2. KAPITEL

Als es Abend wird, verlässt Ghurd den Platz neben mir und hilft, die Trinker zu bedienen, die in die Kaschemme strömen. Nachdem sie ihre Schichten am Hafen, in den Lagerhäusern, den Schmieden oder den Gerbereien beendet haben, ziehen es viele vor, sich mit einem oder zwei Bier zu stärken, bevor sie in ihre Behausungen zurückkehren. Normalerweise handelt es sich dabei um schlecht gebaute, zugige und feuchte Baracken. Gemütlich ist es dort auf keinen Fall. Ihre Familien leben eingepfercht in zwei kleinen Zimmern, und die örtliche Wasserversorgung funktioniert nie ganz zufriedenstellend.

Jedes Jahr zur selben Zeit verspricht der König, dass sich die Lebensbedingungen für die ärmeren Einwohner Turais bald verbessern werden. Der Konsul gibt uns dasselbe Versprechen in einer ausgefeilten Rede vor dem Senat. Und unser örtlicher Präfekt Drinius stimmt nur zu gern in diesen Chor mit ein. Aber trotzdem verändert sich nichts. Turai ist in den letzten zwanzig Jahren sicherlich reicher geworden, aber bis nach ZwölfSeen sickert nur sehr wenig von all dem Wohlstand durch.

Ich nehme zwei Bier und einen Teller Eintopf mit hinauf auf mein Zimmer. Wie immer ist der Eintopf eine Enttäuschung. Tanrose hatte ein Händchen für Eintopf. Es war eine Gabe, vielleicht sogar ihre Berufung. Die neue Köchin hat den Bogen jedenfalls noch nicht raus. Draußen auf der Straße herrscht der übliche Krach. Straßenhändler nutzen das schöne Wetter und bemühen sich nach Kräften, ihre Waren unter die Leute zu bringen. Sie hoffen, noch genug zu verdienen, damit sie den harten Winter überstehen, der uns in etwa einem Monat heimsuchen wird. Noch ein Grund, nicht allzu fröhlich aus der Wäsche zu schauen. Der Winter in Turai ist die reinste Hölle. Makri hat Recht. Es war verrückt, ausgerechnet hier eine Stadt zu gründen. Ein guter Hafen ist schließlich nicht alles.

Jemand klopft an meine Tür, an diejenige, von der eine Treppe direkt auf die Straße nach draußen führt. Ich überlege, ob ich öffnen soll. Eigentlich sollte ich das tun. Es könnte ein Klient sein. Auf der anderen Seite bin ich müde und mit reichlich Bier abgefüllt. Ein Nickerchen auf dem Sofa scheint mir die bessere Alternative zu sein. Sollen sich die Leute mit ihren Problemen an die Zivilgarde wenden. Dafür sind die schließlich da. Doch das Klopfen setzt wieder ein und wird diesmal von einer durchdringenden Stimme untermalt.

»Thraxas, öffnet diese Tür.«

Die Stimme kenne ich. Sie gehört Harrius, dem Assistenten von Vizekonsul Zitzerius. Diesen Besucher kann ich bedauerlicherweise nicht ignorieren. Ich reiße die Tür auf und bedenke den jungen Burschen, der davor steht, mit einem finsteren Blick.

»Was wollt Ihr?«

»Ich komme in einer offiziellen Angelegenheit.«

»Na und?«

Ich lasse ihn trotzdem herein. Ich habe nichts gegen Harrius, außer dass er jung und glatt rasiert ist und auf ein sorgenfreies Leben als Senator zusteuert. Das werfe ich ihm wirklich vor.

Harrius führt seine offizielle Toga spazieren. Er sieht gut aus, und seine Zähne schimmern in einem Weiß, dessen Schattierung einige Nuancen strahlender ist als alles, was in ZwölfSeen normalerweise gefletscht wird.

»Wenn Zitzerius einen Auftrag für mich hat, sagt ihm, dass er mich diesmal aber besser bezahlen muss.«

»Der Vizekonsul hat Euch für alle Dienste, die er je in Anspruch genommen hat, stets angemessen entlohnt«, gibt Harrius zurück. Sein Blick streift kurz die Unordnung in meinem Büro. Das ärgert mich.

