Teil Zwei

Auszug aus dem Bericht des Samurai Tanaka Saburo an Shogun Tokugawa Hidetada

[Anmerkung des Übersetzers: Das scheint mir die beste Stelle zu sein, ein weiteres der Dokumente einzufügen, die mit Rocheforts Memoiren gefunden worden sind. Der zweite Teil der Memoiren folgt unmittelbar im Anschluss.

Die Memoiren nutzen die verschiedenen respektvollen Anredeformen auf höchst eigenwillige Art und Weise (dono, tono etc.), was zu sprachlichen Missverständnissen führen könnte. Für diese Übersetzung habe ich sie daher durch das vertrautere san oder sama der Edozeit ersetzt (auch wenn das nicht ganz korrekt ist), um den Text für den modernen englischen oder japanischen Leser verständlicher zu machen.]

Es gab einst jemanden, der das Pech und den schlechten Geschmack hatte, den Höhepunkt seines Lebens zu überleben.

Mir wurde der beste Tod geboten, und ich habe ihn versäumt. Mein Herr hat ihn auch versäumt, doch hatte er das Glück, binnen der nächsten zwei Jahre zu sterben, als ein Teil des Goldes noch an ihm hing und ihm ein gewisses Maß an Glanz verlieh. Fürst Kobayakawa Hideaki. Er war zweiundzwanzig Jahre alt, als ich an seinem Grab stand. Ich war siebenundvierzig.

Der Höhepunkt unseres Lebens, zwei Jahre zuvor, war eine Schlacht gewesen und was für eine große Schlacht – die große Schlacht unserer Zeit. Wenn man das Privileg hat, mit und gegen die größten daimyo unseres Landes zu kämpfen, wenn man die Zukunft für alle Zeit durch eine schlichte, aber entscheidende Tat verändert hat, was bleibt dann noch?

Mein Herr und ich, wir haben bei Sekigabara gekämpft. Im entscheidenden Augenblick der Schlacht liefen wir zur Ostarmee und damit zu Eurem Vater über, Fürst Tokugawa Ieyasu, der durch diesen Sieg zum Shogun aufgestiegen ist. Mein Herr Hideaki wurde für seine Tat mit der Provinz Chikuzen belohnt. Mir gestattete man, ihn zu begleiten.

Wir nahmen auch an den letzten Scharmützeln des Krieges teil, als der große Shogun rebellische Fürsten und Gesetzlose verfolgt und besiegt hat; doch das war alles nichts im Vergleich zur Größe jener Schlacht. Mein Herr schrieb Gedichte über dieses Thema. Wie eine Kirschblüte, in der Hitze des Juni braun wird und verwelkt; besser wäre es gewesen, sie wäre in ihrer vollen Pracht im Mai gefallen.

Es ist nicht an mir, das Verhalten meines Herrn Hideaki zu hinterfragen, und würde man es mir aufzwingen, würde ich alles seiner Jugend zuschreiben und es entschuldigen. Auf dem Schlachtfeld war er den Göttern gleich; doch bei Hofe, inmitten all der Intrigen, vermochte er nicht zu glänzen. Angewidert wandte er sich davon ab und verbrachte mehr Zeit mit Frauen. Manchmal spielte er auch die ganze Nacht hindurch und trank einen Krug Sake nach dem anderen.

So kam der Tod zur rechten Zeit zu ihm – wohlgemerkt starb er an einer Krankheit und nicht durch Verrat, sodass er keine Schande fürchten musste. Wir begruben ihn, als das Laub von den Bäumen fiel. Ich trat in die Dienste seines Vetters, des neuen Herrn der Provinz Chikuzen. So blieb es für sechs, sieben Jahre.

Unter dem Vetter meines Herrn war ich ein Hauptmann der ashigaru und nicht länger der Gefährte meines Fürsten. Und das war gut so, sagte ich mir selbst des Nachts. Welcher Fürst will schon einen alten Mann zum Gefährten, wenn dieser Mann weder sonderlich weise, fähig noch fromm ist? Da ich mich meinem fünfzigsten Lebensjahr näherte, durfte ich damit rechnen, als Hauptmann der ashigaru abgelöst zu werden. Ich hoffte darauf, mich auf einen kleinen Bauernhof zurückziehen zu dürfen mit genügend Dienern, um die Arbeit zu erledigen, während ich meine Tage damit verbringe, sie zu beaufsichtigen.

In solchen Nächten patrouillierte ich im Haus meines Herrn – ich würde es nie als das Haus seines Vetters sehen. Langsam ging ich über das Gelände, überprüfte die Wachposten zu den unterschiedlichsten Zeiten und verdiente mir so das keineswegs boshafte Missfallen, aber auch den Respekt der Männer. Auch pflegte ich durch den Steingarten zu wandern und das Mondlicht auf den Mustern zu betrachten sowie das Moos und die Bäume zu riechen, die ihn begrenzten. Irgendwann fand ich mich dann immer auf einem der sanften Hügel von Chikuzen wieder und blickte nach Norden aufs Meer hinaus, während die Sonne sich aus dem unbekannten Osten erhob.

