1929

Die Partei beschloß, mich eine Zeitlang "aufs Land" zu schicken, und fand für mich eine Stellung im Gestüt des Obersten Baron von Jeseritz, der ein großes Gut in W., in Pommern, besaß. Meine neue Arbeit entzückte mich. Die Tiere waren schön und gut gepflegt, die Stallungen sehr modern, und der Baron von Jeseritz man nannte ihn stets "Herr Oberst", obwohl er nicht mehr im Dienst war- übte eine eiserne Disziplin. Er war groß und hager, sein Gesicht gebräunt und von Runzeln durchzogen, ein übermäßig langes Kinn gab ihm selbst das Aussehen eines Pferdes. Die Stallknechte nannten ihn hinter seinem Rücken "Stahlschnauze", aber ich habe niemals erfahren können, ob wegen seines Kinns oder wegen seiner Augen. Diese hatten auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Sie waren blau, und mehr war darüber nicht zu sagen. Aber wenn Jeseritz sie unvermittelt fest auf einen richtete, hätte man meinen können, daß er an einem Schalter drehte. Ihr Glanz war unerträglich. Ich war schon drei Monate in seinen Diensten, er hatte noch kein einziges Mal das Wort an mich gerichtet, und ich glaubte, da ich durch seinen Vertrauensmann angestellt worden war, ich sei ihm völlig unbekannt, als ich eines Nachmittags, an dem ich allein auf einer Weide damit beschäftigt war die Einzäunung auszubessern, hinter mir den charakteristischen Trab seiner Stute erkannte; ich hörte ein Schnalzen, und plötzlich stand die Stute vor mir, hoch und feingliedrig; ihre Muskeln traten unter ihrem schönen schwarzen Fell sanft hervor. "Lang!"
Ich richtete mich auf, und bei der jähen Bewegung, die ich machte, um strammzustehen, spitzte die Stute die Ohren. Jeseritz tätschelte sie und sagte, ohne mich anzusehen und als ob er mit sich selbst spräche: "Ich habe einen kleinen Hof in Marienthal. Er ist vollständig heruntergewirtschaftet“. Er schwieg, und ich wartete ab. "Ich hab' mir gedacht", fuhr er wie geistesabwesend fort, als ob er bloß laut dachte, "ich könnte vielleicht dort ein paar Pferde unterbringen, wenn der Boden sie ernähren kann."
Er senkte die Spitze seiner Reitpeitsche, legte sie zwischen die Ohren der Stute und streichelte sie leicht. "Zur Zeit meines Vaters waren dort Pferde. Aber niemand hat dort aushatten wollen. ..Es ist ein Dreckloch. Überall Wasser. Die Baulichkeiten sind in einem traurigen Zustand. Der Boden auch. Man muß alles erneuern, den Boden wieder instand setzen. .."

Er hob die Reitpeitsche wieder und richtete seine unerträglichen blauen Augen auf mich. "Verstanden?"
"Jawohl, Herr Oberst."
Nach einem Weilchen blickte er weg, und ich fühlte mich erleichtert. "Ich hab' an dich gedacht."
Er kratzte sich mit der Spitze der Reitpeitsche hinter dem Ohr und sagte barsch: "Die Bedingungen sind die folgenden. Zunächst stelle ich dir zwei Mann, und du versuchst, alles, alles zu erneuern. Du erhältst denselben Lohn wie jetzt. Wenn es dir gelingt, ziehst du hin, und ich stelle ein paar Pferde ein. Gleichzeitig gebe ich dir eine Zuchtsau, ein paar Hühner und Saatgut. Es ist ein Stück Feld dabei. Alles, was du aus dem Feld, dem Schwein, dem Geflügel und zwei kleinen Waldstücken, die zu dem Gut gehören, herauswirtschaftest, gehört dir. Auch die Jagd gehört dir. Aber vergiß nicht, daß du von dem Augenblick an, an dem du einziehst, keinen Pfennig erhältst? Verstanden? Keinen Pfennig!"
Er schwenkte seine Reitpeitsche, sein durchbohrender Blick fiel auf mich, und plötzlich schrie er wütend: "Nicht einen einzigen Pfennig!"
Ich sagte: "Ja, Herr Oberst."
Es entstand ein Schweigen, und dann fuhr er mit ruhiger Stimme fort: "Sag nicht ja. Nimm ein Pferd und sieh dir's an! Wenn du es gesehen hast, kannst du ja sagen."
"Jetzt gleich, Herr Oberst?"
"Jetzt gleich. Und sag Georg, er soll dir Stiefel geben. Du wirst sie brauchen."
Er wendete sein Pferd und ritt davon. Ich kehrte in unsere Baracke zurück und sagte Georg, daß mich Jeseritz nach Marienthal schicke. Georg sah mich an, kniff die Augen zusammen und schüttelte ein paarmal den Kopf. Dann sagte er mit geheimnisvoller Miene: "Du also!"
Er lächelte, seine Zahnlücken wurden sichtbar, und er sah sofort viel älter aus. "Ach, ist der Alte schlau! Er spekuliert jetzt auf den armen Landstreicher."
Er holte mir Stiefel, sah zu, wie ich sie anprobierte, und sagte langsam: "Freu dich nicht zu früh! Das ist ein Dreckloch. Und sag nicht ja, wenn du glaubst, daß du es nicht schaffen kannst."
Ich bedankte mich, er bestimmte ein Pferd für mich, und ich ritt los. Vom Gestüt nach Marienthal waren es zehn Kilometer. Der Himmel war wolkenlos, aber obwohl erst September war, war die Luft außerordentlich frisch. Im Dorf ließ ich mir die Richtung zum Gut angeben und legte noch zwei oder drei Kilometer auf einem sehr schmutzigen Weg zurück, der halb von Heidekraut überwuchert war. Ich sah weder ein Haus noch ein Stück Feld. Alles war unbebaut und wüst. Der Weg hörte vor einer völlig verfaulten hölzernen Schranke auf, ich stieg vom Pferd und band es an einer Pappel an. Obgleich es seit acht Tagen nicht geregnet hatte, war der Boden weich und schwammig. Ich ging noch ein paar Schritte und entdeckte das Haus. Das Dach war teilweise durchgebrochen, weder eine Tür noch Fensterläden waren vorhanden, und zwischen den zerbrochenen Fliesen wuchs Gras. Ich machte einen Rundgang und kam in den Stall. Sein Dach hielt noch, aber eine der Wände war eingestürzt. Georg hatte mir einen Plan der zugehörigen Landstücke mitgegeben, und ich begann diese ohne Eile abzugehen. Der Wald war ein feuchtes und mageres Gebüsch. Außer Heizung und Jagd war nichts herauszuholen. Ich sah im Vorübergehen, was ein Acker sein sollte: armer, sandiger Boden. Dann war noch ein kleines Fichtenwäldchen da, und ich zählte mit Vergnügen etwa hundert ziemlich gute Stämme und ungefähr ebensoviel junge Bäume. Dahinter fingen die Wiesen an. Ich zählte im ganzen fünf, die durch Hecken oder Zäune getrennt waren. Drei von ihnen waren mit Binsen bewachsen. Die beiden anderen, unterhalb eines schlammigen Pfades gelegen, waren vollkommen naß. Es konnte keine Rede davon sein, sich daraufzuwagen, selbst nicht in meinen Stiefeln. Ich ging den Fußweg entlang; nach einer Viertelstunde Marsch kam ich an einen Teich und begriff, was geschehen war. Der Teich mußte durch einen Damm abgeschlossen gewesen sein, den dann ein Hochwasser zerstört hatte. Das Wasser hatte die beiden tiefer gelegenen Wiesen überschwemmt und war in die drei anderen eingesickert, nur viel langsamer, weil an dieser Stelle eine leichte Bodenwelle seinem Lauf Widerstand geleistet hatte. Ich zog mich aus und ging in den Teich hinein. Das Wasser war eisig, ich holte tief Atem und tauchte. Nach einiger Zeit fand ich den Damm, ich zog mich hinauf, das Wasser ging mir bis an die Knie. Mit dem Fuß tastend, stellte ich die Richtung des Dammes fest und ging langsam weiter. Das Wasser war dunkel und schlammig, und ich war immer darauf gefaßt, den Boden unter den Füßen zu verlieren, sobald ich an die Stelle kam, wo der Damm gebrochen war. Und in der Tat, ich war noch nicht bis zur Mitte des Teiches gelangt, als ich schwimmen mußte, bis ich drei oder vier Meter weiter den zweiten Abschnitt des Dammes wiederfand. Ich faßte darauf Fuß und erreichte das Ufer. Eine andere Lücke gab es nicht. Ich stieg aus dem Wasser und ging im Laufschritt um den Teich herum, um auf der anderen Seite wieder zu meinen Kleidern zu kommen. Mir klapperten die Zähne, und ich sank mehrmals bis zu den Knöcheln in den Schlamm ein. Aber beim Laufen trocknete mich der Wind, und ich war kaum noch feucht, als ich mich wieder ankleidete.