»Wollt Ihr ein Bier?«

»Nein.«

»Was wollt Ihr dann?«

»Zitzerius hat mich beauftragt, Euch zu einer Besprechung morgen einzuladen.«

»Tut mir Leid. Ich hege zur Zeit nicht den geringsten Wunsch, an irgendwelchen Besprechungen teilzunehmen.«

»Aus welchem Grund?«

»Weil die letzte Terrine Eintopf wirklich unterdurchschnittlich gewesen ist. Außerdem sehe ich mich einem Verfahren wegen Feigheit vor dem Feind gegenüber. Also bin ich im Augenblick nicht scharf darauf, der Stadt mal wieder aus der Patsche zu helfen.«

»Es ist eine offizielle Einladung«, erklärt Harrius.

»Gibt es da was zu essen?«

»Ich kann mir vorstellen, dass Erfrischungen gereicht werden.«

»Schickt Ihr mir eine Kutsche?«

Harrius ist ein junger Mann, der durchaus in der Kunst des Taktes und der Diplomatie bewandert ist. Und als Adjudant des Vizekonsuls hat er bereits beachtliche politische Geschicklichkeit entwickelt. Aber aus irgendeinem Grund scheint er jetzt ungeduldig zu werden.

»Seid Ihr nicht in der Lage, die kurze Strecke aus eigener Kraft zurückzulegen?«

»Könnte sein. Wird Zitzerius zulassen, dass diese Anklage gegen mich weiter verfolgt wird?«

»Diese Anklage gegen Euch, Thraxas, geht das Büro des Vizekonsuls nichts an. Wenn eine solche Anschuldigung erhoben wird, muss sie vor Gericht entschieden werden, dass wisst Ihr sehr wohl.«

»Klar weiß ich das. Und ich weiß auch, dass es nichts mit der Anklage zu tun hat, dass ich für diese elende Stadt x-mal mein Leben riskiert habe. Was will Zitzerius von mir?«

»Das wird alles auf der Konferenz erklärt.«

»Konferenz? Etwa mit anderen Leuten? Zitzerius will mich nicht einfach nur anheuern, damit ich irgendeinen Skandal vertusche, in den einer seiner korrupten Senatorenkumpel getappt ist?«

Harrius runzelt die Stirn. Jetzt gehe ich ihm wirklich auf die Nerven, und schon fühle ich mich etwas besser.

»Es ist eine offizielle Konferenz. Im Büro des Konsuls.«

»Im Büro des Konsuls?«

Das überrascht mich. Zitzerius, der Vizekonsul, hat mich gelegentlich zu sich bestellt, wenn er meine Hilfe in einem Fall benötigte, der nicht für die Untersuchungen der führenden Ermittler geeignet war, die in den vornehmeren Vierteln herumschnüffeln. Es kommt jedoch nur selten vor, dass ein einfacher Bürger wie ich in die Gemächer von Konsul Kahlius bestellt wird. Schließlich ist der Konsul der ranghöchste Bonze Turais.

»Bitte findet Euch gegen Mittag dort ein.«

Nachdem Harrius seiner Meinung nach genug Worte mit einem stattlichen, wütenden Detektiv gewechselt hat, verabschiedet er sich abrupt. Ich marschiere schnurstracks zu meinem Sofa, aber noch bevor ich dort aufschlage, stürmt Makri durch die andere, innere Tür herein.

»Wie oft habe ich dich schon gebeten, gefälligst anzuklopfen?«

Makri zuckt mit den Schultern. Sie scheint sich einfach nicht an die zivilisierte Sitte gewöhnen zu können, dass man an geschlossene Türen vor dem Eintreten anklopft. Eigentlich sollte mich das nicht überraschen. Obwohl Makri schon zwei Jahre in dieser Stadt lebt, kann sie immer noch nicht mit Messer und Gabel umgehen.

»Was wollte Harrius von dir?«

Ich nehme die leere Terrine vom Tisch und schwenke sie durch die Luft.

