13

 

 

Die Nachricht lief durch die Wälder, die Flüchtlinge kehrten heim, Jubel herrschte in Avildaro. Die Fremden, deren Metallwaffen die Yuthoaz vertrieben hatten, nahmen an den Freudenfeiern teil. Ihre Sprache war unverständlich, aber was tat das? Ein Schwein, das am Spieß briet, sprach mit seinem Duft zu ihnen, ein Mann mit seinem Lachen, die Frauen mit ihrem ganzen Wesen.

Nur im Langhaus herrschte Stille. Dort wohnten die grünen Götter, die ihr Volk befreit hatten. Nahrung und Getränke wurden an die Tür gebracht, und jeder männliche Erwachsene drängte sich nach der Ehre, als Diener oder Bote Verwendung zu finden. Um die Mittagszeit des zweiten Freudentages näherte sich einer von ihnen Lockridge, der den Tänzern auf einer Wiese zuschaute und meldete ihm, daß seine Anwesenheit gefordert würde.

Voll gespannter Erwartung machte er sich auf den Weg. Sorge um Storm hatte ihn davon abgehalten, sich an den Spielen zu beteiligen. Nun erfuhr er, daß Sie ihn zu sich rief. Mit angehaltenem Atem betrat er das Haus. Das Feuer war noch nicht wieder entzündet worden, aber den Einwohnern war versprochen worden, daß Sie diese heilige Handlung vollziehen würde, wenn Sie die Zeit für gekommen hielt.

Sieben Wardens warteten auf den Estraden auf ihre Königin. Sie ließen sich nicht herab, Lockridge zu begrüßen, aber alle erhoben sich, als Storm erschien. Der hintere Teil des Hauses war nun abgeteilt, nicht durch einen Vorhang aus festem Stoff, sondern durch ein Kraftfeld, das verschwenderisch Licht verströmte. Durch dieses Licht kam sie und leuchtete selbst wie eine Flamme neben soviel Dunkelheit. Die drei Tage und Nächte ihres Leidens in der Gefangenschaft hatten sie gezeichnet; die Wangenknochen traten scharf hervor, und die Augen glänzten wie im Fieber. Aber sie hielt sich aufrecht, und das blauschwarze Haar hob sich glänzend von der Blässe ihres Gesichtes und Halses ab. Vom Tor König Frodhis war an Ausstattung herbeigebracht worden, was ihr nach Zeit und Rang zustand. Das durchsichtige blaue Gewand, um die Hüften von dem kupfernen Kraftgürtel gehalten, dann im Farbton zu dunklem Purpur wechselnd und weit und lose bis an die Knöchel fallend, trug silberne Sinnbilder eingewebt. Eine Brosche hielt den Umhangmantel aus grauem Stoff, an der Innenseite weiß gefüttert. Die Schuhe waren aus Gold, mit Diamantenstaub übersät. Ein Halbmond aus gehämmertem Silber krönte ihre Stirn.

Mareth begleitete sie. Er sagte etwas in der Wardensprache. Storms Geste schnitt ihm das Wort ab. »Sprich so, daß Malcolm dich verstehen kann«, befahl sie auf Orugaray. »In der Sprache Kretas. Auch er soll wissen, was du zu sagen hast.«

Sie ging auf Lockridge zu und lächelte, als er sich ungeschickt über ihre Hand beugte, um sie zu küssen. »Ich habe dir noch nicht gedankt für das, was du getan hast«, sagte sie. »Aber es gibt keine Worte, die das ausdrücken könnten. Du hast nicht nur mich gerettet, sondern einen Sieg für unsere ganze Sache errungen.«

»Ich – ich bin froh darüber«, sagte er stockend.

»Nimm Platz, wenn du magst.« Wie ein geschmeidiges Raubtier wandte sie sich von ihm ab. Ihre Schritte waren lautlos. Mit weichen Knien ließ sich Lockridge neben einem Warden nieder, der ihm ehrerbietig zunickte.

Storms Miene wurde lebhaft. »Brann ist lebend in unserer Gewalt«, sagte sie in der klingenden weichen Sprache Kretas. »Was wir von ihm erfahren, versetzt uns in die Lage, für die nächsten tausend Jahre in Europa die Oberhand zu gewinnen. Fahre fort, Mareth.«

Er, der Priester und Zauberer, war stehengeblieben. »Ich begreife nicht, wie du es erduldest, Leuchtende«, sagte er. »Branns Widerstandskraft ist bereits gebrochen. Die Geheimnisse, die jetzt noch tropfenweise aus seinem Mund kommen, werden bald zur Flut werden.«

»Er verstand es, ebensoviel aus mir herauszuholen«, sagte Storm grimmig. »Wäre er in der Lage gewesen von diesen Informationen Gebrauch zu machen – nein, ich will nicht daran erinnert werden.«

Lockridge blickte auf den dunklen Schleier und dann schnell wieder fort. Sein Magen wollte sich umdrehen. Hinter dem Vorhang lag Brann.

