JAKOB UND ESAU: VERSÖHNUNG MIT GOTTES AUSERWÄHLTEM VOLK
Mit Abraham ist ein Anfang gemacht. Von einem Punkt der Welt aus wird diese jetzt verändert. Der Anfang war klein, klein geht es weiter, und manches wiederholt sich. Das Thema Unfruchtbarkeit beispielsweise.
Hatte Gott nicht Abraham Nachkommen sonder Zahl versprochen? Gerade mal ein Sohn von der Hauptfrau und einer von der Nebenfrau waren Abrahams gesamte «Ausbeute». Als Sara tot ist und Abraham alt und ans Sterben denkt und darum die ihm noch verbleibende Zeit nutzt, um die Dinge zu ordnen, erteilt er seinem ältesten Knecht den Auftrag, für Isaak eine Frau zu suchen. Aber es darf keine aus dem fremden Land Kanaan sein, keine, die falsche Götter anbetet. Es muss eine aus der eigenen weitläufigen Verwandtschaft derer sein, die in der alten Heimat geblieben sind. Es muss eine sein, die bereit ist, die Heimat zu verlassen und in der Fremde jenem neuen Gott zu dienen, um dessentwillen schon Abraham seine Stadt verlassen hat. Aller Anfang ist schwer.
Der Knecht findet Rebekka, Bethuels Tochter, der ein Sohn der Milka war, welche Nahors, Abrahams Bruders, Weib war, und trug einen Krug auf ihrer Achsel. (1 Mose 24, 15) Rebekka wird die Frau Isaaks, dem Gott Nachkommen verheißen hat wie Sterne am Himmel (1 Mose 26, 4). Warum ist auch sie unfruchtbar? Warum muss Gott auch bei ihr dafür sorgen, dass sie schwanger wird und gebären kann? Wenigstens geht es diesmal etwas schneller, Rebekka muss nicht wie Sara erst zur Greisin werden. Und dennoch: Langsam, fast unendlich langsam, und unter Mühen wächst im Verborgenen die erste Parallelgesellschaft der Welt heran.
Es wird nicht das letzte Mal sein, dass uns dieses Unfruchtbarkeitsmotiv begegnet. Auch Hanna, die Mutter jenes Propheten Samuel, der David zum König machen wird, kann erst gebären, nachdem sie, wie Rebekka, Gott ausdrücklich darum gebeten hatte, ihr zu helfen. Noch einmal stoßen wir bei Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers, auf dieses Motiv.
Die Erzähler wollen damit die Treue Gottes zu seinem Volk schildern. In Abraham hat Gott den Punkt gefunden, an dem er die Welt aus den Angeln zu heben gedenkt, und nun lässt er nicht mehr locker. Was er tun muss, um sein Projekt voranzutreiben, tut er und wird es immer weiter tun.
Es verbirgt sich hinter diesem Unfruchtbarkeitsmotiv aber auch eine Parallele zur Beschneidung der Männer. So, wie Gott die Herrschaft über das Symbol männlicher Macht beansprucht, so beansprucht er auch die Herrschaft über die Gebärmutter, das Symbol weiblicher Macht. Gott will Herr sein über alles.
Nebenbei nutzt er diese Macht, um wieder einmal den Schwachen zu helfen. Dem Patriarchen keinen Erben gebären zu können, war damals ein hartes Schicksal für eine Frau. Unfruchtbare Frauen waren dem Gespött und der Verachtung ihrer Umwelt ausgesetzt. Ihnen gilt Gottes Sympathie. Ihnen kommt Gott zu Hilfe. Und kritisiert damit gleichzeitig die patriarchalische Unsitte, den Wert einer Frau nach der Zahl ihrer geborenen Söhne zu bemessen. Und auch das heidnische Bohei um die Fruchtbarkeit wird hier in ersten Ansätzen in Frage gestellt. Die Fruchtbarkeit lasst meine Sorge sein, sagt Gott, kümmert euch um den Aufbau des Reiches Gottes. Seht zu, dass ihr euren Glauben an eure Kinder weitergebt, denn meine Sache muss weitergehen.
