14. KAPITEL

Mein Büroschreibtisch ist ein altes Möbelstück und mittlerweile fast schwarz von Bierresten, Rauch und dem Schweiß vergeblicher Bemühungen. Außerdem ist er groß und hässlich. Alles andere als ein Augenschmaus. Etwas, das man auch von mir sagen könnte. Ich sitze also vor diesem besagten Schreibtisch und starre auf eine Liste mit Namen. Namen von Leuten, die ich wegen der Schriftrolle befragt habe, die Calvinius bei sich hatte, als er starb. Es sind etwa zwanzig Personen, meistens Senatoren und Regierungsbonzen. Es war nicht gerade einfach, sie aufzuspüren und zu befragen. Und es ist zu allem Überdruss nicht das Geringste dabei herausgekommen. Die meisten erinnerten sich nicht einmal, dass Calvinius etwas bei sich hatte. Jedenfalls behaupten sie es. Selbst die Senatoren, die früher einmal Lohdius unterstützt haben, scheinen nicht mit mir zusammenarbeiten zu wollen. Rhizinius ist offensichtlich nicht der Einzige, der seinen Führer im Stich lässt. Es ist wirklich eine sehr günstige Gelegenheit für Konsul Kahlius, seinen Angriff gegen Senator Lohdius zu starten. Da der Krieg vor der Tür steht, will offenbar kein Bonze den geringsten Zweifel an seiner Loyalität wecken.

Gestern habe ich Lohdius’ Frau einen Zwischenbericht gegeben. Sie hat sich gewohnt höflich bei mir für all die Arbeit bedankt, die ich mir wegen ihres Ehemanns mache. Ich war so ehrlich ihr zu sagen, dass ich bis jetzt keine nennenswerten Fortschritte erzielt habe. Bevor ich mich verabschiedete, habe ich versucht, sie ein wenig aufzumuntern. Sie hat mitgespielt und tat, als wäre sie aufgemuntert. Lohdius selbst weigert sich, mich zu empfangen. Ich sollte den Fall abgeben. Es ist keine Schande, einen Klienten aufzugeben, der gar nicht will, dass man für ihn arbeitet. Das hätte ich auch längst getan, wenn seine Frau bei meinem Besuch nicht einen Dienstboten in die Küche geschickt hätte, der mir ein Tablett mit Essen brachte. Diese Oberklassefrauen und ihre verdammten guten Manieren!

Ich versuche noch einmal, Astral Trippelmond zu Rate zu ziehen, doch der Zauberer ist nicht zu Hause. Er wurde wegen des drohenden Krieges erst mal wieder in die Zaubererinnung aufgenommen. Astral ist folglich mindestens so wohlgemut wie ein Elf im Baum. Wegen Öröxin habe ich ebenfalls Nachforschungen angestellt. Nichts deutet darauf hin, dass sein Tod etwas mit dem von Calvinius’ zu tun hatte. Er arbeitete tatsächlich für den Präfekten und hat Informationen über den Boahhandel an das Büro des Präfekten weitergegeben. Es hat niemanden überrascht, dass er ermordet wurde. Der Freundeskreis betätigt sich sehr rührig im Boahhandel und hegt eine tief sitzende Antipathie gegen informelle Mitarbeiter. Öröxin hat weder Freunde noch Familie hinterlassen, die ihm eine Träne hinterherweinen würden. Nur ein karges Zimmer, eine Boahpfeife und einen Vermieter, der auf seine Miete wartet. Die übliche Lebensgeschichte eines kleinen Boahhändlers.

Morgen habe ich einen Termin bei Domasius, dem Anwalt, den ich engagiert habe, damit er sein Urteil über die Angelegenheit mit dem gefälschten Testament abgibt. Hoffentlich bringt mich seine fachkundige Einschätzung auf eine neue Spur. Wenn dieser Versuch ebenfalls scheitert, weiß ich nicht, was ich noch unternehmen soll.