Lockridge wußte nicht, was mit Brann geschehen war. Sicher war er nicht gefoltert worden. Storm würde sich dazu nicht hergeben, außerdem wäre es wahrscheinlich sinnlos angesichts des eisernen Willens der Herren der Zukunft und ihrer Ausbildung. Storm war einer Behandlung mit Drogen unterzogen worden; elektrische Ströme hatten ihr Gehirn bis in seine tiefsten Verästelungen abgetastet. Man wollte sie nicht sterben lassen, sondern nur ihr Ego zerbrechen und hatte ihren Gedanken einen gespenstischen Automatismus aufgezwungen, so daß nach und nach alles was sie je gewußt und getan hatte, ja selbst ihre Träume, an die Oberfläche gebracht und aufgezeichnet worden waren.

Kein menschliches Wesen sollte einer solchen Behandlung unterzogen werden! Lockridge kochte innerlich. Nun schluckt Brann seine eigene Medizin, dachte er, nachdem er meine Freunde, die ihm nie etwas zuleide taten, umbringen ließ.

Mareth räusperte sich. »Wir sind also über die augenblickliche Lage genau im Bilde«, sagte er. »Als Lockridge durch den Tunnel nach draußen entkam, ahnte Brann natürlich nichts von der Hilfe die in England zur Verfügung stand. Aber die Möglichkeit beunruhigte ihn, daß es Lockridge gelingen könnte, den Wardens Mitteilung von dem Geschehenen zu machen. Also informierte Brann seine Agenten in der dänischen Geschichte. Sie suchen zweifellos noch immer nach unserem Mann, wie auch nach Anzeichen für die Organisation einer Rettungsmannschaft.

Inzwischen mußte Brann das Risiko abwägen, dich, du Leuchtende, hierzubehalten oder irgendwann an einen andern Ort zu bringen. Da er Grund zu der Annahme hatte, Lockridge würde nicht zum Verräter werden, entschloß er sich zum Bleiben. Dies ist ein einsamer und selten besuchter Ort. Wenn er nur einige wenige Rangers herbeiholte und sich auf die Streitaxtmänner als Hauptverbündete verließ, glaubte er, ziemlich sicher vor Entdeckung zu sein.

Statt dessen befindet er sich jetzt, und ohne daß seine Organisation etwas davon weiß, in unserer Gewalt. Wenn wir seine Vernehmung beendet haben, werden wir im Besitz aller Informationen sein, die es uns ermöglichen, in allen Zeitabschnitten überraschende Überfälle auf Rangerstellungen auszuführen, einzelne Agenten auszuschalten – mit einem Wort, ihm die härtesten Schläge zuzuführen.«

Storm nickte. »Ja, ich habe auch darüber nachgedacht«, sagte sie. »Wir können den Gegner zu dem Glauben bringen, wir hätten einen Stellungswechsel vorgenommen, während wir tatsächlich hierbleiben. Brann hatte vollkommen recht mit seiner Meinung, dies sei eine gute Operationsbasis. Alle Aufmerksamkeit ist auf Kreta, Anatolien und Indien gerichtet. Die Rangers glauben, die Zerstörung dieser Zivilisationen werde uns ernstlich schaden. Lassen wir sie in diesem Glauben. Sollen sie ruhig einem indo-europäischen Sieg, der sich jetzt schon voraussagen läßt, Beistand leisten, ohne es zu ahnen. Beide Seiten neigten dazu, den Norden zu vergessen.«

Ihr Mantel bauschte sich, als sie herumwirbelte. Sie schlug die Faust in die andere Hand und rief: »Ja! Nach und nach werden wir unsere Streitkräfte hierher zusammenziehen. Wir können diesen Teil der Welt in aller Ruhe nach unseren Wünschen organisieren. Wieviel von dem, was Barbaren in diesem vergessenen Flecken Erde tun, wird schon nach dem Süden gemeldet werden? Wenn das Bronzealter kommt, wird es unseren Stempel tragen, wird uns Menschen und Material liefern, wird die Stützpunkte der Wardens bewachen. Der letzte große Sturm in die Zukunft mag wohl hier seinen Anfang nehmen.«

