9. KAPITEL

Als sich ihr Puls wieder halbwegs normalisiert hatte, fand Isobel sich in dem Anbau wieder, in dem ihre Mutter untergebracht war. Früher hatte sie hier ihr Fotolabor aufgebaut, und ein Teil der Ausrüstung stand heute noch dort. Dass sie instinktiv an jenem Ort Zuflucht gesucht hatte, an den sich Leandros nur selten verirrte, sagte mehr über ihre Verfassung aus als die leichte Übelkeit, die sie befallen hatte.

Noch vor wenigen Minuten hatte sie die Rückkehr ihres Mannes herbeigesehnt. Nun war sie versucht, in aller Eile ihre Koffer zu packen und die Villa zu verlassen, um ihm nicht begegnen zu müssen. Lieber ein Feigling als eine Mörderin, dachte sie verzweifelt.

Leandros hatte in seinem Büro einen Briefumschlag ohne Absender vorgefunden. Das kam häufiger vor, und normalerweise warf er solche Post ungelesen in den Papierkorb. Warum er an diesem Morgen eine Ausnahme machte, wusste er selbst nicht. Doch sobald er die Fotos in Händen hielt, war ihm schmerzlich bewusst, dass er ein großes Problem hatte.

Ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte, klingelte das Telefon. Auch Dianthas Vater hatte einen anonymen Umschlag erhalten, und der Inhalt hatte ihn so in Rage gebracht, dass Leandros große Mühe hatte, ihn zu besänftigen. Kaum hatte er aufgelegt, rief seine Mutter an. Und als sich schließlich der Reporter einer Athener Boulevardzeitung meldete, weil er eine Story witterte, war Leandros klar, dass es sich um eine infame Intrige handelte.

Unter Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln steuerte er den Ferrari durch den dichten Verkehr. Da sein Handy unaufhörlich klingelte, schaltete er es irgendwann aus und legte es zu den Fotos auf den Beifahrersitz. Wer auch immer außer ihm Abzüge bekommen hatte, sollte selbst sehen, wie er damit klarkam. Zweifellos gehörte Isobel zu den Empfängern, und Leandros’ einzige Sorge war, dass sie längst ihre Schlüsse gezogen hatte – auch wenn diese noch so falsch sein mochten.

Als er endlich die Villa erreicht hatte, nahm er sich nicht einmal die Zeit, die Wagentür zu schließen. “Wo ist meine Frau?”, rief er Allise zu, die ihm in der Halle entgegenkam. Ohne eine Antwort abzuwarten, lief er auf die Terrasse. Seine vage Hoffnung, dass Isobel den Umschlag noch nicht geöffnet hatte, verflog, als er die Fotos sah, die auf dem Boden verstreut lagen.

“Sie ist im Anbau.”

Einen Moment sah er Allise ungläubig an, so unbegreiflich war ihm, dass Isobel nicht längst in ihrem Zimmer war und die Koffer packte. Schließlich erwachte er aus seiner Erstarrung und wagte sich in die Höhle des Löwen – oder besser der Löwin, die sicher schon darauf lauerte, ihn zu zerfleischen.

Entsprechend schockiert war er, als er Isobel sah. Sie lag zusammengekrümmt auf Silvias Bett und wirkte wie ein kleines Kind, das sich am liebsten irgendwo verkrochen hätte.

Der Anblick steigerte seinen Hass auf die Person, die ihr das angetan hatte. Doch wichtiger als Rache war zunächst etwas anderes.

“Isobel”, sagte Leandros leise, als er vor dem Bett stand, aber Isobel reagierte nicht.

“Isobel”, wiederholte er deshalb lauter und legte ihr die Fotos, die er aus dem Büro mitgebracht hatte, direkt vors Gesicht. “Nichts davon entspricht den Tatsachen, und ich erwarte von dir, dass du mir glaubst.”

“Findest du nicht, dass du ziemlich viel von mir verlangst?”

Endlich öffnete sie die Augen. Ihre Frage ließ ihn allerdings erahnen, wie schwer es sein würde, sie zu überzeugen.

“Als Fotografin solltest du am besten wissen, wie leicht es heutzutage ist, ein Foto zu fälschen”, sagte er mahnend. “Mit einer geschickten Fotomontage kann man alles beweisen – selbst wenn nicht ein Fünkchen Wahrheit daran ist.”

“Lass mich in Ruhe”, erwiderte sie matt.

Er sah ein, dass er zu anderen Mittel greifen musste. Deshalb umfasste er ihre Arme und zwang sie mit sanfter Gewalt, sich aufzurichten. Dann kniete er sich hin und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie war aschfahl und ihr Blick so leer, als hätte sie Drogen genommen.

Deshalb überraschte es Leandros, dass sie plötzlich zum Angriff überging und mit Fäusten auf ihn einschlug. Doch lange reichte ihre Kraft nicht, so dass Isobel schließlich aufhörte – allerdings nicht ohne laut zu fluchen.

“Hörst du mir jetzt endlich zu?”, fragte er ungeduldig.