Der stärkste Grund für das Unfruchtbarkeitsmotiv liegt aber im Staunen Israels über seine eigene Existenz. Wir sind nicht «made in Israel», sondern «made in Heaven». 11 Etwas zutiefst Unwahrscheinliches ist geschehen: Gott hat sich ein Volk erwählt. Uns. Ausgerechnet uns! Und er hat einen Plan mit uns und der Welt. Nun soll alles gut werden.
Hätte den theologischen Schriftstellern damals schon die Evolutionstheorie zur Verfügung gestanden, hätten sie das Unwahrscheinliche dieser Geschichte vielleicht mit der Entwicklung des Lebens verglichen. Trilliarden und Abertrilliarden Versuche der Natur hatte es im Lauf von Milliarden Jahren bedurft, bis aus toten Elementen anorganische Verbindungen entstanden, und aus diesen organische und schließlich die erste Zelle des Lebens. Wie oft wohl war die Natur ganz nah dran am Gelingen, wie oft ist sie an dummen Zufällen immer wieder gescheitert, und wie viele Millionen Jahre mussten vergehen, bis der Durchbruch zum Leben tatsächlich zum ersten Mal gelang? Als diese revolutionär neue Erfindung der Natur einmal in der Welt war, als das Wissen über den Bau der Zelle aus einfachen Substanzen für immer in der DNS gespeichert war, konnte das Leben auf der Erde beginnen. Langsam. Unter Mühen. Und mit vielen Rückschlägen und Katastrophen. Und doch ist es gewaltig vorangekommen.
Und nun der Versuch Gottes, sein wichtigstes Geschöpf, den Menschen, sich ihm anzuverwandeln, auf die nächste Stufe der Evolution zu hieven, indem er ihm hilft, sein tierisches Erbe abzustreifen. Auch dass muss dauern. Wird mühselig werden. Und durch zahlreiche Rückschläge immer wieder auf die Anfänge zurückgeworfen werden. Doch der Code, nach dem dieses Reich Gottes gebaut werden soll, ist seit Abraham in der Welt.
Aber steckt nicht menschliche Hybris in der Idee, als ganzes Volk von Gott erwählt zu sein? Steckt nicht ein gefährlich nationalistischer Größenwahn hinter der Vorstellung, am israelischen Wesen solle die Welt genesen?
Es ist ja nicht das israelische Wesen, an dem wir genesen sollen, sondern an Gottes Wesen sollen wir genesen. Dieses aber soll für uns sichtbar und begreifbar werden durch Israel, Gottes Volk. Es genügt diesem Gott nicht, dass die Menschen ihn denken können, dass sie eine Idee von ihm mit sich herumtragen, sich den Kopf über ihn zerbrechen und mehr oder weniger kluge Gedanken äußern. Dieser Gott will, dass sich sein Wille auf dieser Welt sichtbar, spürbar und ganz materiell manifestiert. Wo er herrscht, muss sich die Struktur der Wirklichkeit bis ins Materielle hinein verändern. Wie anders soll das gehen als durch ein Volk von Menschen, das in die Hände spuckt und die Welt umpflügt? Daher liefert dieses Erwähltsein nicht die Spur eines Anlasses für nationalistische Arroganz, sondern nur den Grund für Mühsal und Plage und immerwährenden Ärger mit dem Rest der Welt.
Im Übrigen hat das alttestamentarische Volk der Israeliten über dieses merkwürdige Erwähltsein selber und früher nachgedacht als die anderen Völker, denn wer erwählt wird, fragt sich ganz von selbst: Wieso ausgerechnet ich? Was habe ich den anderen voraus? Entsprechend fragte das Volk Israel aus seiner eigenen Mitte heraus: Warum gerade wir? Wie können wir den anderen begreiflich machen, dass Gott ausgerechnet mit uns die Welt verändern will? Wie können wir stur unserem Gott treu bleiben, die Götter der anderen Völker zu Götzen herabwürdigen, damit die religiösen Gefühle der anderen verletzen, die ganze Welt gegen uns aufbringen und trotzdem mit allen im Frieden leben?