Ich setzte mich dem Teich gegenüber auf einen großen Stein, die Sonne sank schon, ich fröstelte und fühlte Müdigkeit und Hunger. Ich zog mein Brot aus der Tasche und fing an, es langsam zu verzehren, während ich auf den Teich hinblickte. Er war von einer Menge Binsen umgeben, und dahinter stieg im Westen eine große schwarze Wolke auf und verhüllte die Sonne. Mit einemmal brach die Dunkelheit herein, ein faulig-feuchter Geruch stieg vom Boden auf, und alles war von einer furchtbaren Traurigkeit erfüllt. Dann drang ein Sonnenstrahl durch die Wolke, streifte das dunkle Wasser, und brauner Nebel fing an, sich in den Vertiefungen der Wiesen zu sammeln. Der Stein, auf dem ich saß, steckte zur Hälfte im Schlamm, alles um mich herum war kalt und klebrig, und ich hatte die Empfindung, in einem Meer von Schlamm verloren zu sein. Als ich auf das Gut zurückkam, nahm Georg mein Pferd beim Zügel und sagte: "Der Alte wartet auf dich in seinem Büro. Geh schnell hin!"
Dann sah er mich an und sagte leise: "Na, was hältst du davon? Dort im Winter, he? ..."
Im Büro brannte ein großes Holzfeuer, und vor dem Feuer saß oder vielmehr lag in einem kleinen Lehnstuhl, mit dem Hintern auf dem Sesselrand, Herr von Jeseritz, eine lange Pfeife in der Hand, seine langen gestiefelten Beine weit ausgestreckt. Er wandte den Kopf, seine blauen Augen blickten mich fest an, und er rief: "Nun?"
Ich stand stramm und sagte: "Ja."
Er erhob sich und stellte sich fest auf seine Beine. Das erstaunte mich. Bisher hatte ich ihn immer nur zu Pferde gesehen. "Hast du es dir gut überlegt?"
"Jawohl, Herr Oberst."
Er ging auf und ab und sog an seiner Pfeife. "Glaubst du, daß es dir gelingen wird?"
sagte er mit verhaltener Stimme. "Jawohl, Herr Oberst, wenn es mir gelingt, den Damm auszubessern. Er hat eine Lücke von vier Metern."
Er blieb plötzlich stehen und sah mich scharf an. "Woher weißt du, daß sie vier Meter lang ist?"
"Ich bin ins Wasser hineingestiegen."
"Und eine andere Lücke gibt es nicht?"
"Nein, Herr Oberst."
Er nahm seinen Marsch wieder auf. "Das ist nicht so schlimm, wie ich glaubte."
Er blieb, stehen und kratzte sich mit dem Mundstück seiner Pfeife hinter dem Ohr . "Also du bist ins Wasser gegangen?"
"Jawohl, Herr Oberst."
Er sah mich zufrieden an. "Na, du bist der erste, der auf diesen Gedanken gekommen ist."
Er setzte sich, legte seine Beine aneinander und streckte sie aus. "Und dann?"

"Dann, Herr Oberst, müßte man die beiden tiefer liegenden Wiesen trockenlegen. Was die drei andern angeht, würde es genügen, sie zu säubern und die Vertiefungen auszufüllen."
"Kannst du den Stall und das Haus selber ausbessern?"
"Jawohl, Herr Oberst."
Ein Schweigen trat ein. Er stand auf, lehnte sich an den Kamin und sagte: "Hör jetzt gut zu!"
"Jawohl, Herr Oberst."
"Für mich bedeuten ein paar Pferde dort nichts. Das zählt überhaupt nicht mit. Was wichtig ist. ..", er machte eine Pause, stellte sich breitbeinig hin und sagte: ". ..das ist, daß ein Stück deutschen Bodens der Kultur zurückgewonnen wird, und daß eine deutsche Familie davon lebt. Verstanden?"
Ich antwortete nicht sofort. Ich war verblüfft, ihn von einer Familie reden zu hören, da er das Gut doch mir anvertrauen wollte Er wiederholte ungeduldig: "Verstanden?"
Ich sagte: "Jawohl, Herr Oberst."
"Gut. Du fängst morgen an. Georg wird dir die Leute mitgeben und alles, was nötig ist. Das ist also abgemacht?"
"Jawohl, Herr Oberst."
"Gut. Aber denk daran: Sobald du im Bruch eingezogen bist, gibt es keinen Pfennig. Selbst wenn du vor Hunger krepierst, keinen Pfennig! Was auch kommen mag, keinen Pfennig!"
Ich brauchte ein Jahr, um die Arbeit durchzuführen, die ich übernommen hatte. Sogar in der Armee hatte ich keine härtere Zeit erlebt. Es waren unglaubliche Lebensbedingungen, und es bestätigte sich mir, was ich schon in Kurland bemerkt hatte: Man findet sich mit der Hitze ab, und man findet sich mit der Kälte ab, aber niemals gewöhnt man sich an den Schlamm. Der Damm machte uns viel Mühe. Wir waren kaum mit der Ausbesserung fertig, als er an einer anderen Stelle weggespült wurde. Dann folgten vom Oktober an unaufhörlich Unwetter, und wir arbeiteten den ganzen Tag mit den Füßen im Teich stehend und den Körper vom Regen gepeitscht. Trocken waren wir nur abends. Wir schliefen auf den Fliesen des Hauses unter Pferdedecken. Das Dach hatten wir ausgebessert, aber der Kamin hatte so schlechten Zug, daß wir die Wahl hatten, entweder vor Kälte zu schlottern oder vom Rauch erstickt zu werden. Dennoch wurde der Damm fester, aber ich erkannte, daß die Festigkeit immer nur scheinbar sein würde und daß man in der Folge ständig darüber würde wachen müssen. Ich hatte auch Schwierigkeiten mit meinen Gehilfen. Sie beklagten sich, sie würden zu derb angefaßt. Ich bat Jeseritz, einen von ihnen als warnendes Beispiel zu entlassen, und nachher hatte ich keinen Verdruß mehr. Doch der Mann, den man mir als Ersatz gab, kriegte eine Lungenentzündung und mußte von sich aus weggehen. Ich selbst hatte einen ziemlich schweren Malariaanfall, der mich einige Tage niederwarf, und zweimal wäre ich beinahe versunken.