“Du lügst mich ja doch nur an!”, platzte sie verzweifelt heraus und nahm angewidert die Fotos in die Hand. “Wie oft hast du mir geschworen, dass sie dir nichts bedeutet! Wie soll ich dann das hier verstehen?”, erkundigte sie sich sarkastisch und hielt ihm das oberste Bild direkt vors Gesicht. “Stehst du etwa nicht an Deck deiner Yacht und hältst sie in deinen Armen? Ist sie bis auf diesen lächerlich knappen Tanga etwa nicht nackt?”

“Ich gebe ja zu, dass es so wirkt …”

Eine schallende Ohrfeige ließ ihn verstummen, ehe Isobel ihn mit der nächsten Aufnahme konfrontierte. “Ist es vielleicht dein Doppelgänger, der mit ihr in deiner Kabine liegt und Siesta hält?”

Bevor sie erneut zuschlagen konnte, umfasste Leandros ihr Handgelenk und nahm die Fotos an sich. “Wie oft soll ich denn noch sagen, dass es sich um Fälschungen handelt?”, fragte er wütend, weil Isobel sich nicht überzeugen ließ.

“Du verschwendest deine Zeit”, erwiderte sie unversöhnlich. “Ich glaube dir ohnehin kein Wort mehr.”

“Das solltest du aber”, entgegnete er aufgebracht. “Wir sind nicht die Einzigen, die Abzüge bekommen haben.” In aller Kürze erzählte er ihr von den Anrufen, die ihn im Büro erreicht hatten. “Irgendjemand will einen Skandal provozieren, um uns auseinanderzubringen. Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten, hat er sein Ziel schon so gut wie erreicht.”

Ganz überzeugt schien Isobel noch immer nicht, doch Leandros wusste inzwischen, wie er seine Behauptung beweisen konnte.

Um keine wertvolle Zeit zu verlieren, ging er zu dem Computer, der zu ihrem Fotolabor gehört hatte, und vergewisserte sich, dass alle Geräte richtig verkabelt waren. “Komm her”, forderte er sie bestimmt auf und legte sein Jackett ab. “Du kennst dich besser damit aus als ich.”

“Der Computer ist drei Jahre nicht benutzt worden”, wandte sie ein. “Selbst wenn er noch läuft, sind die Programme inzwischen hoffnungslos veraltet.”

“Wir müssen es zumindest versuchen”, wies Leandros ihre Bedenken zurück. “Eine andere Chance haben wir nicht.”

Allmählich begriff sie, dass er es ernst meinte. Dennoch stand sie nur widerwillig vom Bett auf und setzte sich an den Computer. Sie schaltete die Geräte ein, und zu ihrer Überraschung funktionierten diese tadellos.

“Was jetzt?”, fragte sie skeptisch.

“Jetzt scannen wir die Fotos ein und vergrößern sie.” Er öffnete den Deckel des Scanners und legte das erste Bild auf die Glasscheibe. “Dann werden wir ja sehen, ob ich Recht habe oder nicht.”

Ohne vom Sinn ihres Tuns überzeugt zu sein, fuhr Isobel mit der Maus über den Bildschirm und drückte mehrere Male auf die rechte Taste, bis das Gerät schließlich seine Arbeit aufnahm. Gespannt sah sie auf den Bildschirm. In wenigen Augenblicken würde sich herausstellen, ob Leandros gelogen oder die Wahrheit gesagt hatte.

Was von beidem sie sich wünschte, war ihr selbst nicht klar. Erfahren zu müssen, dass ihr Mann eine Affäre mit einer anderen Frau gehabt hatte, wäre schlimm. Unerträglich jedoch war der Gedanke, dass es Menschen geben sollte, die vor nichts zurückschreckten, um anderen wehzutun.

“Wer kann diese Fotos aufgenommen haben?”, fragte sie Leandros, während sich das Bild allmählich aufbaute. “Selbst wenn er ein Teleobjektiv benutzt hat, muss er sich dir immer noch bis auf wenige Schritte genähert haben.”

“Nicht er, sondern sie”, erwiderte er gequält. “Dahinter kann nur Chloe stecken.”

“Bist du dir bewusst, was du da sagst?”, fragte Isobel entgeistert. Trotz allem traute sie seiner Schwester eine solche Abscheulichkeit nicht zu. “Warum sollte sie so etwas machen?”

“Um ihren Willen durchzusetzen”, antwortete er. “Von klein auf hat sie davon geträumt, dass einer ihrer Brüder ihre beste Freundin heiratet. Spätestens mit Nikos’ Hochzeit nächste Woche hat es sich endgültig erledigt, und nun will sie sich rächen.”

“Wenn sie sich an euch rächen wollte, wäre es doch für sie viel leichter gewesen, Nikos und Carlotta auseinanderzubringen”, wandte Isobel ein.

“Sie scheint dem Gerücht geglaubt zu haben, dass ich Diantha heiraten will”, erinnerte er sie unsanft. “Vielleicht hat sie es sogar selbst in die Welt gesetzt. Als ihr klar wurde, dass wir uns nicht scheiden lassen, hat sie zu diesem Mittel gegriffen”, fügte er hinzu und zeigte auf den Bildschirm, auf dem Diantha und er gestochen scharf zu sehen waren. “Kannst du das nicht vergrößern?”