Flammend vor Energie, wandte sie sich ihren Männern zu. »Sobald wie möglich müssen wir einheimische Streitkräfte aufstellen, die stark genug sind, das Eindringen fremder Kulturen zu verhindern. Jusquo, zerbrich dir den Kopf über diesen Punkt, ich erwarte morgen entsprechende Vorschläge. Sparian, sorge dafür, daß diese Briten mit ihrem Schlendrian Schluß machen und organisiere sie als Wachtruppe. Da sie äußerlich zu auffallend sind, dürfen wir sie nur so lange behalten, wie sie unbedingt benötigt werden. Das Tor in ihrem Land ist unbemannt, nicht wahr? Urio, such dir ein paar von ihnen aus und kehr mit ihnen dorthin zurück. Gib ihnen den nötigen Schliff, damit sie für die wenigen Wochen, die das Tor noch offen sein wird, als Wachen eingesetzt werden können. Es kann sein, daß wir einen solchen Schlupfwinkel brauchen werden. Kreta muß wissen, daß wir hier sind, eine Beratung muß arrangiert werden. Radio und Gehirnwelle sind zu riskant. Zarech und Nygis, bereitet euch darauf vor, nach Einbruch der Dunkelheit als Kuriere dorthin aufzubrechen. Chilon, dir fällt die Aufgabe zu, detailliertes Material über dieses ganze Gebiet zu beschaffen. Mareth, du wachst weiterhin über die Brann zuteil werdende Behandlung.«

Etwas in ihren Mienen mußte ihr aufgefallen sein. Sie sagte ungeduldig: »Ja, ja, ich weiß, daß ihr eure Plätze im 16. Jahrhundert habt und euch hier nicht zuständig fühlt. Lernt umzudenken. Die Basis auf Kreta ist voll ausgelastet. Sie können niemanden erübrigen, bis die Reorganisation größtenteils durchgeführt ist. Wenn wir nach Hilfe rufen, geben wir dem Feind Gelegenheit, zu entdecken, was sich abspielt.«

Der achte Warden hob die Hand. »Ja, Hu?« fragte Storm.

»Müssen wir nicht unser eigenes Zeitalter unterrichten, Leuchtende?« fragte der Mann ehrerbietig.

»Natürlich. Diese Meldungen können von Kreta aus auf den Weg gebracht werden.« Die Jadeaugen wurden schmal. »Du selbst wirst auf einem anderen Weg nach Hause zurückkehren – mit Malcolm.« Sie näherte sich Lockridge und legte ihm eine Hand auf die Schulter, als er aufstand. »Vielleicht habe ich kein Recht, das zu verlangen. Aber die Tatsache ist nicht zu umgehen. Auf die eine oder andere Art wirst du Brann in seinem eigenen Land suchen und ihm berichten, wohin ich geflohen bin. Damit wirst du die Kette von Ereignissen auslösen, die zu seiner Vernichtung führen wird. Sei stolz. Nicht vielen wird die Ehre zuteil, Schicksal zu spielen.«

»Ich weiß nicht – ich bin nur ein Wilder, an ihm gemessen – oder an dir.«

»Ein Glied in der Kette bin ich selbst, mit Blindheit geschlagen«, flüsterte Storm. »Die Narben werden nie von meiner Seele weichen. Glaubst du, ich würde es nicht anders wünschen? Aber wir haben nur diesen einen Weg und müssen ihn gehen. Dies ist die letzte Bitte, die ich an dich habe, Malcolm, und die größte.

Danach magst du in dein eigenes Land zurückkehren. Und ich werde immer an dich denken.«

»In Ordnung, Storm«, entfuhr es ihm auf Englisch. »Für dich werde ich es tun.«

Ihr Lächeln, sanft und mit einer winzigen Spur Trauer, bedeutete ihm mehr Dank, als er verdient zu haben glaubte.

»Gehe hinaus zu den Schwelgern«, sagte sie. »Sei glücklich, solange du es kannst.«

Er verbeugte sich und taumelte hinaus. Die Sonne blendete ihn. Es lag ihm nichts daran, sich zu vergnügen. Statt dessen wanderte er an der Küste entlang. Ein Hügel schob sich zwischen ihn und die Stadt. Er stand allein und blickte über die Bucht. Brausend überschlugen sich die Wellen, Möwen kreisten weiß vor der Bläue des Himmels, von der Eiche hinter ihm sang eine Drossel.

»Malcolm!«

Er wandte sich um. Auri kam auf ihn zu. Wieder trug sie die Kleidung ihres Volkes, den Bastrock, die Tasche aus Fuchsfell, den Halsschmuck aus Bernstein. Der kupferne Armreif, der Echegon gehörte, umschloß ihr Handgelenk, und ein Kranz aus Löwenzahn schimmerte golden in ihrem hellen Haar. Aber ihre Lippen bebten, und Tränen verschleierten ihren Blick.

