Kapitel IV: Jetzt geht’s los!
Tim saß vor dem Laptop zu Hause in seinem Arbeitszimmer und betrachtete die Homepage von Kommando Flächenbrand, die Schwerer Ausnahmefehler programmiert hatte.
Sie war perfekt und hatte mehr als 15.000 Zugriffe pro Tag, Tendenz steigend. Die Revolution breitete sich aus.
Der Hacker war unbezahlbar. Mit seiner Hilfe gab es im Netz Blogs und Einträge von Kommando Flächenbrand, immer mit Querverweisen auf die eigene Flächenbrand-Homepage, deren Server natürlich in einem weit entfernten Ausland stand; niemand kam an sie heran. Der #Flächenbrand erfreute sich in den sozialen Netzwerken bald großer Bekanntheit.
Tim hatte eine weitere Unternehmung im „Real Life“ gestartet: Essenzielle Aussagen ihrer Gruppierung wurden auf Plakatwände gekleistert, ganz legal. Rote Flammenschrift, schwarzer Hintergrund. In den Innenstädten, an Bushaltestellen, auf dem Dorf, an allen möglichen Orten sah man die Flammenschrift. Biblisch wie die Botschaft an der Wand.
Andere Plakate enthielten Auflistungen von Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten und ihre weiteren Posten. Ohne Kommentar. Wo man ansonsten auf Abgeordnetenwatch durch Listen scrollen musste, manchmal nur Vages zu den Personen fand, waren die Informationen nun präsent. Wurden präsentiert.
Einen greifbaren Auftraggeber gab es nie, weder für die neugierigen Nachfragen der Journalisten noch für andere. Die falschen Ausweise des Hackers sorgten dafür, dass man nicht ermitteln konnte, wer dahinter steckte.
Bilder des Auftraggebers gab es auch keine, und wenn, dann von einem Mann mit Bart, Sonnenbrille und Kappe.
Tim hatte gleichzeitig Graffitikünstler angeheuert, die er Slogans auf Konzern- und Bankgebäude sprühen ließ; auch die Autos von Geschäftsleuten blieben nicht verschont. Kommando Flächenbrand hatte sich zu einem subversiven Netzwerk entwickelt, getragen von Künstlern und Freidenkern.
Tim war dennoch nicht ganz zufrieden. Es wurde Zeit, dass das Volk noch mehr mitbekam.
Zwar gab es erste Berichterstattungen in der lokalen Presse, doch der ganz große Run hatte noch nicht eingesetzt.
Aber Tim benötigte einen Hype.
Er wollte in Talkshows, zu Will, zu Plasberg, zu allen, ins Morgen- und Mittagsmagazin, vor allem zu RTL, Sat1, Pro7 und allen anderen Privaten, die sich an die intensivglotzenden Schichten richteten.
Da musste er hin, um den Flächenbrand auszulösen.
Spartensender, ja, ganz nett, aber zu künstlerisch. Zu wenig gesehen. Ein Flächenbrand bedeutete Allgegenwart. Das gelang schon ganz gut durch die Social-Media-Kampagnen, die sein Hacker betrieb. Der Weg in die Studios führte durch die Bekanntheit, das Dasein als Trend, als Bewegung, an der niemand vorbeikam.
„Wir müssen wachsen“, beschloss Tim murmelnd und betrachtete sein Gesicht auf dem spiegelnden Monitor. „Wir brauchen mehr Zellen. In ganz Deutschland, vor Ort.“ Ubiquitär. So musste es sein. Ubiquitär und auf der Straße zur Omnipotenz, dank des Rückhalts der Massen und Massenmedien.
Tim rief bei Freiherrin und Gründervater an und machte mit ihnen aus, dass sie neue Leute anwarben. Nur Leute, die sie selbst kannten und die unbedenklich waren. Vielleicht war der Verfassungsschutz schon auf sie aufmerksam geworden und lauerte auf eine Gelegenheit, sie aufzuspüren.
Tim sah auf seinen Konto-Auszug: Es blieben ihm noch 46 Millionen Euro. Viel Geld für eine Revolution.
Als Nächstes würde er Werbe-Jingles produzieren, die auf Internetplattformen zum Runterladen stünden. Fli-Fla-Flächenbrand. Revolution als Klingelton, kostenlos. Perfekt. Ganze Songs müssten her, damit man die Downloadshops stürmte.
Natürlich brauchten sie viele lustige Filmchen für die ganzen Videoplattformen in cooler Optik, wie die YouTube-Stars, das Ganze aber mit glasklaren Botschaften in den Gags. Vielleicht noch einfache Games und eine Flächenbrand-App?
Die Revolution würde sowohl in der echten Welt als auch im Internet stattfinden. Mit reinen Like-Klickern gewann man keine Revolution, das wusste Tim. Dazu brauchte man auch Aktivisten. Der eigene Server stand sicher irgendwo auf einer kleinen Insel am Ende der zivilisierten Welt und war dank des Hackers unauffindbar. Von dort gingen beispielsweise bereits die kleinen Filmchen der Sprayer auf die Videoplattformen dieser Welt.
Auch dort sollte Flächenbrand herrschen.
* * *
Nicht einmal einen Monat später trafen sich Tim aka Flächenbrand, Freiherrin und Gründervater mit den neuen Aspiranten. Wieder vor dem Löwengehege, wieder mit Alditüten, und dieses Mal sah es nach einem geführten Mitarbeiterrundgang durch den Zoo aus.
