12. KAPITEL
Am nächsten Tag frühstücke ich ausgiebig. Ich muss mich stärken, weil ich vorhabe, Rhizinius einen Besuch abzustatten. Rhizinius und ich können auf eine lange Geschichte voller Feindschaft zurückblicken. Ich bin keineswegs davon überzeugt, dass nicht er hinter dieser Anklage wegen Feigheit vor dem Feind steckt, die immer noch über mir schwebt.
Als Chef des Palastsicherheitsdienstes ist Rhizinius letztendlich für die Untersuchung des Todes von Calvinius verantwortlich. Denn der Mord geschah auf dem Gelände des Palastes. Prätor Samilius ermittelt als Chef der Zivilgarde ebenfalls in diesem Fall. Vermutlich hat das zu Spannungen geführt, die möglicherweise sogar die Ermittlungen behindern. Der Sicherheitsdienst des Palastes und die Zivilgarde haben noch nie gern zusammengearbeitet.
Es hat mich viel Mühe gekostet, diesen Termin bei Rhizinius zu bekommen, und ich weiß nicht genau warum eigentlich. Die Bonzen in Turai haben zwar ihre Türen vor mir geschlossen, aber ich hatte nicht erwartet, dass sich auch Rhizinius so bereitwillig dieser allgemeinen ablehnenden Haltung anschließt. Schließlich ist Rhizinius ein Anhänger der Volkspartei, die von Senator Lohdius angeführt wird. Ich hätte erwartet, dass er einem Mann behilflich ist, der im Interesse seines eigenen Parteiführers ermittelt.
Tanrose ist gut gelaunt, während sie mir das Essen auftischt. Bei einem Kunden wie mir fühlt sie sich immer wertgeschätzt. Ich bin nicht sicher, wie die Dinge zwischen ihr und Ghurd zur Zeit stehen, aber wenigstens streiten sie sich nicht mehr. Da sie jetzt so viele Söldner versorgen müssen, haben sie alle Hände voll zu tun, Essen und Trinken zu servieren, und kaum Zeit für etwas anderes. Ghurd sieht der profitabelsten Wintersaison aller Zeiten entgegen. Der Gewinn dürfte genügen, um ihn ganz bequem über das nächste und vielleicht sogar übernächste Jahr zu bringen. Falls wir nicht vorher in der Schlacht fallen und die Stadt bis auf die Grundmauern niedergebrannt wird.
»Es ist wirklich mies«, nuschele ich zwischen zwei Bissen Brot. Tanrose backt es mit Kräutern und Oliven. Es ist ein sehr wohlschmeckendes Brot.
»Was, deine Ermittlungen?«
»Nein, es ist übel, dass alle Makri Blumen schenken. Ich meine, was ist in die Leute gefahren? Ich habe jahrelang überhaupt keine Blumen in dieser Kaschemme gesehen, und jetzt kann man sich nicht einmal mehr umdrehen, ohne gegen eine Vase mit Winterblumen zu stoßen. Und dabei scheint diese verrückte Axtträgerin sie nicht einmal besonders zu mögen. Sie freut sich einfach nur, wenn jemand ihr etwas schenkt.«
»Und was ist daran falsch?«, will Tanrose wissen.
