12

 

 

»Hai-ee-ee! Hingst, Hest, og Plag faar flygte Dag! Kommer, kommer, kommer!«

Das Gewand umflatterte den Hexenmeister wie Schwingen. Als er Arme und Gesicht zum Himmel hob, riß ihn und seine Erwählten ein unsichtbarer, unhörbarer Wirbelwind aufwärts. Immer weiter aufwärts stiegen sie, bis sie zwischen kalten Sternenbildern unsichtbar wurden. Das Signalfeuer flackerte über den Kohlen, sandte seinem Herrn Funken und Flammen nach und sank wieder zusammen. Die Gefolgsleute des Bundes schauderten und verstreuten sich.

Auri unterdrückte einen Schrei, schloß die Augen und umklammerte Lockridges Hand. Jesper Fledelius jubelte wie ein Kind. Der Amerikaner teilte seine Erregung. Er war schon geflogen, nie aber am Ende eines Schwerkraftstrahls.

Es gab keinen Fahrtwind. Die Kraft, die dem Gurt unter Mareths Gewand entströmte, lenkte ihn ab. Es war ein lautloses Fliegen, mehrere hundert Fuß über der Erde, mit einer Geschwindigkeit, die Hunderte von Meilen pro Stunde betrug.

Dunkelheit wogte über die Heide; Viborg war ein matter Fleck, der für den Bruchteil einer Sekunde auftauchte und wieder verschwand, der Limfjord schimmerte, die Dünen im Westen blieben zurück, und die Nordsee war von Wellen aufgewühlt, deren Kämme die dünne Mondsichel mit eisigem Glimmern überzog.

Sie überflogen das Flachland Ostenglands. Dörfer mit strohgedeckten Häusern lagen zwischen Stoppelfeldern, ein Schloß erhob sich an einem Fluß; es war wie ein Traum, und es schien unmöglich, daß er, Malcolm Lockridge, einem Hexenmeister über dem Himmel folgte, während in der gleichen Nacht König Heinrich neben Anna Boleyn schnarchte ... arme Anna, deren Kopf in weniger als einem Jahr unter dem Beil fallen würde.

Kultivierter Boden wich der Wildnis, in der Inseln sich aus sumpfigen Strömen abhoben – das Moor von Lincolnshire. Mareth schwebte dem Boden entgegen. Das letzte verwitterte Laub teilte sich vor ihm, er landete und zog die andern geschickt mit sich. Vor dem bleichen Himmel erkannte Lockridge eine Hütte aus Flechtwerk.

»Dies ist mein englischer Stützpunkt«, erklärte ihm der Warden. »Das Zeittor liegt unter ihm. Sie bleiben hier, während ich die Männer zusammenrufe.«

Hinter der primitiven Fassade entpuppte sich die Hütte als fast luxuriöse Unterkunft mit hölzernem Fußboden und getäfelten Wänden, zahlreichen Möbeln und einer überraschend großen Büchersammlung. Lebensmittel und andere Vorräte aus der Zukunft waren hinter Schiebetüren verborgen, man sah nichts, was für dieses Jahrhundert zu fremdartig gewesen wäre. Vielleicht wäre einem Eindringling aufgefallen, daß es in der Hütte zu jeder Jahreszeit warm und trocken war. Aber es gab keine Eindringlinge, niemand besuchte diesen Ort. Die Bauern waren abergläubisch, die Edelleute uninteressiert.

Die drei aus Mareths Vergangenheit waren dankbar für die Ruhepause. Sie waren gewöhnliche menschliche Wesen, keine Meisterwerke eines Zeitalters, das Erbmasse in jeder gewünschten Form schaffen konnte, und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. So hießen sie die nächsten Tage willkommen, in denen tiefer Schlaf der Erschöpfung und dämmriges halbes Wachsein einander ablösten.

Am dritten Morgen suchte Auri die Nähe Lockridges. Er saß auf einer Bank vor der Tür und ließ sich eine Pfeife schmecken. Er hatte den Tabak vermißt, obwohl er kein leidenschaftlicher Raucher war, und empfand es als rücksichtsvoll, wenn auch leicht anachronistisch, daß die Wardens die Hütte mit Tabak und Tonpfeifen versehen hatten. Er hörte Auris Schritte und blickte auf.

