15
Martin Beck hatte mit Schwierigkeiten gerechnet, und die fingen auch schon prompt am nächsten Morgen an.
Eric Möller trat höchstpersönlich in die Tür und warf einen Stapel von Fotokopien auf Melanders Tisch.
»Hier ist unser Plan für den Nahschutz. Fix und fertig. Wir nehmen 400 Mann, das bedeutet, wir holen uns einige Leute aus den Provinzstädten und …«
Melander rauchte seine Pfeife und wartete auf die Beendigung des Satzes.
»… und von anderer Seite.«
»Welcher anderen Seite?«
Möller antwortete nicht. Stattdessen fragte er: »Ist Beck da?«
Melander zeigte schweigend mit dem Pfeifenschaft. Martin Beck, Gunvald Larsson und Skacke befanden sich im Zimmer.
Sie hatten offenbar etwas besprochen, brachen aber ab, als der Chef der Sicherheitspolizei eintrat. Martin Beck und Gunvald Larsson nickten, und Skacke grüßte zögernd:
»Hej.«
Möller war wie so häufig etwas außer Atem. Er setzte sich auf einen freien Stuhl, machte seinen Gürtel ein wenig auf und wischte sich den Schweiß mit einem einigermaßen sauberen Taschentuch von der Stirn.
»Es ist eine neue, wenn auch nicht ganz unerwartete Schwierigkeit aufgetaucht«, begann er.
»Aha«, sagte Martin Beck und sah ihn fragend an.
Möller zog einen Kamm heraus und versuchte seinen widerspenstigen roten Haarkranz in Ordnung zu bringen. Das Resultat war nicht sehr gelungen. Schließlich sprach er weiter:
»Es verhält sich so, dass wir sichere Informationen aus den Nachbarländern erhalten haben, vor allem aus Norwegen und Dänemark, denen zufolge wir von dort mit Tausenden von organisierten Demonstranten rechnen müssen. Es handelt sich um ganze Eisenbahnzüge voller Leute, aber hauptsächlich gemietete Busse und natürlich eine Reihe von Privatwagen.«
»Aha.«
»Ich bin hergekommen, um einen ernsthaften Vorschlag zu machen.«
»Jaha.«
»Nämlich, dass wir versuchen sollten, die Erlaubnis dafür zu bekommen, diese Transporte an den Grenzen stoppen zu lassen und die in ihre Heimatorte zurückschicken zu dürfen.«
Gunvald Larsson hatte sich bisher nicht geäußert. Jetzt schlug er mit der Hand auf den Tisch und rief laut:
»Nein!«
»Ich will also diese Erlaubnis haben«, sagte Möller ungerührt.
»Und du hast die Antwort gehört«, entgegnete Martin Beck.
»Ich glaubte, du bist der Chef hier.«
»Meine Meinung ist die gleiche wie Gunvalds.«
»Ich glaube, ihr versteht das hier nicht richtig. Gott allein weiß, mit wie vielen eigenen Demonstranten wir zu rechnen haben.«
»Tut er?«, fragte Gunvald Larsson. »In diesem Fall bist du hier falsch. Die Kirche liegt unten am Hantverkargatan.«
»Sicher viele tausend«, fuhr Möller, ohne auch nur zu blinzeln, fort. »Die reichen aus, um jeden einzelnen Ordnungspolizisten, der im Dienst ist, zu beschäftigen. Sowohl Norwegen, aber vor allem Dänemark haben große kommunistische Jugendgruppen, organisiert als FNL-Gruppen und auf andere heimtückische und weniger auffallende Weise. Wir schaffen es ganz einfach nicht, die auch noch zu verkraften.«
»Da bin ich aber anderer Meinung«, widersprach Martin Beck. »Der Chef der Ordnungspolizei hat keine Angst.«
»Angst habe ich auch nicht. Aber ich will, dass dies hier ordentlich vonstatten geht. Wir setzen alles ein, um den Senator zu betreuen, und ich will nicht, dass fanatische Elemente aus drei Ländern ihn einfach überrennen. Übrigens macht mir die Planung der Ordnungspolizei Sorgen. Wer garantiert denn, dass das alles funktioniert?«
»Wir. Deine Aufgabe ist es, so viel ich weiß, den Nahschutz zu organisieren.«
Möller machte seinen Gürtel noch ein Loch weiter auf.
»Ich weiß«, bestätigte er. »Der Plan ist fertig. Ich habe ihn gerade auf Melanders Tisch gelegt. Möglicherweise brauche ich da noch ein Spezialkommando für die Kranzniederlegung. Er will ja aus dem kugelsicheren Auto aussteigen und ist demnach besonders gefährdet. Aber das macht keine Schwierigkeiten. Schlimmstenfalls kann ich ja von euch noch Leute bekommen.«
»Das wird nur im schlimmsten Fall möglich sein«, warnte Gunvald Larsson.
