Kapitel 1
Der Lhari-Raumhafen paßte nicht auf die Erde.
Schon damals, als er ihn zum erstenmal zu Gesicht bekommen hatte, war er dieser Ansicht gewesen. Zu jenem Zeitpunkt war er erst zwölf Jahre alt und erfüllt von Begeisterung über seinen ersten Besuch auf der Erde – der legendären Heimat der Menschen vor dem Raumfahrt-Zeitalter, dem Heimatplaneten von Barts Vorfahren. Sein erster Eindruck von der Erde, nach dem Verlassen des Raumschiffs, war der Lhari-Raumhafen gewesen.
Und in diesem Augenblick hatte er sich gedacht: er paßt nicht auf die Erde.
Das hatte er auch zu seinem Vater gesagt, und das Gesicht seines Vaters hatte einen eigenartig bitteren und in sich gekehrten Ausdruck angenommen.
»Viele Leute sind deiner Meinung, Bart«, hatte Captain Rupert Steele mit leiser Stimme erwidert. »Das Problem ist nur, daß wir ohne den Lhari-Raumhafen gar nicht hier wären. Denk daran.«
Bart dachte daran, fünf Jahre später, als er das Personenlaufband am Rande der Straße verließ. Er wandte sich zurück, um auf Tom Kendron zu warten, der gerade sein Gepäck von der mittleren Spur des Straßenlaufbands nahm. Bart Steele und Tom Kendron hatten tags zuvor gemeinsam ihr Abschlußdiplom an der Raumfahrt-Akademie der Erde erhalten. Tom, der auf dem neunten Planeten des Fixsterns Capeila geboren war, flog jetzt mit einem Lhari-Sternenkreuzer zu seiner fernen Heimat. Barts Vater kam mit dem gleichen Schiff zur Erde, um mit seinem Sohn zusammenzutreffen.
Fünf Jahre, dachte Bart. Ich bin neugierig, ob mich Paps erkennt.
»Kann ich dir was tragen helfen, Tom?«
»Ich komme schon zurecht«, grinste Tom und wuchtete den Plastikkoffer hoch. »Auf diesen Lhari-Schiffen ist ja nur wenig Gepäck erlaubt – jedenfalls bestimmt nicht mehr, als ich schleppen kann.«
Die beiden jungen Leute blieben kurz vor dem Eingang zum Raumhafen stehen. Über der hohen, spitz zulaufenden Pforte aus einem farblosen glasähnlichen Material befand sich ein gezacktes Symbol, das an einen Blitz erinnerte. Bart wußte, wie jeder andere auch, daß dies in der Sprache der Lhari das Schriftzeichen für ihre Heimatwelt war.
Sie gingen durch die spitze Glaspforte und hielten beide gleichzeitig einen Moment inne, um einen Blick auf den gewaltigen Lhari-Raumhafen zu werfen.
Hier war einst eine großflächige Wüstenlandschaft gewesen. Nun war das gesamte Gebiet mit einer seltsamen Substanz bedeckt, weder Glas noch Metall oder Beton. Es sah aus wie glitzernder Kristall, und in dem gleißenden Licht der Mittagssonne wurde der Glanz in Millionen Regenbogenschlitzen zurückgeworfen. Tom blinzelte; er legte zum Schutz die Hände vor die Augen und bemerkte durch seine gespreizten Finger: »Die Lhari müssen ja komische Augen haben, wenn sie dieses Gleißen aushalten!«
Hinter der gläsernen Pforte befand sich eine Barriere, und ein uniformierter Beamter gab jedem von ihnen eine dunkle Brille. Er sagte, wie er es schon viel zu oft in der letzten halben Stunde oder so getan hatte: »Setzt sie gleich auf, Jungs. Und schaut das Schiff bei der Landung nicht direkt an, selbst mit Brille.«
Tom schob sich die Bügel der dunklen Brille über die Ohren und seufzte vor Erleichterung. Bart betrachtete die Brille stirnrunzelnd, doch schließlich setzte er sie auf. Er konnte viel Helligkeit vertragen, denn er war auf dem dritten Planeten der Wega geboren worden, die die Erde an Helligkeit um ein Vielfaches übertraf. Und Barts Mutter war Mentorianerin gewesen – vom Planeten Mentor des Fixsterns Deneb, der tausendmal heller strahlte als die Erdensonne. Bart hatte ihre Augen geerbt. Doch die Mentorianer waren auf der Erde nicht beliebt, und Bart hatte gelernt, seine Mutter nicht zu erwähnen. Er setzte also die dunkle Brille auf; das Gleißen verlor sich in einem schwachen Glitzern.