Endlich kam der Tag, an dem ich Jeseritz mitteilen konnte, daß das Gut wieder instand sei. Als ich sein Büro betrat, traf ich dort den alten Wilhelm. Er winkte mir freundschaftlich zu, und ich war darüber so erstaunt, daß ich den Gruß nicht erwiderte. Der alte Wilhelm war ein Pächter des Herrn von Jeseritz, und im allgemeinen hielten sich die Pächter für so hoch über den Stallknechten stehend, daß es ihnen nicht in den Sinn gekommen wäre, das Wort an sie zu richten. Ich fand Jeseritz in seinen kleinen Lehnstuhl hingestreckt, die lange Pfeife in der Hand und die gestiefelten Beine weit von sich gestreckt. Rechts von ihm standen auf einem niedrigen Tischchen aus schwarzem Holz sechs Glas Bier und sechs kleine Gläser voll Schnaps. "Ich bin fertig, Herr Oberst."
"Gut!"
sagte von Jeseritz und ergriff mit der rechten Hand ein Glas Schnaps. Er stand auf, reichte es mir, ich sagte: "Danke schön, Herr Oberst", er nahm auch eins, leerte es auf einen Zug, nahm ein Glas Bier und leerte es gleichfalls. Als ich meinen Schnaps ausgetrunken hatte, setzte ich das Gläschen auf den Tisch, aber Jeseritz bot mir kein Bier an. "So"
? sagte er und wischte sich mit dem Ärmel über die Lippen, "du bist fertig?"
"Ja, Herr Oberst."
Er blickte mich an, sein Gesicht legte sich in Falten und bekam einen boshaften Ausdruck. "Nein, nein", sagte er endlich, während er mit dem Rücken der linken Hand sein mächtiges Kinn strich, "du bist nicht fertig, es bleibt dir noch etwas zu tun."
"Was denn, Herr Oberst?"
Seine Augen funkelten. "Also, du bist fertig, nicht wahr? Das Haus ist fertig, du kannst einziehen?"
"Ja, Herr Oberst."
"So, du hast keine Möbel, keine Wäsche, kein Geschirr, aber du willst trotzdem einziehen? Daran hast du nicht gedacht, will ich wetten."
"Nein, Herr Oberst."
"Also, siehst du, bist du nicht fertig."
Er strich sich über seine Kinnlade und fing an zu lachen. "Du wirst das alles kaufen müssen. Aber sicher hast du Geld, nicht wahr?"
"Nein, Herr Oberst."
"Was? Was?"
sagte er ganz erstaunt. "Kein Geld? Kein Geld? Aber das geht nicht, mein Freund, das geht doch nicht. Man braucht Geld, um Möbel zu kaufen."
"Ich habe kein Geld, um Möbel zu kaufen, Herr Oberst."

"Kein Geld!"
wiederholte er kopfschüttelnd. "Schade! Schade! Kein Geld, keine Möbel, das ist klar! Und ohne Möbel kein Gut!"
Er blickte mich an, seine Augen erstarrten urplötzlich, dann fingen sie wieder an zu funkeln, und ich fühlte mich sehr unbehaglich. "Ich könnte vielleicht unter einer Pferdedecke schlafen, Herr Oberst."
"Was?"
sagte er mit spöttischer Miene. "Ich, Oberst von Jeseritz, soll meinen Pächter auf dem nackten Boden schlafen lassen! Nein, nein, mein Freund! Keine Möbel, kein Gut, das ist klar."
Er sah mich boshaft an und fuhr fort: "Also du siehst, du bist nicht fertig. Es bleibt dir noch etwas zu tun."
"Was denn, Herr Oberst?"
Er bückte sich, ergriff ein Schnapsglas, leerte es auf einen Zug, stellte es wieder auf den Tisch, nahm ein Glas Bier und trank es aus. Dann schnalzte er mit der Zunge, seine Augen funkelten, und er sagte: "Heiraten."
Ich stammelte mit bebender Stimme: "Aber, Herr Oberst, ich will nicht heiraten."
Sein Gesicht wurde sofort wieder starr. "
Was?"
rief er. "Du willst nicht heiraten! Was für eine verflixte Frechheit! Du willst Pächter sein und nicht heiraten! Wofür hältst du dich denn?"
"Verzeihung, Herr Oberst, ich will nicht heiraten. .."
"Was?"
schrie er. Er reckte die Arme gen Himmel. "Mir einfach nein zu sagen! Mir! Mir, einem Offizier! Mir, der dich sozusagen aus dem Dreck gezogen hat."
Er sah mich mit einem durchdringenden Blick an. "Du bist doch nicht etwa krank?"
"Nein, Herr Oberst."
"Herrgott, du wirst doch nicht zufällig einer von diesen. .."
Ich sagte energisch: "Nein, Herr Oberst."
Er fing plötzlich an zu brüllen: "Warum also?"
Ich sagte nichts, er sah mich eine ganze Weile an, dann kratzte er sich mit dem Mundstück seiner Pfeife hinter dem Ohr. "Du bist doch normal, nicht?"
Ich sah ihn an. "Kurz gesagt, du bist kein Wallach, sondern ein Hengst, hoffe ich."
"Gewiß, Herr Oberst, ich bin normal."
"Und du kannst Kinder machen?"
"Ich vermute, Herr Oberst."
Er brach in Lachen aus. "
Wie, du vermutest?"
Es war mir schrecklich peinlich, und ich sagte: "Ich will damit sagen, daß ich nie versucht habe, Kinder zu machen, Herr Oberst."
Er lachte, zeigte mit seiner Pfeife auf mich, und ich bemerkte flüchtig, daß die Vorderseite des Pfeifenkopfs einen Pferdekopf darstellte.

"Aber du hast trotzdem den ersten Schritt dazu getan, hoffe ich?"
"Ja, Herr Oberst."
Er lachte abermals schallend und begann wieder: "Wievielmal?"
Und da ich nicht antwortete, wiederholte er brüllend: "
Wievielmal?"
"Zweimal, Herr Oberst."
"Wa-as?"
schrie er. Und er lachte wohl eine ganze Minute lang. Als er sich ausgelacht hatte, leerte er Zug um Zug ein Glas Schnaps und ein Glas Bier, sein gebräuntes Gesicht rötete sich, und er sah mich mit funkelnden Augen an. "
Wart mal!"
rief er, "das müssen wir klarstellen! Wievielmal, sagst du?"
"Zweimal, Herr Oberst."
"Mit derselben?"
"Nein, Herr Oberst."
Er hob mit geheucheltem Entsetzen seine Pfeife gen Himmel. "Aber du bist ja ein richtiger. ..Wie nennt man das ? ...Es kommt nicht darauf an. ..Ein richtiger. ..Don Juan, glaube ich. Also mit jeder einmal! Einmal! Die armen Dinger! Was hatten sie dir denn getan?"
Ich haspelte heraus: "Die erste redete wirklich zuviel, und die zweite war meine Wirtin."
"So, so!"
rief von Jeseritz und leerte wieder schnell ein Glas Schnaps und ein Glas Bier. "Das ist sehr praktisch, die Wirtin. Da gibt es wenigstens keine Unterbrechung. Sie ist immer zur Stelle."
"Das war es ja gerade", sagte ich mit bebender Stimme. "Ich hatte Angst. ..daß es zur Gewohnheit würde."
Er fing an zu lachen, als ob er nie wieder aufhören wollte. "Herr Oberst", sagte ich mit fester Stimme, "es ist nicht meine Schuld, aber ich bin nun mal nicht sinnlich."
Er sah mich an. Der Gedanke schien ihn zu überraschen, und er hörte auf zu lachen. "Da haben wir es", sagte er befriedigt. "Ich wollte es schon sagen. Du bist nicht sinnlich veranlagt. Das ist die Erklärung. Du lehnst das weibliche Geschlecht ab. Ich habe solche Pferde gekannt."
Er lehnte sich an den Kamin, steckte seine Pfeife wieder in Brand und sah mich mit Befriedigung an. "Aber alles das", begann er wieder nach einer Weile, "erklärt mir nicht, warum du nicht heiraten willst."
Ich sah ihn mit offenem Munde an. "Aber Herr Oberst, mir scheint. .."
"
Ta, ta, ta! Dir scheint gar nichts. Wenn du erst verheiratet bist, werde ich deine Sprünge nicht zählen, nicht wahr? Aber wenn du in fünf Jahren einmal im Jahr liebst, kannst du sehr gut fünf Kinder haben, und das ist alles, was das Vaterland von dir verlangt. Nein, nein, all das sagt mir noch nicht, warum du nicht heiraten willst."