»Aber diese andere Frage ist wichtiger. Ich habe jetzt einen formellen Antrag gestellt, und ihr sagt nein. Ohne Begründung.«
»Wir können dir genügend Gründe nennen. Das fällt nicht schwer«, sagte Martin Beck und blickte zu Gunvald Larsson, der das Wort nahm:
»Zu allererst richten sich deine Ideen gegen unsere allgemeine Auffassung vom Demonstrationsrecht. Es ist völlig rechtens, wenn man demonstriert.«
»Wenn es friedlich geschieht, ja.«
»In den meisten Fällen, wo Demonstrationen nicht friedlich waren, lag das allein an der Polizei. Mehrere Male hat die Polizei auch als einzige Gewalt angewendet.«
»Das stimmt nicht«, entgegnete Möller mit der ruhigen Überzeugung des gewohnheitsmäßigen Lügners.
Er hätte Politiker werden sollen, dachte Martin Beck. Laut sagte er:
»Wir hatten uns vorgestellt, dass es diesmal nicht so werden soll. Dein Plan hat jedoch einen anderen grundlegenden Fehler.«
»Was sollte das sein?«
»Die Zusammenarbeit mit den nordischen Ländern setzt unter anderem das Recht voraus, dass die Bürger der verschiedenen Staaten sich frei in ganz Skandinavien bewegen können. Dieses Recht ist im Passabkommen enthalten. Eine Gruppe von Demonstranten beispielsweise aus Dänemark daran zu hindern, ins Land einzureisen, bedeutet einen Verstoß gegen die skandinavische Zusammenarbeit und einen Bruch der Konvention des Nordischen Rates. Ich brauche dich wohl kaum daran zu erinnern, dass Schweden diese Konvention unterschrieben hat.«
»Skandinavische Zusammenarbeit, pah! Wenn wir ein Atomkraftwerk bauen, das praktisch mitten in Kopenhagen liegt, ohne die Dänen zu fragen. Als ich letzte Woche da war, ist mir aufgefallen, dass man, wenn man auf der S-Bahn-Station Nordhavn steht, das Kernkraftwerk in Barsebäck ganz genau sehen kann. Man braucht nicht mal ein Fernglas.«
»Meinst du, dass das falsch ist?«, wollte Gunvald Larsson wissen.
»Es ist nicht meine Sache, mich dazu zu äußern«, entgegnete der Chef der Sicherheitspolizei. »Ich kam nur drauf, als Beck hier saß und von der skandinavischen Zusammenarbeit schwafelte.«
Er stand auf und stellte sich so dicht vor Martin Beck, dass sein Bauch diesen beinahe berührte.
»Ihr sagt also nein? Dies ist das letzte Mal, dass ich frage.«
»Definitiv. In diesem Punkt sind wir unbeugsam.«
»Ich nehme an, du weißt, dass du einige Vorgesetzte hast.«
»Im Augenblick nicht. In dieser Angelegenheit fühle ich mich niemandem unterstellt.«
»Im Augenblick seid ihr Herren euch eurer Sache sehr sicher. Aber es kommen auch wieder andere Zeiten. Vielleicht kommen die sogar ganz plötzlich.«
Eric Möller ging, ohne sich zu verabschieden.
»Was meinst du, was er jetzt tut«, wollte Benny Skacke wissen.
Gunvald Larsson zuckte die Achseln.
»Er geht wahrscheinlich hinauf und unterhält sich in der Reichspolizeileitung mit Malm und dem Chef. Dann werden wir weitersehen.«
Sie brauchten nicht lange zu warten.
Eine Viertelstunde später klingelte das Telefon. Skacke nahm ab:
»Der Bürochef«, sagte er und hielt die Hand vor die Sprechmuschel.
Gunvald Larsson nahm den Hörer.
»Hier Malm. Eric Möller war eben hier. Er findet, ihr vernachlässigt seine Gesichtspunkte.«
»Möller kann sich am Hintern kratzen. Und was hält der große Häuptling davon?«
»Der Chef? Der ist in seinem Sommerhaus. Ist gestern Abend runtergeflogen.«
Das Sommerhaus des Rikspolis-Chefs lag in einem Naturreservat; das fanden alle höchst eigenartig, und manche machten sich darüber lustig.
