Kapitel 13
Donnerstag, 16.00 Uhr
In der Dienststelle treffe ich auf den Krintinger, der den Angerer pausenlos vernehmen lässt, aber bislang ohne Erfolg.
»Wir können da nur hoffen, dass er einen Fehler macht und wir so einen Hinweis darauf erhalten, wo er die Eva versteckt hält. Aber der scheint wirklich gestört zu sein in seiner Birne. Ich hab einen Polizeipsychologen kommen lassen, und der vermutet, dass der Angerer tatsächlich nicht zurechnungsfähig ist, so wie der sich aufführt. Er wechselt ständig zwischen Selbstmitleid, völliger Überheblichkeit und kurzen klaren Momenten. Vielleicht ist der so eine gespaltene Persönlichkeit, und der eine Teil weiß nicht, was der andere tut.«
»Ich glaub dem gar nix, Krintinger. Für mich ist der ein sauguter Schauspieler, und er verarscht uns alle.«
»Jedenfalls stecken wir sauber fest mit unseren Ermittlungen. Wir haben inzwischen jeden befragt, der hier irgendwas mit Drogen zu tun hat, aber keiner weiß irgendwas.«
»Des ist doch zum Narrischwerden. Was sollen mia denn jetzt bloß machen?«
Da mir nichts Besseres einfällt und ich irgendwie immer noch glaube, dass der vom Angerer gewählte Übergabeort irgendeine Bedeutung haben muss, rufe ich den Landrat Hinterbirner an. Nachdem das Gelände von dem seiner Jagdhütte nur ein paar Kilometer von der Himmelsmühle entfernt ist und der sich da ja öfter oben vergnügt – vielleicht ist dem ja irgendwas aufgefallen. Der Hinterbirner geht zum Glück sofort ans Telefon. Ich schildere ihm kurz den Fall.
Er ist vom Huber über die aktuelle Lage bereits informiert und erklärt sich bereit, sofort zu kommen.
Kurze Zeit später marschiert der feine Herr Landrat mit einer Mappe in die Einsatzzentrale. Hinter ihm folgen ein paar Journalisten und ein Fernsehteam mit laufender Kamera. Wie er mich sieht, stürzt er gleich her und nimmt mich in den Arm, wobei er nicht vergisst, uns zur Kamera hinzudrehen, in die er hineingrinst mit seiner blöden Visage.
»Herr Dimpfelmoser, Sie Ärmster. Sie müssen ja unvorstellbar leiden. Wenn ich mir vorstelle, mir würde so was passieren. Aber wie kann ich Ihnen helfen? Was wollen’S wissen? Ich habe gleich die alten Pläne mitgebracht, die ich noch von meiner Jagdhütte habe. Vielleicht helfen die weiter.«
Vom Blitzlichtgewitter geblendet, lähmt mich kurzzeitig der Schock über sein Auftreten. Das darf ja wohl nicht wahr sein, dass der tatsächlich auch noch die völlig angespannte Situation ausnutzt, um sich medienwirksam als fürsorglicher Landrat darzustellen! Wenn ich daran denke, was ich über den alles herausgefunden habe in unserem letzten Fall, dann wird mir ganz schlecht, wie er jetzt wieder einmal so wichtig tut. Dann marschiert er schnurstracks nach vorne und stellt sich auf das Podium. Alle anwesenden Beamten schauen ihn irritiert an, wie er da vorne steht, sich in Pose wirft und immer wieder lautstark hüstelt. Endlich wird es still im Raum.
»Männer, ich bin bei euch. Ich unterstütze euch mit meiner Anwesenheit. Wenn ihr etwas braucht, dann sagt es mir. Ich sorge dafür, dass ihr alles bekommt, was ihr braucht. Ich als euer Landrat bin immer für euch da, natürlich auch in so einer schwierigen Stunde wie der jetzigen.«
Selbst der Huber, der einer der besten Freunde vom Landrat ist, schüttelt verständnislos den Kopf. Der Hinterbirner gibt derweil vorne den Journalisten ein Interview, wobei er sich lautstark über die Drogenkriminalität auslässt und erklärt, dass bei uns Nulltoleranz das Gebot der Stunde ist. Dann verschwindet das ganze Pack wieder, und er kommt zufrieden rüber zu mir.
»Man muss halt auch die Presse zufriedenstellen, nicht wahr? Das gehört zum Geschäft, Dimpfelmoser. Aber davon verstehen Sie nichts. Also, was kann ich für Sie tun?«
Am liebsten würd ich ihm eine auf sein blödes Schandmaul geben, aber ich brauche ihn erst einmal, vielleicht weiß der ja irgendwas, was uns weiterhilft.