Makri spaziert uneingeladen in mein Büro. Ich bedenke sie mit einem gereizten Blick. Es ist wirklich verblüffend, wie widerwärtig diese Frau ist. Sie malt sich ihre Fußnägel goldfarben an wie eine simnianische Hure. Das allein sollte sie schon aus der sittsamen Gesellschaft ausstoßen. Wenn man dann noch ihre durchbohrte Nase, ihren fremdländischen, dichten Haarschopf, das orkische Blut, die spitzigen Elfenohren und die Männerkleidung in Betracht zieht, haben wir es hier mit einer Person zu tun, der man nicht einmal erlauben sollte, auch nur vorübergehend eine Menschenstadt zu verpesten. Konsul Kahlius ist viel zu lasch, was die Aufenthaltsgenehmigungen von Fremden in Turai angeht. Das waren noch Zeiten, als wir Kreaturen wie Makri nicht einmal erlaubt haben, unsere Stadt zu betreten!

»Immer noch empört wegen der Zusammenkunft?«, fragt sie fröhlich.

»Empört? Ich sollte darüber empört sein, dass sich Frauen in meinem Büro zusammenrotten und mich in den Augen der Söldner von Viaggrax zu einer Art Kindermädchen herabsinken lassen? Ich?«

»Das war doch nur ganz kurz«, erinnert mich Makri. »Lisutaris hat ihre Erinnerungen gelöscht.«

»Das bereinigt natürlich alles. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich muss Männerarbeit machen. Geh und serviere Bier.«

»Ich habe Neuigkeiten«, sagt Makri eifrig.

Ich bedenke sie mit meinem kältesten Blick. »Falls diese Neuigkeiten nicht darin bestehen, dass du die Stadt auf dem nächstbesten Klepper verlässt, bin ich nicht daran interessiert.«

»Aber ich möchte sie dir unbedingt erzählen«, sagt Makri. Sie klingt jetzt richtig aufgeregt.

»Erzähl sie deinen Freundinnen bei der Vereinigung der Frauenzimmer. Erzähl sie überall herum, solange du es nicht in meinem Büro tust.«

»Du bist nicht fair. Na gut, ich hab dein Büro benutzt, ohne dich zu fragen. Was ist daran so schlimm? Es ist jetzt ordentlicher, als es je gewesen ist.«

»Ich mag es aber lieber unordentlich.«

»Wir haben dir sogar einen neuen Teppich mitgebracht.«

»Ich hasse den Teppich. Verstehst du, Makri, wir stoßen immer wieder auf dasselbe Problem. Du weißt einfach nicht, wie du dich in einer zivilisierten Gesellschaft benehmen musst.«

»Du bist von diesem Zivilisiertheitsding geradezu besessen«, protestiert Makri. »Na gut, ich habe dein Büro benutzt, ohne dich zu fragen? Und? In den verdammten Gladiatorensklavengruben gab es keine Terminkalender. Außerdem musste ich mir auch keinen Termin von dir geben lassen, als ich dir in dem Kampf mit Harm, dem Mörderischen, das Leben gerettet habe! Ich brauchte auch keinen Termin, als ich dich …«

Ich hebe meine Hand. »Das genügt. Was du mir auch in der Vergangenheit für Dienste geleistet haben magst, sie wurden gebührend gewürdigt. Von jetzt an wird die Firma ›Thraxas, magische Ermittlungen‹ sehr gut ohne dich auskommen.«

Makri stampft wütend mit dem Fuß auf. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie das schon einmal getan hat.

»Ich werde am Krieg teilnehmen!«, sagt sie. »Ich bin Lisutaris’ Leibwächterin. Ich beschütze sie vor den Orks!«

»Faszinierend. Zwischen den Angriffswellen bleibt euch sicher genügend Zeit, die Fortschritte der Stellung der Frauen in Turai zu diskutieren. Und jetzt verschwinde.«

Makri wirkt äußerst frustriert. Sie hat nie gelernt, wie sie mit unterschwelliger Feindseligkeit umgehen soll. Sie weiß sich in diesen Fällen nur zu helfen, indem sie ihrem Widersacher den Kopf abschlägt. Ich bereite mich auf einen Angriff vor, für alle Fälle. Nach ein paar Sekunden wirbelt sie jedoch auf dem Absatz herum, stürmt hinaus und knallt die Tür hinter sich zu. Ich kümmere mich wieder um meine Liste. Es muss doch jemanden geben, mit dem ich noch darüber reden kann.

