1929
Die Partei beschloß, mich eine Zeitlang "aufs
Land" zu schicken, und fand für mich eine Stellung im Gestüt
des Obersten Baron von Jeseritz, der ein großes Gut in W., in
Pommern, besaß. Meine neue Arbeit entzückte mich. Die Tiere waren
schön und gut gepflegt, die Stallungen sehr modern, und der Baron
von Jeseritz man nannte ihn stets "Herr Oberst", obwohl er nicht
mehr im Dienst war- übte eine eiserne Disziplin. Er war groß und
hager, sein Gesicht gebräunt und von Runzeln durchzogen, ein
übermäßig langes Kinn gab ihm selbst das Aussehen eines Pferdes.
Die Stallknechte nannten ihn hinter seinem Rücken "Stahlschnauze",
aber ich habe niemals erfahren können, ob wegen seines Kinns oder
wegen seiner Augen. Diese hatten auf den ersten Blick nichts
Ungewöhnliches. Sie waren blau, und mehr war darüber nicht zu
sagen. Aber wenn Jeseritz sie unvermittelt fest auf einen richtete,
hätte man meinen können, daß er an einem Schalter drehte. Ihr Glanz
war unerträglich. Ich war schon drei Monate in seinen Diensten, er
hatte noch kein einziges Mal das Wort an mich gerichtet, und ich
glaubte, da ich durch seinen Vertrauensmann angestellt worden war,
ich sei ihm völlig unbekannt, als ich eines Nachmittags, an dem ich
allein auf einer Weide damit beschäftigt war die Einzäunung
auszubessern, hinter mir den charakteristischen Trab seiner Stute
erkannte; ich hörte ein Schnalzen, und plötzlich stand die Stute
vor mir, hoch und feingliedrig; ihre Muskeln traten unter ihrem
schönen schwarzen Fell sanft hervor. "Lang!"
Ich richtete mich auf, und
bei der jähen Bewegung, die ich machte, um strammzustehen, spitzte
die Stute die Ohren. Jeseritz tätschelte sie und sagte, ohne mich
anzusehen und als ob er mit sich selbst spräche: "Ich habe einen
kleinen Hof in Marienthal. Er ist vollständig
heruntergewirtschaftet“. Er schwieg, und ich wartete ab. "Ich hab'
mir gedacht", fuhr er wie geistesabwesend fort, als ob er bloß laut
dachte, "ich könnte vielleicht dort ein paar Pferde unterbringen,
wenn der Boden sie ernähren kann."
Er senkte die Spitze seiner
Reitpeitsche, legte sie zwischen die Ohren der Stute und
streichelte sie leicht. "Zur Zeit meines Vaters waren dort Pferde.
Aber niemand hat dort aushatten wollen. ..Es ist ein Dreckloch.
Überall Wasser. Die Baulichkeiten sind in einem traurigen Zustand.
Der Boden auch. Man muß alles erneuern, den Boden wieder instand
setzen. .."
Er hob die Reitpeitsche wieder und richtete
seine unerträglichen blauen Augen auf mich. "Verstanden?"
"Jawohl, Herr
Oberst."
Nach einem Weilchen blickte
er weg, und ich fühlte mich erleichtert. "Ich hab' an dich
gedacht."
Er kratzte sich mit der
Spitze der Reitpeitsche hinter dem Ohr und sagte barsch: "Die
Bedingungen sind die folgenden. Zunächst stelle ich dir zwei Mann,
und du versuchst, alles, alles zu erneuern. Du erhältst denselben
Lohn wie jetzt. Wenn es dir gelingt, ziehst du hin, und ich stelle
ein paar Pferde ein. Gleichzeitig gebe ich dir eine Zuchtsau, ein
paar Hühner und Saatgut. Es ist ein Stück Feld dabei. Alles, was du
aus dem Feld, dem Schwein, dem Geflügel und zwei kleinen
Waldstücken, die zu dem Gut gehören, herauswirtschaftest, gehört
dir. Auch die Jagd gehört dir. Aber vergiß nicht, daß du von dem
Augenblick an, an dem du einziehst, keinen Pfennig erhältst?
Verstanden? Keinen Pfennig!"
Er schwenkte seine
Reitpeitsche, sein durchbohrender Blick fiel auf mich, und
plötzlich schrie er wütend: "Nicht einen einzigen
Pfennig!"
Ich sagte: "Ja, Herr
Oberst."
Es entstand ein Schweigen,
und dann fuhr er mit ruhiger Stimme fort: "Sag nicht ja. Nimm ein
Pferd und sieh dir's an! Wenn du es gesehen hast, kannst du ja
sagen."
"Jetzt gleich, Herr
Oberst?"
"Jetzt gleich. Und sag
Georg, er soll dir Stiefel geben. Du wirst sie
brauchen."
Er wendete sein Pferd und
ritt davon. Ich kehrte in unsere Baracke zurück und sagte Georg,
daß mich Jeseritz nach Marienthal schicke. Georg sah mich an, kniff
die Augen zusammen und schüttelte ein paarmal den Kopf. Dann sagte
er mit geheimnisvoller Miene: "Du also!"
Er lächelte, seine
Zahnlücken wurden sichtbar, und er sah sofort viel älter aus. "Ach,
ist der Alte schlau! Er spekuliert jetzt auf den armen
Landstreicher."
Er holte mir Stiefel, sah
zu, wie ich sie anprobierte, und sagte langsam: "Freu dich nicht zu
früh! Das ist ein Dreckloch. Und sag nicht ja, wenn du glaubst, daß
du es nicht schaffen kannst."
Ich bedankte mich, er
bestimmte ein Pferd für mich, und ich ritt los. Vom Gestüt nach
Marienthal waren es zehn Kilometer. Der Himmel war wolkenlos, aber
obwohl erst September war, war die Luft außerordentlich frisch. Im
Dorf ließ ich mir die Richtung zum Gut angeben und legte noch zwei
oder drei Kilometer auf einem sehr schmutzigen Weg zurück, der halb
von Heidekraut überwuchert war. Ich sah weder ein Haus noch ein
Stück Feld. Alles war unbebaut und wüst. Der Weg hörte vor einer
völlig verfaulten hölzernen Schranke auf, ich stieg vom Pferd und
band es an einer Pappel an. Obgleich es seit acht Tagen nicht
geregnet hatte, war der Boden weich und schwammig. Ich ging noch
ein paar Schritte und entdeckte das Haus. Das Dach war teilweise
durchgebrochen, weder eine Tür noch Fensterläden waren vorhanden,
und zwischen den zerbrochenen Fliesen wuchs Gras. Ich machte einen
Rundgang und kam in den Stall. Sein Dach hielt noch, aber eine der
Wände war eingestürzt. Georg hatte mir einen Plan der zugehörigen
Landstücke mitgegeben, und ich begann diese ohne Eile abzugehen.
Der Wald war ein feuchtes und mageres Gebüsch. Außer Heizung und
Jagd war nichts herauszuholen. Ich sah im Vorübergehen, was ein
Acker sein sollte: armer, sandiger Boden. Dann war noch ein kleines
Fichtenwäldchen da, und ich zählte mit Vergnügen etwa hundert
ziemlich gute Stämme und ungefähr ebensoviel junge Bäume. Dahinter
fingen die Wiesen an. Ich zählte im ganzen fünf, die durch Hecken
oder Zäune getrennt waren. Drei von ihnen waren mit Binsen
bewachsen. Die beiden anderen, unterhalb eines schlammigen Pfades
gelegen, waren vollkommen naß. Es konnte keine Rede davon sein,
sich daraufzuwagen, selbst nicht in meinen Stiefeln. Ich ging den
Fußweg entlang; nach einer Viertelstunde Marsch kam ich an einen
Teich und begriff, was geschehen war. Der Teich mußte durch einen
Damm abgeschlossen gewesen sein, den dann ein Hochwasser zerstört
hatte. Das Wasser hatte die beiden tiefer gelegenen Wiesen
überschwemmt und war in die drei anderen eingesickert, nur viel
langsamer, weil an dieser Stelle eine leichte Bodenwelle seinem
Lauf Widerstand geleistet hatte. Ich zog mich aus und ging in den
Teich hinein. Das Wasser war eisig, ich holte tief Atem und
tauchte. Nach einiger Zeit fand ich den Damm, ich zog mich hinauf,
das Wasser ging mir bis an die Knie. Mit dem Fuß tastend, stellte
ich die Richtung des Dammes fest und ging langsam weiter. Das
Wasser war dunkel und schlammig, und ich war immer darauf gefaßt,
den Boden unter den Füßen zu verlieren, sobald ich an die Stelle
kam, wo der Damm gebrochen war. Und in der Tat, ich war noch nicht
bis zur Mitte des Teiches gelangt, als ich schwimmen mußte, bis ich
drei oder vier Meter weiter den zweiten Abschnitt des Dammes
wiederfand. Ich faßte darauf Fuß und erreichte das Ufer. Eine
andere Lücke gab es nicht. Ich stieg aus dem Wasser und ging im
Laufschritt um den Teich herum, um auf der anderen Seite wieder zu
meinen Kleidern zu kommen. Mir klapperten die Zähne, und ich sank
mehrmals bis zu den Knöcheln in den Schlamm ein. Aber beim Laufen
trocknete mich der Wind, und ich war kaum noch feucht, als ich mich
wieder ankleidete.