Er sah mich fest an, ich wandte den Kopf weg und sagte: "Es ist so ein Gedanke von mir, Herr Oberst."
"Was?"
rief er und hob seine Pfeife zum Himmel. "Ein Gedanke? Sieh mal an, du hast auf einmal Gedanken! -Hör zu", fuhr er fort, "da du den Gedanken liebst, will ich dir zwei in deinen verfluchten

bayerischen Dickschädel einhämmern. Erstens: Ein guter Deutscher muß Stammvater eines neuen Geschlechts werden. Zweitens: Auf ein Gut gehört eine Frau. Stimmt's?"
Und da ich nicht antwortete, brüllte er: "Stimmt's?"
"Jawohl, Herr Oberst."
Und in der Tat, im allgemeinen hatte er bestimmt recht. "Nun gut", sagte er, als ob die Diskussion abgeschlossen wäre, "das ist also abgemacht."
Nach einigem Schweigen sagte ich: "Aber, Herr Oberst, selbst wenn ich heiraten wollte -Sie wissen doch, daß ich hier niemanden kenne."
Er lehnte sich in seinen kleinen Sessel und streckte seine gestiefelten Beine von sich. "Mach dir darüber keine Sorgen. Ich habe alles schon in die Wege geleitet."
Ich sah ihn mit offenem Munde an. "Freilich", sagte er und richtete seine Augen fest auf mich, "du glaubst doch nicht, ich lasse zu, daß du irgendeine Hure auf mein Pachtgut bringst? Daß sie dir Hörner aufsetzt, daß du zu saufen anfängst und meine Pferde krepieren läßt? Nie und nimmer!"
Er schüttete die Asche seiner Pfeife ins Feuer, hob den Kopf wieder und sagte: "Ich habe dir die Elsie ausgesucht."
Ich stammelte: "Elsie? Die Tochter des alten Wilhelm?"
"Kennst du hier eine andere Elsie?"
"Aber sie wird nichts von mir wissen wollen, Herr Oberst."
"Natürlich wird sie."
Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. "Zwar bist du ein bißchen klein, aber du bist nicht häßlich. Und du bist kräftig. Klar, sie ist etwas groß für dich. Aber um so besser, das gleicht sich aus. Mit deinem Brustkasten und ihren langen Stelzen werdet ihr ganz anständige Kinder machen. Und merke dir. ..", er strich mit der Hand seine riesige Kinnlade, ". ..bei Kreuzungen weiß man nie, wie es geht. Vielleicht werden die Kinder am Ende alle nach dir schlagen: guter Brustkasten, aber kurze Beine. -Aber darauf kommt es jetzt nicht an", fuhr er fort und stand auf, "um den Boden zu bearbeiten, sind kurze Beine besser. Nein, worauf es ankommt, ist die Rasse. Ihr seid alle beide gute Deutsche und werdet gute Deutsche zeugen; darauf kommt es an! Es gibt genug von diesen dreckigen Slawen hier in Pommern."

Schweigen trat ein, ich straffte mich noch mehr, schluckte den Speichel hinunter und sagte: "Wirklich, Herr Oberst, ich möchte nicht heiraten "
Er blickte mich an, der Mund blieb ihm offen stehen, seine Stirnadern schwollen, und so stand er ein paar Sekunden lang, ohne sprechen zu können, seine unerträglichen blauen Augen auf mich geheftet. "Du gottverdammtes Arschloch!"
brüllte er. Er schritt auf mich zu, packte mich an den Jackenaufschlägen und schüttelte mich wie ein Verrückter . "Die Möbel!"
brüllte er. "Die Möbel! Der alte Wilhelm gibt dir Möbel."
Er ließ mich los, warf seine Pfeife auf den Schreibtisch und ging zur Tür hin, die Hände auf den Rücken gelegt. "Du Lump!"
schrie er und drehte sich zu mir um. "Ich gebe dir einen tadellosen Pachthof, ich gebe dir ein Mädel! Und du. .."
Er ging auf mich los, und ich dachte, er wollte mich schlagen. "Du Schwein", schrie er, "du willst nicht heiraten! Nach allem, was ich für dich getan habe!"
"Herr Oberst, ich bin Ihnen gewiß sehr dankbar."
"Schweig!"
schrie er. Dann schüttelte ihn ein neuer Wutanfall, und während er hin und her lief und sich an seine Brust schlug, stammelte er: "Er hat. ..ge. ..wagt ...in Gegen. ..wart ...eines. ..Offi ... ziers ..."
Dann machte er kehrt und brüllte: "Die Möbel!"
Er kam auf mich zu und hielt mir die Faust unter die Nase. "Ein Schlafzimmer in Eiche, ein Küchentisch, ein Küchenschrank aus Weichholz, sechs Rohrstühle, vier Bettbezüge, hörst du ? Bettbezüge! Du hast in deinem Leben nie mehr als ein schmutziges Taschentuch besessen. Das Ganze in einem Wert von. ..von. ..mindestens sechshundert Mark. Und du? Aber ich werde dich vor die Tür setzen, ob du in der SA bist oder nicht. Du wirst in Nachtasylen verfaulen. Du wirst wie ein Pennbruder in der Suppenküche fressen. Hörst du, ich werde dich fortjagen."
Er warf mir einen fürchterlichen Blick zu, mir wurde blitzartig zur Gewißheit, daß er es tun würde, und die Beine fingen mir an zu zittern. "Da schlag doch einer lang hin!"
fuhr er fort und durchbohrte mich dabei mit einem Blick. "Dieser kleine Herr lehnt Elsie ab. Ein untadeliges Füllen, handgängig, willig, die dir die Arbeit von zwei Männern leisten würde! Und außerdem gebe ich dir Möbel. Schließlich ist es ja ihr Vater, aber das kommt auf dasselbe heraus, denn um ihn dazu zu bringen, habe ich ihm einheizen müssen, bis ihm das Wasser im Arsch kochte. Herrgott! Ich laß dich einen prachtvollen Pachthof instand setzen, das hat mich den Jahreslohn von drei Knechten gekostet, das Material gar nicht gerechnet, aber

wir wollen von meinen Opfern gar nicht sprechen. Schweinehund! Ich gebe dir den Hof, ich gebe dir die Möbel nd du lehnst ab!"
Mit einem Schlag beruhigte er sich. "Und dann sehe ich übrigens gar nicht ein", sagte er barsch, "warum ich mit dir diskutiere."
Er trat zwei Schritt zurück, richtete sich in seiner ganzen Größe auf, und seine Stimme klang wie ein Peitschenknall: "
Unteroffizier!"
Ich stand stramm. "Jawohl, Herr Oberst."
"Sie wissen doch, daß ein Soldat seinen Vorgesetzten um die Erlaubnis zur Heirat zu bitten hat."
"Jawohl, Herr Oberst."
Er fuhr fort und betonte die einzelnen Silben: "Unteroffizier, ich gebe Ihnen die Erlaubnis, Elsie Brückner zu heiraten!"
Und mit Donnerstimme setzte er hinzu: "Das ist ein Befehl."
Daraufhin drehte er mir den Rücken zu, öffnete eine kleine Tür rechts vom Kamin und rief: "Elsie! Elsie!"
Ich sagte: "Aber Herr Oberst. .."
Er blickte mich an. Es waren Vaters Augen. Es würgte mich in der Kehle, ich konnte nicht weitersprechen. Elsie trat ein. Jeseritz drehte sich um seine Achse, gab ihr einen leichten Klaps auf den Hintern und ging hinaus, ohne sich umzuwenden. Elsie nickte mir zu, aber sie reichte mir nicht die Hand. Sie blieb neben dem Kamin stehen, aufrecht und unbeweglich, mit niedergeschlagenen Augen. Nach einer Weile hob sie den Kopf, ihr Blick ruhte auf mir, und ich fühlte mich klein und lächerlich. Es entstand ein langes Schweigen, dann sagte ich: "Elsie ..."
Ich warf ihr einen Blick zu. "Darf ich Sie Elsie nennen?"
"Ja."
Ich sah, wie ihre Brust sich leicht hob; es war mir peinlich, und ich blickte ins Feuer . "Elsie ...Ich möchte Ihnen sagen. ..W enn Sie einen andern lieben, wäre es besser, nein zu sagen."
Sie sagte: "Es gibt keinen andern."
Dann, da ich schwieg, setzte sie hinzu: "Ich bin nur etwas überrascht."
Sie bewegte sich ein wenig, und ich begann wieder: "Ich möchte Ihnen auch noch sagen. ..Wenn ich Ihnen mißfalle, müssen Sie nein sagen."
"Sie mißfallen mir nicht."
Ich hob die Augen. In ihrem Gesicht war nichts zu lesen, ich blickte von neuem ins Feuer und setzte beschämt hinzu: "Ich bin etwas klein."