Sicher werdet Ihr sagen, so etwas ist dumm für einen Samurai, und ich stimme Euch da durchaus zu. Meine Finger waren nie geschickt genug, um Farben aufs Papier zu bringen, und meine Poesie – falls ich mich denn daran versuchte – hatte nicht den Hauch der Feinheit, welche die Meister auszeichnet. Ich erlangte eine gewisse Befriedigung, wenn ich die Rüstung auszog und mit dem Schwert übte, dort im heller werdenden Licht, wo ich das Nahen des Tages mit der einzigen Fähigkeit feierte, über die ich verfüge.

Ob es dieser Beweis meiner Individualität war, die den Vetter meines Herrn dazu bewegte, mich auszuwählen, weiß ich nicht. Er rief mich zu sich, befahl mich mit einem kleinen Trupp Soldaten nach Edo und wies mich an, seinem Sohn in der Hauptstadt zu gehorchen wie ihm selbst. Das war ein unnötiger Affront, doch nicht schwerwiegend genug, dass ich dem Mann den Kopf abgeschlagen hätte. Er war meinen eigenen Tod nicht wert.

In Edo wies man mir einen Platz bei dem Sohn des Mannes zu: Wir sollten auf ein Schiff gehen und ins Land der fremden Barbaren segeln. Er sollte als Gesandter dienen. Sie waren schon so oft zu uns gekommen – Kaufleute und Priester größtenteils –, und nun sollten wir zu ihnen gehen.

Als wir an Bord gingen, blickte ich aufs Meer, und ich fragte mich, ob ich an jenem Morgen, da ich an die Küste gegangen war, auf mein Grab hinausgeschaut hatte.

Es tat mir nicht Leid, Nihon zu verlassen. Mein toter Herr Kobayakawa Hideaki ruhte in Frieden; ich hatte keinerlei Verpflichtungen mehr hier. Sein Nachfolger war unwürdig. Ich wollte mich nicht als ihm verpflichtet betrachten. Und der Sohn des Mannes verfügte über überhaupt keine Qualitäten: Er war weder tapfer noch feige, weder hitzköpfig noch weise, weder entschlossen noch vorsichtig. Wenn ich einen Mann verachte, dann den Zögerlichen, der seine Meinung ändert und sich dabei wie eine Fahne nach dem Wind dreht. Solche Männer – auch wenn man sie daimyo nennt – haben nicht das Recht, die Treue ehrbarer Samurai zu verlangen.

Von der ersten Stunde an, da wir die Segel setzten und den Hafen verließen, bescherte mir die See eine schwere Krankheit.

Daher kann ich mich nur an wenig aus den ersten Wochen erinnern. Als ich mich schließlich wieder erholt hatte, hatten wir uns mit einem holländischen Schiff getroffen und gingen längsseits, um Nachrichten auszutauschen – so hieß es unter anderem, in Nihon könne man immer weniger Handel treiben, da man bei uns mehr und mehr auf diejenigen höre, die Ausländer als bösartig und schädigend betrachteten. Ich erkannte, dass ich wichtigen Anteil an dieser Entscheidung haben würde. Es galt, Nihon entweder zu öffnen oder abzuschotten und rein zu halten. Was wir aus dem Land der Europäer mit zurückbrachten, konnte entscheidenden Einfluss auf unsere Haltung haben, dachte ich, einen Einfluss so groß, wie ihn die Schlacht von Sekigahara gehabt hatte.

In den folgenden Monaten arbeitete ich auf dem Schiff und lernte die Kunst der Navigation und des Segelns. Ein Samurai muss seine Fähigkeiten stets verbessern, um seinem Herrn Ehre zu machen. Ich glaubte, mein Herr Hideaki hätte das gutgeheißen. Ich sorgte dafür, dass die Männer, die ich als Garde des Gesandten führte, regelmäßig auf dem schwankenden Deck trainierten, und mit Freuden führte ich sie in den Kampf gegen Piraten, als wir zweimal angegriffen wurden.

