4. KAPITEL

Bevor Isobel das Hotel betrat, blickte sie sich noch einmal um. Doch Leandros war nirgends zu sehen. Das war es dann wohl, dachte sie betrübt und erleichtert zugleich. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, lautete ein altes Sprichwort, das sich wieder einmal bewahrheitete. Alles Weitere würden die Anwälte regeln. Womit sich allerdings die Frage stellte, warum sie überhaupt nach Athen gekommen war. Denn dass Leandros ein hoffnungsloser Fall war, hätte sie vorher …

“Wo hast du denn so lange gesteckt? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.”

Erst als sich die Eingangstür hinter ihr schloss, merkte Isobel, dass ihre Mutter, Clive und Lester auf der schäbigen Sitzgruppe des Foyers Platz genommen hatten.

“Wie war eure Stadtrundfahrt?”, erkundigte sie sich, als sie vor ihren drei Mitreisenden stand. Es schien ihr ratsam, Silvias Frage einstweilen unbeantwortet zu lassen – zumal sie Clive deutlich ansah, dass er sich von dem Aufenthalt in Athen etwas anderes versprochen hatte.

Immerhin darin sind wir uns einig, dachte Isobel, ehe sie sich bückte, um ihre Mutter mit einem Kuss auf die Wange zu begrüßen. Da erst fiel ihr auf, wie sehr Silvia schwitzte.

“Du solltest dich doch schonen”, tadelte sie ihre Mutter mit schlechtem Gewissen, weil sie sie vernachlässigt hatte. “Und warum sitzt ihr hier unten, anstatt …?”

“Der Strom ist ausgefallen”, erklärte Lester, ehe sie ihre Frage zu Ende gebracht hatte. “Die Klimaanlage geht genauso wenig wie der Fahrstuhl und das Licht.”

Erst jetzt wurde ihr klar, warum es im Foyer genauso unerträglich heiß war wie draußen. Auch dass beide Männer kein Jackett trugen, ergab plötzlich einen Sinn.

Ein Unglück kommt selten allein, fiel ihr ein weiteres Sprichwort ein, das ihre Situation passend beschrieb. Als wäre sie nicht bereits genug damit gestraft, dass sie dem Wiedersehen mit Leandros selbst nach drei Jahren noch nicht gewachsen war. Das Schlimmste daran war, dass ihm ihre Hilflosigkeit nicht entgangen war. Doch nach allem, was er sich geleistet hatte, würde sie endlich lernen, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen.

“Kann ich irgendwie helfen?”, erkundigte sich eine Stimme, die Isobel nur allzu vertraut war.

Leandros’ Dreistigkeit überraschte sie so sehr, dass sie den Fehler beging, sich umzudrehen. Die Hitze schien so spurlos an ihm vorbeizugehen wie der beschämende Vorfall, der sich vor kaum einer halben Stunde zugetragen hatte. Seine Gelassenheit war geradezu empörend. Das Gleiche galt allerdings auch für die prickelnde Erotik, die er ausstrahlte und die ihr mehr zusetzte, als ihr …

“Was willst du hier?” Silvias harscher Ton bewahrte Isobel davor, ihren beschämenden Fantasien länger nachzuhängen.

“Wenn sich meine Schwiegermutter schon mal nach Athen verirrt, wollte ich ihr wenigstens Guten Tag sagen”, erwiderte Leandros, ohne den Blick von Isobel abzuwenden. “Offenbar wurde ich schon sehnlichst erwartet.”

“Findest du nicht, dass du uns schon genug Scherereien gemacht hast?”, setzte Silvia ihren Angriff fort.

Warum ihre Mutter Leandros so feindselig behandelte, war Isobel völlig gleichgültig. Die Hauptsache war, dass er sie endlich nicht mehr so unverfroren musterte, als wollte er sie mit seinen Blicken auf der Stelle ausziehen.

“Das mag sein”, räumte er ein. “Umso mehr freue ich mich über die Gelegenheit, euch aus der Patsche helfen zu können.”

“Was hast du vor?”, fragte Isobel ängstlich, als er sein Handy aus seiner Jacketttasche zog.