Können schon, dachte Isobel. Das Problem war eher, dass sie es nicht wollte. “Chloe kann die Fotos gar nicht gemacht haben”, fiel ihr ein, als sie widerwillig das Zoom betätigte. “Sie war gar nicht in Spanien.”

Doch auch darauf hatte Leandros eine Antwort. “Niemand hat behauptet, dass sie selbst auf den Auslöser gedrückt hat. Siehst du die Shorts, die ich anhabe? Jetzt erinnere ich mich, dass an diesem Tag ein Fotograf auf der Mole stand. Bestimmt hat Chloe ihn engagiert.”

“Und wie ist er in deine Kabine gekommen?”

Es dauerte erstaunlich lange, bis Leandros diese nahe liegende Frage beantwortete. “Er muss zur Besatzung gehören”, erwiderte er, als wären damit sämtliche Zweifel an seiner Theorie ausgeräumt.

Darüber dachte sie allerdings anders. Sie hatte jemand anders in Verdacht, und das Gespräch, das sie auf dem Ball mit Eve geführt hatte, war ein erster Anhaltspunkt.

Um weitere zu finden, vergrößerte sie das Bild noch einmal. Es dauerte nicht lange, bis sie die ersten Ungereimtheiten entdeckt hatte, und nach wenigen Minuten fragte sie sich, warum sie die laienhafte Fälschung nicht mit bloßem Auge erkannt hatte. Um die Beweise in Händen zu halten, kopierte sie die gröbsten Schnitzer in eine separate Datei und druckte sie aus.

“Soll ich die anderen Aufnahmen auch noch einscannen?”, fragte sie Leandros, der ihr die ganze Zeit wie gebannt zugesehen hatte.

“Das dürfte kaum nötig sein”, erwiderte er, um gekränkt zu ergänzen: “Oder hältst du es für wahrscheinlich, dass ein Bild eine Fotomontage ist und alle anderen echt sind?”

Die Anspielung auf ihr Misstrauen war unverkennbar. “Wenn du darauf bestehst, falle ich gern vor dir auf die Knie und bitte dich um Verzeihung”, sagte Isobel spöttisch.

“Ich werde auf dein Angebot zurückkommen”, erklärte er, ehe er sich sein Jackett überzog. “Vorher muss ich dringend etwas anderes erledigen.”

“Bitte tu nichts Unüberlegtes”, bat sie ihn, als er schon an der Tür war. Es stand ihr nicht zu, das Bild zu zerstören, das er von Diantha hatte. Und ihr Verdacht war noch zu vage, als dass sie ihn laut äußern wollte.

“Keine Sorge”, erwiderte Leandros. “Ich weiß genau, was ich tue.”

Wenigstens darin sind wir uns einig, dachte Isobel, als er gegangen war. Sie war mindestens so entschlossen wie er, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Deshalb legte sie ein weiteres Bild in den Scanner, um von einem bestimmten Detail eine Vergrößerung zu machen. Um sicher sein zu können, dass Leandros das Haus verlassen hatte, wartete sie noch zwei Minuten, ehe sie zum Telefon griff und sich ein Taxi bestellte.

Das Anwesen der Familie Christophoros unterschied sich in nichts von den anderen Villen auf dem Lykavittos. Ein Hausmädchen ließ Isobel herein und bat sie, einen Moment Platz zu nehmen.

Aus dem Moment wurde eine kleine Ewigkeit, denn Diantha ließ sich alle Zeit der Welt. Je länger Isobel warten musste, desto mehr bezweifelte sie, dass es klug gewesen war herzukommen. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie das Gespräch beginnen sollte. Sie wusste nur, dass sie Diantha zur Rede stellen musste – selbst auf die Gefahr hin, dass sich ihr Verdacht als falsch erweisen würde.

Ihr Warten hatte ein Ende, als sich eine Tür öffnete und Diantha die Eingangshalle betrat. Sie trug ein dezentes hellblaues Kleid und lächelte freundlich, so dass Isobel sich unwillkürlich fragte, wie diese sanftmütige Person zu solchen Abscheulichkeiten fähig sein sollte. Einzig der kühle Empfang ließ erahnen, dass Diantha etwas zu verbergen hatte.

“Wir sollten uns kurz fassen”, sagte sie, ohne Isobel die Hand zu reichen. “Mein Vater kann jeden Moment kommen. Es würde ihm sicher nicht gefallen, wenn er Sie hier antreffen müsste.”

Isobel wollte sich derartige Beleidigungen bereits verbitten, als Diantha klarmachte, dass dies nur ein harmloser Auftakt gewesen war. “Inzwischen dürften Sie sich mit eigenen Augen davon überzeugt haben, dass Leandros und mich weitaus mehr als eine Freundschaft verbindet”, fuhr sie fort, ohne eine Miene zu verziehen. “Ich nehme an, dass Sie die Koffer schon gepackt haben und mit dem nächsten Flugzeug nach London zurückkehren – und zwar für immer.”

Unwillkürlich verstärkte Isobel den Griff um den Schultergurt ihrer Handtasche. “Ich habe mich also nicht geirrt”, erwiderte sie benommen. “Sie haben die Fotos verschickt.”

