7. KAPITEL

“Lass mich sofort runter, du brutaler Kerl!”, forderte Isobel energisch, als Leandros sie aus dem Zimmer trug.

“Das tue ich gleich”, erwiderte er, “aber erst, wenn wir unser Ehebett erreicht haben. Oder hast du wirklich geglaubt, ich würde zulassen, dass du woanders schläfst? Schlaf wirst du in dieser Nacht allerdings nur wenig bekommen”, fügte er hinzu.

Die Tür zu seinem Schlafzimmer schloss er mit einem Fußtritt. Mit derselben grimmigen Entschlossenheit machte er seine Drohung wahr und legte Isobel aufs Bett. Ehe sie sich das Nachthemd über die Knie ziehen konnte, hatte er seinen seidenen Morgenmantel ausgezogen und sich neben sie gelegt.

Während er ihr eine Hand um den Nacken legte, ließ er die andere vom Hals zu den Hüften und wieder zurück gleiten – mit dem Resultat, dass das Nachthemd nun nicht einmal mehr ihre Brüste bedeckte.

Ihren Protest erstickte er, indem er den Mund auf ihren presste. Im selben Moment war ihr Widerstand gebrochen. Wenn sie sich eben noch gegen seinen Kuss hatte wehren wollen, so ertrug sie es nun kaum, dass Leandros sich kurz von ihr löste, um ihr das Nachthemd auszuziehen. Als sich ihre Lippen endlich wieder trafen, schob sie die Hände in sein Haar, um von den Wogen der Lust, die ihren Körper durchfluteten, nicht mitgerissen zu werden.

Zu ihrem Entsetzen hob Leandros jedoch unvermittelt den Kopf und sah zu ihr hinunter. In seinem Blick lag ein Ernst, der sie bis ins Mark traf.

“Warst du bei ihr?”, fragte Isobel gequält.

“Nein”, erwiderte er.

“Hast du sie gesehen?”

“Ja.”

Erst als Leandros leicht zusammenzuckte, wurde ihr klar, dass sie die Hände unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte und ihm die Haare auszureißen drohte.

“Nur gesehen?”, hakte sie ängstlich nach. “Oder auch … berührt?”

“Dazu hatte ich keine Veranlassung – weder heute noch sonst irgendwann.”

Wie gern hätte sie ihm geglaubt, und sein Blick ließ keinen Zweifel daran, wie sehr Leandros es sich wünschte. “Meine Fantasie sagt mir etwas völlig anderes”, gestand sie.

“Du bist die Frau, die ich begehre”, erwiderte er. “Warum sollte ich mich mit weniger zufrieden geben?”

“Drei Jahre sind eine lange Zeit, Leandros”, wandte Isobel gequält ein. “Manch ein Mann nimmt es da nicht mehr so genau.”

“Warst du denn untreu?”

Was sie nur anzudeuten gewagt hatte, sprach er unverblümt aus. Dass er sie überhaupt fragte, bewies allerdings, dass sich etwas Entscheidendes geändert hatte. Noch vor wenigen Stunden hätte er denselben Gedanken nicht als Frage, sondern als Vorwurf formuliert.

“Nein”, antwortete sie bestimmt. “Nie.”

“Dann brauchen wir ja kein Wort mehr darüber zu verlieren.”

Dazu blieb ihnen auch keine Gelegenheit mehr, als er den Mund auf ihren presste. Im selben Augenblick begann er eine sinnliche Entdeckungsreise zu den geheimsten Stellen ihres Körpers, die niemand außer ihm kannte.

Und niemals kennen lernen wird, dachte Isobel, als sie sich nach beglückenden Minuten an Leandros schmiegte und den Kopf auf seine Brust legte. Sie gehörte zu ihm, und das bedeutete weitaus mehr als die Tatsache, dass sie mit ihm verheiratet war.

Doch so beruhigend dieses Wissen war, es bedeutete zugleich eine große Gefahr. Einen Mann wie Leandros zu lieben und von ihm geliebt zu werden, war nicht nur ein Geschenk, sondern es war auch eine Bürde. Und ob sie darauf besser vorbereitet war als vor drei Jahren, bezweifelte Isobel.

