19. KAPITEL
Der Miet-Landauer befördert seine drei übellaunigen Fahrgäste mühselig über den verschneiten Mond-und-Sterne-Boulevard. Ghurd, Makri und ich sitzen schweigend da, während der Kutscher sich vorsichtig einen Weg durch die vereisten Straßen sucht. Unser Phalanxdrill ist angesetzt. Das Wetter ist zwar viel zu schlecht, aber der Konsul hat entschieden, dass wir trotzdem weitermachen müssen. Makri ist unterwegs zu Lisutaris’ Villa. Die Zaubererinnung wird später auf dem Truppenübungsfeld erscheinen, und Makri muss ihren Dienst als Leibwächterin antreten. Sie hat ihre Waffen in einem Beutel auf ihrem Schoß liegen. Außerdem hat sie auch das Papier dabei, das ich bei Bewarius gefunden habe. Makri konnte einige dieser orkischen Zauberworte nicht übersetzen, aber da der Text anscheinend vom magischen Transport von Drachen handelt, sollte Lisutaris besser einen Blick auf den Wisch werfen.
Ghurd hat kaum ein Wort gesagt, seit wir in den Landauer gestiegen sind. Ich vermute, das liegt an seiner nächtlichen Auseinandersetzung mit Makri. Unser Landauer stoppt vor einer Straßensperre. Die Zivilgarde untersucht jede Kutsche. Sie suchen nach Herminis. Obwohl die Stadt sich längst in einem hysterischen Zustand befindet, ist dieser sensationelle Gefängnisausbruch keineswegs unbemerkt geblieben und stachelt die Fantasie der Öffentlichkeit an. Der Chronist weiß von einer bewaffneten Bande zu berichten, die von Zauberern unterstützt wurde und Herminis aus der Gefangenschaft befreit hat. Diese wird im Augenblick von jedem Zivilgardisten in der Stadt gejagt.
»Diesmal hast du mich wirklich reingeritten«, sage ich so leise zu Makri, dass Ghurd es nicht mithören kann.
»Kein Grund zur Besorgnis«, flüstert Makri zurück. »Lisutaris und Tinitis haben alles unter einem Verschleierungszauber verborgen.«
»Ich bin noch nicht bereit«, platzt Ghurd plötzlich heraus.
»Wozu?«
»Ich bin noch nicht reif für die Ehe!«, wiederholt er.
Ich finde nicht, dass dies jetzt der richtige Moment für eine Diskussion über dieses Thema ist, und antworte nicht. Aber Ghurd lässt nicht locker. Er packt meinen Ärmel.
»Du hast doch gesehen, wie Tanrose sich gestern Nacht auf Makris Seite gestellt hat. Wie sollen wir da heiraten? Warum hast du mir das eingeredet? «
»Was?«
Ghurd sieht mich vorwurfsvoll an. »Warum hast du mich dazu gezwungen, Tanrose einen Heiratsantrag zu machen? Ich bin noch nicht bereit.«
»Ich habe dich nicht…«
»Ich habe dir in der Schlacht von Ekinsbrog das Leben gerettet!«, knurrt Ghurd. »Und so dankst du es mir!«
Ich schüttle den Kopf. Er benimmt sich wirklich erbärmlich.
»Mach dir keine Sorgen. Wir sind ohnehin alle tot, bevor du vor den Altar treten kannst.«
»Und wenn nicht?«, fragt Ghurd. »Wenn ich den Krieg nun überlebe? Dann muss ich heiraten!«
»Ja, da ist keine glückliche Lösung in Sicht«, mischt sich Makri eisig ein. »Vielleicht solltest du Tanrose fragen, ob es ihr nicht genügt, wenn sie den Rest deines Leben für dich kocht und putzt und die Sache mit der Hochzeit einfach vergisst.«
»Sprich du nicht in diesem Ton mit mir!«, grollt Ghurd wütend. »Wie kannst du es wagen, in meiner Kaschemme heimlich Zusammenkünfte abzuhalten? Und Bier aus dem Keller zu stehlen?«
Makri sieht mich anklagend an. »Hast du ihm das etwa verraten?«
»Das brauchte er gar nicht!«, schreit Ghurd. »Glaubst du, ich habe keine Augen im Kopf? «
»Wenn du mich besser bezahlen würdest, könnte ich mir mein Bier selbst kaufen«, kontert Makri.
