8. KAPITEL
Leandros klopfte leise an die Tür, ehe er ihr Zimmer betrat. Isobel stand vor dem Spiegel und unterzog sich einem letzten prüfenden Blick. Sie trug ein kurzes blassgrünes Kleid aus Seidenchiffon, das ihre makellose Figur betonte, ohne aufdringlich oder gar ordinär zu wirken – so hoffte sie zumindest. Deshalb hatte sie sich bewusst dezent geschminkt und das Haar sicherheitshalber hochgesteckt. Schließlich wollte sie nicht dem Bild der aufreizenden Frau entsprechen, das seine Familie von ihr hatte. Genauso wenig wollte sie jedoch den Eindruck erwecken, dass sie sich den Regeln des so genannten “guten Geschmacks” unterworfen hatte.
“Gefalle ich dir?”, bat sie Leandros um seine Meinung.
“Das wäre maßlos untertrieben”, erwiderte er. “Du siehst absolut perfekt aus.”
Ein kurzer Blick über die Schulter genügte, um festzustellen, dass für ihn dasselbe galt. Statt des dunklen Anzugs trug er nun einen weißen Smoking und eine schwarze Seidenhose und statt der Krawatte eine Fliege. Das elegante Äußere machte ihn endgültig zu dem sprichwörtlichen Traummann – und dass er vor ihr stand, stellte sie auf eine denkbar harte Probe.
Als er langsam auf sie zukam, wollte sie den Kampf bereits verloren geben. Aber dann fiel ihr Blick auf die schwarze Schatulle in seinen Händen. Was diese enthielt, wusste sie, auch ohne dass er sie öffnete.
“Wie ich sehe, hast du den Schmuck aus dem Schließfach geholt”, sagte sie verunsichert.
“Den Familienschmuck”, bestätigte er mit einem provozierenden Lächeln und öffnete die samtene Schatulle. Bevor er den Schmuck entnahm, vergewisserte er sich, dass ihr genügend Zeit blieb, die unvergleichlich edlen und kostbaren Stücke zu betrachten.
Etwas Schöneres als die mit Smaragden und Diamanten besetzten Pretiosen hatte sie noch nie gesehen, und sie bezweifelte, dass es etwas Vergleichbares gab. Doch seit Chloes zynischen Kommentaren hatten sie jeglichen Glanz verloren.
“Dreh dich um”, forderte Leandros sie auf und entnahm der Schatulle ein Kollier.
“Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist”, wandte Isobel ein. “Es wird auch so schon schwer genug …”
“Keine Widerworte”, unterbrach er sie. “Der Schmuck gehört dir. Warum solltest du ihn also nicht anlegen? Außerdem passt er sicher perfekt zu dem bezaubernden Kleid.”
Das ließ sich nicht leugnen, wie sie feststellte, nachdem er ihr die Kette angelegt hatte. Der Smaragd harmonierte auf eine wundersame Weise mit der Farbe des Kleids, als hätte sie es eigens dafür ausgewählt. Genau diesen Eindruck wollte sie allerdings lieber nicht erwecken.
“Deine Familie muss es doch als Schlag ins Gesicht empfinden, wenn ich beim ersten Wiedersehen nach drei Jahren den Familienschmuck trage”, wandte sie deshalb ein.
“Das lass getrost meine Sorge sein.” Anstatt auf ihre Bedenken einzugehen, legte Leandros ihr das passende Armband an. Schließlich trieb er ihre Verlegenheit auf die Spitze, indem er ihr behutsam die goldenen Ohrringe abnahm und sie durch zwei mit Smaragden besetzte Stecker ersetzte.
Dabei kam er ihr zwangsläufig so nah, dass Isobel versucht war, sich an ihn zu schmiegen. Dadurch könnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – ihre Sehnsucht nach seiner Nähe stillen und ganz nebenbei dem unerfreulichen Abend entgehen.
Warum sie sich anders entschied, war ihr selbst nicht klar. Vielleicht lag es daran, dass er plötzlich eine zweite Schatulle in der Hand hielt.
Dass zu dem Schmuck auch ein Ring gehörte, hatte sie völlig vergessen. Mit einem unguten Gefühl ließ sie zu, dass Leandros ihn auf denselben Finger steckte, auf dem bereits ihr Ehering steckte.