Sie erwiderte lebhaft: "Darauf lege ich keinen Wert."
Sie fuhr fort: "Ich glaube, was Sie dort auf dem Pachthof geleistet haben, ist wirklich gut."
Eine Welle von Stolz durchflutete mich. Das war eine Deutsche, eine echte Deutsche. Sie war aufrichtig, standhaft und willig. Sie wartete darauf, daß ich etwas sagte, ehe sie wieder sprach. "Sind Sie sicher, daß ich Ihnen nicht mißfalle?"
"Nein", sagte sie mit deutlicher Stimme, "keineswegs, Sie mißfallen mir durchaus nicht."
Ich blickte ins Feuer, ich wußte nicht mehr, was ich sagen sollte. Und plötzlich dachte ich verwundert: ,Sie gehört mir, wenn ich will.' Ich konnte mir aber nicht klarwerden, ob es mich freute oder nicht. Das erste Jahr auf dem Gut war sehr schwer. Elsie hatte einen kleinen Geldbetrag erhalten, der aus der Erbschaft ihrer Tante stammte und ohne den wir uns nicht hätten einrichten können. Trotzdem war noch kein halbes Jahr vergangen, als ich das Fichtenwäldchen opfern mußte. Es war für uns ein schwerer Kummer, daß wir es so bald schon schlagen lassen mußten, denn mit ihm schwand unsere einzige Reserve dahin. Doch unsere große Sorge war nicht das Geld, sondern der Damm. Von ihm hing der Bestand des Pachtguts und damit unser beider ganzes Leben ab. Es war ein ständiger Kampf, ihn zu erhalten. Sobald es etwas länger regnete, sahen wir uns besorgt an, und wenn mitten in der Nacht ein heftiges Gewitter ausbrach, stand ich auf, zog die Stiefel an, nahm die Laterne und sah nach, was geschah. Manchmal kam ich gerade noch zur rechten Zeit, patschte zwei, drei Stunden im Wasser herum und versuchte, das Hochwasser mit behelfsmäßigen Mitteln aufzuhalten. Ein paarmal war ich allein nicht imstande, eine Lücke zu stopfen, die sich zu erweitern drohte, ich mußte auf den Hof zurückkehren und Elsie holen, die, obwohl sie damals schwanger war, ohne Klage aus dem Bett aufstand und mit mir bis zum Morgen arbeitete. Endlich brach der Tag an, der Regen hörte auf, aber wir hatten kaum die Kraft, uns durch den Schlamm nach Hause zu schleppen und Feuer zu machen, um uns zu trocknen. Im Frühjahr besuchte uns Herr von Jeseritz, er fand am Zustand des Hofes und der Pferde nichts auszusetzen, und nachdem er eingewilligt hatte, mit uns ein Glas Bier zu trinken, fragte er mich, ob ich dem "Bund der Artamanen"
beitreten wolle. Er erklärte mir, es sei eine politische Bewegung, die er sich sehr angelegen sein lasse und die sich die Erneuerung des deutschen Bauerntums zum Ziel setze. Ich hatte in der Tat schon von dem Bund sprechen hören, und sein Wahlspruch -Blut, Boden und Schwert -war mir als eine ausgezeichnete Zusammenfassung der Grundsätze erschienen, auf denen das Heil Deutschlands beruhte. Ich erwiderte indessen Jeseritz, daß ich nicht wüßte, ob ich als Mitglied der Nationalsozialistischen Partei zugleich dem Bund angehören könnte. Darauf fing er an zu lachen. Er kenne alle SA-Führer der Gegend und könne mir versichern, daß die Doppelzugehörigkeit von der Partei genehmigt wäre. Übrigens sei er selbst, was ich doch wüßte, auch Mitglied der Partei, aber er sehe nur Vorteile darin, unter dem Schutz des Bundes zu arbeiten statt unter dem nationalsozialistischen Aushängeschild, weil die Bauern einer Partei stets ein bißchen mißtrauten, während sie für die historischen Anknüpfungspunkte, die der Bund betonte, empfänglich seien. Daraufhin erklärte ich meinen Beitritt, und Jeseritz bat mich auch gleich, das Sekretariat der Bauernvereinigung des Dorfes zu Übernehmen, denn es wäre wichtig, daß dieser Posten von einem Mitglied des Bundes eingenommen würde. Ich glaubte, nicht ablehnen zu dürfen, denn er versicherte mir, er rechne sehr darauf, daß ich politisch auf die jungen Leute einwirke, bei denen meine Eigenschaft als ehemaliger Unteroffizier in einem Freikorps mehr ausrichten würde als alle Reden. Der Sommer kam, das Barometer stand fest auf Schönwetter, der Damm hörte auf mich zu quälen, und ich konnte meinen neuen Aufgaben mehr Zeit widmen. Es gab im Dorf eine kleine Gruppe von Gegnern, die mir anfangs eine harte Nuß zu knacken gaben; als ich aber eine Handvoll entschlossener junger Leute um mich versammelt hatte, wandte ich gegen sie die Angriffstaktik an, die die Partei ihrerseits von den Freikorps geerbt hatte, und nach einigen exemplarischen Schlägereien verschwand die Opposition. Ich konnte dann ganz nach meinem Belieben zugleich die politische und militärische Ausbildung meiner Jungen durchführen. Die Ergebnisse waren ausgezeichnet, und nach einiger Zeit unternahm ich es, aus ihnen eine Art berittener Miliz zu bilden, die es mir erlaubte, in den benachbarten Dörfern rasch einzugreifen, wenn der örtliche Bund oder die Partei sich in Schwierigkeiten befand. Tatsächlich wurde diese Schar sehr bald so kriegstüchtig, daß ihr nur die Waffen fehlten, um eine wirkliche Truppe zu sein. Indessen war ich sicher, daß es diese Waffen irgendwo gab und daß, wenn "der Tag"
für Deutschland anbrechen würde, von dieser Seite her nichts zu wünschen übrigbleiben würde.

Die Schwangerschaft strengte Elsie sehr an. Sie schleppte sich an ihre Arbeit mit abgespanntem Gesicht und kurzem Atem. Eines Abends nach dem Essen saß ich vor dem Küchenofen und war dabei, mir eine Pfeife zu stopfen (ich war seit kurzem dazu übergegangen), und sie

saß strickend auf einem niedrigen Stuhl neben mir, als sie plötzlich ihr Gesicht in den Händen verbarg und in Schluchzen ausbrach. Ich sagte zärtlich: "Aber, Elsie!"
Ihr Schluchzen wurde stärker. Ich stand auf, nahm mit der Feuerzange ein Stückchen Glut aus dem Ofen und legte es auf den Tabak. Als er brannte, schüttelte ich die Pfeife leicht über dem Feuer, damit die Glut wieder herunterfiel. Das Schluchzen hörte auf, ich setzte mich wieder und sah zu Elsie hinüber. Sie tupfte sich die Backen mit ihrem Taschentuch ab. Als sie damit fertig war, knäulte sie es zusammen, steckte es in ihre Schürzentasche und nahm ihre Strickerei wieder auf. Ich sagte sanft: "Elsie."
Sie blickte auf, und ich fuhr fort: "Kannst du es mir erklären?"
Sie sagte: "Ach, es ist weiter nichts."
Ich sah sie an, ohne etwas zu sagen, und sie wiederholte: "Es ist weiter nichts."
Ich glaubte, sie wolle wieder zu weinen anfangen. Ich sah sie an. Sie mußte wohl verstehen, daß ich wirklich eine Erklärung wünschte, denn nach einer Weile sagte sie, ohne aufzublicken und ohne mit Stricken aufzuhören: "Ich habe nur das Gefühl, daß du mit mir nicht zufrieden bist."
Ich erwiderte lebhaft: "
Was für ein Gedanke, Elsie! Ich habe dir nichts vorzuwerfen, das weißt du doch."
Sie schnüffelte wie ein kleines Mädchen, zog dann von neuem ihr Tuch aus der Schürzentasche und schneuzte sich. "Oh, ich weiß wohl, daß ich bei der Arbeit tue, was ich kann. Aber das ist es nicht, was ich meine."
Ich wartete, und nach einer Weile sagte sie, ohne die Augen zu erheben: "Du bist mir so fern."
Ich sah sie an; endlich hob sie den Kopf, und unsere Blicke trafen sich. "
Was willst du damit sagen, Elsie ?"
"Du bist so schweigsam, Rudolf."
Ich dachte darüber nach und sagte: "Aber du auch, Elsie, du bist auch nicht redselig."
Sie legte das Strickzeug auf ihre Knie und lehnte sich im Stuhl weit zurück, wobei sie ihren Körper nach vorn schob, als ob der Unterleib ihr Beschwerden mache. "Bei mir ist es nicht dasselbe. Ich schweige, weil ich darauf warte, daß du sprichst."
Ich sagte leise: "Ich bin nicht redselig, das ist alles."
Es folgte ein Schweigen, dann begann sie wieder: "Ach, Rudolf, glaube ja nicht, daß ich dir Vorwürfe machen will. Ich versuche es nur zu erklären."

