Kapitel 12
Donnerstag, 05.00 Uhr
Beim Schorsch-Wirt versammeln sich langsam alle Einsatzkräfte zur nächsten Lagebesprechung und zur Verteilung der Aufgaben. Der Krintinger lässt sich trotz des Misserfolges der letzten Nacht nicht aus der Ruhe bringen und teilt alle Beamten neu ein. Die Einsatzgruppe vom Heulerich und die Hundestaffel werden neu positioniert, um weiter nach der Eva zu suchen. Ich gehe mit meiner Truppe rüber in unser Dienstgebäude, um hier alles noch mal zu überdenken. Aus dem Vernehmungsraum hört man die Stimmen vom Angerer und dem Rohrstopfer, die dort auf die Befragung warten.
»Gehen mia alles noch einmal durch. Irgendwo müssen mia doch auf eine Spur stoßen, die uns weiterbringt«, schlage ich vor. »Reindl, fass einmal alles zusammen. Vielleicht fällt einem von uns was auf.«
»Derf i a Maß Bier trinken? Dann würd des gleich hinhauen mit dem Denken«, wirft die Gerlinde ein.
»Hol dir halt eine, wenn’s hilft.«
Sie zieht los und ist zwei Minuten später mit einem vollen Maßkrug wieder hier, den sie in einer Minute geleert hat.
»Gerlinde, du kannst saufen wie ein Kamel, des ist unglaublich«, bemerkt der Oberberger anerkennend.
Die Gerlinde rülpst, dass die Fensterscheibe wackelt.
»Jetzt funktioniert mein Hirn«, strahlt sie. »Da brauchst nur ab und zu den richtigen Treibstoff, und schon läuft es da oben wie geschmiert.«
»Was wissen wir sicher, und was sind nur Vermutungen aufgrund irgendwelcher Äußerungen, die wir nicht belegen können?«, fängt der Reindl an. »Der ganze Fall ist völlig verworren, und wir haben es immer wieder mit anderen Aussagen zu tun, die nicht nachprüfbar sind.«
»Sicher ist doch eigentlich nur, dass der Tote ein Killer der Frankfurter Drogenmafia ist und dass die Marianne eine Tüte voller Heroin bei sich hatte«, merkt der Oberberger an.
»Die Verbindung nach Frankfurt und zur Drogenmafia ist doch auch Fakt, oder seht ihr das anders?«, fragt der Reindl.
»Wo ist eigentlich dem Angerer seine Alte? Vielleicht sollten mia uns die einmal zur Brust nehmen und schauen, was die zu sagen hat?«, meint die Gerlinde.
»Die ist von der Bildfläche verschwunden, genauso wie die Angestellten vom Angerer. Außer dem Gärtner sind laut den Personalakten noch vier Leute bei ihm beschäftigt. Die Fahndung läuft, aber bisher gibt es keine Spur von denen«, ergänzt der Oberberger.
»Dann fragen mia doch den Angerer selber, vielleicht kann der uns wenigstens dazu was erzählen.«
Ich marschiere rüber in den Vernehmungsraum. Der Krintinger ist schier am Verzweifeln, weil der Angerer immer nur betont, dass er unschuldig ist, und der Rohrstopfer Beweise fordert, dass da was dran ist an den Verdächtigungen.
»Wo sind die Beweise?«, giftet er den Krintinger an. »Sie stellen nur wüste Vermutungen auf. Wenn Sie mir nichts liefern, dann werde ich gleich einen richterlichen Beschluss beantragen, dass mein Mandant gehen darf. Sie haben eh schon genug angerichtet mit Ihrer Aktion heute.«
Ich überlege kurz, dann schnappe ich mir den Krintinger und nehme ihn mit nach draußen.