»Ganz einfach. Wenn jetzt jeder damit anfängt, wird es bei mir nicht mehr funktionieren. Du weißt ja, dass du überhaupt erst vorgeschlagen hast, ich sollte versuchen, die Atmosphäre mit einem Blumenstrauß zu bereinigen, wenn Makri sich mal wieder aus irgendeinem banalen Grund aufgeregt hat…«
»Zum Beispiel, wenn du sie eine spitzohrige Ork-Missgeburt nennst?«
»Genau. Ich weiß immer noch nicht, warum sie sich darüber so aufregt. Schließlich ist diese Beschreibung einigermaßen zutreffend. Und ich muss zugeben, dass dein Vorschlag sehr gut funktioniert hat. Aber jetzt wird sie vollkommen verwöhnt. Wenn ganz ZwölfSeen mit Blumen unter dem Arm in die Rächende Axt spaziert, was soll dann aus mir werden? Wenn sich Makri das nächste Mal über irgendeine eingebildete Kränkung aufregt, werde ich ihre Laune nicht besänftigen können, und sie wird mir das Leben zur Hölle machen.«
»Es geht hier nicht um ganz ZwölfSeen, Thraxas. Sondern nur um einen Ork-Lord aus den Ödlanden und einigen Söldnern aus den Nordlanden.«
»Aber wo soll das alles enden? Es war schon schlimm genug, dass Harm der Mörderische den liebeskranken Galan gespielt hat. Jetzt fängt auch noch dieser idiotische Neffe von Viaggrax damit an.«
»Ich würde nicht sagen, dass er idiotisch ist«, widerspricht Tanrose. »Er ist vielleicht nicht so spitz wie ein Elfenohr, aber durchaus nicht dumm. Und er sieht gut aus. Er hat eine Menge blondes Haar und ist sehr muskulös.«
»Erspare mir deine Lobeshymnen. Er ist ganz offensichtlich ein Mann von begrenzter Intelligenz, sonst würde er seine Zeit nicht an Blumen verschwenden. Die Stadt ist dem Untergang geweiht. Wir brauchen Kämpfer, die uns beschützen, keine schwächlichen Jünglinge, denen der Kiefer herunterklappt, wenn sie einen gut gefüllten Kettenhemd-Zweiteiler sehen.«
Tanrose lächelt.
»Ich vermute, der Zweiteiler tut ein Übriges. Aber es steckt mehr dahinter. Ich glaube, die Leute fühlen sich einfach zu Makri hingezogen. Vielleicht solltest du einfach mitmachen«, schlägt sie vor.
»Was meinst du denn damit?«
»Schenke Makri Blumen.«
»Aber wir streiten uns doch im Moment gar nicht.«
»Dann schenk sie ihr einfach so.«
»Einfach so? Aus keinem Grund? Warum?«
»Als nette Geste für eine Freundin.«
»Eine nette Geste für eine Freundin? Ist dir noch nicht aufgefallen, dass ich ein stattlicher, mürrischer Detektiv bin, der keineswegs zu netten Gesten neigt?«
»Das ist mir durchaus aufgefallen. Vielleicht solltest du dein Verhalten ändern.«
Es schüttelt mich bei dieser Vorstellung. »Reich mir lieber noch eine Schüssel Eintopf, Tanrose. Ich habe mit netten Gesten aufgehört, als meine Frau mit diesem Zauberlehrling durchgebrannt ist.«
»Du hast in der ganzen Zeit, in der sie hier war, ihr gegenüber keine einzige nette Geste zuwege gebracht.«
»Gibt es da ein Problem mit dem Eintopf? Bekommt ein hungriger Mann hier nichts zu essen?«
Tanrose gibt mir reichlich Nachschlag. Da ich keine persönlichen Ratschläge mehr verdauen kann, trage ich die Schüssel zu einem Tisch vor dem Kamin und überlege, was ich Rhizinius sagen kann. Ich habe weder eine Spur noch eine Inspiration. Je tiefer ich in diesem Fall grabe, desto schlechter sieht es für Lohdius aus. Ich habe eine Menge Energie in die Sache mit dem gefälschten Testament gesteckt, und so weit ich das bisher sagen kann, scheint Präfekt Calvinius da einen hieb-und stichfesten Fall zusammengetragen zu haben. Es ist sehr gut möglich, dass Senator Lohdius ihn betrogen hat. Ich habe zwar einen Anwalt gebeten, die Unterlagen abzuklopfen und mir seine fachliche Einschätzung mitzuteilen, aber ich mache mir keine falschen Hoffnungen, was mögliche Resultate angeht. Wenn Lohdius tatsächlich von Calvinius dabei erwischt wurde, wie er versucht hat, den Präfekt zu betrügen, hatte er guten Grund, ihn zu töten. Eine Sitzung des Niederen Kriegsrates ist sicherlich nicht unbedingt der geeignetste Zeitpunkt, aber vielleicht hat er ja seine Chance gesehen und sie einfach genutzt.