Ich fühlte mich durch ihren Blick verwirrt, senkte die Augen und starrte auf meine Pfeife. "Nun, dann erkläre es, Elsie."
"Es geht nicht so sehr darum, daß du nicht sprichst, Rudolf ..."
Sie stockte, ich hörte ihren Atem pfeifen, und sie sagte leidenschaftlich: "
Du bist mir so fern, Rudolf. Manchmal, wenn du am Tisch sitzt, und mit deinen kalten Augen ins Leere blickst, habe ich das Gefühl, daß ich für dich überhaupt nicht zähle."
Meine kalten Augen -auch Schrader hatte von meinen kalten Augen gesprochen. Ich sagte mit Überwindung: "Das ist meine Natur."
"Ach, Rudolf", sagte sie, anscheinend ohne es zu hören, wenn du wüßtest, wie schrecklich es für mich ist, das Gefühl zu haben, beiseite geschoben zu sein. Für dich gibt es nur den Damm, die Pferde und den Bund auf der Welt. Und manchmal, wenn du dich im Stall verspätest, um noch deine Pferde zu pflegen, siehst du sie so liebevoll an, daß ich den Eindruck habe, du liebst nur sie. .."
Ich zwang mich zu einem Lachen. "Ach, dummes Zeug, Elsie! Natürlich hab' ich dich lieb. Du bist doch meine Frau."
Sie blickte mich an, und ihre Augen standen voll Tränen. "Hast du mich wirklich lieb?"
"Aber ja, Elsie, natürlich."
Sie sah mich eine volle Sekunde lang an, dann warf sie sich mir plötzlich an den Hals und bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Ich ließ sie geduldig gewähren, dann faßte ich ihren Kopf, legte ihn an meine Brust und fing an, ihr übers Haar zu streichen. Sie blieb an mich gelehnt, ohne sich zu bewegen, und nach einer Weile wurde ich mir bewußt, daß ich schon nicht mehr an sie dachte. Kurz nach der Geburt meines Sohnes kam ein Reitknecht des Herrn von Jeseritz und benachrichtigte mich, daß sein Herr mich dringend sprechen wolle. Ich sattelte meine Stute und ritt los. Die Stute ging einen guten Trab, und ich legte die zehn Kilometer, die mich vom Rittergut trennten, rasch zurück. Ich klopfte an die Tür des Büros, die Stimme des Herrn von Jeseritz rief: "Herein", und ich trat ins Zimmer . Scharfer Zigarrenrauch kam mir in die Kehle, und ich konnte kaum das halbe Dutzend Herren beim Schreibtisch erkennen, die um einen Mann in SS-Uniform herumsaßen. Ich schloß die Tür, stand stramm und grüßte. "Setz dich dorthin", sagte Jeseritz. Er wies auf einen Stuhl hinter sich. Ich setzte mich, die Unterhaltung nahm ihren Fortgang, und ich gewahrte, daß ich alle Herren, die da waren, kannte. Es waren Großgrundbesitzer aus der Umgebung, alle Mitglieder des Bundes. Den SS-Mann verdeckte mir der Rücken des Herrn von Jeseritz, und ich wagte mich nicht zur Seite zu biegen, um sein Gesicht betrachten zu können. Ich sah nur seine Hände. Es waren kleine, dicke Hände, die er unaufhörlich auf dem Tisch mechanisch zusammenlegte und wieder auseinandernahm. Einer der Grundbesitzer gab einen Bericht über die Fortschritte des Bundes in unserm Bezirk und gab die Zahl der Mitglieder an. Als er geendet hatte, wurden mehrere ziemlich energische Einwände erhoben, dann klopften die kleinen dicken Hände auf den Tisch, es wurde still, und ich merkte, daß es der SS-Mann war, der sprach. Seine Stimme war matt und klanglos, aber er sprach flüssig, ohne Zögern, ohne Stocken, genauso, als läse er aus einem Buche vor. Er gab ein Bild der politischen Lage im Lande, analysierte die Aussichten der Partei für die Machtergreifung, führte auch seinerseits Mitgliederziffern an und forderte die Mitglieder des Bundes auf, örtlichen Partikularismus und personelle Fragen zu vergessen und mehr mit den nationalsozialistischen Führern des Bezirks zusammenzuarbeiten. Danach gab es eine kurze Diskussion, dann hoben die Herren die Sitzung auf, und plötzlich schien es im Zimmer viele Leute und großen Lärm zu geben. Herr von Jeseritz sagte zu mir: "Bleib da. Ich brauche dich."
Ich suchte mit meinen Blicken den SS-Mann. Er schritt zur Tür, umgeben von einer Gruppe der Großgrundbesitzer. Einmal wandte er den Kopf, und ich sah, daß er einen Kneifer trug Herr von Jeseritz sagte mir, ich sollte ein neues Scheit Holz ins Feuer legen, und ich gehorchte. Die Tür klappte. Schweigen legte sich über den Raum, und als ich wieder den Kopf hob, kam der Mann in SS-Uniform auf uns zu. Ich sah die Eichenblätter auf seinem Kragenspiegel und erkannte seine Züge: Es war Himmler. Ich knallte die Hacken zusammen und hob den rechten Arm. Das Herz klopfte mir. "Das ist Lang", sagte Jeseritz. Himmler erwiderte meinen Gruß. Dann nahm er einen schwarzen Ledermantel von der Lehne eines Stuhls, zog ihn an, knöpfte methodisch alle Knöpfe zu, schnallte den Leibriemen um und zog schwarze Handschuhe an. Als er fertig war, wandte er sich zu mir, bog den Kopf leicht zu mir herüber und sah mich fest an. Sein Gesicht war ohne jeden Ausdruck. "Sie haben an der Hinrichtung Kadows teilgenommen, nicht wahr?"
"Jawohl, Herr. .."
Er sagte energisch: "Nennen Sie meinen Titel nicht."
Dann fuhr er fort: "Sie haben fünf Jahre im Gefängnis Dachau zugebracht?"
"Ja."
"Und vorher waren Sie in der Türkei?"
"Ja."
"Als Dragonerunteroffizier?"

