Die Verlegerin Karla Paul im Gespräch mit Markus Heitz (September 2015)


Die Leser kennen Dich bisher als Autor von fantastischen Sagen sowie spannenden Thrillern - wie kam es nun zu diesem Genrewechsel, warum ausgerechnet politische Erzählungen?

Ich bin überzeugt, dass die meisten phantastischen Autorinnen und Autoren unterschätzt werden, sowohl was ihr Schreiben als auch die Erdung angeht. Sicherlich erfinden wir Welten, die es nicht gibt, und doch leben wir in der Realität, der wir uns nicht entziehen können.

Da ich vorher zehn Jahre lang als freier Journalist im Lokalbereich arbeitete, kam mir das kritische Denken ohnehin nicht abhanden. Ich sehe, beobachte, analysiere und schreibe mir gelegentlich von der Seele, was mich ärgert und was ich gerne anders hätte. Oft waren es die kürzeren Werke, die mich faszinierten, wie von Albert Camus "Les Justes" (Die Gerechten) oder "L'Hôte" (Der Gast), die in knappstem Umfang ein Dilemma auf den Punkt bringen. Novellen sind ein wunderbares Medium und aktueller denn je in unserer schnellen Zeit: rasch lesbar, verknappt etwas darlegen.

Ich bin ein sehr großer Fan von intelligent-politischem und gesellschaftlichem Kabarett, von Pispers, Schramm oder Rether bis zu Grebe, doch ich konstatiere: Kein Kabarettist hat durch sein Programm eine Wende ausgelöst.

Die wenigen Damen und vielen Herren stehen auf der Bühne, zeigen Missstände auf, das Publikum klatscht begeistert, lacht haha (bei Witzen) und hoho (bei politisch inkorrekten Witzen) und geht nach Hause - aus. Katharsis. "Puh, der Kabarettist hat gesagt, was schief läuft. Wie gut das tat." - Merken Sie was, liebe Leserschaft? Genau. Es hat was von Gottesdienst. Der Priester vollzieht die Absolution, alle sind erleichtert und gehen nach Hause. Bis zum nächsten Mal.

Hat sich was geändert? Nein. Aber sobald der Arzt sagt: "Oha, da müsste man was dagegen tun, sonst wird das übel enden", wird gehandelt. Weil es um das Persönliche geht. Spannend, nicht wahr?

Erschreckenderweise sind die Einzigen, die frustriert auf die Straße gehen, mit fragwürdigen Bannern bewaffnet und haben nicht ganz verstanden, dass Ausländer und Flüchtlinge nicht ihr Problem sind. Es ist -wie so oft im Leben und bei Facebook- kompliziert.

So entstand "Kommando Flächenbrand-Militante Kabarettisten". Natürlich engagieren sich einige Menschen in Deutschland und versuchen, Dinge zu verbessern. Meistens sind es Kämpfe gegen Windmühlen. Politik reagiert fast immer nur auf Druck, seltenst aus eigenem Antrieb. Beispiel: Es muss erst ein Atomkraftwerk in Japan aus dem Ruder laufen, um eine Energiewende einzuleiten, Tschernobyl war da schon vergessen, und dass Cattenom regelmäßig wegen Störfällen vom Netz genommen wird, kommt schon gar nicht mehr in die Nachrichten. Und wird es für Wirtschaftsverbände gefährlich, stehen die Lobbyisten Schlange, und es wird latent gedroht und auf Arbeitsplätze gezeigt, die verloren gehen könnten, andere Unternehmen verklagen die Regierung, um an ihr Geld zu kommen. Das ist äußerst bedauerlich.

Gleichzeitig bemerke ich bei mir eine Resignation, da ich das System durchschaut habe und bemerke, dass es sich kaum ändern lassen wird. Perfide wird vorgeschlagen: "Los, mecker nicht. Bring dich ein, tritt doch in eine Partei ein und ändere was." Genau. Ich habe als Journalist ein paar Gute mit DEM Vorsatz antreten sehen. Ich weiß, wie es endete.

Da bleibt die Wahl: es sich darin einrichten, das Beste draus machen und möglichst wenig bei dem Unsinn mitspielen oder mit Vehemenz dagegen angehen? Auch das muss jeder für sich entscheiden.