Erneut wünsche ich mir, ich wäre nicht in diesen Fall verwickelt. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Mir bleibt nichts übrig, als mich in meinen magischen warmen Mantel zu hüllen und nach Antworten zu suchen. Und wenn die Antworten nicht zu meiner Zufriedenheit ausfallen, werde ich Lohdius einen Hinweis geben und ihm raten, aus der Stadt zu fliehen. Nachdem ich in seinem Tempel gebetet habe, schulde ich ihm das wohl, zumindest seiner Frau. Als ich die Rächende Axt verlasse, begegne ich Marihana.
»Na, willst du deine Lesekünste aufpolieren?«
Marihana huscht an mir vorbei, ohne mich einer Antwort zu würdigen. Meuchelmörder sind in der Kunst des höflichen Schwätzchens nicht sonderlich bewandert.
Die Besprechung mit Rhizinius verläuft genau so unerfreulich, wie ich erwartet habe. Der Chef des Palastsicherheitsdienstes spürt, dass ich nicht viel in der Hand habe, und lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, mir das unter die Nase zu reiben.
»Bitte, fragt mich alles, was Ihr wollt«, sagt er. »Ich arbeite nur zu gern mit Euch zusammen. Mit ansehen zu dürfen, wie Ihr Euch bei dem hoffnungslosen Versuch blamiert, den Namen eines Schuldigen reinzuwaschen, entschädigt mich mehr als genug.«
»Lohdius ist nicht schuldig.«
»Und worauf stützt Ihr diese exzellente Schlussfolgerung? Sicher nicht auf die Beweislage. Vielleicht auf Eure Intuition? Ich kann mich noch daran erinnern, dass Ihr darauf immer besonders stolz wart, damals, bei Eurem kurzen Gastspiel im Sicherheitsdienst des Palastes.« Er lächelt höhnisch. »Und jetzt hockt Ihr in einer Kaschemme in Zwölfseen und müht Euch ab, die paar Gurans zusammenzukratzen, um Eure Miete zu zahlen. Wahrlich, mit dieser Art von Intuition kann man es weit bringen.«
»Hat der Staat einen direkten Beweis, dass Lohdius auf der Konferenz Karasin bei sich hatte?«
»Er importiert als Einziger diese Substanz nach Turai.«
»Habt Ihr auch schon andere Leute verhört, die bei dieser Konferenz anwesend waren? Habt Ihr einen Zauberer beauftragt, sie zu überprüfen? Ein Zauberer hätte vielleicht Spuren des Giftes aufspüren können, falls es von jemand anderem dorthin gebracht wurde.«
»Das ist vollkommen überflüssig«, behauptet Rhizinius. »Es gibt klare Beweise für die Schuld des Senators.«
»Habt Ihr wenigstens schon überprüft, wer noch von Calvinius’ Tod profitieren könnte?«
»Es gibt keine anderen Verdächtigen.«
»Ihr habt nicht gerade sonderlich genau ermittelt, hab ich Recht?«
Rhizinius beugt sich vor. »Habt Ihr das denn getan? Habt Ihr zum Beispiel diese Angelegenheit mit dem gefälschten Testament untersucht?«
»Daran arbeite ich noch.«
»Falls Ihr nicht noch inkompetenter seid als ich dachte, dürftet Ihr mittlerweile wissen, dass Senator Lohdius Präfekt Calvinius tatsächlich um eine beträchtliche Summe Geldes betrogen hat. Der Präfekt wollte diese Angelegenheit vor Gericht bringen und hätte das Verfahren zweifellos gewonnen. Das Einzige, was den Prozess und die daraus resultierende Entehrung von Lohdius verhindern konnte, war der Tod von Calvinius.«
Das stimmt. Laut turanianischem Gesetz kann nur die geschädigte Partei bei einem gefälschten Testament einen Prozess anstrengen. Nachdem Calvinius aus dem Weg geräumt worden ist, hat Lohdius nichts mehr zu befürchten.