Weit draußen im Zentrum des Raumhafens erhob sich ein riesiger Wolkenkratzer aus purem Glas, der das Sonnenlicht in Millionen Farben reflektierte. Kleine Hubschrauber und Robo-Taxis umflogen das Gebäude und entließen ihre Passagiere, und auf den Laufbändern herrschte eifriges Kommen und Gehen. Hier und da waren in der Menge die ungewöhnlich großen Gestalten der Lhari in ihren metallen schimmernden Umhängen zu erkennen.
»Wie war’s, wenn wir hinuntergingen?« Tom sah ungeduldig auf seine Uhr. »Der Sternenkreuzer landet in weniger als einer halben Stunde.«
»Na gut wir können das Band dort drüben nehmen.« Widerwillig riß Bart seine Augen los von dem faszinierenden Schauspiel und folgte Tom zu einem Laufband. Es trug sie eine lange Schräge hinunter zur untersten Ebene des Raumhafens und von dort aus rasch weiter zu dem gläsernen Wolkenkratzer, wo es vor den breiten, spitz zulaufenden Eingangstüren zum Stillstand kam und sie in die Menge entließ. Über den Türen war wieder der gezackte Blitz, begleitet von den Worten:
DIES IST DAS TOR ZU DEN STERNEN - AUFGETAN DURCH DIE GÜTE DER LHARI
Als sei es erst gestern gewesen, erinnerte sich Bart daran, wie er mit seinem Vater das erste Mal durch diese Pforte gegangen war. Hinaufblickend, hatte sein Vater mit leiser Stimme gesagt: »Nicht für ewig, mein Junge. Glaube mir, nicht für ewig. Eines Tages wird es eine wirkliche Pforte zu allen Sternen geben, und die Lhari werden nicht in der Tür stehen und sie nur einen Spalt offenhalten, so wie sie es jetzt tun.«
Im Innern des Gebäudes war es strahlend hell. Das imposante offene Rund war voll von Spiegeln und gleitenden gläsernen Rampen, Rolltreppen, irritierenden Schildern und blitzenden Lichtern, deren Sinn Bart nicht erfaßte. Es herrschte ein Gedränge von Menschen, die aus allen Ecken des Planeten stammten und die sämtlich dunkle Brillen trugen – mit Ausnahme der Lhari.
Tom sagte: »Ich muß mein Ticket abstempeln lassen.«
Bart nickte: »Wir treffen uns auf der obersten Etage!« Er betrat eine Rolltreppe, die nach oben führte, Stockwerk für Stockwerk, jedes angefüllt mit neuen interessanten Dingen, bis zum Informationsschalter im obersten Zwischengeschoß.
Die Rolltreppe glitt nur langsam aufwärts, und Bart hatte eine Menge Zeit, sich umzusehen.
Auf der Stufe unmittelbar über Bart standen zwei Lhari. Wenn sie ihm so den Rücken zuwandten, könnte es sich genauso gut um Menschen handeln; außergewöhnlich groß zwar und außergewöhnlich dünn, aber Menschen. Dann korrigierte er im Geiste diesen Eindruck. Die Lhari hatten alle zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf – insofern sahen sie wie Menschen aus. Ihre Gesichter bestanden aus zwei Augen, zwei Ohren, einer Nase und einem Mund. Aber damit war schon Schluß.
