ZEHN

Weißt du, wie sie es machen? Wie es die echt harten Typen machen? Erst suchen sie sich einen Besoffenen oder Penner und geben ihm fünfhundert Dollar, ein Foto des Opfers und versprechen ihm noch einmal fünfhundert, sobald der Job erledigt ist. Der Penner denkt sich, Scheiße, das reicht, um mich ein Jahr lang mit Crystal oder Gefrierschutzmitteln einzudecken. Also macht er sich in irgendeinem Hauseingang oder einer Gasse mit einem Hammer oder Messer über sein Opfer her. Hält er sich für was Besseres, benutzt er vielleicht auch eine dieser Luftpistolen, die man sich in kleinen Betrieben in Litauen in echte Pistolen umbauen lassen kann.«

»Warum in Litauen?«

»Hör zu, das ist noch nicht alles. Jetzt kommt erst der wirklich clevere Teil, Nick. Anschließend geben die Kunden nämlich einem Profi zehntausend, damit der auch den Penner beseitigt – saubere Sache, weißt du, mit Schalldämpfer, präziser Schuss in den Kopf, vom Feinsten. So lebt niemand mehr, der den Kunden mit dem ursprünglichen Opfer in Verbindung bringen könnte. Finito

Dann schwieg Steve Walsh, um, wie ich mich erinnere, zwei langbeinigen Rothaarigen zuzusehen, die sich hinter meiner linken Schulter um eine Tanzstange jagten, eine als Häschen verkleidet (elastische Ohren, weißes Fellschwänzchen), die andere als Bär (Klauen, Bärenfell-BH, kleine braune Bärennase). Russki Safari, ich glaube, so hieß der Stripladen, Steves Lieblingsschuppen, irgendwo draußen am Komsomolski-Prospekt.

»Wow«, sagte er und trank aus.

Mit seiner Mordepistel hatte er angefangen, als ich ihn fragte, was denn aus der großen Energiegeschichte geworden war, an der er im Herbst gearbeitet hatte. Sie wurde abgelehnt, sagte Steve, die Redakteure hätten wegen möglicher Verleumdungsklagen Schiss gekriegt. Allerdings sei er deshalb in Sibirien gewesen, in einer dieser obskuren Gegenden Russlands, die dreimal größer als ganz Europa sind. Offenbar waren es dort minus siebenunddreißig Grad gewesen, und er hätte fast seine Zehen verloren. Er sei hingefahren, weil dem Gouverneur dieser Provinz einen Monat zuvor plötzlich das Blut zu Kopf gestiegen sei: Er hatte eine Kampagne gegen Korruption gestartet und war damit irgendwem im Innenministerium auf die Füße getreten, weshalb man ihn kurz darauf tot in seiner banja unten im Garten fand. Es sei Selbstmord gewesen, erklärte Steve, zumindest laut Auskunft des Staatsanwalts und der Regionalzeitungen. Der Gouverneur hatte sich in den Kopf geschossen – zweimal.

Wir mussten beide lachen. Nach einer Weile lernt man zu lachen.

Also hatte er angefangen, mir zu erklären, wie der russische Markt für Auftragsmorde funktionierte. Der Preis sei gestiegen, erzählte Steve. Man könne zwar versuchen, ehemalige tschetschenische Rebellen zu engagieren, doch gelänge das nur über ihre Freunde in der russischen Armee, die ihnen die Waffen verkauften, und das treibe die Kosten in die Höhe. Wolle man heutzutage einen kompetenten Mörder für weniger als zehntausend Dollar auftreiben, müsse man, so mutmaßte er, schon nach Jekaterinburg oder runter nach Kaluga fahren. Inflation, sagte er. Schrecklich, sagte ich.

Der Bär fing das Häschen oder umgekehrt, und sie begannen, sich gegenseitig aufzufressen. Kaum waren sie fertig, hängte sich eine Blondine, die nur eine Pilotenbrille und High Heels trug, an den Fußknöcheln kopfüber an die bis zur Decke reichende Tanzstange. Begeistert gönnte sich Steve noch ein Schlückchen Rotwein.

