9. KAPITEL

Die Beweise gegen Senator Lohdius sind zwar nicht sehr stark, aber sie könnten ausreichen, ihn an den Galgen zu bringen, falls nicht bald ein anderer Verdächtiger auftaucht. Laut Harrius sind die Nachforschungen der Regierungszauberer ergebnislos verlaufen. Die Mondkonstellation hat ihnen zwar erlaubt, in die Vergangenheit zurückzublicken, aber die Sicht war offenbar gerade ein wenig verstellt. Es waren zu viele Leute im Raum, als dass sie jede einzelne Aktion hätten klar erkennen können. Niemand kann sicher sagen, ob Lohdius das Gift in das Essen getan hat. Der Alte Hasius Brillantinius ist ein Meister der Vergangenheitsbesichtigung, aber trotz seiner Bemühungen hat er nicht den genauen Moment bestimmen können, an dem das Backwerk vergiftet worden ist. Zu viele Leute haben die Nahrung weitergegeben, und selbst die geschickteste Zauberei kann nicht jedes Detail jeder Bewegung von jeder Person in einem überfüllten Raum erfassen. Sollte Lohdius Gift in das Gebäck getan haben, kann das durch Zauberei jedenfalls nicht bewiesen werden.

Der Alte Hasius hat auch den Rest des Gebäcks untersucht. Natürlich hat er die Aura von Lohdius daran wahrgenommen, aber das beweist gar nichts. Lohdius behauptet ja nicht, er habe das vergiftete Essen nicht berührt. Er gibt sogar zu, dass er es Präfekt Calvinius gereicht habe, behauptet jedoch, er habe es einfach von dem Essenswagen genommen, ohne zu wissen, dass es vergiftet war. Auf dem Backwerk hat der Alte Hasius außerdem die Aura der Küchenangestellten aufgespürt, von Lohdius’ Assistenten, von Calvinius, von einem Senator, der das Gebäck in die Hand genommen, seine Meinung geändert und es dann auf den Wagen zurückgestellt hat, und verschiedener anderer, die bisher noch nicht identifiziert worden sind. Es ist überraschend, durch wie viele Hände dieses Backwerk gegangen ist, bevor es gegessen wurde. In Anbetracht der Begeisterung, mit der ich mich auf den Essenswagen gestürzt habe, ist es ein pures Glück, dass es mir nicht in die Finger gefallen ist.

Laut Harrius glaubt niemand im Justizdomizil, dass Lohdius dieses Gebäck zufällig in die Hände gefallen ist. Denn in diesem Fall müsste man davon ausgehen, dass das Essen willkürlich vergiftet und auf dem Essenswagen platziert wurde, so dass jeder Beliebige davon hätte nehmen können. Das ergibt keinen Sinn. Es sei denn, man möchte tatsächlich glauben, dass die Küchenbediensteten an diesem Tag besonders blutdürstig gewesen wären. So etwas scheint meist vollkommen sinnlos, es sei denn, man hakt etwas genauer nach. Und nur weil kein anderer Verdächtiger in Sicht ist, heißt das noch lange nicht, dass mein Klient schuldig ist.

Ich teile Harrius mit, man könnte auch eine andere logische Schlussfolgerung daraus ziehen, dass Senator Lohdius vergiftetes Gebäck auf seinem Teller vorfand: nämlich die, dass jemand ihn vergiften wollte. Harrius reagiert schockiert, jedenfalls tut er so.

»Die Traditionalisten vergiften ihre politischen Gegner nicht.«

Soweit ich weiß, stimmt das, aber ich würde nicht beschwören, dass sie nicht schon einige von ihnen mit anderen Mitteln aus dem Weg geräumt haben.

Das verwendete Gift war Karasin, das in unserer Gegend eher selten vorkommt. Es stammt von einer Pflanze, die weit im Süden wächst. Der Verzehr ist immer tödlich. Und es hat nur einen anderen Nutzen, so viel bekannt ist. Es dient als Bindemittel bei der Herstellung von buntem Pergament. Die Art Papier, welches Ladys benutzen, um ihren Liebhabern schweinische Briefe zu schreiben.

