um die ihre zu drücken, fuhr dabei eine Parabel über die schmale Straße, was Lawrence wiederum, der dicht hinter ihm fuhr, mit Angst erfüllte.
Das nächste Unglück ereignete sich, als sie den Saal erreichten, wo sie den strahlenden Polizisten mit Namen Palmer vorfanden, der drei große Aspidistras aus der Familie der Liliengewächse, gefolgt von einem Schwung Topfpflanzen, aus seinem Wagen lud.
»Meine Frau meinte, sie würden den Wald etwas naturgetreuer machen. Die Gemälde der jungen Männer sind zwar höchst interessant, aber ein paar lebende Pflanzen machen so viel aus.«
Das Gesicht, das Lawrence beim Anblick dieser Flora machte, heiterte Andrew etwas auf, als er verbissen wegfuhr, um seinen Wagen am nächsten Abhang zu parken und sich auf diese Weise zu vergewissern, daß der unwürdige Start von vorhin sich nicht wiederholte. Bei sich selbst brummte er: »Und warum nicht? Besser als das gräßliche Zeug, das er selbst gemalt hat. Und warum sollte jemand auch extra Farne aus dem Busch holen, nur für eine Nacht? Das nenne ich Barbarei.«
Aber Lawrence sah es in einem anderen Licht. Er hatte schon den Vorschlag übelgenommen, »realistische« Farne auf die Bühne zu bringen; diese eingetopften Scheusale aber waren einfach unmöglich. Er und Cynthia starrten sie in stummem Schrecken an. War es möglich, daß alle diese Pflanzen aus einem kleinen Häuschen kamen? In diesem heiklen Augenblick erschien Hugh Knight. Er erfaßte die Situation mit einem belustigten Blick und sagte gelassen: »Tja, das war eine sehr originelle Idee von Ihnen, Dean. Auf so etwas stößt der Bühnendekorateur nicht alle Tage.« Dann meinte er zum Polizisten, der die Aufnahme seiner Kostbarkeiten ängstlich beobachtete: »Nett von Mrs. Palmer, daran zu denken. Ich weiß, wie sehr sie ihre Pflanzen liebt, aber wir werden aufpassen, daß sie keinen Schaden nehmen, nicht wahr, Miss Jordan?«
Cynthia war der Situation gewachsen und versprach, die Aspidistras und ihre kleinen Schwestern unter Einsatz ihres Lebens zu bewachen. Während Jack Palmer mit höchst zufriedener Miene die Pflanzen verteilte, murmelte Knight dem zürnenden Lawrence beschwichtigend zu: »Es bedeutet sehr viel für sie, verstehen Sie, und uns tut es nicht weh. Den Leuten wird es gefallen. Es gibt dem Ganzen doch eine recht phantastische Note, nicht wahr?«
In diesen gelassenen Worten klang eine Spur von Autorität mit, und Lee sagte ganz leise zu Sally: »Das ist der richtige Pfarrer. Er weiß, worauf es ankommt, und Lawrence konnte nicht anders als nachgeben.«
Auch Grant stand auf der Seite des Polizisten und stellte fest, daß seines Wissens im Ardenner Wald Aspidistras geblüht haben könnten.
Als Lee jetzt half, die Bühne herzurichten, und für einen Augenblick hinter die Kulisse geriet, wurde sie erneut zum unfreiwilligen Lauscher. Das wird wirklich zur Gewohnheit, dachte sie verzweifelt. Sie mußte in ihrem Horoskopbuch nachsehen und herausfinden, ob das für Jungfrauen typisch war. Diesmal war es Sally, die sich soeben einen ihrer lebhaften Wortwechsel mit Donald gönnte.
»Du hättest helfen können. Schließlich war es ja deine Mutter, die es wollte.«
Und dann kam Donalds Stimme unfaßbar gelassen und leicht belustigt. »Aber ausgerechnet du wirst doch nicht von einem Farmer erwarten, daß er sich einem intellektuellen Zeitvertreib hingibt?«
»Wie gerne du darauf herumreitest — immer wieder darauf zurückkommst. Genau wie ein Papagei, der dieselbe dumme Bemerkung so lange wiederholt, bis sie einem zum Halse heraushängt.