Als Leandros ihren Kopf sanft aufs Kissen legte und sich auf die Seite drehte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. “Was ist los?”, fragte sie, weil er das Kinn in die Hand stützte und sie nachdenklich ansah.

“Das wollte ich dich gerade fragen”, erwiderte er. “Du seufzt nun schon zum dritten Mal.”

Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie ihrer Schwermut hörbar Ausdruck verliehen hatte. “Nach so leidenschaftlichem Sex ist das ja wohl kein Wunder”, antwortete sie ausweichend.

Davon ließ sich Leandros nicht täuschen. “Ich sehe dir doch an, dass dich etwas bedrückt”, sagte er ernst und strich ihr das Haar aus der Stirn. “Wenn wir es uns nicht unnötig schwer machen wollen, sollten wir dringend miteinander reden, agape mou.”

Erst das Kosewort machte ihr klar, worüber er sich unterhalten wollte. “Nicht jetzt”, wies sie den Vorschlag zurück, denn sie fühlte sich dem Thema nicht gewachsen.

“Du kannst nicht ewig davor weglaufen”, rief er ihr nach, als sie das Bett verließ und ihr Nachthemd überzog. “Wenn wir uns der Vergangenheit nicht stellen, haben wir auch keine Zukunft.”

Isobel traute ihren Ohren nicht. Hatte Leandros es wirklich gewagt, sie zu beschuldigen? Weggelaufen war sie nur ein einziges Mal in ihrem Leben – und zwar vor ihm. Auch der Grund dafür war ihr noch schmerzlich bewusst.

“Mich kannst du damit kaum meinen!”, platzte sie heraus, ohnmächtig vor Wut und Enttäuschung. “Schließlich wolltest du unser Kind nicht!”

“Das stimmt doch gar …”

“Und ob es stimmt!”, fiel sie ihm hasserfüllt ins Wort. “Es ist aber erst die halbe Wahrheit, denn kaum war ich schwanger, wolltest du nicht einmal mehr mich.”

“Du weißt ja nicht, was du …”

“Ich war dir lästig, und das hast du mir deutlich zu verstehen gegeben”, unterband sie seinen Einwand. Er hatte diese Auseinandersetzung gewollt, und in einem Punkt musste sie ihm Recht geben. Es wurde höchste Zeit, dass einige Dinge beim Namen genannt wurden, ehe sie denselben Fehler ein zweites Mal machten und perfekten Sex mit Liebe verwechselten.

“Mir ist bis heute nicht klar, warum du mich überhaupt nur geheiratet hast”, sagte Isobel bitter. “Was dich an mir am meisten interessierte, hast du doch schon nach wenigen Stunden bekommen. Alles andere hättest du uns lieber ersparen sollen – und vor allem deiner Familie”, fügte sie verächtlich hinzu. “Thea hat schon nach einer Woche eingesehen, wie aussichtslos es ist, mir Manieren beibringen zu wollen.”

“Sie wollte dir nur helfen, dich in einer fremden Welt zurechtzufinden”, nahm Leandros seine Mutter in Schutz.

“Dressieren wollte sie mich!”, widersprach Isobel energisch. Allmählich war sie es leid, dass alles, was sie sagte, an ihm abprallte. Verstand er das unter “sich der Vergangenheit stellen”? “Zum Glück habe ich auf meinen Streifzügen durch die Stadt Menschen kennen gelernt, die mich so akzeptiert haben, wie ich bin.”

“Vassilou und Konsorten.”

“Woher nimmst du nur die Stirn, dich für etwas Besseres zu halten?”, fragte sie empört. “Natürlich haben sie weniger Geld als du, und so geschliffen reden können sie vielleicht auch nicht. Aber keiner von ihnen käme auf die Idee, seine Frau, die soeben ein Kind verloren hat, mit den Worten zu trösten: ‘Vielleicht ist es das Beste so.’”

