Rochefort: Memoiren
Fünfzehn
Den Bruchteil einer Sekunde, bevor der kleine dunkle Mann auf uns zukam, kam mir in den Sinn, dass ich Monsieur Saburo einmal fragen musste, was diese ganzen Kniefälle in seinem Land zu bedeuten hatten. Hier kniet man nur vor Königen, dem Adel, vor seinem Herrn. Man kniet, um etwas zu erbitten oder um sich zu unterwerfen. Man kniet in der Kirche. Doch der Nihonese fiel nicht nur auf die Knie, sondern drückte auch noch seine Stirn auf den Boden – oder in diesem Fall auf die Planken.
»Mylord Cecil.« Ich ließ es dabei bewenden, den Hut auszunehmen und mich auf ein Knie niederzulassen, wodurch ich noch immer einen Zoll größer war als er. »Monsieur Earl of Salisbury, nicht wahr?«
Monsieur de Sully und dieser Mann hatten sich bei unserem letzten Besuch zerstritten und waren einander mit einer derartigen Unhöflichkeit begegnet, wie es zwischen dem Obersten Minister des einen und dem königlichen Sekretär des anderen Landes möglich ist. Hass erzeugt Hass, wie es im Sprichwort heißt.
»Master Tanaka Saburo.« Cecil winkte, und der Nihonese setzte sich auf die Fersen auf. Der Minister des Königs ignorierte mich, als wäre ich in der Tat Saburos Diener – was unter den gegebenen Umständen wohl auch nicht anders zu erwarten war.
Ich stand auf in der Annahme, dass die Aufforderung, sich zu erheben, auch für mich gegolten hatte. Robert Cecil, Erster Minister und Sekretär von König James, reichte mir nur bis zur Brust; er war höchstens einen Zoll über fünf Fuß groß. Aber ich nahm an, dass es genug Kriecher bei Hofe gab, die sich bei dem Versuch, sich tiefer zu verbeugen, als der ›Zwerg‹ des Königs groß war, zum Narren machten.
Cecil sprach betont und deutlich zu dem Samurai. »Es ist mir eine Freude, Euch erneut begrüßen zu dürfen, Gesandter. Dies ist die königliche Barke. Sie fährt gerade die Strecke ab, die sie auch bei der Investitur unseres jungen Prinzen als Prince of Wales fahren wird. Ein Ritual, das die ältesten Söhne eines Königs schon seit Urzeiten machen müssen. Wenn Ihr es sehen möchtet, nachdem Ihr mehr über Euer fernes Land für King James niedergeschrieben habt, werde ich es Euch gerne zeigen.«
»Hai!« Saburos Grunzen war nicht zu deuten.
»Bitte, erweist mir die Gunst, und erzählt meinem Sekretär mehr über dieses Land Nihon«, sagte Cecil. Ein Mann kam über das Deck gerannt, als er die Hand hob. »Ich danke Euch, Master Saburo.«
Der Sekretär drückte Cecil ein Stück Papier in die Hand, bevor er den Samurai fortführte.
Robert Cecil, der mächtigste Mann Englands, hatte leicht hängende Schultern. Sein langes Gesicht wirkte traurig und war stets von ungewöhnlich weißer Farbe, und er besaß die Augen eines Spaniels. Ich hegte keinerlei Zweifel, dass er es mit meinem Herrn, dem Herzog, aufnehmen konnte, wenn es darum ging, leidenschaftslos Todesurteile zu unterzeichnen.
»Ich muss mich dafür entschuldigen, Mylord Cecil«, ich verneigte mich auf englische Art, die ich – so bilde ich mir ein – recht gut beherrsche, »dass ich unter dem Schutz eines falschen Namens erschienen bin.«
Cecil hielt eine Kopie meines Berichts in der Hand; so viel konnte ich auf diese Entfernung auf dem Papier lesen. Ich achtete jedoch darauf, nicht genauer hinzusehen, als er es zusammenfaltete und den Blick hob.
»›Ein spanisch aussehender Mann von gut sechs Fuß Größe‹.« Der englische Minister sprach, als würde er zitieren – und vermutlich tat er das auch. Ich wage zu behaupten, dass er sich sechs Jahre zuvor Berichte über jeden von Sullys Männern besorgt hatte.
»›Rochefort‹ wäre dann Euer Name, Monsieur Herault. Ist das korrekt?«
»Auf diesen Namen bin ich getauft worden, Mylord.« Ich konnte einen ehrlichen Eindruck erwecken, wenn ich ihm die Wahrheit sagte, obwohl genaugenommen auch noch ›Cossé Brissac‹ in den Kirchenregistern hinter dem Namen stand.
Wir sprachen viel zu leise miteinander, als dass man uns über das Rumoren der Arbeiter und das Rauschen des Windes hinweg hätte hören können. Die Barke schaukelte hin und her, während sie weiter flussaufwärts glitt und der Bootsführer die Ruderer anschrie. Kein Mann wurde an Bord gelassen, ohne dass das Büro des Ministers ihn vorher überprüft hatte, und niemand, der nicht eingeladen war, durfte sich der Barke über das Wasser auch nur nähern. Monsieur Cecil war offenbar genauso versiert im Umgang mit Spionen wie mein eigener Herr Sully.
Er sagte: »Der Tod Eures Königs ist nun zwei Wochen her. Warum seid Ihr nicht an der Seite von Monsieur de Rosny? Hat er Euch zu mir geschickt?«
Ich korrigierte ihn nicht, was Sullys Namen betraf. Maximilien de Bethune, Baron Rosny, wurde knapp drei Jahre zuvor zum Duc de Sully ernannt, als Robert Cecil, zweiter Sohn von Lord Burleigh, zum Earl of Salisbury wurde. Offenbar nagt das immer noch an ihm. Mein Gesicht zeigte jedoch nur Aufmerksamkeit und Respekt.