“Hier könnt ihr unmöglich bleiben”, antwortete er. “Deshalb rufe ich jetzt meinen Chauffeur an, damit er euch …”

“Das ist nicht nötig”, fiel sie ihm ins Wort. “Ich bin durchaus in der Lage, uns selbst ein anderes Hotel zu suchen.”

“Warum willst du dein Geld zum Fenster rausschmeißen, wenn du genauso gut zu Hause wohnen kannst?”

“Du willst uns doch nicht etwa zu dir bringen?”, erkundigte sie sich entgeistert.

“Zu uns!”, verbesserte er sie mit sichtlicher Genugtuung.

“Das kommt nicht infrage!”, wies sie das allzu durchschaubare Angebot unmissverständlich zurück. “Lange kann der Stromausfall nicht mehr dauern, und dann hat sich das Problem ohnehin erledigt.”

“Und wenn die Stromversorgung wieder zusammenbricht?”, wandte er ein. “In einer solchen Bruchbude musst du mit allem rechnen. Willst du wirklich riskieren, dass Silvia die Nacht im Foyer verbringen muss? Oder willst du sie bis in den vierten Stock tragen?”

Entsetzt beobachtete Isobel, wie ihre Mutter zustimmend nickte. Nun fiel ihr also auch noch die letzte Verbündete in den Rücken.

“Also schön”, fügte sie sich in das Unausweichliche, “aber nur unter einer Bedingung.”

“Und die wäre?”

“Lester und Clive kommen mit”, erwiderte sie bestimmt.

“Dein Anwalt kann von mir aus mitkommen”, gestand Leandros ihr widerwillig zu. “Aber deinen Liebhaber lasse ich nicht über die Schwelle. Von mir aus kann er unter einer Brücke schlafen.”

Keiner und schon gar nicht Clive wagte es, auf diese Ungeheuerlichkeit etwas zu erwidern, und alle sahen verlegen zu Boden. Als das Schweigen schließlich unerträglich wurde, ergriff Isobel die Flucht nach vorn.

“Ich gehe in mein Zimmer”, teilte sie den anderen mit. “Oder spricht etwas dagegen, dass ich vorher noch dusche?”, fügte sie trotzig hinzu, ehe sie sich umdrehte und zum Treppenhaus ging.

Als sie schließlich ihr Zimmer im vierten Stock erreichte, fühlte sie sich wie erschlagen. Trotzdem fand sie die Kraft, am Flughafen anzurufen, um noch für denselben Tag einen Rückflug zu buchen. Um Leandros zu entkommen, hätte sie auch mit einem Platz im Frachtraum vorlieb genommen!

Zu ihrem Entsetzen war die Maschine jedoch völlig ausgebucht, und dasselbe galt für die Flüge in irgendeine andere Stadt dieser Welt. Für die nächsten vierundzwanzig Stunden saßen sie in Athen fest. Was das bedeutete, malte sich Isobel lieber nicht aus.

“Störe ich?”

In ihrer Verzweiflung hatte sie nicht gemerkt, dass jemand ins Zimmer gekommen war. Wenigstens bestätigte sich ihr erster Verdacht nicht, denn der ungebetene Besucher war Clive und nicht Leandros.

“Was willst du?”, fragte sie unfreundlich und setzte sich ans Fußende des Betts.

“Ich wollte mich bei dir entschuldigen”, erwiderte er bedrückt. “Wenn ich gewusst hätte, welche Probleme ich dir dadurch mache, wäre ich sicher nicht nach Athen gekommen.”

“Mir ist ohnehin nicht klar, was du dir davon versprochen hast”, teilte sie ihm rundheraus mit.

“Inzwischen frage ich mich das auch”, gab Clive unumwunden zu. Er stand auf der Schwelle und wirkte trotz seiner Größe wie ein unsicherer kleiner Junge. “Ich konnte ja nicht ahnen, dass dein Mann mich für deinen …”

Rücksichtsvoller hätte er nicht andeuten können, was Leandros ihnen unterstellte. Zu ihrem Leidwesen war sie allerdings nicht ganz unschuldig daran, dass Leandros diesen Verdacht hegte. Schließlich hatte sie ihm mehrfach bestätigt, dass Clive und sie ein Verhältnis hatten.

