Der hohe Pfeifton aus dem Schiffsrumpf erfüllte sie mit einer sonderbaren Mattigkeit und mit einem Gefühl des Unbehagens. Bart, der nach Atem rang, hörte das Mädchen stöhnen, sah, wie es schlaff und halb bewußtlos auf seinem Stuhl zusammensank. Das Gesicht der Mentorianerin war von so tödlicher Blässe, daß er ernstlich befürchtete, sie würde vor Angst sterben. Gegen seine eigene qualvolle Schwäche ankämpfend, kam er zum Sitzen. Er überwand die Trägheit der steigenden Beschleunigung (draußen im All zogen die Gestirne immer längere Spuren, während sie durch die Wellenfrequenzen des Delta-Antriebs schneller als das Licht vorwärtsjagten), und dann erreichte er Meta und krallte seine Klauenhände derb in ihren Körper.

»Mädchen, reiß dich doch zusammen! Kämpf dagegen an! Kämpfe! Je mehr Angst du hast, desto schlimmer wird es!«

Sie war völlig starr und zitterte in panischem Schock.

»Du mieser kleiner Feigling«, brüllte er sie an, »komm zu dir! Oder seid ihr Mentorianer alle solche Memmen, daß ihr jedes unausgegorene Ammenmärchen glaubt, das die Lhari in die Welt setzen? Du und dein Gefasel, von Taten und rechtmäßigen Ansprüchen auf den Delta-Antrieb! Was würdet ihr denn anfangen, wenn ihr ihn hättet, wenn ihr schon tot umfallt bei dem Versuch, ihn durchzustehen?«

»Oh – Sie…!« Sie warf den Kopf zurück; das Blut schoß ihr ins Gesicht, und ihre Augen blitzten vor Wut. »Was glauben Sie wohl, wer Sie sind? Was Sie können, kann ich allemal!« Er beobachtete, wie wieder Leben in ihr Gesicht kam. Sie zitterte jetzt nicht mehr vor Furcht, sondern vor Zorn, und sie kämpfte an gegen den Schmerz, gegen das aufkommende scharfe Jucken in den Nervenenden, gegen das entsetzliche Gefühl, das Schiff würde aus den Fugen geraten, das von dem unerträglichen Pfeifton herrührte. dem Protestlaut überbeanspruchten Materials. Bart spürte, wie sein eigener Widerstand nachließ. Er flüsterte heiser: »Ja, so ist’s gut! Keine Panik, wenn ich – einen Moment das Bewußtsein verliere…« Mit einem letzten Aufbäumen hielt er sein Bewußtsein fest, gestützt von der Befürchtung, daß sie dann vielleicht wieder zusammenbrechen würde. »Manche Leute reagieren so…«

In einem extremen Anflug von Furcht streckte sie die Hände nach ihm aus, und Bart, nach der Berührung eines Menschen lechzend, zog sie in seine Arme. Hilflos klammerten sie sich aneinander, wie Kinder. Er spürte ihr tränennasses Gesicht an seiner Wange, die Zartheit ihrer zitternden Hände. Sie weinte immer noch ein bißchen. Dann wurde er von Dunkelheit umfangen, die nie aufzuhören schien, und auf dem Höhepunkt der Antriebskurve ließen Grauschwaden sein Gehirn im Nichts versinken.

Als er seiner Sinne wieder mächtig war, spürte er ihre Wange weich an der seinen, ihr Kopf lag vertrauensvoll an seiner Schulter. Mit belegter Stimme fragte er: »Alles in Ordnung, Meta?«

»Ja, mir geht’s gut«, murmelte sie mit schwankender Stimme. Während er ihre Hand etwas fester drückte, wurde ihm bewußt, daß er zum ersten Mal seit Monaten seine Lhari-Gestalt vergessen hatte; Meta war es gelungen, ihm das kostbare Gefühl zu vermitteln, daß er ein Mensch war. Doch unvermutet, so als würde sie sich plötzlich wieder an sein Aussehen erinnern, entzog sie sich ihm – wenn auch zögernd.

»Bitte nicht, Meta! Bin ich dir wirklich so ein Greuel? Bin ich so – abstoßend?«

»Nein, aber…« Sie kaute an ihrer Lippe, »aber die Lhari sind einfach so – ach, ich kann’s nicht erklären!«