»Nein, Mylord, er hat mich nicht geschickt. Ich bin gerade durch London gekommen, und das da …«, ich deutete auf den Bericht in seiner Hand, »… das ist mir zu Kenntnis gekommen. Verzeiht mir meine Anmaßung. Von meinem letzten Besuch habe ich mich an Euer Büro erinnert, Mylord Cecil. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Ihr direkt mit einem Mann wie mir sprechen würdet.«
»Ich erinnere mich an Euch aus Rosnys Gefolge.« Er musterte mich einen Augenblick lang. Seine traurigen Hundeaugen mochten durchaus verwundbar erscheinen, wenn man den Mann nicht kannte. »Außerdem, Monsieur, habe ich Euren Namen erst kürzlich gehört.«
Dass er Gerüchte sammelte, kam nicht unerwartet. Trotzdem ließ es mich schwitzen. Er könnte sich schon für die Königin ausgesprochen haben …
»Ich schmeichele mir«, fuhr Cecil fort, »ein wenig über Monsieur de Rosny zu wissen. Ich habe noch nie einen so skrupellosen Franzosen getroffen, aber auch noch nie einen so ehrlichen, so hart arbeitenden und so unbestechlichen … und noch dazu einen Mann, der sich seiner Tugenden und seines Status' durchaus bewusst ist! Außerdem ist er keiner von Euren Katholiken. Als Hugenotte benötigte er täglich Heinrichs Schutz. Ich kann mir genauso wenig vorstellen, dass er die Ermordung Eures Königs angeordnet hat, wie ich mir vorzustellen vermag, dass er fliegen kann.«
»Ich danke Euch, Monsieur.« Ich verneigte mich wieder.
»Kommt.« Cecil machte auf dem Absatz kehrt und führte mich unter Deck. Arbeiter senkten die Köpfe, als er vorüberkam, und fuhren dann fort zu hämmern, zu sägen und zu malen. Gehilfen eilten herbei, und Cecil gab eine Reihe rascher Anweisungen. Im Sonnenlicht wirkte er kleiner als ich ihn in Erinnerung hatte. Vor sechs Jahren hatte ich ihn nur in der strahlenden Pracht des Palastes gesehen, wo er der einzige Schatten gewesen war. Hier erweckte Minister Cecil lediglich den Eindruck, als sei ihm in seinen schwarzen Kleidern zu warm.
Seine kleinen Schritte ließen mich darauf achten, ihn nicht zu überholen. So schritt ich gelassen neben ihm her und bewunderte die Schnitzereien auf der Barke.
»Setzt Euch, Master Rochefort.« Cecil deutete auf einen Klappstuhl am Fuß einer Empore. Er selbst stieg auf die Empore, setzte sich auf einen mit rotem Samt gepolsterten Lehnstuhl und zog die Vorhänge darum zurecht, sodass man uns noch schlechter beobachten konnte. Der Stuhl war vermutlich für den König oder den jungen Prinzen bestimmt. Cecils kleine Schuhe berührten den Teppich nicht; doch aus dieser Position konnte er ein wenig auf mich hinunterblicken, und mein Gesicht war in der Sonne.
Er bat mich nicht, meinen Hut wieder aufzusetzen, und so saß ich ohne Kopfbedeckung im warmen Sonnenlicht.
»Was habt Ihr mir über diesen ›Master R. F.‹ und seine Verschwörung zu sagen, Master Rochefort?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Es waren des Mannes eigene Worte – blühender, astrologischer Unsinn, Mylord.«
Cecils Puppenfüße berührten einander. »Nur ein schlechter Händler erklärt seine Waren für unverkäuflich.«
Amüsiert er sich?, fragte ich mich. Von meinem letzten Besuch am englischen Hof erinnerte ich mich an Monsieur Cecil als düsteren Mann, der stets in Schwarz gekleidet war und wie eine Spinne durch die Gänge huschte. Die Menschen hatten ihn schon nicht gemocht, bevor die Große Elisabeth im Jahre 1603 gestorben war, und es hieß, die Menschen mochten ihn noch weniger unter ihrem Nachfolger James, der Cecil große Macht verliehen hatte. Das helle Sonnenlicht über der Themse ließ ihn in seinem schwarzen Wams mit dem großen Rüschenkragen klein und staubig wirken, kaum größer als ein zwölfjähriger Junge.
Er ist fast ein Zwilling von Messire Sully – deshalb streiten sie wohl auch. Nun wollen wir hoffen, dass er genauso wie dieser Ehrlichkeit zu schätzen weiß.
»Erzählt mir zunächst, was in Paris geschehen ist, Mylord«, sagte ich. »Wenn ich von ›R. F.‹ rede und Ihr mich hinauswerft, dann bin ich nicht besser dran als zuvor.«
Er hob die dünnen Augenbrauen. Zwar vermochte ich es anhand seines ernsten Gesichts nicht mit Bestimmtheit zu sagen, aber ich dachte: Gütiger Gott, ich glaube, ich habe Minister Cecil amüsiert.
»Ach, ist das so?«, erwiderte er mit voller Stimme.
Ja. Er amüsiert sich. Innerlich seufzte ich vor Erleichterung und hoffte, dass man mir das nicht ansah. Wäre er in anderer Stimmung gewesen, hätte er mich vielleicht einfach über Bord werfen lassen.
Cecil hielt die Papiere auf Armeslänge von sich. Ich schätzte ihn auf gut zehn Jahre älter als mich. Und er trug noch keine Augengläser, obwohl offensichtlich war, dass er es nötig hatte. »Stellt mir Eure Fragen, Monsieur Rochefort.«
»Hat Ravaillac gestanden, wer ihn angestiftet hat, den König zu ermorden?«
Cecil legte die Papiere in seinen Schoß und verschränkte die eleganten Finger. »Master Ravaillac ist tot. Seit zwei Tagen. Er ist schweigend gestorben – zumindest was Worte betrifft.«
Seit zwei Tagen.