Ich setzte mich dem Teich gegenüber auf einen
großen Stein, die Sonne sank schon, ich fröstelte und fühlte
Müdigkeit und Hunger. Ich zog mein Brot aus der Tasche und fing an,
es langsam zu verzehren, während ich auf den Teich hinblickte. Er
war von einer Menge Binsen umgeben, und dahinter stieg im Westen
eine große schwarze Wolke auf und verhüllte die Sonne. Mit einemmal
brach die Dunkelheit herein, ein faulig-feuchter Geruch stieg vom
Boden auf, und alles war von einer furchtbaren Traurigkeit erfüllt.
Dann drang ein Sonnenstrahl durch die Wolke, streifte das dunkle
Wasser, und brauner Nebel fing an, sich in den Vertiefungen der
Wiesen zu sammeln. Der Stein, auf dem ich saß, steckte zur Hälfte
im Schlamm, alles um mich herum war kalt und klebrig, und ich hatte
die Empfindung, in einem Meer von Schlamm verloren zu sein. Als ich
auf das Gut zurückkam, nahm Georg mein Pferd beim Zügel und sagte:
"Der Alte wartet auf dich in seinem Büro. Geh schnell hin!"
Dann sah er mich an und
sagte leise: "Na, was hältst du davon? Dort im Winter, he?
..."
Im Büro brannte ein großes
Holzfeuer, und vor dem Feuer saß oder vielmehr lag in einem kleinen
Lehnstuhl, mit dem Hintern auf dem Sesselrand, Herr von Jeseritz,
eine lange Pfeife in der Hand, seine langen gestiefelten Beine weit
ausgestreckt. Er wandte den Kopf, seine blauen Augen blickten mich
fest an, und er rief: "Nun?"
Ich stand stramm und sagte:
"Ja."
Er erhob sich und stellte
sich fest auf seine Beine. Das erstaunte mich. Bisher hatte ich ihn
immer nur zu Pferde gesehen. "Hast du es dir gut
überlegt?"
"Jawohl, Herr
Oberst."
Er ging auf und ab und sog
an seiner Pfeife. "Glaubst du, daß es dir gelingen
wird?"
sagte er mit verhaltener
Stimme. "Jawohl, Herr Oberst, wenn es mir gelingt, den Damm
auszubessern. Er hat eine Lücke von vier Metern."
Er blieb plötzlich stehen
und sah mich scharf an. "Woher weißt du, daß sie vier Meter lang
ist?"
"Ich bin ins Wasser
hineingestiegen."
"Und eine andere Lücke gibt
es nicht?"
"Nein, Herr
Oberst."
Er nahm seinen Marsch wieder
auf. "Das ist nicht so schlimm, wie ich glaubte."
Er blieb, stehen und kratzte
sich mit dem Mundstück seiner Pfeife hinter dem Ohr . "Also du bist
ins Wasser gegangen?"
"Jawohl, Herr
Oberst."
Er sah mich zufrieden an.
"Na, du bist der erste, der auf diesen Gedanken gekommen
ist."
Er setzte sich, legte seine
Beine aneinander und streckte sie aus. "Und dann?"
"Dann, Herr Oberst, müßte man die beiden tiefer
liegenden Wiesen trockenlegen. Was die drei andern angeht, würde es
genügen, sie zu säubern und die Vertiefungen auszufüllen."
"Kannst du den Stall und das
Haus selber ausbessern?"
"Jawohl, Herr
Oberst."
Ein Schweigen trat ein. Er
stand auf, lehnte sich an den Kamin und sagte: "Hör jetzt gut
zu!"
"Jawohl, Herr
Oberst."
"Für mich bedeuten ein paar
Pferde dort nichts. Das zählt überhaupt nicht mit. Was wichtig ist.
..", er machte eine Pause, stellte sich breitbeinig hin und sagte:
". ..das ist, daß ein Stück deutschen Bodens der Kultur
zurückgewonnen wird, und daß eine deutsche Familie davon lebt.
Verstanden?"
Ich antwortete nicht sofort.
Ich war verblüfft, ihn von einer Familie reden zu hören, da er das
Gut doch mir anvertrauen wollte Er wiederholte ungeduldig:
"Verstanden?"
Ich sagte: "Jawohl, Herr
Oberst."
"Gut. Du fängst morgen an.
Georg wird dir die Leute mitgeben und alles, was nötig ist. Das ist
also abgemacht?"
"Jawohl, Herr
Oberst."
"Gut. Aber denk daran:
Sobald du im Bruch eingezogen bist, gibt es keinen Pfennig. Selbst
wenn du vor Hunger krepierst, keinen Pfennig! Was auch kommen mag,
keinen Pfennig!"
Ich brauchte ein Jahr, um
die Arbeit durchzuführen, die ich übernommen hatte. Sogar in der
Armee hatte ich keine härtere Zeit erlebt. Es waren unglaubliche
Lebensbedingungen, und es bestätigte sich mir, was ich schon in
Kurland bemerkt hatte: Man findet sich mit der Hitze ab, und man
findet sich mit der Kälte ab, aber niemals gewöhnt man sich an den
Schlamm. Der Damm machte uns viel Mühe. Wir waren kaum mit der
Ausbesserung fertig, als er an einer anderen Stelle weggespült
wurde. Dann folgten vom Oktober an unaufhörlich Unwetter, und wir
arbeiteten den ganzen Tag mit den Füßen im Teich stehend und den
Körper vom Regen gepeitscht. Trocken waren wir nur abends. Wir
schliefen auf den Fliesen des Hauses unter Pferdedecken. Das Dach
hatten wir ausgebessert, aber der Kamin hatte so schlechten Zug,
daß wir die Wahl hatten, entweder vor Kälte zu schlottern oder vom
Rauch erstickt zu werden. Dennoch wurde der Damm fester, aber ich
erkannte, daß die Festigkeit immer nur scheinbar sein würde und daß
man in der Folge ständig darüber würde wachen müssen. Ich hatte
auch Schwierigkeiten mit meinen Gehilfen. Sie beklagten sich, sie
würden zu derb angefaßt. Ich bat Jeseritz, einen von ihnen als
warnendes Beispiel zu entlassen, und nachher hatte ich keinen
Verdruß mehr. Doch der Mann, den man mir als Ersatz gab, kriegte
eine Lungenentzündung und mußte von sich aus weggehen. Ich selbst
hatte einen ziemlich schweren Malariaanfall, der mich einige Tage
niederwarf, und zweimal wäre ich beinahe versunken.
Endlich kam der Tag, an dem ich Jeseritz
mitteilen konnte, daß das Gut wieder instand sei. Als ich sein Büro
betrat, traf ich dort den alten Wilhelm. Er winkte mir
freundschaftlich zu, und ich war darüber so erstaunt, daß ich den
Gruß nicht erwiderte. Der alte Wilhelm war ein Pächter des Herrn
von Jeseritz, und im allgemeinen hielten sich die Pächter für so
hoch über den Stallknechten stehend, daß es ihnen nicht in den Sinn
gekommen wäre, das Wort an sie zu richten. Ich fand Jeseritz in
seinen kleinen Lehnstuhl hingestreckt, die lange Pfeife in der Hand
und die gestiefelten Beine weit von sich gestreckt. Rechts von ihm
standen auf einem niedrigen Tischchen aus schwarzem Holz sechs Glas
Bier und sechs kleine Gläser voll Schnaps. "Ich bin fertig, Herr
Oberst."