»Hinterbirner, wissen’S irgendwas über das an Ihre Jagdhütte angrenzende Gelände da oben, was uns weiterhelfen könnte?«
»Schauen Sie, ich habe alte Pläne von meinem Großvater dabei. Da ist das gesamte Gelände da oben drauf. Sie müssen wissen, mein Großvater hat die Hütte vor über siebzig Jahren vom Großvater vom Herrn Angerer übernommen. Der alte Angerer hat ja gerne gepokert, und da hat er halt gegen meinen Großvater eine beträchtliche Summe verzockt. Und weil er gerade kein Geld hatte, hat er ihm die Jagdhütte überschrieben.«
»Ihre Hütte hat früher dem Großvater vom Angerer gehört?«, frage ich überrascht.
Wenn da kein Zusammenhang besteht, dann fress ich einen Besen.
»Ja freilich. Das ganze Gelände da oben hat ursprünglich den Angerers gehört. Aber der Großvater hat halt alles verspielt. Die Himmelsmühle und das Gelände neben meiner Hütte haben denen früher auch einmal gehört, aber das hat er schon in jungen Jahren verspielt. Der Besitzer der Himmelsmühle war dann ein alter Mann, ich weiß seinen Namen nicht mehr genau. Der hat alles der Gemeinde vererbt, als er kurz darauf gestorben ist. Das hat mir jedenfalls mein Großvater erzählt.«
»Warum wissen wir nichts davon?«, frage ich den Huber, der bisher nur schweigend neben uns gestanden hat. Das kann kein Zufall mehr sein, dass das Gelände früher den Angerers gehört hat, auch wenn das schon so lange her ist. Wahrscheinlich hat der Angerer Informationen, die wir nicht haben, und wahrscheinlich gibt es da draußen doch irgendein Versteck, das wir nur nicht finden. Der Huber ist anscheinend angepisst, dass der Hinterbirner ihn nicht mit auf die Bühne genommen hat. Er ist halt auch mediengeil und lässt sich da normalerweise keine Gelegenheit entgehen.
»Es gibt keine älteren Unterlagen im Stadtarchiv als die, die wir gesichtet haben. Da hat es wohl irgendwann einmal gebrannt, und dabei sind alle damaligen Unterlagen vernichtet worden.«
»Aber es muss doch möglich sein, dass wir irgendwie rauskriegen, wie groß das Gelände war, das den Angerers gehört hat. Vielleicht müssen wir unsere Suche noch viel weiter ausdehnen. Vielleicht haben wir den Suchradius um die Himmelsmühle zu eng gesteckt.«
Der Hinterbirner breitet seine alten Pläne aus, die wir mit denen aus dem Stadtarchiv vergleichen. Leider ergeben sich daraus keine neuen Erkenntnisse. Sie stimmen genauestens überein.
»Sie sind doch öfter da oben, Hinterbirner. Kennen’S da kein Versteck, oder fällt Ihnen nichts ein, wo wir noch suchen könnten?«
»Hm, nicht dass ich noch etwas wüsste. Der alte Fluchttunnel auf dem Gelände der Himmelsmühle existiert ja nicht mehr, der ist vor Ewigkeiten zubetoniert worden. Der war ja massiv einsturzgefährdet, müssen’S wissen.«
Da hätten wir uns die ganze Sucherei mit dem Bagger sparen können, hätten wir das eher gewusst.
»Wer hat denn den Tunnel zugeschüttet, wissen’S da vielleicht den Namen der Firma, die das gemacht hat?«
»Ja, das war der Vater vom Angerer. Der hatte ja neben seinem Wirtshaus noch eine Baufirma, und die haben das gemacht.«
Jetzt bin ich mir ganz sicher, dass wir was übersehen haben. Das sind mir zu viele Zufälle. Andauernd taucht dem Angerer seine Familie auf. Irgendwo da draußen ist die Eva in einem Geheimversteck, und wir sind nur zu blöd, sie zu finden.
»Ja, dann danke, Hinterbirner. Da haben’S uns schon geholfen.«
»Man tut, was man kann.«
Er schaut ganz wichtig auf seine Uhr, dann rauscht er raus, weil er angeblich noch einen wichtigen Termin hat. Wahrscheinlich hat er sich wieder eine Mätresse zugelegt, die auf ihn wartet. So kenne ich ihn halt, den werten Herrn Landrat.