“Warum sollte ich es abstreiten?”, fragte Diantha triumphierend. “Vor Zeugen würde ich es allerdings genauso von mir weisen wie alles andere, was ich Ihnen jetzt sage”, stellte sie unmissverständlich klar. “Ich bin es restlos leid, Ihretwegen von Leandros hingehalten zu werden. Erst vor zwei Wochen hat er mir hoch und heilig versprochen, sich von Ihnen scheiden zu lassen und mich zu heiraten. Kaum sind Sie wieder in Athen, überlegt er es sich anders. Dass er ausschließlich wirtschaftliche Gründe hat, macht es nicht besser.”

“Was meinen Sie mit wirtschaftlichen Gründen?”

“Da es keinen Ehevertrag gibt, wurde ihm die Scheidung schlichtweg zu teuer.”

Die Antwort drohte Isobels Welt zum Einsturz zu bringen – vor allem weil das Wort Ehevertrag Erinnerungen in ihr auslöste, die Dianthas Behauptung eher bestätigten als widerlegten. Hatte Leandros seine Absicht, sich scheiden zu lassen, nicht wirklich erst nach Lesters Bemerkung aufgegeben? Zumindest hatte er unverhohlen feindselig reagiert und ein Gesicht gemacht, als hätte ihm jemand mit der Todesstrafe gedroht.

“Sosehr ich die Verzögerung bedauere, sehe ich ein, dass er Ihretwegen unmöglich einen Weltkonzern zerschlagen kann”, setzte Diantha die seelische Folter genüsslich fort. “Ich bin aber zuversichtlich, dass er Ihnen bei der nächsten Gelegenheit ein überaus großzügiges Angebot machen wird, das selbst Sie nicht ausschlagen können.”

“Und warum haben Sie dann nicht geduldig gewartet, bis dieser Tag gekommen ist?”

“Weil ich meine Liebe zu ihm lange genug verleugnet habe. Es wird Zeit, dass die Menschen die Wahrheit erfahren.”

“Über Ihren Aufenthalt auf Leandros’ Yacht?”

“Nicht nur”, erwiderte Diantha. “Wir hatten schon ein Verhältnis, bevor Sie ihn verlassen haben. Oder ist Ihnen nicht aufgefallen, wie oft er nach Washington geflogen ist?”

Erneut hatte Diantha einen Punkt angesprochen, in dem Isobel ihr nicht widersprechen konnte.

“Und mit Ihrer Ankunft war unser Verhältnis keinesfalls beendet”, streute Diantha noch mehr Salz in ihre Wunden. “Ich habe ein Apartment in Athen, wo wir uns fast täglich treffen – und sei es nur für ein kurzes Zusammensein in der Mittagspause.”

“Sicher gibt es davon auch Fotos”, sagte Isobel herausfordernd und stellte sich innerlich darauf ein, ihre Trümpfe auszuspielen.

“Wenn Sie wollen, besorge ich Ihnen gern welche.”

“Das glaube ich Ihnen sofort.” Isobel nahm die Zettel mit den Detailvergrößerungen aus der Handtasche. “Leider sind Sie nichts weiter als eine erbärmliche Lügnerin”, beschuldigte sie Diantha. “Leandros hat nie mit Ihnen geschlafen, und wenn, dann müssen Sie eine grauenhafte Liebhaberin sein. Oder warum zieht er sich sonst bis an die Bettkante zurück?”, fragte sie hämisch und hielt das Papier so, dass Diantha gezwungen war, es anzusehen. “Bei mir macht er das jedenfalls nicht.”

Ihre Selbstsicherheit begann merklich zu wanken, doch noch bewahrte Diantha zumindest äußerlich die Fassung. Um ihr Werk zu vollenden, tauschte Isobel die beiden Blätter aus und konfrontierte Diantha mit dem Bild, das angeblich an Deck entstanden war.

“Noch hat Leandros glücklicherweise zehn und nicht neun Finger”, nannte sie den gröbsten Fehler zuerst. “Und so groß, dass Sie ihm bis zum Kinn reichen würden, sind Sie nun auch wieder nicht. Wenn Sie schon ein Computerprogramm benutzen, das Sie nicht beherrschen, sollten Sie wenigstens Anfängerfehler wie diese Lücke in der Reling vermeiden. Ihr Pech, dass ich Fotografin bin und mich mit diesen Dingen bestens auskenne. Die Fotos als Fälschung zu entlarven, war ein Kinderspiel.”

Wenn sie erwartet hatte, dass Diantha angesichts der unwiderlegbaren Beweise in Tränen ausbrechen oder einen Schreikrampf bekommen würde, sah Isobel sich eines Besseren belehrt. Diantha lächelte noch immer, und dass man sie entlarvt hatte, schien ihre Fantasie neu zu beflügeln.

“Sind Sie wirklich so dumm, oder tun Sie nur so?”, meinte sie verächtlich. “Dass Sie Fotografin sind, weiß ich seit langem. Sonst hätte ich mir die ganze Mühe doch sparen können. Die Fehler habe ich selbstverständlich mit Absicht eingebaut. Wenn mein Plan aufgehen soll, müssen die Aufnahmen als Fälschungen erkannt werden. Da Sie die Einzige sind, die mit den entsprechenden Geräten umgehen kann, wird der Verdacht automatisch auf Sie fallen – zumal Sie ein Motiv wie aus dem Bilderbuch haben.”