“Endlich ist er wieder da, wo er hingehört”, sagte er ernst und küsste ihr die Hand, auf der nun inmitten vieler kleiner Diamanten ein Smaragd von unvergleichlicher Reinheit prangte. “Und da soll er auch für immer bleiben.”
So gerührt Isobel auch war, vor der Reaktion seiner Familie bekam sie immer mehr Angst. “Wem hat der Schmuck ursprünglich gehört?”, erkundigte sie sich, in der Annahme, dass Thea oder Chloe mit demselben Recht Besitzansprüche auf die Erbstücke erheben konnten wie Leandros.
“Die Smaragde haben früher einem alten Piraten als Zahnersatz gedient”, erklärte Leandros mit einem jungenhaften Lächeln, ehe er sich herunterbeugte und ihre Bedenken mit einem Kuss zerstreute.
Dass sie neuen Lippenstift würde auftragen müssen, war ihr egal. Wichtig war einzig, dass er ihr mit dem zärtlichen Kuss in Erinnerung rief, dass sie beide ein ganzes Leben vor sich hatten. Was konnten ihr da wenige Stunden anhaben, auch wenn diese noch so unangenehm sein würden?
Als sie Hand in Hand die Eingangshalle erreichten, erwartete Silvia sie bereits ungeduldig. Sie hatte sich für ein schulterfreies blaues Kleid entschieden, und man sah ihr die Vorfreude auf den ersten Ball seit Jahren deutlich an. Sie war fest entschlossen, sich zu amüsieren, und lehnte es strikt ab, sich in den Rollstuhl zu setzen. Selbst die Krücken nahm sie nur nach gutem Zureden mit.
Nach einer halbstündigen Autofahrt erreichten sie die prunkvolle Villa von Nikos’ künftigen Schwiegereltern. Als sie die wenigen Schritte bis zum Eingang zurücklegten, drohte der Mut Isobel zu verlassen, so dass sie unwillkürlich Leandros’ Hand suchte.
In der Halle wurden sie bereits von Mr. und Mrs. Santorini und deren Tochter Carlotta erwartet, die jeden Gast persönlich begrüßten. Alle drei empfingen sie überaus freundlich. Trotzdem konnten sie die Neugierde auf die junge Engländerin, die sie bislang nur vom Hörensagen kannten, kaum verbergen.
“Isobel!”, rief Nikos begeistert, als er seine Schwägerin sah. “Schön, dass du gekommen bist! Ich bewundere dich für deinen Mut”, fügte er leise hinzu und beugte sich herunter, um sie auf die Wange zu küssen.
Wie gut sie die Aufmunterung gebrauchen konnte, wurde Isobel klar, als sie Thea in der Menge erblickte. Leandros’ Mutter wirkte alles andere als erfreut darüber, dass ihre Schwiegertochter zurück war, und entsprechend kühl fiel die Begrüßung aus. Immerhin gelang es ihr, die Abneigung nicht auf Silvia zu übertragen, die sie herzlich willkommen hieß und nicht nur aus Pflichtgefühl nach ihrer Gesundheit fragte.
“So schlimm, wie du befürchtet hast, war es doch gar nicht”, sagte Leandros aufmunternd, während er Isobel in den Festsaal führte.
“Aber nur, weil du ihnen genaue Anweisungen erteilt hast”, erwiderte Isobel skeptisch, denn die eigentliche Prüfung stand ihr noch bevor. Hunderte von Menschen drängten sich in dem großen Saal, und kaum hatten sie das Paar gesehen, setzte ein Getuschel ein, über dessen Grund Isobel sich keine Illusionen machte.
Als Silvia sich schließlich zu ihnen gesellte und jeder sehen konnte, dass sie sich auf Krücken stützen musste, ging ein Raunen durch den Saal. Während die meisten verlegen zu Boden sahen, blickten einige die Neuankömmlinge überrascht an.
Leandros rettete die Situation, indem er Isobel unterhakte und die andere Hand auf Silvias legte und schweigend in die Runde sah. Ein falsches Wort, und ihr lernt mich kennen, schien er der illustren Gesellschaft sagen zu wollen, und zu Isobels Erstaunen verstanden sie die stumme Warnung. Das Getuschel verstummte, und die Menge zerstreute sich allmählich.
Vor drei Jahren hätten sie nicht solchen Respekt vor ihm gehabt, wie Isobel sich eingestehen musste. Offenbar besaß er inzwischen eine natürliche Autorität, deren Wirkung sich niemand entziehen konnte.