An diesem Punkt schien Lee es ratsam, hinter den Kulissen hervorzukommen und laut zu sagen: »Nun, wie sieht es aus? Ich glaube, das ist ganz hübsch für Der Widerspenstigen Zähmung, meinst du nicht auch, Donald?«
»Ganz hübsch«, kam die gelassene Antwort. »Jeder wird fasziniert sein, die Widerspenstige und ihren unglücklichen Bändiger anstarren. Was bedeuten da schon Kulissen?«
Nein, wirklich, dachte Lee, er konnte unnötig herausfordernd sein. Was mochte Sally gesagt oder getan haben, um solche Ablehnung zu wecken? Wieder war es der Pfarrer, der durch sein Erscheinen ablenkte; er berichtete, das ganze Dorf vergehe buchstäblich vor lauter Aufregung, und es gehe das Gerücht, daß schon alle Sitzplätze und wahrscheinlich auch die Stehplätze ausverkauft seien.
»Wir sollten Der Widerspenstigen Zähmung zuerst nehmen, finden Sie nicht?« schlug der Professor freundlich vor. Er war ein sehr schüchterner Theaterleiter, aber Andrew hatte ihm eingeschärft, »hart durchzugreifen und diese Künstlertypen sich nicht zanken zu lassen«.
Sally, die vor Ärger noch einen roten Fleck auf jeder Backe hatte, gab als Katharina ihr Bestes, aber Petruchio war leicht enttäuschend. Nach der Hälfte hielt Sally inne und drohte:
»Reiß dich zusammen, Lawrence. Verdammt nochmal, so häßlich bin ich auch wieder nicht.«
»Warum müssen wir heute noch mal proben?« fragte ihr Freier matt. »Es ist grauenhaft heiß, und wir kennen das Ding in- und auswendig. Es reicht doch, wenn wir alles schnell durchspielen und sehen, wie lange es dauert.«
»Oh, wenn dein Genius so kostbar ist, dann mußt du ihn dir auf alle Fälle zu erhalten versuchen«, fuhr Sally ihn an, und irgend jemand lachte.
»Verdammt gut gesagt«, brummte eine Stimme im Publikum, eine Stimme, die Sally erkannte.
Mit einem durchbohrenden Blick in Donalds Richtung nahm sie ihr Stichwort auf, und allgemeines Gelächter ertönte, als sie zu der Ecke hin, in der ihr Gegner stand, die Worte sprach:
»Eh’ will ich nächsten Sonntag dich gehenkt sehn.«
Die Gerichtsszene aus Der Kaufmann von Venedig ging glatt. Kathleen war schön und einer Portia angemessen, und es gelang ihr sogar, das Gnadengesuch, eine Falle für jeden begeisterten Amateur, gut hinter sich zu bringen. Hugh Knight spielte Antonios Rolle mit ergreifender Würde, die sogar einen kurzen Applaus hervorrief, aber als Portia sich ihm zuwandte und fragte: »Was könnt Ihr für ihn tun, Antonio?«, weckte irgend etwas in ihrem Ausdruck und in ihrer sanften Stimme eine seltsame Rührung bei Lee.
Wie dumm ich doch war, dachte sie plötzlich erschreckt. Hier, direkt vor meinen Augen, ist soviel Sympathie und Gefühl, die überhaupt nicht gespielt zu werden brauchen. Das ist die Wirklichkeit, und nicht erst seit gestern. Die beiden lieben sich, und ich hätte nicht im Traum daran gedacht. Dabei habe ich versucht, Kathleen mit Grant zusammenzubringen oder mit sonst jemand, der mit diesen gräßlichen Kindern fertig wird. Lieber alter Grant, der in Kitty verliebt ist. Ach du lieber Himmel, Andrew hat recht. Ich habe bei solchen Sachen keine sehr glückliche Hand.
Sie hatten die Reden des Dogen zu noch größerer Knappheit zusammengestrichen, weil Jack Palmer kläglich sagte, er könne nicht soviel auf einmal behalten. Trotzdem mußte er immer aufgefordert werden, auf seine Stichwörter zu achten; als er es dann tat, sprach er die Worte mit klangvoller Ergriffenheit, die dem Sprecher offensichtlich Freude machte. Die anderen scharten sich zum Schluß um ihn und versicherten, wie gut er gewesen war, und er konnte sich gar nicht genug darüber freuen.
»Es wird ein großer Abend für mich sein«, sagte er mit kindlichem Stolz, »mit soviel Damen und Herren auf der Bühne zu stehen, die wirklich Theater spielen können. Das ist richtige Bildung.«
Lee fand ihn auch köstlich und beschloß, Mrs. Palmer zu besuchen, um, sollte sie auch nur annähernd so nett sein wie ihr Mann, die Aspidistras in ihrer eigentlichen Umgebung zu bewundern.