“Welches soll das sein?”, fragte Isobel entgeistert.

“Da Ihre Scheidung von Leandros unausweichlich ist, wollten Sie Ihre Verhandlungsposition ein wenig verbessern. Aber wenn Ihr Versuch, sich zu bereichern, erst aufgeflogen ist, können Sie froh sein, wenn Sie nicht ins Gefängnis wandern.”

Allmählich nahm Isobel an, dass Diantha den Verstand verloren hatte. Zumindest litt sie unter Wahnvorstellungen, wenn sie glaubte, dass ihre Intrige die geringsten Aussichten auf Erfolg hatte. “Einen Haken hat Ihr Plan auf jeden Fall”, sagte Isobel beherrscht. “Ich habe nicht die Absicht, mich jemals von Leandros scheiden zu lassen.”

“Sind Sie sicher, dass er genauso denkt?”

“Das tue ich”, antwortete eine tiefe Männerstimme. “Und Isobel weiß das ganz genau.”

Als die beiden Frauen sich umwandten, sahen sie Leandros. Er stand reglos da und wirkte, als hätte er schon geraume Zeit zugehört.

“Dieses Mal hast du den Bogen eindeutig überspannt, Diantha”, sagte er ernst, ehe er sich Isobel zuwandte. “Können wir gehen?”

Sie wünschte sich nichts mehr, als den ungastlichen Ort mit dem Mann zu verlassen, mit dem sie ihr Leben verbringen würde. Doch als sie neben ihm stand und seine Hand nahm, musste sie feststellen, dass Diantha den Kampf noch nicht verloren gegeben hatte.

“Die Szenen auf den Fotos sind gestellt, aber dass wir miteinander geschlafen haben, wirst du doch nicht abstreiten wollen, Leandros?”, sagte sie drohend, ehe sie zu ihrem vernichtenden Schlag ausholte. “Willst du Isobel nicht von den unvergesslichen Nächten erzählen, die wir auf deiner Yacht verbracht haben? Und bevor sie es von jemand anderem erfährt, sagst du ihr besser jetzt gleich, dass deine Mutter sie für ein Flittchen hält und Chloe ihr am liebsten die Augen auskratzen würde, weil sie versucht hat, dir ein Kind unterzuschieben. Zum Glück ist dir diese Schmach erspart geblieben. Hast du eigentlich herausgefunden, wer der Kerl war, der sie geschwängert hat?”

Aus Angst, das Gleichgewicht zu verlieren, umklammerte Isobel seine Hand und blickte zu Leandros auf. Inständig hoffte sie, in seinen Augen dasselbe ungläubige Entsetzen zu sehen, das sie in diesem Moment empfand.

Doch er wurde lediglich aschfahl und schwieg, anstatt Diantha entschieden zu widersprechen. Schließlich entzog er Isobel sogar die Hand und strich sich durchs Haar, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

“Was ist bloß in dich gefahren, Diantha?”

Chloe war wie aus dem Nichts aufgetaucht und versuchte, ihre Freundin zur Besinnung zu bringen. “Ich verstehe überhaupt nicht, warum du …”

“Dann misch dich auch nicht ein”, fiel Diantha ihr ins Wort. “Das hier ist eine Sache zwischen mir und deinen Brüdern.”

Die drei anderen sahen sich befremdet an. Hatte Diantha wirklich in der Mehrzahl gesprochen?

Die Bestätigung folgte umgehend. Diantha hatte endgültig die Kontrolle über sich verloren und zeigte nun ihr wahres Gesicht.

“Mein ganzes Leben durfte ich mit ansehen, wie du von ihnen und deinem Vater auf Händen getragen wurdest, während ich eine Zurückweisung nach der anderen erleben musste. Mein Vater hat mich nicht geliebt, weil er sich einen Sohn gewünscht hat. Und dein Bruder hat mich nur so lange geliebt, bis er meiner überdrüssig …”

“Wie kannst du so etwas sagen?”, platzte Leandros heraus. “Ich habe dir nie …”

“Von dir redet niemand”, unterbrach Diantha ihn schroff. “Dein feiner Bruder Nikos hat mir vor vier Jahren den Laufpass gegeben. Immerhin hat er sich bemüht, es mir schonend beizubringen. ‘Wir sind noch viel zu jung, um uns zu binden’, hat er gesagt, ‘und was Liebe ist, wissen wir auch nicht.’ Ich nehme an, er wollte es gar nicht wissen, denn mir war sehr wohl klar, dass ich ihn liebe, und nichts hätte ich lieber getan, als mich an ihn zu binden. Vier Jahre habe ich in Washington gesessen und gefleht, dass er kommt und mich zu sich holt.”