"Gut!"
sagte von Jeseritz und
ergriff mit der rechten Hand ein Glas Schnaps. Er stand auf,
reichte es mir, ich sagte: "Danke schön, Herr Oberst", er nahm auch
eins, leerte es auf einen Zug, nahm ein Glas Bier und leerte es
gleichfalls. Als ich meinen Schnaps ausgetrunken hatte, setzte ich
das Gläschen auf den Tisch, aber Jeseritz bot mir kein Bier an.
"So"
? sagte er und wischte sich
mit dem Ärmel über die Lippen, "du bist fertig?"
"Ja, Herr
Oberst."
Er blickte mich an, sein
Gesicht legte sich in Falten und bekam einen boshaften Ausdruck.
"Nein, nein", sagte er endlich, während er mit dem Rücken der
linken Hand sein mächtiges Kinn strich, "du bist nicht fertig, es
bleibt dir noch etwas zu tun."
"Was denn, Herr
Oberst?"
Seine Augen funkelten.
"Also, du bist fertig, nicht wahr? Das Haus ist fertig, du kannst
einziehen?"
"Ja, Herr
Oberst."
"So, du hast keine Möbel,
keine Wäsche, kein Geschirr, aber du willst trotzdem einziehen?
Daran hast du nicht gedacht, will ich wetten."
"Nein, Herr
Oberst."
"Also, siehst du, bist du
nicht fertig."
Er strich sich über seine
Kinnlade und fing an zu lachen. "Du wirst das alles kaufen müssen.
Aber sicher hast du Geld, nicht wahr?"
"Nein, Herr
Oberst."
"Was? Was?"
sagte er ganz erstaunt.
"Kein Geld? Kein Geld? Aber das geht nicht, mein Freund, das geht
doch nicht. Man braucht Geld, um Möbel zu kaufen."
"Ich habe kein Geld, um
Möbel zu kaufen, Herr Oberst."
"Kein Geld!"
wiederholte er
kopfschüttelnd. "Schade! Schade! Kein Geld, keine Möbel, das ist
klar! Und ohne Möbel kein Gut!"
Er blickte mich an, seine
Augen erstarrten urplötzlich, dann fingen sie wieder an zu funkeln,
und ich fühlte mich sehr unbehaglich. "Ich könnte vielleicht unter
einer Pferdedecke schlafen, Herr Oberst."
"Was?"
sagte er mit spöttischer
Miene. "Ich, Oberst von Jeseritz, soll meinen Pächter auf dem
nackten Boden schlafen lassen! Nein, nein, mein Freund! Keine
Möbel, kein Gut, das ist klar."
Er sah mich boshaft an und
fuhr fort: "Also du siehst, du bist nicht fertig. Es bleibt dir
noch etwas zu tun."
"Was denn, Herr
Oberst?"
Er bückte sich, ergriff ein
Schnapsglas, leerte es auf einen Zug, stellte es wieder auf den
Tisch, nahm ein Glas Bier und trank es aus. Dann schnalzte er mit
der Zunge, seine Augen funkelten, und er sagte:
"Heiraten."
Ich stammelte mit bebender
Stimme: "Aber, Herr Oberst, ich will nicht heiraten."
Sein Gesicht wurde sofort
wieder starr. "
Was?"
rief er. "Du willst nicht
heiraten! Was für eine verflixte Frechheit! Du willst Pächter sein
und nicht heiraten! Wofür hältst du dich denn?"
"Verzeihung, Herr Oberst,
ich will nicht heiraten. .."
"Was?"
schrie er. Er reckte die
Arme gen Himmel. "Mir einfach nein zu sagen! Mir! Mir, einem
Offizier! Mir, der dich sozusagen aus dem Dreck gezogen
hat."
Er sah mich mit einem
durchdringenden Blick an. "Du bist doch nicht etwa
krank?"
"Nein, Herr
Oberst."
"Herrgott, du wirst doch
nicht zufällig einer von diesen. .."
Ich sagte energisch: "Nein,
Herr Oberst."
Er fing plötzlich an zu
brüllen: "Warum also?"
Ich sagte nichts, er sah
mich eine ganze Weile an, dann kratzte er sich mit dem Mundstück
seiner Pfeife hinter dem Ohr. "Du bist doch normal,
nicht?"
Ich sah ihn an. "Kurz
gesagt, du bist kein Wallach, sondern ein Hengst, hoffe
ich."
"Gewiß, Herr Oberst, ich bin
normal."
"Und du kannst Kinder
machen?"
"Ich vermute, Herr
Oberst."
Er brach in Lachen aus.
"
Wie, du
vermutest?"
Es war mir schrecklich
peinlich, und ich sagte: "Ich will damit sagen, daß ich nie
versucht habe, Kinder zu machen, Herr Oberst."
Er lachte, zeigte mit seiner
Pfeife auf mich, und ich bemerkte flüchtig, daß die Vorderseite des
Pfeifenkopfs einen Pferdekopf darstellte.
"Aber du hast trotzdem den ersten Schritt dazu
getan, hoffe ich?"
"Ja, Herr
Oberst."
Er lachte abermals schallend
und begann wieder: "Wievielmal?"
Und da ich nicht antwortete,
wiederholte er brüllend: "
Wievielmal?"
"Zweimal, Herr
Oberst."
"Wa-as?"
schrie er. Und er lachte
wohl eine ganze Minute lang. Als er sich ausgelacht hatte, leerte
er Zug um Zug ein Glas Schnaps und ein Glas Bier, sein gebräuntes
Gesicht rötete sich, und er sah mich mit funkelnden Augen an.
"
Wart mal!"
rief er, "das müssen wir
klarstellen! Wievielmal, sagst du?"
"Zweimal, Herr
Oberst."
"Mit
derselben?"
"Nein, Herr
Oberst."
Er hob mit geheucheltem
Entsetzen seine Pfeife gen Himmel. "Aber du bist ja ein richtiger.
..Wie nennt man das ? ...Es kommt nicht darauf an. ..Ein richtiger.
..Don Juan, glaube ich. Also mit jeder einmal! Einmal! Die armen
Dinger! Was hatten sie dir denn getan?"
Ich haspelte heraus: "Die
erste redete wirklich zuviel, und die zweite war meine
Wirtin."
"So, so!"
rief von Jeseritz und leerte
wieder schnell ein Glas Schnaps und ein Glas Bier. "Das ist sehr
praktisch, die Wirtin. Da gibt es wenigstens keine Unterbrechung.
Sie ist immer zur Stelle."
"Das war es ja gerade",
sagte ich mit bebender Stimme. "Ich hatte Angst. ..daß es zur
Gewohnheit würde."
Er fing an zu lachen, als ob
er nie wieder aufhören wollte. "Herr Oberst", sagte ich mit fester
Stimme, "es ist nicht meine Schuld, aber ich bin nun mal nicht
sinnlich."
Er sah mich an. Der Gedanke
schien ihn zu überraschen, und er hörte auf zu lachen. "Da haben
wir es", sagte er befriedigt. "Ich wollte es schon sagen. Du bist
nicht sinnlich veranlagt. Das ist die Erklärung. Du lehnst das
weibliche Geschlecht ab. Ich habe solche Pferde
gekannt."
Er lehnte sich an den Kamin,
steckte seine Pfeife wieder in Brand und sah mich mit Befriedigung
an. "Aber alles das", begann er wieder nach einer Weile, "erklärt
mir nicht, warum du nicht heiraten willst."
Ich sah ihn mit offenem
Munde an. "Aber Herr Oberst, mir scheint. .."
"
Ta, ta, ta! Dir scheint gar
nichts. Wenn du erst verheiratet bist, werde ich deine Sprünge
nicht zählen, nicht wahr? Aber wenn du in fünf Jahren einmal im
Jahr liebst, kannst du sehr gut fünf Kinder haben, und das ist
alles, was das Vaterland von dir verlangt. Nein, nein, all das sagt
mir noch nicht, warum du nicht heiraten willst."
Er sah mich fest an, ich wandte den Kopf weg und
sagte: "Es ist so ein Gedanke von mir, Herr Oberst."
"Was?"
rief er und hob seine Pfeife
zum Himmel. "Ein Gedanke? Sieh mal an, du hast auf einmal Gedanken!
-Hör zu", fuhr er fort, "da du den Gedanken liebst, will ich dir
zwei in deinen verfluchten
bayerischen Dickschädel einhämmern. Erstens: Ein
guter Deutscher muß Stammvater eines neuen Geschlechts werden.