»Mia brauchen sofort schweres Gerät«, rufe ich in die Runde. »Mia müssen noch mal rauf und das komplette Gelände umgraben. Irgendwo da muss die Eva sein.«
»Wie willst des machen, Dimpfelmoser? Mia können nicht den ganzen Wald abholzen und alles umgraben. Weißt überhaupt, wie lange so was dauert? Oder wie stellst dir des vor?«, fragt mich der Oberberger, der gerade mit der Gerlinde von der Geheimmission aus Straubing zurückkommt. Er übergibt mir die Mappe aus dem Schließfach. Ich erinnere mich dabei an die Zettel, die ich beim Pfarrer mitgenommen habe und die immer noch in meiner Jackentasche stecken. Ich gehe sie kurz durch, aber es ist nichts Neues dabei. Die können wir als Beweismaterial sicherlich später verwenden, aber momentan helfen sie uns leider auch nicht weiter, weil dass der Angerer der lokale Drogenboss ist, das wissen wir ja inzwischen.
Als Nächstes sichte ich die Dokumente, von denen der Angerer gesprochen hat. Das ist wirklich interessant und hochbrisant. Es sind ein paar gestochen scharfe Bilder, die den stellvertretenden Innenminister mit dem Angerer, dem Todesholler und dem inzwischen toten Killer von der Frankfurter Drogenmafia zeigen. Die Bilder sind laut den handschriftlichen Notizen auf der Rückseite der Bilder wohl bei einem gemeinsamen Puffbesuch in Frankfurt entstanden. Auf einem der Bilder sieht man den Meier-Höllrieser, wie er sich durch einen eingerollten 500-Euro-Schein Koks die Nase hochzieht, und auf der Rückseite finde ich eine Liste von Handynummern mit den entsprechenden Namen der abgebildeten Personen dazu. Da kannst glatt den Glauben an die Menschheit verlieren, wennst so was siehst. Wenn sogar der stellvertretende Innenminister Dreck am Stecken hat, wem sollst denn heutzutage überhaupt noch vertrauen? Ein einziger großer Sündenpfuhl, gespickt mit Lug und Betrug ist das, da könntest narrisch werden. Aber in meiner derzeitigen ausweglosen Situation könnten die Bilder für mich der Schlüssel zum Hubschrauber und zu den geforderten zehn Millionen Euro sein. Ich überlege kurz, ob ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Aber da taucht das Bild von der Eva auf, wie sie irgendwo gefangen ist und vielleicht bald sterben muss, wenn ich sie nicht rechtzeitig finde. Also fotografiere ich die Bilder mit meinem Handy ab und wähle die Handynummer, die beim Namen vom stellvertretenden Innenminister vermerkt ist. Tatsächlich meldet sich sofort jemand.
»Mensch Angerer, was ist denn schon wieder? Du sollst mich nicht untertags anrufen, wenn es nicht wirklich dringend ist.«
»Servus, Herr Meier-Höllrieser«, flöte ich los. »Wie geht’s denn heute so?«
Es ist ganz still am anderen Ende der Leitung.
»Haben’S wieder Kokain geschnupft oder sich mit der Drogenmafia im Puff getroffen?«
»Wer sind Sie? Von was reden Sie?«
»Meier-Höllrieser, lassen’S die Spielchen. Hauptkommissar Dimpfelmoser ist mein Name, und ich habe hier Bilder und Beweismaterial, dass Sie mit der Drogenmafia zu tun haben. Aber da können mia später darüber reden. Mia ham hier einen Entführungsfall.«
»Aha, aber von was reden Sie? Sind’S völlig narrisch? Ich habe mit solcherlei Dingen nichts zu tun.«
Natürlich kann er nicht gleich alles zugeben, aber es hilft nix, da muss er jetzt durch.
»Den Hauptkommissar Huber, den kennen’S ja auch gut von Ihren Anti-Drogen-Konferenzen, die Sie beim Angerer, dem elenden Sauhund, abhalten. Und Ihren Freund, den Herrn Angerer, den haben wir hier verhaftet, und der hat Sie schwer belastet. Da haben’S ein richtiges Problem. Aber wenn’S uns jetzt unbürokratisch helfen könnten …«
»Den Angerer verhaftet?«, fragt er gedehnt. »Ja warum das denn?«
»Meier-Höllrieser, der vertickt Heroin und
hat meine Freundin entführt. Da versteh ich überhaupt keinen Spaß
mehr. Und wenn’S weiter so tun, als würd Sie das alles nix angehen,
dann schicke ich die Bilder jetzt sofort an die Presse. Da können’S
dann Ihr Bild morgen in der Zeitung bewundern, wie Sie im Puff
durch einen 500-
Euro-Schein Kokain schnupfen, gell.«
Jetzt ist er still und schnauft nur noch in das Telefon.
