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Susannah atmete auf. Der Sheriff hatte seit drei Tagen nichts mehr von sich hören lassen. Langsam kam ihr die Begegnung mit ihm wie eine ganz unwirkliche Begebenheit vor. Im Grunde war ja auch nichts passiert. Sie hatte seine Wunde versorgt und ihm seine verkrampften Schultern gelockert, keine große Sache. Eine Frau nach seinem Geschmack war sie sowieso nicht, das wusste sie. Dazu hatte sie ein viel zu loses Mundwerk. Er brauchte Menschen um sich, die sich unterwarfen und seine Stiefel leckten. Dann konnte er sich groß und mächtig fühlen. Sie schüttelte den Kopf, wenn sie nur daran dachte. Wie armselig solche Menschen doch waren, die sich andere untertan machen mussten, um sich selbst erhabener vorzukommen.

Bitter war allerdings, dass sie nichts gegen seine Übergriffe auf die Mägde tun konnte. Aber vielleicht würde sich das von alleine legen, wenn er erst einmal den Bund der Ehe mit Lady Marian geschlossen hätte.

Sie schob den Gedanken an ihn beiseite, zu tun hatte sie auch so genug in diesen Tagen. Seit ihr Vater weg war, oblag es ihr, sich um die Kranken im Dorf zu kümmern. Und auch ihre Aufgaben als Hebamme waren vielfältig, es gab immer irgendwo Säuglinge zu versorgen und Frauen, die kurz vor der Niederkunft standen. So wie diese hier, der Susannah gerade einen Besuch abstattete. Sie legte ihr Hörrohr auf den stattlichen Bauch von Jolanda, die in wenigen Tagen mit ihrem fünften Kind niederkommen würde. Susannah musste sich sehr anstrengen, den leisen Herzschlag zu hören, denn vom Haus nebenan klang ein lautes Wehklagen herüber.
„Was ist denn bei deiner Nachbarin los?“, fragte sie über den Kugelbauch hinweg.
„Ach”, seufzte Jolanda, „ihr Mann war als Geleitschutz für die Steuereintreiber mit dabei gewesen.“
„Und er wurde durch Robin Hoods Pfeile getötet?“
Jolanda hievte sich mühsam in eine sitzende Position. „Nein, beim Überfall wurde er von Robins Männern bewusstlos geschlagen. Den Rest erledigten Nottinghams Soldaten.“
„Was meinst du?“, fragte Susannah. Er hatte doch wohl nicht wirklich seine Drohung wahr gemacht?

„Der Sheriff ist ein Untier”, stieß Jolanda hervor. „Er hat den überlebenden Männern die Köpfe abschlagen lassen und diese an seinem Burgtor aufgespießt. Als Mahnung für alle seine Soldaten zur Tapferkeit!“
Susannah ließ ihr Hörrohr fallen. Dieser feige Hund! Sie würde ihm ins Gesicht spucken, falls er sie jemals wieder zu sich ins Castle holte!
„Er wird seine Strafe erhalten, glaube mir das“, murmelte sie.

Jolanda sah sie fragend an. „Was hast du gesagt?“

„Nichts.“ Schnell hob Susannah das Hörrohr vom Boden auf und packte es weg.
Sie wusste noch nicht wie, aber sie würde einen Weg finden, um ihn für seine Untaten büßen zu lassen …