“Allmählich wird mir klar, was du gemeint hast”, gestand Leandros und reichte ihr ein Glas Champagner. “Ich fürchte, ich habe die Meute unterschätzt.”
“Das Schlimmste ist überstanden”, erwiderte Isobel, auch wenn sie beide wussten, wie trügerisch diese Hoffnung war. Deshalb stieß sie zwar mit Leandros an, stellte das Glas jedoch wieder ab, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Für das, was ihr noch bevorstand, brauchte sie vor allem einen klaren Kopf.
“Isobel!” Eine helle Frauenstimme riss sie aus ihren Gedanken. Noch ehe Isobel sich umdrehte, wusste sie, dass ihr die erste und möglicherweise einzige angenehme Begegnung des Abends bevorstand.
“Wie schön, dich endlich wieder zu sehen!”, begrüßte Eve Herakleides sie und fiel ihr vor Freude um den Hals. Erst als ihre Freundin sie aus der Umarmung entließ, stellte Isobel fest, dass diese in Begleitung zweier Männer gekommen war. Der eine war Leandros’ Onkel Theron, Eves Großvater, den anderen hatte sie nie zuvor gesehen. Trotzdem war sie sicher, dass es sich um Ethan Hayes handelte.
“Ich möchte dir meinen Mann vorstellen”, bestätigte Eve sichtlich stolz ihre Vermutung. Als Leandros schließlich Silvia mit der Familie Herakleides bekannt machte, hatte Isobel das eigenartige Gefühl, dass Theron die Hand ihrer Mutter länger als nötig hielt.
“Ich hoffe, es geht dir gut”, sagte er schließlich zu Isobel und küsste sie zur Begrüßung auf die Wange.
“Wie man’s nimmt”, erwiderte sie.
Wie angebracht die vorsichtige Formulierung war, musste sie erleben, als sich eine weitere Person in die Runde mischte. “Hallo, allerseits”, grüßte Chloe unpersönlich und würdigte sie keines Blickes. Unwillkürlich fragte sich Isobel, ob Nikos’ künftiger Frau Carlotta dasselbe Schicksal drohte. Chloe war das dritte und jüngste Kind von Thea und ihrem verstorbenen Mann Aristoteles. Die männlichen Mitglieder der Familie hatten sie verhätschelt und auf Händen getragen. Entsprechend eifersüchtig reagierte sie, wenn jemand ihr die Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Brüder streitig zu machen drohte.
Nach Aristoteles’ Tod war Leandros ihr eine Art Ersatzvater geworden, und so hatte sie in seiner Frau schnell ihre Hauptfeindin ausgemacht. Auch wenn seither drei Jahre vergangen waren, rechnete Isobel nicht damit, dass sich daran etwas geändert hatte.
Die Bestätigung erhielt sie schneller als befürchtet. Leandros’ mahnende Blicke ließen es Chloe ratsam erscheinen, sie wenigstens flüchtig zu begrüßen. Widerwillig reichte sie ihr die Hand, als ihr etwas auffiel. “Ich nehme an, das ist eine Kopie”, sagte sie abfällig und sah missbilligend auf das Kollier.
“Keineswegs”, sprang Leandros Isobel bei, die viel zu überrascht war. “Es handelt sich um denselben Schmuck, den ich kurz nach der Hochzeit habe anfertigen lassen. Erinnerst du dich noch?”, fügte er hinzu, um sicherzugehen, dass Chloe ihn anblickte. “Spaßeshalber haben wir ihn unseren Familienschmuck genannt.”
Der entsetzte Gesichtsausdruck seiner Schwester war der sichtbare Beweis dafür, dass seine Taktik aufgegangen war. Nun wusste Chloe, dass er bis ins Detail darüber informiert war, wie sie mit ihr umgesprungen war. Und genauso musste ihr klar sein, dass er sie dafür bei nächster Gelegenheit zur Rechenschaft ziehen würde.
Vielleicht war es eine glückliche Fügung, dass in diesem Moment das Büfett eröffnet wurde. Zumindest Chloe schien so zu denken, denn sie verschwand augenblicklich in der Menschenmenge, die in den angrenzenden Raum strömte. Schließlich entschuldigten sich auch Eve und Ethan, und nachdem sich Theron wie ein echter Kavalier angeboten hatte, Silvia zu begleiten, waren Leandros und Isobel wieder allein.