»Siehst du das hier? Der Eintopf war in jeder Hinsicht ungenügend. Geschmack, Beschaffenheit, Aussehen. Alles Mist. Und weißt du, warum? Ich sage dir, warum. Weil nicht Tanrose ihn gekocht hat. Und warum nicht? Weil du ihr geraten hast, die Kaschemme zu verlassen.«

Makri weigert sich beharrlich, die Wahrheit meiner Worte anzuerkennen. Sie behauptet nach wie vor, sie habe Tanrose nur geraten, sich einfach eine Weile Zeit für sich zu nehmen, um ihre Beziehung zu Ghurd zu überdenken. Makri hatte nicht erwartet, dass Tanrose einfach packt und verschwindet. Seitdem habe ich während vieler unbefriedigender Mahlzeiten den Tag verflucht, an dem eine axtschwingende Barbarin wie Makri auf die wahnwitzige Idee gekommen ist, sie besäße die nötige Qualifikation, irgendjemandem einen persönlichen Rat zu geben.

»Wann hörst du endlich auf, mir das vorzuhalten?«, protestiert Makri. »Ich vermisse Tanrose auch. Es ist schon schlimm genug, dass Ghurd und du so mürrisch herumlaufen, wie ein Paar niojanische Huren, aber ich habe jetzt auch niemanden mehr, mit dem ich zum Beispiel über meine Mo…«

Ich hebe die Hand. »Bitte! Wenn sich unser Gespräch auch nur in die Nähe von irgendwelchen intimen weiblichen Körperfunktionen bewegt, will ich nichts weiter hören. Ich habe mich vom letzten Mal noch nicht erholt.«

»Gut«, sagt Makri und lässt sich in meinen einzigen gemütlichen Sessel fallen. »Und was wollte nun Harrius?«

Vor noch nicht allzu langer Zeit hätte ich meine Angelegenheiten niemals mit irgendjemandem besprochen. Diskretion ist für einen Detektiv lebenswichtig. Aber im Laufe der ungefähr zwei Jahre, die Makri jetzt die Stadt unsicher macht, hat sich beinahe unmerklich die Gewohnheit bei mir eingeschlichen, ihr von meinen Fällen zu erzählen. Manchmal weigere ich mich zwar, aber normalerweise macht es mir nichts aus. Makri ist diskret, vertrauenswürdig und, was das Wichtigste ist, die mörderischste Kämpferin, die jemals ihren Fuß nach Turai setzte. Mehr als einmal in den verflossenen zwei Jahren war ich heilfroh, Makris Schwert oder Axt an meiner Seite zu wissen. Ihr gegenüber würde ich das allerdings niemals zugeben. Makri gibt immer mächtig damit an, dass sie die unbesiegte Champion-Gladiatorin der Orks gewesen ist, und ihr Ego bedarf keiner weiteren Aufplusterung meinerseits.

»Er hat mich zu einer Konferenz bestellt. Ins Büro des Konsuls, was höchst ungewöhnlich ist.«

»Steckst du in der Klemme?«

»Wahrscheinlich. Obwohl Harrius eigentlich nicht diesen Eindruck vermittelt hat.«

»Vielleicht will man dir wieder einen Posten andienen«, spekuliert Makri.

»Das ist wohl eher unwahrscheinlich.«

»Du bist immerhin Tribun gewesen.«

Stimmt. Das war ich. Formal gesehen bin ich das sogar immer noch. Im letzten Winter wurde ich von Zitzerius zum Tribun des Volkes ernannt. Das war die einfachste Möglichkeit, mir den öffentlichen Status zu verleihen, um Zugang zum Konvent der Zauberer zu bekommen. Wie sich herausstellte, verfügt ein Volkstribun über beträchtliche Macht.

Bei einer Gelegenheit habe ich Prätor Raffius sogar daran gehindert, Bewohner einer seiner Mietkasernen in ZwölfSeen an die Luft zu setzen. Der Prätor ist einer der reichsten Männer Turais und war alles andere als erbaut über meine Einmischung.