Zweitens: Auf ein Gut gehört eine Frau. Stimmt's?"
Und da ich nicht antwortete,
brüllte er: "Stimmt's?"
"Jawohl, Herr
Oberst."
Und in der Tat, im
allgemeinen hatte er bestimmt recht. "Nun gut", sagte er, als ob
die Diskussion abgeschlossen wäre, "das ist also
abgemacht."
Nach einigem Schweigen sagte
ich: "Aber, Herr Oberst, selbst wenn ich heiraten wollte -Sie
wissen doch, daß ich hier niemanden kenne."
Er lehnte sich in seinen
kleinen Sessel und streckte seine gestiefelten Beine von sich.
"Mach dir darüber keine Sorgen. Ich habe alles schon in die Wege
geleitet."
Ich sah ihn mit offenem
Munde an. "Freilich", sagte er und richtete seine Augen fest auf
mich, "du glaubst doch nicht, ich lasse zu, daß du irgendeine Hure
auf mein Pachtgut bringst? Daß sie dir Hörner aufsetzt, daß du zu
saufen anfängst und meine Pferde krepieren läßt? Nie und
nimmer!"
Er schüttete die Asche
seiner Pfeife ins Feuer, hob den Kopf wieder und sagte: "Ich habe
dir die Elsie ausgesucht."
Ich stammelte: "Elsie? Die
Tochter des alten Wilhelm?"
"Kennst du hier eine andere
Elsie?"
"Aber sie wird nichts von
mir wissen wollen, Herr Oberst."
"Natürlich wird
sie."
Er sah mich mit
zusammengekniffenen Augen an. "Zwar bist du ein bißchen klein, aber
du bist nicht häßlich. Und du bist kräftig. Klar, sie ist etwas
groß für dich. Aber um so besser, das gleicht sich aus. Mit deinem
Brustkasten und ihren langen Stelzen werdet ihr ganz anständige
Kinder machen. Und merke dir. ..", er strich mit der Hand seine
riesige Kinnlade, ". ..bei Kreuzungen weiß man nie, wie es geht.
Vielleicht werden die Kinder am Ende alle nach dir schlagen: guter
Brustkasten, aber kurze Beine. -Aber darauf kommt es jetzt nicht
an", fuhr er fort und stand auf, "um den Boden zu bearbeiten, sind
kurze Beine besser. Nein, worauf es ankommt, ist die Rasse. Ihr
seid alle beide gute Deutsche und werdet gute Deutsche zeugen;
darauf kommt es an! Es gibt genug von diesen dreckigen Slawen hier
in Pommern."
Schweigen trat ein, ich straffte mich noch mehr,
schluckte den Speichel hinunter und sagte: "Wirklich, Herr Oberst,
ich möchte nicht heiraten "
Er blickte mich an, der Mund
blieb ihm offen stehen, seine Stirnadern schwollen, und so stand er
ein paar Sekunden lang, ohne sprechen zu können, seine
unerträglichen blauen Augen auf mich geheftet. "Du gottverdammtes
Arschloch!"
brüllte er. Er schritt auf
mich zu, packte mich an den Jackenaufschlägen und schüttelte mich
wie ein Verrückter . "Die Möbel!"
brüllte er. "Die Möbel! Der
alte Wilhelm gibt dir Möbel."
Er ließ mich los, warf seine
Pfeife auf den Schreibtisch und ging zur Tür hin, die Hände auf den
Rücken gelegt. "Du Lump!"
schrie er und drehte sich zu
mir um. "Ich gebe dir einen tadellosen Pachthof, ich gebe dir ein
Mädel! Und du. .."
Er ging auf mich los, und
ich dachte, er wollte mich schlagen. "Du Schwein", schrie er, "du
willst nicht heiraten! Nach allem, was ich für dich getan
habe!"
"Herr Oberst, ich bin Ihnen
gewiß sehr dankbar."
"Schweig!"
schrie er. Dann schüttelte
ihn ein neuer Wutanfall, und während er hin und her lief und sich
an seine Brust schlug, stammelte er: "Er hat. ..ge. ..wagt ...in
Gegen. ..wart ...eines. ..Offi ... ziers ..."
Dann machte er kehrt und
brüllte: "Die Möbel!"
Er kam auf mich zu und hielt
mir die Faust unter die Nase. "Ein Schlafzimmer in Eiche, ein
Küchentisch, ein Küchenschrank aus Weichholz, sechs Rohrstühle,
vier Bettbezüge, hörst du ? Bettbezüge! Du hast in deinem Leben nie
mehr als ein schmutziges Taschentuch besessen. Das Ganze in einem
Wert von. ..von. ..mindestens sechshundert Mark. Und du? Aber ich
werde dich vor die Tür setzen, ob du in der SA bist oder nicht. Du
wirst in Nachtasylen verfaulen. Du wirst wie ein Pennbruder in der
Suppenküche fressen. Hörst du, ich werde dich
fortjagen."
Er warf mir einen
fürchterlichen Blick zu, mir wurde blitzartig zur Gewißheit, daß er
es tun würde, und die Beine fingen mir an zu zittern. "Da schlag
doch einer lang hin!"
fuhr er fort und durchbohrte
mich dabei mit einem Blick. "Dieser kleine Herr lehnt Elsie ab. Ein
untadeliges Füllen, handgängig, willig, die dir die Arbeit von zwei
Männern leisten würde! Und außerdem gebe ich dir Möbel. Schließlich
ist es ja ihr Vater, aber das kommt auf dasselbe heraus, denn um
ihn dazu zu bringen, habe ich ihm einheizen müssen, bis ihm das
Wasser im Arsch kochte. Herrgott! Ich laß dich einen prachtvollen
Pachthof instand setzen, das hat mich den Jahreslohn von drei
Knechten gekostet, das Material gar nicht gerechnet,
aber
wir wollen von meinen Opfern gar nicht sprechen.
Schweinehund! Ich gebe dir den Hof, ich gebe dir die Möbel nd du
lehnst ab!"
Mit einem Schlag beruhigte
er sich. "Und dann sehe ich übrigens gar nicht ein", sagte er
barsch, "warum ich mit dir diskutiere."
Er trat zwei Schritt zurück,
richtete sich in seiner ganzen Größe auf, und seine Stimme klang
wie ein Peitschenknall: "
Unteroffizier!"
Ich stand stramm. "Jawohl,
Herr Oberst."
"Sie wissen doch, daß ein
Soldat seinen Vorgesetzten um die Erlaubnis zur Heirat zu bitten
hat."
"Jawohl, Herr
Oberst."
Er fuhr fort und betonte die
einzelnen Silben: "Unteroffizier, ich gebe Ihnen die Erlaubnis,
Elsie Brückner zu heiraten!"
Und mit Donnerstimme setzte
er hinzu: "Das ist ein Befehl."
Daraufhin drehte er mir den
Rücken zu, öffnete eine kleine Tür rechts vom Kamin und rief:
"Elsie! Elsie!"
Ich sagte: "Aber Herr
Oberst. .."
Er blickte mich an. Es waren
Vaters Augen. Es würgte mich in der Kehle, ich konnte nicht
weitersprechen. Elsie trat ein. Jeseritz drehte sich um seine
Achse, gab ihr einen leichten Klaps auf den Hintern und ging
hinaus, ohne sich umzuwenden. Elsie nickte mir zu, aber sie reichte
mir nicht die Hand. Sie blieb neben dem Kamin stehen, aufrecht und
unbeweglich, mit niedergeschlagenen Augen. Nach einer Weile hob sie
den Kopf, ihr Blick ruhte auf mir, und ich fühlte mich klein und
lächerlich. Es entstand ein langes Schweigen, dann sagte ich:
"Elsie ..."
Ich warf ihr einen Blick zu.
"Darf ich Sie Elsie nennen?"
"Ja."
Ich sah, wie ihre Brust sich
leicht hob; es war mir peinlich, und ich blickte ins Feuer . "Elsie
...Ich möchte Ihnen sagen. ..W enn Sie einen andern lieben, wäre es
besser, nein zu sagen."
Sie sagte: "Es gibt keinen
andern."
Dann, da ich schwieg, setzte
sie hinzu: "Ich bin nur etwas überrascht."
