Psychologische Liebestheorien

Jedes Paar bildet sich zumindest in der Anfangszeit ein, einzigartig unter den Liebespaaren zu sein, nichts anderes verlangt ja das Romantikgebot unserer paarorientierten Gesellschaft. Trotzdem haben die Liebesforscher und Soziologen allgemeine Muster und Stereotypen in Beziehungen herausgearbeitet. Im Folgenden sollen die wichtigsten psychologischen und soziologischen Konzepte der Liebe vorgestellt werden.

In der neueren psychologischen Forschung ist man zum Glück ja weiter als in der Medienwelt, dort wird das Phänomen »Liebe« mehrheitlich als vielschichtiges Konstrukt betrachtet, in dem Einstellungen, Gefühle und Verhaltensweisen einer Person gegenüber einer anderen abgebildet werden.

Rubins »Love/Liking«-Skalen

Der amerikanische Sozialpsychologe Zick Rubin hat diese Mehrdimensionalität als Erster konzeptualisiert. Rubin entwickelte in den siebziger Jahren mit den »Love and Liking Scales« ein Messsystem der Liebe, mit dem einzelne Bestandteile von »Lieben« und »Mögen« erfasst werden sollten.

Zur Entwicklung seiner »Love and Liking Scales« wurden aus philosophischer und theoretischer Literatur entnommene Zitate in Form von Testfragen formuliert, die anschließend von studentischen Versuchspersonen nach Aussagen geordnet wurden, die sich entweder auf einen Liebespartner oder einen Freund/eine Freundin bezogen.

Das Beziehungsmodell nach Sternberg

Die amerikanischen Sozialpsychologinnen Berscheid und Walster unterscheiden 1974 zwei Grundformen der Liebe: Leidenschaftliche und partnerschaftliche Liebe, wobei die leidenschaftliche Liebe bei längerer Dauer der Beziehung häufig in partnerschaftliche Liebe übergeht.  

Was ja meinen Beobachtungen zufolge noch ein Glücksfall ist – die andere häufig vorkommende Variante wäre der Übergang zu Hass und Verachtung.

Sternbergs Dreikomponententheorie aus dem Jahr 1986 schlägt eine mehrdimensionale Theorie der Liebe vor, wonach sich jede Art von Liebe aus einer jeweils unterschiedlichen Gewichtung der Komponenten Leidenschaft, Intimität und Bindung/Entscheidung zusammensetzt. Kombiniert man die Komponenten, lassen sich sieben unterschiedliche Arten von Liebe damit beschreiben. So drückt sich die Kombination von Intimität und Leidenschaft (bei Abwesenheit von Bindung) in »romantischer Liebe« aus, während die Kombination von Intimität und Bindung (bei Abwesenheit von Leidenschaft) auf eine »partnerschaftliche Liebe« hinweist. Das gleichzeitige Vorhandensein aller drei Komponenten bezeichnet Sternberg als »vollständige Liebe«. Bei der »albernen Liebe« sind zwar Leidenschaft und Bindung vorhanden, es fehlt aber die Intimität.

Die drei Komponenten der Liebe nach Sternberg

Lokalisation der acht Kombinationen aus den drei Komponenten der Liebe im Sternberg’schen Dreieck

Graphische Darstellung des Ausmaßes an Liebe

»Love Acts« – Die Liebeshandlungen nach Buss

Aber Liebe ist nicht nur ein Zustand, der beschrieben werden kann, Liebe äußert sich auch in bestimmten Tätigkeiten. Deshalb hob der amerikanische Psychologe David Buss 1988 diesen Aspekt hervor und formulierte eine Evolutions-Theorie der Liebe. Er nimmt an, dass sich die sogenannten »Love Acts« im Laufe der Evolution durch natürliche Auslese entwickelt haben. Aus seinen Beobachtungen geht hervor, dass sich Liebeshandlungen hauptsächlich in Liebesbeziehungen und in Eltern-Kind-Beziehungen bzw. in anderen verwandtschaftlichen Verhältnissen abspielen.

Diese Beziehungen stellen einen entscheidenden Faktor für die Reproduktion dar, weil diese Liebeshandlungen für den Fortpflanzungserfolg wichtig sind. Die Love Acts betreffen mehrere Bereiche: Zurschaustellung von Ressourcen, Exklusivität (z.B. Treue), Bindung und Heirat, sexuelle Intimität, Reproduktion, Teilen von Ressourcen und elterliches Investment.