Diantha hatte sich so in Rage geredet, dass sie einige Male tief durchatmen musste, um fortfahren zu können. “Stattdessen bist du gekommen, Leandros, und hast mich über alles auf dem Laufenden gehalten, was in Athen passiert. Nur Nikos hast du nie erwähnt. Also bin ich zurückgekommen, um ihn notfalls zu zwingen, mich zu heiraten. Aber da war er schon mit dieser Carlotta verlobt und ich wieder mal allein. Als Chloe mir erzählt hat, dass du in San Estéban Hilfe brauchst, habe ich sie überredet, mich fahren zu lassen. Ich wusste doch, dass du genauso einsam bist wie ich. Warum sollten wir uns nicht gegenseitig trösten?, habe ich mir gedacht. Und eines wirst du nicht abstreiten können, Leandros. Du hast sehr wohl mit dem Gedanken gespielt, mich zu heiraten. Sonst hättest du Onkel Takis nicht noch von Bord deiner Yacht aus angerufen und ihn beauftragt, die Scheidung in die Wege zu leiten.”

“Hat er dir das erzählt?”, fragte Leandros entgeistert.

“Nein”, beteuerte Diantha, ohne mit der Wimper zu zucken. “Das habe ich alles selbst herausgefunden.”

“Auch dass Isobel und ich keinen Ehevertrag abgeschlossen haben?”, setzte Leandros nach.

Diantha blieb eine Antwort schuldig, weil ihr nicht schnell genug eine passende Lüge einfiel.

“Ich denke, an dieser Stelle sollten wir das Gespräch beenden”, erklärte Dianthas Vater, der unbemerkt ins Haus gekommen war.

“Haben Sie schon mit der Redaktion telefoniert?”, erkundigte sich Leandros.

“Sie haben mir versprochen, den Artikel wieder zu streichen”, bestätigte Mr. Christophoros. “An gefälschten Fotos hat nicht einmal eine Boulevardzeitung Interesse. Jetzt muss ich Sie aber bitten zu gehen. Ich habe mit meiner Tochter zu reden.”

Schweigend verließen sie das Haus und stiegen in Leandros’ Ferrari. Unterwegs hielten sie, um Chloe abzusetzen. Sie war schon ausgestiegen, als sie sich noch einmal zu Isobel herunterbeugte.

“Es ist alles meine Schuld”, sagte sie unter Tränen. “Wenn ich Diantha nicht eingeredet hätte, dass sie einen meiner Brüder heiraten …”

“Damals wart ihr Kinder”, fiel Leandros ihr ungehalten ins Wort. “Eine erwachsene Frau sollte zwischen Wunsch und Wirklichkeit unterscheiden können.”

“Ich habe ihr gegenüber nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Isobel nicht mochte. Wenn ich geahnt hätte, was für absurde Schlussfolgerungen sie daraus zieht …”

Als sie Isobels schmerzverzerrten Gesichtsausdruck sah, verstummte sie. “Ich wusste gar nicht, dass Nikos und sie früher zusammen waren”, sagte sie stattdessen.

“Das waren sie nicht”, widersprach Leandros bestimmt. “Jedenfalls nicht so, wie Diantha es uns weismachen wollte. Nikos war einige Male mit ihr aus, mehr nicht. Seitdem hing sie wie eine Klette an ihm und machte ihm aberwitzige Szenen. Als sie nach Washington zog, war er regelrecht erleichtert. Ich halte es übrigens für wenig klug, wenn du ihm von dem Vorfall erzählst. Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig.”

“Versprochen”, erwiderte Chloe. Als Leandros schon losfahren wollte, legte sie Isobel die Hand auf den Arm. “Kannst du mir noch einmal verzeihen?”, erkundigte sie sich leise.

Das fragte sich Isobel schon die ganze Zeit. Die Liste derer, die sie um Verzeihung baten, wollte kein Ende nehmen. Doch ob es ihnen damit auch ernst war, musste sich vor allem im Alltag erweisen.

“Sicher”, erwiderte sie, wenn auch nicht ganz überzeugt, als Leandros plötzlich die Geduld verlor. Er beugte sich vor und schloss die Beifahrertür, ehe er mit quietschenden Reifen losfuhr.

“Warum bist du eigentlich die ganze Zeit schon so aggressiv?”, erkundigte sie sich irritiert.

“Ich bin nicht aggressiv”, widersprach er ihr wenig glaubhaft. “Ich habe nur keine Lust, mich länger von dir verdächtigen zu lassen.”

“Wie bitte?”

“Ich weiß genau, was du denkst”, sagte er aufgebracht, “aber ich habe nie mit Diantha geschlafen. Nie, verstehst du? Ich weiß gar nicht, was plötzlich in sie gefahren ist. Wie kommt sie nur darauf, derart infame Behauptungen aufzustellen? Dabei habe ich ihr nie Hoffnungen oder gar Versprechungen gemacht. Sie war mir sympathisch, ja, vielleicht auch ein bisschen mehr, aber ich habe sie nie angerührt.”

“Willst du eigentlich mich oder dich überzeugen?”

Er bremste so abrupt und unvermittelt, dass nur der Sicherheitsgurt Isobel davor bewahrte, mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe zu prallen. Kaum stand der Wagen still, öffnete Leandros die Fahrertür und stieg aus.

So aufgebracht hatte sie ihn noch nie erlebt – und dass er sich nicht beherrschen konnte, machte sie maßlos wütend. Wenn jemand das Recht hatte, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, dann doch wohl sie! Wessen Vertrauen wurde denn seit Tagen auf eine denkbar harte Probe gestellt und trotzdem bei jeder Gelegenheit in Zweifel gezogen?