“Vergiss nicht, dass er Grieche ist”, sagte sie vielmehr zu sich selbst. “Seit unserer Ankunft beobachtet er mich heimlich. Als er gesehen hat, dass ein Mann in meiner Begleitung reist, ist seine Fantasie mit ihm durchgegangen. Inzwischen ist er entschlossen, lieber die Ehe fortzusetzen, als mich an einen anderen Mann zu verlieren.”

“Hast du da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?”

Die Frage stellte sich ihr schon seit geraumer Zeit, aber eine schlüssige Antwort hatte sie immer noch nicht gefunden.

Ihr Zögern schien Clive neuen Mut zu geben, denn er kam nun langsam auf sie zu.

Unwillkürlich musste sie Leandros zugestehen, dass seine Beschreibung durchaus zutreffend war. Clive war tatsächlich ein blonder Hüne, der vor Kraft kaum laufen konnte. Er war genau das, was man unter einem Muskelpaket verstand – und nicht wenige Frauen hatten eine besondere Schwäche für solche Männer. An Gelegenheiten mangelte es ihm nicht, denn er arbeitete in einem Fitnesscenter, das vor allem von mehr oder weniger jungen und einsamen Frauen besucht wurde.

Sie schätzte an ihm allerdings vor allem seine inneren Qualitäten, denn trotz der rauen Schale war er ein gutmütiger und stets hilfsbereiter Nachbar und Freund – mehr aber auch nicht.

“Du hast gehofft, dass ich nach dem Wiedersehen mit Leandros froh bin, dich in meiner Nähe zu haben, stimmt’s?”, fragte sie.

“Deine Mutter hielt es zumindest nicht für ausgeschlossen”, erwiderte Clive ausweichend, ehe er den Mut fand, sich zu ihr zu setzen. “Und hoffen wird ein Mann ja wohl noch dürfen”, fügte er hinzu.

Und eine Frau träumen, ergänzte Isobel in Gedanken. Ihr Traum saß vier Etagen tiefer und war sicher damit beschäftigt, seiner Schwiegermutter den Gedanken schmackhaft zu machen, in seine Luxusvilla umzuziehen. Und wie sie ihn kannte, würde es ihm auch problemlos gelingen.

“Es tut mir leid”, flüsterte sie.

Clive setzte sich zu ihr aufs Bett und legte ihr den Arm um die Schultern. “Was willst du jetzt tun?”

Ich würde viel darum geben, wenn ich es wüsste, dachte Isobel bedrückt. Einen Moment war sie versucht, sich an ihn zu schmiegen und ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Doch es half alles nichts. So wohltuend seine Nähe und sein Verständnis waren, Clive war und blieb für solche Vertraulichkeiten der falsche Mann – selbst wenn sie es sich in diesem Augenblick anders gewünscht hätte.

“Ist das nicht ein schönes Bild?”

Leandros’ beißender Sarkasmus erschreckte sie so sehr, dass Isobel unfähig war, sich zu bewegen. Clive hingegen reagierte wie ein Schuljunge, den man auf frischer Tat ertappt hatte. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, zog er die Hand zurück und sprang vom Bett auf.

Erst als er auf Leandros zuging, änderte sich seine Haltung, und einen Moment lang fürchtete Isobel, er würde ihm die Antwort auf seine Frage mit den Fäusten geben. Aber Leandros schien sich auf den Konflikt zu freuen, denn er ließ seinen Rivalen nicht aus den Augen. Als sich die beiden an der Tür trafen, sahen sie sich feindselig an, ehe sich Clive schweigend an ihm vorbeidrängte und den Raum verließ.

Leandros ließ die Tür mit einem Fußtritt ins Schloss fallen. “Der Wagen ist da”, sagte er schroff. “Lester und mein Fahrer verstauen gerade den Rollstuhl deiner Mutter im Kofferraum.”

“Du hättest ihnen lieber helfen sollen, anstatt mir nachzuspionieren”, erwiderte Isobel trotzig.

“Damit du dich in Ruhe von deinem Liebhaber verabschieden kannst?”

“Clive ist nicht mein Liebhaber! Er ist ein guter Freund, nicht mehr und nicht weniger!”