Die zwei Szenen aus Wie es Euch gefällt fielen ziemlich schwerfällig aus. Aus irgendeinem Grund wirkte Sally plötzlich apathisch, brachte kein Feuer in die Werbeszene, geriet sogar ein- oder zweimal ins Stocken und zuckte dann unbekümmert die Achseln, als die anderen protestierten. Als sie jedoch an die Stelle kam: »So will ich Euch für den feierlichsten Wortbrecher halten und für den falschesten Liebhaber«, sprach sie statt in dem leichtfertigen, spaßhaften Ton, den die Rolle verlangte, mit einer plötzlichen Heftigkeit, einer verbissenen Wut, die alle überraschte.
Im nächsten Augenblick war die Leidenschaft verebbt, und sie lachte vergnügt, als die Szene zu Ende war. Trotzdem entstand eine unangenehme Pause, und der Professor meinte behutsam:
»Wenn ich vorschlagen dürfte... nicht, daß ich eine Autorität wäre... aber Rosalinde scherzt doch bestimmt, wenn sie Orlando so schilt, meinen Sie nicht?«
Sally lachte wieder. »Habe ich etwas übertrieben? Oh je, das tut mir leid. Ich verspreche Ihnen, lieber Professor, morgen abend die gute Laune in Person zu sein. Aber an dieser Stelle muß ich in mein Hochzeitskleid steigen. Jetzt kommt dein Auftritt, Kitty. Fang mal mit deinen Liedern an, und dann werden wir sehen, wie lange Kathleen und ich zum Umziehen brauchen.«
Kitty kam nach vorne, und frei von jeder Hemmung oder Geziertheit sang sie vor dem leeren Saal und der kleinen Gruppe verständnisvoller Zuhörer, die sich hinter ihr auf der Bühne versammelt hatte, sehr lieblich vier Shakespearelieder, süß und rein, das hübsche kindliche Gesicht erfüllt von Glück. In ihrem zweiten Lied aus Was Ihr wollt schien sie vollends aufzugehen, und »Liebe find’t zuletzt ihr Stündlein« war so offensichtlich in die Ecke der Bühne gerichtet, wo Grant stand, daß es fast einer öffentlichen Liebeserklärung gleichkam.
Als die letzten Worte verhallten, wandte Lawrence ihr mit der gemurmelten Bemerkung, er müsse sich für den nächsten Auftritt fertig machen, abrupt den Rücken. Es war vielleicht nicht rein zufällig, daß Cynthia, die neben ihm stand, ihre Hand auf seinen Arm legte und leise sagte: »Was für eine hübsche Stimme und was für ein hübsches kleines Mädchen. Die beiden werden gut zusammenpassen, nicht wahr, mein Lieber? Zwei unkomplizierte Menschen.« Lee hörte Lawrences Antwort: »Das sind nicht die einzigen Toren — ich war einfach ein Narr.« Cynthia schwieg und sagte dann ruhig, ohne jeden Zynismus: »Ein Narr? Nun, sind wir das nicht alle?«, und dabei lächelte sie ihn an. Lawrence zuckte die Achseln, dann lächelte er fast gegen seinen Willen zurück, und bei diesem Lächeln und Achselzucken begriff Lee, daß Kitty nun in die Sammlung der >hübschen kleinen Mädchen, die ich einmal kannte<, verbannt war. Aber Cynthia, meinte sie, würde bleiben.
Als nach Kittys Liedern Sally wieder auf die Bühne schwebte, schien sie ihre gute Laune wiedergefunden zu haben. Die Szene lief fröhlich ab, und zum Schluß faßten sich die Schauspieler bei den Händen und tanzten ein paar Schritte des traditionellen Tanzes. Als alles vorüber war, bemerkte Mrs. Harvey mit höchster Befriedigung, daß es eine phantastische Aufführung sei, doch Lawrence fand, nachdem bei der Generalprobe alles so gut gegangen sei, müsse man für die Hauptvorstellung die schlimmsten Befürchtungen haben.
Als sie die Stätte ihrer Taten verließen, war die Bühne bereits für die Gerichtsszene hergerichtet, davor die Kulissen für die Szene aus Der Widerspenstigen Zähmung, die einmal als »Raum in einem modernen Haus« und dann wieder als »Palast im alten Rom« ausgegeben wurden, an beides jedoch herzlich wenig erinnerten. Alle erklärten, daß es eine gute Gelegenheit sei, früh ins Bett zu gehen, und dann sagte jemand: »Aber den guten Andrew lassen wir am besten zuerst fahren. Wo ist er übrigens?«
In diesem Augenblick kam der gute Andrew in seinem alten Wagen angefahren und rief nach Lee, die ihr Stichwort wie eine erfahrene Schauspielerin ergriff, durch die offene Wagentüre sprang, ohne das Risiko eines nochmaligen Wagenstops auf sich zu nehmen, und vergnügt über die Schulter rief: »Ich wette, das Rennen gewinnen wir«. Da die Straße schmal war, überholen also fast unmöglich, und allen daran lag, den Wagen von Marsdens sicher zu Hause ankommen zu sehen, hätte sie ihre Wette leicht gewinnen können.
