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Am Tag nach Mittsommer kam ein junger Mann auf das Polizeirevier in Märsta und lieferte dem wachhabenden Polizeibeamten einen langen, schmalen, schweren Gegenstand ab, den er in Zeitungspapier eingewickelt hatte.

Seit dem Mord in Rotebro waren 19 Tage vergangen, und die Ermittlungen waren bisher kaum von der Stelle gekommen. Die technische Untersuchung hatte nichts Bemerkenswertes oder Interesseweckendes ergeben, nicht einmal Fingerabdrükke, die nicht von Walter Petrus selbst, Maud Lundin oder ihren Bekannten oder anderen Personen stammten, die legitime Gründe hatten, sich in dem Haus aufzuhalten. Das Einzige, was möglicherweise von dem Täter stammen konnte, war eine deutliche Fußspur draußen vor der Gartentür.

Unzählige Verhöre hatten stattgefunden mit Nachbarn, Familienmitgliedern, Angestellten, Freunden und Bekannten, und während der Aktenberg wuchs, wurde auch das Bild von Walter Petrus klarer. Hinter einer jovialen und großzügigen Maske kam ein harter und rücksichtsloser Mann zum Vorschein, völlig ohne Skrupel, wenn es darum ging, eigene Absichten durchzusetzen. Sein gewissenloses Auftreten, besonders wenn es um Geschäfte ging, hatte ihm viele Widersacher geschaffen, aber die Personen seiner Umgebung, von denen man annehmen konnte, dass sie ein ausreichend starkes Motiv für einen Mord hatten, waren für die aktuelle Zeit alle durch ein einwandfreies Alibi abgesichert. Außer seiner Frau und seinen Kindern gab es niemanden, dem sein Tod wirtschaftliche Vorteile gebracht hätte.

Der wachhabende Polizist übergab das Paket Kriminalkommissar Pärsson, der es öffnete, einen Blick auf den Inhalt warf und dann den jungen Mann hereinrufen ließ.

Er zeigte auf die Eisenstange, die in das Zeitungspapier eingewickelt gewesen war, und fragte:

»Was ist das hier, und warum bringen Sie das zu uns?«

»Das ist ein Ding, das ich in Rotebro gefunden habe«, antwortete der Bursche. »Ich dachte, dass es vielleicht mit dem Mord an diesem Petrus zu tun haben kann. Ich habe davon in der Zeitung gelesen, und da stand, dass die Mordwaffe am Tatort nicht gefunden wurde. Ich habe einen Freund, der gegenüber von dem Haus, in dem das passiert ist, wohnt, und heute Nacht habe ich bei ihm geschlafen. Wir haben natürlich über den Mord gesprochen, und als ich das da heute Morgen fand, habe ich gedacht, das könnte die Mordwaffe sein. Ich meinte, ich müsste das jedenfalls der Polizei abliefern.«

Er blickte eifrig auf Pärsson und fuhr unsicher fort:

»Sicherheitshalber, man kann ja nie wissen.«

Pärsson nickte.

Vor einigen Tagen hatte eine Frau mit der Post eine Rohrzange eingeschickt und in dem beigelegten Brief ihren Nachbarn des Mordes beschuldigt. Die Rohrzange hatte sie in der Garage des Nachbarn gefunden, und weil das Werkzeug offensichtlich Blutspuren trage und der Nachbar schon einen Mord begangen habe, sollte die Polizei schnell kommen und ihn einsperren, schrieb die Frau. Pärsson war der Sache sofort nachgegangen. Es zeigte sich, dass die Frau paranoid war, dass sie davon überzeugt war, dass der Nachbar ihre Katze, die seit drei Monaten verschwunden war, erschlagen hätte, und dass das Blut an der Rohrzange roter Lack war.

»Wo haben Sie die gefunden?«, fragte Pärsson.

»Eigentlich hat Emil sie gefunden.«

»Emil?«

»Mein Hund. Wir haben einen Spaziergang über das Feld gemacht, und am Waldrand dahinter blieb Emils Leine in einem Busch hängen, und als ich sie losmachen wollte, lag die Stange da.«

Pärsson nickte wieder und sagte freundlich:

»Es war nett von Ihnen, dass Sie hergekommen sind. Könnten Sie, wenn es darauf ankommt, uns den Platz zeigen, wo Sie die Stange gefunden haben?«

»Na klar. Ich habe an der Stelle einen Stock in die Erde gesteckt. Sicherheitshalber.«

»Gut. Sehr klug. Geben Sie uns Ihren Namen und Ihre Telefonnummer, dann lassen wir von uns hören, wenn es sich als notwendig erweisen sollte.«

Eine Stunde später lag das Paket auf Martin Becks Tisch in Södra Polishuset. Er untersuchte die Eisenstange und prüfte die stark vergrößerten Nahaufnahmen der Fraktur auf dem Schädel des Opfers. Dann hob er den Hörer ab und rief das Staatliche Kriminaltechnische Laboratorium in Solna an. Er bat darum, mit Oskar Hjelm, dem Abteilungsleiter des SKL, sprechen zu dürfen.