»Sitzt er da und langweilt sich?«, fragte Gunvald Larsson weiter. »Gerade jetzt?«
»Ja. Er war gestern ziemlich müde und nervös. Er sagte, er wollte die ganze Sache in aller Ruhe durchdenken. Die Verantwortung lässt ihm keine Ruhe.«
»Leck mich doch im Arsch.«
»Musst du so ordinär reden? Jedenfalls fühlte sich der Chef gestern nicht wohl.«
»Hast du das zu spüren bekommen?«
Eine Weile blieb es ruhig. Dann antwortete Malm:
»Ja.«
»Hast du das mit den Bordells versucht? Und den mit den Zuckerstangen?«
»Ja. Aber er hat überhaupt nicht gelacht.«
»Dann hast du die Sache wohl falsch angefangen.«
Martin Beck und Skacke hörten Gunvald Larssons Äußerungen mit einiger Verwunderung zu.
»Das ist denkbar. Was ich sagen wollte ist, dass Möller trotz allem der offizielle Sicherheitschef des Landes ist. Man kann ihn nicht einfach links liegen lassen.«
»Nicht? Mir kommt es beinahe so vor, als ob es ihn gar nicht gibt.«
»Ich selbst bin auch der Ansicht, dass ihr einen falschen Beschluss gefasst habt.«
»Findest du? Aber das ist unsere Sache, nicht wahr?«
»Wie dem auch sei, er geht jetzt direkt zur Regierung. Ich sehe es als meine Aufgabe als Verbindungsmann in dieser Gruppe an, euch davon in Kenntnis zu setzen.«
»Richtig. Du hast dich beispielhaft verhalten, danke.«
Er legte auf. Die anderen sahen ihn fragend an.
»Der Rikspolis-Chef ist in seinem Sommerhaus und denkt über seine Verantwortung nach, vermutlich mit einem Polizeihubschrauber, der an der Hausecke steht. Und Möller ist auf dem Weg zur Regierung.«
»Mmm«, machte Martin Beck.
»Was sollte das mit den Zuckerstangen?«, erkundigte sich Skacke.
»Zu dämlich, um es zu wiederholen, und es dauert zu lange, um das zu erklären«, antwortete Gunvald Larsson lakonisch.
Er blickte auf seine Uhr.
»Wir müssen los, wenn wir rechtzeitig da sein wollen«, mahnte er Martin Beck.
Martin Beck nickte und zog sich seine Jacke an. Sie gingen. Im Vorbeigehen fragte Martin Beck Melander:
»Hast du dir Möllers Plan für den Nahschutz angesehen?«
»Bin gerade damit fertig.«
»Und?«
Melander fummelte mit dem Schaft der Pfeife. »Der scheint in Ordnung zu sein.«
»Immerhin etwas«, bemerkte Gunvald Larsson. »Ich an deiner Stelle würde ihn noch einmal durchsehen.«
»Das hatte ich auch vor.«
Als Malm zwei Stunden später anrief, war Benny Skacke allein in den Räumen. Melander befand sich auf der Toilette, und Rönn war unterwegs.
»Kriminalinspektor Skacke.«
»Hier Bürochef Malm. Ich will mit Beck oder Larsson sprechen.«
»Die sitzen in einer Besprechung.«
»Wo?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Weißt du nicht, wo sie sind?«
»Doch, das weiß ich«, antwortete Skacke keck. »Aber ich sage es nicht.«
»Junger Mann«, sagte Malm drohend. »Ich erinnere dich an deinen Dienstgrad und daran, dass du außerdem mir unterstellt bist.«
»Im Augenblick nicht.«
An Skackes Selbstvertrauen war nicht zu zweifeln. »Wo sind Beck und Larsson?«
»Sage ich nicht.«
»Ist kein anderer da, mit dem ich sprechen kann? Einar Rönn zum Beispiel?«
»Nein, der ist in einer dienstlichen Angelegenheit unterwegs.«
»Was für eine Angelegenheit?«
»Das kann ich auch nicht sagen. Tut mir Leid.«
»Warte nur, bis du wirklich Grund hast, dass dir etwas Leid tut.« Malm wurde laut. »Das dauert sicher nicht mehr lange.«
Dann warf er den Hörer auf die Gabel. Skacke schnitt eine Fratze und legte auf. Es klingelte sofort wieder.
»Kriminalinspektor Skacke.«
»Das höre ich«, sagte Malm kühl. »Meinst du, dass du eine Nachricht entgegennehmen und sie an Kommissar Beck weitergeben kannst, wenn er wiederkommt?«
»Selbstverständlich«, antwortete Skacke unbeeindruckt.