Entsetzen jagte mir einen Schauder über den Rücken.
Heute war in Paris der 29. Mai.
Fludd hatte gesagt: »Am 27. nach Eurem gregorianischen Kalender.«
Cecil wird das erst heute Morgen erfahren haben.
Falls Furcht mich von Kopf bis Fuß durchströmte, so fühlte ich es kaum.
Das zu sagen, war sehr, sehr dumm von Fludd gewesen, falls er nicht gewusst hätte, dass die Ereignisse ihn bestätigen würden.
Nein. Er hat einfach nur glücklich geraten. Was sonst konnte es sein?
Die Sonne machte mich benommen. Ich grub die Fingernägel in meine Handteller; selbst durch die Handschuhe hindurch brachte mich das auf die schaukelnde Barke zurück. Cecil muss sehen, dass ich erschüttert bin – nach außen hin ließ er sich das jedoch nicht anmerken. Das Deck bewegte sich unter mir, als die Ruderer sich in die Riemen legten. Die gotischen Spitzen des Whitehall-Palastes lagen vor uns zu unserer Rechten, eine große Ansammlung unterschiedlicher Gebäude und Höfe, in denen man sich leicht verirren konnte …
Cecil fuhr mit sanfter Stimme fort: »Die Folterknechte haben ihm die Haut abgezogen, und dann haben vier Pferde ihn in Stücke gerissen. Unser Gesandter berichtet, dass dieser Ravaillac sich als ungewöhnlich kräftig erwiesen hat, sodass die Pferde ihn zunächst nicht zerreißen konnten und der Henker ihm die Gelenke brechen musste. Master Ravaillac ist zwei Wochen lang befragt worden, doch er hat keinen Ton gesagt, was seinen Auftraggeber in dieser Angelegenheit betrifft.«
»Nichts?« Die Bestätigung von Fludds Prophezeiung hatte mich zwar kurz aus der Bahn geworfen, doch diese neue Information erregte meine Aufmerksamkeit. Ich konnte es kaum glauben. »Er hat gar nichts gesagt?«
»Master Ravaillac hat behauptet, allein gehandelt zu haben. Dass er König Heinrich getötet habe, weil dieser Krieg gegen den Papst habe führen wollen«, berichtete Robert Cecil trocken. »Keiner meiner Informanten glaubt, dass dies die Wahrheit ist. Es gibt viele Kandidaten in Paris: Concini und seine Frau, der Herzog von Epernon, Henriette d'Entragues Marquise von Verneuil, Vater Coton von den Jesuiten … Wie es scheint, hat man Master Ravaillac vor seinem Prozess nicht abgeschottet. Viele sind zu ihm gegangen und haben ihn ohne Zweifel unter Druck gesetzt, den Mund zu halten und keine ›guten, katholischen Männer‹ zu verleumden.«
Ich mochte ja ob des Verlustes von Ravaillac als Zeugen verzweifeln, wenn ich Zeit hatte, darüber nachzudenken; aber zunächst einmal fühlte ich Erleichterung. Wenn der Finger auf den katholischen Adel deutete, hatte Maria di Medici noch weniger Grund, sich von Messire de Sully bedroht zu fühlen! Ihr Agent in seinem Haus würde weiterhin ein Schläfer bleiben.
»Und Messire de Sully?« So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte die Sorge in meiner Stimme nicht verbergen. »Ich weiß nicht mehr über das, was Seiner Gnaden dem Herzog widerfahren ist, als das, was ich bereits am Abend des 14. gewusst habe. Da war er geradewegs in die Bastille geflohen.«
»Nicht geradewegs.« Cecil nickte. »Fahrt fort.«
Ich erinnerte mich an Poissy und dachte: Sully hat mehr getan, als Lassels gewusst hat?
Ich konnte nicht anders, als zu fragen: »Nicht geradewegs in die Bastille?«
»Wie es aussieht, hat sich Rosny irgendwann von seinem Krankenbett erhoben und ist mit mehreren hundert Reitern zum Louvre geritten, doch er ist gewarnt worden. Man hat mir berichtet, ihm sei ein Brief mit folgendem Inhalt überreicht worden: ›Wenn Ihr den Louvre betretet, werdet Ihr genauso wenig entfliehen können wie er‹. Damit war Euer König Heinrich gemeint. So ist er dann in der Bastille gelandet, wo er die Nacht verbracht hat.«
Mir zog es die Brust zusammen. Eine Nachricht. Gott segne den Lehrjungen oder Lassels! Oder falls das nicht meine Nachricht gewesen sein sollte, dann segne Gott den Mann, der sie geschrieben hat.
Ich beherrschte mich. »Das war vor gut vierzehn Tagen. Ist er noch immer dort?«
»Rosny war …« Cecil legte eine rhetorische Pause ein. »Es ging ihm gut genug, um am nächsten Tag wieder loszureiten. Es heißt, er sei in Begleitung von dreihundert Männern zum Palast geritten, habe mit der Königin geweint und König Ludwig umarmt – entweder um sich neue Gunst zu erwerben, oder aber weil er sich geschämt hat, am Tag zuvor so übereilt verschwunden zu sein. Am darauffolgenden Samstag ist dann das Parlament zusammengekommen, und Königin Maria hat ihren Sohn gekrönt und sich selbst zur Regentin ernannt. Anschließend sorgte sie dafür, dass sich all ihre Feinde zum Frieden verpflichteten. Rosny entschuldigte sich als krank, doch sie ließ ihn holen. Dann ist er wieder ins Arsenal zurückgekehrt, wo er sich seitdem aufhält.«
Cecil blickte mir in die Augen. Ich achtete sorgfältig darauf, nicht zu schaudern. Seine trockensachliche Ausdrucksweise schien typisch für ihn zu sein.