Draußen ist es kalt, aber es hat wenigstens aufgehört zu schneien. Später am Tag sind Phalanxübungen angesetzt. Wieder sechs Stunden, in denen ich zusammen mit einem Haufen von Grünschnäbeln durch die Gegend stolpere. Die turanianische Phalanx marschiert mit zehn Meter langen Lanzen, die nach vorn auf den Feind gerichtet sind. Es erfordert viel Disziplin, dabei eine konzentrierte Front aufrechtzuerhalten. Bis jetzt allerdings tut sich die Siebte Phalanx mit einem deutlichen Mangel an eben dieser Disziplin hervor. Schließlich lasse ich Liste Liste sein und gehe nach unten, um mir ein Bier zu genehmigen.

»Bereitest du dich auf den Drill vor?«, erkundigt sich Ghurd, während er mir einen Krug reicht.

Ghurd selbst ist ebenfalls für den Phalanxdrill eingeteilt. Und das stimmt ihn nicht sonderlich fröhlich. Als eingebürgerter Fremdling in Turai ist er verpflichtet, in Krisenzeiten in der Armee zu dienen, was er auch nur zu gern tut. Allerdings hat er nicht mit dem Chaos gerechnet, das ihn in seiner Kompanie von Rekruten erwartete. Ghurd ist zwar an den eher lockeren Kampfverbund einer Söldnerkompanie gewöhnt, aber er hat in der Vergangenheit genügend Phalanxübungen abgeleistet und weiß, wie der Hase läuft. Und er ist genau wie ich von dem kläglichen Zustand der Truppen entsetzt, in deren Reihen er sich jetzt wiederfindet.

»Sie können nicht vorrücken, sie wissen nicht, wie man sich zurückzieht, und sie haben keine Ahnung, wie sie zur Seite ausweichen sollen. Wenn meine Phalanx den Befehl bekommt, sich mehr als drei Meter in irgendeine Richtung zu bewegen, ähnelt sie einem Hühnerhaufen.«

»Meine auch«, sage ich. »Wenn dieser Grünschnabel hinter mir noch einmal seine Lanze auf meine Schulter fallen lässt, dann schiebe ich sie ihm in seinen Hintern, das schwöre ich dir.«

»Erinnerst du dich noch an die Phalanx damals am Rand der Simlanwüste?«, fragt Ghurd. »Das nenne ich eine Phalanx. Wir sind über Hügel und durch Täler gestürmt, ohne dass die Formation auch nur einen Hauch gewackelt hätte.«

Ich nicke. Das stimmt. Man nannte uns die Unzerbrechliche. Wir waren die beste Phalanx in der ganzen Wüste. Einmal haben wir durch unsere überlegenen Manöver sogar eine dreimal so große Truppe wie wir es waren in die Flucht geschlagen.

»Die Unzerbrechliche könnten wir jetzt gut gebrauchen«, meint Ghurd nachdenklich. »Wie gut organisiert sind deiner Meinung nach die Orks?«

»Wahrscheinlich nicht so gut. Prinz Amrag ist noch nicht lange ihr Kriegsherr. Er hatte nicht genügend Zeit, um sie in Form zu bringen. Wahrscheinlich ist es eine große Horde undisziplinierter Orks, in der nur ein paar Phalangen ausgebildeter Truppen dienen. So war es bisher jedenfalls immer. «

»Dann hätten wir einen Vorteil, falls wir unsere Phalangen noch rechtzeitig ausbilden können. Die Stadt hätte sich schon längst darum kümmern müssen.« Beiläufig erwähnt Ghurd, dass Makri zur Zeit wütender ist als ein angeschossener Drache. »Was hast du mit ihr gemacht?«

Ich erkläre ihm unseren Disput wegen der letzten Zusammenkunft, die sie in meinem Büro abgehalten hat.

