Pärchen in Hotels

Es war kein schönes Hotel. Die Zimmer rochen muffig, die Teppichböden waren nicht direkt fleckig, aber doch zweifelhaft. Im Frühstücksraum tat man vornehmer, als das Hotel tatsächlich war. Parkett lag aus, die Möbel imitierten einen modernen Designer, das Buffet täuschte Frische und Reichhaltigkeit vor.

In diesem Hamburger Hotel, etwas außerhalb in Altona gelegen, bot man am Sonntagmorgen großzügigerweise Frühstück bis 10.30 Uhr an, und so hatte ich mich in jahrelang eingeübter Routine gerade noch rechtzeitig aus dem Tiefschlaf erhoben und um 10.25 Uhr an einen Tisch im Frühstücksraum geschleppt. Der Rest der Band war entweder schon da gewesen oder schlief noch, manche Mitmusiker leiden ja auch unter einer sehr schweren Morgendepression, so dass man ihnen zu dieser Zeit lieber aus dem Weg geht.

Die Blicke der anderen Hotelgäste ist man schon gewöhnt. Eine Frau über vierzig alleine am Frühstückstisch, mit ungekämmtem Haar und Schlaffalten im Gesicht – dazu ein bisschen unordentlich und eher geschlechtsneutral gekleidet –, da sind die Blicke nicht nur neugierig, sondern direkt feindlich.

Menschen in diesen nur halbguten Hotels bewegen sich immer so steif und gezwungen, als sei es ihnen peinlich, nicht zu Hause geschlafen zu haben, als gelte es, diese ungeheure Intimität durch möglichst förmliches Verhalten wettzumachen. Es fehlt ihnen die professionelle Freundlichkeit des gutsituierten Vielreisenden, aber auch die herrische Arroganz und falsche Selbstsicherheit des Geschäftsmanns.

Dabei ist die steife Unsicherheit dieser Leute sympathischer als die des männlichen Geschäftsreisenden, der sich nicht nur im Zug und im Flugzeug, sondern auch im Hotel aufführt, als gehöre ihm und seinesgleichen die Welt, als müsse er mit jedem Schritt betonen, in welch wichtiger wirtschaftlicher Mission er unterwegs ist.

Aber es war ja Sonntagmorgen, und so hatte man Ruhe vor diesem unsympathischen Menschenschlag. Der Frühstücksraum war fast leer, die meisten Gäste waren schon unterwegs in der Freien und Hansestadt.

Nur am Tisch gegenüber saß ein Paar im Freizeitlook. Sie waren in den »mittleren Jahren« um die vierzig. Er trug ein orangefarbenes Polohemd, sie eine gemusterte Bluse unter der Fleecejacke. Auf dem Tisch stand zwischen den Kaffeetassen eine Vase mit orangefarbenen Rosen, daneben eine Flasche Sekt einer recht preisgünstigen Marke. Sie trank hin und wieder in kleinen Schlucken davon, ganz langsam, als müsse sie sich zwingen. Aber das Glas wollte nicht leerer werden.

Sie wirkte unsicher und unglücklicher als er. Er schien zwar auch peinlich berührt, aber irgendwie strotzte er vor dem Gefühl, etwas Richtiges, wenn auch Ungewohntes gemacht zu haben. So sahen sie lange, minutenlang, aneinander vorbei, er schaute zur Glasfront hinaus, begutachtete fachmännisch das Etikett des Billigsekts, sie strich die Tischdecke glatt, machte eine Bemerkung übers Wetter. Es war ein schöner Tag, aber diesen Tisch umgab eine maßlose, sprachlose Trauer.

Was war das bloß für eine traurige Veranstaltung? Eine Scheidungsaussprache? Aber dann mit Rosenpräsent und Sektfrühstück? Eine Überraschung – eine Städtereise zur silbernen Hochzeit? Ein Ehe-Wiederbelebungsversuch, wie ihn die Frauen- und Männerzeitschriften gerne vorschlagen?

»Nehmen Sie sich Zeit füreinander, machen Sie eine Städtereise, fahren Sie in ein hübsches Hotel, verwöhnen Sie Ihren Mann, Ihre Frau. Lassen Sie gemeinsam die Erinnerung an die erste Zeit der Verliebtheit wiederaufleben!«

Für diese problematischen Fälle wurde wahrscheinlich das Genre »Romantikhotel« erfunden. Bei den »Wochenend-Arrangements für Verliebte« steht dann nach dem Candle-Light-Dinner am ersten Abend eine Flasche Sekt gratis im Zimmer.

Bei diesem freudlosen Paar hatte das Romantikwochenende wohl nicht gezündet. Lange saßen sie noch schweigend da, sie schien nach Gesprächsthemen zu suchen, wollte freundlich sein. Er hatte doch wohl das mit den Rosen, dem Sekt arrangiert und bezahlt!

Dann sagte er endlich etwas, sie nickte erleichtert, beide standen auf. Er erhob sich schwerfällig und stampfte voraus, mit diesem typisch männlichen Selbstbewusstsein, bei dem man sich immer fragt, wo es eigentlich herkommt und auf was es sich bloß gründet. Die kleine Frau hob die schwere Kristallvase mit dem Wasser und den Rosen vom Tisch und trug sie wie eine Urne vor sich her, folgte ihm tapfer mit einigem Abstand. Eine Trauerprozession.