Rochefort: Memoiren
Sieben
Ich wirbelte herum, ließ den fast Ertrunkenen auf Händen und Knien liegen und durch den Sand kriechen. Dariole deutete in die entsprechende Richtung.
Sieben Männer kamen von der kleinen Fischerstadt über den Sand auf uns zu. Drei weitere näherten sich uns über die Felsen der Landspitze, und noch einmal zwei lagen ein Stück zurück.
Wer von euch hat gewusst, was ich denke? Wer von euch hat gewusst, dass ich die ganze Nacht durchreiten würde?
Einen Beweis für ihre Absichten hatten wir nicht, aber sie rannten wie Männer, die in die Schlacht stürmten. Sie kamen schnell und entschlossen … aber es sind keine Soldaten, bemerkte ich, als die größere Gruppe auf den Sand hinaustrat und sich verteilte, weil einer schneller lief als die anderen.
»Du … Lauf!«, befahl ich.
Jetzt kann ich wirklich keinen Dariole gebrauchen, der glaubt, mir einen Dolch in den Rücken rammen und von diesen Männern die Belohnung dafür kassieren zu können. Und er war womöglich gerade dumm genug zu glauben, dass er damit durchkommen würde, ohne sich selbst einem Verhör stellen zu müssen.
Ich blickte zu ihm hinunter. »Wenigstens würde sie das ablenken, und sie würden sich verteilen!«
Dariole stellte sich neben mich. Ein Lächeln erschien auf seinem weißen Gesicht. »Ihr wollt mich überall sehen, nur nicht hinter Euch, nicht wahr, Messire? Das überrascht mich nun wirklich nicht.«
Ich ballte die Faust. Ich stand kurz davor, ihn niederzustrecken.
Dariole hob abwehrend die Hand. »Es ist ja nicht so, als würden sie mich am Leben lassen. Was haltet Ihr davon, wenn wir auf später verschieben, dass Ihr mir den Schädel wegblast? Lasst uns uns erst um diese Kerle da kümmern.«
Seine Stimme war voller lächerlichem Optimismus – und er klang, als wäre es eine abgemachte Sache zwischen uns, dass ich ihn nicht erschießen würde.
Ich legte die Pistole in die linke Hand und zog mein Schwert. Das Schaben des Metalls über den hölzernen Scheidenverschluss ließ Dariole noch wachsamer werden. »Glaubt Ihr etwa«, wandte ich mich an ihn, »dass ich zögern würde, einen Mann zu erschießen, der kurz zuvor noch an meiner Seite gekämpft hat?«
Er grinste mich an. »Ihr hättet zwar einen gewissen Widerwillen, aber Ihr würdet es tun. Oder zumindest würdet Ihr es versuchen, Messire Schwarzer Hund.«
Vollkommen gegensätzliche Gefühle keimten in mir auf; ich unterdrückte sie.
Der erste Mann war inzwischen deutlich zu erkennen: Das Schwert in der rechten Hand eilte er den anderen voraus. Er war vielleicht noch einhundert Schritt von uns entfernt. Sie sind ein Dutzend. Das ist eine Todesfalle.
»Wie es aussieht, ist diese Frage jedoch rein theoretischer Natur, Monsieur Dariole«, bemerkte ich leichthin, packte den Sattelgurt der Stute neben mir und zog daran. »Runter!«, befahl ich.
Das Tier war kein Schlachtross. Hätte ich aufgesessen, wäre ich im Nachteil gewesen. Die Stute sank auf die Knie, rollte mit den Augen und ließ sich auf die Seite fallen, wie ich es ihr beigebracht hatte.
Das ist nicht gerade die beste Barrikade, dachte ich. Wir sitzen zwischen den Männern und dem Meer in der Falle. Und ironischerweise würde niemand die Schüsse hören und uns zu Hilfe eilen.
Ich würde Zeit haben, einmal nachzuladen – nicht dass uns das gegen zwölf etwas nutzen würde. Sie hatten vielleicht Schusswaffen, und wir konnten nirgendwo hin. Sollten sie daneben schießen, würde es auf einen Kampf mit dem Schwert hinauslaufen. Aber ich kann doch kein Dutzend Männer töten!