Sie bewegte sich ein wenig,
und ich begann wieder: "Ich möchte Ihnen auch noch sagen. ..Wenn
ich Ihnen mißfalle, müssen Sie nein sagen."
"Sie mißfallen mir
nicht."
Ich hob die Augen. In ihrem
Gesicht war nichts zu lesen, ich blickte von neuem ins Feuer und
setzte beschämt hinzu: "Ich bin etwas klein."
Sie erwiderte lebhaft: "Darauf lege ich keinen
Wert."
Sie fuhr fort: "Ich glaube,
was Sie dort auf dem Pachthof geleistet haben, ist wirklich
gut."
Eine Welle von Stolz
durchflutete mich. Das war eine Deutsche, eine echte Deutsche. Sie
war aufrichtig, standhaft und willig. Sie wartete darauf, daß ich
etwas sagte, ehe sie wieder sprach. "Sind Sie sicher, daß ich Ihnen
nicht mißfalle?"
"Nein", sagte sie mit
deutlicher Stimme, "keineswegs, Sie mißfallen mir durchaus
nicht."
Ich blickte ins Feuer, ich
wußte nicht mehr, was ich sagen sollte. Und plötzlich dachte ich
verwundert: ,Sie gehört mir, wenn ich will.' Ich konnte mir aber
nicht klarwerden, ob es mich freute oder nicht. Das erste Jahr auf
dem Gut war sehr schwer. Elsie hatte einen kleinen Geldbetrag
erhalten, der aus der Erbschaft ihrer Tante stammte und ohne den
wir uns nicht hätten einrichten können. Trotzdem war noch kein
halbes Jahr vergangen, als ich das Fichtenwäldchen opfern mußte. Es
war für uns ein schwerer Kummer, daß wir es so bald schon schlagen
lassen mußten, denn mit ihm schwand unsere einzige Reserve dahin.
Doch unsere große Sorge war nicht das Geld, sondern der Damm. Von
ihm hing der Bestand des Pachtguts und damit unser beider ganzes
Leben ab. Es war ein ständiger Kampf, ihn zu erhalten. Sobald es
etwas länger regnete, sahen wir uns besorgt an, und wenn mitten in
der Nacht ein heftiges Gewitter ausbrach, stand ich auf, zog die
Stiefel an, nahm die Laterne und sah nach, was geschah. Manchmal
kam ich gerade noch zur rechten Zeit, patschte zwei, drei Stunden
im Wasser herum und versuchte, das Hochwasser mit behelfsmäßigen
Mitteln aufzuhalten. Ein paarmal war ich allein nicht imstande,
eine Lücke zu stopfen, die sich zu erweitern drohte, ich mußte auf
den Hof zurückkehren und Elsie holen, die, obwohl sie damals
schwanger war, ohne Klage aus dem Bett aufstand und mit mir bis zum
Morgen arbeitete. Endlich brach der Tag an, der Regen hörte auf,
aber wir hatten kaum die Kraft, uns durch den Schlamm nach Hause zu
schleppen und Feuer zu machen, um uns zu trocknen. Im Frühjahr
besuchte uns Herr von Jeseritz, er fand am Zustand des Hofes und
der Pferde nichts auszusetzen, und nachdem er eingewilligt hatte,
mit uns ein Glas Bier zu trinken, fragte er mich, ob ich dem "Bund
der Artamanen"
beitreten wolle. Er erklärte
mir, es sei eine politische Bewegung, die er sich sehr angelegen
sein lasse und die sich die Erneuerung des deutschen Bauerntums zum
Ziel setze. Ich hatte in der Tat schon von dem Bund sprechen hören,
und sein Wahlspruch -Blut, Boden und Schwert -war mir als eine
ausgezeichnete Zusammenfassung der Grundsätze erschienen, auf denen
das Heil Deutschlands beruhte. Ich erwiderte indessen Jeseritz, daß
ich nicht wüßte, ob ich als Mitglied der Nationalsozialistischen
Partei zugleich dem Bund angehören könnte. Darauf fing er an zu
lachen. Er kenne alle SA-Führer der Gegend und könne mir
versichern, daß die Doppelzugehörigkeit von der Partei genehmigt
wäre. Übrigens sei er selbst, was ich doch wüßte, auch Mitglied der
Partei, aber er sehe nur Vorteile darin, unter dem Schutz des
Bundes zu arbeiten statt unter dem nationalsozialistischen
Aushängeschild, weil die Bauern einer Partei stets ein bißchen
mißtrauten, während sie für die historischen Anknüpfungspunkte, die
der Bund betonte, empfänglich seien. Daraufhin erklärte ich meinen
Beitritt, und Jeseritz bat mich auch gleich, das Sekretariat der
Bauernvereinigung des Dorfes zu Übernehmen, denn es wäre wichtig,
daß dieser Posten von einem Mitglied des Bundes eingenommen würde.
Ich glaubte, nicht ablehnen zu dürfen, denn er versicherte mir, er
rechne sehr darauf, daß ich politisch auf die jungen Leute
einwirke, bei denen meine Eigenschaft als ehemaliger Unteroffizier
in einem Freikorps mehr ausrichten würde als alle Reden. Der Sommer
kam, das Barometer stand fest auf Schönwetter, der Damm hörte auf
mich zu quälen, und ich konnte meinen neuen Aufgaben mehr Zeit
widmen. Es gab im Dorf eine kleine Gruppe von Gegnern, die mir
anfangs eine harte Nuß zu knacken gaben; als ich aber eine Handvoll
entschlossener junger Leute um mich versammelt hatte, wandte ich
gegen sie die Angriffstaktik an, die die Partei ihrerseits von den
Freikorps geerbt hatte, und nach einigen exemplarischen
Schlägereien verschwand die Opposition. Ich konnte dann ganz nach
meinem Belieben zugleich die politische und militärische Ausbildung
meiner Jungen durchführen. Die Ergebnisse waren ausgezeichnet, und
nach einiger Zeit unternahm ich es, aus ihnen eine Art berittener
Miliz zu bilden, die es mir erlaubte, in den benachbarten Dörfern
rasch einzugreifen, wenn der örtliche Bund oder die Partei sich in
Schwierigkeiten befand. Tatsächlich wurde diese Schar sehr bald so
kriegstüchtig, daß ihr nur die Waffen fehlten, um eine wirkliche
Truppe zu sein. Indessen war ich sicher, daß es diese Waffen
irgendwo gab und daß, wenn "der Tag"
für Deutschland anbrechen
würde, von dieser Seite her nichts zu wünschen übrigbleiben
würde.
Die
Schwangerschaft strengte Elsie sehr an. Sie schleppte sich an ihre
Arbeit mit abgespanntem Gesicht und kurzem Atem. Eines Abends nach
dem Essen saß ich vor dem Küchenofen und war dabei, mir eine Pfeife
zu stopfen (ich war seit kurzem dazu übergegangen), und
sie
saß strickend auf einem niedrigen Stuhl neben
mir, als sie plötzlich ihr Gesicht in den Händen verbarg und in
Schluchzen ausbrach. Ich sagte zärtlich: "Aber, Elsie!"
Ihr Schluchzen wurde
stärker. Ich stand auf, nahm mit der Feuerzange ein Stückchen Glut
aus dem Ofen und legte es auf den Tabak. Als er brannte, schüttelte
ich die Pfeife leicht über dem Feuer, damit die Glut wieder
herunterfiel. Das Schluchzen hörte auf, ich setzte mich wieder und
sah zu Elsie hinüber. Sie tupfte sich die Backen mit ihrem
Taschentuch ab. Als sie damit fertig war, knäulte sie es zusammen,
steckte es in ihre Schürzentasche und nahm ihre Strickerei wieder
auf. Ich sagte sanft: "Elsie."
Sie blickte auf, und ich
fuhr fort: "Kannst du es mir erklären?"
Sie sagte: "Ach, es ist
weiter nichts."
Ich sah sie an, ohne etwas
zu sagen, und sie wiederholte: "Es ist weiter nichts."
Ich glaubte, sie wolle
wieder zu weinen anfangen. Ich sah sie an. Sie mußte wohl
verstehen, daß ich wirklich eine Erklärung wünschte, denn nach
einer Weile sagte sie, ohne aufzublicken und ohne mit Stricken
aufzuhören: "Ich habe nur das Gefühl, daß du mit mir nicht
zufrieden bist."
Ich erwiderte lebhaft:
"
Was für ein Gedanke, Elsie!