»Die Kinder schlafen. Sie meinten wohl, es wäre eine gute Gelegenheit, um aufzubleiben, aber ich habe ihnen versichert, sie könnten auch im Schlafanzug nach Hause gefahren werden. Sie waren etwas ausgelassen, aber ich habe immer gefunden, daß Strenge bei Kindern und Beamten die richtige Waffe ist«, sagte Tante Hester gelassen, und Lee lachte. Es mußten schon andere als Robin und Joan kommen, um die Gouverneurstochter unterzukriegen.
Obwohl Lee nicht mitgespielt hatte, sah sie doch äußerst müde aus. Andrew blickte noch mürrischer als gewöhnlich, und seine Frau fragte sich ängstlich, ob der Gastgeber dieser ungewöhnlichen Hausgäste noch weitere sechsunddreißig Stunden durchhalten würde. Sie war jedoch zu erschöpft, um ihn zu besänftigen, und als sie schließlich im schützenden Badezimmer allein waren, fragte sie ziemlich gereizt: »Warum machst du ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter? Es macht dir doch bestimmt nichts aus, ein paar Kulissen zu schieben?«
»Kulissenschieben macht mir nichts aus, aber ich habe es satt, sie auf der Bühne grinsen und hüpfen zu sehen.«
»Wirklich, Andrew, du bist unmöglich. Sie grinsen nicht und sie hüpfen nur, wenn es notwendig ist. Sie sind sehr gut.«
»Vielleicht. Ich will mich nicht zum Richter aufspielen, du mußt es ja besser wissen.«
»Jetzt fang nur nicht mit dem Blödsinn von Donald Harvey an: >Ich bin nur ein ungebildeter Farmer.< Das ist zu langweilig. Ich wundere mich nicht, wenn Sally ihn anfährt.«
»Donald ist schon in Ordnung. Er ist um einiges besser als diese ganzen Typen, die Sally immer aufliest. Nicht, daß irgendetwas an Dennis auszusetzen wäre, aber...«
»Aber du hast etwas gegen jeden einzelnen von meinen alten Bekannten. Das ist es, und das ist ziemlich kleinlich und albern.»
Andrew starrte sie erstaunt an. Er hatte nie im Traum daran gedacht, daß Lee so mit ihm sprechen würde. Um ehrlich zu sein, überlegte er unglücklich, hatte er sie noch mit niemand so sprechen hören, nicht einmal während der aufreibenden Tage, als alle diese komischen Gäste herumschwirrten. Und jetzt ließ sie ihre Wut an ihm aus. Er zögerte und kam dann zu dem Schluß, wie Ehemänner das zu tun pflegen, daß die kleine Frau müde sei und ein Mann Geduld zeigen müsse. Daher sagte er sanft: »Aber so denke ich doch gar nicht. Wenn du genau wissen willst, was mich ärgert — ich fand es nur gräßlich, Sally in deinem Hochzeitskleid herumstolzieren zu sehen.«
Sofort schmolz Lee dahin, und ihr Gesicht an seine Schulter gekuschelt, gestand sie, daß es ihr auch nicht recht gewesen sei, aber er müsse versprechen durchzuhalten. Ganz bald sei ja alles vorbei, und dann — das sagte sie mit einem leisen Lächeln, das den Tränen nahe war — dann würden ganz bestimmt die immerwährenden Flitterwochen beginnen. Hatten die Sterne das nicht prophezeit?
Dieses Mal verspottete Andrew sie nicht. Er streichelte sie nur und sagte, morgen würde alles gut sein.
Und damit mußte Lee sich zufrieden geben. Erst als sie nachts aufwachte, als der gelbe Kater wie üblich mit dumpfem Aufschlag durchs Fenster sprang und mit einem zweiten Bums auf ihrem Bett landete, wurde ihr in fast panischer Angst bewußt, daß sie und Andrew beinahe ihren ersten bösen Streit gehabt hätten. Sie hatte ihn wirklich als kleinlich und albern bezeichnet. Wie schrecklich von ihr. Sie weckte ihn, um es ihm zu sagen und wunderte sich, als er lachte, Kater wie üblich vom Bett stieß und sofort wieder einschlief. Für sie war es nicht zum Lachen gewesen.