»Krintinger, mia lassen ihn wirklich einfach gehen.«
»Dimpfelmoser, bist völlig verblödet? Wir machen doch nicht so einen Aufwand, nur damit wir den dann einfach wieder freilassen.«
»Überleg halt einmal. Wenn der Rohrstopfer ernst macht, dann müssen mia den Angerer sowieso gehen lassen. Wir beschatten ihn und überwachen jeden Schritt von ihm. Sein Auto, sein Handy und sein Telefon bei ihm zu Hause, des können mia verwanzen, dann wissen mia immer sofort, wo er ist, und bekommen vielleicht mit, wo die Eva ist.«
»O. k., Dimpfelmoser. Ich veranlasse sofort den Einbau der Wanzen. Das dauert nur zehn Minuten. Sein Telefon bei ihm zu Hause wird eh schon überwacht. Du unterhältst dich noch ein paar Minuten mit ihm. Dann lässt ihn gehen.«
Also betrete ich den Vernehmungsraum. Der Sigi schaut mich arrogant lächelnd an, während der Rohrstopfer sofort über mich herfällt.
»Bodenlos ist das, was Sie da abziehen.«
»Du, Sigi, wo ist eigentlich deine Frau? Weißt schon, dass die mir auch an die Wäsche wollte. Die hätt es sofort mit mir getrieben, aber ich bin halt kein solcher.« Kurz entgleisen ihm seine arroganten Gesichtszüge, dann hat er sich wieder im Griff.
»Xaver, so etwas verstehst du nicht. Wir führen eine sehr offene Beziehung, da kann ein jeder machen, was er will.«
»Aha, und des stört dich überhaupt nicht, wenn deine Frau mit jedem ins Bett steigt? Wo ist das werte Weib überhaupt?«
»Die ist im Swingerclub Eleonore drüben bei Straubing. Da wollte ich übrigens auch gerade hin, als ich den Anruf vom gefluteten Keller erhalten habe. Und wennst es genau wissen willst, meine Angestellten sind auch dort. Wir haben da heute so eine Art Betriebsausflug.«
»Ohne den Gärtner?«
»Der ist noch nicht lange genug dabei. Da müssen wir erst schauen, ob der in das Team passt.«
»O. k., Sigi. Du kannst gehen.«
Der Angerer und der Rohrstopfer schauen sich überrascht an.
»Sind’S endlich vernünftig geworden, Dimpfelmoser?«, tut der blöde Rohrstopfer gleich ganz von oben herab.
»Raus jetzt, bevor ich es mir noch anders überlege«, brülle ich, weil mir einfach die Nerven durchgehen.
Wenn der Angerer es nicht ist, der die Eva hat, dann ist es eh egal, aber dann stehen wir mit leeren Händen da. Die beiden werten Herren erheben sich und verlassen das Polizeigebäude. Ich laufe rüber zum Schorsch, wo ein paar Männer bereits mit Kopfhörern vor vier Monitoren sitzen.
»Vier Bildschirme? Hab ich da was verpasst?«
»Wir haben auch am Auto vom Rechtsanwalt eine Wanze angebracht, man kann ja nie wissen, nicht wahr?«
»Sauber, wenn des rauskommt, dann können mia uns auf was gefasst machen.«
»In Anbetracht der Sachlage heiligt hier der Zweck die Mittel«, erklärt der Krintinger. »Wir haben immer noch überhaupt keinen Hinweis auf den Verbleib von der Eva und den zwei Entflohenen. Und der Vermummte bleibt bisher ein Phantom. Niemand aus der Bevölkerung hat etwas gesehen oder gehört.«
»Zumindest wissen mia jetzt, wo sich die Frau Angerer und die restlichen Angestellten rumtreiben. Die sind alle im Swingerclub Eleonore drüben.«
»Im Swingerclub?«, fragt der Krintinger erstaunt.
»Behauptet der Angerer.«
»Sollen wir sie gleich einmal festnehmen?«
»Auf welcher Grundlage? Mia haben nur die Aussage des Gärtners, ansonsten können mia die ja nicht wegen ihrer Vergangenheit einfach verhaften. Können mia da nicht jemanden hinschicken, der überprüft, ob das stimmt? Ansonsten würd ich zumindest abwarten, wohin der Angerer fährt und mit wem er Kontakt aufnimmt.«
»Der Rohrstopfer fährt direkt Richtung Swingerclub«, meldet ein Beamter vor den Bildschirmen.