Dariole ging neben mir im Sand auf die Knie und duckte sich vom zuckenden Kopf der Stute weg. Ich hörte ein Husten. Der ›Dämon‹ aus Nihon krabbelte auf allen vieren in den Schutz des Pferdes. Er hatte Angst genug, die nächstbeste Deckung zu erkennen – Angst: Somit war er definitiv menschlich.
»Nicht dass uns diese Deckung lange nützen wird«, bemerkte ich und hob die Pistole. Die auf uns zu laufenden Männer glichen sich: dunkle Wamse und Pluderhosen, unauffällige Kragen und hohe Hüte mit breiten, heruntergezogenen Krempen zum Schutz vor der Sonne.
Eine Kugel zischte über uns vorbei, eine weitere schlug in den Seetang. Ich duckte mich, beugte mich über die Stute und schoss einen Mann nieder – dass ich auf diese Entfernung überhaupt etwas traf, überraschte mich. Dann feuerte ich auch die zweite Pistole ab, verfehlte mein Ziel aber.
Dennoch dienten beide Schüsse ihrem Zweck: Die Angreifer erwiderten das Feuer im Laufen. Jetzt werden sie feststellen müssen, dass sie im Laufen nicht nachladen können.
»Teppo!«
Das war ein Grunzen aus dem Mund des Fremden. Er deutete drängend mit dem Finger auf mich. Ich erkannte, dass er meine Pulverflasche und die Kugeltasche haben wollte.
»Teppo!«
Einer der Angreifer ließ sich auf ein Knie nieder, vermutlich um seine Pistole neu zu laden. Rasch drückte ich dem Fremden meine Sachen in die Hand und duckte mich wieder. Entweder er oder Dariole, und ich werde dem jungen Kerl bestimmt keine Pistole geben!
Rasch und geschickt lud der Fremde eine Pistole und drückte sie mir in die linke Hand. Ich feuerte sie ab, während er die andere nachlud. Einige Augenblicke lang tat ich nichts anderes, als über den Sattel der Stute hinweg zu zielen und den Abzug zu drücken, glücklich ob der Feuergeschwindigkeit, die wir erzielten. Ich duckte mich, als Bleikugeln über uns hinweg in Richtung Meer zischten.
Fünfzig Schritt. Und es nähern sich uns noch immer sechs …
Ich schlug dem Fremden auf die Schulter. »Benutz die Pistolen. Teppo! Messire Dariole, könnt Ihr auch an der Seite eines Mannes fechten, oder seid Ihr nur ein Duellant?« Ich erhob mich auf ein Knie und bereitete mich auf den Ansturm vor.
Der junge Mann hatte sich tief geduckt. Sein Gesicht leuchtete vor Aufregung. Er sah aus wie ein Jagdhund, der kurz davor steht, sich auf einen Bären oder wilden Eber zu stürzen. »Ich kann kämpfen. Schaut nur gut hin!«
»Nun denn. Da unsere Gegner so zuvorkommend waren, sich aufzuteilen, werden wir zunächst jene töten, die uns am nächsten sind.« Ich erhob mich kühl und feuerte meine letzte Kugel auf den vordersten Mann. Ich verfehlte ihn, doch der Mann ein Stück rechts neben und hinter ihm, sank auf die Knie und fiel in den Sand.
Ich drückte dem Nihonesen die Pistole in die Hand. »Wenigstens sind zwei verwundet. Jetzt stehen nur noch zehn Mann gegen uns …«
Dariole lachte laut auf. Er klang atemlos, seine Stimme viel zu hoch. »Oh, das macht aber auch einen großen Unterschied!«
»Jetzt!« Ich sprang auf, als die Männer fast bei uns waren – und sich abermals aufteilten, um links und rechts um das Pferd herumzulaufen.
Mir blieb kaum Zeit für die wilde Freude, die ich angesichts ihrer Dummheit empfand. Ein Paar und drei: Sie haben sich tatsächlich aufgeteilt! Ich wirbelte herum. Nun war die Stute mein einziger Schutz im Rücken. Dann trat ich über den am Boden liegenden Fremden hinweg und drosch meine Klinge hart auf das Rapier des ersten Angreifers.