Die Antwort lautete: Indem wir betonen, dass wir aus dieser Ehre des Erwähltseins keinerlei Forderungen für uns ableiten und auch keine privilegierte Stellung innerhalb der Völkergemeinschaft beanspruchen. Wir verstehen ja selber nicht, warum Gott sich gerade uns ausgesucht hat, und sind sicher: bestimmt nicht wegen irgendwelcher besonderen Vorzüge. Wir kennen uns ziemlich gut und wissen daher durchaus, dass wir nicht besser, klüger, stärker oder moralisch höherstehend sind als die anderen. Im Gegenteil: Manchmal kommt es uns so vor, als habe Gott uns gerade deshalb ausgeguckt, weil er in uns die größte Ansammlung von Schwäche, Trägheit, Feigheit und Gewöhnlichkeit auf Erden erkannt hat. Und noch etwas: Nicht wir haben zuerst behauptet, erwählt zu sein. Gott hat es getan. Wir nehmen dieses Faktum nur erstaunt zur Kenntnis.
Die erste biblische Geschichte, die etwas von diesem Problem und Israels Reflexion darüber ausdrückt, ist die Geschichte des dritten Erzvaters des Glaubens, und darum kommt nach Abraham und Isaak jetzt er ins Spiel, Jakob, wahrlich kein besonderer Held oder ein moralisches Vorbild für die Jugend. Jakob, der Gauner, ist man versucht zu sagen, und sein problematischer Charakter zeigt sich schon im Mutterleib. Da sind Zwillinge drin, Rebekka weiß es noch nicht, spürt nur, dass einiges los ist in ihrem Bauch, wendet sich beunruhigt an Gott, und dieser klärt sie auf: Zwei Völker sind in deinem Leibe, und zweierlei Leute werden sich scheiden aus deinem Leibe; und ein Volk wird dem andern überlegen sein, und der Ältere wird dem Jüngeren dienen. (1 Mose 25, 23)
Jakob und Esau sind es, die schon vor ihrer Geburt gegeneinander kämpfen und die Mutter stressen, und als sie schließlich das Licht der Welt erblicken – zuerst Esau, dann Jakob –, hat sich Jakob in Esaus Ferse verkrallt. Zwei Brüder, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten – Esau war rötlich, ganz rau wie ein Fell, Jakob war ein sanfter Mann und blieb in seinen Hütten (1 Mose 25, 24 ff.) – wachsen nun heran. Der eine, Jakob, wird der Liebling der Mutter. Der andere, Esau, wird ein Jäger und der Liebling seines Vaters.
Esau war als Erster da. Also steht ihm das Erstgeburtsrecht zu, das väterliche Erbe und der väterliche Segen. Aber am Ende wird sich Jakob das alles ertrickst haben. Mit dem Segen von höchster Stelle.
Als Esau eines Abends müde und hungrig von der Jagd nach Hause kommt und Jakob gerade ein Linsengericht kocht, will Esau sich sofort über das Essen hermachen, aber Jakob nutzt die Situation aus und fordert Esau auf, ihm sein Erstgeburtsrecht zu verkaufen. Esau lässt sich darauf ein. Das Nächstliegende, die Stillung seines Hungers, ist ihm wichtiger als das Fernliegende.
Isaak weiß allerdings bis zuletzt nichts von diesem Handel. Alt und blind macht er sich eines Tages zum Sterben bereit, ruft Esau und bittet ihn, ihm noch einmal ein Wildbret zu erlegen und so köstlich zuzubereiten, wie er es zeit seines Lebens immer so gerne gegessen hat. Danach wolle er Esau den väterlichen Segen erteilen. Esau tut, wie ihm geheißen, geht auf die Jagd, aber Rebekka, die alles mitgehört hat, entwickelt nun eine List, wie sie und Jakob Esau um den väterlichen Segen bringen können.
Während Esau sich draußen an sein Wild heranpirscht, muss Jakob zwei Böcklein aus der väterlichen Herde schlachten, und Rebekka bereitet sie so zu, wie es Isaak immer geschmeckt hat. Dann streift sich Jakob Esaus Kleider über, umgibt seine Arme, Hände und den Hals mit dem Fell der geschlachteten Böcke, trägt das Essen zu Isaak hinein und behauptet vor seinem blinden Vater, Esau zu sein. Isaak kommt es zwar vor, als höre er Jakob sprechen, aber der Geruch von Esaus Kleidern und dessen raue behaarte Hände überzeugen Isaak schließlich, dass er es mit Esau zu tun hat. Also segnet er ihn.