»Und das belastet Senator Lohdius schwer.«

»Warum?«

»Weil ihm die einzige Papierschöpferei in Turai gehört, die gefärbtes Pergament herstellt. Sie bildet eine der größten Quellen seines Reichtums.«

»Ach ja? Jeder hätte an Karasin kommen können.«

Das sieht Harrius anders. Senator Lohdius besitzt nach seiner Aussage das Exklusivrecht zur Einfuhr dieser Substanz. Dieses Privileg wurde Lohdius’ Vater verliehen, als die Familie sich noch nicht gegen die Traditionalisten gestellt hatte. Harrius ist von diesem Beweis ziemlich beeindruckt. Ich nicht.

»Also ist Lohdius der einzige legale Importeur von Karasin nach Turai. Und Backwerk, das mit Karasin versetzt war, hat Calvinius getötet. Das klingt so, als würde jemand versuchen, meinen Klienten mit einer List hereinzulegen.«

»Euer Klient hat das Gebäck selbst angeboten. Und er ist der einzige Importeur des Giftes.«

»Dann ist das eben eine gute List. Aber sie beweist seine Schuld trotzdem nicht. Was ist sein Motiv? «

»Das ungeheuerliche Verfahren, das Calvinius gegen ihn angestrengt hat«, sagt Harrius. Er ist offenbar sehr mit sich zufrieden.

Ich spitze die Lippen. Zugegeben, da ist dieses ungeheuerliche Verfahren.

»Seid Ihr mit den Einzelheiten vertraut?«, erkundigt sich Harrius.

»Schildert sie mir noch einmal in Kürze.«

»Präfekt Calvinius wollte Senator Lohdius anklagen, weil er ein Testament gefälscht haben soll. Der Verblichene, ein gewisser Comosius, ist letztes Jahr in Abelasi gestorben und hat ein gewaltiges Vermögen hinterlassen. Er war ein Cousin des Präfekten Calvinius und hat nach seinem Tod nicht diesen zu seinem Erben eingesetzt, wie der es als Oberhaupt der Familie zu Recht erwarten konnte. Stattdessen hat Senator Lohdius ein Testament vorgelegt, in welchem Comosius angeblich ihm seinen ganzen Besitz hinterlässt. Der Präfekt hat nun behauptet, bei diesem Testament handelte es sich um eine Fälschung, die auf Senator Lohdius’ Geheiß hin in Abelasi angefertigt worden wäre. Die Klage sollte vor Gericht verhandelt werden, und so lange blieb das Geld unangetastet. Allerdings ist der Fall mit Präfekt Calvinius’ Tod nunmehr zu den Akten gelegt, was bedeutet, dass Lohdius über das Geld verfügen kann. Ihr müsst zugeben, dass dies ein starkes Motiv ist und der Mordanklage erhebliche Glaubwürdigkeit verleiht.«

Ich gebe zu, dass dies eine Art Motiv ist. Die Fälschung von Testamenten, vor allem von Leuten, die in der Fremde sterben, ist kein neues Problem in Turai. Präfekt Calvinius wäre nicht der Erste, den man auf diese Weise um sein Geld betrogen hätte. Mir kommt es jedoch unwahrscheinlich vor, dass Senator Lohdius sich auf eine solche Affäre einlassen würde. Er muss doch wissen, dass die Behörden es auf ihn abgesehen haben. Warum sollte er ein solches Risiko eingehen? Er ist schließlich ein wohlhabender Mann.

»Senator Lohdius’ politische Kampagnen haben in den letzten Jahren tiefe Löcher in das Familienvermögen gerissen«, informiert mich Harrius auf meine diesbezügliche Bemerkung. »Ermittlungen des Justizdomizils haben ergeben, dass ihm das nötige Geld fehlt, um weiterzumachen.«

Ich verlasse das Justizdomizil mit einer Menge Stoff zum Nachdenken. Makri erwartet mich am Tor, und wir steigen wieder in den Miet-Landauer. Es scheint ihr nichts auszumachen, dass ich sie habe warten lassen. Sie hat in der Zwischenzeit die Architektur um sich herum studiert.

»Gewölbebögen? «

»Ein paar«, bestätigt sie. »Und viele andere Einzelheiten. Es ist merkwürdig zu sehen, dass der Palast und die angrenzenden Gebäude so wunderschön aussehen, ZwölfSeen dagegen so heruntergekommen ist. Warum mag die Bevölkerung den König eigentlich noch?«

»Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Wahrscheinlich, weil sie ihn schon immer mochte. Außerdem ist er ein Symbol der Nation.«

»Er macht es sich jedenfalls sehr gemütlich.«

»Das machen Könige immer.«

»Was hast du von Harrius erfahren? «

»Die magischen Beweise sind ungenügend, aber Präfekt Calvinius wurde mit einem Gift umgebracht, das nur Senator Lohdius nach Turai einführt. Außerdem wollte Calvinius Lohdius vor Gericht zerren, weil der angeblich ein Testament hat fälschen lassen, um sich damit beträchtlich zu bereichern. Lohdius braucht das Geld, weil er pleite ist. Und jetzt ist Calvinius tot, und Lohdius kann das Vermögen behalten.«

»Das sind starke Motive«, erklärt Makri.