»Bleibt rechts von mir!«, schrie ich Dariole zu. »Nutzt das Pferd, sodass sie uns nicht von hinten angreifen können. Lasst sie zu Euch kommen!«
Vielleicht sind sie doch nicht so dumm, sinnierte ich, als der junge Mann mit dem Rapier nach dem Gesicht eines der Angreifer stieß. Sie haben genug Platz, um einander nicht im Weg zu stehen, und der Rest wird in wenigen Minuten hier sein.
Ich zog meinen Dolch, den Klingenbrecher, fing damit die Klinge des zweiten Mannes ab und riss sie ihm aus der Hand. Ich glaube, dabei habe ich ihm auch das Handgelenk gebrochen. Ihre Waffen hatten italienische Korbbügel, und die Männer waren nicht schlecht ausgebildet: prima guardia, seconda, terza. Das waren die Florentiner der Medici. Der erste Mann stieß mit dem Rapier nach mir, der zweite mit dem Dolch.
Ich habe zwei, Dariole drei, und er ist unausgebildet und wird sich in Einzelgefechte verwickeln lassen; das ist sein Tod …
»Messire Dariole! Habt Ihr mich gehört?«
Seine Stiefel hinterließen tiefe Spuren im Sand, als er zurücksprang und nur einen Faden rechts von mir Position bezog. Der Junge fing eine Klinge mit seinem Dolch ab und drückte sie in jener weiten Bewegung zur Seite, die man in der florentinischen Schule intrecciata nennt. Dann stieß er sein Rapier unter der feindlichen Waffe hindurch und dem ersten Mann genau in die Brust.
Mein halb entwaffneter Gegner zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zusammen, als sein Landsmann würgte und Blut spie. Ich schlug in weitem Bogen mit dem Dolch nach seinem Kinn und spürte den dumpfen Schlag, als meine Faust auf seine Zähne traf. In der gleichen Bewegung trat ich dem zweiten Mann die Beine unter dem Leib weg.
Das Klirren und Zischen der Klingen nahm all meine Aufmerksamkeit in Anspruch, und ich erschrak, als ich plötzlich einen dumpfen Schlag hörte. Der Nihonese hatte auf einen der Männer geschossen, die Dariole angriffen, doch niemand geriet ins Taumeln.
»Sie tragen vielleicht Kettenhemden oder Brustpanzer unter den Wamsen. Zielt auf Hals und Gesicht!«
Ein Mann stolperte. Dariole stieß nach seinem Gesicht, und ich schlug in die Lücke und durchtrennte dem Mann die Kniesehne. Schreiend fiel er nach hinten. Ich wirbelte herum, um zwei kurze Stöße anzubringen: in Brust und Auge der beiden Männer, die ich kampfunfähig gemacht hatte.
Eins, zwei – es hatte nur Sekunden gedauert. Außerhalb der Salons sind Duelle kurz und brutal. Die Männer, die über die Felsen kamen, hatten den Sand noch nicht erreicht. Als ich kurz in ihre Richtung blickte, warf einer die Arme hoch und verschwand. Es war kein Schuss zu hören. Tang auf den Felsen: er ist gestürzt.
Die beiden Männer, die gegen Dariole kämpften, wichen einen Schritt zurück.
Einer mit einem scharlachroten Federbusch auf dem Hut rief: »Messire Rochefort!«
Er sprach mit florentinischem Akzent. Ich erkannte ihn. Der kleine, kantige Kerl hatte mich in jener Nacht aufgehalten, als ich versucht hatte, ins Arsenal zu kommen.
»Werft Eure Waffen fort!«, rief er. »Wir sind zu viele! Ihr habt nicht die geringste Chance!«
Ihre Pistolen leer geschossen, die ersten Männer bereits am Boden, und nach einem Schuss von unserer Seite wurden die Männer hinter ihm langsamer; sie zögerten. Mit jedem Wort verloren seine Männer an Schwung. Ich musste die Gelegenheit ergreifen, bevor sie sich neu formieren konnten.