»Der Angerer ist kurz hinter Wörth auf einem Parkplatz stehen geblieben. Aber er hat sein Handy bisher nicht angerührt.«
»Ist ein Überwachungsteam hinter ihm?«
»Ja, die stehen in hundert Meter Entfernung. Er sitzt im Auto und rührt sich nicht.«
»Dann warten mia, bis er wieder losfährt oder sonst was macht. Gebt’s Bescheid, wenn was passiert oder wenn mia was vom Swingerclub wissen.«
Ich marschiere wieder zu meinen Männern, die immer noch über die Fakten diskutieren. Ich höre ihnen eine Weile zu, aber irgendwie dreht sich alles im Kreis. Niemand hat eine wirklich zündende Idee.
»Haben mia eigentlich inzwischen irgendwelche Informationen, wie und wo hier in der Gegend harte Drogen an den Mann gebracht werden?«, frage ich. »Hat da keiner irgendwelche Informationen aus der Szene? Da muss doch irgendwer was wissen, was uns weiterhilft.«
»Da können mia noch mal nachhaken«, meint der Oberberger. »Aber bisher haben mia halt niemanden gefunden, der uns da weiterhelfen könnte, obwohl mia alle befragt haben, von denen mia wissen, dass sie was mit Drogen zu tun haben.«
»Wir könnten doch eine Razzia durchführen, draußen im Morgenstern«, schlägt der Reindl vor. »Da könnten wir zumindest einmal die ganze Szene aufwirbeln, weil es kann doch überhaupt nicht sein, dass da gar nichts durchgesickert ist, und überhaupt, wenn der Nachschub fehlt, da müssen doch die Abhängigen aus ihren Löchern kriechen, um sich anderweitig einzudecken.«
»Gute Idee, Reindl«, stimme ich zu.
Also gehe ich zum Krintinger und bespreche die Idee mit ihm. Er ist skeptisch, weil er schon ein paar von seinen Leuten dort hatte und die sich umgehört haben, aber bisher ohne jeglichen Erfolg. Und inzwischen hat der Laden ja schon geschlossen, weil es bereits halb sieben in der Früh ist. Was sollen wir dann machen? Ich habe überhaupt keine Idee mehr und gehe nachdenklich zurück zu meinen Leuten. Da reißt mich das Klingeln meines Handys aus meinen Gedanken.
»Xaver, nimm das Heroin und fahr los. Alleine! Sonst bringt der mich um.«
»Eva? Wo bist du?«, schreie ich los.
Um mich herum ist es schlagartig mucksmäuschenstill, als sie den Namen hören.
»Mach’s einfach, und zwar sofort«, übernimmt eine männliche Stimme am anderen Ende, die sich wieder genauso dumpf anhört wie die des Vermummten, der meine Dienststelle gestürmt hat. »Weitere Anweisungen folgen.«
Ich spurte los, rüber in mein Büro, schnappe mir das Heroin aus dem Tresor und laufe raus zu meinem Wagen.
»Ihr bleibt’s hier«, brülle ich meine Leute an, die mir aufgeregt hinterherlaufen.
Dann schmeiße ich mich in den Wagen und rase einfach los, nicht dass da noch einer auf die Idee kommt, mir zu folgen.
Kurz darauf klingelt wieder mein Handy.
»Du fährst jetzt rauf Richtung Falkenstein. Bei Rettenbach biegst links ab und fährst Richtung Postfelden. Beim Höllbachhof parkst und gehst rechterhand am Hof vorbei und in den Wald. Dort bekommst weitere Anweisungen.«
Also rase ich rauf zum Höllbachhof, springe aus dem Auto und laufe zu Fuß in den Wald. Tatsächlich kommt sofort die nächste Anweisung.
»Jetzt gehst rauf bis zur nächsten Weggabelung. Da gehst nach links und dann 500 Meter geradeaus. Da kommst zur ehemaligen Himmelsmühle, und dort treffen wir uns.«
Ich laufe also rauf, bis ich kurz vor der Lichtung stehe. Aus dem Schutz der Bäume heraus beobachte ich das Gelände. Soweit ich das beurteilen kann, sind ein paar Personen in der Hütte. Über Handy bekomme ich die Anweisung, das Heroin auf den Hackstock vor der Eingangstüre zu deponieren.