Langsam wurde die Welt heißer und dann wieder kälter. Küsten erschienen wie graue Bänder am Horizont und verschwanden wieder. Der Gesandte zeigte keinerlei Interesse an dem, was dort wohl liegen mochte. Nur selten gingen wir an Land, um Proviant aufzunehmen und Neuigkeiten zu hören; dann segelten wir weiter. Wir sahen Länder, wo die Eingeborenen noch dunkler sind als die Ainu von Nihon, und die Pest kam dort mit jedem Wind. Und dann, viel später, kam jene Küste, von der der Kapitän sagte, dies sei Spanien, die Heimat so vieler Schwarzer Krähenpriester. Ich stand an der Reling, starrte ans Ufer und bereute es nicht, dass wir dort nicht landen würden.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir mit Erlaubnis meines Herrn schon so viel von den europäischen Sprachen angeeignet wie möglich. Die Mannschaft lehrte mich ein paar Worte Niederländisch und Gälisch, viel Englisch und auch viel Portugiesisch, was mir (fälschlicherweise vielleicht) fast wie Spanisch zu sein schien. Latein lernte ich ein wenig aus dem heiligen Buch der schwarzen Priester, und je mehr ich verstand, desto weniger gefiel es mir. Sie beten einen Verbrecher an, der den Tod eines Unberührbaren gestorben und dann zum kami geworden ist, der überall und nirgends ist. Der weise Mann besänftigt die Geister, er ergibt sich ihnen nicht.

Graues Wasser, kalter Nebel, und wir mussten ständig schwere Wollkleidung tragen: Das war unsere Last die nächsten paar Wochen, während das Schiff sich mühsam gen Norden kämpfte. Der Wind war gegen uns. Meine Schwertübungen fielen mir auf dem kalten, nassen Deck immer schwerer, und während ich als junger Mann diese Herausforderung begrüßt hätte, übte ich nun mit präziser Effizienz, um mich nicht zu sehr nach der Wärme von Chikuzen zu sehnen.

In der siebten oder achten Woche in jenen Gewässern verkündete der Kapitän, dass wir die Einfahrt eines großen Kanals erreicht hätten, auf dessen einer Seite unser Ziel lag – England – und auf der anderen ein weiteres Land. Ich war kühn genug, meinen Herrn, den Gesandten, zu fragen, ob wir uns auf einen sofortigen Landgang vorbereiten sollten. Er befahl uns, zunächst an Bord zu bleiben. Wir würden weitersegeln, bis zur Hauptstadt, und dort würde man uns empfangen, wie es einem daimyo geziemt.

Ich hätte mich mit Freuden auch wie der niedrigste meiner ashigaru empfangen lassen, hätte ich nur an Land schlafen können. Die Übelkeit, die mich bei unserem Aufbruch aus Nihon geplagt hatte, kehrte wieder zurück. Nachdem ich meinen ashigaru wie immer befohlen hatte, unsere Geschenke für den englischen Kaiser zu bewachen, ging ich unter Deck und versuchte zu schlafen.

Das Krachen eines Felsens, der die Außenwand durchschlug, weckte mich wieder.

Kein Mann, der je auf einem sinkenden Schiff gewesen ist, vermag das zu vergessen. Ich sprang auf, riss mir die Rüstung vom Leib und rannte zu der Kabine, wo mein Herr, der Gesandte, die Geschenke aufbewahrte. Dort befahl ich den ashigaru, den Gesandten mit ihrem Leben zu beschützen und zog eine der Geschenkrüstungen in dem Glauben an, notfalls auch in ihr schwimmen zu können. Was ich mit dem Rest machen sollte, wusste ich nicht. Einen Augenblick lang war ich der Verzweiflung nahe. Überall schrien und rannten Männer; das Meer donnerte, und das Krachen der Planken übertönte alles.

Nach ein paar wertvollen Sekunden stopfte ich die verbliebenen Rüstungsteile zusammen mit dem Helm in einen Sack und band diesen an meine Hüfte. Nachdem das erledigt war, steckte ich meine Schwerter zu der Rüstung – welche mir viel zu groß war –, und derart verpackt kletterte ich aufs Deck, um ins Meer zu springen.

Schäumendes Wasser stürzte die Stufen hinunter, als ich sie hinaufsteigen wollte.

Ich klammerte mich an die Reling, schloss den Mund, um die wenige Luft in meiner Lunge zu behalten, und beschloss, von dem untergehenden Schiff zu schwimmen. Einen guten Tod hatte ich bereits versäumt. Das hier war zwar kein Ersatz, doch wenn ich schon sterben musste, dann nachdem ich die Neuigkeiten von den Anghrazi – den Engländern – zurückgebracht hatte und nicht bevor.

Ich überlebte. Doch als ich auf dem kalten, festen Sand des Strandes wieder erwachte, hatte das Meer mir meine Rüstung und mein Gepäck genommen. Als ich das erkannte, verlor ich erneut das Bewusstsein, während ich noch jedem Gott oder kami einen Eid schwor, der zuhören wollte: Ich schwor, dass ich den Gesandten und jeden Überlebenden meiner Männer finden und meine Befehle ausführen würde, koste es, was es wolle. Für mich ist das eine Frage der Ehre. Es ist alles, was ich tun kann.