Meine Amtszeit ist nun beinahe abgelaufen, und ich kann nicht behaupten, dass es mir Leid täte. Der Posten war alles andere als gemütlich, und vor allem war er ehrenamtlich. Alles, was ich als Tribun getan habe, hat mich unweigerlich in Schwierigkeiten gebracht. In unserer Stadt ist Politik ein gefährliches Geschäft, vor allem für einen Mann, der keine Partei hinter sich weiß, die ihn unterstützt. Ich habe meine Macht als Tribun seit einiger Zeit nicht mehr eingesetzt und habe auch nicht vor, es zu tun.

»Ich langweile mich«, erklärt Makri.

»Es kann einem ziemlich zusetzen, wenn man wegen eines Elfen unglücklich ist.«

»Ich bin auch unglücklich wegen des Elfen. Aber außerdem langweile ich mich. Meine Hochschule ist für eine Woche geschlossen. Wegen irgendwelcher alberner Ferien. Wofür brauchen die denn Ferien?«

»Wahrscheinlich müssen sie sich davon erholen, dass sie dich unterrichten. Musst du nicht irgendwelche Bücher oder Schriftrollen studieren?«

»Ich habe schon alle gelesen«, behauptet Makri.

Offenbar hat sie bereits ziemlich weit vorgearbeitet. Die Energie dieser Frau kann einem unheimlich werden. Sie liest ihre Schriftrollen, geht zur Kaiserlichen Bibliothek, besucht Vorlesungen und reißt dazu noch ihre Schichten als Kellnerin in der Rächenden Axt ab, um das alles bezahlen zu können. Nicht zu vergessen ihre Waffenübungen. Einmal am Tag bebt der kleine Hinterhof hinter Ghurds Kaschemme von Makris Kampflärm, wenn sie mit ihrer Schwerter-Sammlung, ihren Äxten, Messern, Wurfsternen und was auch immer sie in ihrem Waffenarsenal hat, irgendwelche Ziele malträtiert. Für eine Frau, die sich wegen eines langweiligen Elfendramas vor Begeisterung beinahe überschlagen kann, legt sie erstaunlich viel Wert auf das Training ihrer Kampfkünste.

Natürlich war ich auch ein Schwertkampfchampion, damals, als ich noch jünger war. Aber deswegen gehe ich noch lange nicht überall damit hausieren. Ich hatte einfach ein natürliches Talent dafür.

»Weißt du keine Verbrecher, die ich bekämpfen könnte?«

»Dazu, Makri, müssten sie ja erst einmal ein Verbrechen begehen. Und im Moment ist das Geschäft eher ruhig.«

»Willst du nicht noch einmal den Feenhain besuchen?« Makris Frage kommt ziemlich unerwartet.

»Das ist ein sehr langer Ritt«, erwidere ich ausweichend.

Makri und ich haben einmal im Laufe eines Falles den Feenhain besucht, doch seitdem gab es keinen Grund mehr, noch einmal dorthin zu reisen. Makri seufzt. Ihr hat es dort gefallen, und die magischen Kreaturen des Hains schienen sie ebenfalls zu mögen. Und das, obwohl es angeblich keinem Wesen mit Ork-Blut möglich sein soll, den Hain zu betreten. Die Feen konnten gar nicht genug von ihr bekommen, und Makri musste sich die Kentauren ziemlich rüde vom Leib halten. Kentauren sind von Natur aus sehr lüsterne Kreaturen.

Makri scheint niedergeschlagen.

»Ich kann im Moment nicht mal frei nehmen, weil ich das Geld brauche, um die Gebühren für die Bibliothek zu bezahlen. Weißt du, als ich damals all diese Orks niedergemacht habe und nach Turai geflüchtet bin, um mich hier weiterzubilden, habe ich nicht erwartet, dass es so teuer werden würde.«

Turai ist allerdings berühmt für sein Bildungswesen, aber fast alle Studenten auf den Institutionen sind Söhne der oberen Klassen, deren Väter sich die Gebühren der Kaiserlichen Universität leisten können. Die Innungshochschule, die Makri besucht, ist nicht ganz so teuer, und der Verbund der Innungen gewährt den Studenten auch Beihilfen. Trotzdem sind fast alle Schüler dort Söhne relativ wohlhabender Innungsmitglieder, Kaufleute, Goldschmiede, Glasmacher und dergleichen mehr. Ich glaube nicht, dass es außer Makri noch jemanden dort gibt, der seine Gebühren selbst aufbringt.