Ich habe dir nichts vorzuwerfen, das weißt du doch."
Sie schnüffelte wie ein
kleines Mädchen, zog dann von neuem ihr Tuch aus der Schürzentasche
und schneuzte sich. "Oh, ich weiß wohl, daß ich bei der Arbeit tue,
was ich kann. Aber das ist es nicht, was ich meine."
Ich wartete, und nach einer
Weile sagte sie, ohne die Augen zu erheben: "Du bist mir so
fern."
Ich sah sie an; endlich hob
sie den Kopf, und unsere Blicke trafen sich. "
Was willst du damit sagen,
Elsie ?"
"Du bist so schweigsam,
Rudolf."
Ich dachte darüber nach und
sagte: "Aber du auch, Elsie, du bist auch nicht
redselig."
Sie legte das Strickzeug auf
ihre Knie und lehnte sich im Stuhl weit zurück, wobei sie ihren
Körper nach vorn schob, als ob der Unterleib ihr Beschwerden mache.
"Bei mir ist es nicht dasselbe. Ich schweige, weil ich darauf
warte, daß du sprichst."
Ich sagte leise: "Ich bin
nicht redselig, das ist alles."
Es folgte ein Schweigen,
dann begann sie wieder: "Ach, Rudolf, glaube ja nicht, daß ich dir
Vorwürfe machen will. Ich versuche es nur zu
erklären."
Ich fühlte mich durch ihren Blick verwirrt,
senkte die Augen und starrte auf meine Pfeife. "Nun, dann erkläre
es, Elsie."
"Es geht nicht so sehr
darum, daß du nicht sprichst, Rudolf ..."
Sie stockte, ich hörte ihren
Atem pfeifen, und sie sagte leidenschaftlich: "
Du bist mir so fern, Rudolf.
Manchmal, wenn du am Tisch sitzt, und mit deinen kalten Augen ins
Leere blickst, habe ich das Gefühl, daß ich für dich überhaupt
nicht zähle."
Meine kalten Augen -auch
Schrader hatte von meinen kalten Augen gesprochen. Ich sagte mit
Überwindung: "Das ist meine Natur."
"Ach, Rudolf", sagte sie,
anscheinend ohne es zu hören, wenn du wüßtest, wie schrecklich es
für mich ist, das Gefühl zu haben, beiseite geschoben zu sein. Für
dich gibt es nur den Damm, die Pferde und den Bund auf der Welt.
Und manchmal, wenn du dich im Stall verspätest, um noch deine
Pferde zu pflegen, siehst du sie so liebevoll an, daß ich den
Eindruck habe, du liebst nur sie. .."
Ich zwang mich zu einem
Lachen. "Ach, dummes Zeug, Elsie! Natürlich hab' ich dich lieb. Du
bist doch meine Frau."
Sie blickte mich an, und
ihre Augen standen voll Tränen. "Hast du mich wirklich
lieb?"
"Aber ja, Elsie,
natürlich."
Sie sah mich eine volle
Sekunde lang an, dann warf sie sich mir plötzlich an den Hals und
bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Ich ließ sie geduldig gewähren,
dann faßte ich ihren Kopf, legte ihn an meine Brust und fing an,
ihr übers Haar zu streichen. Sie blieb an mich gelehnt, ohne sich
zu bewegen, und nach einer Weile wurde ich mir bewußt, daß ich
schon nicht mehr an sie dachte. Kurz nach der Geburt meines Sohnes
kam ein Reitknecht des Herrn von Jeseritz und benachrichtigte mich,
daß sein Herr mich dringend sprechen wolle. Ich sattelte meine
Stute und ritt los. Die Stute ging einen guten Trab, und ich legte
die zehn Kilometer, die mich vom Rittergut trennten, rasch zurück.
Ich klopfte an die Tür des Büros, die Stimme des Herrn von Jeseritz
rief: "Herein", und ich trat ins Zimmer . Scharfer Zigarrenrauch
kam mir in die Kehle, und ich konnte kaum das halbe Dutzend Herren
beim Schreibtisch erkennen, die um einen Mann in SS-Uniform
herumsaßen. Ich schloß die Tür, stand stramm und grüßte. "Setz dich
dorthin", sagte Jeseritz. Er wies auf einen Stuhl hinter sich. Ich
setzte mich, die Unterhaltung nahm ihren Fortgang, und ich
gewahrte, daß ich alle Herren, die da waren, kannte. Es waren
Großgrundbesitzer aus der Umgebung, alle Mitglieder des Bundes. Den
SS-Mann verdeckte mir der Rücken des Herrn von Jeseritz, und ich
wagte mich nicht zur Seite zu biegen, um sein Gesicht betrachten zu
können. Ich sah nur seine Hände. Es waren kleine, dicke Hände, die
er unaufhörlich auf dem Tisch mechanisch zusammenlegte und wieder
auseinandernahm. Einer der Grundbesitzer gab einen Bericht über die
Fortschritte des Bundes in unserm Bezirk und gab die Zahl der
Mitglieder an. Als er geendet hatte, wurden mehrere ziemlich
energische Einwände erhoben, dann klopften die kleinen dicken Hände
auf den Tisch, es wurde still, und ich merkte, daß es der SS-Mann
war, der sprach. Seine Stimme war matt und klanglos, aber er sprach
flüssig, ohne Zögern, ohne Stocken, genauso, als läse er aus einem
Buche vor. Er gab ein Bild der politischen Lage im Lande,
analysierte die Aussichten der Partei für die Machtergreifung,
führte auch seinerseits Mitgliederziffern an und forderte die
Mitglieder des Bundes auf, örtlichen Partikularismus und personelle
Fragen zu vergessen und mehr mit den nationalsozialistischen
Führern des Bezirks zusammenzuarbeiten. Danach gab es eine kurze
Diskussion, dann hoben die Herren die Sitzung auf, und plötzlich
schien es im Zimmer viele Leute und großen Lärm zu geben. Herr von
Jeseritz sagte zu mir: "Bleib da. Ich brauche dich."
Ich suchte mit meinen
Blicken den SS-Mann. Er schritt zur Tür, umgeben von einer Gruppe
der Großgrundbesitzer. Einmal wandte er den Kopf, und ich sah, daß
er einen Kneifer trug Herr von Jeseritz sagte mir, ich sollte ein
neues Scheit Holz ins Feuer legen, und ich gehorchte. Die Tür
klappte. Schweigen legte sich über den Raum, und als ich wieder den
Kopf hob, kam der Mann in SS-Uniform auf uns zu. Ich sah die
Eichenblätter auf seinem Kragenspiegel und erkannte seine Züge: Es
war Himmler. Ich knallte die Hacken zusammen und hob den rechten
Arm. Das Herz klopfte mir. "Das ist Lang", sagte Jeseritz. Himmler
erwiderte meinen Gruß. Dann nahm er einen schwarzen Ledermantel von
der Lehne eines Stuhls, zog ihn an, knöpfte methodisch alle Knöpfe
zu, schnallte den Leibriemen um und zog schwarze Handschuhe an. Als
er fertig war, wandte er sich zu mir, bog den Kopf leicht zu mir
herüber und sah mich fest an. Sein Gesicht war ohne jeden Ausdruck.
"Sie haben an der Hinrichtung Kadows teilgenommen, nicht
wahr?"
"Jawohl, Herr.
.."
Er sagte energisch: "Nennen
Sie meinen Titel nicht."
Dann fuhr er fort: "Sie
haben fünf Jahre im Gefängnis Dachau zugebracht?"
"Ja."
"Und vorher waren Sie in der
Türkei?"
"Ja."
"Als
Dragonerunteroffizier?"
"Ja."
"Sie sind
Waise?"
"Ja."
"Und Sie haben zwei
verheiratete Schwestern?"
Ich zögerte den Bruchteil
einer Sekunde und sagte: "Ich wußte nicht, daß meine Schwestern
verheiratet sind."
"Haha", lachte von Jeseritz,
"die Partei ist gut unterrichtet."
Ohne den Anflug eines
Lächelns, ohne den Kopf einen Millimeter zu bewegen, fuhr Himmler
fort: "Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß Ihre beiden
Schwestern verheiratet sind."
Dann sagte er: "Sie haben in
Ihrem Abschnitt eine Schar Milizen des Bundes
organisiert?"
"Jawohl."
"Das ist. .."