»Ich leg die Tüte ab, und ihr lasst gleichzeitig die Eva vor die Türe. Ich will sie sehen, ansonsten geh ich gleich wieder«, erkläre ich dem Entführer.
Die Türe geht auf, aber anstatt der Eva steht plötzlich der Angerer mit einer Pistole im Anschlag da und zielt genau auf meinen Kopf. Ich werfe mich mit einer gekonnten Rolle in bester Wild-West-Manier auf die Seite, während ich Schüsse höre. Das war es dann wohl, schießt es mir durch den Kopf. Jetzt ist es vorbei, und ich bin gleich tot. Aber anstatt tot liegenzubleiben, ist plötzlich um mich herum ein Höllenspektakel. Von überall aus dem Wald rennen Polizisten im Kampfanzug auf die Mühle zu, und dann ist der ganze Spuk vorbei. Neben mir kniet sich der Reindl nieder.
»Alles in Ordnung?«
»Wie kommt’s ihr hierher? Wo ist die Eva?«
»Wir haben natürlich sofort den Heulerich informiert, der ist ja mit seinen Leuten immer noch dabei, die Gegend abzusuchen. Dann sind wir dir hinterher. Wir können dich doch in deinem Zustand nicht alleine lassen.«
»Wo ist die Eva?«, schreie ich und laufe in die Mühle.
»Sie ist nicht hier«, grinst mich der Angerer an. »Glaubst ich bin blöd und geb sie dir einfach zurück?«
»In der Mühle waren nur der Angerer und die beiden geflohenen Gefangenen«, erklärt der Heulerich.
Ich kenne mich gar nicht mehr aus. Keine Eva, aber dafür der Angerer? Der wird doch überwacht, wie kann der plötzlich hier sein? Und dann auch noch die beiden entflohenen Gefangenen, was machen die hier?
»Wunderst dich, dass ich hier bin, Xaver? Trotz der stümperhaften Überwachung?«, lacht er. »Inzwischen sollten auch deine unfähigen Kollegen gemerkt haben, dass im Auto eine Puppe sitzt. In meiner Position musst auf alles gefasst sein, aber das überschreitet halt euren begrenzten Beamtenhorizont bei weitem. Ich bin in einem günstigen Moment, als deine Kollegen abgelenkt waren, raus aus dem Auto und zu meinem Ersatzfahrzeug, das ich für solche Notfälle immer bereitstehen habe, und dann gleich hierher.«
»Wo ist die Eva?«, frage ich noch mal.
Er lacht mich bloß aus und schüttelt den Kopf. Das ist zu viel für mich. Ich springe auf ihn zu und packe das Arschloch an der Gurgel.
»Drück zu, Xaver, dann wirst es nie erfahren. Keiner außer mir weiß, wo sie ist. Und wennst nicht machst, was ich dir sage, dann stirbt sie halt. Da bist dann du verantwortlich dafür. Das kommt davon, hättest damals nicht meine Schwester gevögelt und ihr erlaubt, dass sie meinen schönen Porsche zu Schrott fährt, dann könnten wir uns jetzt den ganzen Unsinn sparen, Xaver. Aber Strafe muss sein, das verstehst doch. Und meinen Wein hast mir auch zerdeppert.«
»Du willst dich auf diese Art an mir rächen wegen der Sache von damals? Indem du die Eva entführst und jetzt so ein perverses Spielchen treibst?«
»Genau das, Xaver. Du hast es endlich erfasst. Manchmal dauert es halt etwas länger, bis das Leben wieder für Gerechtigkeit sorgt. Aber irgendwann erwischt es jeden.«
Dabei hat der Sigi so einen irren Glanz in den Augen, wie ich ihn nur allzu gut vom erleuchteten Erwin aus meiner Kindheit kenne oder auch vom Pfarrer Eberdinger, wenn einer von denen sich in irgendeinen göttlichen Gerechtigkeitswahn reinsteigert. Der Sigi tickt nicht ganz sauber, so viel ist klar. Das ganze Theater hier hätte er sich einfach sparen können. Ich versteh nicht ganz, wozu diese Inszenierung gut sein soll, wenn er sich wieder verhaften lässt. Er hätte auch sterben können, so offen wie er sich mit der Pistole im Anschlag vor der Türe gezeigt hat. Damit musste er rechnen. Aber das gehört wohl alles zu seinem irren Plan.
