Berlin/Alexanderplatz, 15. Dezember

Berlin ist tief verschneit und winterlich, und alles sieht viel schöner aus als sonst. Es graut einem jetzt schon vor der Zeit, wenn mit dem Tauwetter die alte Hässlichkeit wieder zum Vorschein kommt. Aber erst mal zieht ein Schneetief nach dem anderen über die Stadt, und es wird einem zunehmend weihnachtlich zumute, was ja kein Wunder ist, bei den rund fünfzig Weihnachtsmärkten. Die Zeitungen sind voll von Markttests und Erfahrungsberichten, und der größte Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz, eigentlich ein riesiger Rummelplatz, bekommt schlechte Noten. Die Weihnachtsmarktpuristen bemängeln, bei dem argen Halligalli bliebe die Besinnlichkeit von Zimtduft und Lebkuchen auf der Strecke.

Dabei gibt es keinen schöneren, besinnlicheren Anblick, als wenn es auf dem Weg von Kreuzberg nach Mitte aus weiter Ferne schon glitzert und blinkt, wenn die etwa 300000 bunten Glühlämpchen des weltweit höchsten mobilen Riesenrads und des Kettenkarussells so heimelig ihr gleißendes Licht verstreuen. Zum Glück verabscheuen die Weihnachtsromantiker den Markt und bleiben ihm fern, dafür wird er von den jugendlichen Berlinern und Brandenburgern aus dem Umland sehr gut angenommen.

Neu ist dieses Jahr nicht nur die Doppellooping-Achterbahn »Teststrecke«, sondern auch ein 32 Meter hoher Erlebnistower.

L. hatte dazu im Internet recherchiert und ließ sich gestern trotz seiner Weihnachtsverachtung zu einer Begehung überreden. Aber ach! Hinter der bunten Glitzerfassade wartete dann, wie so oft, nur ein einmaliges Trasherlebnis: LCD-Leuchten auf Pappmaché, Dalís zerflossene Uhren, eine Rocker-Oma, die zur Melodie von »Highway to Hell« auf einem Motorrad herumjockelte, dazu eine autoritäre Stimme aus dem Off: »Setzen Sie jetzt Ihre Spektralbrille auf!« Aber auch mit Brille sah man nur verschwommene Lichter und stieß an Plastikstäbe, die von der Decke baumelten. Fremde seltsame Welt der Schaustellerei!

Als wir dann aber wieder so draußen im Schnee standen und die Hälse reckten, ganz nach oben schauten und uns die Schneeflocken ins Gesicht fallen ließen und zusahen, wie das Kettenkarussell »Star Flyer« auf 55 Meter hochgezogen wurde und dazu die mannigfaltigen Jauchzer und Schreie der vielen jugendlichen Scream Queens aus den anderen Fahrgeschäften hörten und einige ADS-Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund belauschten, die überlegten, ob sie zuerst Achterbahn und dann mit dem »Kotzrad« fahren wollten oder umgekehrt, da wurde uns doch ganz poetisch zumute und warm und weihnachtlich ums Herz.