Sie hatten eine eigentümlich blasse silbergraue Haut und schlohweißes Haar, das zu Berge stand wie ein Federbusch. Unter elegant geschwungenen Augenbrauen lagen längliche, schrägstehende Augen; sie hatten eine hohe schmale Stirn, eine zarte, feingeschnittene Nase mit seltsamen vertikal geschlitzten Nasenlöchern; ihre Ohren waren lang und spitz, und ihnen fehlten die Ohrläppchen. Ihr Mund sah beinahe menschlich aus, auch die Zähne, aber ihr Kinn war viel spitzer als ein Menschenkinn. Auch die Hände konnten fast als Menschenhände durchgehen, wenn die langen dreieckigen Fingernägel nicht gewesen wären, die sich über die Fingerkuppen bogen wie die Krallen von Katzen. Sie trugen hautenge Kleidung aus seidig-metallenem Material und darüber lange silberglänzende Capes. Äußerst sonderbar und erdenfremd sahen sie aus – und wunderschön auf ihre Art.
Die unmittelbar vor Bart stehenden Lhari hatten sich leise in ihrer schrillen, zwitschernden Sprache unterhalten, die Bart mit ungewöhnlichem Geschick zu imitieren verstand. Nun, als das Stimmengewirr der Menge auf den oberen Etagen zunahm, hoben sie ihre Stimmen geringfügig, so daß Bart ihre Worte verstehen konnte. Es überraschte ihn ein wenig, festzustellen, daß er die Sprache der Lhari immer noch beherrschte. Er hatte jahrelang kein Wort vernommen – seit dem Tod seiner mentorianischen Mutter. Das Lauschen verursachte ihm keine Gewissensbisse. Die Lhari kämen nie darauf, daß er ihre Sprache verstand. Außer den Mentorianern konnte unter einer Million Menschen kein einziger mehr als auch nur ein Dutzend Lhari-Worte sprechen oder verstehen.
»Glaubst du wirklich, daß dieser Mensch die Stirn haben wird, mit dem Schiff hereinzukommen?« Er sprach das Wort Mensch wie eine üble Beleidigung.
»Kein vernunftbegabtes Wesen kann die Handlungen von Menschen vorhersagen,« meinte der zweite Lhari, dessen zerfurchtes, von tiefen Falten durchzogenes Gesicht ihn als den Älteren auswies, »und nur einige wenige können vorhersagen, was die Raumhafen-Behörden tun werden. Wenn uns die Nachricht nur früher erreicht hätte, dann wäre alles einfacher gewesen – jetzt läuft es vermutlich über ein Dutzend offizieller Stellen. Denk’ daran, daß uns lediglich eine Beschreibung vorliegt. Jeder kann es sein, und wir können es nicht riskieren, sämtliche Passagiere in Alarm zu versetzen, zumindest im Augenblick nicht. Wir wollen schließlich keine Unschuldigen belästigen. Wenn er das allerdings tun sollte, dann werden sich unsere Raumhafen-Behörden mit ihm befassen, das kannst du mir glauben.«
»Ich bin mir noch nicht im klaren, wie so etwas überhaupt passieren konnte«, zwitscherte der erste Lhari erregt, »oder wie ihm die Flucht gelingen konnte. Die gesamte Mannschaft dieses Schiffes sollte für vierzig Zyklen zum Flechtensammeln verurteilt werden!«
»Oh, sie sind bereits bestraft worden, Margil!« Der alte Lhari produzierte den leisen Pfeiflaut, der bei dieser Rasse Lachen bedeutete. »Glaub mir, so etwas wird auf keinem Lhari-Schiff mehr vorkommen.«
»Aber wenn die Sache publik würde, und sei es nur unter den Mentorianern, dann wäre das eine Katastrophe,« sagte der erste Lhari. »Was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist die Möglichkeit, daß er mit anderen Kontakt aufgenommen hat, bevor er an Bord ging – falls er an Bord ging. Diese idiotischen Stümper, die ihn entkommen ließen, können nicht einmal sicher sein – «
»Sprich hier nicht davon!« unterbrach der zweite Lhari in scharfem Tom. »Es gibt Mentorianer in diesem Getümmel, die uns verstehen könnten!« Er wandte sich plötzlich um und sah Bart genau ins Gesicht, und Bart hatte das Gefühl, als blickten die merkwürdig schrägstehenden grauen Augen durch ihn hindurch bis in sein Innerstes. In der Raumsprache sagte der Lhari: »Werr bisst du, jungerr Mann? Wass hasst du hierrr zu tun?«
»Mein Vater ist Passagier auf dem einlaufenden Schiff,« meinte Bart höflich. »Ich suche den Informationsschalter.«
»Dorrt oben«, sagte der alte Lhari mit einer Bewegung seiner Klauenhand; dann verlor er sein Interesse an Bart. In seiner eigenen Sprache sagte er zu seinem Begleiter: »Ich bedaure stets solche Vorfälle. Ich hege keinen Groll gegen die Menschen. Vermutlich hat auch dieser Weganer, den wir suchen, Abkömmlinge und eine Gefährtin, die sich über sein Verschwinden grämen werden.«
»Dann hätte er sich eben nicht in die Angelegenheiten der Lhari mischen sollen«, erklärte der Jüngere hitzig. Als die aufstrebende Rolltreppe das oberste Stockwerk erreicht hatte, verloren sie sich rasch im Gewimmel und entschwanden aus seinem Blickfeld.