Ohne ersichtlichen Grund
machte er eine Pause. "Das ist ein ausgezeichneter Gedanke. Ich
empfehle Ihnen, Ihre Tätigkeit auf dieses Gebiet zu verlegen, und
ich beauftrage Sie, von jetzt an in Verbindung mit den Führern des
Bundes und der Partei eine Reiterabteilung zu bilden."
Während er sprach, blickte
er starr über meinen Kopf hinweg auf einen bestimmten Punkt im
Raum, und ich hatte den wunderlichen Eindruck, daß er dort abläse,
was er mir zu sagen hätte. Er machte eine Pause, ich sagte:
"Jawohl", und er fuhr sogleich fort: "Es wird gut sein, Ihre
Milizen geistig darauf vorzubereiten, daß sie gegebenenfalls zu
SS-Reitern umgebildet werden. Indessen unterlassen Sie ja, mit
ihnen über meinen Besuch zu sprechen. Er darf nur den Führern des
Bundes und Ihnen selbst bekannt sein."
Er legte beide Hände flach
an seinen Ledermantel und steckte die Daumen in den Gürtel. "Es ist
wichtig, Ihre Reiter gut auszuwählen. Lassen Sie mir einen Bericht
über ihre physischen Fähigkeiten, ihre rassische Reinheit und ihre
religiösen Überzeugungen zugehen. Es empfiehlt sich, von vornherein
alle die fernzuhalten, die die Religion zu ernst nehmen. Wir wollen
keine SS-Leute mit Gewissenskonflikten."
Von Jeseritz brach in lautes
Lachen aus. Himmler blieb davon unberührt. Sein Kopf war leicht
nach rechts geneigt, sein Blick immer noch auf denselben Punkt im
Raum geheftet. Es sah aus, als warte er geduldig, bis Jeseritz mit
Lachen aufhörte, um dann seine Rede genau an derselben Stelle
wiederaufzunehmen, wo er aufgehört hatte. "Nein, nein", brachte
Jeseritz unter Lachen heraus, "wir wollen keine SS-Männer mit
Gewissenskonflikten."
Dann schwieg er. "Es ist
wichtig", fuhr Himmler sogleich fort, "daß Sie auch größten Wert
auf die moralische Schulung Ihrer Männer legen. Die müssen
begreifen, daß ein SS-Mann bereit sein muß, seine eigene Mutter
hinzurichten, wenn ihm dieser Befehl gegeben wird."
Er machte eine Pause und
knöpfte seine schwarzen Handschuhe zu. An jedem Handschuh waren
drei Knöpfe, und er knöpfte sie alle drei zu. Dann hob er den Kopf
wieder, und sein Kneifer blitzte auf. "Ich erinnere Sie daran, daß
dies alles geheim ist."
Er machte nochmals eine
Pause und sagte dann: "Das ist alles."
Ich grüßte, er erwiderte
meinen Gruß in tadelloser Weise, und ich ging hinaus.
Nach dem Jungen
wurden zwei Töchter geboren, und ich fühlte meine
Verantwortlichkeit wachsen. Elsie und ich arbeiteten sehr schwer,
aber endlich begriff ich, daß der Bruch uns zwar zur Not den
Lebensunterhalt sicherte, aber keine Zukunft versprach, weder uns
noch unsern Kindern. Wenn die Pferde uns gehört hätten oder wenn
Jeseritz uns an der Zucht beteiligt hätte, sei es auch nur mit
wenigem, hätten wir zurechtkommen können. Aber was die Schweine,
das Geflügel und das bißchen Acker einbrachten, würde uns später,
wenn die Kinder größer wurden, nicht erlauben, sie anständig zu
erziehen. Doch ich hatte trotzdem nicht die Absicht, die Landarbeit
aufzugeben. Ganz im Gegenteil lag für mich in der Tatsache, daß ich
Gutspächter war, etwas wirklich Wunderbares: Ich hatte die
Gewißheit, mich immer satt essen zu können. Das war ein Gefühl, das
Elsie nicht begreifen konnte, weil sie immer auf einem Gut gelebt
hatte. Ich hatte ein anderes Leben gekannt, und nachts träumte ich
manchmal mit Entsetzen davon, daß Jeseritz mich wegjagte (wie er
gedroht hatte, als ich mich weigerte zu heiraten) und ich von neuem
auf schwachen Beinen durch die Straßen von M. lief, ohne Arbeit und
ohne ein Dach über dem Kopf, und mein Magen von Krämpfen gequält
wurde. Ich wachte auf, zitternd, in Schweiß gebadet, und selbst
dann brauchte ich noch eine ganze Weile, um mir klarzumachen, daß
ich in meiner Kammer im Bruch war und Elsie neben mir lag. Der Tag
brach an, ich versorgte meine Tiere, aber die Träume hinterließen
eine peinliche Erinnerung. Dann dachte ich daran, daß Jeseritz sich
geweigert hatte, mit mir einen förmlichen Vertrag zu schließen, und
daß er uns folglich von einem Tag zum andern vor die Tür setzen
konnte. Ich sprach oft mit Elsie darüber, und anfangs beruhigte sie
mich, indem sie sagte, es sei wenig wahrscheinlich, daß Jeseritz
uns fortschicke, denn er würde sicherlich niemanden finden, der
sich so mit den Pferden abgäbe, wie ich es täte, und zugleich die
harten Bedingungen annähme, die er uns auferlegt hatte. Aber
schließlich kam ich so oft auf diese Sorge zurück, daß meine Furcht
sie ansteckte, und es wurde beschlossen, Geld zurückzulegen, um
eines Tages ein kleines Gut kaufen zu können und auf diese Weise
über die Zukunft beruhigt zu sein.
Von dem wenigen,
das wir verdienten, etwas zurückzulegen hieß jeden Pfennig umdrehen
und sich das Nötigste versagen. Doch wir beschlossen, es zu tun,
und von diesem Tage an begann für uns beide und unsere Kinder ein
System der Einschränkung von unerhörter Strenge. Drei Jahre wichen
wir nicht im geringsten davon ab. Gewiß führten wir ein sehr hartes
Leben, aber dennoch empfand ich bei jeder neuen Entbehrung (sogar
als ich zum Beispiel auf den Tabak verzichten mußte) ein lebhaftes
Vergnügen, wenn ich daran dachte, daß wir uns allmählich dem Ziel
näherten und daß ein Tag kommen würde, an dem ich Grund und Boden
besäße, der ganz mein eigen wäre, und ich mir endlich mit absoluter
Gewißheit sagen könnte, daß ich niemals wieder Hunger leiden würde.