»Hmpf.«

»Glaubst du, dass er unschuldig ist?«

»Natürlich ist er das. Schließlich ist er mein Klient.«

Makri bemängelt Schwächen in der Logik meiner Ausführungen, aber ich ignoriere ihren Einwand. Logik ist etwas für ihre Philosophiekurse. Wenn es um Klienten geht, verlasse ich mich lieber auf meine Intuition.

»Und diese Intuition sagt mir, dass Lohdius unschuldig ist.«

Makri sieht mir prüfend in die Augen. »Du lügst.«

Ich bin geschockt. Makri ist nicht raffiniert genug, um wissen zu können, wann ich lüge.

»Ich lüge nicht.«

»Tust du wohl. Aufgrund meiner sorgfältigen Beobachtung kann ich die Zeichen dafür erkennen.«

»Quatsch. Du musst noch eine Menge über Lügen in der zivilisierten Welt lernen. Meine Intuition sagt mir, dass Lohdius unschuldig ist. Und damit basta.«

Makri zuckt mit den Schultern. »Wie du meinst.«

Leider sagt mir meine Intuition einen feuchten Kehricht. Nach dem, was ich weiß, könnte Lohdius das Backwerk sehr wohl mit Karasin voll gestopft und es mit einem Lächeln auf den Lippen Calvinius gereicht haben. Ich hoffe einfach nur, dass er es nicht getan hat. Es gefällt mir überhaupt nicht, wenn sich meine Klienten als Mörder entpuppen. Das ist mir peinlich.

Auf der Fahrt nach Hause sinken die Temperaturen merklich. Ich fröstele und ziehe meinen Mantel enger um mich. Als ich die Außentreppe zu meinem Büro hinaufsteige, landen die ersten Schneeflocken sanft auf meinem Ärmel. Der Winter ist da. Bevor ich morgen Senator Lohdius besuche, muss ich meinen Mantel mit einem Wärmezauber imprägnieren.

Mit Rücksicht auf seine soziale Stellung wird der Senator nicht im Gefängnis schmachten müssen, während er auf seinen Prozess wartet. Er steht unter Hausarrest. Das mag zwar für einen Mann aus seinen Kreisen demütigend sein, aber es ist längst nicht so schlimm, wie monatelang im Kerker zu schmoren, möglichst noch in einer gemeinsamen Zelle mit einem gewöhnlichen Verbrecher. Die Justiz in Turai hat es zu einer hohen Kunst entwickelt, quälend langsam zu arbeiten, und es besteht eigentlich keine Gefahr, dass Lohdius vor Ende des Winters vor einen Richter treten muss. Die Vorverhöre werden normalerweise erst angesetzt, wenn sich das Wetter bessert. Allerdings ist es durchaus möglich, dass Konsul Kahlius eine Sondersitzung zu einem früheren Termin anberaumt, weil er versuchen möchte, den Fall schnellstens über die Bühne zu bringen. Lohdius hat viele Anhänger in Turai, und seine Parteigenossen werden sicher nicht gerade wohlwollend auf diese Entwicklung der Ereignisse reagieren. Der Konsul hofft sicherlich, dass das heraufziehende schlechte Wetter und der bevorstehende Angriff der Orks alle zivilen Unruhen unterbinden. Aber sicher kann er sich dessen nicht sein.

Weil ich mir ausrechne, dass unter diesen Umständen ein schneller Prozess vielleicht doch nicht ganz unwahrscheinlich ist, quäle ich mich am nächsten Morgen erheblich früher aus dem Bett, als mir eigentlich zuträglich ist. Ich mache mich daran, meinen Mantel mit dem Wärmezauber zu bearbeiten. Das ist eine der wenigen magischen Tätigkeiten, die ich noch bewerkstelligen kann. Da der turanianische Winter so grimmig ist, hat sich der Bann in den vergangenen Jahren als wahrer Lebensretter erwiesen. Danach verlasse ich meine Zimmerflucht, um Senator Lohdius, den Erzfeind des Konsuls, vom Verdacht des Mordes freizuwaschen.