»Die Regentschaft blüht unter der königlichen Mutter Seiner Majestät Ludwig. Natürlich habt Ihr Recht damit, Monsieur Rochefort, dass sie nicht gerade eine gute Freundin von Monsieur Rosny ist. Monsieur Rosny gehört jedoch nach wie vor dem Ministerrat an – allerdings hört man immer weniger auf ihn. Die unteren Räume des Palais' sind eine Art innerer Hof, und dort haben nun andere Männer Zutritt: de Sillery, Villeroi, Monsieur le Président Jeannin …«
»Jeannin!«, rief ich.
»Die Menschen lieben die aufgehende Sonne«, bemerkte Cecil in einem Tonfall, als säßen wir in einer Taverne beisammen.
Vor vielen Jahren hatte er sein eigenes Spionagenetz aufgebaut. Plötzlich sah ich, dass er das gerne noch einmal tun würde, angefangen mit einem Franzosen, der über keinerlei Verbündete verfügte. Heute war Samstag, und hier war Monsieur Cecil: Von seinen Verpflichtungen befreit, beaufsichtigte er die königliche Barke und vergnügte sich damit, die Berichte ausländischer Spione entgegenzunehmen …
»Die Menschen lieben die aufgehende Sonne«, wiederholte Cecil, »und Königin Maria ist das sicherlich. Es heißt nun, dass es die strengen Regeln von Monsieur Rosny gewesen seien, welche die Menschen davon abgehalten hätten, wahren Reichtum zu erwerben … Wie es aussieht, haben ihn viele seiner Anhänger im Stich gelassen, kleine wie große, von Jeannin bis Arnaud.«
›Kleine wie große‹ in der Tat. Es gelang mir, einen gleichmütigen Gesichtsausdruck zu bewahren. Arnaud war einer von uns, einer von Sullys Männern, Maignans Freund, ein Angehöriger des niederen Adels. Der Herzog hat ihn mehr wie einen Sohn denn wie einen Diener behandelt!
Wenn ich wieder in Paris und frei wäre, der Mann zu sein, der ich einst war, würde Arnaud seine strahlende Zukunft an der Seite der Königin rasch wieder verlieren … zusammen mit seinem Leben. Doch so einfach war mein Leben nicht mehr.
Cecil zuckte mit den missgestalteten Schultern. »Rosny war König Heinrichs rechte Hand. Wie es einem Minister auch ansteht, hat er mit seinem König regiert. Nun ist er nur noch eine Hand, aus der sie das Geld des verstorbenen Königs pressen wollen. Ich glaube, seine Zeit bei Hofe ist zu Ende, es sei denn, er sammelt möglichst rasch Unterstützer um sich oder stellt sich mit der Königin und ihren Favoriten gut. Es tut mir Leid, Master Rochefort.«
Ich konnte mir kaum jemanden vorstellen, der weniger für die Ränkespiele bei Hofe geeignet war, als Messire de Sully. Seinem ernsten, zynischen Blick nach zu urteilen, was Minister Cecil der gleichen Meinung.
»Frankreich sollte dankbar dafür sein, dass die Machtübergabe so glatt vonstatten geht«, fügte der Engländer hinzu. »Wenn ein großer Herrscher stirbt, folgt stets eine Zeit der Unsicherheit und der Furcht. Favoriten und Edelleute denken an Rebellion. So heißt es von Eurem Kanzler Villeroi, dass er Heinrichs Siegel behalten habe, das eigentlich nach dessen Tod hätte zerbrochen werden sollen. Damit soll er dann ein paar Edikte zum Vorteil von Monsieur Concini signiert haben. Es bedarf einer starken Hand, den nächsten Herrscher auf den Thron zu führen.«
So wie Cecil James nach dem Tod von Elisabeth Tudor auf den Thron geführt hat, dachte ich und stählte mich, um weiter gleichmütig auszusehen.
»Natürlich«, fügte der dünne Mann hinzu, »ist es unter einer Regentschaft schwerer und eine Rebellion wahrscheinlicher. Und Euer neuer König ist erst neun Jahre alt. Ihr und Eure Landsleute müsst euch große Sorgen machen, Monsieur Rochefort.«
Und Cecil weiß genau, dass ich sein Mitgefühl als falsch durchschaue. Ich biss mir auf die Lippe. Wenn große Männer den Entschlossenen spielen, ist es immer dumm, auf gleiche Art zu antworten. Ich nahm an, dass es Minister Cecil wohl kaum gefallen würde, sollte ich mit Protest auf das reagieren, was er als seinen Erfolg und Sullys Versagen betrachtete.
Natürlich war er nicht daran interessiert, welche Wirkung seine Worte auf einen Monsieur Rochefort hatten, aber ich bot eine gute Möglichkeit, sie an Messire de Sully weiterzugeben.
»Und jetzt gestattet mir bitte, Euch ein paar Fragen zu stellen.« Cecil beugte sich vor. »Sagt mir, was Ihr von König Heinrichs Tod gesehen habt.«
Ich hatte das Gefühl, als würde mir die Luft aus den Lungen gedrückt, obwohl ich darauf hätte wetten können, dass Cecil mir genau diese Frage stellen würde. Er wird Augenzeugenberichte und Gerüchte über mich gehört haben. Seine kleinen schwarzen Augen schauten mich listig an.
Wenn ein Mann die Wahrheit sagt, liegt etwas in seiner Stimme, das ein erfahrener Mann oftmals heraushören kann. Eine besonnene Mischung von Wahrheiten unter Auslassung einiger Fakten ist alles, was ich hier riskieren darf. Ich wagte es nicht, eine Auslassung durch eine Lüge zu kaschieren. Dafür hatte Mylord Cecil seine Stellung schon zu lange inne.