Dieses Mal widersprach Leandros nicht. Stattdessen verließ er das Bett, zog seinen Morgenmantel über und stellte sich ans Fenster. Draußen war es stockfinster, und was er sah, war Isobel ein Rätsel. Doch es interessierte sie auch nicht, denn sie war zu sehr mit den quälenden Erinnerungen beschäftigt, die er heraufbeschworen hatte.

“Ich weiß ja, dass ich mich unverzeihlich benommen habe”, sagte er unvermittelt.

“Umso besser”, erwiderte sie unversöhnlich. “Dann wird es dich nicht überraschen, dass ich nicht vorhabe, dir zu verzeihen.”

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Isobel sich um und ging ins Bad. Die Tür ließ sie wohlweislich unverschlossen. Alles andere würde Leandros ihr ohnehin nur als Fluchtversuch auslegen.

Noch ehe sie das Wasser in der Dusche aufdrehen konnte, stand er auf der Schwelle. “Versuch wenigstens, mich zu verstehen”, bat er sie bedrückt. “Du warst am Boden zerstört, und ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich dir helfen sollte.”

“Dafür warst du doch viel zu beschäftigt”, erklärte sie, ohne sich umzudrehen. “Wenige Monate vorher hattest du die Leitung des Konzerns übernommen, und dahinter musste alles zurückstehen – selbst dein eigenes Kind”, fügte sie in dem Wissen hinzu, dass sie damit seinen Widerspruch provozierte.

Umso überraschter war sie, als er sich hinter sie stellte und ihr zärtlich die Hände auf die Schultern legte. “Ich gebe ja zu, dass ich dich sträflich vernachlässigt habe”, gestand er. “Und vielleicht habe ich mich unbewusst gegen das Kind gesträubt.”

Dass er sich zu solchen Worten durchrang, traf sie gänzlich unvorbereitet. Unwillkürlich drehte sie sich um und sah sprachlos zu ihm auf. Trotz seiner Sonnenbräune war er aschfahl, und die Verzweiflung stand ihm im Gesicht geschrieben.

“Wir waren noch so jung”, fuhr er bedrückt fort, “und unsere Ehe ein ziemliches Chaos. Wir haben kaum noch miteinander geredet, und selbst im Bett hatte ich zunehmend das Gefühl, mit einer Fremden …”

“Danke, gleichfalls”, unterbrach Isobel ihn sarkastisch.

“Glaubst du, es wäre mir leicht gefallen, dich nicht zu berühren?” Von einer Sekunde auf die andere hatte sein Gesicht wieder Farbe bekommen. Verzweifelt war er allerdings immer noch, wie ihr klar wurde, als er die Hände von ihren Schultern zu den Armen gleiten ließ und sie so energisch umfasste, dass es ihr fast wehtat.

“Nach der Fehlgeburt hast du so zerbrechlich gewirkt, dass ich fürchtete, du würdest zu Staub zerfallen, wenn ich dich auch nur anfasse”, erklärte er aufgewühlt. “Damals hat sich gerächt, dass wir uns nie die Zeit genommen haben, unsere Ehe auf eine solidere Basis zu stellen, als selbst der erfüllendste Sex es ist. Denn mit dir zu schlafen war mir nie genug – auch wenn ich in den Wochen, in denen es nicht ging, genauso gelitten habe wie du.”

Ebenso unvermittelt, wie er ihre Arme umfasst hatte, ließ Leandros sie auch wieder los. Dann drehte er sich um und ging zurück ins Schlafzimmer.

Nun musste Isobel ihm folgen, um das Gespräch fortzusetzen. “Warum hast du mir das denn nicht alles gesagt, anstatt mich wie Luft zu behandeln?”

“Das ist viel verlangt”, erwiderte er, ohne sie anzusehen. “Dann hätte ich dir auch sagen müssen, dass ich ein verdammter Egoist war, der dich mit niemandem teilen wollte – nicht einmal mit seinem eigenen Kind! Als du es verloren hast, ist für mich eine Welt zusammengebrochen.” Er fluchte leise. “Unser Kind musste sterben, weil ich seinen Tod herbeigewünscht habe. So dachte ich damals, und so denke ich heute noch. Mit dieser Schuld muss ich leben.”