Ghurd sieht mich erschrocken an. »Warum veranstalten diese Frauen überhaupt solche Zusammenkünfte?«

»Weil sie verrückt sind. Wie Marihana. Sie ist eine Meuchelmörderin, bei Quaxinius! Vertraulichen Gerüchten zufolge hat sie erst letzten Monat den Stellvertretenden Vorsitzenden des Ehrenwerten Vereins der Kaufmannschaft ermordet, nachdem der einen unseligen Streit mit dem Vorsitzenden seines Vereins hatte. Sie ist nicht gerade die Art Frau, die sich mit progressiver Politik identifizieren dürfte. Und trotzdem hockt sie da oben, trinkt Wein mit Lisutaris und plant den Umsturz unserer Gesellschaft.«

Ghurd sieht mich besorgt an. »Planen sie tatsächlich den Umsturz der Gesellschaft? «

»Wer weiß? Makri behauptet, es wäre ein Lesezirkel, aber sie lügt. Alles ist möglich.«

»Wenigstens scheint Tanrose nichts mit ihnen zu tun zu haben«, sagt Ghurd.

»Ach nein? Sie hat ihnen immerhin einen Teppich geliehen.«

»Sie hat ihnen einen Teppich geliehen? Warum das denn?«

»Damit mein Büro hübscher aussieht.«

Ghurd zuckt zusammen. Die Sache scheint doch erheblich ernster, als er angenommen hatte. »Ich rede mit Makri«, sagt er. »Ich kann nicht dulden, dass dies so weitergeht.«

Dann will er wissen, ob ich mittlerweile herausgefunden habe, wer hinter dem Angriff gegen mich in der Sankt-Rominius-Gasse steckt.

»Ich habe keine Ahnung. Ich hatte noch nicht genug Zeit, um mich darum zu kümmern.«

Was zeigt, wie beklagenswert meine Lage momentan ist. Zwischen den Ermittlungen für Lohdius und meiner militärischen Ausbildung finde ich nicht einmal genug Zeit, einen lebensgefährlichen Anschlag auf mein Leben zu untersuchen.

»Vielleicht bist du dem wahren Mörder zu nahe gekommen?«

»Wenn ja, wäre mir das neu.«

Makri hastet mit einem voll beladenen Tablett an uns vorbei. Darauf stehen sechs große Krüge Bier, und Makri schlängelt sich damit durch die Gäste, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Das ist eines ihrer vielen Talente. Sie trägt das Bier an Viaggrax’ Tisch. Der große Söldner und seine Männer grölen begeistert, als Makri auftaucht. Teilweise wegen des Biers und teilweise wegen Makri. Dann lassen sie einige derbe Bemerkungen über ihre Figur vom Stapel, und Makri bleibt ihnen die Antwort nicht schuldig, aber ihre Beschimpfungen halten sich einigermaßen im Rahmen. Mir fällt auf, dass Toggalgax nicht in den Chor der zotigen Sprüche einstimmt, sondern sich nur höflich bei Makri für das Bier bedankt. Als wenn gutes Benehmen einen Eindruck auf diese verrückte Kriegerin machen würde. Der junge Söldner ist ein Idiot. Makri streicht ihr Trinkgeld ein, stopft es in die schwere Geldbörse, die von ihrem Hals herunterbaumelt, und geht zum nächsten Tisch. Der Quintessenzweg ist vollkommen vereist, aber hier drinnen in der Rächenden Axt ist es heiß von dem lodernden Kaminfeuer und den vielen Gästen. Der Schweiß läuft Makri über ihren nackten Hals. Und ich muss ihn mir mit dem Ärmel von der Stirn tupfen.

»Die Geschäfte laufen gut.«

Ghurd nickt. »Ich habe ein bisschen für die Zeit nach dem Winter zurückgelegt…« Er unterbricht sich und schaut mich auf eine Weise an, die mir mittlerweile hinlänglich vertraut ist. Zum ersten Mal in meinem Leben geht Ghurd mir auf die Nerven. Wie kann ein Mann nur so unentschlossen sein, der früher einmal einen ausgewachsenen Drachen in die Flucht geschlagen hat?

»Frag sie, ob sie dich heiratet, um Quaxinius willen! Oder frag sie nicht. Such dir eine Möglichkeit aus.«

»Und welche?«, erkundigt sich Ghurd.