»Ich war in der Tat zugegen, Mylord. Es ist meine Aufgabe, Männer wie Ravaillac zu beobachten, wie Ihr sicherlich wisst.« Unverwandt blickte ich ihm in die Augen. »François Ravaillac ist … war ein Mann aus Angoulême, ein Schulmeister und Mönch. Aus dem Kloster hat man ihn jedoch ausgeschlossen, weil er unter Visionen gelitten hat.«
»Sprecht weiter.«
»An jenem Tag … Die Kutsche des Königs wurde auf der Rue de la Ferronnerie aufgehalten. Kurz wurde meine Aufmerksamkeit abgelenkt, als zwei mir bekannte Männer der königlichen Garde mich ansprachen. Den Rest kennt Ihr sicherlich, Mylord.«
Er schwieg und machte nur eine kleine Geste, dass ich fortfahren solle.
»Ich habe Ravaillac auf dem Rad der königlichen Kutsche stehen gesehen. Ich habe gesehen, wie der Dolch in Heinrichs Leib eingedrungen ist.« Was auch immer nicht aus meiner Stimme heraushalten konnte, würde Cecil – so nahm ich an – als Folge des Entsetzens über den Königsmord betrachten. Ich hob den Blick, als wäre ich in Gedanken verloren, sah aber überraschenderweise keinerlei Reaktion in Cecils traurigem Gesicht.
Der Engländer nickte. »Es heißt, der Herzog von Epernon hätte hinter Ravaillac gestanden und ihm das Zeichen für den zweiten Stoß gegeben, da der erste den König nur gestreift hat.«
»Ich habe kein derartiges Zeichen gesehen.«
Minister Cecil wirkte nachdenklich. »Ihr habt mir noch nicht gesagt, warum Ihr nicht in Frankreich seid. Warum hat Rosny Euch nach England geschickt? Und warum hat er Euch nicht schon längst wieder zurückgerufen?«
»Messire de Sully …«, ich versuchte, es mehr wie eine Bestätigung, denn wie eine Korrektur klingen zu lassen, »Messire de Sully hat mich nicht hierher geschickt. Es ist, wie Ihr vermutet, Mylord. Ihr mögt ja an seine Unschuld glauben, doch das tun nicht alle. Ich selbst werde ebenfalls der Beteiligung an dem Attentat verdächtigt. Ich darf meinen Herrn, den Herzog, nicht unnötig in Gefahr bringen … Wird ein Mann erst einmal einer hochnotpeinlichen Befragung unterzogen, wird er bereitwillig alles gestehen, was man ihm in den Mund legt, und ich zweifele nicht daran, dass Heinrichs Mörder auch seinen Obersten Minister tot sehen wollen!«
»Aber Ihr, Master Rochefort, müsst doch wissen, wer die Mörder sind … die Mittäter von Master Ravaillac. Ihr habt ihn doch verfolgt, wie Ihr gesagt habt.«
»Er hatte einen Freundeskreis in Angoulême, aber diese Männer sind nicht wichtig, Mylord.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Mönche befragt. Sie haben nichts Schlimmeres bei ihm gefunden als ein wenig religiösen Wahnsinn. Vergangenen Dezember hat Ravaillac schon einmal einen Anschlag auf das Leben des Königs versucht. Er postierte sich mit einem Dolch vor dem Palasttor und wartete auf die Kutsche des Königs, doch die Wachen haben ihn vertrieben. Ich habe ihn für einen harmlosen Irren gehalten, dessen Verschwörungsversuche keine Aussicht auf Erfolg haben.«
Das konnte ich wirklich mit Überzeugung behaupten. Die Schwierigkeit war nur, Bitterkeit und Ironie aus meiner Stimme herauszuhalten.
»Mylord, es ist nun mehr als vierzehn Tage her, seit der König ermordet worden ist, und ich bin von Paris abgeschnitten. Ich weiß weder, was seitdem geschehen ist, noch ob ich Messire de Sully mit meiner Rückkehr in Gefahr bringen würde.«
Cecil blickte auf die Papiere auf seinem Schoß. Der Wind ließ die Ecken flattern. Am anderen Ende der Barke sah ich Saburo auf schmerzhaft wirkende Art auf seinen Beinen sitzen und mit dem Sekretär reden, der fleißig mitschrieb. Plötzlich hallte Hämmern über das Wasser; offenbar benötigte die königliche Barke für diese Testfahrt die ein oder andere Reparatur.
Der englische Minister hob die Hand. Fast sofort eilte ein Vorarbeiter mit Lederschürze herbei und scheuchte seine Männer in einen anderen Teil der Barke.
»Ihr seid eindeutig ein Zeuge«, erklärte Cecil, »auch wenn Master Ravaillac nicht mehr lebt, um Eure Aussage zu bestätigen. Nun denn. Was würdet Ihr sagen, wenn ich Monsieur Herault mit einer bewaffneten Eskorte nach Frankreich zurückbringen würde?«
»Die Gefahr bestand immer, wenn ich mich mit Euch treffen würde, Mylord.«
»Ihr habt keinerlei Vorsichtsmaßnahmen getroffen?«
Ich gestattete mir ein wenig Schroffheit in meinem Ton. »Was für Vorsichtsmaßnahmen kann man denn gegen Lord Cecil ergreifen? Gegen einen Mann, der in diesem Königreich tut, was ihm gefällt?«
»Haltet Ihr mich für einen Tyrannen?«, erwiderte er sofort.
Dass er sich auf diese Diskussion einließ, kam mir gelegen. Ich blickte ein wenig verloren drein, was einem großen Mann immer gut ansteht, wenn er es mit einem kleineren zu tun hat, um diesen glauben zu lassen, er sei im Vorteil.
»Mylord Minister, es wäre kein Akt der Tyrannei, sondern der Gerichtsbarkeit, wenn Ihr mich für einen Verbrecher halten würdet. Das bin ich nicht, doch außer meinem Wort habe ich nichts, was das beweisen könnte.«
Die Sonne schien mir immer unangenehmer ins Gesicht, je höher sie stieg, und ließ mich die Augen zusammenkneifen.