»Xaver, ich will einen Fluchthubschrauber mit einem Piloten, meine Gattin und zehn Millionen Euro in kleinen Scheinen, und dann will ich ins Ausland geflogen werden. Und du kommst mit, sozusagen als meine Geisel im Tausch gegen die Eva.«
»Sigi, du spinnst doch komplett! Des krieg ich nie durch. Einen Hubschrauber, zehn Millionen und einen Flug ins Ausland.«
»Es ist mir völlig egal«, brüllt er plötzlich los, und Schaum tritt vor seinen Mund. »Die Eva stirbt halt ansonsten, weil du die nie findest. Sie wird übrigens jämmerlich verdursten, da wo sie ist. Solange sie noch bei klarem Verstand ist, wird sie hoffen, dass du kommst und sie befreist. Dann bekommt sie langsam Wahnvorstellungen, und irgendwann ist sie einfach tot. So ein paar Tage hält sie schon durch, aber es ist halt ein qualvoller, jämmerlicher Tod, das Verdursten. Und du, Xaver, du bist dann daran schuld, gell.«
Ich halte es einfach nicht mehr aus. Das perfide Arschloch hat mich völlig in der Hand. Wenn das stimmt, dass nur er weiß, wo die Eva ist, dann bin ich völlig ohnmächtig und von dem seinem kranken Hirn abhängig.
»Und übrigens ist der stellvertretende Innenminister selbst in die Drogengeschäfte involviert, falls es dich interessiert, Xaver.«
»Der stellvertretende Innenminister? Der hängt da mit drin? Kannst des beweisen?«
Da lacht er ganz irr, der Sigi.
»21031970, Xaver.«
»Was willst jetzt mit deinen blöden Zahlen?«
»Das ist die Kombination von meinem Schließfach Nummer 77 im Straubinger Bahnhof, das ihr Dilettanten noch nicht einmal gefunden habt’s. Da findest ein paar Dokumente, damit kriegst ihn dran.«
Ich notiere mir schnell die Nummer, nicht dass es sich der Sigi bei seinem maroden Geisteszustand anders überlegt und wir dann alle Schließfächer aufbrechen müssen.
»Heulerich, durchkämmt’s die ganze Gegend. Vielleicht hat er die Eva hier irgendwo in der Nähe versteckt.«
»Wir sind schon dabei, Dimpfelmoser. Wir sind ja keine Anfänger.«
Er schaut mich zur Abwechslung ganz fürsorglich an und klopft mir dann aufmunternd auf die Schulter.
»Wir finden sie, Xaver.«
Das ist endgültig zu viel für mich. Meine mühsam aufrechterhaltene innere Stärke bricht ausgerechnet unter dem Blick vom Heulerich zusammen wie ein Kartenhaus. Schnell laufe ich davon, dass er die Tränen nicht sieht, die mir übers Gesicht laufen.
»Bringt’s die Saubande zur Vernehmung nach Wörth runter, aber dalli«, brülle ich und laufe schleunigst in den Wald und zu meinem Auto.
Zum Glück hat das keiner gesehen. Wo kämen wir denn da hin, wenn mich noch einer der Kollegen so sehen tät, so als Weichei sozusagen. Das geht halt einfach überhaupt nicht. Ich weine nicht, und fertig. Das habe ich mir damals als Kind im Keller mit den Toten geschworen, wie ich halt für meine kleine Schwester und die Eva stark sein musste, damit die nicht völlig durchdrehen, und das ist auch heute noch so.