»Was gibt es, meine Kleine? Warum bist du nicht bei dem Fest?«

Sie blieb neben ihm stehen und senkte den Kopf. »Ich habe dich gesucht.«

Es kam ihm zu Bewußtsein, daß er sie nicht mit den andern hatte tanzen oder singen gesehen. »Stimmt etwas nicht? Ich habe allen erklärt, daß der Bann von dir genommen ist. Glauben sie mir nicht?«

»Doch«, seufzte sie. »Nach allem, was geschehen ist, glauben sie, daß ein Segen auf mir ruht. Ich habe nicht gewußt, daß ein Segen so schwer zu ertragen sein kann.«

Lockridge setzte sich, und sie weinte sich an seiner Brust aus. In stockenden Worten berichtete sie von ihrem Kummer. Der Ausflug in die Unterwelt hatte sie mit mana erfüllt. Sie war ein Gefäß der unbekannten Mächte geworden. Die Göttin mußte sie für irgendeinen Zweck vorgesehen haben. Wer sollte also wagen, sich mit ihr einzulassen? Sie wurde nicht etwa gemieden, im Gegenteil, man behandelte sie mit Achtung. Alle würden sofort tun, worum sie bat, aber sie dachten nicht daran, sie als ihresgleichen zu behandeln.

»Es ist nicht ... daß sie mich nicht mögen. Ich ... könnte warten ... auf dich oder einen anderen, wenn du mich wirklich nicht willst. Aber wenn sie mich sehen ... hören sie auf zu lachen!«

»Armes Kind«, murmelte Lockridge in seiner Muttersprache. »Da bist du schlecht belohnt worden.«

»Hast du Angst vor mir, Malcolm?«

»Nein, natürlich nicht. Wir haben zuviel miteinander durchgemacht.«

Auri kuschelte sich an ihn. Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter und stammelte: »Wenn ich dir gehören würde, würden sie wissen, daß es in Ordnung ist. Sie würden wissen, daß der Wunsch der Göttin in Erfüllung gegangen ist. Ich würde wieder meinen Platz unter ihnen haben, nicht wahr?«

Sie würde immer eine besondere Stellung einnehmen, dachte er.

»Ich glaube nicht, daß je ein anderer Mann wagen wird, mich zu berühren«, fuhr sie fort. »Aber das ist gut so. Ich will keinen anderen als dich.«

Verdammt, du Idiot! tobte Lockridge gegen sich selbst. Vergiß ihr Alter. Sie ist kein amerikanisches Schulmädchen. Sie hat ihr ganzes Leben lang Geburt und Liebe und Tod gesehen, war mit den Wölfen durch den Wald gejagt, hatte leichte Boote durch den Sturm gepaddelt und Krankheiten, Winter an der Nordsee, einen Krieg und einen Ausflug in die Unterwelt überstanden. Jüngere Mädchen als sie – und sie ist älter als Shakespeares Julia – sind schon Mütter. Kannst du deine verdammten Hemmungen nicht überwinden und ihr diesen einen Liebesdienst erweisen?

Nein. An jenem Tag im Boot war er nahe daran gewesen, alle Bedenken über Bord zu werfen. Jetzt konnte er sich nur helfen, indem er mit allen seinen Gedanken bei Storm war. Wenn er lebend zurückkehrte, würde er als Belohnung fordern, daß sie ihn alles andere vergessen ließ. Er wußte, daß es ihr gleichgültig war, wie er sich zu Frauen verhielt, deren Bekanntschaft er zufällig machte. Er selbst konnte nicht länger gleichgültig sein.

»Auri«, sagte er, seine Unbeholfenheit verwünschend, »meine Arbeit ist noch nicht beendet. Ich muß bald in Ihrem Auftrag fortgehen und weiß nicht, ob ich je zurückkehren werde.«

Sie starrte ihn ungläubig an, umklammerte ihn und schluchzte. »Nimm mich mit!«

Ein Schatten fiel über sie. Lockridge blickte auf. Storm stand vor ihnen und musterte sie. Ihre Hand umschloß den Stab der Klugen Frau, der mit Hagedorn umwunden war. Sie mußte sich auf den Weg gemacht haben, um das Volk zu segnen, das nun ihr Volk war.

Ihr Lächeln war undeutbar, aber es war anders als das Lächeln, mit dem sie ihn im Langhaus bedacht hatte.

»Ich glaube«, sagte sie mit leichter Schärfe in der Stimme, »ich werde den Wunsch dieses Kindes erfüllen.«