»Ich bin nicht Maignan!«, rief ich zurück. Nun waren die nächsten drei nah genug herangekommen, und ich erkannte zwei aus dem Schankraum in Les Halles: den Mann, der Maignan gehalten hatte, und den, der ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Letzterer führte sein Schwert mit der linken Hand. Zwei abgehalfterte Höflinge, die sich an die Rockzipfel der Reichen und Mächtigen hingen, in diesem Fall an die der Königin. Angewidert glaubte ich, mein eigenes Spiegelbild zu sehen.
Einer schrie: »Die Königin bietet Euch eine faire Verhandlung an!«
Lügender Narr.
Ich beugte mich vor, um die Hand auf den Hals der Stute zu legen, und rief zurück: »Sie kann sich ihre faire Verhandlung in den fetten Medici-Arsch schieben!« Dann schlug ich mit der flachen Hand dem Pferd auf den Hals.
Die Stute trat und stand auf. Ich sprang zurück. Sie stieg und trat und schleuderte Sand in weitem Bogen um sich.
Ich hatte gehofft, dass meine Obszönität den einen oder anderen Höfling in Wut versetzen würde, doch keiner von ihnen zögerte auch nur einen Augenblick. Ich hatte gehofft, das Pferd würde sie behindern, doch sie duckten sich weg. Vier Männer lagen im Sand, und ich konnte nicht sicher sein, dass auch nur einer von ihnen tot war. Fünf Männer rückten weiter gegen uns vor. Es waren Narren, aber immer noch genug, um uns zu töten …
Zwei weitere Pistolen wurden abgefeuert. Auch wenn die Kugeln ihr Ziel nicht fanden, demoralisierte das Knallen die Angreifer weiter. Ich nutzte den Vorteil, den mir das panische Pferd gewährte, so gut ich konnte. Ich sprang links an Dariole vorbei, stellte mich zwei Klingen und begegnete dem dritten Mann mit dem Dolch.
Zu spät erkannte ich, dass der Junge nicht gegen zwei Männer kämpfte, sondern nur gegen einen. Ich kann den fünften nicht sehen …
Links neben mir ertönte ein Husten und Grunzen.
Irgendetwas Heißes, was rasch abkühlte, spritzte mir auf den linken Arm und ins Gesicht. Nein, das ist nicht das Meer. Das Wasser war zu weit entfernt – und im Frühling zu kalt, als dass es sich so warm angefühlt hätte.
Etwas Schweres fiel neben mir dumpf zu Boden.
Der schwere Gegenstand, der ein paar Zoll von mir entfernt durch den Sand rollte, war ein Kopf.
Am Rand meines Sichtfeldes erkannte ich den ›Dämon‹, der in dem aufgewühlten Sand stand. Tang hing an seinen zerrissenen Kleidern, und er hielt ein gekrümmtes Schwert in den Händen. Zu seinen Füßen lag ein enthaupteter Mann.
Gütiger Gott, wenn ich geahnt hätte, dass er bewaffnet ist …!
In nur einem Augenblick erkannte ich: Er ist ein Schwertkämpfer. Er benutzt einen Krummsäbel wie die Türken und nordafrikanischen Emire. Er hat sich aber gerade erst davon erholt, das Wasser aus den Lungen gedrückt zu bekommen; ich kann mich nicht darauf verlassen, dass er unsere Flanke deckt.
All das dachte ich, bevor der Kopf zum Liegen kam und der Blutschwall in meinem Wams versickerte.
»Der Rest ist da!«, schrie Dariole.
Ich sah eine Bewegung zu unserer Rechten. Zwei Männer hatten die Felsen verlassen und kamen auf uns zu: Einer rannte mit voller Kraft, der andere humpelte ihm hinterher.
Vier und zwei – und sie kämpften jetzt gegen drei von uns, wenn der Dämon sich auf den Beinen halten konnte.
Rasch blickte ich zu den Männern zurück, denen ich gegenüberstand und sah, dass Dariole vorrückte, weg von mir und in ihre Gruppe hinein.
»Bleibt, wo Ihr seid!«, bellte ich – zu spät.