»Du bist gefeuert!«
»Fein. Ich kündige. Erinnere mich daran, dass ich deine ekelhafte Kaschemme nie wieder betrete.«
»Du darfst meine ekelhafte Kaschemme nie wieder betreten!«
Makri sieht mich böse an. »Du musstest natürlich herumlaufen und das herausposaunen, nicht wahr?«
»Ich und herausposaunen? Und das hältst du für schlimm?« Mein Ärger ist nicht ganz unberechtigt. »Nach diesem widerlichen Verhalten, das du in letzter Zeit an den Tag legst? Ich verfluche den unseligen Tag, als du in die Rächende Axt gekommen bist!«
Wir verfallen in brütendes Schweigen. Als der Landauer durch Thamlin fährt, steigt Makri an der Wahre-Schönheit-Chaussee aus. Hier wohnen die Zauberer. Sie verabschiedet sich nicht von uns. Wir wenden uns nach Osten zum Superbius-Tor. Aber wir bleiben bald in einer Horde Teilzeitsoldaten stecken, die ebenfalls zum Truppenübungsfeld unterwegs sind. Wir steigen aus und schließen uns dem Haufen an. Es schneit sehr stark und wir können kaum etwas sehen. Ein paar besonders ausgelassene Kerle in der Truppe versuchen, ihre Freunde mit aufmunternden Rufen aufzuheitern, aber die meisten Bürger trotten schweigend einher. Ganz gleich, was im nächsten Krieg passiert, viele dieser Männer werden den nächsten Sommer nicht mehr erleben.
In der Stadt kocht die Gerüchteküche über. Die Elfen können angeblich nicht lossegeln, weil alle jungen Elfen boahabhängig geworden sind. Die Simnianer kommen nicht, weil sie sich entschlossen haben, lieber ihre eigenen Grenzen zu verteidigen. Die Niojaner hätten eine Abmachung mit den Orks getroffen, Turai gemeinsam anzugreifen und sich anschließend die Beute zu teilen. Königin Direeva wäre angeblich ebenfalls eine Sonderabmachung mit den Orks eingegangen. Sie würde ihnen eine Schwadron ausgeruhter Drachen leihen, wenn die Orks dafür ihr Königreich unangetastet ließen.
Aber es kursieren nicht nur schlechte Gerüchte. Letzte Woche wurde spekuliert, dass Prinz Amrag bei einer Fehde getötet worden wäre, die von einigen übelwollenden Ork-Nationen angezettelt worden sein soll. Angeblich, weil das Blut des Prinzen von einem menschlichen Urahn verunreinigt wäre. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass an irgendeiner dieser Geschichten etwas Wahres ist. Und der Prinz hat bereits genügend unter Beweis gestellt, dass er in der Lage ist, jeden Widerstand gnadenlos zu brechen.
Vor den Stadttoren müssen wir einer Kolonne von Behördenkutschen Platz machen. Es ist der Konsul mit seinem Tross. Als er in seiner mit livrierten Dienern besetzten Kutsche an mir vorbeifährt, wird mir klar, wie erbärmlich es um meine Ermittlungen bestellt ist. Fast hätte ich den Konsul beschuldigt, an dem Mord an Präfekt Calvinius beteiligt gewesen zu sein. Wie konnte ich in Zeiten wie diesen nur einer solch abstrusen Idee nachgehen? Und selbst wenn ich einen Beweis dafür gehabt hätte, was sollte ich damit anfangen? In eine Sitzung des Kriegsrates platzen und den Konsul des Mordes bezichtigen? Wohl kaum. Im besten Fall wäre ich schlicht ignoriert worden. Und im schlimmsten Fall hätten sie sich meiner entledigt. Niemand interessiert sich im Moment für die Wahrheit hinter der Ermordung von Calvinius.
Noch mehr Bonzenkutschen verzögern unseren Marsch. Diesmal sind es Prinz Dös-Lackal und verschiedene Mitglieder des Kriegsrates. Heute ist ein großer Tag. Unsere gesamte Streitmacht versammelt sich auf dem Truppenübungsfeld.
Sobald ich vor dem Tor bin, beeile ich mich, zu meiner Phalanx zu kommen. Unsere Lanzen wurden auf Karren herangeschafft, und ich beaufsichtige meine Abteilung, während sie sich aufstellt. Die Lanzen ragen beinahe sieben Meter aus der Phalanx heraus. Als Korporal meiner Abteilung stehe ich in der dritten Reihe. In den beiden ersten Reihen stehen die jüngsten und kräftigsten Männer. Sie müssen große Schilde tragen und fangen die volle Wucht des feindlichen Angriffs ab. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dies nicht gerade der gemütlichste Ort auf dem Schlachtfeld ist. Als ich einige der inkompetenteren Soldaten meiner Abteilung anbrülle, mache ich das hauptsächlich deswegen, weil ich weiß, dass die jungen Männer in den ersten Reihen wie die Fliegen sterben, wenn wir unsere Aufgabe nicht ordentlich erledigen.