Ich habe mich, vielleicht sollte ich das lieber zugeben, in meinem ersten Jahr in Moskau viel zu oft in solchen Sexbars herumgetrieben – im Snow Queen, Pigalle, in der Kama Sut-Bar. Solche Besuche gehörten fast schon zu meinem Job. Früher, als ich noch in London wohnte, bin ich ein-, zweimal an Junggesellenabenden, sonst nie, in einer Lapdance-Bar in Clerkenwell gewesen, aber in Moskau schien jeder Schwanz, der im Besitz einer Kreditkarte war, mindestens einen Abend pro Woche Rubelscheine in strassbesetzte Unterwäsche zu stecken, diese englischen Anwälte, Banker und die Hälfte aller russischen Männer, die sich derlei leisten konnten. In jenem Winter aber fing ich an, es beschämend zu finden – beschämend für mich, meine ich, nicht für die Mädchen. Außerdem hatte es einmal einen hässlichen Vorfall gegeben, da mir vom Barkeeper überteuerte Cocktails auf die Rechnung gesetzt worden waren, die ich weder bestellt noch getrunken hatte. Als ich mich beschweren wollte, schleiften mich die Türsteher auf einen kleinen Hof vor der Küche und schleuderten mich einige Sekunden lang an meinem Haar herum, bis mir die Brille abfiel und ich bereit war, mit dem Geld rauszurücken. Inzwischen gab es für mich Mascha, und sie war mir genug. Wie mit ihr war es mir noch mit keiner ergangen. Auch wenn mir früher mein Mädchen gefallen hatte, begannen meine Blicke doch nach ein oder zwei Monaten wieder zu wandern. Mascha aber schien immer besser zu werden, wilder, auf eine gute Weise egoistischer. Mit uns kam es mir echt vor, so als hätten sich ihr und mein wahres Ich gefunden, zwei Säugetiere im Dunkeln.

Seit Monaten hatte ich keinen Abend mehr in dieser leicht homoerotischen Stripclubatmosphäre halbtrunkener Erregung verbracht, aber Steve wollte hin, also gingen wir hin.

»Wie geht’s der Liebe deines Lebens?«, fragte er, »der, die du in der Metro getroffen hast?«

»Ihr geht’s gut.«

»Ist sie schon bei dir eingezogen?«

»Nein, ist sie nicht. Zumindest noch nicht.«

»Und wie steht’s mit der Babuschka aus Murmansk? Wann kreuzt sie bei dir auf?«

»Leck mich, Steve.«

Ich glaube, es war Anfang Februar. Der Schnee lag hüfthoch auf dem Friedhof zwischen dem Gebäude, in dem ich wohnte, und dem Bulwar, noch höher auf der ungeräumten Straßenseite. Mascha ging es gut, uns ging es gut. Damals übernachtete sie etwa zwei-, dreimal in der Woche bei mir. Und ich fing an, Sachen zu kaufen, die sie gern aß, eingelegte Pilze, Beerensaft und einen russischen Joghurt-Drink, dem ich selbst nichts abgewinnen konnte. Ich hatte eine weißrussische Putzfrau eingestellt, die meine Wohnung mehr oder weniger sauber hielt. Und wir waren längst in jener Phase, in der Mascha vermutlich ganz bei mir eingezogen wäre, hätten wir in London gewohnt, einer Stadt, wo, wie wir beide, du und ich, nur zu gut wissen, die Liebeslust von praktischen Erwägungen und vom Wohnungsmarkt zu gegenseitiger Verpflichtung getrieben wird, dazu, Gegenwart und Zukunft zu vermengen, weshalb man bei jeder Affäre auch darauf achtet, was sie unterm Strich kostet. Von der Leningradskoje Chaussee zum Handygeschäft bei der Tretjakow-Galerie brauchte Mascha viermal länger, als wenn sie von der Station Puschkinskaja losfuhr, aber sie verlor kein Wort darüber, und ich machte keinen Druck.