Der Mann, mit dem Dariole sich ›duellierte‹, zog ihn von mir und dem Fremden weg, alles im Bruchteil einer Sekunde. Ich sah Schwert und Dolch des Jungen durch die Luft fliegen, so schnell, dass man ihnen mit dem Auge kaum folgen konnte. Er war vollkommen konzentriert, über die Maßen erregt und grinste.
Der Mann, gegen den er kämpfte, war einen Kopf größer und deutlich schwerer als er. Monsieur Dariole versucht, ihn über den Mann zu Fall zu bringen, dem ich die Kniesehne durchtrennt habe …
In einem Gefecht stirbt man, wenn man allein vorgeht.
Die beiden Männer von den Felsen rannten auf mich zu, während die anderen, sich aufteilten, um Dariole zu umzingeln. Ich stieß nach einem von ihnen, verfehlte mein Ziel, packte den zweiten daneben jedoch am Handgelenk und warf ihn über meine Hüfte. Ich trat nach unten und wäre fast gestolpert, als ich den am Boden liegenden an der Kehle erwischte. Dann stürzte ich mich wieder auf den anderen Mann, der verwirrt versuchte, sich auf zwei Dinge zugleich zu konzentrieren. Monsieur Dariole wird sich noch umbringen lassen und mich gleich mit ihm …
Der missgestaltete ›Dämon‹ hatte sich auf ein Knie niedergelassen und schlug mit seiner schweren, gekrümmten Klinge nach dem Knöchel des Mannes. Die Klinge drang tief in den Fuß meines Angreifers ein, und sofort rammte ich ihm meinen Dolch durchs Kinn bis ins Gehirn. Der zweite Mann rollte sich würgend herum und rappelte sich wieder auf. Ich erwischte seine Klinge mit dem Klingenbrecher, drehte sie mit aller Kraft und konnte das Brechen der Knochen inmitten all des Schreiens nicht hören, auch wenn ich es spürte. Dann wirbelte ich herum, stieß nach dem Unterleib des Mannes, und als er daraufhin nach vorn klappte, zog ich ihm den Dolch über die Augen. Sein Schrei machte mich taub.
Ein um sich schlagender Leib rollte an mir vorbei. Der Nihonese hatte seine kräftigen Arme um einen blutüberströmten Europäer geschlungen, um einen der Verwundeten. Ich stieß dem Mann von hinten das Rapier durch die Nieren; er zuckte und rührte sich nicht mehr.
Verzweifelt drehte ich mich abermals um.
Dariole … Er war zu weit von mir entfernt, um ihn in einem Augenblick erreichen zu können …
Dariole wirbelte herum, stieß das Rapier über die eigene Schulter nach hinten und fing so die erste Klinge mit einer Glissade auf. Gleichzeitig stieß er dem Mann zu seiner Linken in den Unterleib und trat zur Seite. Ein Feind mehr, der nicht mehr kämpfen würde.
Als der erste Verwundete auf die Knie sank, drehte sich Dariole unter dem Hieb des Mannes zu seiner Rechten weg und sah sich plötzlich dem zweiten Mann gegenüber, der mit dem Rapier nach seinem Gesicht stieß, um ihm die Klinge durchs Auge bis ins Gehirn zu rammen.
Dariole ließ sich auf ein Knie fallen und stieß gleichzeitig mit Rapier und Dolch nach oben.
Sein Schwert drang durch den Hals des Mannes zu seiner Rechten. Blut spritzte auf Dariole und den aufgewühlten Sand. Sein Dolch schlitzte das Wams des Mannes schräg hinter ihm auf … und rutschte an dem Ketten- oder Plattenpanzer darunter ab. Dieser Mann hob nun die Klinge, fintierte und stieß zu, botta in temp …
Ich rannte auf sie zu …
Dariole ignorierte die Finte. Er sprang auf, ließ sein Rapier auf die Schwerthand des Mannes niedersausen und wich gleichzeitig zurück.
Die Klinge traf so hart, dass der Aufprall selbst über das Rauschen des Windes und das Schreien hinweg zu hören war. Es klang wie in einem Schlachthof, wo Metzger Schweine zerteilen.
Das Schwert des Mannes fiel zu Boden, und seine Hand hing nur noch an einem Fleischfetzen an seinem Arm.