»Der Huber jedenfalls, der weigert sich, einen Hubschrauber und Lösegeld für den Angerer bereitzustellen. Das ist aber dem seine Bedingung, dass er uns den Aufenthaltsort von der Entführten verrät. Und da hab ich halt jetzt an Sie gedacht, weil für Sie dürfte des ja kein allzu großes Problem sein, bei den tollen Freunden, die Sie haben.«
Ich kann es an seinem Schnauben hören, wie es in seinem Hirn rattert und wie er überlegt, wie er mit der Situation umgehen soll.
»Haben’S einen Beweis für Ihre maßlosen Behauptungen?«, versucht er es noch mal.
»Ich schick Ihnen von meinem Handy die abfotografierten Bilder, warten’S einen Moment.«
Ich schicke sie ihm, und kurz darauf meldet er sich wieder.
»Wie viel Geld will der Angerer haben?«
»Zehn Millionen, in kleinen Scheinen.«
»Ich bin in zwei Stunden bei Ihnen, dann haben’S Ihren Hubschrauber, Dimpfelmoser. Ich komme mit meinem Privathubschrauber, und die zehn Millionen strecke ich auch vor. Sie übergeben meinem Piloten Ihr Material, dann können’S über den Hubschrauber verfügen. Wenn’S mich linken wollen, dann sind’S tot.«
Er legt einfach auf. Da bin ich gespannt, ob dem sein Hubschrauber kommt, aber ich hab es zumindest versucht. Manchmal muss man halt in Eigenregie handeln. Was ich mit dem Beweismaterial mache, das kann ich mir dann immer noch überlegen. Offiziell übergeben werd ich es jedenfalls im Moment nicht. Wenn sich der Huber nicht so saudumm anstellen würde, dann bräucht ich auch nicht auf solche fragwürdigen Methoden zurückgreifen.
Ich geh wieder rüber in den Verhörraum, wo der Angerer immer noch vernommen wird.
»Geh, lass mich kurz alleine mit ihm reden«, befehle ich dem Vernehmungsbeamten, der mich zweifelnd anschaut.
»Das geht nicht, Dimpfelmoser«, erklärt er. »Das hat der Huber verboten. Nicht dass du dem Angerer was antust, weil du doch persönlich betroffen bist.«
»Der tut mir nichts«, mischt sich der Angerer ein. »Geh nur, und lass uns alleine.«
Skeptisch verlässt der Beamte das Zimmer.
»Ich hab den Hubschrauber und das Geld, aber des bleibt unter uns. Des weiß sonst keiner hier. In zwei Stunden kommt dein Freund, der Meier-Höllrieser. Er bringt das Geld mit und stellt seinen Hubschrauber zur Verfügung, Sigi.«
»Xaver, schön ist das, wie du dich um das Leben von deiner Eva bemühst. Ich hätte für meine Gattin auch alles getan, alle Gesetze gebrochen, alles aufs Spiel gesetzt, aber die Nutte ist es halt einfach nicht wert.«
»Sigi, magst mir nicht doch verraten, wo die Eva ist.«
»Sie steckt wirklich bis zum Hals in der Scheiße, deine Eva«, lacht er glucksend und amüsiert sich köstlich.
Zum Glück kommt in dem Moment der Vernehmungsbeamte zurück, sonst hätte ich dem Sigi doch noch seine blöde Fresse poliert. Das ist halt einfach ekelhaft, wie der sich daran erfreut, dass ich leide wie ein begossener Hund.
Die nächste Stunde passiert gar nix, und ich bin mehr oder weniger zur Untätigkeit verdammt. Immer noch haben wir keinerlei Hinweise darauf, wo die Eva versteckt ist. Trotz des Großaufgebotes der Polizei und inzwischen unendlich vielen Befragungen von der Bevölkerung ist und bleibt sie einfach verschwunden.
Plötzlich fangen die Fensterscheiben an zu wackeln, und ein leises Dröhnen schwillt schnell an zu einem ohrenbetäubenden Lärm. Irritiert schauen alle durchs Fenster in die Dunkelheit nach draußen. Direkt auf der Hauptstraße vor dem Schorsch-Wirt landet ein Hubschrauber, und während die Rotoren langsamer werden und der Motor leiser wird, springt ein Mann heraus und läuft direkt rüber zu unserer Einsatzzentrale.
»Wo sind der Huber und der Dimpfelmoser?«, dröhnt seine tiefe Bassstimme durch das Wirtshaus.