Lee schlief lange am nächsten Morgen, und Andrew dachte, daß sie, wie sie so dalag, sehr klein und hilflos aussah. Warum sollte sie sich so aufopfern? Tante Hester war fast die einzige, die Rücksicht auf sie nahm. Nach diesen ungerechten Gedanken war es wie ein Vorwurf, als er Sally sehr geschickt das Frühstück zubereiten sah.
Später schlug Lee vor, daß er Sally auf einen Ritt mitnehmen sollte. »Weil ich mich heute faul fühle und Sally außerdem von der Gegend gar nichts hat.«
»Aber Sally macht sich nichts aus dem Farmerleben«, bemerkte ihr Vetter.
Zu seinem Erstaunen wurde Sally rot und sagte gereizt: »Wie ich Menschen hasse, die sich ständig für ihre Lebensweise entschuldigen. Wer sagt, daß ich mir daraus nichts mache?«
»Eigentlich niemand, aber Donald redet immer so, als ob…«
»Dieser Idiot. Er setzt sich etwas in den Kopf und reitet darauf herum. Er hätte besser etwas mehr Verstand.«
Das schien Andrew aufzuregen. »Er hat sehr viel Verstand. Er hätte das, was er geleistet hat, nie fertiggebracht, wenn er seine Intelligenz nicht auf das Land angewandt hätte.«
»Wieso? Was hat er denn geleistet? Die Familienfarm geerbt und weitergeführt. Ziemlich einfach und günstig für ihn.«
»Es war weder einfach noch günstig für ihn. Die Farm stand vor dem Bankrott, sie war auf dem absteigenden Ast, als sein Vater ums Leben kam. Der alte Mann war ein guter Mensch, aber als Farmer hoffnungslos. Donald hat etwas daraus gemacht. Es hat fünf Jahre gedauert und viel harte Arbeit gekostet. Natürlich würde ein Mädchen wie du ihn lieber Atombomben oder sonst etwas machen sehen. Du meinst, eine hervorragende Intelligenz ist auf dem Land Verschwendung, aber ich bin nicht dieser Meinung. Ich finde, das Land ist wichtig.«
»Warum regst du dich denn so auf? Ich habe nie gesagt, daß das Land nicht wichtig ist. Ich habe die Arbeit des Farmers nie schlecht gemacht. Das Schlimme an euch Landmenschen ist nur, daß ihr Minderwertigkeitskomplexe habt. Ihr fühlt euch immer herabgesetzt, wollt den Intellektuellen immer angreifen, viel eher als die Intellektuellen euch.«
Der Kampf hätte wohl wirklich begonnen, wäre Miss Connor nicht dazwischengetreten. »Mein lieber Vater war immer der Auffassung, daß der intellektuelle und der praktische Mensch Hand in Hand arbeiten sollten. Einer sollte den anderen ergänzen. In diesem Fall scheint der junge Mr. Harvey sein Wissen unter großen Opfern selbst angewendet zu haben. Man sollte ihm Mitgefühl für sein Opfer und Hochachtung vor dem Ergebnis bezeugen.«
Sally brach in Gelächter aus. »Wie schön Sie das sagen und wie Sie der kleinen Sally die Leviten lesen. Natürlich haben Sie recht. Gut, Andrew, hol den lahmsten Esel aus dem Stall und nimm mich mit, damit ich staunen und bewundern kann.«
Als sie gegangen und Lee mit ihrer Tante allein war, sagte sie: »Ich frage mich nur, warum Sally sich so über Farmen und Farmer aufregt. Sie ereifert sich richtig.«
Hester jagte Parsival von der Tür, wo er wie ein Wahnsinniger versuchte, Kater den Eintritt zu verwehren, und äußerte weise: »Menschen wie Sally werden immer heftig, wenn sie in ihrem Innersten wissen, daß sie eine verlorene Schlacht kämpfen. Mein lieber Vater pflegte zu sagen, daß es nichts Aufregenderes gebe als eine Frau, die weiß, daß sie im Unrecht ist.«
Lee fragte sich nicht zum ersten Mal, ob ihr Großvater je etwas anderes als gottgleiche Äußerungen getan habe. Mit ihm zusammenleben, mußte gräßlich langweilig gewesen sein. Aber Tante Hester war wahrhaftig nicht dumm. Lee neigte sogar zu der Annahme, daß sie weiter sah als sie alle.