»Ich habe direkt von der Regierung die folgenden Informationen erhalten«, begann Malm sichtlich hochnäsig. »Der Chef der Sicherheitspolizei hat sich an den Justizminister gewandt und sich über einen Bescheid beschwert, den er heute Morgen von Beck erhalten hat. Der Minister verwies ihn jedoch zurück an die Leitung der Spezialgruppe und sagte, dass er sich nicht in die Entscheidungen der Polizei einmischen wolle. Kommissar Möller ging daraufhin direkt zum Regierungschef, der zuerst unschlüssig war, aber dann, nachdem er mit dem Justizminister gesprochen hatte, zum gleichen Schluss kam wie jener. Begriffen?«
»Aber sicher.«
»Und sobald Beck oder Larsson wiederkommt, will ich mit ihnen über eine andere Sache sprechen. In eigener Sache könnt ihr mal eine Weile darüber nachdenken, wie man sich Vorgesetzten gegenüber verhalten sollte. Auf Wiedersehen.«
Martin Beck und Gunvald Larsson kamen erst im Laufe des Nachmittags zurück. Sie schienen ganz zufrieden mit dem zu sein, was sie erreicht hatten.
Rönn kam an diesem Tag überhaupt nicht mehr ins Büro. Er hatte eine Spezialaufgabe, die seine ganze Zeit in Anspruch nahm.
Pausenlos kamen Besucher und Telefongespräche.
Der Adjutant des Königs teilte mit, dass Seine Majestät sich entschlossen hatte, auf Logärden vor das Schloss herauszukommen und den Senator zu begrüßen, wenn er auf die nördliche Treppe heraufkam.
Martin Beck wies darauf hin, dass das die Sicherheitsmaßnahmen nicht gerade erleichtern würde, vor allem nicht den Fernschutz, aber der Adjutant antwortete lakonisch, dass der König nicht ängstlich sei.
Gegen fünf traf ein höchst unerwarteter Besucher ein. Die Tür sprang auf, und Bulldozer Olsson stürmte mit gesenktem Kopf, einem blumengeschmückten Stier auf dem Weg in die Arena nicht unähnlich, herein.
Er sah wie immer aus. Zerknitterter blauvioletter Anzug, rosafarbenes Hemd und ungeheuer fantasievoller Schlips.
Melander rührte keinen Finger, aber Gunvald Larsson sprang, wie an einer unpassenden Stelle von der Tarantel gestochen, hoch. Dann fragte er verblüfft:
»Was machst du hier, in drei Teufels Namen?«
»Bürochef Malm bat mich, mal herzukommen, wenn ich Zeit habe«, erklärte Bulldozer strahlend. »Er meinte, dass vielleicht juristische Probleme auftreten würden, bei denen ihr Hilfe braucht.«
Er trippelte an die Wandkarte, studierte sie eine Weile, schlug die Hände zusammen und rief plötzlich:
»Wie geht’s denn so bei euch, Jungens?«
Auch Martin Beck war von der plötzlichen Aufregung angelockt worden und blickte unfreundlich auf den Besucher. Aber seine Stimme war ganz ruhig:
»Alles scheint planmäßig zu verlaufen. Irgendwelche speziellen juristischen Fragen sind noch nicht aufgetaucht. Aber es ist ja beruhigend zu wissen, dass wir uns an dich wenden können, wenn es Probleme geben sollte.«
»Ausgezeichnet. Ganz ausgezeichnet.«
»Wo ist denn Werner Ross?«, fragte Gunvald Larsson boshaft.
»In Canberra, in Australien. Ich rechne also damit, dass er jeden Moment zuschlägt. Und ausgerechnet jetzt werde ich am Donnerstag und Freitag die Hälfte des Bankraubpersonals abgeben müssen. Und wer hat das veranlasst? Ihr mit euren Schutzmaßnahmen. Das werden harte Tage, meine Herren. Glaubt meinen Worten. Aber wir werden es schon schaffen. Wir haben unsere Erfahrungen, sozusagen.«
Er blickte sich im Zimmer um und verabschiedete sich fröhlich: »Viel Glück, Jungens!«
Dann eilte er auf die Tür zu und verschwand, noch ehe jemand ihm auch nur zunicken konnte.
»Verdammt«, schimpfte Gunvald Larsson, »so dumm kann auch nur Malm sein, uns Bulldozer auf den Hals zu schicken.«
»Wir brauchen ihn ja nicht um Rat zu fragen«, meinte Martin Beck leidenschaftslos.
Nachdem die Nachricht vom König eingetroffen war, schien jetzt alles klar zu sein, was das Programm betraf.
Die ganze Angelegenheit sollte in der Presse veröffentlicht werden, auch der Weg der Kolonne.
Das einzige, wovon niemand etwas erfahren durfte, war wohl wie üblich der Inhalt der Gespräche zwischen den hohen Politikern und was dabei herausgekommen war. Man konnte mit Sicherheit mit einem farblosen und nichts sagenden Kommunique rechnen, wenn alles überstanden war.
Radio und Fernsehen würden die Ankunft des hohen Gastes, den Weg in die Stadt, die Kranzniederlegung und das Treffen beim König direkt übertragen.
Alles schien klar, einfach und gut vorbereitet.