»Herr Meier-Höllrieser, Sie hier?«, wieselt der Huber gleich los. Seit wann kümmern’S sich denn persönlich um einen Polizeieinsatz? Da hätten’S nicht extra herkommen müssen, das regeln wir schon. Wir haben alles im Griff.«
Das alte Arschloch kann es halt nicht lassen. Gar nichts haben wir im Griff. Wir haben keine Ahnung, wo die Eva ist, wir haben keinerlei Hinweise und nur den völlig durchgeknallten Angerer. Aber das will der Huber einfach nicht wahrhaben.
»Kommen’S mit, und nehmen’S den Dimpfelmoser mit«, befiehlt der Meier-Höllrieser. »Wo können wir uns ungestört unterhalten?«
Wir gehen rüber in ein Nebenzimmer vom Schorsch.
»Ich habe den Hubschrauber und das Lösegeld dabei«, erklärt der Meier-Höllrieser ohne Umschweife. »Huber, warum haben’S mich nicht informiert, dass der Herr Angerer und seine Frau verhaftet wurden? Das wäre doch das Mindeste gewesen. Ich muss doch in so einem heiklen Fall einfach Bescheid wissen, noch dazu, wo ich persönliche freundschaftliche Kontakte zu den Angerers pflege. Wenn Ihr fleißiger Kollege hier mich nicht angerufen hätte, wer weiß, was da noch alles passiert wäre.«
Persönliche Kontakte, das trifft es irgendwie, denke ich mir. Weil das ist schon ziemlich persönlich, wenn der mit der Frau vom Angerer ins Bett geht.
»Herr Meier-Höllrieser, tja … ähem, wissen’S … hm …«
Dem Huber ist das Ganze furchtbar peinlich. Er funkelt mich feindselig an, wagt es aber nicht, noch etwas zu sagen.
»Also, Herr Dimpfelmoser, wie wollen’S vorgehen? Erklären’S mir kurz Ihre Strategie. Und Sie, Huber, Sie haben sicherlich noch was anderes zu tun. Das regeln jetzt der Herr Dimpfelmoser und ich, und Sie kümmern sich weiter um die laufenden Ermittlungen.«
Der Huber läuft puterrot an, der könnte grad mit einer Tomate in Konkurrenz treten, aber er dreht sich nach kurzem Zögern tatsächlich um und verschwindet.
»Wo sind die Fotos?«, giftet mich der Meier-Höllrieser an.
Schlagartig ist seine Souveränität verschwunden, und er zeigt sein wahres Gesicht.
»Ja mei, gut versteckt halt. Ich bin ja nicht völlig verblödet und geb die Ihnen einfach so.«
»Wie ist dann der Plan?«
»Der Angerer will den Hubschrauber, das Geld, eine geladene Maschinenpistole, seine Gattin und mich als Geisel. Erst dann will er mir den Aufenthaltsort der Geisel verraten und dann abhauen.«
»Aha. Haben’S da einen Plan, wie wir das verhindern können?«
»Ich hab ehrlich gesagt, keine Ahnung. Die Maschinenpistole laden wir natürlich nur mit Platzpatronen.«
Er überlegt kurz.
»Wo ist er? Ich werd mal mit ihm reden. Wir sind eng befreundet, müssen’S wissen. Da kann ich sicher Einfluss darauf nehmen, dass niemandem etwas passiert.«
Also gehen wir rüber in den Vernehmungsraum.
»Wird auch Zeit, dass du dich endlich blicken lässt«, schnauzt der Angerer den Meier-Höllrieser an.
Er scheint überhaupt nicht überrascht, dass der so plötzlich auftaucht.
»Lassen’S uns alleine reden, dann kriegen wir das schon hin«, befiehlt der Meier-Höllrieser.
Vielleicht hat er ja wirklich Einfluss auf den Angerer, denke ich mir. Also lasse ich die beiden alleine.
Nach einer halben Stunde kommt er wieder raus.
»Wo sind die Fotos?«, fängt er gleich wieder an.