Bisher hatte er in ihr nur das Kind gesehen, das er unter seinen Schutz gestellt hatte, aber heute morgen war sie unbekleidet zur Erkundung des Sumpfes aufgebrochen, der ihrem früheren Zuhause ähnelte, und nun bot sie sich Lockridges Blick als eine völlig andere dar. Sie bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Rehes, die blauen Augen groß und glänzend im kecken Gesicht. Sie lächelte, als Lockridge aufstand, weil sein Puls zu jagen begann.

»Komm mit und sieh es dir an«, rief sie. »Ich habe das herrlichste Boot gefunden.«

»Großer Gott!« Er begann zu schlucken. »Zieh dir etwas über, Mädchen.«

»Warum? Die Luft ist warm.« Sie tanzte vor ihm. »Malcolm, wir können aufs Wasser hinausfahren und fischen. Der ganze Tag gehört uns, und die Göttin ist glücklich, und du mußt dich inzwischen ausgeruht haben, worauf wartest du also noch?«

»Nun, warum nicht? Du mußt dir aber trotzdem etwas überziehen, verstanden?«

»Wenn du es wünschst.« Verwirrt, aber gehorsam streifte sie in der Hütte, in der Fledelius noch geräuschvoll schlief, ein Kleid über, griff nach dem Angelgerät und tanzte vor Lockridge durch das Gehölz. Das kleine Boot, das an einem Baumstumpf vertäut war, sah unkompliziert aus, obwohl bei seinem Bau richtige Metallnägel verwendet worden waren. Auri beobachtete erstaunt, wie Lockridge ruderte, statt zu paddeln. »Sicher stammt das Boot aus Kreta«, sagte sie atemlos.

Er hatte nicht das Herz, ihr zu erklären, daß Kreta inzwischen von den Venetianern ausgeplündert und unterdrückt wurde und im nächsten Jahrhundert eine Invasion durch die Türken erwartete.

Er zog die Ruder ein, als offenes Wasser sie umgab. Auri warf die Angel aus, während Lockridge sich zurücklehnte und die Pfeife wieder in Brand setzte.

»Es ist ein seltsamer Brauch, dem du huldigst«, sagte Auri.

»Ich tue es nur zu meinem Vergnügen.«

»Kann ich auch einmal versuchen? Bitte!«

Sie drängte ihn, bis er nachgab. Heiser krächzend und mit Tränen in den Augen gab sie ihm die Pfeife zurück. »Nein. Zu stark für Mädchen wie mich.«

Lockridge lachte. »Ich habe dich gewarnt, meine Kleine.«

»Ich hätte auf dich hören sollen. Du hast immer recht.«

»Ich ...«

»Aber ich wünschte, du würdest mit mir nicht immer wie mit einem Kind sprechen.« Sie errötete und senkte die Augen. »Ich bin bereit, eine Frau zu sein, wann immer du es willst.«

In Lockridges Adern begann das Blut zu hämmern. »Ich habe versprochen, den Bann von dir zu nehmen«, murmelte er. »Du bist längst frei, es bedarf keiner weiteren Magie. Hm ... Reise durch die Unterwelt, verstehst du ... Wiedergeburt ...«

Ihr Gesicht strahlte vor Freude. Sie näherte sich ihm.

»Nein, nein, nicht«, sagte er verzweifelt. »Ich selbst – darf es nicht ...«

»Warum nicht?«

»Sieh dich um! Es ist nicht Frühling.«

»Ist das wichtig? Alles andere hat sich gewandelt. Malcolm, ich mag dich so gern!«

Sie preßte sich gegen ihn. »Ich werde dich verlassen müssen, Auri ...«

»Dann lasse mich mit einem Kind von dir zurück! Darüber hinaus will ich heute nicht denken.«

Er sah nur noch einen Ausweg. Er ließ sich von ihr gegen die Bootswand drängen, und das Boot kenterte. Als sie es wieder umgedreht und das Wasser ausgeschöpft hatten, beherrschten sie ihre Gefühle wieder. Auri sah das Kentern als göttliches Zeichen an und zeigte keine Enttäuschung. Sie schlüpfte aus ihrem nassen Gewand und kicherte, als Lockridge sich weigerte, ihrem Beispiel zu folgen. »Dann eben später, wenn du Avildaro befreit hast«, sagte sie.