Danach erst kommt Esau zurück. Nun fliegt der Schwindel auf, aber es ist zu spät. Jeder Vater hat nur einen Segen, kann ihn nur einmal erteilen und nicht wieder zurücknehmen. Esau brennt vor Zorn, hegt Mordgedanken gegen seinen Bruder. Jakob merkt das und macht sich aus dem Staub, flieht mit Rebekkas Unterstützung zu seinem Onkel Laban, wo er so lange bleiben soll, bis Gras über die Sache gewachsen ist.
Auf dem Weg zu Laban erscheint Jakob, dem Gauner, doch tatsächlich Gott im Traum und beglaubigt ihn als rechtmäßigen Nachfolger von Abraham und Isaak, indem er auch Jakob verspricht, was er zuvor schon dessen Vater und Großvater versprochen hat: Land, Nachkommen, ein Segen für die Völker.
Und Jakob bleibt Jakob. Statt Schuldgefühle zu hegen, Reue zu zeigen, an sich selbst zu zweifeln und Gott zu fragen, ob einer wie er denn wirklich würdig sei, in die Fußstapfen Abrahams und Isaaks zu treten, und statt erschüttert zu sein von der Gottesbegegnung, benimmt Jakob sich wie bei einem gewöhnlichen Viehhandel und stellt Bedingungen: So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich in Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein. (1 Mose 28, 20 – 21) Ein harter Brocken, dieser Jakob. Gott wird sich anstrengen müssen.
Und Gott läst sich auf den Handel ein. Nach Jahrzehnten kehrt Jakob reich gesegnet mit Gütern, Herden, Frauen und Kindern in die Heimat zurück, um Esau um Vergebung zu bitten und das Erbe seines Vaters anzutreten.
Esau ist großmütig, vergibt seinem Bruder, fällt ihm weinend um den Hals. Die Versöhnung gelingt.
Ganz offensichtlich ist diese Geschichte nach außen erzählt, besonders in Richtung des Nachbarvolkes der Edomiter, mit dem Israel in Frieden leben möchte. Esau, der sich eine heidnische Frau aus Kanaan genommen hatte, ist der Stammvater dieser Edomiter. Ihnen sagt Israel: Wir sind Brüder. Auch wenn wir nicht euren Gott anbeten können, muss das nicht zum Bruderzwist führen, denn unsere Stammväter Jakob und Esau haben sich versöhnt, sind in Frieden voneinander geschieden, und das Unrecht lag ganz bei uns, den Nachkommen Jakobs. Aber Esau hat Jakob vergeben.
Vorausgegangen ist dieser Versöhnung allerdings ein merkwürdiges Ereignis, und diese Geschichte wird nach innen erzählt, richtet sich an die Adresse Israels: Nach dem Aufbruch zur Rückkehr in Isaaks Haus gelangt Jakob in der Nacht mit seinem Tross an den Fluss Jabbok. An einer Furt führt er die ganze Karawane ans andere Ufer, wo alle lagern und nächtigen. Er selbst kehrt aber noch einmal auf die andere Flussseite zurück, um dort allein zu bleiben.
Da taucht plötzlich aus dem Nichts ein Mann auf und verwickelt Jakob in einen zähen Ringkampf, der sich bis in die Morgenstunde hinzieht. Der Mann ist Gott. Es gelingt ihm nicht, Jakob niederzuringen, und darum fügt er ihm eine Verletzung an der Hüfte zu, sodass Jakob fortan hinkt.
Im Morgengrauen, Jakob weiß noch nicht, dass er mit Gott ringt, sagt der Mann: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Jakob antwortet: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Der Fremde fragt: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Nun erst gibt sich Gott zu erkennen und sagt: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. (1 Mose 32, 23 – 30)
Jakob verlässt die Stätte dieser seltsamen Begegnung mit dem Gedanken: Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen. (1 Mose 32, 31)
Was steckt hinter dieser märchenhaften Schilderung? Möglicherweise wollte Jakob sich in jener Nacht auf die am nächsten Tag anstehende Begegnung mit dem gefürchteten Bruder Esau vorbereiten. Wie soll er ihm begegnen, was soll er ihm sagen, und wie, in welchem Ton, mit welcher Mimik und Gestik?