Bart stieß einen bestürzten Pfiff aus, während er von der Rolltreppe trat und in Richtung Informationsschalter ging. Ein Weganer! Irgendein bedauernswerter Kerl von seinem Heimatplaneten hatte Stunk mit den Lhari, und nicht zuwenig! Er spürte ein kaltes unangenehmes Frösteln in seinen Eingeweiden. Der Lhari hatte mit einer Art Bedauern in der Stimme gesprochen, so als handele es sich um eine Fliege, die er totschlagen wollte. Früher oder später kam man nicht an der Erkenntnis vorbei: sie waren einfach nicht menschlich!
Hier auf der Erde konnte natürlich nicht viel passieren. Man würde den Lhari nicht gestatten, jemandem etwas zuleide zu tun. Doch dann erinnerte sich Bart an seine Vorlesungen über Universumsrecht. Die Lhari-Raumhäfen auf allen Planeten waren rechtmäßiges Hoheitsgebiet der Lhari. Sobald man sich an Bord eines Lhari-Schiffes begab, unterstand man automatisch der Gerichtsbarkeit ihres Weltreichs.
Tom stieg von einem Laufband herunter und gesellte sich wieder zu ihm. Er sagte: »Das Raumschiff wird pünktlich landen; sie sagten mir da unten, daß es vor wenigen Minuten Funkverkehr mit Luna City hatte. Sollen wir uns etwas zu trinken holen?«
Es gab einen Erfrischungsstand auf dieser Etage. Sie konnten sich zunächst nicht zwischen Orangensaft und einem Getränk entscheiden, dessen Name auf Lhari ganz schlicht »kalt und süß« bedeutete; sie beschlossen dann, dieses zu probieren. Der Name, so fand Bart, während er daran nippte, war sehr anschaulich: das Getränk war eiskalt, ungeheuer süß und unbeschreiblich wohlschmeckend.
Tom fragte: »Ob das wohl von den Lhari-Welten stammt?«
»Ich nehme an, es handelt sich um irgend etwas Künstliches.«
Tom starrte zögernd auf sein Glas. »Es wird uns doch vermutlich nicht schaden, oder?«
Bart lachte. »Sonst würden sie es doch hier nicht anbieten! Nein, nein; die Menschen ähneln den Lhari in vielen Dingen. Zum Beispiel nehmen sie die gleiche Nahrung zu sich. Sie atmen die gleiche Luft.« Ihre Körper waren für nahezu identische Schwerkraftverhältnisse geschaffen. Die Lhari waren Warmblütler – man konnte Lhari-Blut und Menschenblut nicht einmal voneinander unterscheiden, außer unter dem Mikroskop. Bei der schrecklichen Zerstörung des Orion-Raumhafens vor sechzig Jahren hatten die Mediziner festgestellt, daß menschliche Blutplasma für verletzte Lhari verwendet werden konnte und umgekehrt, obwohl reguläre Bluttransfusionen ein Risiko darstellten.