»Vielleicht unternehme ich ja morgen einen Spaziergang außerhalb der Stadtmauern. Willst du mitkommen?«

Die Idee, außerhalb der Stadtmauern spazieren zu gehen, ist so abwegig, dass es mir für einen Moment die Sprache verschlägt. Makri meint, sie möchte einfach mal etwas anderes sehen.

»Könnten wir nicht wenigstens einen Blick auf den Feenhain werfen?«

»Du meinst durch Zauberei?« Ich schüttele den Kopf. Eine gute Zauberin wie Lisutaris, die Herrin des Himmels, könnte ohne viel Mühe ein magisches Fenster zum Feenhain öffnen, aber meine zauberischen Fähigkeiten sind zur Zeit so eingeschränkt, dass es viel zu viel Energie kosten würde.

»Dann muss ich mich wohl mit Thazis zufrieden geben«, seufzt Makri und zündet sich eine meiner Thazisrollen an. Ich schenke ihr ein kleines Bier ein und reiche ihr ein Glas Kleeh dazu.

»Die Rauschmittel der Armen.«

Ich stelle die Figuren meines Machplat-Spiels auf. Machplat ist ein sehr listenreiches Strategie-Brettspiel, in dem Makri mich trotz ihres viel gerühmten »Ich-bin-die-Kursbeste«-Intellekts noch nie schlagen konnte. Das war auch nicht anders zu erwarten. Ich bin der unumstrittene Machplat-Meister von ZwölfSeen und habe in meiner Blütezeit Lords und Ladys, Philosophen und Zauberer und jeden anderen geschlagen, der dumm genug war, mich zu einer Partie herauszufordern. Ich genehmige mir einen großzügigen Schluck Kleeh und bereite unter der Deckung von Elefanten einen Infanteristenangriff vor, der Makris Streitkräfte vom Brett fegen wird.

»Diesmal bist du erledigt«, knurrt Makri und bringt ihren Helden sofort ins Spiel. »Und reich mir den Kleeh rüber.« Makri schüttelt sich, als der scharfe Schnaps ihre Kehle hinunterläuft.

Es ist erstklassiger Kleeh, gebrannt von den Mönchen in den Bergen. Ich lasse ihren Helden weiter vormarschieren und tue so, als würde ich meine Truppen zurückziehen. Ich schicke nicht einmal meinen Harfinisten vor, um die Moral meiner Frontlinie zu stärken. Makri lässt ihre schwere Kavallerie auf meiner rechten Flanke vorrücken. Ich nehme an, sie will ein Zangenmanöver vorbereiten. Die arme Makri. Mit einem Schwert in der Hand mag sie ja die Nummer eins sein, und vielleicht ist sie auch die beste Studentin auf der Innungshochschule, aber was die Kunst des Krieges angeht muss sie noch einiges lernen. Nach kaum einer halben Stunde starrt Makri trübselig auf die kläglichen Reste ihrer Armee, die sich in heilloser Flucht vor der Welle aus Elefanten, Infanterie und leichter Kavallerie zurückzieht, die sich unter der Leitung von Thraxas, dem unaufhaltsamen Kriegslord, über das Brett walzt.

Getreu ihrem Charakter weigert sich Makri aufzugeben und spielt das Spiel bis zu seinem bitteren Ende. Meine Truppen platzieren den Belagerungsturm neben ihrer Burg, schwärmen die Leitern empor, töten alle, die sich darin befinden, und hissen triumphierend eine Flagge. Jedenfalls sinnbildlich gesprochen. Es gibt bei diesem Spiel keine richtige Flagge.