Zur Ermittlung der Liebeshandlungen wandte Buss den »Act Frequency Approach«, zu deutsch Handlungshäufigkeits-Ansatz, auf das partnerschaftliche Verhalten an. In diesem Messverfahren wird gezählt, wie oft innerhalb einer gegebenen Zeit die untersuchte Person die für die Liebe typischen Verhaltensweisen ausführt. Die Top-40 der prototypischen Love Acts nach Buss:

  1. She agreed to marry him.

  2. She remained faithful to him when they were seperated for more than a month.

  3. He called her when she was feeling down.

  4. He canceled his plans in order to be with her when she was upset.

  5. She gave up going out with other men for him.

  6. She listened devotedly to his problems.

  7. He resisted the sexual opportunity he had with someone else.

  8. He told her that he wanted to marry her.

  9. She stuck up for him when someone tried to put him down.

  10. She told him I love you.

  11. He put up with her bad days.

  12. He told her that he wanted to have children with her.

  13. He talked to her about marriage and the future.

  14. She took care of him when he was sick.

  15. She talked to him about her personal problems.

  16. He ignored the other attractive females at the party.

  17. He traveled a long distance to be with her.

  18. He gave her verbal support for her tough decision.

  19. She told him a very private secret about her past.

  20. She gave him a symbolic ring.

  21. He told his friends that he was madly in love with her.

  22. He gave her a prolonged hug.

  23. She became distraught after she had a fight with him.

  24. She said I miss you when she hadn’t seen him for a day.

  25. He surprised her with a gift.

  26. He cooked a special meal for her.

  27. He called her up when he needed help.

  28. She dropped by unexpectedly just to see him.

  29. She lost sleep thinking about him.

  30. He went for a walk with her at night.

  31. He gazed into her eyes.

  32. She nuzzled him.

  33. She wrote him a poem.

  34. He bought her a special present.

  35. He wrote her a love note.

  36. She worked to keep in shape for him.

  37. She spent the night with him.

  38. He held her hands.

  39. He made love to her.

  40. She cried when he had to go away for a time.

Neben diesen bekannteren Liebestheorien gibt es natürlich noch jede Menge weitere Bindungstheorien, Bindungstypen, Modelle der Partnerwahl und Persönlichkeitstheorien, auf die wir später noch zu sprechen kommen werden.

Der überwiegende Teil dieser Studien wurde in den USA durchgeführt. Die Forscher selbst stellen dabei in Frage, dass die in westlichen Industrienationen gewonnenen Erkenntnisse über die Liebe auch in anderen kulturellen Kontexten Gültigkeit besitzen.

In kollektivistisch geprägten Gesellschaften liegt die Betonung auf der Gemeinschaft, in die der Einzelne integriert ist und von der er abhängt. Daher werden hier die persönlichen Interessen immer auch daraufhin überprüft, inwieweit sie mit den Zielen der Gemeinschaft vereinbar sind.

Die sechs Liebesstile nach Lee

Die bisher vollständigste Beschreibung der Spielarten der Liebe in intimen Beziehungen stammt von dem kanadischen Soziologen John Lee. Er entwickelte 1973 seine multidimensionale Theorie nach ausgiebigen historischen Studien der westlichen Kultur der letzten zweitausend Jahre, sammelte dazu über viertausend Aussagen zur Liebe aus der Literatur, z.B. aus Schriften von Freud, Plato, Paulus, Lessing bis zu D. H. Lawrence, sowie aus persönlichen Erfahrungen. Aus dieser Studie ergaben sich sechs Liebesstile.

  1. Eros

    Eros ist in der griechischen Mythologie die Gottheit, die das Feuer der Liebe entfacht. Er gilt als Sohn des Kriegsgottes Ares und der Liebesgöttin Aphrodite, worin schon die Zwiespältigkeit der Liebe liegt. Eros entspricht weitgehend unseren Vorstellungen der romantischen Liebe. Auch die mystifizierte »Liebe auf den ersten Blick« entspricht dem Eros-Stil. Ihre Merkmale sind Leidenschaft und sexuelle Zuneigung. Romantisch Liebende nehmen den Partner als physisch anziehend und ihr Sexualleben als stark und befriedigend wahr. Diesen Liebesstil finden wir sehr oft in Popsongs und Hollywoodfilmen vor, z.B. in »Titanic«, »Pretty Woman«, »Die blaue Lagune« und »Die Rückkehr zur blauen Lagune«.