Um es Leandros unmissverständlich klarzumachen, stieg auch sie aus. Als sie die Tür zuwarf, drehte er sich um und sah sie über den roten Ferrari hinweg an. Alles war wie damals, als sie sich auf der Automobilausstellung begegnet waren – nur dass sich dieses Mal statt eines leidenschaftlichen Flirts ein handfester Streit anbahnte.

“Wenn du mich umbringen willst, mach nur so weiter”, sagte Isobel sarkastisch. “Aber vielleicht darf ich dich darauf hinweisen, dass mir mindestens genauso übel mitgespielt wurde – und zwar vor allem von dir”, fügte sie verächtlich hinzu. “Du lässt mich nach Athen kommen, um dich scheiden zu lassen. Kaum bin ich hier, überlegst du es dir wieder anders. Dann taucht plötzlich das Gerücht auf, dass meine Nachfolgerin schon in den Startlöchern steht und dich nur wirtschaftliche Erwägungen daran hindern, sie zu heiraten. Du beteuerst, dass kein Wort davon stimmt, und erwartest, dass ich dir glaube. Schließlich werden mir diese Fotos zugespielt, und selbst wenn es Fälschungen sein sollten …”

“Es sind Fälschungen”, unterbrach Leandros sie. “Das weißt du ganz genau.”

“Glaubst du, deswegen würde es weniger wehtun, sie ansehen zu müssen? Glaubst du, es wäre leicht, Diantha gegenüberzustehen und mir all die Lügen über euch anzuhören? Wenn es denn Lügen sind”, fügte sie verbittert hinzu. “Einige Punkte stehen nach wie vor unwidersprochen im Raum, und je länger du schweigst, desto mehr habe ich das Gefühl, dass wir in dieselbe Sackgasse geraten sind wie vor drei Jahren.”

“Das kannst du doch nicht miteinander vergleichen”, widersprach er bestimmt.

“Und ob ich das kann!”, wies sie seinen Einwand zurück. “Du führst dich genauso auf wie damals. Für dich bin ich eine Trophäe, mit der du deinesgleichen beweisen kannst, was für ein toller Hecht du bist, aber meine Gefühle interessieren dich einen Dreck.”

“Wie kannst du so etwas nur sagen?”

“Weil es so ist!”, platzte Isobel wutentbrannt heraus. “Oder warum verschweigst du mir, welche Rolle dieser verdammte Ehevertrag wirklich spielt? Warum spionierst du mir nach, als wäre ich eine schamlose Ehebrecherin? Warum widersprichst du nicht, wenn ich mich als Flittchen bezeichnen lassen muss, das dir ein Kind unterschieben wollte? Stattdessen jammerst du mir die Ohren voll, wie ungerecht die Welt und insbesondere Diantha zu dir ist.”

Mit jedem Satz hatte seine Fassungslosigkeit zugenommen, und der letzte schien ihm endgültig die Sprache verschlagen zu haben. Im nächsten Moment hielt ein silberfarbener Mercedes neben ihnen.

“Habt ihr eine Panne?”, erkundigte sich der Fahrer.

Erst als sie in der Frau auf dem Beifahrersitz ihre Mutter erkannte, begriff Isobel, dass ihr das Schicksal zu Hilfe gekommen war.

“Nein”, erwiderte sie, “aber Sie können mich mitnehmen.” Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sie sich auf die Rückbank.

“Was ist mit Lean…?”

“Fahren Sie!”, fiel sie Theron Herakleides in Wort. Sein befremdeter Gesichtsausdruck verriet, dass er diesen Ton weder gewohnt war noch hinnehmen wollte.

“Tu, was sie sagt.” Erst als Silvia die Aufforderung wiederholte, erfasste Theron den Ernst der Situation. Ohne noch einmal nachzufragen, legte er den Gang ein und fuhr los.

Kaum war das Auto seines Onkels hinter der nächsten Kurve verschwunden, wurde Leandros klar, wie unmöglich er sich aufgeführt hatte. Jeder Vorwurf, den Isobel ihm gemacht hatte, war berechtigt, denn einen größeren Egoisten als ihn gab es sicher auf der ganzen Welt nicht.

Lieber wäre es ihm gewesen, wenn sie es ihm schonender beigebracht hätte. Abgesehen davon, dass er es nicht verdient hatte, war Diplomatie allerdings noch nie ihre Stärke gewesen. Doch anders kannte er Isobel nicht – und so, wie sie war, liebte er sie.

Warum stehe ich dann noch hier?, fragte sich Leandros. Sekunden später saß er im Auto und startete den Motor. Die wenigen Kilometer bis zur Villa legte er in Rekordzeit zurück. Trotzdem fand er Therons Auto leer vor, als er vor der Haustür hielt.

Er glaubte genau zu wissen, wo er Isobel finden würde. Deshalb lief er durch die Eingangshalle, ohne nach rechts und links zu sehen, und auf dem Weg ins Obergeschoss nahm er drei Stufen auf einmal. Als er endlich ihr Zimmer erreicht hatte, blieb er vor der geschlossenen Tür stehen, um einen Moment zu verschnaufen.