In der Dienststelle und beim Schorsch geht es inzwischen zu wie in einem Taubenschlag. Die Kollegen in Straubing haben den Swingerclub gestürmt und die Frau Angerer mit ihren vier Angestellten und noch ein paar anderen Gästen verhaftet. Jetzt sitzen sie alle in unseren Gefängniszellen und in den Vernehmungsräumen und werden befragt. Ich nehme mir zunächst die Frau Angerer vor.
»Servus, Frau Angerer. So sieht man sich wieder. Hoffentlich haben wir Sie nicht zu sehr gestört bei Ihren Machenschaften.«
»Der Herr Dimpfelmoser«, lacht sie und schiebt gleich wieder ihren Busen nach vorne. »Wennst du dich nicht mit mir vergnügst, dann muss ich mich halt anderswo befriedigen, man hat halt so seine Bedürfnisse.«
»Wie wär’s denn mit Ihrem Mann?«
»Der Schlappschwanz kann mir doch überhaupt nicht geben, was ich brauche. Aber da haben wir kein Problem damit, wir sind sehr offen, und Eifersucht spielt bei uns überhaupt keine Rolle. Aber so was verstehst du sicherlich nicht, so als kleiner Provinzpolizist mit deinen engstirnigen Moralvorstellungen.«
»Frau Angerer, lassen wir das. Wir wissen, dass der Sigi die Eva entführt hat, und Sie wissen das sicherlich auch.«
»Entführt? Davon weiß ich wirklich nichts, ich kümmere mich nicht um die Geschäfte meines Mannes.«
Sie ist entweder eine sehr gute Schauspielerin, oder sie weiß es wirklich nicht.
»Dass Ihr Mann in illegale Drogengeschäfte verwickelt ist, wissen’S das auch nicht?«
»Ich kümmere mich nicht um das Geschäft. Ich will Spaß und Luxus, der Rest ist mir egal.«
»Und da verteilen’S einfach ein bisserl Heroin an Ihre Angestellten? Ist das Ihre Art, Spaß zu haben?«
Sie verschränkt die Arme und schaut mich feindselig an.
»Ich will sofort meinen Anwalt sehen, den Herrn Rohrstopfer. Ohne den sage ich gar nichts mehr.«
»Des wird schwierig, Frau Angerer. Da müssen’S halt ein bisserl warten, weil der Herr Rohrstopfer muss ja schon zu Ihrem Mann und wahrscheinlich auch zu den Vernehmungen von Ihren Angestellten.«
Ich mache eine Pause und schaue sie dann direkt an.
»Ihr Mann hat behauptet, dass Sie den ganzen Heroinhandel hier organisieren und auch die Eva entführt haben. Da sitzen’S dann Ihr restliches Leben im Gefängnis«, lüge ich, um zu schauen, wie sie reagiert.
Sie zittert am ganzen Körper, und schneller als ich gedacht hätte, ist es mit ihrer Souveränität vorbei.
»Er ist es, ich bin unschuldig. Ich gebe nur ab und zu was im Auftrag von meinem Mann an unsere Angestellten weiter, aber ansonsten habe ich mit der ganzen Sache nichts zu tun. Er ist der Verbrecher, nicht ich. Er hat mich gezwungen, da mitzumachen.«
Sie schreit, und es schüttelt sie, während ihr Gesicht zuckt und sie immer mehr die Beherrschung verliert. Wahrscheinlich sagt sie sogar die Wahrheit, aber das muss nicht ich entscheiden, sondern später ein Richter. Von der krieg ich jedenfalls keinerlei Infos, wo die Eva versteckt ist, da bin ich mir ganz sicher. Da verlass ich mich wieder einmal auf meinen Instinkt, und der ist halt fast unfehlbar.
»Hol einen Arzt, Reindl, dass der der Frau Angerer so ein Beruhigungsmittel gibt. Nicht dass die uns im Vernehmungsraum noch gänzlich durchdreht.«
Der hängt sich gleich ans Telefon, und ein paar Minuten später kümmert sich der Doktor Sattler um die jämmerlich weinende und brüllende Frau Angerer.
Ich geh zum Krintinger rüber, der mal wieder mit dem Huber streitet.