Um eine solch frühe Stunde ist natürlich von einem Miet-Landauer nichts zu sehen, und ich muss den Mond-und-Sterne-Boulevard fast bis zu seinem Ende hinuntergehen, bevor ich eine Kutsche finde, die mich nach Thamlin bringt. Die Straßen sind bereits belebt, weil die Kaufleute unserer Stadt versuchen, aus den letzten paar Wochen, in denen sie noch ihrem Gewerbe nachgehen können, das Beste zu machen. Wenn der Winter erst richtig zuschlägt, kann man nur noch wenig Geschäfte tätigen. Die Schiffe kehren bereits zu ihren Winterliegeplätzen zurück, und ihre Kapitäne sind froh, dass sie es sicher in ihren Heimathafen geschafft haben, bevor die Stürme losbrechen. Bald werden auch die letzten Wagen mit Gütern aus dem Süden durch die Stadttore rollen. Danach wird Turai vom Land-und Seeweg aus unpassierbar sein. Und wenn das Wetter wirklich schlimm wird, kommt man sogar in Turai selbst nur schwer vom Fleck. Ich hege den Ehrgeiz, mir für jeden Winter genug Geld zurückzulegen, dass ich gar nicht arbeiten muss und meine Zeit vor dem lodernden Kaminfeuer in der Rächenden Axt verbringen kann, einen Krug Bier in der einen und ein Tablett mit Essen in der anderen Hand. Leider gelingt mir das nur sehr selten.

Für jemanden, der einer Anklage wegen Mordes entgegensieht, begrüßt Senator Lohdius den Mann, der in seinem Interesse ermittelt, nicht gerade sonderlich erfreut. Er ist deutlich weniger gastfreundlich als seine Frau und klärt mich sofort darüber auf, dass er nicht davon überzeugt ist, in mir den richtigen Mann für diesen Job vor sich zu sehen.

»Diese Angelegenheit gehört offensichtlich zu einer Intrige, welche die Traditionalisten gegen mich angezettelt haben, um mich zu diskreditieren. Und Ihr habt wohl kaum die notwendigen Beziehungen zur Senatorenkaste, um in diesem Fall gründlich ermitteln zu können. Außerdem schätze ich es nicht, dass Ihr eine Frau mit Ork-Blut in mein Haus geschleppt habt. Mein Schrein wird zur Zeit gerade von ihrer Anwesenheit gereinigt.«

Wie viele andere von Turais demokratischen Politikern ist auch Lohdius ein fürchterlicher Snob. Mit seinem kurzen grauen Haar und in seiner perfekt gefalteten Toga stellt er jeden Zentimeter den Senator dar. Sein Benehmen lässt außerdem keinen Zweifel daran, dass er seine Zeit lieber nicht in meiner Gegenwart verbringen würde.

»Ich wusste es auch nicht sonderlich zu schätzen, als Ihr mich letzten Winter erpresst habt. Also sind wir wohl quitt. Vielleicht möchtet Ihr mir jetzt einige Details über den Fall berichten?«

»Wenn ich es recht verstehe, seid Ihr meiner Frau von Vizekonsul Zitzerius empfohlen worden? Nicht gerade eine Empfehlung, sollte man meinen, die sie angesichts der Abneigung dieses Mannes gegen mich hätte wahrnehmen sollen. Steht Ihr auf seiner Lohnliste?«

Sein Verhalten verärgert mich zusehends. Ich erwarte zwar nicht, dass meine Klienten mich mögen, kein Detektiv mag es jedoch, wenn man ihn als Spitzel brandmarkt. Aber ich gebe nicht nach, weil seine Frau mich sehr höflich behandelt hat.

»Nein.«

»Das behauptet Ihr.«

»Was wollt Ihr damit andeuten?«

»Dass der Vizekonsul höchst erfreut darüber wäre, einen Informanten in meinem Haushalt zu platzieren, während er seine Anklage gegen mich zusammenzimmert.«

»Senator Lohdius, keine Summe Geldes würde mich dazu bringen, einen Klienten zu hintergehen.«

»Ihr behauptet, ein ehrenhafter Mann zu sein?« Der Senator lacht trocken. »Als ich Eure Dienste letzten Winter benötigte, schien es nicht so schwierig zu sein, Euch dazu zu bringen, meinen Wünschen nachzukommen.«