»Hier in London war es nur eine Frage der Zeit, bis Ihr meinen Namen hört. Mylord, Ihr glaubt vielleicht, dass die Königin und das Parlament ein Anrecht auf meine Gegenwart haben, und dementsprechend würdet Ihr mich auch ohne weitere Befragung zurück nach Frankreich schicken. Da ich jedoch nicht weiß, ob ich sicher wieder zurückgehen kann, habe ich mich als erstes an Euch gewandt in der Hoffnung, dass ich Euch genauso zu Diensten sein könnte wie vorher Messire de Sully.«
Ich erinnerte mich daran, dass Minister Cecil mit einem für Engländer außergewöhnlich scharfen politischen Verstand gesegnet war und loyal die Politik seines Königs in Bezug auf Frankreich verfolgte. Da Frankreich und Spanien jedoch einen Tanz in der englischen Politik aufführten und niemand zu sagen vermochte, wer von einer Woche auf die andere die Oberhand behielt, hatte ich es für richtig gehalten, Cecil als Mann etwas anzubieten und nicht als Politiker.
»Die Dienste eines Agenten von Monsieur Rosny …«, sagte Cecil.
Der Agent Eures Rivalen. Ich behielt einen ernsten Gesichtsausdruck bei. Wer kommt da mit dem Hut in der Hand und bittet um Eure Gunst? War Cecil immun dagegen? Sechs Jahre zuvor war ihm diese Rivalität jedenfalls nicht gleichgültig gewesen.
Das war die Karte, auf die ich nun alles setzte. Seit Monsieur Saburos Nachricht hatte ich es in schlaflosen Stunden durchgespielt, und ich bemühte mich nun, eine Haltung zu bewahren, von der ich hoffte, dass sie nur Aufmerksamkeit und nicht Verzweiflung ausstrahlte.
Der Blick des obersten Ministers wanderte zu Saburo, der mit einem der Sekretäre auf dem Deck saß. Die Feder des Sekretärs flog förmlich über das Papier in dem Versuch, mit der schnellen Rede des Nihonesen mitzuhalten. Ich sah, wie Saburo innehielt und an einem feinen Glaspokal schnüffelte. Monsieur Gesandtem hatte man eine Erfrischung angeboten, Monsieur Spion nicht.
Cecil sagte: »Der Gesandte hat nichts von Euch erzählt, bevor Ihr am Strand gegen Banditen gekämpft habt. Kann man davon ausgehen, dass jemand etwas dagegen gehabt hat, dass Ihr Frankreich verlassen habt? Und kann man ebenfalls davon ausgehen, Monsieur, dass es mehr der Zeugenbeseitigung gedient hat, als dass es dem Großmut entsprungen ist, dass Ihr den östlichen Gesandten und den jungen Mann in Eurer Begleitung nach Frankreich geschafft habt.«
Cecil hat Saburo sicherlich zu seinem Quartier verfolgen lassen. Hic mulier haben sie jedoch noch nicht als das identifiziert, was sie ist. Ich gestattete mir noch nicht einmal in Gedanken, so etwas wie Erleichterung zu empfinden. Cecil hätte das mit Sicherheit bemerkt und seine eigenen Schlüsse daraus gezogen.
»Beide Annahmen sind korrekt, Mylord«, sagte ich offen. »Weder der junge Mann noch Saburo sind leicht zu töten, denn beide wissen durchaus mit einem Schwert umzugehen. Außerdem kam es mir undankbar vor, sie einem Verhör zu überlassen, was ihnen in meinem Land sicherlich gedroht hätte, wäre bekannt geworden, dass sie mich beim Aufbruch gesehen haben.«
Das Wort undankbar brachte mir einen kurzen Blick seiner dunklen Augen ein. Ich hielt es für an der Zeit, die Halbwahrheiten mit echter Wahrheit zu würzen.
»Ein Mann bekommt bisweilen die Schuld für Dinge, die er nicht getan hat«, erklärte ich ruhig. »Mehr kann ich Euch nicht sagen, Mylord. Und Ihr dürft weder Monsieur Saburo noch Monsieur Dariole in dieser Hinsicht mit mir in Verbindung bringen. Monsieur Saburo ist der letzte Überlebende eines Schiffsunglücks, und Monsieur Dariole ist … Monsieur Dariole ist schlicht einer jener Söhne des Schwertes und der Gefahr, die Euer Gnaden auch vom englischen Hof kennen werden.«
In dem Schweigen, das darauf folgte, hörte ich das Knarren der Riemen, das Platschen des Wassers gegen die Bordwand und das ständige Geplappere der Arbeiter, was Messire de Sully nie in seiner Gegenwart geduldet hätte.
»Erzählt mir mehr von diesem ›R. F.‹, falls es Euch nichts ausmacht, Monsieur Rochefort.« Aus Cecils Mund war das ein Befehl, keine Bitte. »Wie unterscheidet er sich von solchen Narren wie Fawkes oder Parsons?«
Der Gedanke, dass Messire de Sully noch lebte und das in Freiheit, erfüllte mich mit so großer, wenn auch flüchtiger Erleichterung, dass ich den englischen Minister unwillkürlich anlächelte.
»Ihr werdet sicherlich wünschen, dass ich die Namen vervollständige, die ich in dem Bericht erwähnt habe, Mylord«, sagte ich. »Auch wenn ich annehmen möchte, dass Ihr bereits von vielen Verschwörungen bei Hofe wisst, und vielleicht ist Euch dieser Arzt bekannt, den ich mit ›R. F.‹ abgekürzt habe.«
Er zeigte keinerlei Reaktion, und ich erwartete auch keine. Kurz sammelte ich meine Gedanken.