 

 

Die erste Geschichte zur Flüchtlingsproblematik ("Der Nachbar") entstand bereits im Jahr 2008 und damals waren viele Deiner Ideen reine Fiktion, inzwischen hat Dich die Realität überholt. Bist Du damals schon davon ausgegangen, dass es tatsächlich soweit kommen könnte? Was für ein Gefühl ist es, wenn Du aktuell in den Nachrichten genau das siehst, was Du bereits vor Jahren beschrieben hast? 

Es gibt die alte Autorenweisheit, dass alles, was wir Kreative uns ausdenken können, von der Realität getoppt wird.

In 2008 gab es einen größeren Anstieg von Flüchtlingsbooten, die übers Mittelmeer kamen; auch die Zahl der Schiffbrüchigen und Toten stieg. Der Autor dachte sich: Was wäre wohl, wenn das jemand richtig organisieren würde, ein cleverer, gebildeter Mensch, weil er die Schnauze voll davon hat, dass die sogenannte zivilisierte Welt beim Sterben in Afrika zusieht? Nicht mit wackligen Nussschalen, sondern Tanker und Containerschiffe aufbringt, 20.000 Menschen und mehr auflädt, sie kostenlos rüberbringt. Tag für Tag. Was würde Europa tun? Wäre es verboten, einfach so in ein Land zu kommen? Wer kann es einem Menschen übel nehmen, dass er besser leben will?

Umgekehrt betrachtet: Was hat Europa denn in den vergangenen Jahrhunderten getan? Den FirstNations das Land geklaut, Millionen Menschen nach Amerika verfrachtet, die in Europa keine Zukunft mehr sahen oder haben durften. Was hätten die Iren bei der Großen Hungersnot 1845-1852 gemacht, wenn sie nicht nach Amerika ausgewandert wären? Verreckt? Zwei Millionen Iren emigrierten. Ich schuf in meiner Geschichte die Kombination aus Wut und Gelegenheit, wobei die Menschen aus Afrika ganz friedlich anlanden. Es sind eben nur sehr viele. Wohlgemerkt: 2008.

Insofern fand ich es reichlich albern, dass gesagt wurde, man sei von der Situation jetzt überrascht worden. Man hat abgewartet und gehofft, dass es sich von selbst regelt. Und noch vor wenigen Jahren wurde ein militärisches Eingreifen in Syrien abgelehnt. Nun, da die Menschen in Massen nach Europa flüchten, wird plötzlich nach einem Ende des Krieges in Syrien geschrien. Zynisch. Und leider doch wie immer.

Gerade geschah alles das, was ich mir in meiner Geschichte ausdachte: Grenzbefestigungen, der Ruf nach Ausweitung der Kontrollen im Mittelmeer durch Kriegsschiffe, umherirrende Menschen und verunsicherte Einheimische, die leicht Opfer von Propaganda verschiedenster Seiten werden können. Ich hoffe sehr, es geht nicht so weiter wie in meiner Story.

 


In "Kommando Flächenbrand" beschreibst Du die Möglichkeiten jedes Einzelnen, wie wir als Teil der Demokratie positiv als auch negativ Einfluss üben können. Was erwartest bzw. wünschst Du Dir von Deinen Lesern?

Wie ich schon andeutete - das muss jeder für sich entscheiden. Aber wer begriffen hat, dass unser System selbstkonservierend ist, kann schnell frustriert sein. In einer etablierten Partei etwas zu ändern ist unmöglich. Man wird schneller abgesägt als man schauen kann, sobald man unbequem wird. Das ist gar nicht böse gemeint, sondern eine nüchterne Beobachtung. Spiel mit oder du  bist raus. Reformen sind nur schwer durchzusetzen, sogar kleine haben es schwer.

Ein Beispiel: Ich schrieb vor einigen Jahren an Herrn Gauck, dass ich mir auf Wahlzetteln ein Feld "Enthaltung" wünsche, um ein Statement bei der Wahl abgeben zu können. Denn außer JA und NEIN bleibt mir nur das UNGÜLTIG, was meistens falsch ausgefüllte Wahlzettel sind. Also könnte man sagen, dass 90% der "Ungültigen" zu doof zum Ausfüllen waren.