Ich muss mich zusammenreißen, um Senator Lohdius nicht an die Gurgel zu gehen. Ich habe das Geld seiner Frau genommen. Er ist mein Klient. Ich unternehme einen letzten Versuch: »Vielleicht möchtet Ihr mir einige Einzelheiten über das Testament mitteilen? Ich meine das, wegen dem Euch Calvinius anklagen wollte.«

Lohdius’ Züge verhärten sich. »Ihr werdet in dieser Angelegenheit nicht ermitteln.«

»Das muss ich. Sie gehört zu dem Fall.«

»Ich sage Euch noch einmal, dass Ihr Eure Nase nicht da hineinstecken werdet.«

»Leider bleibt mir nichts anderes übrig. Ihr habt eine Mordanklage am Hals, Senator Lohdius. Wenn ich der Sache auf den Grund gehen soll, darf ich keinen Teil der Geschichte auslassen.«

»Zweifellos wird der Vizekonsul sehr erfreut sein, wenn er alle Einzelheiten dieser Angelegenheit erfährt, die Ihr mir entlocken könnt«, höhnt Lohdius.

Die Unterstellung, dass ich insgeheim für den Vizekonsul arbeite, beleidigt mich wirklich sehr. »Ihr seid ein Narr, Lohdius. Ihr werdet vielleicht hängen, und ich bin die einzige Person in der Stadt, die das verhindern kann.«

»Ihr seid vor allem ein Mann«, gibt Senator Lohdius zurück, »der einer Anklage wegen Feigheit vor dem Feind und Desertion entgegensieht.«

»Was?«

»Was ein ausgezeichneter Grund für Euch wäre, für Zitzerius zu arbeiten. Zweifellos hat er Euch versprochen, die Anklage fallen zu lassen, wenn Ihr mich ausspioniert.«

Ich überbrücke geschwind die drei Schritte, die uns trennen, und versetze Lohdius einen Stoß, hinter den ich mein ganzes Gewicht lege. Der Senator segelt gegen die Wand und sackt daran zu Boden. Er springt jedoch rasch auf, das Gesicht vor Wut verzerrt.

»Wie könnt Ihr wagen, Hand an mich zu legen?«

»Ihr seid ein Glückspilz. Wärt Ihr nicht mein Klient, hätte ich Euch den Kopf vom Rumpf geschlagen.«

Ich marschiere hinaus und gehe nach Hause. Ich bin wütender als ein angeschossener Drache. Als ich auf dem Mond-und-Sterne-Boulevard mit einem Händler wegen eines Miet-Landauers in Streit gerate, schubse ich den Mann rücksichtslos zur Seite. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich eines derartig ekelhaften Verrats beschuldigt worden bin. Lohdius hat Glück, dass ich ihn nicht durch die Mangel gedreht habe. Ich hülle mich enger in meinen warmen Mantel und starre aus dem Fenster der Kutsche. Es schneit leicht. Der Wind bläst aus dem Osten. Zum ersten Mal kann ich beinahe spüren, wie sich die Ork-Truppen massieren. Meine magischen Fähigkeiten waren zwar niemals besonders stark, aber die Ausbildung hat meine Intuition verstärkt, jedenfalls rede ich mir das ein. Ich fühle, wie die Orks ihre Armeen aufstellen.

Und ich frage mich, ob in eben diesem Moment vielleicht ein Detektiv über die Straßen von Prinz Amrags Königreich irrt und versucht, einen orkischen Aristokraten von einer Mordanklage reinzuwaschen. Das bezweifele ich. Makri ist eine der wenigen Menschen in Turai, die wirklich Erfahrung mit der orkischen Gesellschaft hat. Und sie behauptet, dass ihre Zivilisation keineswegs so primitiv ist, wie wir Menschen uns gern weismachen. Vielleicht hat sie Recht. Trotzdem habe ich noch nie etwas von einem orkischen Detektiv gehört. Falls eine solche Kreatur dennoch existiert, hat sie mein volles Mitgefühl.

»Wie ist es beim Senator gelaufen?«, erkundigt sich Ghurd, als ich an den Tresen trete und meine Hand nach einem erfrischenden Krug Bier ausstrecke.

»Ich habe ihn zu Boden geschlagen.«

»Nein, ich meine deinen Klienten.«

»Von dem rede ich.«

Ghurd sieht mich verwirrt an.