Gleichzeitig wollte er damit auch seine Angst bekämpfen, denn insgeheim rechnete er fest damit, dass ihr Koffer auf dem Bett lag. Und wenn Isobel tatsächlich zu packen begonnen hatte, dann würde es unendlich schwer sein, sie umzustimmen.

Kaum hatte er die Tür geöffnet, sah er sich in seinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Der Koffer lag aufgeklappt auf dem Bett, und Isobel stand mit verschränkten Armen dahinter, als hätte sie ihn, Leandros, bereits erwartet.

Es war sehr wahrscheinlich, dass sie sich streiten würden. Deshalb schloss Leandros zunächst die Tür, ehe er langsam auf Isobel zuging. “Dass wir keinen Ehevertrag geschlossen haben, spielt überhaupt keine Rolle”, kam er ohne Umschweife zur Sache. “Ich will mich heute so wenig von dir trennen wie bei unserer Hochzeit. Und dabei wird es bis ans Ende meiner Tage bleiben. Zweitens habe ich dir nicht nachspioniert, sondern bin dir wie ein Schoßhündchen gefolgt. Und nun zum dritten und letzten Punkt.” Und dem schwierigsten, hätte er ergänzen können. “Dass ich zu dem ungeheuerlichen Verdacht geschwiegen habe, kann ich nur damit erklären, dass ich genauso schockiert war wie du. Denn niemand aus meiner Familie hat dir jemals so etwas unterstellt.”

“Und wie kommt Diantha dann darauf?” Ihr Tonfall zeugte von tiefstem Misstrauen – ganz im Gegensatz zu den Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Einen Moment war Leandros versucht, seine Frau in die Arme zu nehmen und sie schweigend seiner Liebe zu versichern. Doch dann beschloss er, sich zunächst alles von der Seele zu reden. Für Zärtlichkeiten würde anschließend noch genügend Zeit bleiben.

“Es gibt nur einen Menschen, dem ich das zutraue”, antwortete er, “und das ist mein Patenonkel Takis. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich nicht früher darauf gekommen bin.”

“Warum sollte Takis so etwas tun?”, fragte sie bestürzt.

Er seufzte. “Weil er dasselbe mit mir versucht hat. Nach dem Tod meines Vaters stand er mir näher als jeder andere, und mit allen Problemen konnte ich mich an ihn wenden. Als wir die Ehekrise hatten, habe ich ihm erzählt, welche Sorgen ich mir um dich mache, weil ich nicht wusste, wie du auf den Verlust unseres Kindes reagieren würdest. Daraufhin hat er mich gefragt, ob ich wüsste, wo du dich auf deinen Streifzügen durch Athen rumtreibst – und vor allem mit wem. Dass er vertrauliche Informationen weitergegeben hat, ist dagegen fast eine Lappalie.”

“Glaubst du, dass er auch den Fotografen auf dich angesetzt hat?”

Diese Frage stellte sich ihm schon geraume Zeit. “Ich hoffe nicht”, erwiderte er bedrückt. “So komisch es klingt, aber es wäre mir lieber, wenn diese Idee auf Dianthas Mist gewachsen wäre. Für diese Annahme spricht, dass die Fotos entstanden sind, bevor irgendjemand wissen konnte, dass wir uns nicht trennen. Schon als Kind ist Diantha bei uns ein und aus gegangen. Ich wusste, dass sie in Nikos verliebt war, und als sie nach Washington zog, nahm ich an, es wäre seinetwegen. Irgendwie tat sie mir leid, darum habe ich sie auf meinen Geschäftsreisen regelmäßig besucht. Sie scheint es völlig missverstanden zu haben. Mit den Fotos wollte sie ein Druckmittel in die Hand bekommen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein – und fast hätte sie ihr Ziel ja auch erreicht.”

“Hattest du wirklich vor, sie zu heiraten?”, fragte Isobel empört.

“Das nicht”, erwiderte Leandros lächelnd und sah zum Bett. “Aber du wolltest mich offensichtlich verlassen.”

“Dieses Mal scheinst du etwas missverstanden zu haben”, wandte sie ein und kam zu ihm. “Diantha ist nicht die Einzige, die zu Druckmitteln greifen kann, um den Lauf der Dinge zu beeinflussen.”

“Glaubst du wirklich, du hast mehr Erfolg damit als sie?”

“Das wird sich hoffentlich gleich zeigen.” Sie legte ihm die Arme um den Nacken.

Dass die Dinge den gewünschten Lauf nehmen würden, stand fest, als der Koffer mit einem lauten Knall auf dem Fußboden landete. Dann hob Leandros Isobel hoch und legte sie aufs Bett, um den Tag, der so fürchterlich begonnen hatte, zu einem guten Ende zu bringen. Und dafür eignete sich nun einmal nichts besser, als den Schwur, den sie sich vor langer Zeit schon gegeben hatten, in der Sprache der Liebe zu bekräftigen.

“Du schuldest mir noch etwas”, sagte Leandros unvermittelt, als er sein Jackett auszog.

“Und was?”, fragte Isobel ungeduldig.

“Du wolltest vor mir auf die Knie fallen”, erinnerte er sie an das Versprechen, das sie ihm vor wenigen Stunden gegeben hatte. “Es muss ja nicht unbedingt sein, um mich um Verzeihung zu bitten.”

– ENDE –