Ghurds Phalanx kann ich nicht sehen. Sie hat irgendwo links von uns Aufstellung bezogen. Ich bedauere, dass wir uns heute Morgen gestritten haben, zweifellos wird er heute Abend seine Angst vor einer Hochzeit überwunden haben. Oder zumindest wird er mir nicht mehr die Schuld daran geben. Ghurd und ich sind schon zu lange Kampfgefährten, als dass wir uns lange über so etwas streiten. Dafür haben wir einfach zu viel miteinander durchgemacht.
Senator Marius gibt einen Befehl, und die Zenturionen schreien uns an. Wir marschieren über das Feld, machen kehrt und kommen wieder zurück, mehr oder weniger in Formation. Wenigstens ist niemand hingefallen. Das ist schon ein Fortschritt. Wir schaffen es sogar, neben Prätor Raffius’ Phalanx Stellung zu beziehen, ohne in sie hineinzulaufen. Die Söldnerbrigaden haben mittlerweile das Stadion Superbius verlassen und beteiligen sich an den Übungen. Da sie jetzt mit ihren eigenen Manövern beschäftigt sind, haben sie keine Zeit mehr, uns zu verspotten. Ich höre, wie Viaggrax seine Leute anbrüllt. Dem jungen Toggalgax muss nach den Erlebnissen der letzten Nacht der Kopf zerspringen. Ich bin immer noch verärgert, dass Makri ihn in ihr Zimmer gelassen hat, auch wenn ich nicht weiß, warum eigentlich. Wie sie ganz richtig gesagt hat, geht mich das gar nichts an.
Nach einer Stunde Drill lässt uns Senator Marius in einer Reihe antreten.
»Bereitet euch für die Ankunft des Prinzen vor.«
Prinz Dös-Lackal trottet auf seinem Pferd heran. Es ist ein prächtiger Hengst, und der junge Prinz gibt in seinem glänzenden Kettenhemd und seinem vergoldeten Helm einen kolossalen Kriegsherrn ab. Er klappt das Visier des Helms hoch und spricht zu uns. Er ist ein guter Redner, und ich spüre, dass die Männer um mich herum bei seinen aufmunternden Worten Mut schöpfen. Ich selbst wäre noch etwas zuversichtlicher, wenn der Prinz jemals eine Armee in eine Schlacht geführt hätte. Wenigstens sieht er kompetent aus.
Nach seinen netten, aufbauenden Worten empfiehlt er uns nachdrücklich, nicht im Angesicht des Feindes zu wanken. In dem Moment wird er von trommelnden Hufen unterbrochen. Lisutaris, die Herrin des Himmels, prescht auf einer weißen Stute heran. Die Zauberin trägt ein Männerwams und eine Hose. Diese Kleidung habe ich seit dem letzten Krieg nicht mehr an ihr gesehen. Außerdem hat sie ein Schwert um ihre Taille gegürtet. Hinter ihr galoppiert Makri auf einem schwarzen Pferd. Sie trägt ihren leichten Panzer, den sie aus den Ork-Landen mitgebracht hat. Es ist ein schwarzer Lederharnisch, der sehr geschickt mit einem Kettenhemd verstärkt worden ist. Vom Rest der Zaubererinnung ist nichts zu sehen. Offenbar ist Lisutaris in aller Hast hergeeilt. Sie springt von ihrem Pferd und nähert sich dem Prinzen.
Ich bin nahe genug, dass ich die Unterhaltung mit anhören kann. Sie fängt nicht gerade gut an. Prinz Dös-Lackal zeigt wenig Respekt für Lisutaris’ Rang und erkundigt sich grob bei ihr, was sie denn hier zu suchen habe. Lisutaris informiert ihn, dass sie dringende Nachrichten für ihn hat. Der Prinz erwidert, dass ihre Nachrichten gefälligst warten können, bis er die Truppen zu Ende inspiziert hat. Lisutaris widerspricht und meint, so viel Zeit bliebe nicht. Schließlich schreien sie sich an. Dass sie dies vor der gesamten Truppe tun, ist eher ungewöhnlich.