Möglicherweise hat das Nachdenken darüber eine Kaskade von Erinnerungen, Gedanken, Assoziationen, Schuldgefühlen, Ängsten und Fragen ausgelöst. Vielleicht hat Jakob in jener Nacht sein ganzes bisheriges Leben bedacht, sich Gedanken über die Zukunft gemacht, neue Hoffnung geschöpft und dann, am Ende dieses langen Sinnierens hatte er plötzlich etwas begriffen: den Abraham-Code. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben hatte er verstanden, was seinen Vater und seinen Großvater ein Leben lang umgetrieben hat: dieser neu entdeckte Gott, über den sie wenig gesprochen, aber durch ihr Tun und ihr Leben indirekt doch viel erzählt hatten. Vielleicht hat er erkannt: Den Glauben seiner Väter zu übernehmen und weiterzugeben, ist jetzt seine wichtigste Aufgabe in der Zukunft. Dieser Glaube der Väter, ihr Gehorsam gegenüber ihrem Gott, ist der Garant des Gelingens.
Danach wird er Reue gegenüber Esau empfunden und gewusst haben, wie er seinem Bruder begegnen muss. Daraus wird er die Zuversicht geschöpft haben, dass, wenn er das Seine beiträgt, Gott den Rest erledigen und es so fügen wird, dass seine Versöhnung mit Esau gelingt.
Und so begegnet er am folgenden Tag erstmals nach Jahrzehnten wieder seinem Bruder Esau, verneigt sich vor dem ums Erstgeburtsrecht Geprellten bis in den Staub und sagt: Ich habe dein Angesicht gesehen, wie man das Angesicht Gottes sieht. (1 Mose 33, 10) Jetzt erst ist Jakob der Dritte im Bunde der Erzväter. Jetzt bekommt der neue Gott, der noch keinen Namen und noch kein Alleinstellungsmerkmal hat, den vorläufigen Namen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Im Augenblick des Verneigens vor dem anderen und der Demut ihm gegenüber leuchtet im Antlitz des gefürchteten Todfeindes das Antlitz Gottes auf. Jakob entdeckte auf diese Weise, wie sehr sich Gott vom Menschen unterscheidet. Was Nächsten- und Feindesliebe bedeutet, hat Jakob im Ernstfall begreifen gelernt. Der Kampf Jakobs mit seinem eigenen Gewissen, seinem Herzen im Hinblick auf die anstehende Versöhnung mit seinem Bruder erscheint als Kampf Gottes mit der Stärke Jakobs. Denn Jakob kann nur zum Gottesstreiter werden – diesen Namen erhält er nach dem Kampf –, wenn er nicht auf seine eigene Stärke baut, sondern seine Schwäche preisgibt und sie von Gott in Stärke verwandeln lässt. Nur über diese Preisgabe an das geschichtliche Handeln Gottes wird Israel fähig, Frieden zu stiften. 12
Mit Jakob, dem Letzten im Dreierbund, nimmt jetzt auch die göttliche Verheißung einer großen Nachkommenschaft einen ersten Aufschwung. Zwölf Söhne von vier Frauen werden Jakob geboren. Die Söhne Leas waren diese: Ruben, der erstgeborene Sohn Jakobs, Simeon, Levi, Juda, Isaschar und Sebulon; die Söhne Rahels waren: Joseph und Benjamin; die Söhne Bilhas, Rahels Magd: Dan und Naphthali; die Söhne Silpas, Leas Magd: Gad und Asser. Das sind die Söhne Jakobs, die ihm geboren sind in Mesopotamien. (1 Mose 35, 23 – 26) Es sind die Söhne, aus denen die zwölf Stämme Israels hervorgehen werden.
Land ist allerdings immer noch nicht in Sicht. Einen Acker vor der Stadt Sichem im Lande Kanaan kauft sich Jakob für hundert Groschen, baut sich darauf eine Hütte und errichtet dort einen Altar für den Gott seiner Väter. Das ist vorläufig alles. Das Volk Gottes hat noch nicht einmal das embryonale Stadium erreicht. Es keimt nur etwas, aber immerhin: Es keimt ordnungsgemäß, man liegt im Plan, und zwölf Söhne sind ja schon, gemessen am Anfang, ganz beeindruckend.
Die zwölf Nachkommen Jakobs werden sich vermehren, aber Kanaan wird ihnen und ihren Nachkommen noch lange nicht gehören. Sie müssen erst noch eine wichtige Lektion lernen, diese Lektion heißt Ägypten, und der Weg dorthin ist steinig.