Tim zählte aus seinem Versteck hinter der Palme heraus ein Dutzend junger Männer und Frauen. Keiner war älter als vierzig.
Als er sich der Gruppe näherte, klatschten Freiherrin und Gründervater, und der Applaus breitete sich weiter aus. Tim wurde gefeiert wie ein Held, und das war ihm ein wenig peinlich und überhaupt nicht sein Ziel. Es ging nicht um ihn. Es ging um die Revolution, um das Projekt, um Flächenbrand. Er winkte ab. „Danke, danke, aber jetzt ist es gut. Sonst denken die anderen Besucher, ich gehöre zum Personal.“
Er nahm die Liste hervor und verlas die Bundesländer, aus denen die Leute stammten. Reale Namen interessierten ihn nicht. Es waren alle bundesdeutschen Länder vorhanden.
„Ausgezeichnet.“ Tim nickte und nahm aus seiner Tüte die Kopien des Ablaufplanes. „Um was es geht, wisst ihr. Ich kann mir Erklärungen sparen. Wir sind geheim, subversiv. Wir schlagen aus dem Untergrund zu und entblößen die Mächtigen und Korrupten samt dem System. Die Schulungen in der Lausitz beginnen morgen und dauern zwei Wochen. Danach sucht ihr euch eigene Mitstreiter, und sobald ihr ein Team von zehn Mann habt, sagt ihr mir Bescheid. Dann startet die nächste Phase. Alles klar?“
Sie nickten und sahen begeistert aus.
„Okay, hat jemand Kontakt zu Altenheimen?“ Tim sah in die Runde und bekam zwei Meldungen. „Gut. Ihr sorgt dafür, dass die Senioren mehr über uns erfahren. Ich habe Broschüren drucken lassen, die werde ich in einem Schließfach in eurem jeweiligen Bahnhof ablegen lassen. Alles Weitere per SMS oder Chat.“
Ein junger Mann mit abrasierten Haaren und den Klamotten nach ein Technoanhänger hob die Hand. „Ich habe schon zehn Mann“, sagte er. „Was mache ich denn als Nächstes?“
„Woher kommst du?“
„Nordrhein-Westfalen.“
„Gut, dann heißt du für mich jetzt Nowe Alpha.“ Tim suchte seinen Organizer, tippte etwas hinein. „Ich habe dir auf dein Handy gerade das Kennwort für deine Zelle geschickt, mit dem du auf den Bereich des Flächenbrand-Servers zugreifen kannst, auf dem die Aktionen speziell für Nordrhein-Westfalen aufgelistet sind. Demnächst haben da ein paar Landespolitiker Auftritte in der Öffentlichkeit, und dann werden wir dabei sein.“
Nowe zog die Augenbrauen kampflustig zusammen. „Greifen wir an?“
„Ohne Gewalt gegen Menschen, ja“, betonte Tim und hörte das Testosteron in Nowes Worten. Das war nicht gut. „Bist du sicher, dass du zu uns gehören möchtest? Wir machen keinen Straßenkampf und so einen Scheiß. Das können von mir aus die Jungs in Berlin auf dem Kreuzberg oder in Hamburg zum 1. Mai machen, aber wir nicht. Unsere Methode ist anders.“
„Schon klar, Flächenbrand“, ging Nowe sofort in die Knie. „Aber den Menschen würde es sicher gefallen, wenn einer von den Politikern mal eine aufs Maul bekommt.“
„Nicht von uns, Nowe“, erwiderte Tim nachdrücklich. „Das Auto des Ministerpräsidenten bekommt einen neuen Anstrich, die Autos zweier Abgeordneter des Landtages sind ebenso fällig. Das sind die Denkzettel für zwei gebrochene Wahlversprechen. Ihr werdet die Versprechen auf die Autos und deren Hauswände pinseln. Dazu kommen die Handzettel mit den Spesenabrechnungen des Oberbürgermeisters von Dortmund, die werden in der Fußgängerzone verteilt. Ich lasse euch ins Schließfach einen Laptop und einen Beamer legen. Darauf sind die Fotos von einer Orgie des Staatssekretärs Wimmerling auf Steuerzahlerkosten gespeichert. Ihr werdet sie auf die Glasfläche des Einkaufszentrums in Essen projizieren und erläuternde Flugblätter streuen.“
Die Aspiranten lachten, und Nowe schien zufrieden zu sein.
Aber Tim nicht.
Er fürchtete, dass der junge Mann zu aggressiv war, um bei ihnen bleiben zu können. Er sah die Mission als Test.
„Danach“, sagte er in einem Verschwörerton, „rufen wir den Krieg gegen die Korruption und die falschen Politiker, gegen die Konzerne und ihre Gier aus! Flächenbrand wird auflodern und sich ausbreiten! Ihr seid die Funken, also geht hinaus und zündelt, was die Umgebung hergibt! Plattenbauten brennen wie Zunder! Also, nicht echt, sondern … ihr wisst schon.“
Wieder klatschten die Aspiranten, und Tim grinste. Dann ging er, die Versammlung endete damit.
Sobald er zu Hause angekommen war, würde er seine Presseerklärung zum Krieg gegen das System formulieren und versenden.
Danach rechnete er mit Einladungen von Will bis Plasberg, von taff bis n-tv.