Die Krieger hatten seit ihrem Aufbruch in Jumpup Crossing einen Großteil des holprigen Wegs im Galopp zurückgelegt. Nachdem sie sich in der vergangenen Nacht ordentlich ausgeschlafen hatten, strotzten sie vor Energie und Tatendrang. Sie rappten sogar, während sie rannten:

»Die Eppingham-Gäng versucht ihr Glück,
Folgt dem Ruf, es gibt kein Zurück!
Das schönste Schaf im Land,
Tuftella, braucht Beistand!
Und wir werden sie retten,
Darauf könnt ihr wetten!«

Vollkommen reglos lag das Krokodil ganz allein auf der Lauer. Nur seine Augen bewegten sich. Es beobachtete. Es lauschte. Es hatte auf einen Imbiss gehofft. Stattdessen kam ein fünfgängiges Festessen auf ihn zugetrabt.

Will hörte abrupt auf zu singen.

»Da ist er!«, schrie er aufgeregt. »Der Jungfernturm!«

Die anderen blieben stehen und folgten seinem Blick. Dort, jenseits des Creeks, ragte hinter einem Streifen Buschland ein hohes steinernes Gebäude empor.

»Gut gemacht, Will, mein Junge!«, sagte Oxo schließlich, nachdem sie alle eine Weile den Turm in stummer Ehrfurcht angestarrt hatten.

Dann warf der mächtige Widder einen Blick auf das Gewässer, das sie von ihrem Ziel trennte. »Wer zuletzt ankommt, ist ein Weichei!«, brüllte er und stürmte los.

Will raste hinterher. Ihm war schlagartig die Warnung des Kängurus wieder eingefallen. »Ho, langsam, Oxo! Was hat das Känguru über die Salties gesagt? Irgendwas mit Überschwemmungen, oder? Das bedeutet Wasser …« Aber er kam zu spät.

Oxo war gerade mit den Vorderhufen im Bach gelandet, als er sah, wie sich der Baumstamm bewegte und ihn ein bösartiges grünbraunes Auge anstarrte. Das Krokodil schnellte vor und riss sein Maul auf. Reihen scharfer Zähne blitzten auf. Oxo fuhr zur Seite, um den Zähnen zu entgehen, aber wurde im selben Augenblick von den Hufen gerissen, als ihn der peitschende, kräftige Schwanz des Krokodils traf. Der Widder verschwand kurz in dem schäumenden, braunen Wasser. Mit den Hufen wirbelte er Schlamm vom Boden des Bachbetts auf, als er sich hochrappelte. Er drehte und wendete sich, um dem schnappenden Maul und dem peitschenden Schwanz auszuweichen. Endlich nahm er seine letzte Kraft zusammen, stieß sich ab und sprang verzweifelt in Richtung Ufer. Das Maul schnappte wieder zu. Und diesmal bekamen die spitzen Zähne ein Stückchen von Oxos Hinterteil zu fassen.

»AchduliebesGrasachduliebesGrasachmeinOxooo …!«

Oxo zerrte heftig, riss sich los und kroch aus dem Wasser. Das Krokodil blieb mit einem Maulvoll cremeweißer Wolle zurück.

Aber die Gefahr war noch nicht vorbei.

»Lauft«, schrie Will. »Lauft! Es will uns holen!«

So leicht gab das Krokodil sein Abendessen nicht auf. Es glitt aus dem Wasser. Blitzschnell bewegten die kurzen, dicken Beine und der peitschende Schwanz den drei Meter langen Körper vorwärts.

Die Krieger machten kehrt und ergriffen die Flucht. Sie rannten geradewegs vor einen zerbeulten orangefarbenen Geländewagen.

Dalia, die das Steuer übernommen hatte, trat mit aller Kraft auf die Bremse. »Da sind sie wieder!«, stieß sie hervor. »Die Schafe!«

Shelly neben ihr hatte schon das Krokodil gesehen. »Heiliger Strohsack!«

Alice, die hinten saß, sprang auf. »Ich wusste es! Das ist eine Verschwörung, Dalia! Du benutzt die Schafe, um zu verhindern, dass ich rechtzeitig nach Barton’s Billabong komme.« Sie kletterte rücksichtslos über Shelly hinweg und stieß die Tür auf, um aus dem Wagen zu springen. Sie wollte die Schafe aus dem Weg kicken, ein für alle Mal! Aber Shelly packte sie an der Bluse und zerrte sie zurück auf ihren Sitz.

»Idiotin!«, schimpfte Shelly. »Du verdammte Vollidiotin!«

Draußen vor dem Auto rannten die Schafe panisch hin und her. Dann schlossen sie sich wieder zu einer Herde zusammen, als das Krokodil versuchte, sich ein Opfer herauszupicken.

»Oh, nein!«, schrie Dalia. »Es hat fast das Lamm erwischt!«

Shelly öffnete die Beifahrertür, klammerte sich an der Kante des Autodachs fest und schwang sich nach oben. Sie rannte nach hinten, sprang auf den Anhänger und warf sich hin. Dann streckte sie die Hand nach unten und riss die Hecktür mitsamt dem Seil weg. »Ein Glück, dass ich nie dazu gekommen bin, die Tür ordentlich zu reparieren«, murmelte sie, bevor sie sich wieder aufrichtete und laut durch die Finger pfiff. »Hierher, Schäfchen, hierher!«

Die Krieger hatten in der Hoffnung, dem schnappenden Krokodilmaul zu entkommen, einen Schwenk gemacht und den Weg verlassen. Als Will Shelly hörte, warf er einen Blick zurück.