“Jetzt verstehe ich auch, warum du mich nicht zurückgehalten …”

“Ehrlich gesagt, war ich fast ein wenig erleichtert, als du gegangen bist”, unterbrach er sie sanft. “Immerhin blieb es mir so erspart, dir über kurz oder lang gestehen zu müssen, dass ich unser Kind auf dem Gewissen habe.”

“Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich dich gebraucht habe?” Noch vor wenigen Augenblicken hätte sie nicht die Kraft aufgebracht, ihm diese Frage zu stellen. Doch so schmerzlich die Wahrheit auch war, mit weniger wollte Isobel sich weder jetzt noch sonst irgendwann in ihrem Leben zufrieden geben.

“Nein”, gestand er und senkte den Kopf. “Ich habe mich selbst verachtet. Da fiel es leicht, mir einzureden, dass du mich auch verachtest.”

“Das habe ich auch”, bestätigte sie seine Annahme, ehe sie einschränkend hinzufügte: “Zumindest bis mir klar wurde, dass es weder deine noch meine Schuld war.”

Als Leandros aufblickte und sie seinen gequälten Gesichtsausdruck sah, musste sie erst ihre Tränen hinunterschlucken, ehe sie weitersprechen konnte. “Laut Statistik ist die Fehlgeburtenrate in den ersten drei Monaten sehr hoch – erst recht bei der ersten Schwangerschaft. Dass ich unser Kind verloren habe, war Schicksal.”

Isobel wusste selbst nicht, warum sie sich von Leandros abwandte. Lag es an seinem Blick oder an der maßlosen Trauer, die sie plötzlich empfand? Als er hinter sie trat und ihr die Hände auf die Schultern legte, wollte sie zunächst protestieren. Doch dafür genoss sie die tröstliche Berührung viel zu sehr.

“Du bist nicht der Einzige, den Schuldgefühle geplagt haben”, brachte sie hervor. “Ich fühlte mich als Versagerin, und zwar auf der ganzen Linie. Und gegangen bin ich vor allem, weil ich das Wissen nicht länger ertragen habe, dass mir ohnehin niemand zugetraut hat, dass ich eine gute Mutter sein kann.”

Anstatt etwas zu erwidern, ließ er die Hände zu ihren Hüften gleiten – und entschied sich damit genau richtig. Um ihm etwas von dem Trost zurückzugeben, drehte sich Isobel zu ihm um, legte ihm die Hände um den Nacken und schmiegte den Kopf an seine Schulter.

“Was andere denken, darf uns nicht interessieren”, sagte er einfühlsam. “Wir haben eine zweite Chance bekommen, und ab morgen sollten wir alles tun, um sie zu nutzen.”

“Warum erst ab morgen?”

Einen Moment lang stand die Frage im Raum, doch umso entschiedener fiel schließlich seine Antwort aus. Mit spielerischer Leichtigkeit hob Leandros Isobel hoch und presste den Mund auf ihren, ehe er sie zum Bett trug. Nicht einmal der Schlaf, der sie irgendwann übermannte, konnte sie trennen, und auch unter die Dusche gingen sie gemeinsam. Erst als die Sonne schon hoch am Himmel stand und es Zeit wurde, sich anzuziehen, ging Isobel schweren Herzens in ihr Zimmer.

Als sie wenige Minuten später die Terrasse betrat, holte die raue Wirklichkeit sie jäh wieder ein. Leandros trug einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine Krawatte – und das konnte nur bedeuten, dass er ins Büro wollte.

“Nur für einige Stunden”, versicherte er, nachdem sie ihn darauf angesprochen hatte. “Ich bin selbst erst vor kurzem von einem langen Auslandsaufenthalt zurückgekommen. Und als hätte ich nicht schon genug zu tun, hält mich auch noch Nikos’ Hochzeit auf Trab.”