“Mein Onkel scheint Gefallen an deiner Mutter gefunden zu haben”, meinte Leandros zu dem anrührenden Bild, das sich ihnen bot.
“Du solltest lieber schweigen”, erwiderte Isobel. “Für heute hast du dir genug erlaubt.”
“Was habe ich denn getan?”, fragte er mit Unschuldsmiene.
“Mich hierher geschleppt”, sagte sie bedrückt. “Wenigstens diesen verdammten Schmuck hättest du mir ersparen können. Hoffentlich bist du auf deine Kosten gekommen.”
“Dazu habe ich sicher später noch Gelegenheit.”
Sie wusste sofort, woran er dachte. Nie würde sie vergessen, zu welchen Kühnheiten es Leandros angespornt hatte, wenn sie nichts außer dem Schmuck trug. Um ihn ihr abzunehmen, hatte er eine besondere Methode entwickelt, die darin gipfelte, dass er die Edelsteine in den Mund nahm. Wenn er dann alle erdenklichen Stellen ihres Körpers mit zärtlichen Küssen bedeckte, löste er damit Reaktionen aus, über die zu sprechen sich verbat.
“Ich bin hungrig.” Um die Wünsche und Sehnsüchte zu verdrängen, die durch die Erinnerung wachgerufen worden waren, griff Isobel zu einer Notlüge – auch wenn sie wusste, dass sie keinen Bissen hinunterbekommen würde.
Mit dem Gang zum Büfett begann eine Art Schaulaufen, das sich über mehrere Stunden hinzog. Leandros führte sie durch die Räume, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein Gespräch mit den anderen Gästen zu beginnen. Dabei achtete er strikt darauf, dass sie in die Unterhaltung einbezogen wurde. Offenbar hoffte er, den Scheidungsgerüchten damit jeglichen Nährboden entziehen zu können. Zugleich sorgte er dadurch bei manch einem Gast für ein böses Erwachen, denn bald musste auch dem Letzten klar sein, dass sie ausgezeichnet Griechisch sprach und verstand.
Genau das schien Leandros bezweckt zu haben, und die unterschiedlichen Reaktionen der Menschen bestätigten ihn darin, dass es in Zukunft niemand wagen würde, abfällige Kommentare über seine Frau zu machen – schon gar nicht in ihrer Anwesenheit. Während manche es mit Humor nahmen, wirkten andere peinlich berührt. Einige gaben ihr schlechtes Gewissen dadurch zu erkennen, dass sie einen großen Bogen um sie beide machten.
Dazu gehörte außer Chloe auch Takis Konstantindou. Dass Leandros’ Schwester ihnen auswich, war wenig verwunderlich. Das Verhalten von Leandros’ Patenonkel und Anwalt hingegen überraschte sie beide.
Ein einziger Mensch ließ sich keiner dieser Gruppen zuordnen, und das war Diantha Christophoros. Wann immer Isobel sie mehr oder weniger zufällig in der Menge sah, war entweder Thea oder Chloe in ihrer Nähe. Den Beistand schien sie dringend zu benötigen, denn sie wirkte richtig verloren.
Dass ausgerechnet ihre Schwiegermutter und ihre Schwägerin die Rolle der Trösterinnen übernahmen, gefiel Isobel allerdings ganz und gar nicht. Andererseits glaubte sie nicht, dass sie in Dianthas Situation den Mut aufgebracht hätte, überhaupt auf dem Ball zu erscheinen. Leicht konnte es ihr jedenfalls nicht gefallen sein, sich in dem Wissen auf den Weg zu machen, dass sich an diesem Abend alle Gerüchte um ihre bevorstehende Hochzeit mit Leandros Petronades als falsch erweisen würden.
Bevor das Mitleid mit ihrer Rivalin sie zu einer Dummheit verleiten konnte, brachte Eve Isobel auf den Boden der Tatsachen zurück.
“Nimm dich bloß vor Diantha in Acht”, warnte sie sie, als sie sich zufällig auf der Terrasse trafen. Dorthin hatte Isobel sich zurückgezogen, weil sie nach den vielen Gesprächen und Eindrücken dringend frische Luft brauchte.