»Welches stärkere Motiv kann man sich noch wünschen?«
»Ein starkes Motiv ist noch kein Beweis.«
»Für einen Detektiv wie Euch gilt nichts als Beweis, es sei denn einer, der beweist, was er gern möchte.«
Ich schlucke Rhizinius’ Beleidigungen. Leicht fällt mir das nicht. »Ich verstehe nicht, warum Ihr so scharf auf die Anklage seid, Rhizinius. Immerhin seid Ihr ein Anhänger von Lohdius’ Partei.«
»Ich diene vor allem dem Interesse dieser Stadt«, erwidert Rhizinius salbungsvoll. »Persönliche Erwägungen spielen da keine Rolle. Vor allem dann nicht, wenn die Nation in Gefahr ist.«
Das alles ist sehr verwirrend. Ich habe nicht erwartet, dass Rhizinius in diesem Fall so auf der Linie des Konsuls liegt. Rhizinius war selbst einmal Vizekonsul, und als Chef des Sicherheitsdienstes des Palastes ist er immer noch ein sehr wichtiger Politiker in Turai. Bis jetzt war er ein entschiedener Anhänger der Volkspartei. Ich kann nicht glauben, dass er seinen politischen Führer nur deswegen im Stich lässt, weil er ihn für einen Mörder hält. Was interessiert es Rhizinius, ob jemand des Mordes schuldig ist? Absolut nichts, das weiß ich sicher. Er ist schließlich nicht gerade das Musterbeispiel eines integren Politikers, nicht einmal annähernd.
Ich stelle ihm noch mehr Fragen, aber ich finde nichts heraus. Jedenfalls nichts Nützliches. Ich plage mich mit der Idee ab, wer noch ein Motiv haben könnte, Präfekt Calvinius umzubringen.
»Der Freundeskreis war ziemlich verärgert, als er ihre Etablissements geschlossen hat.«
»Wir haben gute Spione in dieser Gruppe. Sie waren es nicht.«
»Normalerweise funktioniert der Nachrichtendienst der Regierung bei der Beobachtung gegen das Organisierte Verbrechen nicht so gut. Hauptsächlich deshalb, weil die Kriminellen die Behörden schmieren. Und wenn der Freundeskreis nicht dahinter gesteckt hat, vielleicht ein anderer Feind des Präfekten. Die Vereinigung der Frauenzimmer, zum Beispiel.«
Dafür hat Rhizinius nur ein verächtliches Lachen übrig. »Das ist doch wohl nicht Euer Ernst! Diese Hurenbande schlägt zwar eine Menge Lärm, aber es sind keine Mörderinnen.«
Vermutlich hat er Recht. Allerdings frage ich mich, ob Rhizinius wirklich weiß, wie viele mächtige Frauen in Turai die Vereinigung unterstützen. Lisutaris tut es, das ist sicher, und auch Melis die Reine ist mit von der Partie. Quer durch alle Gesellschaftsschichten, von der reichsten Matrone bis zur ärmsten Kellnerin, wie zum Beispiel Makri, gewinnt die Vereinigung der Frauenzimmer zunehmend an stillschweigender Unterstützung. Ich bin mir sicher, dass auch Marihana etwas mit der Vereinigung zu tun hat, und mit einer Meuchelmörderin wie ihr in ihren Reihen wäre rein theoretisch jeder Mord möglich. Aber so richtig glauben mag ich das selbst nicht. Der Mord an Calvinius hat ihr Anliegen keinen Schritt weitergebracht. Der Tod des Präfekten hat Herminis nicht die Freiheit geschenkt. Und im Gegensatz zur Fälschung eines Testaments, das eine zivilrechtliche Angelegenheit zwischen den betroffenen Parteien bleibt, wird jeder Mord von den Behörden untersucht. Calvinius’ Nachfolger im Amt des Präfekten wird sich des Falles annehmen. Es sei denn, die Vereinigung der Frauenzimmer hätte irgendwie dafür gesorgt, dass der nächste Präfekt Herminius begnadigt. Das ist nicht vollkommen ausgeschlossen, in Anbetracht von Lisutaris’ Einfluss. Darüber werde ich bei Gelegenheit nachdenken.