Seine Miene verfinsterte sich. »Der Ort, den du kanntest, wird nicht wiederkommen«, sagte er. »Denke an alle, die fielen.«

»Ich weiß«, antwortete sie ernst. »Echegon, der immer so freundlich war, Vurowa, der immer Lustige, und so viele andere.« Aber was seitdem geschehen war, hatte sie von ihrem Kummer abgelenkt. Außerdem trauerten die Tenil Orugaray nicht so tief wie die, die nach ihnen kamen. Sie hatten gelernt, sich mit den Tatsachen abzufinden.

»Und du mußt immer noch mit den Yuthoaz rechnen«, sagte Lockridge. »Diesmal mögen wir imstande sein, diese eine Gruppe zu vertreiben. Aber es gibt andere. Sie sind stark und hungern nach Land. Sie werden zurückkehren.«

 

Sie bereiteten ein Mahl aus dem, was Auri gefangen hatte, als ein Horn blies. Lockridge war verblüfft. So schnell? Er ruderte mit voller Kraft zurück.

Mareth war tatsächlich wieder da. Mit ihm sechs andere Wardens. Sie hatten die Verkleidungen als Priester, Ritter, Kaufmann, Bauer, Bettler gegen eine Uniform vertauscht, die hauteng wie die der Rangers war, aber von dunklem Grün und mit Mänteln, die in allen Regenbogenfarben von ihren Schultern wallten. Unter den bronzefarbenen Helmen musterten dunkle Augen in Gesichtern, die an Storm erinnerten, aufmerksam die Helfer.

»Wir haben noch einen weiteren Agenten auf den britischen Inseln«, sagte Mareth. »Er bringt unsere Truppen nach Einbruch der Dunkelheit. Inzwischen müssen wir alle Vorbereitungen treffen.«

Lockridge, Auri und Fledelius wurden mit Aufgaben betraut, die sie nicht verstanden. Da dieser Tunnel dem Gegner unbekannt war, und sein Tor sich auf einen wichtigen Zeitabschnitt öffnete, war der Vorraum voller Kriegsgerät, und die Zugänge waren breit genug, dieses hindurchzulassen. Über den Verwendungszweck einiger der Geräte war Lockridge sich klar – Fahrzeuge, Kanonen, Handfeuerwaffen. Was aber steckte hinter der Kristallkugel, in der Punkte wirbelten, die Sternen ähnelten? Was stellte der Schneckengang aus gelbem Feuer dar, das sich kalt anfühlte? Seine Fragen blieben unbeantwortet.

Die Dämmerung setzte ein, es wurde dunkel. Vom Himmel sanken die Männer herab. Sie waren eine wilde, harte Bande, etwa hundert Mann stark. Entlassene Soldaten, Seeleute, die zu Piraten geworden waren, Glücksritter, Straßenräuber, Kesselflicker, rebellische Waliser und Viehdiebe, aufgesammelt zwischen Dover und Lands End, den Cheviot Hills und den Straßen Londons. Lockridge konnte nur vermuten, wie sie angeworben worden waren. Einige unter religiösem Vorwand, andere für Geld oder auf der Flucht vor dem Henker – einen nach dem anderen hatten die Wardens sie gefunden und zu einer geheimen Gruppe vereinigt, und nun war die Stunde gekommen, sich ihrer zu bedienen.

Mareth, der vor dem Eingang zur Hütte Posten gefaßt hatte, richtete sich auf. Sobald er die Stimme hob, verstummten alle Gespräche.

»Männer«, sagte er, »lange sind die meisten von euch in der Bruderschaft, und nicht wenige werden sich der Zeit erinnern, da sie von ihr vor dem Kerker oder dem Galgen bewahrt wurden.