“Sie wirkt, als könnte sie kein Wässerchen trüben”, sagte Eve, “aber in Wirklichkeit ist sie eine falsche Schlange, die sich bestens darauf versteht, anderen Menschen ihren Willen aufzuzwingen. Erst vor einigen Wochen hat sie Chloe dazu überredet, in Athen zu bleiben und ihrer Mutter bei den Vorbereitungen für Nikos’ Hochzeit zu helfen, anstatt, wie ursprünglich geplant, nach Spanien zu fliegen und Leandros zur Hand zu gehen. Wie du sicher weißt, hat Diantha das übernommen, und ihr ist es sogar gelungen, es wie einen Freundschaftsdienst wirken zu lassen. Zeitgleich mit ihrer Rückkehr verbreitete sich allerdings das Gerücht, dass Leandros sich von dir scheiden lassen und sie heiraten will. An einen Zufall kann ich beim besten Willen nicht glauben. Vielmehr werde ich das Gefühl nicht los, dass sie darauf versessen ist, dir Leandros auszuspannen. Und ihr Onkel Takis steckt mit ihr unter einer Decke.”
“Ich wusste gar nicht, dass die beiden verwandt sind”, meinte Isobel überrascht.
“Hier ist doch jeder mit jedem verwandt”, erwiderte Eve abfällig. “Ohne Frauen wie uns wäre die feine Gesellschaft längst an Inzucht eingegangen.”
Auch wenn das Thema dafür zu ernst war, musste Isobel lachen.
“Ihr scheint euch ja prächtig zu amüsieren.” Leandros hatte sich unbemerkt genähert und legte ihr den Arm um die Taille. “Darf man erfahren, worüber?”, fragte er, eher er ihr zärtlich den Nacken küsste.
“Frauen haben manchmal Dinge zu besprechen, die nicht für Männerohren bestimmt sind, lieber Cousin”, erklärte Eve bestimmt. “Aber eins lass dir gesagt sein”, fügte sie mit einem herzlichen Lächeln an Isobel gewandt hinzu. “Wenn du mich fragst, hattest du mehr Glück als Verstand.”
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und ging ihrem Mann entgegen, der sie schon zu suchen schien.
“Der arme Ethan ist ihr ins Netz gegangen, ohne es zu merken”, erklärte Leandros, der die beiden beobachtete. “Manchmal habe ich das Gefühl, dass er bis heute nicht begriffen hat, wie ihm das passieren konnte.”
“Er soll froh und glücklich sein, dass er so eine Frau hat”, widersprach Isobel entschieden.
“Das gilt für mich wohl genauso”, erwiderte er und wandte sich wieder ihr zu.
“Nicht hier”, bat sie ihn, als er sich zu ihr herunterbeugte. “Es fällt mir schon schwer genug, mich zusammenzureißen.”
“Ich finde, du spielst deine Rolle ausgezeichnet”, lobte er sie. Ihre Bitte hatte er jedoch entweder nicht gehört oder nicht hören wollen. Ehe Isobel sich’s versah, hatte er sie gegen die steinerne Balustrade gedrängt, so dass ihr keine Möglichkeit zur Flucht blieb. Wie sein zufriedener Blick verriet, war genau das seine Absicht gewesen.
Allerdings nahm sie es ihm nicht übel – im Gegenteil. Sie musste Leandros nur in die Augen sehen, um zu wissen, wie glücklich sie war. Deshalb nahm sie es als Wink des Schicksals, dass in diesem Moment Musik aus dem Haus drang und den festlichen Rahmen für das Versprechen bildete, das sie sich allein durch ihre Blicke gaben.
“Ich liebe dich”, sagte Isobel spontan.
Was möglicherweise ein Fehler war, denn Leandros war sichtlich überrascht, wenn nicht gar überfordert. Zumindest war er eine Weile sprachlos. “Musst du das ausgerechnet jetzt sagen?”, fragte er sie schließlich.
Trotz seines schroffen Tons entging ihr nicht, dass ihr Geständnis ihn überwältigt hatte. Genauso klar war sie sich darüber, was für ein großes Risiko sie eingegangen war. Jemanden zu lieben, war eine Sache, es ihm zu sagen eine völlig andere. Indem sie es ausgesprochen hatte, hatte sie zugleich eine Grenze überschritten. Von nun an wäre sie ihm schutzlos ausgeliefert, und der Gedanke daran, was das bedeutete, ließ sie ihren Übermut fast bereuen.