Die Anspielung auf seine Zeit in Spanien überhörte sie geflissentlich. “Wann findet die Hochzeit denn statt?”, fragte sie Leandros und setzte sich ihm gegenüber an den reich gedeckten Frühstückstisch.

“Nächste Woche”, erwiderte er und stand auf, um ihr Kaffee einzuschenken. “Bis dahin stehen eine Unmenge Bälle und Empfänge ins Haus. Da unser Vater tot ist, erwartet man von mir, dass ich an jedem teilnehme. Deshalb war ich gestern Abend auch bei meiner Mutter”, fügte er mit einem jungenhaften Lächeln hinzu, ehe er wieder Platz nahm. “Für heute haben Nikos’ künftige Schwiegereltern eingeladen. Willst du nicht mitkommen?”

Isobel brauchte nichts zu sagen, um ihm klarzumachen, was sie von diesem Vorschlag hielt. Nur eine passende Ausrede schien ihr noch zu fehlen.

Die hatte sie jedoch gefunden, als sich ihre Mutter, auf Krücken gestützt, ihnen näherte. Noch bevor sie den Tisch erreicht hatte, stand Isobel auf und rückte einen Stuhl für sie zurecht.

“Guten Morgen”, begrüßte Leandros seine Schwiegermutter und beobachtete betroffen, welche Mühe es sie kostete, Platz zu nehmen.

“Guten Morgen”, erwiderte Silvia. “Bevor du etwas Falsches sagst, sag lieber gar nichts.”

Er musste sich eingestehen, dass ihre Warnung nicht ganz unberechtigt war. Die liebevolle Art, mit der Isobel ihrer Mutter half, ließ sich wirklich nicht an einem Tag erlernen. Natürlich konnte er nicht von ihr erwarten, dass sie Silvia den ganzen Abend allein ließ. Aber gab es denn keine Möglichkeit, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen?

“Ach, Silvia”, sagte er betont beiläufig, als Isobel ihm wieder gegenübersaß. “Isobel und ich müssen heute Abend auf einen Ball. Du würdest uns eine große Freude machen, wenn du uns begleiten würdest.”

“Ein Ball?”, fragte sie ungläubig. “Das wäre ja wunderbar!”

Mit nichts anderem hatte er gerechnet. Vor dem Unfall war Silvia eine begeisterte Tänzerin gewesen, und er hatte sich genau zur rechten Zeit daran erinnert.

Nur einer dachte sichtlich anders darüber, denn Isobel warf ihm einen vernichtenden Blick zu. “Schlag dir das aus dem Kopf”, sagte sie schroff. “In unserem Gepäck befindet sich nichts, womit wir uns bei einem solchen Anlass sehen lassen könnten.”

“Wenn’s weiter nichts ist …” Leandros griff nach seinem Handy und stellte sich ans Geländer. “In einer Stunde kommt ein Damenschneider mit einer Auswahl aus seiner Kollektion vorbei”, erklärte er triumphierend, als er das Telefonat nach kaum einer Minute beendet hatte. “Sucht euch in Ruhe etwas aus. Und bitte achtet nicht auf den Preis”, fügte er hinzu, obwohl er wusste, dass er damit endgültig Isobels Zorn auf sich zog.

“Das ist nicht fair!”, protestierte sie prompt, wenn auch vorsichtshalber auf Griechisch. “Du weißt genau, warum ich nicht mitwill.”

“Umso wichtiger ist es, dass du hingehst”, antwortete er. “Wenn man vom Pferd gefallen ist, soll man ja auch gleich wieder aufsteigen.”

Ehe sie etwas erwidern konnte, beugte er sich hinunter und verabschiedete sich mit einem Kuss auf die Wange von ihr. “Ich muss jetzt dringend los”, sagte er zu seiner Schwiegermutter. “Wir sehen uns später.”

“Täusche ich mich, oder willst du nicht zu dem Ball?”, fragte Silvia, nachdem er gegangen war.

Die Frage machte Isobel verlegen. Warum sie Leandros vor drei Jahren verlassen hatte, wusste ihre Mutter bis ins letzte Detail – zumindest soweit es ihn betraf. Die unrühmliche Rolle, die seine Familie dabei gespielt hatte, hatte sie jedoch tunlichst verschwiegen.