»Woher soll ich das denn wissen? Was soll ich noch tun, um dir meine völlige Ahnungslosigkeit auf diesem Gebiet klarzumachen?«

»Ich möchte einfach nur deine Meinung hören.«

»Ich flehe dich an, frag mich nicht.«

»Ich bitte dich als alter Freund um einen Rat«, erwidert Ghurd sichtlich gekränkt.

Ich schüttele ergeben den Kopf. »Dann frag Tanrose einfach, ob sie dich heiratet. Vermutlich sind wir lange tot, bevor der Frühling vorbei ist.«

Ghurd nickt. »Das ist wahr.«

»Also selbst wenn der schlimmste Fall eintritt, wird er nicht allzu lange dauern. Ich meine, eine Ehe ist zwar ein gewaltiges Wagnis, Ghurd, aber sie bedeutet nicht das Ende der Welt, wenn wir ohnehin von den Orks abgeschlachtet werden. Hätte ich einen Hang zur Poesie, würde ich jetzt eine Eloge darüber anstimmen, dass wir gemeinsam in das nächste Leben hinübergehen.«

Ghurd lässt seine mächtige Faust auf die Tischplatte krachen. »Ja!«, ruft er. »Das ist gut. Wir gehen zusammen ins nächste Leben!«

Dieses Bild scheint sein Barbarenherz zu rühren. Er erhebt sich, leert seinen Krug und marschiert davon, kerzengerade aufgerichtet und barbarisch anzusehen, während sein grauer Pferdeschwanz an seinem Hinterkopf niedlich hin-und herpendelt.

Ich trinke mein Bier aus und gehe dann in mein Büro hinauf. Wenn ich jetzt mehr über Romantik zu hören bekomme, passiert es mir noch, dass ich mich daran erinnere, wie mich meine Frau vor vielen Jahren wegen eines Zauberlehrlings hat sitzen lassen. Meistens gelingt es mir, jeden Gedanken daran zu verdrängen.

Da ich die Kaschemme etwas zeitiger verlassen habe, als ich eigentlich beabsichtigte, komme ich zu früh zu meinem Phalanxdrill. Ich stehe auf dem eisigen Feld vor den Stadtmauern herum und warte auf die anderen. Ich bin der erste Fußsoldat vor Ort, und als Senator Marius mich sieht, gratuliert er mir zu meinem Enthusiasmus.

»Vielleicht bist du doch kein so hoffnungsloser Fall.«

Senator Marius erkundigt sich bei mir, wie diese Phalanx sich im Vergleich zu den anderen macht, in denen ich gefochten habe.

»Mies.«

Er nickt. »Ich weiß. Man könnte wirklich annehmen, dass einige dieser jungen Männer noch nie eine Lanze in der Hand gehalten haben. Du bist kein besonders guter Soldat, Thraxas, und du wirst auch nie einer werden. Aber im Vergleich mit den anderen schneidest du nicht einmal so katastrophal ab. Hiermit befördere ich Euch zum Korporal, Thraxas.«

Ich nicke. Das ist nur vernünftig.

»Vielleicht gelingt es uns, Soldaten aus ihnen zu machen, bevor die Orks angreifen«, meint der Senator.

»Vielleicht.«

Wir klingen beide nicht besonders überzeugt. Mittlerweile trudeln die anderen Soldaten ein, und der Senator zieht sich zu einer Beratung mit General Pomadius auf einen kleinen Hügel zurück.

Ich bin jetzt also Korporal. Es ist keine übermäßig bedeutende Position. In einer Phalanx von fünfhundert Mann dienen zehn Korporale. Sie unterstehen den fünf Zenturionen und dem Kommandeur. Dennoch beinhaltet dieser Rang eine gewisse Verantwortung. Und er gibt mir genügend Macht, dass ich jeden dafür büßen lassen kann, der mich noch einmal mit seiner Lanze sticht.