»Die sind sicher verwahrt.«
»Sie geben jetzt dann unter meiner Aufsicht die Fotos in einem Briefumschlag dem Huber, weil der macht eh alles, was ich ihm sage. Der Angerer hat übrigens eingelenkt. Ich werde auch mitfliegen und darauf achten, dass er seine Zusage einhält. Und Sie kommen natürlich auch mit. Ich werde dem Huber übers Handy befehlen, dass der den Briefumschlag verbrennt. Das muss er mit seinem Handy filmen und uns live zusehen lassen. Wir werden kurz vor der Grenze noch mal landen. Dort steigen wir beide aus, und dann verrät Ihnen der Angerer, wo er die Eva versteckt hält. Mein Pilot fliegt den Angerer und seine Frau dann weiter, wohin sie wollen, und wir zwei machen uns auf den Weg zurück.«
»Und des soll gutgehen?«, frage ich skeptisch. »Warum sollte ich Ihnen gerade jetzt trauen? Sie wollen doch nur Ihren eigenen Arsch retten. Wer garantiert mir da, dass Sie mich nicht einfach umbringen, sobald die Fotos verbrannt sind?«
»Dimpfelmoser, ich gebe Ihnen mein Wort. Auch wenn ich mir ein paar Fehltritte geleistet habe, bin ich immer noch der stellvertretende Innenminister. Und außerdem haben Sie keine andere Wahl. Der Angerer, der hat ein paar Schrauben locker, müssen Sie wissen. Dem ist alles zuzutrauen, und er hat mir glaubhaft versichert, dass Ihre Freundin ansonsten stirbt. Mehr kann ich nicht für Sie tun. Eine Hand wäscht die andere, Dimpfelmoser. Sie bekommen Ihre Freundin zurück, der Angerer und seine Frau kommen hier unbeschadet weg und können irgendwo mit dem Geld neu anfangen, und ich bleibe natürlich stellvertretender Innenminister. Da ist doch allen geholfen, so läuft das nun einmal in der Welt. So was nennt man Realpolitik.«
Realpolitik, aha. Ich nenn so was eine riesengroße Sauerei, aber was hilft’s?
»Also gut, Herr Meier-Höllrieser. Ich hab ja wohl keine andere Wahl.«
»Ganz richtig«, lacht er. »Dann lassen’S uns alles vorbereiten, damit die Sache endlich ein Ende hat. Ich hab auch noch was Besseres zu tun, als mich hier um so einen Provinzkram zu kümmern.«
Der ist dasselbe arrogante Arschloch wie der Huber auch. Da haben sich schon die Richtigen gefunden. Wir marschieren also wieder rein in die Einsatzzentrale. Der Meier-Höllrieser schreitet nach vorne und erbittet sich Ruhe.
»Ich nehme an, dass mich hier alle kennen«, fängt er an.
Ich bin mir sicher, dass ihn hier die wenigsten kennen.
»Wir werden die Forderungen vom Herrn Angerer erfüllen und ihn mit dem Hubschrauber ziehen lassen. Dafür verrät er uns den Aufenthaltsort der Gefangenen. Wir brauchen schleunigst eine Maschinenpistole mit Platzpatronen, dann kann die ganze Sache über die Bühne gehen.«
»Wie, wir lassen den ziehen?«, mischt sich der Krintinger ein.
»Sie haben schon verstanden. Wir werden ihn danach wieder einfangen, aber jetzt müssen wir uns erst einmal um die Befreiung der Gefangenen kümmern, damit die unversehrt bleibt. Darum habe ich auch den Hubschrauber und das Lösegeld bereitgestellt.«
Der elende Sauhund. Stellt sich hin und tut so, als würde er sich um die Eva sorgen. Dabei geht es ihm nur darum, seinen eigenen Arsch aus der Scheiße zu ziehen.
»Mia ham doch eine Maschinenpistole hier«, ruft der Oberberger. »Mia ham doch die vom Pfarrer einkassiert.«
»Aber nur mit scharfer Munition«, wirft der Reindl ein.
»Das macht nichts«, erklärt der Meier-Höllrieser. »Ich nehme die Maschinenpistole an mich. Ich zeige dem Angerer das volle Magazin mit den Originalpatronen und leere es aus, bevor wir den Hubschrauber besteigen. Dann kann auch da gar nichts passieren.«
»Ein Scheißplan ist das«, flüstert mir der Reindl zu, und auch andere Kollegen schütteln ungläubig den Kopf.
»Ich weiß, aber hast einen besseren?«, flüstere ich zurück.
Nachdem sich alle wieder beruhigt haben, läuft die ganze Aktion an.
Zunächst holen wir die Frau Angerer und verfrachten sie in den Hubschrauber. Als sie den Meier-Höllrieser sieht, ist sie gleich bestens gelaunt und findet das alles ziemlich lustig. Große Angst hat sie anscheinend nicht. Zusammen mit dem Meier-Höllrieser hole ich dann den Angerer aus seiner Zelle.
»So, auf geht’s, Angerer. Wir haben alles so arrangiert, wie du es wolltest. Deine Frau ist schon mit dem Geld im Hubschrauber, und deine Maschinenpistole kriegst auch«, erkläre ich ihm, und irgendwie weiß ich, dass das alles nicht gutgeht und der mich schon wieder bescheißt, aber es hilft jetzt auch nix mehr, jetzt ziehen wir die Aktion einfach durch.