"Ja."
"Sie sind Waise?"
"Ja."
"Und Sie haben zwei verheiratete Schwestern?"
Ich zögerte den Bruchteil einer Sekunde und sagte: "Ich wußte nicht, daß meine Schwestern verheiratet sind."
"Haha", lachte von Jeseritz, "die Partei ist gut unterrichtet."
Ohne den Anflug eines Lächelns, ohne den Kopf einen Millimeter zu bewegen, fuhr Himmler fort: "Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß Ihre beiden Schwestern verheiratet sind."
Dann sagte er: "Sie haben in Ihrem Abschnitt eine Schar Milizen des Bundes organisiert?"
"Jawohl."
"Das ist. .."
Ohne ersichtlichen Grund machte er eine Pause. "Das ist ein ausgezeichneter Gedanke. Ich empfehle Ihnen, Ihre Tätigkeit auf dieses Gebiet zu verlegen, und ich beauftrage Sie, von jetzt an in Verbindung mit den Führern des Bundes und der Partei eine Reiterabteilung zu bilden."
Während er sprach, blickte er starr über meinen Kopf hinweg auf einen bestimmten Punkt im Raum, und ich hatte den wunderlichen Eindruck, daß er dort abläse, was er mir zu sagen hätte. Er machte eine Pause, ich sagte: "Jawohl", und er fuhr sogleich fort: "Es wird gut sein, Ihre Milizen geistig darauf vorzubereiten, daß sie gegebenenfalls zu SS-Reitern umgebildet werden. Indessen unterlassen Sie ja, mit ihnen über meinen Besuch zu sprechen. Er darf nur den Führern des Bundes und Ihnen selbst bekannt sein."
Er legte beide Hände flach an seinen Ledermantel und steckte die Daumen in den Gürtel. "Es ist wichtig, Ihre Reiter gut auszuwählen. Lassen Sie mir einen Bericht über ihre physischen Fähigkeiten, ihre rassische Reinheit und ihre religiösen Überzeugungen zugehen. Es empfiehlt sich, von vornherein alle die fernzuhalten, die die Religion zu ernst nehmen. Wir wollen keine SS-Leute mit Gewissenskonflikten."
Von Jeseritz brach in lautes Lachen aus. Himmler blieb davon unberührt. Sein Kopf war leicht nach rechts geneigt, sein Blick immer noch auf denselben Punkt im Raum geheftet. Es sah aus, als warte er geduldig, bis Jeseritz mit Lachen aufhörte, um dann seine Rede genau an derselben Stelle wiederaufzunehmen, wo er aufgehört hatte. "Nein, nein", brachte Jeseritz unter Lachen heraus, "wir wollen keine SS-Männer mit Gewissenskonflikten."
Dann schwieg er. "Es ist wichtig", fuhr Himmler sogleich fort, "daß Sie auch größten Wert auf die moralische Schulung Ihrer Männer legen. Die müssen begreifen, daß ein SS-Mann bereit sein muß, seine eigene Mutter hinzurichten, wenn ihm dieser Befehl gegeben wird."
Er machte eine Pause und knöpfte seine schwarzen Handschuhe zu. An jedem Handschuh waren drei Knöpfe, und er knöpfte sie alle drei zu. Dann hob er den Kopf wieder, und sein Kneifer blitzte auf. "Ich erinnere Sie daran, daß dies alles geheim ist."
Er machte nochmals eine Pause und sagte dann: "Das ist alles."
Ich grüßte, er erwiderte meinen Gruß in tadelloser Weise, und ich ging hinaus.

Nach dem Jungen wurden zwei Töchter geboren, und ich fühlte meine Verantwortlichkeit wachsen. Elsie und ich arbeiteten sehr schwer, aber endlich begriff ich, daß der Bruch uns zwar zur Not den Lebensunterhalt sicherte, aber keine Zukunft versprach, weder uns noch unsern Kindern. Wenn die Pferde uns gehört hätten oder wenn Jeseritz uns an der Zucht beteiligt hätte, sei es auch nur mit wenigem, hätten wir zurechtkommen können. Aber was die Schweine, das Geflügel und das bißchen Acker einbrachten, würde uns später, wenn die Kinder größer wurden, nicht erlauben, sie anständig zu erziehen. Doch ich hatte trotzdem nicht die Absicht, die Landarbeit aufzugeben. Ganz im Gegenteil lag für mich in der Tatsache, daß ich Gutspächter war, etwas wirklich Wunderbares: Ich hatte die Gewißheit, mich immer satt essen zu können. Das war ein Gefühl, das Elsie nicht begreifen konnte, weil sie immer auf einem Gut gelebt hatte. Ich hatte ein anderes Leben gekannt, und nachts träumte ich manchmal mit Entsetzen davon, daß Jeseritz mich wegjagte (wie er gedroht hatte, als ich mich weigerte zu heiraten) und ich von neuem auf schwachen Beinen durch die Straßen von M. lief, ohne Arbeit und ohne ein Dach über dem Kopf, und mein Magen von Krämpfen gequält wurde. Ich wachte auf, zitternd, in Schweiß gebadet, und selbst dann brauchte ich noch eine ganze Weile, um mir klarzumachen, daß ich in meiner Kammer im Bruch war und Elsie neben mir lag. Der Tag brach an, ich versorgte meine Tiere, aber die Träume hinterließen eine peinliche Erinnerung. Dann dachte ich daran, daß Jeseritz sich geweigert hatte, mit mir einen förmlichen Vertrag zu schließen, und daß er uns folglich von einem Tag zum andern vor die Tür setzen konnte. Ich sprach oft mit Elsie darüber, und anfangs beruhigte sie mich, indem sie sagte, es sei wenig wahrscheinlich, daß Jeseritz uns fortschicke, denn er würde sicherlich niemanden finden, der sich so mit den Pferden abgäbe, wie ich es täte, und zugleich die harten Bedingungen annähme, die er uns auferlegt hatte. Aber schließlich kam ich so oft auf diese Sorge zurück, daß meine Furcht sie ansteckte, und es wurde beschlossen, Geld zurückzulegen, um eines Tages ein kleines Gut kaufen zu können und auf diese Weise über die Zukunft beruhigt zu sein.