Erschwerend kam hinzu, dass Leandros nicht in der Lage war, ihr diese Ängste zu nehmen. Er schien mit sich und der Welt zu hadern, weil ihm die einzige Antwort, die ihm einfiel, versagt bleiben musste. Schließlich waren sie nicht allein, und den Eklat, seiner Frau in aller Öffentlichkeit die Sachen hinunterzureißen, wollte selbst er nicht riskieren.
Doch fürs Erste hätte sie sich auch mit Worten zufrieden gegeben. Ein Satz wie “Ich liebe dich auch” hätte ihr unendlich gut getan. Dazu konnte sich Leandros aber offenbar nicht durchringen.
“Ich wollte dich nicht zu etwas zwingen, was du nicht …”
“Pst”, unterbrach er sie und legte ihr den Finger auf den Mund. “Merkst du nicht, dass ich nachdenke?”
Was gibt es da lange nachzudenken?, hätte Isobel ihn am liebsten gefragt. Entweder du liebst mich oder nicht. Dass sie nun leiden musste, war allerdings nicht zuletzt ihre Schuld. Warum hatte sie mit ihrem Geständnis nicht gewartet, bis Leandros und sie wieder zu Hause waren? Dort hätte er ihr sicher schon längst eine Antwort gegeben – auf welche Art auch immer.
So aber musste sie sich damit abfinden, dass sie es mit einem Sturkopf zu tun hatte, der nicht über seinen Schatten springen konnte. Umso überraschter war sie, als Leandros unvermittelt ihre Taille umfasste und sie so heftig an sich zog, dass ihr einen Moment der Atem stockte. Erregt, wie er war, rechnete sie jeden Moment damit, dass er sich vergessen und ihr das Ergebnis seines Nachdenkens auf jene Art und Weise mitteilen würde, auf die er sich wesentlich besser verstand als aufs Reden.
“Den anderen kannst du vielleicht etwas vormachen”, platzte er schließlich heraus, “aber mir nicht. Du bist und bleibst die reinste Provokation, ganz egal, ob du ein aufreizendes Lederkostüm oder ein züchtiges Kleid trägst. Seit du die Güte hattest, dich nach drei Jahren wieder blicken zu lassen, fühle ich mich wie ein pubertierender Bengel, der zum ersten Mal im Leben verliebt ist.”
“‘Pubertierend’ könnte stimmen”, bestätigte sie sarkastisch. “Deshalb dürfte ‘verknallt’ die Sache eher treffen als …”
“Da irrst du dich gewaltig!”, fiel er ihr ins Wort. “Ich liebe dich, seit ich dir zum ersten Mal begegnet bin. Nicht einmal die Tatsache, dass ich mich drei Jahre vor Sehnsucht nach dir verzehrt habe, kann daran etwas ändern.”
Endlich hatte Leandros das Wort ausgesprochen, auf das sie so sehnlich gewartet hatte! Allerdings sah es ihm ähnlich, dass selbst eine Liebeserklärung in einen Vorwurf mündete. “Wenn du dich wirklich so nach mir gesehnt hast, frage ich mich, warum du dich nicht viel eher bei mir gemeldet hast”, erwiderte sie deshalb trotzig.
“Das habe ich dir doch schon alles erklärt”, rechtfertigte er sich ungehalten.
“Dann erklär mir bitte noch, warum du mich nach Athen beordert hast, um dich von mir scheiden zu lassen.”
“Das war nur ein Vorwand”, beteuerte er. “Selbst du hättest das merken können.”
“Immerhin stand meine Nachfolgerin schon Gewehr bei Fuß”, wandte Isobel ein, um ihm die Unverschämtheit mit gleicher Münze zurückzuzahlen. “Und du hast alles getan, um mich in diesem Glauben zu lassen.”
“Hast du es mit dem Bodybuilder etwa anders gehalten?”, fragte er herausfordernd. “Du weißt doch, wie eigen wir Männer in diesen Dingen sind.”
“Allerdings weiß ich das”, bestätigte sie. “Deshalb hast du es ja auch mir überlassen, als Erste von Liebe zu reden. Von allein hätte ich dich nie dazu gebracht.”
Noch immer standen sie eng umschlungen auf der Terrasse, und dass sie nicht längst übereinander hergefallen waren, grenzte an ein Wunder.