»Er will einen Hubschrauber mit Pilot, zehn Millionen Euro, seine Frau und mich«, erkläre ich. »Dann verrät er, wo die Eva ist.«
»Unmöglich, Dimpfelmoser«, ereifert sich gleich der Huber. »Das kriege ich nie genehmigt. Wir wissen doch noch nicht einmal sicher, ob er die Eva hat. Er behauptet es, aber so wie ich das sehe, spielt sich der Herr Angerer etwas auf und übertreibt wohl ein wenig.«
Das war klar, dass es der Huber noch nicht einmal versuchen will. Aber ich brauche den Hubschrauber. Wenn wir die Eva nicht finden, dann bleibt mir doch gar nichts anderes mehr übrig, als ihn ziehen zu lassen. Notfalls ziehe ich das halt dann alleine durch. Wenn wir erst einmal in der Luft sind, dann fällt mir schon irgendwas ein. In dem Moment kommt mir die Zahlenkombination vom Schließfach in Straubing in den Sinn. Das könnte die Rettung sein, wenn da was dran ist. Ich suche den Oberberger, der mit der Gerlinde irgendwelche alten Akten von den Verhafteten durchschaut.
»Oberberger, Gerlinde, ich hab einen Spezialauftrag für euch. Hier auf dem Zettel habt’s eine Nummer. Ihr fahrt schnell rüber nach Straubing. Da sucht’s das Schließfach Nummer 77, macht’s es mit der Nummer auf, die auf dem Zettel steht, und bringt’s den Inhalt schnellstens zu mir.«
Ich bespreche mich kurz mit den Beamten, die die Vernehmungen durchführen. Überall ist es das Gleiche. Alle geben zu, Drogen zu konsumieren, die ihnen die Frau Angerer besorgt, aber ansonsten will keiner was wissen. Die zwei übergelaufenen Polizisten geben auch zu, in Frankfurt in illegale Machenschaften verwickelt gewesen zu sein. Sie behaupten, dass der Angerer sie nach der Befreiung aus dem Gefängnis in ein Auto gesetzt hat und sie dann direkt zur Himmelsmühle gefahren sind. Was der Angerer gemacht hat, wissen sie nicht. Der ist erst vorhin wieder aufgetaucht und hat behauptet, dass die Frankfurter Drogenmafia jetzt gleich ihr Heroin zurückbekommt und sie dann endlich ihr Geschäft abwickeln können. Danach wäre eh gleich der Dimpfelmoser aufgetaucht, und ansonsten schweigen auch die beiden eisern. Anscheinend weiß wirklich nur der Angerer, wo die Eva steckt. Allmählich habe ich doch das Gefühl, ich verliere den Verstand und die Kontrolle.
Weil ich einfach nicht weiterweiß, mache ich das, was ich immer tue, um in Ruhe nachdenken zu können. Ich gehe runter an die Donau und schau ins Wasser. Die Angst um die Eva vernebelt mir mein Hirn, und die Ereignisse der letzten Tage ergreifen sofort die Gelegenheit, um sich machtvoll nach vorne zu drängen. Ich lasse meinen Gedanken einfach freien Lauf und schau, was da kommt. Und plötzlich weiß ich, was ich tun muss. Wir haben bisher nirgendwo ein Lager für die Drogen gefunden. Aber wenn der Angerer so eine Größe in der Drogenszene ist, dann muss der das Zeug ja irgendwo deponieren und dort abholen, um es zu verkaufen. Und da muss auch die Eva sein. Also müssen wir versuchen, dem sein Lager zu finden, und dann finden wir vielleicht auch die Eva. Der Opa hat vor langer Zeit einmal was von so einem Fluchttunnel erzählt, den sein Vater im ersten Weltkrieg mit in den Berg gegraben hat. Vielleicht gibt es da irgendwelche Pläne, oder der Opa weiß was. Ich rufe sofort den Krintinger an, dass der schaut, ob es alte Pläne gibt. Dann rufe ich den Opa an. Der erinnert sich dunkel, dass die Tunnel irgendwo in der Nähe gegraben wurden, aber mehr weiß er leider auch nicht mehr. Es ist ein Strohhalm, an den ich mich klammere, aber bloß untätig rumsitzen und warten, dass die Eva stirbt, kann ich auch nicht. Also laufe ich zurück zur Dienststelle. Tatsächlich finden sich kurz darauf ein paar alte Pläne aus dem Stadtarchiv, in die ein alter Tunnel auf dem Gelände der Himmelsmühle eingezeichnet ist.