Während wir uns aufstellen, sehe ich, wie Prätor Raffius’ Phalanx vor uns antritt. Der Prätor ist einer der reichsten Männer Turais. Er besitzt eine eigene Bank und noch diverse andere Unternehmen. Bei einem meiner letzten Fälle bin ich ihm in die Quere gekommen, und eine Weile war ich der Meinung, er wäre die Person, welche diese Anklage wegen Feigheit vor dem Feind gegen mich angezettelt hätte. Jetzt bin ich mir aber nicht mehr so sicher. Professor Toarius, der Dekan von Makris Innungshochschule, hat es ebenfalls auf mich abgesehen. Der Professor unterhält sehr gute Kontakte zu den Kreisen des Hochadels. Er könnte es auch gewesen sein.

Wer auch immer dahinter steckt, letztendlich hat Grobiax diese Anklage tatsächlich vor Gericht gebracht. Grobiax ist ein sehr großes und sehr brutales Individuum und steht in Raffius’ Diensten. Ich sehe ihn in der vordersten Linie von Raffius’ Phalanx. Er war auch Söldner wie ich. Grobiax ist in vielerlei Hinsicht ein böser Mensch, aber er ist ein guter Soldat, und das ist in den Monaten, die vor uns liegen, wichtiger.

Auch als Korporal ist das Exerzieren in der Phalanx nicht einfacher. Wir stolpern herum und zittern im eisigen Wind. Wenn Senator Marius einen Befehl gibt, gehorcht ihm die Hälfte der Männer. Die andere Hälfte macht etwas falsch. Die derben Beschimpfungen des Senators werden von seinen Zenturionen ohne zu zögern an die Korporale weitergegeben. Ich möchte sie den Männern unter meinem Kommando nicht vorenthalten, wenngleich ich auch nicht so vehement fluche, wie ich könnte. Ich hatte noch nie das Zeug zum Offizier. In meiner Truppe befinden sich einige Männer, die als Soldaten derartig ungeeignet sind, dass es beinahe ein Verbrechen wäre, sie auch noch zu beschimpfen. Einer ist etwa um die dreißig und ziemlich klein und dürr.

Er ist erst letztes Jahr nach Turai gezogen, weil er eine Stellung an der Kaiserlichen Bibliothek angenommen hat. Und jetzt steht er plötzlich mit einer zehn Meter langen Lanze da und weiß nicht so recht, was er damit anfangen soll. Ich gebe mir Mühe und zeige ihm, wo es langgeht. Zunächst bin ich ganz freundlich, doch dann geht mir die Geduld aus, und ich werde grober. Er wird neben mir stehen, wenn die Orks angreifen. Ich empfinde zwar Mitleid mit ihm, aber ich will wegen seiner Unfähigkeit nicht mein Leben verlieren.

Meine Einheit ist nicht die einzige, die unter der Inkompetenz einiger ihrer Mitglieder leidet. In einer anderen Einheit entdecke ich tatsächlich den Vorsitzenden der Kürschnergilde, der versucht in Formation zu marschieren. Der Vorsitzende der Kürschnergilde genießt einen gewissen Ruhm als fettester Mann Turais. Er hat eine so enorme Leibesfülle, dass selbst meine nicht ganz unbeträchtliche Figur daneben verblasst. Ich bin überrascht, dass er überhaupt gehen kann, ganz zu schweigen davon, dass er tatsächlich die Lanze festhält. Gott weiß was passiert, wenn von ihm verlangt wird zu laufen. Immerhin ist er hier, das muss ich ihm zugute halten. Als Vorsitzender einer Gilde hätte er sicher seine Beziehungen spielen lassen können, um sich vor dem Militärdienst zu drücken.

Dasselbe gilt für Sermonatius. Auch er überrascht mich damit, wie er mit einer Lanze hantiert. Sermonatius ist Turais prominentester Philosoph. Ich halte ihn zwar für einen Scharlatan, aber Makri hält große Stücke auf ihn. Scharlatan oder nicht, er hätte sich aufgrund seines hohen Alters ganz legal vom Wehrdienst freistellen lassen können. Und doch ist er hier und marschiert umringt von einer Gruppe junger Männer der philosophischen Akademie, die er leitet. Ich hatte ihn immer für eine Art Pazifisten gehalten. Bis Makri mir berichtet hat, dass er die Verteidigung der Stadt gegen Aggressoren von außen für allgemeine Bürgerpflicht hält. Das macht ihn mir etwas sympathischer.