Von dem wenigen, das wir verdienten, etwas zurückzulegen hieß jeden Pfennig umdrehen und sich das Nötigste versagen. Doch wir beschlossen, es zu tun, und von diesem Tage an begann für uns beide und unsere Kinder ein System der Einschränkung von unerhörter Strenge. Drei Jahre wichen wir nicht im geringsten davon ab. Gewiß führten wir ein sehr hartes Leben, aber dennoch empfand ich bei jeder neuen Entbehrung (sogar als ich zum Beispiel auf den Tabak verzichten mußte) ein lebhaftes Vergnügen, wenn ich daran dachte, daß wir uns allmählich dem Ziel näherten und daß ein Tag kommen würde, an dem ich Grund und Boden besäße, der ganz mein eigen wäre, und ich mir endlich mit absoluter Gewißheit sagen könnte, daß ich niemals wieder Hunger leiden würde. Elsie fand, daß die Bauernvereinigung und der Bund mir viel Zeit wegnähmen, und schließlich, da ich den Hof nicht vernachlässigen wollte, beklagte sie sich darüber, daß ich mich von Jahr zu Jahr immer mehr übernähme. Ich fühlte übrigens selbst mitunter die Schwere meiner Aufgaben, und ich gestand mir beschämt, daß ich an meiner kämpferischen Tätigkeit nicht mehr soviel Gefallen fand wie einst. Es war nicht so, daß mein patriotischer Eifer oder meine Treue gegenüber dem Führer im geringsten nachgelassen hätte. Aber der Wunsch, mir ein Gut zu kaufen, dort Wurzel zu fassen und meine Familie sicherzustellen, war in mir so stark geworden, daß ich es manchmal beinahe bedauerte, aus dem Räderwerk, in das meine frühere politische Tätigkeit mein Leben verwickelt hatte, nicht heraus zu können. Es war mir zum Beispiel ganz klar, daß, wenn ich nicht im Freikorps gekämpft noch mich in der SA betätigt, noch Kadow gerichtet hätte, Jeseritz oder Himmler niemals daran gedacht hätten, mich für den Bund oder zur Bildung einer SS-Reiterabteilung zu werben. Und mir kam zuweilen der Gedanke, daß, da ich in der Vergangenheit meinem politischen Glauben so viel geopfert hatte, ich ihm in der Zukunft um so mehr opfern müßte; daß es keine Möglichkeit mehr gäbe, loszukommen, da ich sonst vielleicht die Aussichten auf ein friedliches Leben für mich und meine Familie gefährden würde. Jedoch kämpfte ich gegen diese Gedanken an, denn mir war klar, daß sie vom Egoismus diktiert wurden und daß der Wunsch, meine Lage zu verbessern, im Hinblick auf das Schicksal Deutschlands nur kleinlicher Ehrgeiz war. Es ist sonderbar, daß ich damals aus dem Beispiel meines Vaters die Kraft zog, diesen Schwächeanwandlungen zu widerstehen. Ich sagte mir tatsächlich, daß, wenn Vater den Mut gefunden hatte, täglich einem Gott, den es nicht gab, unglaubliche Opfer zu bringen, ich, der ich an ein sichtbares Ideal glaubte, das sich in einem Menschen von Fleisch und Blut verkörperte, mich mit besserem Grund ganz meinem Glauben hingeben sollte, ohne auf mein Interesse oder, wenn es sein müßte, auf mein Leben Rücksicht zu nehmen. Trotzdem kam ich nicht um ein peinliches Gefühl herum, das noch durch einen dummen Vorfall bestärkt wurde, der sich im April 1932 ereignete. Seit einiger Zeit sah der Bund eines benachbarten Dorfes seine Fortschritte durch die Propaganda eines Schmiedes namens Herzfeld gehemmt, der unter den Bauern große Autorität besaß, teils auf Grund seiner körperlichen Kraft, teils wegen seiner Witze und seiner Beredsamkeit. Er hatte den Bund aufs Korn genommen, er machte sich offen über dessen Führer lustig und erging sich ganz allgemein in zersetzenden und antipatriotischen Reden. Der örtliche Bund war außerstande, ihn zum Schweigen zu bringen, und rief mich zu Hilfe. Ich berichtete darüber meinen Führern, und sie gaben mir freie Hand. Ich legte also Herzfeld einen Hinterhalt, er tappte hinein, und ein Dutzend meiner Jungens stürzten sich mit Knüppeln auf ihn. Er kämpfte wie ein Löwe, setzte zwei von ihnen außer Gefecht; und die andern, außer sich vor Wut, als sie die beiden fallen sahen, schlugen wie die Verrückten los. Als ich dazwischentrat, war es zu spät: Herzfeld lag mit zerschmettertem Schädel am Boden. Unter diesen Umständen war es unmöglich, eine Untersuchung zu vermeiden. Aber die Führer der Partei und des Bundes bemühten sich darum, die Polizei betrieb die Sache sehr lässig, man fand Zeugen, die bestätigten, daß es sich um einen Streit, in betrunkenem Zustand, wegen eines Mädchens gehandelt habe, und die Angelegenheit wurde abgesetzt. Zwei Monate vorher hatte die Polizei im Fall eines SA-Mannes, der in ähnliche Umstände verwickelt gewesen war, einen Beweis von Strenge gegeben, und ihre nachgiebigere Haltung in unserm Fall stand offensichtlich im Zusammenhang mit dem triumphalen Erfolg des Führers, der vierzehn Tage zuvor bei der Präsidentschaftswahl mit dem großartigen Ergebnis von vierzehn Millionen Stimmen unmittelbar auf den Marschall Hindenburg folgte. Ich überlegte mir, daß, wenn der Tod Herzfelds vor der Wahl erfolgt wäre, die Polizei wahrscheinlich die Sache weiterverfolgt hätte, in welchem Falle es zu einem Prozeß und ich ins Gefängnis gekommen wäre. Soweit es mich betraf, war ich bereit, abermals jede, gleichviel welche, Prüfung für eine gerechte Sache auf mich zu nehmen, aber ich fragte mich besorgt, was meine Frau in diesem Fall angefangen hätte, allein auf einem Gut mit drei kleinen Kindern. Vom alten Wilhelm hätte sie sicher nichts zu erwarten gehabt, und Jeseritz kannte ich zu gut, um hoffen zu können, daß er von seinem Entschluß abgegangen wäre, uns mit keinem Pfennig zu helfen, was auch immer geschehe.

Elsie fühlte wohl, daß in mir etwas vorging, und stellte mir unaufhörlich Fragen, die zu beantworten ich mich hütete. Aber in Wirklichkeit bereitete mir das alles große Sorge. Mitunter war ich sogar schwach genug, mir auszumalen, welche Erleichterung es für mich sein würde, in einer Gegend Arbeit zu finden, wo meine frühere politische Tätigkeit nicht bekannt war und die Führer der Partei mich folglich in Ruhe lassen würden. Aber ich wurde mir darüber klar, daß dies reine Kinderei von mir war. Im damaligen Deutschland war es fast unmöglich, Arbeit zu finden, und ich wußte sehr gut, daß, wenn ich kein wegen seiner Treue bekannter Kämpfer gewesen wäre, die Partei mich niemals an Herrn von Jeseritz empfohlen und Jeseritz mich nie eingestellt noch in der Folge mir einen Pachthof anvertraut hätte. Es gelang mir, nicht ohne große Mühe, die Reiterabteilung auf die Beine zu bringen, die Himmler mir aufzustellen befohlen hatte. Mit voller Billigung meiner Männer schickte ich an Himmler über jeden ein Aktenstück für die SS-Anwartschaft. Diese Akten hatten Zeit beansprucht, und ich hatte mir viel Mühe gegeben, besonders bei der Aufstellung der Ahnentafeln, die ich selbst mit peinlicher Genauigkeit bei den Standesämtern erforscht hatte und bei denen ich soweit wie möglich zurückgegangen war, da ich wußte, welche Wichtigkeit die Partei bei der Rekrutierung der SS der rassischen Reinheit beimaß. Indessen hatte ich in einem Nachtrag zu meinem Bericht vermerkt, ich hätte es nicht für richtig gehalten, den Aktenstücken meiner Männer eins über mich beizufügen, denn ich wüßte, daß ich leider die verlangten körperlichen Bedingungen nicht erfüllte. Die SS verlangte in der Tat, daß die Anwärter eine Mindestgröße von ein Meter achtzig hätten, und in dieser Hinsicht wenigstens kam ich überhaupt nicht in Frage. Genau am 12. Dezember erhielt ich die Antwort Himmlers. Er nahm die vorgeschlagenen Bewerber auf, beglückwünschte mich zu der Sorgfalt, die ich auf die Abfassung der Aktenstücke verwandt hätte und teilte mir mit, daß er sich in Erwägung der geleisteten Dienste entschlossen habe, hinsichtlich der geforderten Körpermaße zu meinen Gunsten eine Ausnahme zu machen, und daß er mich in die Elitetruppe des Führers als Oberscharführer aufnähme. Ich stand am Küchentisch, die Zeilen des Himmlerschen Briefes tanzten vor meinen Augen, mein ganzes Leben schlug eine neue Richtung ein. Ich hatte große Mühe, Elsie begreiflich zu machen, welch unverhofftes Glück es für mich wäre, in die SS aufgenommen zu sein. Und wir hatten darüber zum erstenmal in unserm gemeinsamen Leben einige ziemlich lebhafte Auseinandersetzungen, besonders als ich das so streng für das eigene Gut gesparte Geld angreifen mußte, um mir eine Uniform machen zu lassen. Ich erklärte Elsie mit viel Geduld, daß der Gedanke, sich anzukaufen, jetzt überholt sei, daß ich, richtig besehen, niemals eine andere Berufung in mir gefühlt hätte als das Waffenhandwerk und daß ich die mir gebotene Gelegenheit, es wieder aufzunehmen, ergreifen müßte. Sie wandte ein, daß die SS nicht das Heer sei, daß ich außerdem keinen Sold erhielte, daß vor allem niemand behaupten könnte, der Sieg der Partei sei sicher, sondern daß tatsächlich, ich hätte es doch selbst zugegeben, bei den Wahlen, die auf die Präsidentschaftswahl folgten, die Partei viele Stimmen verloren hätte. Daraufhin gebot ich ihr streng zu schweigen, denn ich konnte nicht dulden, daß sie auch nur einen einzigen Augenblick den Erfolg der Bewegung in Zweifel zog. Der Erfolg, den ich damals mit mehr Gläubigkeit als Überzeugung berief, kam früher, als ich zu hoffen gewagt hätte. Seit jener Unterredung war noch kein Monat verflossen, als der Führer Reichskanzler wurde und einige Wochen später die Partei, indem sie jeden Widerstand brach oder niederwarf, sich in den alleinigen Besitz der Macht setzte.