“Das Verhältnis zu Leandros’ Familie war nicht frei von Spannungen”, erwiderte sie ausweichend. “Deshalb würde ich gern noch ein wenig warten, bis ich sie alle wiedersehe.”

“Sag bloß, du hast Angst vor deiner Schwiegermutter?”, erkundigte sich Silvia, ohne wissen zu können, was sie sagte. “Ich freue mich jedenfalls auf den Abend.”

Als sie die Kleider sah, die der Schneider mitgebracht hatte, wurde ihre Vorfreude noch größer. Eins war eleganter als das andere, und es fiel ihnen beiden sehr schwer, sich zu entscheiden.

Als Silvia sich wie jeden Nachmittag zurückzog, um sich hinzulegen, ging Isobel in ihr Zimmer und setzte sich aufs Bett. Liebend gern hätte auch sie ein wenig geschlafen, aber dazu wartete sie viel zu ungeduldig auf Leandros’ Rückkehr.

Bereits mehrfach hatte Leandros vergeblich versucht, das Büro zu verlassen. Als er am frühen Nachmittag endlich den Kofferraum seines Wagens öffnete, um seine Aktentasche hineinzulegen, fiel ihm ein brauner Briefumschlag auf. Er steckte in der Tasche des Jacketts, das er am Vortag achtlos dort abgelegt hatte, als er sich an Isobels Fersen geheftet hatte. Erst als er ihn in Händen hielt, erinnerte er sich, was es damit auf sich hatte.

Obwohl er es kaum erwarten konnte, Isobel wiederzusehen, entschloss er sich, vorher noch zu der Bank zu fahren, die sie ihm genannt hatte. Nun, da seine Neugier geweckt war, wollte er endlich wissen, was es mit dem angeblichen Familienschmuck auf sich hatte.

Als Leandros schließlich zu Hause war, suchte er zunächst vergeblich nach Isobel. Schließlich fand er sie im Schlafzimmer. Sie saß auf dem Bett und trug eines seiner weißen T-Shirts – mehr aber auch nicht, wenn ihn nicht alles täuschte. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, denn sie hatte den Kopf nach vorn geneigt und bürstete sich das Haar. Offenbar hatte sie eben erst geduscht, denn es war noch feucht.

“Falls du auch duschen willst, solltest du lieber in ein anderes Zimmer gehen”, bestätigte sie seine Vermutung. “Sonst könnte ich mich dazu hinreißen lassen, den Föhn in die Kabine zu werfen – eingeschaltet, versteht sich.”

Ihre Bissigkeit überraschte ihn nicht im Geringsten. Nachdem er Isobel am Frühstückstisch mit nicht ganz fairen Mitteln überrumpelt hatte, musste er mit etwas Derartigem rechnen.

“Das würdest du nie machen”, wandte er von der Tür aus ein. “Wenn du mich umbringen wolltest, würdest du eine qualvollere Todesart wählen.”

“Darauf würde ich nicht wetten”, widersprach sie.

“Das Risiko nehme ich auf mich.” Zum Beweis schloss Leandros die Tür hinter sich. Da Isobel immer noch nicht aufsah, ging er zunächst zu seiner Kommode und legte eine schwarze Schatulle in die oberste Schublade. Während er sein Jackett und die Krawatte ablegte, überlegte er, ob er Isobel aufs Bett werfen oder sie ebenso ignorieren sollte wie sie ihn.

Schließlich entschied er sich für eine andere Möglichkeit. Der Drohung, die sie ausgestoßen hatte, würde sie Taten folgen lassen müssen – wenn auch nicht gerade die, die sie angekündigt hatte. Deshalb würde er ihre Warnung missachten und ins Bad gehen, um sie dort zu erwarten. Ihr Haar war ohnehin noch nass, und das T-Shirt gehörte ihm. Nichts sprach also dagegen, es ihr auszuziehen und sie unter der Dusche zu lieben.