“Wie wär’s, wenn wir über die Mauer klettern und unsere Unterhaltung im Garten fortsetzen würden?”, schlug Leandros wenig überraschend vor.
“Ich lasse dir gern den Vortritt”, erwiderte Isobel sarkastisch. “Hoffentlich brichst du dir dabei das Genick.”
Ein Räuspern erinnerte sie jäh daran, dass sie nicht allein waren. Doch dass ausgerechnet Thea ihre Auseinandersetzung mitgehört hatte, traf sie beide wie ein Schock. Sie stand nur wenige Meter entfernt und wirkte richtig verstört. Offenbar fühlte sie sich an andere Ehekräche zwischen ihnen erinnert, deren Zeugin sie früher geworden war.
“Entschuldigt die Störung”, sagte sie steif, ehe sie Isobel anblickte. “Ich mache mir Sorgen um deine Mutter. Sie tanzt schon geraume Zeit mit Theron und lässt sich von nichts und niemandem dazu bewegen, eine Pause einzulegen.”
“Ich kümmere mich um sie”, erwiderte Isobel. Aber als sie losgehen wollte, hielt Leandros sie zurück.
“Lass mich das machen”, wandte er ein. “Kein Dickkopf lässt sich von einem anderen gern Vorschriften machen.”
Ehe sie widersprechen konnte, drehte er sich um und ging ins Haus. So sah sie sich unvermittelt mit einer Situation konfrontiert, die sie liebend gern vermieden hätte.
“Leandros mag deine Mutter sehr”, nutzte Thea die Gelegenheit, sich ungestört mit ihr unterhalten zu können.
“Das beruht auf Gegenseitigkeit”, antwortete Isobel widerwillig. Doch wenn sie den Neuanfang mit Leandros nicht unnötig erschweren wollte, durfte sie die Hand, die seine Mutter ihr bot, nun nicht ausschlagen.
“Müsst ihr eigentlich immer streiten?”, fragte Thea rundheraus, und die Missbilligung stand ihr deutlich im Gesicht geschrieben.
“Für dich mag es so ausgesehen haben”, räumte Isobel ein, “aber Streit würde ich es nicht nennen. Eher eine etwas eigentümliche Art, uns zu sagen, dass wir uns lieben.”
“Dann bilde ich mir wahrscheinlich auch nur ein, dass du Griechisch sprichst”, erwiderte Thea gekränkt, ehe sie zu ihr an die Balustrade kam. “Leandros liebt dich heute so sehr wie damals”, sagte sie ernst, “und sein Glück ist mir wichtiger als alles andere. Als du ihn verlassen hast, war ich zunächst sehr erleichtert, bis ich erleben musste, dass ich dadurch auch meinen Sohn verliere. Um nicht ständig an dich erinnert zu werden, hat er irgendwann beschlossen, Athen zu verlassen, und ist nach Spanien geflohen. Er muss dich fürchterlich vermisst haben”, fügte sie mit sichtlicher Überwindung hinzu.
“Ich ihn auch”, gab Isobel zu.
“Das ist mir inzwischen klar”, erwiderte Thea. “Deshalb sollten wir die alten Streitigkeiten nach Möglichkeit vergessen und versuchen, uns von jetzt an zu vertragen.”
Ihre vorsichtige Formulierung ließ erahnen, wie schwer Thea dieser Schritt fiel. Doch das konnte Isobel ihr kaum verübeln. Dafür wusste sie zu gut, wie stolz ihre Schwiegermutter war.
“Ich war damals viel zu jung, um zu begreifen, was geschah”, gestand sie. “Du darfst nicht vergessen, dass meine Mutter als Kassiererin in einer Bank arbeitet. Euer Lebensstil war mir völlig unbekannt, und ich war viel zu dickköpfig, um mir von dir oder sonst jemandem helfen zu lassen.” Endlich fand sie auch den Mut, ihre Schwiegermutter anzusehen. “Dieses Mal wird alles anders”, versprach sie.
Anstatt etwas zu erwidern, nickte Thea nur. Sie war sich mit ihr darin einig, dass sie einen Neuanfang wagen konnten. Was daraus werden würde, musste die Zukunft zeigen.
Sie hatte sich schon umgedreht, um ins Haus zurückzugehen, als sie unvermittelt noch einmal stehen blieb. “Dass du damals dein Kind verloren hast, tut mir unendlich leid”, versicherte sie. “Ich wünschte, ich wäre in der Lage gewesen, dir in deiner schwersten Stunde eine Freundin zu sein.”