»Die vergangenen zwei Tage habe ich so viele Erkundigungen eingezogen, wie mir möglich war. ›R. F.‹ ist jemand mit Namen Robert Fludd, ein Arzt mit einem Haus zwei Straßen von der St Paul's Cathedral entfernt. Inzwischen gilt er wohl als respektabler Bürger. Gerüchten zufolge gab es jedoch irgend einen Skandal, sodass man ihn erst vergangenes Jahr in das Royal College of Physicians aufgenommen hat, obwohl er auch schon vorher als Arzt und Astrologe tätig gewesen ist.«
Ich blickte zu dem englischen Minister auf. »Zwar gibt es keine Gerüchte, dass er noch ein zweites Haus in Southwark besitzt, doch das tut er. Zusammengefasst: Dieser Fludd ist ein Astrologe, er mag die gegenwärtige Regierung Englands nicht, und er hätte gerne einen neuen König, weshalb er James Stuart töten will. Was die anderen Verschwörer betrifft und die Kürzel ›H1‹, ›H2‹ und ›W‹, so bezeichnen diese Master Hariot, Master Hues und Master Warner. Ich habe sie am Tower beobachtet. Alle suchen sie oft ›E. N.‹ auf, um mit ihm zu sprechen – Henry Percy, Earl of Northumberland, die angebliche Quelle der Verschwörung. Sie sind seine Mathematiker, und überall hin werden sie von … von Gentlemen begleitet, die zum Haushalt des Earls im Tower gehören und von denen ich nur die Vornamen kenne: Luke und John.«
»Sehr fromm«, bemerkte Cecil trocken.
Das Sonnenlicht spiegelte sich auf dem Fluss, und eine sanfte Brise brachte Kühle.
»Es finden sich noch zwei weitere Kürzel in meinem Bericht: ›P‹ und ›H‹. Der Earl of Northumberland könnte einen großen Skandal verursachen«, sagte ich, »wenn er wiederholt, was dieser Fludd sagt – nämlich dass der Sohn Eures Königs, Prinz Heinrich, tief in die Verschwörung zur Ermordung seines Vaters verstrickt ist.«
Ohne groß nachzudenken, entgegnete Cecil: »Ich bezweifele, dass der Prinz von diesem Robert Fludd überhaupt je gehört hat.«
Ah. Du hast also schon etwas gehört, aber nicht so viel, wie du gerne hättest. Gut. Jetzt wissen wir, wo wir stehen.
»Das bezweifele ich ebenfalls, Mylord.« Ein leichtes Nicken von Cecil wirkte ermutigend. Ich fuhr mit dem fort, was ich in achtundvierzig Stunden sorgfältiger Untersuchungen herausgefunden hatte: »Aber … Es scheint so, als würde Seine Hoheit, der Prinz, häufig den Tower besuchen, um mit Monsieur Raleigh zu sprechen. Jeder, der den Prinzen mit Dreck bewerfen will, indem er behauptet, Seine Hoheit träfe sich auch mit dem Earl of Northumberland, wird mit Freuden feststellen, dass dieser Dreck mit Leichtigkeit haften bleibt. Die Bitte seitens eines engen Vertrauten des Prinzen, sich vom Tower für eine Weile fernzuhalten, würde die Möglichkeit eines solchen Skandals ausschließen.«
Cecils Kopf, der im Verhältnis zu seinem Körper viel zu groß zu sein schien, nickte bedächtig. Plötzlich warf Cecil mir einen Blick zu, der mich unvermittelt zusammenzucken ließ.
»Und was hat es mit diesem ›von den Sternen motivierten Unsinn‹ auf sich?«
Schweigen. Nichts außer dem Platschen der Ruder und dem Geruch frischer Farbe. Kurz erinnerte sich meine Nase an etwas anderes: den Duft von Gras in einem Garten in Southwark.
»Mylord, dieser Fludd hat eine Art, ein unkluges Wort oder einen Blick auszunutzen und anhand dessen glückliche Vermutungen anzustellen, dass man fast unweigerlich irgendwann glaubt, er könne tatsächlich die Zukunft voraussehen. Fludd ist ein hervorragender Beobachter, weiter nichts. Trotzdem …«
Ich blickte wieder zu Robert Cecil hoch.
»Trotzdem: Er hatte überall Männer postiert, die mich davon abgehalten haben, London und seine Vorstädte zu verlassen.«
Cecil nickte erneut. »Und aus welchem Grund?«
Das hatte ich nicht niedergeschrieben. Doch jetzt war der einzig geeignete Augenblick für so viel Ehrlichkeit, da der Wind meine Worte nicht davonwehen konnte.
»Es ist so wie bei Parsons, der sich den Soldaten Guy Fawkes geholt hat.« Ich zuckte mit den Schultern. »Fludd glaubt dem Gerücht … dem Gerücht, dass ich Heinrich von Frankreich ermordet hätte. Und er ist aus astrologischer Sicht davon überzeugt, dass es mein Schicksal ist, James von England und Schottland zu ermorden. Ich muss wohl nicht hinzufügen, dass ich diese Überzeugung keineswegs teile!«
Cecil runzelte die Stirn. »Irgendwelche versponnenen Verschwörer finden sich an jeder Straßenecke. Diese Verschwörung ist … gespenstisch, Master Rochefort, wenn Ihr mir den Ausdruck gestattet.«
Ich verneigte mich stumm. Ich gestand ihm das Recht zu, alles zu mir zu sagen, was er verdammt noch einmal wollte.