»Wenn die Eva oder ein Drogenlager dort irgendwo ist, dann hätten doch die Hunde anschlagen müssen«, bremst mich der Krintinger etwas aus. »Die haben gerade noch mal das ganze Gelände abgesucht, aber nirgendwo hat einer der Hunde angeschlagen.«
»Krintinger, weißt was Besseres?«
Der schüttelt nur resigniert den Kopf.
»Also lass einen Bagger hochbringen. Falls wir keinen Eingang zu den Tunneln finden, dann graben wir den halt einfach aus. Und frag beim Bürgermeister nach, ob irgendwer von der Gemeinde was weiß über den alten Tunnel.«
Gerade kommt die Meldung rein, dass die Himmelsmühle der Stadt gehört. Der ehemalige Besitzer hat sie vor über fünfzig Jahren der Stadt vererbt, und seitdem verfällt sie. Auch der gesamte angrenzende Wald gehört der Gemeinde.
»Schaut’s, dass ihr alle Förster und Waldarbeiter auftreibt’s, die da oben zuständig sind«, ordnet der Krintinger daraufhin an. »Vielleicht kann uns da einer weiterhelfen.«
Ich laufe raus und fahre mit den Plänen wieder hoch zur Himmelsmühle. Die Männer vom Heulerich suchen anhand der geographischen Karten noch mal alles ab, aber es gibt faktisch keinen Tunneleingang an der Stelle oder auch in der Nähe, wo er im Plan eingezeichnet ist.
»Männer, dann müssen mia halt graben, des hilft alles nichts.«
Sie murren und motzen, aber alle nehmen ihre Schaufeln und beginnen zu graben. Ich gehe mit gutem Beispiel voran, aber nach fünf Minuten geben wir wieder auf, weil der Boden einfach zu hart ist. Da kommen wir niemals auf die Tiefe, in der der Tunnel eingezeichnet ist. Auf der Hauptstraße ist inzwischen der Bagger eingetroffen. Wir lotsen ihn zu uns, und er fängt an zu graben. Nach einer Stunde ist er bei der Tiefe angelangt, in der der Tunnel laut Plan sein müsste. Aber anstatt auf einen Tunnel stoßen wir nur auf eine Betonmasse, die den Tunnel wohl vollständig auffüllt.
Also wieder eine Sackgasse, es ist einfach zum Narrischwerden.
»Dann graben wir jetzt halt das gesamte Gelände um.«
Der Heulerich rauft sich verzweifelt die Haare.
»Dimpfelmoser, das geht nicht. Das sind fast 50 000 Quadratmeter Wald, wie willst denn des alles umgraben? Des musst doch einsehen, der Tunnel existiert nicht mehr. Wir verschwenden hier nur unsere Zeit.«
»Die Eva muss hier irgendwo sein. Warum sonst hätt der Angerer gerade diesen Ort gewählt, kannst mir das vielleicht erklären?«
»Der ist doch plemplem, da kannst doch nicht mehr auf Logik bauen, Dimpfelmoser. Meine Männer sind am Rande der Belastungsfähigkeit und brauchen dringend eine längere Pause.«
Das war zumindest ein Hoffnungsschimmer, die Eva doch noch rechtzeitig zu finden. Dann muss halt doch der Hubschrauber her. Ich hoffe bloß, dass in dem Schließfach was Brauchbares drin war, dann krieg ich schon meinen Hubschrauber und die zehn Millionen. Da kann sich der Huber von mir aus noch tausendmal querstellen und sich um seinen Ruf sorgen, ich tue, was ich jetzt tun muss. Und zur Not erpresse ich den stellvertretenden Innenminister, es geht schließlich um das Leben von der Eva.