Ohne sich von ihrer Anwesenheit stören zu lassen, zog Leandros sich aus und ging ins Bad. Es wurde höchste Zeit, dass er sich rasierte. Wenn sie ihn wirklich umbringen wollte, konnte sie es auch mit dem elektrischen Rasierapparat tun.

Um seinen Plan perfekt zu machen, drehte er erst die Dusche auf, ehe er sich vor den Spiegel stellte. Im selben Moment tauchte Isobel hinter ihm auf. Sie ärgerte sich sichtlich darüber, dass er sie erneut überlistet hatte.

Doch ihre Reaktion bewies, dass er zu früh triumphiert hatte. “Ich will nicht auf den Ball”, sagte sie in einem Ton, der verriet, wie nah sie den Tränen war.

Leandros konnte sich gerade noch rechtzeitig umdrehen, bevor sie ihm förmlich um den Hals fiel. “Können wir nicht noch einige Tage warten, bevor du mich den Löwen zum Fraß vorwirfst?”, bat sie ihn inständig.

“Niemand wird es wagen, dich auch nur schief anzusehen”, versprach er und nahm sie fest in die Arme. Sein Eindruck, dass sie unter dem T-Shirt nackt war, hatte ihn nicht getrogen.

“Ihre Gedanken kannst selbst du nicht beeinflussen, Andros.”

Außer ihr durfte ihn niemand so nennen, und die Wirkung, die es auf ihn ausübte, war verheerend. Ohne zu zögern, hob Leandros sie hoch und trug sie zurück ins Schlafzimmer. Um ihm ihr Einverständnis zu signalisieren, schlang Isobel ihm die Beine um die Hüften und zog sie auch dann nicht zurück, als sie schließlich auf dem Bett lagen.

“Wir sind nicht die Einzigen, die in den letzten drei Jahren dazugelernt haben”, versicherte er. “Inzwischen hat selbst meine Mutter eingesehen, dass sie viel falsch gemacht hat. Schließlich hat sie nicht nur ihre Schwiegertochter verloren, sondern beinah auch ihren Sohn. Nachdem du gegangen warst, habe ich gelitten wie ein Hund. Erst als ich kurz nach dir auch aus Athen geflohen bin, habe ich mich allmählich wieder beruhigt.”

“Und wo warst du?”

Sein Plan, sie vom eigentlichen Thema abzulenken, war aufgegangen. “In Südspanien”, erwiderte Leandros zufrieden. “Wir haben dort in einem alten Fischerdorf eine Ferienanlage gebaut.”

“Warum bist du nicht zu mir gekommen?” Sie strich ihm zärtlich durchs Haar.

“Das bin ich doch”, erwiderte Leandros und ließ eine Hand zu ihrem Po gleiten. “In meinen Träumen war ich jede Nacht bei dir.”

“Das ist ja schön und gut”, sagte sie herausfordernd, “aber es reicht mir nicht.”

Im nächsten Moment schrie sie lustvoll auf, denn er war ihrer stummen Aufforderung gefolgt und ohne Umschweife in sie eingedrungen. Das Feuer der Leidenschaft war entfacht. Die Flammen schlugen so hoch, dass sie ihnen den Atem nahmen, ehe die glühende Hitze Tribut forderte. Sobald Leandros wieder zu Kräften gekommen war, trug er Isobel ins Bad und sorgte dafür, dass selbst das Duschen zu einem unvergesslichen Erlebnis wurde.

Als sie in ihr Zimmer ging, um sich anzuziehen, hatte sie ihre Bitte, den Abend zu Hause zu verbringen, offenbar vergessen. Doch nun haderte er mit sich. Er musste nur an sie denken, und die Vorstellung, zu dem Ball zu gehen, verlor jeglichen Reiz.

Bevor er das Schlafzimmer verließ, nahm er die schwarze Schatulle an sich. Als er den Korridor entlangging, um Isobel abzuholen, beschloss er, ihr die Entscheidung zu überlassen. Sollte sie einen erneuten Angriff auf seine Sinne starten, würden sie an diesem Abend nirgends hinfahren.