Erst als sie es ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass sie ihre letzte Trumpfkarte ausgespielt hatte. Doch letztlich war sie erleichtert darüber, dass es endlich heraus war. Nun musste Leandros einsehen, dass seine Eifersucht unbegründet war – und damit der Grund für seine Weigerung, sich scheiden zu lassen, hinfällig.

“Du hast auch schon besser gelogen”, machte er ihre vage Hoffnung mit einem Schlag zunichte. “Oder glaubst du, ich könnte das kleine Einmaleins nicht mehr?”

Sein Blick flackerte bedrohlich, so dass Isobel unwillkürlich aufstand, um im Falle eines Falles fluchtbereit zu sein. “Kannst du mir vielleicht verraten, wovon du sprichst?”, fragte sie verunsichert, weil Leandros langsam auf sie zukam.

“Du hast drei Zimmer reserviert”, sagte er mit versteinerter Miene, “und zwar für vier Personen. Was das bedeutet, liegt doch auf der Hand, oder nicht?”

Der Vorwurf war derartig aus der Luft gegriffen, dass es einen Moment dauerte, bis sie begriff, worauf Leandros anspielte. “Das, was du glaubst, bedeutet es jedenfalls nicht”, widersprach sie entschieden. “Clive wollte mich überraschen. Deshalb hat er sein Zimmer unter seinem eigenen Namen gebucht. Es liegt nicht einmal auf derselben Etage, falls es dich beruhigt.”

Das Gegenteil war der Fall, wie sein Blick verriet. Offensichtlich glaubte Leandros ihr kein Wort.

“Wenn du so schlau bist, sollte dir nicht entgangen sein, dass das Bett für zwei Personen viel zu klein ist – selbst wenn sie sich noch so sehr lieben”, erklärte sie entrüstet. “Außerdem bist du der Letzte, der mir Vorhaltungen machen kann. Schließlich frage ich dich ja auch nicht, in welcher Kabine Diantha geschlafen hat, als sie wochenlang an Bord deiner Yacht war.”

Sein Blick wurde noch bedrohlicher. “Was ich vorhin über Diantha gesagt habe …”

“… war deutlich genug”, fiel sie ihm ins Wort. “Also lass bitte Clive aus dem Spiel, und fass dich lieber an die eigene …”

“Es ehrt dich, dass du den Bodybuilder in Schutz nimmst”, unterbrach Leandros nun sie, “aber deinen schönen Hals rettest du damit auch nicht.”

Inzwischen stand er unmittelbar vor ihr, und sein Blick bewies ihr, dass sie in großen Schwierigkeiten steckte. Leandros war noch immer der Überzeugung, dass Clive sich an seinem Eigentum vergriffen hatte. Vor allem aber schien er fest entschlossen, sich umgehend schadlos zu halten.

“Untersteh dich”, warnte sie ihn mit bebender Stimme, weil sie keine Chance sah, seiner Berührung auszuweichen. Hinter ihr stand der Kleiderschrank und schnitt ihr den Fluchtweg ab. Vor ihr stand ein Mann, der langsam die Arme hob und sie jeden Moment an sich ziehen würde.

“Bitte nicht, Andros”, flehte sie förmlich, als er ihr die Hände auf die Hüften legte und sich langsam herunterbeugte.

Leandros reagierte so überraschend, dass Isobel schon hoffte, dem scheinbar Unausweichlichen im letzten Moment entronnen zu sein. “Habe ich richtig gehört?”, erkundigte er sich irritiert und richtete sich wieder auf.

“Allerdings”, bestätigte sie. “Ich habe es ganz gern, wenn man mich fragt, ob ich …”

“Das meine ich nicht”, unterbrach er sie schroff. “Sag mir lieber, ob du mich wirklich Andros genannt hast.”

Isobel war viel zu verwirrt, um sich erinnern zu können. Doch ausschließen konnte sie es nicht, dass ihr in der Panik sein Kosename herausgerutscht war. Gleichzeitig wünschte sie sich sehnlichst, dass er sich verhört hatte. Wenn er Recht hatte, sagte es mehr über sie, als sie ertragen könnte.