Hjelms Stimme hörte sich irritiert an, aber das war häufig so.

»Was ist denn nun schon wieder?«, fragte er.

»Eine Eisenstange. Möglicherweise die Waffe, mit der Walter Petrus erschlagen wurde. Du hast natürlich viel zu tun, aber ich möchte dich trotzdem bitten, sie dir, so schnell es geht, einmal anzusehen.«

»So schnell es geht«, knurrte Hjelm. »Wir sind bis Weihnachten mit Arbeit eingedeckt, und alles soll am liebsten vorgestern fertig sein. Aber schicke sie mal immer her. Das Übliche, oder wollt ihr was Besonderes wissen?«

»Nein, nur das Übliche. Prüfe, ob sie zu der Wunde paßt, und sieh zu, was ihr sonst noch daran finden könnt. Sie hat ‘ne ganze Weile im Freien gelegen. Viel wird sich also nicht mehr daran feststellen lassen, aber versucht es mal, so gut ihr könnt.«

Hjelm hörte sich beleidigt an, als er zur Antwort gab:

»Wir machen alles stets so gut wir können.«

»Ja, ich weiß«, bestätigte Martin Beck eilig. »Ich schicke sie dir sofort.«

»Ich rufe an, wenn ich was habe.« Hjelm legte den Hörer auf.

Vier Stunden später, als Martin Beck dabei war, seinen Schreibtisch aufzuräumen, bevor er für diesen Tag Schluss machte, rief Hjelm an.

»Hjelm hier. Ja, also das Ding passt ausgezeichnet. Ich habe Spuren von Blut und Hirnsubstanz feststellen können und auch die Blutgruppe. Sie kommt hin.«

»Prima, Hjelm. Noch was?«

»Ein bisschen Baumwolle. Zwei verschiedene Sorten. Eine weiß, wahrscheinlich von dem Frotteehandtuch, das benutzt worden ist, um das Blut abzuwischen, die andere marineblau, vielleicht von den Kleidungsstücken.«

»Wunderbar, Oskar.«

»Erde und Rost. Die Stange selbst ist 422 Millimeter lang, 33 im Durchmesser, sie ist achtkantig, aus Schmiedeeisen, und dem Korrosionsgrad nach zu urteilen, ist sie ziemlich lange Wind und Wetter ausgesetzt gewesen. Viele Jahre, vielleicht immer. Sie ist handgeschmiedet und war an beiden Enden festgeschweißt.«

»Was glaubst du? Wozu ist sie verwendet worden?«

»Es scheint ein altes Ding zu sein. Vielleicht 60,70 Jahre alt. Kann zu einem Zaun oder Gitter oder so was gehört haben.«

»Du bist fest davon überzeugt, dass das die Waffe ist, mit der Petrus erledigt wurde?«

»Ja. Absolut. Leider ist die Oberfläche so genarbt, dass es unmöglich ist, Fingerabdrücke festzustellen.«

»Es wird uns trotzdem weiterhelfen.«

Martin Beck dankte Hjelm, der grunzte und legte den Hörer auf.

Dann rief Martin Beck Pärsson in Märsta an und teilte ihm mit, was er von Hjelm erfahren hatte.

»Da sind wir einen kleinen Schritt weiter«, meinte der. »Am besten schicken wir einige Leute los, die das Gebiet genau durchsuchen. Ich glaube zwar nicht, dass sich das nach so langer Zeit noch lohnt, aber trotzdem.«

»Weißt du, wo genau das Eisenstück gelegen hat?«

»Der junge Mann hat die Stelle gekennzeichnet. Ich rufe ihn jetzt an. Willst du mitkommen und es dir ansehen?«

»Okay, sage mir Bescheid, wenn du fährst, dann komme ich.«

Martin Beck fuhr fort, die Akten auf seinem Schreibtisch hin und her zu schieben, und es gelang ihm, schließlich eine gewisse Ordnung herzustellen.