Elsie fand, daß die Bauernvereinigung und der Bund mir viel Zeit
wegnähmen, und schließlich, da ich den Hof nicht vernachlässigen
wollte, beklagte sie sich darüber, daß ich mich von Jahr zu Jahr
immer mehr übernähme. Ich fühlte übrigens selbst mitunter die
Schwere meiner Aufgaben, und ich gestand mir beschämt, daß ich an
meiner kämpferischen Tätigkeit nicht mehr soviel Gefallen fand wie
einst. Es war nicht so, daß mein patriotischer Eifer oder meine
Treue gegenüber dem Führer im geringsten nachgelassen hätte. Aber
der Wunsch, mir ein Gut zu kaufen, dort Wurzel zu fassen und meine
Familie sicherzustellen, war in mir so stark geworden, daß ich es
manchmal beinahe bedauerte, aus dem Räderwerk, in das meine frühere
politische Tätigkeit mein Leben verwickelt hatte, nicht heraus zu
können. Es war mir zum Beispiel ganz klar, daß, wenn ich nicht im
Freikorps gekämpft noch mich in der SA betätigt, noch Kadow
gerichtet hätte, Jeseritz oder Himmler niemals daran gedacht
hätten, mich für den Bund oder zur Bildung einer SS-Reiterabteilung
zu werben. Und mir kam zuweilen der Gedanke, daß, da ich in der
Vergangenheit meinem politischen Glauben so viel geopfert hatte,
ich ihm in der Zukunft um so mehr opfern müßte; daß es keine
Möglichkeit mehr gäbe, loszukommen, da ich sonst vielleicht die
Aussichten auf ein friedliches Leben für mich und meine Familie
gefährden würde. Jedoch kämpfte ich gegen diese Gedanken an, denn
mir war klar, daß sie vom Egoismus diktiert wurden und daß der
Wunsch, meine Lage zu verbessern, im Hinblick auf das Schicksal
Deutschlands nur kleinlicher Ehrgeiz war. Es ist sonderbar, daß ich
damals aus dem Beispiel meines Vaters die Kraft zog, diesen
Schwächeanwandlungen zu widerstehen. Ich sagte mir tatsächlich,
daß, wenn Vater den Mut gefunden hatte, täglich einem Gott, den es
nicht gab, unglaubliche Opfer zu bringen, ich, der ich an ein
sichtbares Ideal glaubte, das sich in einem Menschen von Fleisch
und Blut verkörperte, mich mit besserem Grund ganz meinem Glauben
hingeben sollte, ohne auf mein Interesse oder, wenn es sein müßte,
auf mein Leben Rücksicht zu nehmen. Trotzdem kam ich nicht um ein
peinliches Gefühl herum, das noch durch einen dummen Vorfall
bestärkt wurde, der sich im April 1932 ereignete. Seit einiger Zeit
sah der Bund eines benachbarten Dorfes seine Fortschritte durch die
Propaganda eines Schmiedes namens Herzfeld gehemmt, der unter den
Bauern große Autorität besaß, teils auf Grund seiner körperlichen
Kraft, teils wegen seiner Witze und seiner Beredsamkeit. Er hatte
den Bund aufs Korn genommen, er machte sich offen über dessen
Führer lustig und erging sich ganz allgemein in zersetzenden und
antipatriotischen Reden. Der örtliche Bund war außerstande, ihn zum
Schweigen zu bringen, und rief mich zu Hilfe. Ich berichtete
darüber meinen Führern, und sie gaben mir freie Hand. Ich legte
also Herzfeld einen Hinterhalt, er tappte hinein, und ein Dutzend
meiner Jungens stürzten sich mit Knüppeln auf ihn. Er kämpfte wie
ein Löwe, setzte zwei von ihnen außer Gefecht; und die andern,
außer sich vor Wut, als sie die beiden fallen sahen, schlugen wie
die Verrückten los. Als ich dazwischentrat, war es zu spät:
Herzfeld lag mit zerschmettertem Schädel am Boden. Unter diesen
Umständen war es unmöglich, eine Untersuchung zu vermeiden. Aber
die Führer der Partei und des Bundes bemühten sich darum, die
Polizei betrieb die Sache sehr lässig, man fand Zeugen, die
bestätigten, daß es sich um einen Streit, in betrunkenem Zustand,
wegen eines Mädchens gehandelt habe, und die Angelegenheit wurde
abgesetzt. Zwei Monate vorher hatte die Polizei im Fall eines
SA-Mannes, der in ähnliche Umstände verwickelt gewesen war, einen
Beweis von Strenge gegeben, und ihre nachgiebigere Haltung in
unserm Fall stand offensichtlich im Zusammenhang mit dem
triumphalen Erfolg des Führers, der vierzehn Tage zuvor bei der
Präsidentschaftswahl mit dem großartigen Ergebnis von vierzehn
Millionen Stimmen unmittelbar auf den Marschall Hindenburg folgte.
Ich überlegte mir, daß, wenn der Tod Herzfelds vor der Wahl erfolgt
wäre, die Polizei wahrscheinlich die Sache weiterverfolgt hätte, in
welchem Falle es zu einem Prozeß und ich ins Gefängnis gekommen
wäre. Soweit es mich betraf, war ich bereit, abermals jede,
gleichviel welche, Prüfung für eine gerechte Sache auf mich zu
nehmen, aber ich fragte mich besorgt, was meine Frau in diesem Fall
angefangen hätte, allein auf einem Gut mit drei kleinen Kindern.
Vom alten Wilhelm hätte sie sicher nichts zu erwarten gehabt, und
Jeseritz kannte ich zu gut, um hoffen zu können, daß er von seinem
Entschluß abgegangen wäre, uns mit keinem Pfennig zu helfen, was
auch immer geschehe.
Elsie fühlte wohl,
daß in mir etwas vorging, und stellte mir unaufhörlich Fragen, die
zu beantworten ich mich hütete. Aber in Wirklichkeit bereitete mir
das alles große Sorge. Mitunter war ich sogar schwach genug, mir
auszumalen, welche Erleichterung es für mich sein würde, in einer
Gegend Arbeit zu finden, wo meine frühere politische Tätigkeit
nicht bekannt war und die Führer der Partei mich folglich in Ruhe
lassen würden. Aber ich wurde mir darüber klar, daß dies reine
Kinderei von mir war. Im damaligen Deutschland war es fast
unmöglich, Arbeit zu finden, und ich wußte sehr gut, daß, wenn ich
kein wegen seiner Treue bekannter Kämpfer gewesen wäre, die Partei
mich niemals an Herrn von Jeseritz empfohlen und Jeseritz mich nie
eingestellt noch in der Folge mir einen Pachthof anvertraut hätte.
Es gelang mir, nicht ohne große Mühe, die Reiterabteilung auf die
Beine zu bringen, die Himmler mir aufzustellen befohlen hatte. Mit
voller Billigung meiner Männer schickte ich an Himmler über jeden
ein Aktenstück für die SS-Anwartschaft. Diese Akten hatten Zeit
beansprucht, und ich hatte mir viel Mühe gegeben, besonders bei der
Aufstellung der Ahnentafeln, die ich selbst mit peinlicher
Genauigkeit bei den Standesämtern erforscht hatte und bei denen ich
soweit wie möglich zurückgegangen war, da ich wußte, welche
Wichtigkeit die Partei bei der Rekrutierung der SS der rassischen
Reinheit beimaß. Indessen hatte ich in einem Nachtrag zu meinem
Bericht vermerkt, ich hätte es nicht für richtig gehalten, den
Aktenstücken meiner Männer eins über mich beizufügen, denn ich
wüßte, daß ich leider die verlangten körperlichen Bedingungen nicht
erfüllte. Die SS verlangte in der Tat, daß die Anwärter eine
Mindestgröße von ein Meter achtzig hätten, und in dieser Hinsicht
wenigstens kam ich überhaupt nicht in Frage. Genau am 12. Dezember
erhielt ich die Antwort Himmlers. Er nahm die vorgeschlagenen
Bewerber auf, beglückwünschte mich zu der Sorgfalt, die ich auf die
Abfassung der Aktenstücke verwandt hätte und teilte mir mit, daß er
sich in Erwägung der geleisteten Dienste entschlossen habe,
hinsichtlich der geforderten Körpermaße zu meinen Gunsten eine
Ausnahme zu machen, und daß er mich in die Elitetruppe des Führers
als Oberscharführer aufnähme. Ich stand am Küchentisch, die Zeilen
des Himmlerschen Briefes tanzten vor meinen Augen, mein ganzes
Leben schlug eine neue Richtung ein. Ich hatte große Mühe, Elsie
begreiflich zu machen, welch unverhofftes Glück es für mich wäre,
in die SS aufgenommen zu sein. Und wir hatten darüber zum erstenmal
in unserm gemeinsamen Leben einige ziemlich lebhafte
Auseinandersetzungen, besonders als ich das so streng für das
eigene Gut gesparte Geld angreifen mußte, um mir eine Uniform
machen zu lassen. Ich erklärte Elsie mit viel Geduld, daß der
Gedanke, sich anzukaufen, jetzt überholt sei, daß ich, richtig
besehen, niemals eine andere Berufung in mir gefühlt hätte als das
Waffenhandwerk und daß ich die mir gebotene Gelegenheit, es wieder
aufzunehmen, ergreifen müßte. Sie wandte ein, daß die SS nicht das
Heer sei, daß ich außerdem keinen Sold erhielte, daß vor allem
niemand behaupten könnte, der Sieg der Partei sei sicher, sondern
daß tatsächlich, ich hätte es doch selbst zugegeben, bei den
Wahlen, die auf die Präsidentschaftswahl folgten, die Partei viele
Stimmen verloren hätte. Daraufhin gebot ich ihr streng zu
schweigen, denn ich konnte nicht dulden, daß sie auch nur einen
einzigen Augenblick den Erfolg der Bewegung in Zweifel zog. Der
Erfolg, den ich damals mit mehr Gläubigkeit als Überzeugung berief,
kam früher, als ich zu hoffen gewagt hätte. Seit jener Unterredung
war noch kein Monat verflossen, als der Führer Reichskanzler wurde
und einige Wochen später die Partei, indem sie jeden Widerstand
brach oder niederwarf, sich in den alleinigen Besitz der Macht
setzte.