»Sie hat eine Schwester«, erklärte ich Steve. »Katja. Blond, nettes Mädchen. Anfang zwanzig. Irgendwie unschuldig und zugleich ziemlich erwachsen. Studiert an der MGU. Du würdest sie mögen.«

»Klingt so.«

»Nur ist sie nicht ihre Schwester, sondern ihre Kusine.«

»Ach«, sagte Steve. Hinter mir drängten die Kellnerinnen in ihren Miniröcken mit Leopardenmuster und schenkelhohen Schlangenlederstiefeln für den allstündlichen ›Dschungeltanz‹ auf die Bühne. Sein Interesse an mir ließ rapide nach.

»War schon seltsam«, sagte ich, »als ich mit ein paar Leuten von der Arbeit in dieses usbekische Restaurant auf der Neglinnaja gegangen bin. Das war an Silvester. Wir hatten mit dem Kosaken gerade einen Vertrag unterzeichnet, und Katja hat gekellnert. Sie wollte nicht, dass ich Mascha von unserer Begegnung erzähle.«

Ich hatte Steve nichts von unserer ersten gemeinsamen Nacht gesagt, jener Nacht, in der Katja zugesehen hatte. Davon hatte ich niemandem erzählt. Ich hätte gern, wie wohl alle Männer derlei manchmal gern erzählen, vor allem aber wollte ich, dass das mit Mascha und mir etwas Besonderes war, vielleicht sogar etwas Reines.

»Nimmt man sie mit nach Hause und packt sie aus«, erwiderte Steve unaufmerksam, »fehlt meist irgendwas.«

Ich fing an zu erklären, wie ich Maschas Tante kennengelernt hatte, und erzählte von Butowo – dass Tatjana Wladimirowna fort aus der Stadtmitte wollte und dass ich hoffte, ihr helfen zu können. Es gab bürokratische Warteschlangen, in die man sich einreihen musste, und es galt Geschäftsstellen aufzusuchen, die nur jeden zweiten Donnerstag für jeweils zwei Stunden geöffnet hatten. Ein-, zweimal musste ich etwas unterschreiben, aber soweit irgend möglich überließ ich die Lauferei Olga, der Tatarin aus meinem Büro – sie hatte sich erst vor kurzem eine eigene kleine Wohnung gekauft und schien das Procedere zu kennen. Ich nannte ihr die Adresse von Tatjana Wladimirownas Haus am Teich und die von der neuen Wohnung in Butowo, da wir auch deren Unterlagen prüfen mussten: Wohnung dreiundzwanzig in Haus sechsundvierzig, Kasanskaja. Ich musste Olga dafür versprechen, sie auf einen Cocktail in die Bar mit den Wucherpreisen mitzunehmen, sobald sie alle Papiere zusammenhatte, in die hoch oben in dem Hotel gleich neben dem Bolschoi-Theater.

»Es ist nicht viel Arbeit«, sagte ich zu Steve, »kostet mich nichts, und sie ist eigentlich eine nette alte Dame. Sie hat die Belagerung von Leningrad überlebt.«

»Verstehe«, sagte Steve. Tatjana Wladimirowna war mindestens fünfzig Jahre zu alt, um ihn vom Dschungeltanz ablenken zu können.

Wir hockten in einer schmuddeligen kleinen Sitzecke links von der Bühne und sahen zu. Nach einigen Minuten verstummten die Trommelwirbel, und die Kellnerinnen zogen sich wieder an. Steve klatschte.

Er fragte nach dem Kosaken.

»Weißt du, wen er repräsentiert? Dein Kosakenfreund, meine ich?«

»Was glaubst du?«

»Bestimmt den Vizedirektor der Präsidialverwaltung oder den Vorsitzenden des Sicherheitsrates. Die Petersburger Mannschaft drängt an die Macht, und die alte Gang des Verteidigungsministeriums wird nervös. Solange sie können, werden sie versuchen, möglichst viel für sich abzuzweigen. Ich schätze, sie behalten einen Teil der von ihnen gegründeten Firma, um sie später mit einem Taschengeld abzuspeisen.«

»Mag sein«, erwiderte ich. »Wir sind ja nicht völlig naiv, Steve. Vielleicht hast du recht. Aber das Projekt entwickelt sich nach Plan, und mehr kümmert uns nicht. Im Laufe der nächsten Wochen wird die zweite Finanztranche ausgezahlt, die letzte dann in ein paar Monaten. Man rechnet damit, bis Ende Sommer das erste Öl durch das Terminal pumpen zu können. Und wenn nicht vor nächstem Frühjahr mit der Rückzahlung begonnen wird, kommen die Strafklauseln zur Anwendung.«