Makri drückt angewidert ihre Thazisrolle aus. »Warum schlägst du mich dauernd?«

»Ich bin eben schlauer als du.«

»Von wegen schlauer. Du spielst es nur länger.«

Das sagt Makri immer, üblicherweise unterlegt mit einem finsteren Blick und gelegentlich mit Andeutungen, dass ich schummeln würde. Sie ist eine sehr schlechte Verliererin. Ich frage sie, ob sie noch eine Partie spielen möchte.

Sie schüttelt den Kopf. »Ich muss gehen.«

»Gehen? Wohin?«

»Ich gebe einen Kurs.«

Das überrascht mich.

»In der Hochschule?«

»Nein, da lassen sie mich nicht unterrichten. Obwohl ich es könnte. Mein Elfisch ist weit besser als das einiger Professoren. Ich gehe zu Morixas Bäckerei und unterrichte einige Frauen im Lesen.«

Ich bin immer noch verwirrt. Makri erklärt mir, dass die Organisatorin der Ortsgruppe der Vereinigung der Frauenzimmer sie gefragt hat, ob sie nicht einigen Frauen aus unserem Viertel das Lesen beibringen möchte.

»Ich wusste gar nicht, dass du ein Leselernprogramm entwickelt hast.«

Makri fällt mein missbilligender Unterton auf. »Findest du die Idee nicht gut?«

»Ganz im Gegenteil. Ich finde sie großartig. Wenn jemand anders es organisieren würde.«

»Und wer in dieser Stadt sollte das wohl tun?«

Da hat Makri Recht. In Turai besuchen nur sehr wenig Frauen eine Schule. Die wohlhabenderen Klassen leisten sich meistens Privatlehrer für ihre Töchter, aber in einem armen Viertel wie ZwölfSeen hat nur ein verschwindend kleiner Anteil der Frauen jemals so etwas wie eine Ausbildung genossen. Womit ich nicht sagen will, dass die Männer hier besonders gebildet wären. Ich hätte wirklich nicht das Geringste gegen Makris Vorhaben, wenn nicht die Vereinigung der Frauenzimmer ihre Finger im Spiel hätte. Es ist eine Versammlung von rebellischen Vetteln und Unruhestifterinnen, die von allen ehrbaren Bürgern Turais mit Skepsis betrachtet werden.

»Weißt du noch, was das letzte Mal passiert ist, als du jemanden unterrichtet hast?«

Makri runzelt die Stirn. »Was meinst du damit?«

»Ich finde nicht, dass du eine sehr geduldige Lehrerin bist. Du hast diese junge Elfe auf Avula beinahe umgebracht.«

Makri tut meinen Einwand mit einer Handbewegung ab. »Das war etwas vollkommen anderes. Ich habe sie gelehrt, wie sie zu kämpfen hat. Da war eine etwas raue Behandlung vonnöten.«

»Eine etwas raue Behandlung? Ich habe gesehen, wie du ihr ins Gesicht getreten hast.«

»Na und? Sie hat jedenfalls gelernt, wie sie kämpfen muss, oder nicht? Sie hat sogar den Junior-Schwertkampfwettbewerb gewonnen. Ich betrachte das als einen Triumph.«

»Na gut«, erwidere ich. »Aber wenn du auf die Idee kommst, den Frauen aus dem Viertel ins Gesicht zu treten, beschwer dich anschließend nicht bei mir, wenn sie dich aus der Stadt vertreiben.«

»Das mache ich schon nicht«, erwidert Makri und geht.

Später sehe ich, wie sie die Kaschemme verlässt. Sie ist unterwegs zu ihrem ersten Lehrauftrag. Mir fällt auf, dass sie ein Schwert umgeschnallt und einen Dolch im Stiefel stecken hat. Auf dem Rücken trägt sie einen Beutel mit Schriftrollen, aber so, wie er sich ausbeult, vermute ich, dass sie auch ihre kurzstielige Streitaxt eingepackt hat. Makri geht nur ungern irgendwohin, ohne ihre Waffen bei der Hand zu haben. Ich schüttele den Kopf. Da bei diesem Unterfangen sowohl die vollkommen inkompetente Vereinigung der Frauenzimmer als auch die heißblütige Makri mitwirken, bin ich sehr zuversichtlich, dass es mit einem verheerenden Fiasko enden wird.