Leandros war offenbar zu derselben Erkenntnis gelangt, denn er ließ die Hand über ihre Schulter zum Nacken gleiten.

Im selben Moment wusste Isobel, worauf er es angelegt hatte. Sie war so angespannt, dass sie kaum atmen konnte. Wenn er sie mit der Zunge unter dem Ohrläppchen berührte, wäre es um sie geschehen. Und das wusste er genauso wie sie.

“Sag es noch einmal”, forderte er sie auf, und plötzlich klang seine Stimme unendlich zärtlich. “Mir zuliebe”, fügte er hinzu, ehe er den Kopf senkte, um seine Drohung wahr zu machen.

“Andros”, flüsterte Isobel und sah ängstlich und sehnsüchtig zugleich zu ihm auf.

Augenblicklich änderte Leandros seine Taktik, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, presste er die Lippen auf ihre. Der Kuss enthielt ein zärtliches Versprechen, das sie jeden Widerstand aufgeben ließ. Sie schmiegte sich so eng an Leandros, dass ihre Brüste seinen athletischen Oberkörper berührten. Als ihre Knospen daraufhin fest wurden, glaubte sie zunächst, sich schämen zu müssen. Dieses Gefühl legte sich allerdings, als sie die Hüften an seine schmiegte und feststellte, dass er genauso erregt war wie sie.

Daran hat sich also nichts geändert, dachte sie. Noch immer zog eine winzige Berührung den unberechenbaren Ausbruch des Begehrens nach sich. Und je fordernder und zugleich zärtlicher er sie küsste, desto sehnlicher wartete Isobel darauf, dass er ihr den Weg in das Labyrinth der Leidenschaft wies und sie an geheime Orte des Glücks und der Erfüllung entführte.

Leandros schien ihr stummes Flehen vernommen zu haben, denn in Sekundenbruchteilen hatte er ihr das T-Shirt über den Kopf gezogen. Dann löste er mit einer kaum merklichen Bewegung ihren Pferdeschwanz. Als er ihr durchs Haar strich und es durch seine Hände gleiten ließ, stöhnte sie unwillkürlich auf. Schon früher hatte diese Berührung sie elektrisiert, und daran hatte sich auch nach drei Jahren gar nichts geändert.

Nur widerwillig akzeptierte Isobel, dass er die Hände zurückzog, um sein Hemd abzustreifen. Der Anblick seines muskulösen Oberkörpers entschädigte sie dafür und ließ sie so kühn werden, die Finger durch sein Brusthaar und tiefer gleiten zu lassen, bis sie seinen Hosenbund erreichte.

Leandros erwiderte den Angriff auf seine Sinne, indem er sie erneut küsste, ehe er dazu überging, sie spielerisch in die Lippen zu beißen. Gegen die Gefühle, die er damit weckte, wusste sich Isobel nur dadurch zu wehren, dass sie den Reißverschluss seiner Hose öffnete und die Hand hineinschob.

Er glich einem Vulkan, der jeden Moment ausbrechen konnte. Doch ihr ging es nicht anders. Deshalb war sie erleichtert, als er endlich ein Einsehen hatte. Mit spielerischer Leichtigkeit hob er sie hoch und legte sie aufs Bett.

“Ich werde dich mit Haut und Haaren verschlingen”, kündigte er an, ehe er ihr die letzten Kleidungsstücke auszog. Dass es sich um keine leere Drohung handelte, wurde Isobel unmissverständlich klar, als auch er endlich nackt war und sich über sie beugte.

Sein Mund schloss sich um eine Brust, während Leandros mit dem Daumen die Spitze der anderen so raffiniert liebkoste, dass Isobel glaubte, vergehen zu müssen, und seine Schultern umklammerte. Damit erreichte sie allerdings nur, dass er noch verwegener wurde und ihren Körper mit der anderen Hand sinnlich zu erkunden begann.

Schließlich bereitete sie der lustvollen Qual ein Ende, indem sie ihn auf sich zog. Es war ein unbeschreibliches Fest für alle Sinne, seine Haut zu spüren und seinen Duft einatmen zu dürfen. Und als er den Mund auf ihren presste, wusste sie, dass der Moment der Erfüllung unmittelbar bevorstand. Nie zuvor hatte sie Leandros so erregt erlebt, und ungeduldig wartete sie darauf, dass er ihr seine unbändige Kraft schenken würde.