Ihr wißt, daß ihr für die Sache weißer Zauberer angeworben wurdet, die durch ihre Künste dem katholischen Glauben helfen. Heute nacht haben wir euch zusammengerufen, damit ihr eure Versprechen einlöst. Weit und sonderbar wird der Weg sein, bis ihr gegen wilde Männer kämpft, während wir, eure Herren, den Kampf gegen die Zauberer aufnehmen, denen sie dienen. Geht in Gottes Namen tapfer vor, und diejenigen, die den Tag überleben, werden reich belohnt werden, während diejenigen, die fallen, im Himmel noch reichere Belohnung erwartet. Kniet nun nieder und empfangt die Absolution.«

Lockridge verspürte einen üblen Geschmack im Mund, während er das Ritual über sich ergehen ließ. War soviel Zynismus nötig?

Nun – es ging um die Rettung Storm Darroways. Ich werde sie wiedersehen, dachte er, und sein Herz klopfte schneller.

Schweigsamer und ernster, als er es für möglich gehalten hatte, zogen die Engländer in langer Reihe durch den Eingang der Hütte und die geschwungene Rampe hinab. Im Vorraum, gegenüber dem Vorhang in den Regenbogenfarben, nahmen sie ihre Waffen in Empfang: Schwert, Pike, Streitaxt, Armbrust. Pulver würde nutzlos gegen die Rangers sein, unnötig gegen die Yuthoaz. Mareth winkte Lockridge zu sich. »Sie bleiben am besten als Führer bei mir«, sagte er und drückte dem Amerikaner eine Energiepistole in die Hand. »Hier, Sie kommen aus einer genügend aufgeklärten Zeit, um damit umgehen zu können. Die Handhabung ist einfach genug.«

»Ich kenne mich aus«, sagte Lockridge kurz.

Mareth stieg von seiner Höhe herab. »Ja, sie hat Sie ausgewählt, nicht wahr?« murmelte er. »Sie sind kein gewöhnlicher Mensch.«

Auri drängte näher. »Malcolm«, bat sie, »bleibe bei mir.« Die Furcht saß ihr wieder in den Gliedern.

»Lassen Sie sie warten«, befahl Mareth.

»Nein«, sagte Lockridge. »Sie kommt mit, wenn sie es will.«

Mareth zuckte die Achseln. »Sorgen Sie dann wenigstens dafür, daß sie uns nicht im Wege ist.«

»Ich muß in vorderster Front sein«, erklärte Lockridge ihr. Er fühlte, wie sie zitterte.

»Komm, Kleines«, sagte Jesper Fledelius und legte einen Gorillaarm um ihre Schultern. »Bleibe bei mir. Wir Dänen sollten inmitten dieser englischen Bauernlümmel zusammenhalten.« Sie verschwanden in der Menge.

Während des Tages half Lockridge, mehrere Flugkörper durch das Tor zu bringen. Sie waren glänzende, durchsichtige, eiförmige Gebilde, aber es blieb Lockridge unklar, welche Kräfte sie bewegten. Jeder dieser Flugkörper faßte zwanzig Personen. Lockridge schob den vordersten zusammen mit Mareth in den Vorraum. Die Männer, die sich dort schon versammelt hatten, atmeten schwer, flüsterten Gebete oder Verwünschungen.

»Würden sie nicht in Panik geraten, wenn sie kämpfen sollen?« fragte Lockridge.

»Nein, ich kenne sie«, erwiderte Mareth. »Außerdem läuft mit den Einweihungszeremonien eine unbewußte Gewöhnung parallel. Ihre Furcht wird sich in Zorn verwandeln.«

Die Maschine erhob sich lautlos und glitt in den kaltweißen Schacht. Mit einem Warden an jeder Konsole folgten die anderen nach.

»Warum haben Sie, da Sie diesen Tunnel besitzen, nicht aus anderen Zeitabschnitten weitere Verstärkungen geholt?« fragte Lockridge.