»Und was ist mit dem Krieg? Hat die Zivilgarde auch diesen Aspekt in Betracht gezogen? Der Präfekt von Thamlin besitzt eine große Menge höchst sensibler Informationen. Vielleicht ist er davon in Kenntnis gesetzt worden, dass jemand den Staatsschatz so ausgeplündert hat, dass man keine Waffen mehr herstellen kann.«
»Das sind alles nutzlose Spekulationen.«
»Das Leben eines Mannes dürfte wohl eine kleine Spekulation wert sein.«
Rhizinius zieht sich seine Toga zurecht und steht auf. »Thraxas, ich werde Euch Folgendes sagen: Senator Lohdius verdient einen fairen Prozess. Alle Beweise müssen genauestens geprüft werden. Selbst wenn es hoffnungslos ist, hat er dennoch das Recht auf eine angemessene Verteidigung. Vielleicht seid Ihr der richtige Mann für diese Aufgabe. Ihr könnt durchaus einiges bewegen, wenn Ihr wollt. Ich wünsche Euch Glück bei Euren Ermittlungen. Aber wir wissen beide, dass es keinen Zweck hat.«
Mit diesen Worten verlässt Rhizinius den Raum. Ich starre eine Weile auf den Boden. Dann auf meine Stiefel. Sie sind in einem schlimmen Zustand. Ich könnte ein neues Paar gebrauchen. Ich muss mich darum kümmern, bevor die Orks angreifen. Ich starre auf die Wand. Dort hängt ein schönes Kunstwerk, ein Gobelin, offenbar Elfenarbeit. Langsam gehe ich nach Süden und hülle mich in meinen magischen warmen Mantel, um mich vor dem eisigen Wind zu schützen. Nach einer Weile bleibe ich stehen und starre auf eine Wand. Es ist eine nackte Wand. Darauf gibt es nichts Interessantes zu sehen. Zwei Kinder, gut eingemummt gegen die Kälte, huschen in Gesellschaft einer Gouvernante vorbei und schreien sich fröhlich etwas zu. Sie haben keine Ahnung von dem bevorstehenden Angriff oder sind vielleicht noch zu jung, dass es sie kümmerte. Ich starre die Wand noch eine Weile länger an. Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht. Rhizinius hat mir indirekt ein Kompliment gemacht. Er hat gesagt, ich wäre der richtige Mann für den Job. Ich kenne seinen beißenden Humor. Und ich glaube nicht, dass er versucht hat, spöttisch zu sein. Ich gehe weiter und halte meine Augen fest auf den Boden gerichtet. Falls Rhizinius mir ein Kompliment machen wollte, stinkt die ganze Sache zum Himmel. Ich kann nur nicht sagen, was da stinkt.
Ich gehe über den Mond-und-Sterne-Boulevard zurück, überquere den Fluss und erreiche schließlich Pashish. Als ich zur Sankt-Rominius-Gasse komme, biege ich ab. Sie bildet den kürzesten Weg zur Rächenden Axt. Im letzten Sommer ist mir hier ein Einhorn begegnet. Ich bin ihm hinterhergelaufen, aber es ist spurlos verschwunden. Das war ein sehr merkwürdiger Sommer. Als ich um eine Ecke komme, treten mir drei Männer mit Schwertern in der Hand entgegen. Sie heben ihre Waffen.