»Ihr seid kein Mitglied des Kriegsrates mehr. Verlasst das Feld!«
»Ich gehe erst, wenn ich Euch von den neuesten Ergebnissen meiner Nachforschungen informiert habe.«
General Pomadius ist nach dem Prinzen der ranghöchste kommandierende Offizier. Er rutscht unbehaglich auf seinem Sattel hin und her. Ihm gefällt es gar nicht, dass sein Oberkommandierender Turais oberste Zauberin einfach wie eine unartige Zauberschülerin wegschickt. Und die Soldaten und Söldner quittieren das Verhalten des Prinzen mit unruhigem Gemurmel. Es ist nicht gut für die Moral, wenn sich unser Kommandeur und unsere Oberhexenmeisterin in aller Öffentlichkeit angiften. Schließlich ignoriert Lisutaris den Prinzen und wendet sich an General Pomadius.
»General, die Orks kommen. Und zwar sehr bald. Sie haben eine Armee nach Yall geschickt und marschieren trotz des Winters von dort auf Turai. Eine magische Intervention der Orks in unserer Stadt hat unsere Zauberer bisher daran gehindert, sie aufzuspüren. Schlimmer noch, sie haben gelernt, wie man Drachen durch Magie von einem Ort an den anderen transportieren kann. Sie könnten jeden Augenblick hier eintreffen.«
»Ihr habt doch sicher …«, beginnt der General, aber Prinz Dös-Lackal bringt ihn mit einer ärgerlichen Geste zum Schweigen.
»Ich verbiete Euch, mit dieser Frau zu sprechen. Lisutaris, wenn Ihr Euch nicht sofort zurückzieht, wird meine Garde Euch abführen.«
Makri steht mit den Pferden neben ihnen. Als der Prinz Lisutaris bedroht, greift Makri zu ihren beiden Ork-Schwertern. In diesem Augenblick taucht ein weiterer Reiter in dem Schneetreiben auf. Es ist Harmonius AlpElf, der nicht einmal seinen Umhang ordentlich angelegt hat. Er sieht aus wie ein Zauberer, der sich in aller Hast angekleidet hat. Und hinter ihm galoppiert wie der Teufel Chomenius der Fleischwolf, der seine übliche griesgrämige Miene aufgesetzt hat. Die Zauberer begrüßen als erstes respektvoll die Oberhexenmeisterin ihrer Innung.
»Wir haben Eure Nachricht erhalten und sind sofort herbeigeeilt. Die anderen treffen gleich ein.«
»Was soll das heißen?«, begehrt der Prinz auf. »Ihr beruft die Zaubererinnung ein, ohne mich vorher zu …? «
Chomenius wirft dem Prinzen einen bösen Blick zu und fällt ihm harsch in die Parade. »Habt Ihr etwa immer noch nicht auf Lisutaris’ Warnung reagiert? «
Drei weitere Reiter donnern heran. Ihre Pferde haben Schaum vor dem Mund. Zwei sind jüngere Mitglieder der Zaubererinnung. Anemari Donnerschlag zum Beispiel, die noch nie eine richtige Schlacht erlebt hat. Sie springt von ihrem Pferd und sieht sich aufgeregt um. Sie hat die Hände bereits erhoben, als erwarte sie, jeden Moment einen Drachen bekämpfen zu müssen. Als der alte Astral Trippelmond herantrabt, merkt man ihm deutlich an, wie froh er ist, wieder im Sattel sitzen zu dürfen. Bei seinem Anblick bekommt der Prinz einen Wutanfall.
»Wie könnt Ihr es wagen, meine Befehle zu missachten!«, brüllt er.
»Vielleicht sollten wir sie erst anhören!«, rät ihm General Pomadius. Er möchte sich zwar nur ungern gegen den Prinzen stellen, aber er ist viel zu klug, um die Zaubererinnung zu ignorieren.
»Sie anhören? Die Orks marschieren? Bei diesem Wetter?«
»Prinz Amrags Streitkräfte bestehen zum größten Teil aus Orks der nördlichen Gebirgsländer«, erklärt Lisutaris. »Sie sind an solche Wetterbedingungen gewöhnt.«
»Und sind sie auch daran gewöhnt, Drachen durch Zauberei zu transportieren, ja? Seht Ihr vielleicht hier irgendwo einen Drachen?«
»Allerdings«, antwortet Makri. »Da oben ist einer.«
Wir blicken hoch. Über einer dünnen grauen Wolke, und verdeckt durch das Schneetreiben, erkennt man gerade noch einen unheilvollen Schatten, der am Himmel kreist. Plötzlich gesellt sich ihm noch einer hinzu, und dann ein weiterer. Die Schatten werden deutlicher, als die Kriegsdrachen sich aus dem Himmel auf uns stürzen. Im selben Moment hören wir auf der Ostseite des Feldes Rufe, die bald in laute Schreie übergehen, denen das Klirren von Waffen folgt. Während sich die Drachen von oben auf uns stürzen, greifen orkische Truppen die linke Flanke unserer völlig überrumpelten Armee an.