»Meier-Höllrieser, ein Heidenspaß ist das mit dir. Ich hab immer schon gewusst, dass es goldrichtig war, dich mit ins Boot zu nehmen«, frohlockt der Angerer.
»Da bin ich mir nicht so sicher, ob das wirklich so eine gute Idee war«, brummt der Meier-Höllrieser.
Dem Angerer entgleisen seine eben noch strahlenden Gesichtszüge, und völlig unvermittelt gibt er dem stellvertretenden Innenminister erst einmal eine Mordswatschn, dass es nur so raucht.
Der lässt sich nichts anmerken und tut so, als wäre nichts. Die zwei haben wohl doch ein kleines Problem miteinander, das ist irgendwie offensichtlich.
»Angerer, wir klären unsere kleinen Differenzen später. Jetzt schauen wir, dass wir dich und dein Weib sicher hier rauskriegen.«
»Vor allem mein Weib, oder?«, giftet der Angerer zum Meier-Höllrieser. »Weil, die willst noch öfter flachlegen, du geiler Bock. Hab ich nicht recht? Die hat dir so dermaßen deinen Schwanz verdreht, dass du seitdem nicht mehr klar denken kannst.«
»Später, Angerer. Lass das halt jetzt einmal.« Er schiebt den Angerer raus und zum Hubschrauber.
»Ich nehme die Maschinenpistole, so wie wir es besprochen haben. Wenn wir in der Luft sind, dann kannst du sie haben«, erklärt er dem Angerer, dem das alles anscheinend völlig wurscht ist. Jedenfalls hüpft der herum wie ein Storch auf seinen dünnen Haxen, als er den Hubschrauber und seine Gattin sieht. Die zwei fallen sich in die Arme, als hätten sie sich jahrelang nicht mehr gesehen. Ich gebe dem Huber noch schnell den Umschlag und erkläre ihm, was der Meier-Höllrieser erwartet.
»Also rein mit Ihnen, Dimpfelmoser«, befiehlt der Meier-Höllrieser und fuchtelt mit der Maschinenpistole vor meiner Nase rum.
»Die Patronen«, flüstere ich.
Aber da merke ich, dass es gar nicht der Angerer ist, der mich linken will, sondern der Meier-Höllrieser. Er lacht nur und zielt direkt auf meinen Kopf.
»Rein jetzt, sonst bist gleich hier tot, Dimpfelmoser.«
Mir bleibt nichts anderes übrig, also klettere ich in den Hubschrauber. Der Meier-Höllrieser springt hinterher, schließt die Türe, und dann heben wir ab.
»Sauber hast das gemacht«, lobt der Angerer den stellvertretenden Innenminister.
»Alle setzen!«, brüllt der plötzlich los und fuchtelt mit der Maschinenpistole vor uns rum.
»Geh, so kenn ich dich ja gar nicht«, gluckst dem Angerer seine Frau und will sich an ihn drücken, aber der stößt sie nur zurück.
»Hau ab, und geh bloß zu deinem Mann, du blöde Nutte«, schreit er los. »Du hast mich nur ausgenutzt und mir völlig den Kopf verdreht. Nur wegen dir bin ich überhaupt in der Scheißsituation.«
»Schrei meine Frau nicht so an!«, geht da der Angerer in die Luft.
Oha, das wird interessant. Bevor der Angerer aber noch einen weiteren Mucks tun kann, richtet der Meier-Höllrieser seine Waffe auf ihn und schaut mich an.
»Jetzt zu den Bildern, Dimpfelmoser. Ich ruf den Huber an, der soll die Verbrennung live mit dem Handy filmen und das auf Ihr Handy schicken. Dann schauen wir weiter.«
Er wählt die Nummer vom Huber.
»Huber, es ist so weit. Gehen’S raus, und verbrennen’S den Umschlag mitsamt Inhalt. Und filmen’S des gleichzeitig mit Ihrem Handy. Und schicken’S das auf das Handy vom Dimpfelmoser. Ich will live zuschauen.«
Der Huber macht, was ihm der Meier-Höllrieser befohlen hat. Auf meinem Handy lodern die Flammen, und das schöne Beweismaterial gegen den Sauhund verbrennt lichterloh in der Nacht. Nachdem die Aktion erledigt ist, nimmt mir der Meier-Höllrieser mein Handy ab und löscht die abfotografierten Bilder.
»Und jetzt zu uns«, fängt dann der Angerer an und wendet sich an seine Frau. »Wir haben eine Abmachung getroffen. Ich nehm dich und das Geld mit nach Südamerika, und da fangen wir zwei noch einmal neu an. Wenn wir in Sicherheit sind, vernichte ich alle belastenden Materialien, die wir gegen den Meier-Höllrieser gesammelt haben. Dafür verhilft er uns hier zur gemeinsamen Flucht. Ein kompletter Neuanfang mit so viel Geld, da haben wir ausgesorgt für unser restliches Leben«, strahlt er.