Ich möchte aber zur Wahl gehen, ein ENTHALTUNG ankreuzen können, um zu zeigen, dass ich Demokrat, aber unzufrieden mit der geleisteten Arbeit bin. DAS ist eine Rückmeldung an die Parteien, die jammern, dass die Wahlbeteiligung so schlecht wäre. Ja, logisch. Weil ich keine Alternative habe. Ich will nicht meine Stimme (die übrigens bares Geld ist, weil es einen Verteilerschlüssel von Euros nach errungenen Wählerstimmen gibt) dem kleineren Übel geben und verschleudern, ich will sie NIEMAND geben und sagen: Macht es besser und haltet eure Versprechen. Das wäre in meinen Augen eine Stärkung des demokratischen Prinzips. Das Geld aus dem Topf ENTHALTUNG kann man prima in soziale Projekte stecken. Übrigens sieht jede Satzung bei eingetragenen Vereinen in Deutschland bei Neuwahlen die Möglichkeit vor, mit JA, NEIN und ENTHALTUNG zu stimmen. Und ein Verein ist demokratisch geführt. Ach ja, das Gauck'sche Büro antwortete. Sinngemäß sei es nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten, ich solle mich selbst kümmern. Tja. Gut abgeschmettert  vom obersten Demokraten Deutschlands. Vielleicht braucht man einen neuen Begriff für die aktuelle Regierungsform.

 

 

Mit den Erzählungen kritisierst Du auch die Politik und zeigst viele Fehler auf, sowohl national als auch international. Was verlangst Du von der aktuellen Regierung?

Keine Regierung hat jemals einen einfachen Job, sogar nicht in den Zeiten, die rückblickend als "gut" bezeichnet werden. Irgendwas geht immer schief oder es treten Turbulenzen auf.

Was jeder verlangen sollte, ist eine gewisse Weitsicht, die eine Regierung haben sollte. Beispiel Energiewende: Windräder einfach flächendeckend bauen, wo die Voraussetzungen passen, und AKWs abschalten, fertig. Klar sieht das nicht schön aus - ja, und? Ein Windrad fällt um - ein Atomkraftwerk geht hoch. Das ist ein gravierender Unterschied, und schön aussehen tut ein explodiertes AKW übrigens ebenso wenig wie das verstrahlte Umland. Es gibt gerade bei guten Projekten immer zu viele Bedenkenträger, die auf Zeit spielen, bis alle keine Lust mehr haben. Dann ist das Thema bis zur nächsten Katastrophe vergessen. Und dann sagen sie wieder: "Ach, hätten wir doch mal..."

Dazu gehört auch, sich als Regierung von den Abhängigkeiten äußerer Einflüsse und Einflüsterungen zu lösen. Ganz klar: Das Gehalt von Bundestags- und Bundesratsabgeordneten verdoppeln, alle Nebeneinkünfte verbieten.  Zack. Manchen ist leider sehr deutlich anzumerken, dass sie ein Mandat haben, um abzukassieren. Doppelt und dreifach und mehr. Ohne dass sie genau offenlegen müssen, von wem sie Kohle beziehen. Daran müsste gedreht werden. Ich will wissen, wenn ein "Vertreter des Volkes" zu seinem Einkommen, dass wir Steuerzahler leisten, nebenbei von x Firmen das zehnfache einkassiert. Da muss man sich dann fragen, für wen er abstimmt. "Dess' Brot ich ess, dess' Lied ich sing", so hieß es mal.

 

 

Du bist für Deine große Musikleidenschaft bekannt und twitterst regelmäßig Deinen jeweiligen Schreibsoundtrack zu den verschiedenen Projekten. Welche Lieder empfiehlst Du passend zu "Kommando Flächenbrand"?

Ganz klar von den Ärzten "Deine Schuld", weil es genau trifft, um was es geht. Das Hazy Osterwald Sextett "Konjunktur Cha-Cha" und "Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt". "Das Lied der Partei", weil es für jene herrlich ironisch ist, die einen Funken Geschichtswissen haben. Rainald Grebe mit "Ich bin der Präsident" und "Der Kandidat". Metallica mit "Master of Puppets", Clawfinger mit "Nigger", Megadeth "Symphony of Destruction" und im Grunde das komplette Album von Queensryche "Operation Mindcrime".  Man sieht, die Bands aus der oft verkannten Metal-Sparte hatten schon immer das kritischere Denken.