Am Ende der Übung ist mir so kalt, als wäre ich eine Eisfee, und ich bin sicher, dass wir unseren ersten Kampfeinsatz nicht überleben werden. Senator Marius instruiert noch seine Zenturionen und Korporale, während die Mannschaften sich nach Hause trollen.

»Macht Euch keine Sorgen«, meint er überraschend milde gestimmt. »Ich habe schon schlimmere Männer als die hier auf Zack gebracht.«

»Es gibt noch schlimmere?«, murmele ich.

Wir sehen zu, wie eine Phalanx aus Berufssoldaten von der Wache des Königs in einer prachtvollen Formation vorübermarschiert. Wir haben sie schon vorher exerzieren sehen, und der Unterschied zwischen ihrer Vorstellung und unserer hätte kaum größer sein können. Sie werden weder beim ersten Ansturm auseinander brechen noch zerfleddern, wenn sie den Feind verfolgen.

Offenbar ist meinen Kameraden Korporalen die Lust auf launige Kriegsgeschichten vergangen. Stattdessen rühren sich die schlechten Erinnerungen.

»Letztes Mal wurden wir von den Elfen gerettet«, sagt einer. Er ist Segelmacher in ZwölfSeen. »Wären sie einen Tag später angekommen, wäre Turai gefallen. Rezaz der Schlächter wäre einmarschiert, und wir wären alle längst vermodert.«

Niemand kann sich aufraffen, ihm zu widersprechen. Tatsache ist, dass Turai gefallen wäre, wenn die Elfen auch nur eine Stunde später angekommen wären. Die Ostmauer war kurz davor zu fallen, als die Elfenarmeen auf dem Schlachtfeld eintrafen.

Ich bin hungrig. Ich sehe mich nach Konsul Kahlius’ Zelt um, in der Hoffnung, vielleicht seinem Küchenchef ein Stück Gebäck abschwatzen zu können. Aber der Konsul ist heute nicht hier, und ich muss das Truppenübungsfeld hungrig verlassen. Entsprechend schlecht ist meine Laune. Am Osttor treffe ich zufällig mit Grobiax zusammen. Er ist einen Kopf größer als ich, hat Muskeln wie ein Ochse und ein Langschwert auf den Rücken geschnallt. Ich trete dicht an ihn heran.

»Sieh dich nur ausgiebig um«, knurre ich.

»Warum?«

»Du wirst den Anblick nicht mehr lange genießen können. Wenn die Orks dich nicht umbringen, tue ich es.«

Grobiax sieht mich höhnisch an. Er hat keine Angst vor irgendwelchen Zaubern, mit denen ich ihn angreifen könnte. Er trägt ein Zauberschutzamulett um den Hals. Diese Art Talisman ist teuer und hier in Turai sehr selten an Gemeinen zu finden. Offenbar sorgt sein Dienstherr Raffius gut für ihn.

»Keine Chance, fetter Mann.«

»Wir wissen beide, dass ich bei der Schlacht um Sanasa nicht desertiert bin.«

»Ich glaube mich aber daran erinnern zu können, dass du es sehr wohl getan hast«, erwidert Grobiax.

Ich beschließe, ihn jetzt zu töten. Es war keine gute Idee, den Fall vor Gericht ausfechten zu wollen. Ich ziehe mein Schwert, und Grobiax das seine. Plötzlich treten vier Uniformierte zwischen uns. Prätor Raffius ist mit seiner Wache aufgetaucht. Ich lasse mein Schwert in die Scheide zurückgleiten.

»Ich werde dich später umbringen«, sage ich.

Grobiax wirkt nicht eingeschüchtert. Er hat einmal einen Orden wegen Tapferkeit verliehen bekommen, weil er bei einer Belagerung die Mauern der feindlichen Stadt als Erster erklommen hatte. Mich interessiert nicht, ob er eingeschüchtert ist oder nicht. Eines Tages werde ich ihn trotzdem töten.