»Es stehen keine mehr zur Verfügung«, sagte Mareth. Er sprach geistesabwesend, während sich seine Hände über die Kontrollampen bewegten, und sein Gesicht voll gespannter Konzentration war. »Der Tunnel wurde hauptsächlich erbaut, um Zugang zu diesem Abschnitt zu gewähren. Er wird im 18. Jahrhundert enden, wenn wir einen weiteren Stützpunkt in Indien besitzen. Die Rangers sind besonders aktiv im England zwischen der normannischen Eroberung und den Kriegen der Rosen, darum haben wir überhaupt keine Tore, die in das Mittelalter führen – und auch nur wenige in frühere Epochen, da die kritischen Gebiete, die Schauplätze der hauptsächlichsten Konflikte, anderswo liegen. Tatsächlich dienen Tore durch die Steinzeit und das Bronzealter bestenfalls als Umschlagplätze. Es ist einem glücklichen Zufall zuzuschreiben, daß wir hier einen Tunnel haben, der sich zeitlich mit dem in Dänemark überschneidet.«

Lockridge wollte weitere Auskünfte, aber der unheimlich schnelle Flugkörper war schon an dem Jahr angelangt, das sie suchten. Mareth steuerte ihn hinaus. Er stieg aus, um einen Blick auf die Kalenderuhr in dem Schrank zu werfen. »Gut«, sagte er eifrig, als er zurückkam. »Wir hatten Glück und brauchen nicht zu warten. Dies ist die Nacht; der Sonnenaufgang steht kurz bevor, und es muß nahe dem Augenblick sein, als sie gefangengenommen wurde.«

Kraftstrahlen hatten die Flotte zusammengehalten, während sie die Zeitschwelle überquerte. Sie schwebten den Eingang hinauf, der sich für sie öffnete und sich wieder hinter ihnen schloß. Mareth schaltete die Instrumente auf niedrigen Flug in östlicher Richtung.

Lockridge starrte hinaus. Unter dem Mondlicht des Steinzeitalters wirkten die Sümpfe noch größer und wilder. Aber hinter ihnen, an der Küste, erspähte er Fischerdörfer, die man für Avildaro hätte halten können.

Das war kein Zufall. Bevor die Nordsee entstanden war, waren Männer von Dänemark nach England gewandert. Später kreuzten ihre Boote die Meere, und Ihre Missionare kamen aus dem Süden in beide Länder. Der Diaglossa in seinem linken Ohr verriet ihm, daß die Stämme von Ostengland und Westjütland einander noch verstehen konnten, wenn sie langsam sprachen.

Mit jeder Meile landeinwärts verlor dieser Ausdruck verwandtschaftlicher Beziehung mehr an Bedeutung. Nordengland wurde von den Jägern und Herstellern der Äxte beherrscht, deren Zentrum am Langdale Pike lag, die aber ihren Handel über die ganze Insel erstreckten. Das Themsetal war friedlich durch Einwanderer von jenseits des Kanals besiedelt worden, und die Bauern der südlichen Niederungen hatten ihre schrecklichen Riten aufgegeben, wegen deren man sie gemieden hatte. Eine alte Ära starb in Dänemark, eine neue wurde in England geboren – dieses westliche Land lag der Zukunft näher. Lockridge blickte zurück und sah Flüsse und grenzenlose Wälder; wie aus einem Traum wußte er, wie sich Millionen von Vögeln in den Himmel schwangen, wie die Elche ihre Geweihe schüttelten, und wie die Menschen glücklich waren. Plötzlich wußte er, daß er hierher gehörte.

Die See wogte unter ihm. Er war auf dem Weg nach Hause – zu Storm.

Mareth schlug ein Bummeltempo ein; er wartete darauf, daß der Himmel sich erhellte. Selbst bei dieser langsamen Fahrt waren erst zwei Stunden vergangen, als der Limfjord sichtbar wurde.

»Aufschließen!«

Die Flugkörper schwangen sich herab. Wasser blitzte stählern, Tau glitzerte auf dem Gras, die Blätter eines jungen Sommers grünten, als die Dächer Avildaros hinter dem heiligen Hain auftauchten. Lockridge sah, daß die Männer der Streitäxte noch immer auf den weiter hinten liegenden Feldern ihre Lager aufgeschlagen hatten. Er entdeckte einen Wachtposten neben einem erlöschenden Feuer, er hörte seine Rufe, die die Männer aus den Decken jagten.