Als er endlich ihre Beine auseinander schob, schrie sie unwillkürlich auf. Er presste die Lippen auf ihre und brachte sie damit zum Schweigen, ehe er unendlich zärtlich in sie eindrang.

Ihren erneuten Aufschrei erstickte er dieses Mal mit der Hand. Isobel wusste sich nur zu helfen, indem sie die Finger in den Mund nahm und daran saugte, bis er lustvoll aufstöhnte. Der letzten Hemmungen beraubt, beugte er sich vor und tat das, was er schon vor Minuten angedroht hatte. Als sie seine Zunge unter dem Ohrläppchen spürte, vergaß sie alles um sich her. Außer sich vor Lust und Erregung, schlang sie die Beine um seine Hüften, um ihm so nah wie irgend möglich zu sein.

Leandros war nur allzu gern bereit, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Immer wieder zog er sich kurz zurück, um sich gleich darauf aufzubäumen und umso tiefer in sie einzudringen. Aus dem Fest für die Sinne war längst ein berauschender Taumel geworden, in dem sie nur noch einander wahrnahmen. Schließlich hatte Isobel nicht mehr die Kraft, sich dem Sog zu widersetzen, der sie erfasst hatte. Laut aufschreiend ließ sie sich fallen und erlebte den Sturz ins Bodenlose wie einen Rausch, von dem sie nur wusste, dass er süchtig machte.

Leandros schien es ihr bestätigen zu wollen, denn fast verzweifelt bäumte er sich ein letztes Mal auf, ehe auch ihn die Kräfte verließen. Mit geschlossenen Augen spürte sie, wie er erschauerte und sich die Wogen der Lust auf sie übertrugen.

So beglückend war der Sex auch früher gewesen, und wie früher folgten auf den Ausbruch der Leidenschaft Momente größter Zärtlichkeit, die sie nicht weniger entbehrt hatte.

Ohne sich ihr zu entziehen, umarmte Leandros sie und drehte sich vorsichtig auf den Rücken. Als sie sich an ihn schmiegte und den Kopf auf seine Brust legte, hörte sie sein Herz schlagen, und sein Atem strich ihr über die Wange. Nichts schien den Frieden stören zu können, und nach den Jahren des Verzichts waren diese Minuten für sie kostbarer denn je.

Doch wie von Geisterhand ging plötzlich das Licht wieder an, und der Kühlschrank in dem kleinen Zimmer begann zu brummen. Schließlich drangen durchs offene Fenster Stimmen anderer Hotelgäste, die das Ende des Stromausfalls lautstark begrüßten.

Die Wirklichkeit hatte sie eingeholt, und die war so grausam wie zuvor. Das bewies jedenfalls seine Reaktion, denn Leandros richtete sich unvermittelt auf und sprang förmlich aus dem Bett.

“Willst du immer noch behaupten, dass das Bett für zwei Personen zu klein ist?”, sagte er abfällig, ehe er sich umdrehte und in das angrenzende kleine Bad ging.

Wie konnte ich mich nur so gehen lassen?, fragte er sich unwillkürlich, als er das Wasser in der winzigen Dusche aufdrehte, um die Spuren seiner Unbeherrschtheit abzuwaschen.

Anstatt froh und glücklich darüber zu sein, dass er Isobels Fängen entkommen war, hatte er sich freiwillig in die Gefahr begeben, ihr erneut zu verfallen. Sie brauchte ihn nur zu berühren, um ihm den Verstand zu rauben, und selbst wenn sie ihn verhöhnte und verspottete, war der Klang ihrer Stimme so betörend wie der Gesang der Sirenen.

Das alles wusste er nur zu gut. Genauso wenig hatte er vergessen, dass sie alles verabscheute, was ihm etwas bedeutete: seine Familie, seine Freunde und seinen Lebensstil. Wollte er sich dieses Kuckucksei wirklich ins Nest zurückholen?