Ich habe meinen Schlafbann memoriert. Ohne ihn mache ich mich nie an meine Ermittlungen. Ich intoniere die uralten Worte, und die Männer sinken bewusstlos zu Boden. Dummköpfe. Sie hätten es besser wissen sollen. Ein Geräusch hinter mir veranlasst mich herumzuwirbeln. Vier Männer mit Schwertern laufen von hinten auf mich zu. Vor mir tauchen zwei weitere auf und treten über die reglosen Körper ihrer Kameraden hinweg. Anscheinend wussten sie es besser. Sie haben ein paar Lockvögel vorgeschickt, um mir meine Magie aus der Nase zu ziehen. Jetzt ist sie aus meinem Gedächtnis gelöscht, und ich kann sie erst wieder benutzen, wenn ich den Spruch erneut auswendig gelernt habe. Es ist der einzige Zauberspruch, den ich im Gedächtnis habe. Mehr als einen mit mir herumzutragen ist mir zur Zeit mental zu anstrengend. Ich weiche zurück, bis ich mit dem Rücken an der Wand stehe. Die sechs Männer nähern sich mir in einem Halbkreis, die Schwerter gezückt. Das sieht gar nicht gut aus.
Ich halte mein Schwert in der rechten und meinen Dolch in der linken Hand. Normalerweise sind Straßenräuber in Turai nicht gerade erfahrene Schwertkämpfer. Aber selbst in diesem Fall wäre es unwahrscheinlich, dass ich einen Kampf überlebe. Ich kann mich nirgendwohin zurückziehen und sehe mich sechs Kämpfern gegenüber. Irgendeinem von ihnen wird es gelingen, sein Schwert durch meine Deckung zu stoßen.
»Noch einen Schritt weiter, und ich röste euch mit einem Bann«, sage ich.
Die Blicke meiner Angreifer zucken zu ihren beiden bewusstlosen Kameraden auf dem Boden. Sie fragen sich augenscheinlich, ob ich es wirklich tun kann. Einer von ihnen, ein großer Rothaariger und anscheinend ihr Anführer, lacht höhnisch.
»Wir haben läuten hören, dass du heutzutage nur noch einen Zauber mit dir tragen kannst, Detektiv.«
Mit diesen Worten drängt er seine Männer vorwärts, und ich werde sofort in ein heißes Gefecht auf Leben und Tod verwickelt. Ich töte den Mann zu meiner Rechten mit einem gut gezielten Hieb auf seine Kehle und wehre die beiden Klingen ab, die von der linken Seite auf mich zuschießen. Der Mann direkt vor mir stürzt vor, aber ich weiche seinem Schlag aus, und sein Schwert gräbt sich in den weichen Putz der alten Mauer. Bevor er es zurückziehen kann, versetze ich ihm einen Hieb auf seinen Schwertarm, und er sinkt schreiend vor Schmerzen zu Boden. Ich verteidige mich aus Leibeskräften und halte mir die vier anderen Klingen vom Leib. In meiner Jugend war ich ein Champion der Schwertkämpfer, und seitdem habe ich eine Menge Kampferfahrung sammeln können. Diese Erfahrung sagt mir, dass die Burschen hier keineswegs blutige Anfänger sind. Ich kann sie nicht alle besiegen. Ich schlage nach den Lenden eines Gegners, verfehle ihn, aber treibe ihn damit wenigstens zurück. Er stößt gegen seinen Gefährten, und in dem winzigen Augenblick, den er abgelenkt ist, stoße ich mein Schwert in seine Brust. Aber er trägt einen festen Lederharnisch, den meine Klinge nicht durchdringen kann. Ich ziehe mein Schwert zurück und pariere gerade noch den Hieb einer anderen Klinge. Gleichzeitig wehre ich einen Schwerthieb von der anderen Seite mit meinem Dolch ab. Dabei entblöße ich eine Sekunde meine linke Schulter und erhalte sofort einen schmerzhaften Schlag, der eine klaffende Wunde reißt. Blut durchtränkt meine Tunika. Lange halte ich das nicht mehr durch. Ich werde ermüden, lange bevor sie schlapp machen. Schlimmer noch, die beiden Opfer meines Schlafzaubers kommen allmählich ebenfalls wieder zu sich. Obwohl ich drei Angreifer zu Boden geschickt habe, sehe ich mich jetzt wieder fünf Männern gegenüber.