Ein anderes schimmerndes Schiff stieg vor dem Langhaus auf. Brann hatte also Zeit gefunden, seine Leute herbeizurufen. Mareth schnarrte eine Reihe von Befehlen in einer unbekannten Sprache herunter. Zwei der Flugkörper schwenkten auf das Schiff der Rangers ein. Eine Flamme wütete, wie eine Blase zerplatzte das gegnerische Schiff. Schwarzgekleidete Gestalten wirbelten durch die Luft und schlugen krachend auf die Erde.

»Wir gehen herunter«, sagte Mareth. »Sie haben keinen Angriff erwartet, der Widerstand wird gering sein. Wenn sie aber Hilfe anfordern – Wir müssen schnell Herr der Lage werden.« Der Flugkörper glitt längs der Bucht abwärts, setzte auf. Das Kraftfeld wurde ausgeschaltet. »Aussteigen!« schrie Mareth.

Lockridge war der erste. Die Engländer folgten ihm. Ein anderer Flugkörper landete neben ihnen. Jesper Fledelius führte die Gruppe, die sich aus ihm ergoß. Sein Schwert funkelte. »Gott und König Christian!« brüllte er mit dröhnender Stimme. Die anderen Flugkörper waren weiter abseits auf den Feldern bei den Yuthoaz gelandet. Sie stiegen wieder auf, nachdem sie ihre Besatzungen ausgeladen hatten. Kühl und gelassen beobachteten die Wardenpiloten die Entwicklung des Kampfes, gaben ihre Befehle, machten jeden Mann zu einer Figur auf ihrem Schachbrett.

Metall klirrte auf Stein. Lockridge stürmte zu der Hütte, an die er sich erinnerte. Sie war leer. Mit einer Verwünschung machte er kehrt und eilte dem Langhaus zu. Ein Dutzend Yuthoaz hielt Wache. Tapfer der übernatürlichen Gefahr ins Gesicht blickend, standen sie mit erhobenen Äxten. Brann trat vor.

Sein langes Gesicht verzog sich zu einem beunruhigenden Grinsen. Eine Energiepistole blitzte in seiner Hand. Lockridges eigene Waffe war auf Abwehr eingestellt. Er durchbrach den Feuergeiser und warf sich auf Brann. Der Anprall warf beide zu Boden. Ihre Waffen entglitten ihren Händen. Sie suchten sich gegenseitig an den Kehlen zu packen.

Fledelius' Schwert zischte herab und hob sich wieder. Ein Krieger mit der Axt taumelte blutüberströmt. Der Däne konterte einen anderen Hieb, seine englischen Gefolgsmänner kamen hinzu, und der richtige Kampf brach los.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Lockridge zwei weitere schwarzgekleidete Gestalten, von deren Schilden Funken stoben. Er selbst war vollauf mit dem Kampf gegen Brann beschäftigt. Der Ranger war unmenschlich kräftig und geschmeidig. Aber plötzlich, als sie sich Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, erkannte er, wer Lockridge war, und Entsetzen verzerrte sein Gesicht. Er zuckte zurück und machte eine abwehrende Bewegung. Lockridge schlug ihm die Handkante gegen den Kehlkopf. Brann ging zu Boden, und Lockridge schmetterte seinen Kopf gegen harten Grund, bis der andere schlaff liegen blieb.

Der Amerikaner sprang auf; jetzt war nicht der Augenblick, nachzudenken, was in dem Schädel seines Gegners vorgegangen war. Fledelius und seine Männer verfolgten die Wachen der Yuthoaz. Die anderen Rangers lagen verkohlt vor Mareth und seinen Wardengefährten. Lockridge hielt sich nicht mit ihnen auf. Er stürmte durch den Eingang des Langhauses. Dunkelheit erfüllte den weiten Raum. Er tastete sich vorwärts. »Storm«, rief er mit bebender Stimme, »Storm, bist du hier?«

Ein Schatten in der Schwärze, lag sie gefesselt auf einer Estrade. Er fühlte kalten Schweiß auf ihrer nackten Haut, als er die Drähte von ihrem Kopf riß und sie schluchzend an sich zog. Für einen Augenblick, der ihn wie eine Ewigkeit dünkte, rührte sie sich nicht, und er glaubte, sie sei tot. Dann flüsterte sie: »Du bist also gekommen«, und er fühlte ihre Lippen auf den seinen.