  2. Storge – die kooperative Liebe.

    Storge ist das altgriechische Wort für die Liebe zwischen Geschwistern oder Spielkameraden. Als Storge bezeichnet Lee eine leidenschaftslose, kameradschaftliche Form der Liebe zwischen Partnern »love without fever or folly«. Sie entwickelt sich sehr langsam. Personen dieses Typs lernen sich kennen und entscheiden, ob sie zusammenpassen könnten. Die freundschaftliche Liebe ist eher das Ergebnis gemeinsamer Interessen und Gewohnheiten; oft erwächst sie aus einer bereits bestehenden Freundschaft. Kommt in Literatur und Film eher selten vor, etwa bei »Unsere kleine Farm«, »Das A-Team«, »Das weiße Band« oder bei »Die Manns«.

  3. Agape

    Ursprünglich Gottes reine, göttliche Liebe, aber auch die interessenlose, selbstlose, altruistische Liebe. Beruht eine Partnerschaft in erster Linie auf Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit, spricht Lee von altruistischer Liebe: Hier steht das Wohl des Partners vor dem eigenen. Die Selbstaufgabe geht sogar so weit, dass der Agape-Liebende auf die Beziehung verzichtet, wenn er zu der Einsicht gelangt, das geliebte Objekt wäre ohne ihn oder mit jemand anderem glücklicher. Agape ist ein sehr selten praktizierter Liebesstil, kommt aber ab und zu in Literaturverfilmungen wie »Die Bibel« oder bei »Forrest Gump« vor.

  4. Mania – bedeutet »Raserei und Wahnsinn«.

    Die besitzergreifende Liebe ist durch das Gefühl der Eifersucht und die dauernde Konzentration auf den anderen bestimmt. Im Extremfall kreist das ganze Denken um sie oder ihn. Die Partnerschaft wird zur Besessenheit. Das Verhalten von Menschen des Liebesstils Mania weist zahlreiche Widersprüche auf. In Beziehungen sind sie sehr besitzergreifend und eifersüchtig. Es besteht ein sehr großes Verlangen nach Bestätigung der Liebe durch den Partner. Manische Liebe im Film kommt bei »Misery«, »Taxi Driver« und »Eine verhängnisvolle Affäre« vor.

  5. Ludus – lateinisch »das Spiel«.

    Bezeichnet in Lees Typologisierung die spielerische Liebe. Ludus-Liebende wollen nicht ihr Leben der Entwicklung einer einzigen Partnerschaft widmen und sich in der Liebe festlegen. Idealvorstellungen von einem Partner haben sie nicht, sie bevorzugen es, eine Vielzahl verschiedener Partner kennenzulernen. So kann es vorkommen, dass der Ludus-Liebende mehrere Beziehungen gleichzeitig führt. Auch kann er schnell von einem Partner zum nächsten wechseln. Ein zu enger Kontakt wird vermieden. Filme: »Gefährliche Liebschaften«, »Eiskalte Engel«.

  6. Pragma – der Nutzen.

    Die pragmatische Liebe wählt den Partner aus Vernunftgründen und zum Zweck einer vorteilhaften Beziehung (»Familie Feuerstein«). Gefühle werden eher verdrängt oder weniger wichtig genommen. Pragmatisch Liebende haben eine genaue Vorstellung von ihrer Zukunft, mit der die Partnerschaft vereinbar sein muss. Diesen Liebesstil finden wir sehr oft bei Jane Austen (»Stolz und Vorurteil«, »Gefühl und Verstand«); da Frauen zu ihrer Zeit vom Erbrecht benachteiligt wurden, blieb den Frauen des Landadels nur die pragmatische Versorgungsehe oder das Gouvernantenschicksal.

Graphische Darstellung der Liebesstile nach Lee (1988, S. 54)

Ein und dieselbe Person kann aber auch mehrere Liebesstile gleichzeitig in sich vereinen: Beispielsweise kann jemand, der sehr aufopfernd liebt, ohne weiteres zu Untreue neigen. Romantische, besitzergreifende und altruistische Liebe hängen positiv zusammen: Wer Romantik für wichtig hält, ist auch eher eifersüchtig und opferbereit. Diametral gegenüber stehen sich romantisch und spielerisch: Romantisch Liebende suchen selten sexuelle Abenteuer. Möglich sind aber »Storgic Eros«, »Ludic Eros«, »Storgic Ludus«. Es gilt die Regel: Je näher sich zwei Liebesstile sind, desto besser passen sie zusammen.

Zur Liebestheorie Lees wurde auch ein Messinstrument entwickelt, ein Fragebogen mit jeweils zehn Fragen zu den Liebesstilen. Der deutschsprachige Fragebogen zur Erfassung der Liebesstile trägt den schönen, romantischen Namen Marburger Einstellungs-Inventar der Liebesstile (MEL).