Und trotzdem waren die Lhari bei all ihrer Ähnlichkeit mit den Menschen einfach anders.
Bart labte sich an seinem Drink, wobei er sich in dem Spiegel hinter dem Erfrischungsstand betrachtete; er sah einen aufgeschlossenen Teenager, der älter als siebzehn wirkte. Er war muskulös und geschmeidig, dank fünf Jahren Sport und Akrobatik auf der Raumfahrt-Akademie; er hatte lockiges rotes Haar und graue Augen, und er war beinahe so groß wie ein Lhari. Wieder fragte er sich, mit einem winzigen Anflug von Aufregung, wird Paps mich erkennen? Ich war noch ein Kind, als er mich vor fünf Jahren hier zurückließ, und nun bin ich erwachsen.
Tom wandte sich ihm zu und grinste ihn an: »Was willst du jetzt machen, nachdem wir unsere sogenannte Ausbildung abgeschlossen haben?«
»Was glaubst du wohl? Mit Paps zur Wega zurückkehren, auf einem Lhari-Kreuzer, und in unserem Raumfahrtunternehmen WEGAPLANET mitarbeiten«, erklärte ihm Bart. »Weshalb hätte ich mich sonst mit Astrogation und Mathematik herumplagen sollen?«
»Du bist ein Glückspilz«, meinte Tom neidvoll, »dein Vater besitzt ein Dutzend Raumschiffe! Er muß doch fast so reich sein wie ein Lhari!«
Bart schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht«, erwiderte er. »Die interplanetarische Raumfahrt ist heutzutage Kleinkram. Alle wichtigen Handels- und Touristenlinien sind in den Händen der Lhari.«
Das war für alle ein wunder Punkt. Vor Jahrtausenden waren die Menschen von der Erde ausgeschwärmt, zunächst zu den Planeten, dann zu den näherliegenden Fixsternen, im Schneckentempo dahinkriechend in ihren Raumschiffen, die niemals Lichtgeschwindigkeit übertrafen. Sie hatten geglaubt, dies sei die absolute Grenze, und nichts im Universum könne sich über diese Grenze hinausbewegen. Man brauchte Jahre, um von der Erde zum nächsten Stern zu gelangen.
Aber sie hatten es geschafft. Von den näherliegenden Fixsternen aus hatten sie Kolonisierungsschiffe durch die gesamte Galaxis gesandt. Ein paar verschwanden und wurden niemals mehr entdeckt. Doch einige kamen durch, und in wenigen Jahrhunderten hatte sich die Menschheit über Hunderte von Sternen verbreitet.
Und dann kamen die Menschen zum erstenmal mit dem Volk der Lhari in Berührung.
Das Universum war gewaltig, mit zahllosen Millionen von Sternen. Es verwunderte nicht, daß die Lhari, die selbst erst seit einigen Jahrhunderten Raumfahrt betrieben, noch niemals mit Menschen zusammengetroffen waren. Sie waren begeistert, auf eine weitere intelligente Rasse gestoßen zu sein, und es war außerordentlich gewinnträchtig.
Handel und Ware der Menschen beschränkten sich zumeist noch auf die Planeten innerhalb des jeweiligen Sonnensystems.
Raumschiffe mit L-Beschleunigung, die zwischen den Fixsternen verkehrten, waren äußerst rar – und unerhört kostspielig. Die Lhari kannten jedoch den Delta-Antrieb, und damit veränderte sich alles – fast von einer Stunde auf die andere. Durch den vielhundertmal Lichtgeschwindigkeit übertreffenden Delta-Antrieb wurde die Jahre dauernde Reise zwischen Wega und Erde auf ungefähr drei Wochen reduziert, und das zu einem Preis, den sich jedermann leisten konnte. Die Menschheit war in der Lage, im gesamten Universum zu verkehren und Handel zu treiben – aber nur auf Gnaden der Lhari, mit Lhari-Raumschiffen. Die Lhari hatten ein absolutes, unantastbares Monopol in der interstellaren Raumfahrt. Bart sah Tom mit bitterem Lächeln an und sagte: »Die Lhari machen natürlich das ganze Geschäft. Sie sind die reichste und arroganteste Rasse im gesamten Universum!«
»Das ist der wunde Punkt«, meinte Tom. »Selbst wenn wir den Delta-Antrieb hätten, würde er uns nichts nützen. Die Menschen ertragen ihn nur unter Narkose.«
Bart nickte gedankenverloren. Die Lhari-Schiffe flogen innerhalb eines Sonnensystems mit normaler Geschwindigkeit, so wie die interplanetar verkehrenden Raumfahrzeuge. Dann, an den Grenzen des unendlichen leeren Raums zwischen den Sternen, wechselten sie zum Delta-Antrieb über; zunächst jedoch wurde jeder Mensch an Bord nach dem Kälteschlafverfahren in Narkose versetzt und somit sichergestellt, daß der Körper die Delta-Phase überstand.