»Ich glaube nicht, dass du so etwas tun solltest.«

»Es wird gewöhnlich nicht empfohlen«, gebe ich zu. »Aber manche Klienten muss man sich erst zurechtstutzen.«

»Bei uns im Norden hatten wir ja keine Detektive«, gibt Ghurd zu. »Allerdings hatten wir auch keine hohe Kriminalität. Bis auf eine gestohlene Scheibe Seehundspeck aus dem Nachbardorf, ab und an.« Ghurd seufzt. »Ich glaube nicht, dass ich mein altes Dorf noch einmal wiedersehen werde.«

»Warum denn nicht?«

»Komm schon, Thraxas, wie hoch stehen die Chancen, dass einer von uns diesen Krieg überlebt?«

Makri taucht im Schankraum auf. Sie trägt ihre normale Kleidung, ein kurzes Männerwams. Und wird von Marihana und einer Frau begleitet, die ich nicht kenne. Sie steigen die Treppe hinauf, ohne uns auch nur eines Blickes zu würdigen.

»Findest du nicht, dass sie verstohlen wirken?«, frage ich Ghurd.

»Ich glaube nicht.«

»Auf mich haben sie jedenfalls verstohlen gewirkt. Ich traue Marihana nicht. Jedes Mal, wenn sie mit Makri zusammensteckt, passiert irgendwas Schlimmes.«

»Du meinst ein Meuchelmord?«

Ich schüttele den Kopf. »Marihana würde an ihrer Genossenschaftsarbeit niemanden teilhaben lassen. Aber eben etwas anderes Schlimmes.«

Ghurd nickt. »Wo ich herkomme, würde eine Frau wie Marihana nicht herumlaufen und Leute umlegen. Sie wäre zu Hause und würde Seehundschwarte kochen.«

»Und das wäre auch gut so. Turai könnte viel von deinem Dorf lernen, Ghurd.«

Ich frage mich, was Makri vorhat. Ich weiß, dass sie Marihana nicht das Lesen beibringt. Die kleine Meuchelmörderin ist eine gebildete Frau. Seit diese Senatorenwitwe Herminis zum Tode verurteilt worden ist, benimmt Makri sich merkwürdig.

»Glaubst du, dass sie Geld für eine Berufung sammeln?«

»Wer?«

»Die Vereinigung der Frauenzimmer.«

Allein die Erwähnung des Namens ruft ein Stirnrunzeln bei Ghurd hervor.

»In dieser Kaschemme sollte sie lieber kein Geld für diese Organisation sammeln.«

Nur wenige Männer in Turai hegen Sympathien für die Vereinigung der Frauenzimmer. Der König mag sie nicht, der Konsul mag sie nicht, und der Senat lehnt sie in seltener Einmütigkeit ab. Kaschemmenbesitzer und Detektive entwickeln ebenfalls nur sehr wenig Solidarität für sie.

»Herminis hat ihren Ehemann getötet«, erkläre ich. »Was erwarten sie von der Stadt? Dass sie ihr einen Orden dafür verleihen?«

»Das wäre skandalös«, stimmt mir Ghurd zu und schüttelt den Kopf. »Sie hat den Strang verdient.«

»Natürlich hat sie das.«

»Aber erst letzten Monat hat man Senator Divianus gestattet, ins Exil zu gehen, nachdem er seine Frau die Treppe hinuntergestoßen hat.« Tanrose ist unvermutet neben uns aufgetaucht.

»Das war etwas völlig anderes«, erklärte ich. »Divianus war ein Kriegsheld.«

»Und?«

»Man kann keine Kriegshelden exekutieren. Das hinterlässt einen schlechten Eindruck in der Stadt. Vor allem, wenn die Orks vor der Tür stehen.«

»Diese ganze Angelegenheit ist eine schreckliche Heuchelei«, erwidert Tanrose und sieht Ghurd an.

»Das habe ich Thraxas auch gesagt«, stimmt Ghurd ihr hastig zu. »Ich sagte, dass wir in meinem Dorf die Frauen viel besser behandeln.«

Mir verschlägt es die Sprache über Ghurds schändlichen Verrat. Tanrose legt ihm den Arm um die Schultern.

»Thraxas, du solltest dir ein Beispiel an Ghurd nehmen. Du bist zu eingefahren in deine alten Sichtweisen. Die Stadt verändert sich.«

Jetzt habe ich aber genug. Ich trage mein Bier zum Tisch vor dem Kamin und setze mich, um über meine Ermittlungen nachzugrübeln. Es ist ein sehr bequemer Stuhl. Nach einigen Sekunden des Grübelns schlafe ich ein.