Die Worte ihrer Schwiegermutter rührten Isobel so sehr, dass sie ihr mit Tränen in den Augen ins Gesicht blickte.
“Was ist los?”, erkundigte sich Leandros, der unbemerkt auf die Terrasse zurückgekommen war. “Stimmt etwas nicht?”
“Im Gegenteil”, erwiderte sie. “Sag mir lieber, wie es Silvia geht.”
“Blendend”, erklärte er. “Sie hat so ausgelassen getanzt wie ein junges Mädchen, und Theron hat mit ihr geflirtet, als wäre er zwanzig. Dabei ist er siebzig.”
Spontan umarmte Isobel ihn und schmiegte sich an ihn. “Versprich mir, dass du mich nie wieder gehen lässt.”
“Ich verspreche es dir.”
Kurz darauf saßen sie wieder im Auto und waren auf dem Weg nach Hause. Leandros und Isobel sprachen kaum ein Wort. Dafür sprudelte Silvia vor Begeisterung förmlich über und erzählte freimütig von den Plänen, die Theron und sie für den nächsten Tag hatten.
“Offenbar hat Silvia einem der reichsten Männer Griechenlands den Kopf verdreht”, sagte Isobel zu Leandros, als sie endlich in ihrem Schlafzimmer waren und sich für die Nacht fertig machten.
“Sie scheint ihrer Tochter nacheifern zu wollen”, erwiderte er und beobachtete voller Vorfreude, wie seine Frau das letzte Kleidungsstück auszog. Nun trug sie nur noch den Schmuck. “Ob wir wohl genauso impulsiv sind wie die beiden, wenn ich siebzig bin? Immerhin bist du dann auch schon …”
“Weißt du nicht, dass das Alter einer Frau tabu ist?”, unterbrach sie ihn.
Für die kommenden Stunden war es das einzige Tabu, an das sie sich hielten. Doch auch wenn sie sich mit der vertrauten Hingabe und Leidenschaft liebten, war diese Nacht in einer Hinsicht anders als sonst. Mit jeder Berührung, die sie sich schenkten, schienen sie den Schwur erneuern zu wollen, den sie vor vier Jahren abgelegt hatten. Und als sie in der Dämmerung erwachten, waren sie von dem Vertrauen darauf beseelt, dass ihre Liebe stark genug war, um in Zukunft auch die schwerste Prüfung zu bestehen.
Zum Frühstück fanden sie sich zu zweit auf der Terrasse wieder. Silvia hatte sich eine Tasse Tee aufs Zimmer bringen lassen, weil sie sich auf ihre Verabredung mit Theron vorbereiten wollte. Als er schließlich kam, um sie abzuholen, konnte er sie nur mühsam dazu überreden, den Rollstuhl mitzunehmen. Isobel war ihm sehr dankbar dafür und scheute sich nicht, es ihm mit einem herzlichen Lächeln zu verstehen zu geben.
So schwer es ihm fiel, musste auch Leandros irgendwann aufbrechen, um sich wenigstens für einige Stunden um die Firma zu kümmern. Nachdem sie in aller Ruhe zu Ende gefrühstückt hatte, überlegte Isobel, was sie bis zu seiner Rückkehr machen sollte. Schließlich kam sie auf die Idee, in die Stadt zu fahren und sich neu einzukleiden. Seit Tagen trug sie die olivgrüne Hose, die er immer als “Kampfanzug” bezeichnete. Doch der Kampf war beendet, und da sich in ihrem Gepäck nichts anderes fand, würde sie sich etwas Neues besorgen müssen.
Ehe sie ihren Entschluss in die Tat umsetzen konnte, kam Allise und händigte ihr einen Briefumschlag aus, den gerade ein Bote gebracht hatte. Auf dem Umschlag war kein Absender vermerkt, und vielleicht hätte es sie misstrauisch machen müssen. Allerdings war sie viel zu guter Stimmung.
Es änderte sich sofort, als sie ihn geöffnet hatte und angewidert die Fotos zu Boden warf, die jemand ihr auf diesem Weg zugespielt hatte. Ohnmächtig vor Wut und Enttäuschung, sprang sie auf und lief unter Allises ratlosem Blick los, ohne zu wissen, wohin.