»Anders«, half ihr Bart. »Wenn du dein verändertes Gesicht monatelang im Spiegel gesehen hättest… Zuerst war es grauenhaft. Ich empfand Abscheu, körperlichen Abscheu vor mir selbst und vor ihnen. Man kam sich vor, als würde man unter sonderbaren Tieren leben, zu denen man aber selbst gehörte. Und eines Tages stellte ich dann fest, daß Ringg für mich lediglich ein junger Mann war, wie ich auch. Er hatte graue Haut, lange Krallen und weiße Haare – ich hatte rosa Haut, kurze Fingernägel und rötliches Haar; aber unsere Verschiedenheit bestand nicht darin, daß ich menschlich war und er nicht. Wenn man Ringg und mir die Haut abziehen würde, wären wir beide uns fast zum Verwechseln ähnlich. Abgesehen von ein paar winzigen Knochen in unseren Händen und Füßen und den Knorpeln unserer Nasen und Ohren. Aber ein Aldebaraner unterscheidet sich von mir in der gleichen Weise. Mein eigener Vater wäre zum Beispiel von dem Licht hier blind geworden. So kam es, daß Ringg und Vorongil und all die anderen ganz plötzlich Menschen für mich waren. Einfach Leute. Ich war der Meinung, daß auch ihr Mentorianer zu dieser Einstellung gekommen wärt, nach all den Jahren des Zusammenlebens mit den Lhari.«

Langsam und verwundert bemerkte sie: »Wir haben zwar die ganze Zeit an ihrer Seite gearbeitet und mit ihnen gelebt, aber wir haben uns immer von ihnen ferngehalten. Ich habe die Lhari dir gegenüber stets verteidigt, doch erst du hast mir die Wesen verständlich gemacht.«

Sein Arm hielt sie immer noch umfaßt, ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Bart erwog gerade, sie zu küssen, als sich die Tür des Krankenzimmers öffnete. Ringg stand im Türrahmen und starrte sie überrascht, schockiert und mißbilligend an. Bart verstand nun, welchen Eindruck sie auf Ringg machen mußten – denn gewiß teilte er Metas Vorurteile. Doch während er sich noch in Gedanken damit beschäftigte, änderte sich Ringgs Gesichtsausdruck . Meta wand sich aus Barts Armen, und Ringg kam langsam ins Zimmer.

»Ich – ich dachte daran, daß dir die Delta-Phase zu schaffen macht«, meinte er, »und ich wollte nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Ich hätte es niemals geglaubt – doch jetzt habe ich langsam einen bestimmten Verdacht. Es war immer etwas Sonderbares an dir, Bartol.« Er schloß die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Seine Stimme sank beinahe zu einem Flüstern herab, als er sagte: »Du bist kein Lhari, stimmt’s?«

»Vorongil weiß es – « erwiderte Bart.

Ringg nickte. »Seit jenem Tag auf Lharillis. In der Besatzung gab es Gerede, aber nur einer oder zwei wissen, was geschehen ist. Es gibt eine Menge Gerüchte. Ich wollte dich besuchen. Ich habe gehört, daß du Strahlungsschäden davongetragen hast…«

»Stimmt.«

»Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung, oder?« Mit einer langsamen Bewegung hob er den Arm und deutete auf die Krallenspuren auf seinem Unterarm. Er sah Barts Blick und lächelte.

»Du machst dir doch keine Gedanken mehr über unseren Streit? Vergiß ihn, lieber Freund. Ich habe Hochachtung vor Leuten, die mit ihren Krallen umgehen können – besonders dann, wenn es nicht mal ihre eigenen sind, wie ich allmählich vermute.« Er beugte sich vor und legte seine Hand leicht auf Barts Schulter. »Ich vergesse nicht so leicht«, erklärte er. »Du hast mir das Leben gerettet, wie du weißt. Und hier auf dem Raumschiff giltst du als Held, weil du uns alle gewarnt hast. Bist du wirklich ein Mensch? Warum legst du deine Verkleidung nicht ab? Aber inzwischen ist es völlig egal, welcher Rasse du angehörst!«

Bart lachte gequält. »Sie läßt sich nicht ablegen«, meinte er und erklärte es ihm. Ringg betastete forschend sein Gesicht. »Was ich wohl für einen Menschen abgeben würde?« Er drehte seine Hände hin und her und beugte sich neugierig über Metas kleine Finger, um sie eingehend zu betrachten. »Also, mir fehlte dazu wahrscheinlich der Mumm. Daß du Mut hast, Bartol, ist für uns alle ja nichts Neues.«

»Sie – akzeptieren ihn?« fragte Meta, beinahe flüsternd.

»Es ist für mich ein Schock«, meinte Ringg offen. »Ich bin ein wenig verschreckt. Aber ich denke an unsere Freundschaft. Die war echt. Wir haben uns verstanden, wir waren Freunde. Weshalb sollte das jetzt anders sein?«

Bart war gerührt und beruhigt. Doch als er seinen Blick von Ringg zu Meta hinübergleiten ließ, wurde ihm eines klar: Das alles war von keinerlei Bedeutung, bis er nicht wußte, was Vorongil vorhatte – und was mit ihm geschehen würde.