Er lehnte sich im Stuhl zurück und öffnete eine Mappe mit Berichten, die Äsa Torell am Vormittag abgegeben hatte.

Die Mappe enthielt Protokolle über ihre Verhöre mit zwei Mädchen, die Walter Petrus gekannt hatten. Äsa kannte eine davon offenbar aus ihrer Zeit bei der Sittenpolizei.

Was die Mädchen zu erzählen hatten, stimmte im Großen und Ganzen überein. Ihre Aussagen gereichten Petrus nicht zum Vorteil, und keine von ihnen schien ihm nachzutrauern oder seinen Tod zu beklagen. Bezüglich einer seiner Eigenschaften stimmten die Aussagen auffallend genau überein. Er war ungeheuer geizig gewesen.

Er hatte sie zum Beispiel niemals zu einem Essen oder einem Drink in ein Lokal eingeladen oder ihnen so viel wie ein Paket Zigaretten oder eine Tafel Schokolade geschenkt. Einmal durfte eine von ihnen mit ihm ins Kino gehen, aber sie wies darauf hin, dass er Freikarten gehabt hatte.

In ziemlich regelmäßigen Abständen pflegte er anzurufen und sie in sein Büro zu bitten, immer abends, wenn das Personal gegangen war, und beide Mädchen waren sich darin einig, dass seine Leistungen auf sexuellem Gebiet kläglich waren. Häufig war er völlig impotent, und die gewöhnlich misslungenen so genannten Liebesstunden im Büro machten ihn nicht freigiebiger. Das eine oder andere Mal bekamen sie Geld, um mit dem Taxi heimfahren zu können nach langen, ermüdenden und erfolglosen Anstrengungen, ihn sexuell zufrieden zu stellen, aber meistens schickte er sie einfach weg, schlechter Laune und unzufrieden.

Einer der Gründe, warum die Mädchen überhaupt mit ihm zu tun haben wollten, war seine Großzügigkeit in Bezug auf Alkohol und Rauschgift. In diesem Punkt war er nicht knauserig. Obwohl er selbst kaum trank und nur hin und wieder eine Marihuanazigarette rauchte, war sein Barschrank immer gut bestückt, und er hatte stets Cannabis oder Marihuana bei sich. Der andere Grund waren seine beharrlichen Versprechungen, ihnen bedeutende Rollen in seinen zukünftigen Filmproduktionen zu verschaffen, und die ständigen Vorspiegelungen von Reisen, Cannes-Festivals und einem Leben in Luxus und Glanz.

Eins der Mädchen hatte ein halbes Jahr vorher aufgehört, zu ihm zu gehen, aber das andere hatte ihn noch einige Tage vor seinem Tod besucht.

Sie gab zu, dass sie zu Beginn dumm genug gewesen war, seinen Versprechungen Glauben zu schenken, aber mit der Zeit eingesehen hatte, dass er sie nur ausnutzte. Nach ihrem letzten Treffen hatte sie sich so angeekelt gefühlt, dass, sie sich vorgenommen hatte, ihm beim nächsten Anruf einige passende Worte zu sagen und den Hörer aufzulegen. Jetzt konnte sie ihr Vorhaben nicht mehr ausführen.

Der Nachruf, den sie Walter Petrus widmete, ließ nicht auf freundschaftliche Gefühle für ihn schließen. Äsa hatte sie beim Wort genommen und zitiert:

»Schreib auf, dass ich große Lust hätte, Go-go auf seinem Grab zu tanzen, falls sich überhaupt jemand die Mühe gemacht hat, das Aas zu beerdigen.«

Am Protokoll hatte Äsa einen Zettel mit einem handschriftlichen Kommentar befestigt. Martin Beck löste das Stück Papier ab und las:

Martin! Dieses Mädchen ist schwer rauschgiftsüchtig - beim Rauschgiftdezernat nicht bekannt - alle Anzeichen deuten daraufhin, dass sie härtere Sachen als Haschisch nimmt. Streitet ab, dass W. P. ihr etwas anderes gegeben hat, aber ist die Sache nicht wert, untersucht zu werden?

Martin Beck legte den Zettel in eins der Seitenfächer des Schreibtisches, schlug die Mappe mit den Protokollen zu, stand auf und ging ans Fenster, wo er mit den Händen in den Taschen stehen blieb.

Er dachte über Äsas Andeutung nach, dass Walter Petrus in den wachsenden und immer unübersichtiicher werdenden Rauschgifthandel verwickelt gewesen sein konnte. Das war ein Gesichtspunkt, der möglicherweise neue Wege in der Ermittlungsarbeit weisen oder sie noch komplizierter machen konnte.