»Ich bin mir sicher, dass ihr wisst, was ihr macht, Nick. Übrigens habe ich mich umgehört. Diese Logistikfirma, von der du behauptet hast, sie würde mit Narodneft zusammenarbeiten? Das ist eine Scheinfirma. Von der hat kein Mensch je etwas gehört, und ich wette mit dir, die einzige Art Logistik, die von ihr je betrieben wurde, bestand darin, Geld nach Liechtenstein zu pumpen. Wenn du herausfindest, wer ihre Geldgeber sind, lass es mich wissen.«

»Vielleicht, Steve.«

Drei junge Frauen mit Pelzmützen der Roten Armee marschierten um die Tische, Spielzeugmaschinengewehre im Arm (zumindest hoffte ich, dass es Spielzeug war) und die Patronengurte so sorgsam um die Kurven drapiert, dass sie möglichst wenig verdeckten. Es gab jede Menge Silikon und kaum Körperbehaarung zu sehen.

»Musst du nicht in den Kaukasus?«, fragte ich ihn. Laut Nachrichten ging es da unten wieder ziemlich heiß her in einer dieser heiklen kleinen Muslimregionen, in denen immer irgendwer rebellierte und krepierte.

»Kann sein«, erwiderte Steve. »Wird allerdings nicht leicht, die Story loszuwerden. Die Redaktionen in London haben kein Interesse, solange die Zahl der Toten nicht mindestens dreistellig wird. Außerdem versuchen die Russen, niemanden reinzulassen. Man kann nur über Tschetschenien reisen und muss dann jemanden dafür bezahlen, dass er einen über die Grenze bringt. Vielleicht nächste Woche. Wäre blöd, die Geschichte zu verpassen.«

Einige Touristen verzogen sich in die Kabinen bei den Toiletten und nahmen Bär und Häschen mit. Ich habe das auch schon getan, zumindest Ähnliches; ich denke, das sollte ich jetzt besser zugeben, da ich dir wirklich alles erzählen will. Ich glaube, insgesamt dreimal habe ich in Moskau dafür bezahlt. Beim ersten Mal eher aus Versehen, da ich zu spät begriff, was von mir erwartet wurde und auch schon zu weit gegangen war, um noch aufhören zu können; die anderen beiden Male geschah es, nachdem ich das Tabu gebrochen hatte und dachte: Was zumTeufel. Einmal, ziemlich am Anfang, habe ich es geschafft, eine Ukrainerin vom Straßenstrich mit zu mir nach Hause zu nehmen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Hass mich deswegen nicht. In London würde ich so etwas nie machen. Hass mich zumindest jetzt noch nicht.

»Denkst du je über das hier nach, Steve?«, fragte ich. »Beunruhigt es dich nicht, wie wir hier draußen leben? Ich meine, fragst du dich zum Beispiel nie, was deine Mutter sagen würde, wenn sie dich sehen könnte?«

»Meine Mutter ist tot.«

»Du weißt, was ich meine.«

»Russland«, sagte Steve, sah mich mit blutunterlaufenen Augen an und wurde plötzlich ernst, »ist wie Lariam. Du weißt schon, dieses Medikament gegen Malaria, von dem man wilde Träume kriegt und das dich aus dem Fenster springen lässt. Man sollte es nicht nehmen, Nick, wenn man allzu ängstlich ist oder zu viele Skrupel hat. Dann sollte man sich Russland wirklich nicht antun. Sonst geht man kaputt.«

»Ich weiß genau, dass du Russland beim letzten Mal mit Polonium verglichen hast.«

»Hab ich?«

Er hörte mir schon wieder nicht mehr zu. Sein Blick klebte an der Tanzstange, um die eine Brünette mit nichts als einem Stetson, Lederchaps und in der Hand einem Lasso eine kleine Herde Blondinen in Kuhfellbikinis trieb. Steve winkte einer Kellnerin zu und tippte an sein leeres Glas, damit sie ihm noch einen Schuss moldawischen Merlot brachte.