»Leute! Stopp, umkehren!«, schrie er.

Blökend gehorchte die panische Herde und sah sich den Augen und Zähnen des Krokodils gegenüber, das auf sie zufegte. Zum Glück begriff Linx blitzartig, worauf Will hinauswollte.

»Springt, Mann! Springt!« Und er machte den Anfang und landete mit einem Satz in dem offen stehenden Anhänger. Sally, Will, Jasmine und zuletzt Oxo folgten.

»Fahr los!«, brüllte Shelly. »Fahr!«

Das Krokodil schnappte ein letztes Mal zu und blieb mit einem weiteren Maulvoll Oxo-Wolle zurück.

»Alter!«, keuchte Linx, als Norman mit dem Anhänger davonraste. »Bis wir hier in Down Under fertig sind, bist du kahl!«

Shelly verharrte zusammengekauert auf Normette, bis sie sicher war, dass das Saltie die Verfolgung aufgegeben hatte. Dann trommelte sie auf Normans Dach und Dalia hielt an. Shelly sprang auf den Boden und schwang sich selbst wieder hinter das Steuer.

»Die werden dein Gepäck ganz schön zurichten«, rief sie Alice vergnügt zu. »Aber ich bin mir sicher, das macht dir nichts aus.«

»Natürlich nicht«, fauchte Alice. »Ich fände es furchtbar, wenn die Viecher von einem Krokodil gefressen würden!«

Shelly warf beim Fahren prüfende Blicke auf den Creek, der neben der Piste verlief, um die seichteste Stelle zu finden. »Okay«, warnte sie. »Bleibt weg von den Fenstern. Wir fahren hier durch.«

Und schon lenkte sie Norman die Böschung hinunter und spritzend ins Flussbett.

Das Wasser leckte an den Radkästen, während sie langsam zum anderen Ufer fuhr.

Jasmine, die aus Normettes offenem Heck lugte, geriet abermals in Panik.

»AchduliebesGrasachduliebesGrasnochmehrSalties?«

Oxo knurrte: »Keine Angst. Habt ihr meine bravouröse Rechtskreiseldrehung nicht gesehen?«

»Nee«, sagte Linx. »Wir haben nur gesehen, wie du geschoren wurdest.«

Jasmine musste nicht lange zittern. Kurz darauf hatte Norman wieder trockenen Boden unter den Rädern und holperte in Richtung Barton’s Billabong.

Sally saß zusammengequetscht auf einem schicken Koffer und stimmte fröhlich eine Strophe aus der Ballade vom Vlies an:

»Die Schöne wird verschleppt in den finstersten

hohen Turm weit und breit,

bewacht von kriechenden Drachen

mit spitzen Zähnen, zum Kampf bereit …«

»Drachenmäßiger als das Biest da eben kann es nicht mehr werden«, stellte Linx fest.

»Und hast du gesehen, wer als Erstes versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen?«, fragte Sally bohrend. »Wer als Erstes versucht hat, uns zu retten?«

»Unsere Feedingsda«, riefen alle gehorsam im Chor.

»Ganz recht«, bekräftigte Sally mit glänzenden Augen. »Und jetzt bringt sie uns zu dem finsteren Turm. Und wir werden dem letzten Donnerschlag trotzen!«

Die Krieger nickten pflichtbewusst. Alle außer Oxo, der gedankenverloren auf einer Klopapierrolle herumkaute.

Während die Schafe sich noch mit dem kriechenden Drachen herumschlugen, waren Todd und Ida wieder in der Schutzstation eingetroffen, hatten das durchtrennte Telefonkabel entdeckt und bemerkt, dass Nat verschwunden war. Ein paar Minuten standen sie einfach nur in Franks Küche und fühlten sich sehr allein und verwundbar. In Barton’s Billabong gab es keinen Handyempfang, nichts als die stille, leere Weite und sie beide und die Tiere der Schutzstation. Und Mr Grusich.

»Ob im Büro ein Telefon steht?«, fragte Todd unvermittelt. Ida wusste es nicht.

»Dann sollten wir es wohl herausfinden.« Er ließ das Ende des Telefonkabels fallen, das er in der Hand gehalten hatte. »Das Kabel hat sich nicht selbst durchgeschnitten. Ich gehe rüber und spreche mit Mr Grusich.«

»Du gehst nicht ohne mich«, erklärte Ida mit Nachdruck. »Ich habe meinen Bruder verloren und meine schöne Schafherde. Dich will ich nicht auch noch verlieren.«

»Das wirst du nicht, Oma«, beruhigte sie Todd. »Aber wir müssen schnell Hilfe rufen.«

Er warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu und flitzte über den Hof davon.

»Sei vorsichtig, Todd!«, rief Ida ihm nach. »Ich traue diesem Grusich nicht!«

Sie raffte ihren Rock und lief ihm nach, so schnell ihre alten Beine sie trugen.

Als Todd die Seilbrücke erreichte, blieb er verdutzt stehen. Die Tür des Jungfernturms stand sperrangelweit offen. Todd sah sich um, dann rannte er leichtfüßig über die Brücke.

»Mr Grusich?«, rief er durch die offene Tür. Keine Antwort.

Todd betrat vorsichtig den Turm. Er blinzelte, als er vom grellen Sonnenlicht in die Dunkelheit trat. Und plötzlich umgab ihn tatsächlich völlige Dunkelheit, denn ihm wurde ein Kissenbezug über den Kopf gestülpt.

Die Schafgäääng: Lamm über Bord!
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