Sein Verstand riet ihm, einen großen Bogen um Isobel zu machen, doch sein Körper sagte etwas anderes. Selbst unter der Dusche meinte Leandros ihre Berührung zu spüren, und dem Handtuch, mit dem er sich schließlich abtrocknete, haftete ihr erregender Duft an.

Als er vor dem Spiegel stand, suchte er unwillkürlich nach Anzeichen dafür, dass ein Mann das Bad benutzte. Zu seiner Verwunderung ließ sich nicht der geringste Hinweis darauf finden. Doch davon ließ er sich nicht täuschen. Vielleicht war Clive tatsächlich nicht Isobels derzeitiger Liebhaber. Was für die Gegenwart galt, musste allerdings nicht auf die Vergangenheit zutreffen. Umso mehr Grund hatte er, es bei dem einmaligen Ausrutscher zu belassen und so schnell wie möglich zum Alltag überzugehen – und darin war für Isobel eindeutig kein Platz.

So dachte Leandros jedenfalls, als er sich das Handtuch um die Hüften schlang und das Bad verließ. Dann aber sah er Isobel, und im selben Moment wusste er, dass ein Leben ohne sie ungleich schrecklicher wäre als ein Leben mit ihr.

Sie trug einen Morgenmantel und stand am Fenster. Das Haar fiel ihr über die Schultern, und die Hände hatte sie tief in die Taschen geschoben. Auch ohne ihr Gesicht zu sehen, glaubte Leandros zu wissen, was in ihr vorging. Dem dringenden Bedürfnis, zu ihr zu gehen und sie in die Arme zu nehmen, konnte er gerade noch widerstehen. Doch sein Entschluss, sie zu sich nach Hause zu bringen und nie wieder gehen zu lassen, stand fest.

“Du kannst jetzt ins Bad”, sagte Leandros betont sachlich und begann seine Kleidung zusammenzusuchen.

“Ich dusche, wenn du gegangen bist”, erwiderte sie, ohne sich umzudrehen.

“Das geht nicht. Oder hast du schon vergessen, dass wir diese Bruchbude gemeinsam verlassen?”

“Ich habe es mir anders überlegt.”

Ihre Weigerung, ihn zu begleiten, traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. “Darf man erfahren, warum?”, fragte Leandros entgeistert. “Hier kannst du unmöglich bleiben, und deine Mutter ist längst auf dem Weg …”

Isobel musste sich nur umdrehen, um ihn verstummen zu lassen. Sie wirkte so zerbrechlich, dass er Angst bekam.

“Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du Silvia für eine Nacht bei dir unterbringen könntest”, sagte sie höflich. “Morgen Abend reisen wir ohnehin ab, und bis dahin werde ich es hier schon aushalten.”

“Willst du nicht doch mitkommen?”, bat Leandros sie in der Hoffnung, ihr auch die Pläne für den nächsten Tag ausreden zu können, wenn sie erst in seiner Villa waren.

“Wir haben heute schon mehr als genug Fehler gemacht”, wies Isobel seine Bitte unmissverständlich zurück.

Noch vor wenigen Minuten war er derselben Meinung gewesen, doch nun verletzte es ihn zutiefst, dass sie die intimste aller Erfahrungen als Fehler bezeichnete. “Wir haben uns geliebt”, widersprach er energisch. “Was soll daran falsch sein?”

“Wir haben miteinander geschlafen”, verbesserte sie ihn. “Das beweist nur, dass tatsächlich zwei Personen in das kleine Bett passen. Aber das ist auch das Einzige, worin ich dir Recht gebe. Deshalb muss ich dich bitten, jetzt zu gehen.”

Dass sie ihn hinauswarf, war schlimm genug. Unerträglich war, dass sie dabei keine Miene verzog. “Steht der Bodybuilder schon vor der Tür?”, fragte Leandros in seiner ohnmächtigen Wut. “Oder warum hast du es so eilig, mich loszuwerden?”

Jede Reaktion wäre ihm recht gewesen, weil er sie zum Anlass hätte nehmen können, sich für den Rauswurf zu rächen und Isobel erneut auf das schmale Bett zu zerren.

Doch sie sah ihn nur ausdruckslos an, ehe sie sich unvermittelt umdrehte und ins Bad ging.