Zaghaft fügte ich hinzu: »Die meisten Menschen konsultieren Astrologen. Dank Fludds glücklicher Vermutungen und genauer Beobachtungen würde ein abergläubischer Mensch ihm alles glauben, was er sagt. Auch ich soll glauben, was er sagt, und somit auch, dass ich dazu bestimmt bin, König James zu töten.«
»Hat er ein Horoskop für den König erstellt? Wisst Ihr das?«
»Zumindest hat er mir keines gezeigt, und selbst wenn er so etwas getan haben sollte, hat er es mit Sicherheit verbrannt.«
Der englische Minister nickte. Dass Fludd seine Verhaftung und anschließende Hinrichtung würde vermeiden wollen, weil er es gewagt hatte, ein Horoskop des Königs anzufertigen, überraschte keinen von uns.
»Master Rochefort, wärt Ihr nicht Rosnys Agent würde ich es einfach so abtun. Offenbar ist dieser Fludd genauso ein Scharlatan wie Simon Forman und taugt für nichts weiter, als Liebeszauber zu verkaufen.«
»Ja, Mylord. Aber«, fügte ich hinzu, »Fludd hat genug Männer, um mich davon abzuhalten, die Stadt zu verlassen. Damit ist der Kreis der Verschwörer nicht gerade klein!«
Vielleicht hörte er eine kleine, unbeabsichtigte Betonung des Wortes ›mich‹ heraus; in jedem Fall wanderte sein Blick zu den blauen Flecken in meinem Gesicht. Fragend schaute er mich an.
Ich schob alle Zweifel beiseite. »Kurz vor der Heide bin ich am Fluss aufgehalten worden und dann noch einmal in Whitehall. Sie konnten nicht sicher sein, wohin ich mich wenden würde. Wie sonst hätten sie mich also abfangen sollen, wenn nicht durch eine bloße Vielzahl von Männern. Und wenn es so viele Mitglieder dieser ›astrologischen Verschwörung‹ gibt – Dutzende, vielleicht Hunderte –, dann würde ich mir darüber Sorgen machen.«
Minister Cecil blickte mich sanft an. »Wäre dieses Netzwerk tatsächlich so ausgedehnt, hätten meine Männer schon längst Spuren davon gefunden. Und … Es gibt nichts in der Größenordnung, die Ihr beschreibt.«
Stur und eindeutig grober, als ich sollte, sagte ich: »Dann müssen Eure Männer sie übersehen haben!«
An seinem Gesichtsausdruck sah ich, dass all meine Chancen auf weitere Informationen aus Paris dahin waren. Rasch fügte ich hinzu: »Robert Fludd mag ja verrückt sein, aber er ist ein gefährlicher Mann. Ich sage Euch, Mylord, er hat genug Männer, die für ihn spionieren, dass er unfehlbar zu sein scheint.«
»Wenn diese wirklich neu wären … aber nein.« Cecil zog die schmalen Augenbrauen zusammen. »Ich sage: Es ist einfach nur eine Spinnerei dieses Doktor Fludd. Gäbe es eine Organisation, die zu so etwas fähig wäre, selbst in den Außenbezirken, hätte ich schon längst davon erfahren.« Er schnaufte leise. »Es sei denn, Ihr haltet ihn für einen echten Propheten, Master Rochefort.«
Ich legte die Hand auf meinen Ärmel über der frisch verheilten Wunde. »Wenn ich weg bin, hat er nichts mehr zu beobachten. Euer König wäre sicher, und ich könnte Fludd Euch überlassen, Mylord.«
Der englische Minister hob den Kopf und blickte zu den Mauern von Westminster, als die Barke daran vorbeifuhr. Scheinbar gedankenverloren sagte er: »Ihr müsst einen Weg finden, zu Master Fludd zurückzukehren, ohne sein Misstrauen zu erregen.«
»Zurückkehren …«
Trotz seiner müden Augen schien Cecils Gesicht förmlich zu strahlen, als er sich wieder zu mir umdrehte. »Der beste Weg, Northumberland zu schnappen, ist, diese Verschwörung fast bis zum Ende kommen zu lassen – falls er denn wirklich so dumm ist, sich daran zu beteiligen. Dann werden wir vielleicht sehen, wie Seine Gnaden sich selbst kompromittiert.«
Ich verzog das Gesicht. »Mylord …«
»Ich habe nicht die Absicht, das Leben Seiner Majestät zu gefährden. Master Saburo kann mir Briefe von Euch bringen, wenn er den Hof besucht, und sollte ich nichts von Euch hören, werde ich meine Netze nach Euch auswerfen – und ich kann Euch versichern, dass ich noch immer etwas gefangen habe.«
Ich stotterte: »Aber … Aber, Mylord.«
»Ihr habt mir doch Eure Dienste angeboten, Master Rochefort, nicht wahr?«
Ich stand kurz davor, über Bord zu springen und festzustellen, wie weit ich schwimmen konnte. Obwohl ich wusste, wie nutzlos das war, protestierte ich: »Aber ich muss nach Paris zurückkehren!«
Cecil lächelte. Trotz meines Entsetzens erkannte ich, dass er sich so etwas nur selten gestattete; es machte sein langes Gesicht zu dem eines Clowns.
»Ihr, Master Rochefort, werdet mir gehorchen und Euren Platz in der Verschwörung behalten. Ihr werdet Fludds Pläne befolgen und mir sofort Bericht erstatten, sobald Ihr etwas Neues herausgefunden habt. Als Sullys Mann bin ich mir sicher, dass Ihr über die dazu notwendigen Fähigkeiten verfügt. Ich bezweifele nicht, dass Ihr Übung darin habt, den Doppelagenten zu spielen …«
Cecils Gesichtsausdruck wurde wieder ernst.
»Mir ist durchaus bewusst, in welcher Situation Ihr Euch befindet – dass Ihr keinerlei Möglichkeit habt, Informationen vom französischen Hof zu bekommen. Solange Ihr für mich arbeitet, sehe ich keinerlei Schwierigkeiten darin, dass einer meiner Sekretäre Euch einen Teil der Depeschen zukommen lässt, die ich aus Paris erhalte.«
Benommen starrte ich ihn an und konnte nur denken: Er hat mich.