Es hatte bisher keinen Hinweis darauf gegeben, dass Petrus mit Rauschgift gehandelt hatte, weder in seinen Geschäftsräumen noch in seinem Haus, aber andererseits hatten sie bisher keinen Grund gehabt, ihn dessen zu verdächtigen. Jetzt musste er das Rauschgiftdezernat einschalten und abwarten, was die Kollegen herausbekamen.

Das Telefon klingelte.

Pärsson in Märsta rief an und teilte mit, dass er den jungen Mann erreicht hatte, der den Fundplatz zeigen konnte, und dass sie dann gleich losfahren wollten.

Martin Beck versprach zu kommen und machte sich auf die Suche nach Skacke, aber der war schon nach Hause gegangen oder dienstlich unterwegs.

Er nahm den Hörer ab, um ein Taxi zu bestellen, besann sich aber eines Besseren und rief stattdessen die Fahrbereitschaff an. Die Fahrt Rotebro und zurück würde an die 100 Kronen kosten, und sein Stapel von Taxiquittungen war in diesem Monat schon erschreckend hoch.

Martin Beck chauffierte sehr ungern, nur im äußersten Notfall setzte er sich selbst hinters Steuer. Jetzt hatte er keine andere Wahl und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter in die Garage, wo ein schwarzer VW für ihn bereitgestellt worden war.

Pärsson wartete am vereinbarten Treffpunkt in Rotebro, und zusammen mit dem jungen Mann und seinem Hund gingen sie über das Feld bis zu den Schlehenbüschen, wo die Eisenstange gelegen hatte.

Das Wetter war schlechter geworden, es war kühl und die Luft feucht. Der Abendhimmel hing niedrig und grau mit regenschweren Wolken über dem Land.

Martin Beck blickte hinüber zu den Häusern am anderen Ende des Feldes.

»Komisch, dass er diesen Weg gewählt hat, auf dem er so leicht hätte gesehen werden können.«

»Er hatte vielleicht ein Auto unten auf Enköpingsvägen stehen«, gab Pärsson zu bedenken.

»Na schön, gehen wir davon aus und untersuchen morgen das Terrain von hier aus bis zum Weg.«

»Es kommt Regen auf. Und es sind sowieso schon beinahe drei Wochen vergangen. Unwahrscheinlich, dass etwas dabei rauskommt.«

»Versuchen muss man es.«

Der Hund war zwischen den Bäumen verschwunden, und sein Besitzer rief immer wieder nach ihm.

»Komischer Name für einen Hund«, meinte Pärsson.

»Ich kenne auch einen Hund, der Emil heißt«, entgegnete Martin Beck. »Sehr feines Tier. Wohnt in Kungstensgatan.«

Er hatte kalte Füße und sehnte sich nach Rhea und seiner Wohnung. Die Schlehenbüsche konnten die Frage nach dem Mörder von Walter Petrus auch nicht beantworten, und es begann dunkel zu werden.

»Wollen wir gehen?«, fragte er und begann zu den Autos zurückzugehen.

Er fuhr direkt nach Tulegatan, und während Rhea in der Küche Beefsteaks briet, lag er in der Badewanne und überlegte, wie er die Arbeit des morgigen Tages einteilen sollte.

Das Rauschgiftdezernat musste informiert und mit dem Fall bekannt gemacht werden.

Gründliche Haussuchungen mussten draußen in der Villa in Djursholm, in den Geschäftsräumen und im Haus von Maud Lundin vorgenommen werden.

Benny Skacke sollte sich darum kümmern, ob Petrus eine geheime Adresse hatte, eine Wohnung oder andere Räume vielleicht auch unter falschem Namen gemietet.

Das Mädchen, mit dem Äsa gesprochen hatte, musste etwas schärfer angefasst werden, aber das war Sache des Rauschgiftdezernats.

Er selbst hatte schon mehrere Tage lang überlegt, ob er zu der Villa hinausfahren und mit Frau Petrus und dem Gärtnermeister Hellström sprechen sollte. Aber das hatte Zeit. Morgen musste er in seinem Büro erreichbar sein.

Äsa konnte mit den Angestellten in Djursholm sprechen.

Er überlegte, womit Äsa beschäftigt war, er hatte sie den ganzen Tag über nicht gesehen.

»Das Essen ist fertig«, rief Rhea. »Willst du Bier oder Wein haben?«

»Bier, bitte«, rief er zurück.

Er stieg aus der Badewanne und hörte auf, an morgen zu denken.