Aber die Frau Angerer sieht das wohl etwas anders. Jedenfalls kriegt die einen Wutanfall, dass der ganze Hubschrauber wackelt und schlingert.
»Ja ihr blöden Arschlöcher, werd ich eigentlich auch einmal gefragt, was ich will? Ich will hier nicht weg, und schon gar nicht mit einem von euch. Die ganze Aktion hättet ihr euch sparen können. Das ist echt zum Kotzen, das ganze Theater hier!«
Die zwei stehen da wie begossene Pudel. Damit haben sie nicht gerechnet, dass sie beide der Frau Angerer eigentlich völlig am Arsch vorbeigehen. Das ist doch dermaßen krank, was die da abziehen, ich fasse es einfach nicht. Die Eva stirbt vielleicht gerade, und ich muss mir denen ihre Beziehungsprobleme mit anhören.
Plötzlich kriegt der Angerer wieder so einen wahnsinnigen Blick, und ehe überhaupt irgendwer reagieren kann, reißt er dem Meier-Höllrieser die Maschinenpistole aus der Hand.
»Meier-Höllrieser, du hast vorhin meine Frau beleidigt, und das darfst du nicht. Dafür musst du leider büßen.«
Er drückt den Abzug durch und schießt dem Meier-Höllrieser ein paar Kugeln in dem sein Bein. Der verdreht die Augen und kippt einfach um. Leider durchschlägt eine Kugel auch das Fenster der Hubschraubertüre. Durch die zerschossene Scheibe bläst der eisige Wind herein, und der Hubschrauber beginnt zu schlingern. Während sich im darauffolgenden Chaos dem Angerer seine Gattin auf ihn stürzt, ihn anspuckt und lauthals brüllt, entreiße ich kurzentschlossen dem Angerer die Maschinenpistole. Zum Glück gelingt es dem Piloten, den Hubschrauber wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
»Schluss jetzt mit den Faxen«, brülle ich, woraufhin die Angerers voneinander ablassen und mich verdutzt anschauen. Mir wird bewusst, dass die ganze Aktion völlig schiefgelaufen ist. Hier wollte jeder jeden bescheißen, aber der einzig Beschissene bin ich, weil ich wieder nicht weiß, wo die Eva ist.
»Angerer, bitte sag mir, wo die Eva ist«, schrei ich völlig verzweifelt gegen den Lärm der Rotoren an, »dann lass ich dich mit deiner Frau ziehen.«
»Das kannst völlig vergessen, Xaver«, brüllt er zurück. »Ich wollte meine Frau mit dieser spektakulären Aktion beeindrucken und sie für mich zurückgewinnen, aber du hast ja gehört, dass ich meiner Frau völlig egal bin. Und damit ist die ganze Aktion ja eh sinnlos. Und im Übrigen hab ich dir alles gesagt, was du wissen musst. Ich hab dir schon lange verraten, wo sie ist. Den Schlüssel hättest schon längst in der Hand gehabt. Aber wennst zu deppert bist und mir nicht richtig zuhörst, dann bist halt du schuld, wenn die Eva stirbt, da kann ich dir halt auch nicht mehr helfen. Da kannst mich jetzt erschießen, dann sag ich dir auch nicht mehr.«
Ich nehme meine Handschellen und kette die beiden an einen Sitz fest, dann schau ich mir die Wunde vom Meier-Höllrieser an, die wie blöd blutet. Er ist schon ganz weiß im Gesicht und zittert, als würd er nackert am Nordpol sitzen, bevor er umkippt. Da ist wohl eine Hauptschlagader getroffen, jedenfalls spritzt das Blut in richtigen Fontänen raus. Kurzentschlossen nehm ich dem seine Krawatte und binde das Bein komplett ab, so wie wir des im Erste-Hilfe-Kurs gelernt haben. Dann befehle ich dem Hubschrauberpiloten zurückzufliegen und rufe als Nächstes den Reindl an, der auch sofort rangeht.
»Reindl, es ist schiefgelaufen. Der Meier-Höllrieser hat ein paar Kugeln im Bein und ist ohnmächtig. Wir kommen in zehn Minuten zurück. Sorg dafür, dass schnellstens ein Notarzt kommt.«
»Und weißt, wo die Eva ist?«
»Nein, weiß ich nicht. Er behauptet, ich wüsst es, aber ich hab einfach keine Ahnung.«
Der Reindl verspricht, gleich alles in die Wege zu leiten.