Bart trank sein Glas leer und wandte den Kopf, um die Menschenmenge zu beobachten. Auf den unteren Etagen war nun eine gesteigerte Geschäftigkeit zu bemerken, eine hektische Hast, die ihm verriet, daß die Zeit knapp wurde. Ein hochgewachsener, imponierend aussehender Lhari schlenderte durch die Menge, strahlend in seinem metallisch-goldenen Umhang und dem engen Trikot; in respektvoller Entfernung folgten ihm zwei Mentorianer – stattliche, rotschöpfige Menschen mit metallischen Capes wie die der Lhari. Tom gab Bart einen Stups; sein Gesicht hatte einen bitteren Zug.
»Schau dir doch diese lausigen Mentorianer an! Wie bringen sie das nur fertig? Sie sind doch auch Menschen, genau wie wir, und sie benehmen sich wie Verräter! So vor dem Lhari zu katzbuckeln! Lhari-Sklaven!«
»So ist das ganz und gar nicht«, erwiderte Bart langsam. »Ich weiß es. Sicher erinnerst du dich, daß meine Mutter Mentorianerin war. Sie machte fünf Flüge auf Lhari-Schiffen mit, bevor sie meinen Vater heiratete. Und sie war nicht der Meinung, daß die Lhari so übel sind. Schließlich haben sie uns die Raumfahrt ermöglicht!«
Tom wirkte verlegen; er seufzte. »Vermutlich bin ich nur eifersüchtig«, gab er zu. »Wenn ich mir vorstelle, daß die Mentorianer als Mannschaften auf Lhari-Schiffen anheuern können, während du und ich niemals ein Raumschiff von Stern zu Stern steuern werden! Deine Mutter arbeitete bei den Lhari? Was hat sie gemacht?«
»Sie war Mathematikerin«, antwortete Bart zögernd. »Die Lhari machen Gebrauch von der menschlichen Mathematik. Aber du hast selbstverständlich in der Schule gelernt, daß sie vor ihrem Kontakt mit der Menschheit ein Navigationssystem benutzten, das so unhandlich war wie römische Ziffern. Man muß sie dafür bewundern. Und dir ist natürlich auch bekannt, daß sich das Sehvermögen der Lhari von unserem unterscheidet. Unter anderem sind sie farbenblind.«
»Farbenblind!«
»Genau«, meinte Bart. »Ihre Augen können keine Farben unterscheiden, lediglich Schattierungen von Schwarz oder Weiß oder Grau. Weißt du, die Menschen haben vor dem Raumzeitalter bestimmte Tiere benutzt, die gegenüber verunreinigter Luft wesentlich empfindlicher reagierten, und wenn sie umkippten, war es höchste Zeit für die Menschen, das Weite zu suchen! Genauso fanden es auch die Lhari ziemlich praktisch, einige Menschen in der Schiffsbesatzung zu haben, einfach deshalb, weil sie bestimmte Ausschnitte des Farbspektrums unterscheiden konnten. Außerdem verwenden sie natürlich die Mentorianer als Dolmetscher, wenn sie mit Menschen zu tun haben.«
Tom folgte den Mentorianern neidisch und mißgünstig mit den Augen. »In Wirklichkeit würde ich auch gern mit den Lhari fliegen, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte. Nur, um von Stern zu Stern zu reisen. Und du?«