Plötzlich ertönt ein Brüllen wie von einem wütenden Drachen aus der Gasse. Das Brüllen kenne ich. Wenn man einmal gehört hat, wie Viaggrax sich in die Schlacht stürzt, vergisst man das Geräusch nie mehr.
Meine fünf Angreifer werden plötzlich in ihrem Rücken von einer der größten Äxte im Weiten Westen attackiert. Einer von ihnen bricht zusammen, während sein Kopf nur noch an wenigen Sehnen an seinem Hals baumelt. Der zweite fällt der Axt unmittelbar danach zum Opfer. Ich nutze ihre Verwirrung aus und ramme einem weiteren meinen Dolch in den Rücken. Er bricht tot vor meinen Füßen zusammen.
Die restlichen Angreifer einschließlich des Rothaarigen finden offenbar wenig Geschmack an dem neuen Kräfteverhältnis und laufen um ihr Leben. Sie verschwinden so schnell durch die Sankt-Rominius-Gasse, dass ich ihnen niemals folgen könnte. Selbst wenn ich nicht bluten und nach Atem ringen würde.
Viaggrax sieht ihnen kurz nach und mustert dann die Leichen auf dem Boden.
»Gut zu sehen, dass du nicht vergessen hast, wie man kämpft, Thraxas«, dröhnt er. Er wirft einen kurzen Blick auf meine Wunde. »Nur ein Kratzer. Kein Grund zur Sorge. Komm, feiern wir den Sieg!«
Viaggrax klopft mir herzlich auf den Rücken, und wir biegen in den Quintessenzweg ein. Ich danke ihm nicht für seine Hilfe. Das würde ihn beleidigen, als wollte ich damit andeuten, dass auch nur im Entferntesten die Möglichkeit bestanden hätte, dass er mir nicht zu Hilfe gekommen wäre. Wenn Viaggrax einen Kameraden in Schwierigkeiten sieht, braucht man ihn nicht lange zu bitten. Und er erwartet auch nicht, dass man sich anschließend dafür bedankt.
In der Rächenden Axt kümmert sich Tanrose um meine Wunde. Ich möchte vor den Söldnern nicht als Schwächling dastehen und sage ihr, es ist nichts. Aber ich hindere sie nicht daran, als sie nach Chiruixa, der Heilerin hier im Viertel, schickt. Chiruixa versorgt meine Wunde und versichert mir, dass ich überleben werde. Es sei denn, ich wäre dumm genug, es mir zu Gewohnheit zu machen, gegen acht Feinde anzutreten.
Ich zucke nur die Achseln und tue so, als nähme ich die Angelegenheit auf die leichte Schulter.
»Ich habe Viaggrax schon verwünscht, weil er sich eingemischt und mir den ganzen Spaß verdorben hat«, sage ich und hebe einen Krug Bier an den Mund. »Wäre er klug gewesen, hätte er sich tunlichst herausgehalten. Schließlich zerbreche ich mir wegen acht Angreifern nicht den Kopf.«
Viaggrax lacht. »Ach, es waren nur acht? Ich dachte, es wären mehr gewesen. Sonst hätte ich dich in Ruhe mit ihnen spielen lassen.«