Die in diesem Roman beschriebenen Ereignisse trugen sich im Sommer A. D. 670 zu und schließen sich unmittelbar denen im Band Das Konzil der Verdammten geschilderten an. Fidelma und Eadulf sind nach ihren Abenteuern auf dem Konzil von Autun im Reich der Burgunden auf der Heimreise. Im Land, das einstmals Armorica hieß – dem »Land am Meer« –, sind sie im Hafen Naoned (Nantes) an Bord gegangen. Ihre Seereise sollte sie zunächst entlang der Südküste der großen Halbinsel führen. Dabei waren die gefürchteten Felsmassive der Roches de Penmarc’h zu umschiffen, ehe man quer über die Baie d’Audierne nordwestwärts segeln und dann in nördlicher Richtung auf Irland zuhalten konnte.
Bereits zu jener Zeit nannte man Armorica »Klein-Britannien« (Bretagne). Seine ursprüngliche Bevölkerung aus keltischen Galliern hatte während des 5., 6. und 7. Jahrhunderts durch wiederholte Einwanderungswellen von Kelten aus Britannien Zuwachs erhalten. Es waren Britannier, die vor den gewaltsam eindringenden Angelsachsen geflohen waren und eine neue Heimstatt suchten. Die Eroberer errichteten im südlichen Britannien ihre Königreiche, die sich schließlich im 10. Jahrhundert zum Land der Angeln oder England vereinigten.
Wie einer der britannischen Flüchtlinge, der heilige Gildas (er starb um 570), in seinem Werk De Excidio et Conquestu Britanniae (Über die Vernichtung und die Leiden Britanniens) festhielt, wurden die britannischen Kelten von den »ferocissimi Saxones« entweder niedergemetzelt oder gezwungen, übers Meer zu fliehen.
Die britannischen Flüchtlinge brachten ihre Mundart des Keltischen nach Armorica, die sich nicht allzu sehr von der Redeweise der einheimischen Gallier unterschied. Später entstand daraus das Bretonische.
Zu Fidelmas Zeiten waren die großen bretonischen Abteien Zentren keltischer Gelehrsamkeit und Schreibkunst. Die älteste auf uns gekommene Handschrift in bretonischer Sprache stammt aus dem 8. Jahrhundert A. D. und ist somit ein Jahrhundert älter als der früheste Text in Altfranzösisch. Sie wird in Leiden in den Niederlanden unter der Bezeichnung Leiden Mss. Vossianus für die Nachwelt aufbewahrt. Der Codex beinhaltet unter anderem eine von bretonischen Gelehrten verfasste Abhandlung über Biologie und nimmt insofern eine Sonderstellung unter den frühmittelalterlichen keltischen Handschriften ein, als er keltisches Wortgut in medizinischem Kontext enthält. Vom 8. Jahrhundert an entwickelten sich das Bretonische, das Kornische und das Walisische als eigenständige Sprachen. Davor waren sie voneinander noch nicht sehr verschieden und hatten erst begonnen, sich als Dialekte der britannischen keltischen Muttersprache zu verselbständigen. Das erklärt, warum Fidelma und Eadulf in unserer Geschichte Schwierigkeiten haben, das Bretonische zu verstehen, obwohl ihnen die Sprache der Britannier nicht gänzlich fremd ist.
Die bretonischen Geistlichen schrieben aber auch in beachtlichem Maße in Latein. So entstanden zwischen dem 7. und 14. Jahrhundert über vierzig Heiligenleben. Für uns von Interesse ist die Handschrift Libri Romanorum et Francorum; sie enthält eine Sammlung von Gesetzen über die Rechtsverhältnisse in der Bretagne. Früher haben Gelehrte diesen Codex fälschlicherweise als »Canones Wallici« (Walisischer Kanon) bezeichnet, heute nimmt man allgemein an, dass das Werk im 6. Jahrhundert in der Bretagne entstand. Allerdings ist es nur in einer Abschrift aus dem 9. Jahrhundert erhalten.
Zu der Zeit, in der unsere Geschichte spielt, war die Bretagne in mehrere Kleinkönigtümer unterteilt, die einen der Fürsten als König der Bretonen anerkannten und ihm Treue gelobten. Da viele Urkunden verlorengegangen sind und die Datierung von Ereignissen oftmals unsicher ist, lassen sich genaue Angaben über die Herrscher und ihre Regierungszeiten nicht machen. Doch gilt als gesichert, dass damals Alain Hir (der Lange) regierte. Er entstammte dem Königshaus von Domnonia, einem größeren Gebiet im Norden, das um 670 A. D. unter den bretonischen Fürstentümern eine Vorrangstellung erlangt hatte. Domnonia hatten sich die südlich gelegenen Besitzungen von Bro-Erech angeschlossen, das sich bald darauf zu Ehren seines berühmtesten Herrschers Bro-Waroch nannte. Weiterhin gab es im Südwesten das Königtum Bro-Gernev (Kernev), das später auf Französisch Cornouaille hieß. Dessen Oberherr war seinerzeit Gradlon ap Alain. Im Nordwesten der Halbinsel lag das Gebiet Bro-Leon, das den Status eines Lehnguts der bretonischen Krone erhalten hatte, nachdem sein letzter König Ausoch um 590 verstorben war. Und schließlich gab es noch das halbwegs unabhängige Herzogtum von Pou-Kaer oder Poher, das späterhin mit Cornouaille vereinigt wurde.
Die Ortsnamen geben Aufschluss über die Herkunft der britannischen Flüchtlinge. Domnonia wurde von Flüchtlingen besiedelt, die ursprünglich in Dumnonia im Süden Britanniens ansässig waren. Der heutige Name der englischen Grafschaft Devon hat sich aus dieser Urform entwickelt. Kernev oder Cornouaille in der Bretagne hat seine genaue Entsprechung in Kernow oder Cornwall in England.
Für Leser, die Wert auf die zeitliche Einordnung technischer Errungenschaften legen, sei vermerkt, dass ich mich auf die Angaben des heiligen Theophanes des Bekenners beziehe, der von 758 bis 818 lebte. Dieser byzantinische Adlige, asketische Mönch und Geschichtsschreiber berichtet, dass bereits um 670 das pyr thalassion, das See- oder flüssige Feuer, in Gebrauch war. Er schreibt die Erfindung dessen, was wir heute das Griechische Feuer nennen, dem Architekten Kallinikos zu, der aus Heliopolis in Phönizien (der heutigen Bekaa-Ebene im Libanon) hatte fliehen müssen, nachdem islamische Heerscharen dort eingefallen waren. Kallinikos hatte in Konstantinopel eine neue Wirkungsstätte gefunden. Dieses pyr thalassion zu löschen, war ungemein schwierig, mit Wasser war ihm schon gar nicht beizukommen, Wasser ließ die Flammen eher heftiger lodern. Noch im 10. Jahrhundert ermahnte Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos in dem von ihm verfassten Ratgeber De administrando imperio seinen Sohn, einem Fremden drei Dinge nicht zu überlassen: seine Krone, die Hand einer kaiserlichen Prinzessin und das Geheimnis des »flüssigen Feuers«.