Dariole führte einen perfekten Stoß auf den Hals des Mannes aus, drehte sich um und parierte den Hieb des Verwundeten mit schierer Kraft. Dariole ließ seine Klinge die Schneide des Angreifers hinuntergleiten, und die Spitze fuhr dem Mann in den Mund, zertrümmerte Zähne und drang am Hinterkopf wieder heraus.
Der Lärm und das Schreien wurden vom lauter werdenden Rauschen der Brandung übertönt.
Zwei von uns starrten sich keuchend an und Blut tropfte von uns in den Sand. Der feuchte Wind drang mir durch Wams und Hose und ließ mich schaudern.
Ich habe diese Präzision schon einmal gesehen. Bei Zaton.
Ruhe. Ein verlassener Strand. Keine Bewegung aus Richtung Stadt …
»Wir hätten zumindest einen am Leben lassen sollen«, sagte ich und atmete schwer. »Um herauszufinden, ob es noch mehr von ihnen gibt … und wo sie ihre Pferde gelassen haben.«
Dariole wischte sich mit dem Unterarm übers Gesicht, doch das Einzige, was er damit erreichte, waren rote Schmierflecken auf dem feinen Leinen. »Da drüben lebt noch einer – jedenfalls glaube ich das.«
Dariole stieg über eine Leiche hinweg und bückte sich, um die nächste zu untersuchen: ein blonder Mann mit einer Perle im Ohr. Der Sand unter ihm war dunkel von Blut. Dariole zeigte die Zähne in einem breiten Grinsen, das nichts mit Humor zu tun hatte, sondern nur mit dem Hochgefühl nach einem Kampf: Ich lebe, du lebst, und sie leben nicht mehr.
»Nein.« Dariole richtete sich wieder auf. »Er ist tot. Ich habe ihn getötet. Wir haben zwölf Männern in genauso vielen Minuten das Leben genommen.«
Da war ein Leuchten in seinen Augen, und sein Schritt war beschwingt. Das ist es, was manche von uns zu Schlägern macht: das Wissen, dass wir das Leben eines anderen nehmen können, dass wir einen Bewaffneten erschlagen und tun und lassen können, was wir wollen.
Vier Mann auf einen Streich. Ich schüttelte den Kopf. »Ich muss zugeben, Messire«, sagte ich mit ernster Stimme. »Ihr seid – sehr gut.«
Er grinste.
Ich blickte zu den Männern hinunter, die auf wenigen Quadratfuß Sand lagen, ein paar tot, andere vielleicht noch im Sterben.
»Und Ihr seid sehr dumm«, fügte ich hinzu. »Wenn ich Euch sage, dass Ihr irgendwo bleiben sollt, dann bleibt dort!«
Sein Grinsen wurde immer breiter. Mein Tadel schien ihn nicht im Mindesten zu beeindrucken. »Das ist ein äußerst hilfreicher Ratschlag, Messire – und das von dem Mann, der mich gerade erschießen wollte!«
Ich muss gestehen, dass ich ihn anfunkelte. Ein solches Gemetzel gesehen und das Gefecht überlebt zu haben, die Medici-Höflinge tot, und trotzdem musste ich mich weiter mit dem offenbar unlösbaren Problem seiner Gegenwart auseinandersetzen. Das schlug mir schwerer auf den Magen, als ich sagen kann. Ich wäre nicht gerade unglücklich darüber gewesen, hätten er und der ›Dämon‹ bei diesem Schlachten das Leben verloren.
»Außerdem«, fügte Dariole hinzu, »könnt Ihr mich nicht töten. Ich habe Euch das Leben gerettet.«
»Ihr? Ihr habt mir das Leben gerettet?« Ich deutete auf die Leichen am Strand. »Und was, glaubt Ihr, habe ich hier gemacht?«
Ich hätte noch mehr gesagt, doch der nihonesische ›Dämon‹ wischte sich über den Mund, stand unsicher auf und machte eine Geste, die mir unbekannt war. Als ich erkannte, dass es eine fremdländische Verbeugung war, richtete er den Blick seiner schwarzen Augen auf Monsieur Dariole.
»Wahrlich«, sagte er auf Englisch, »Ihr seid sehr geschickt, ehrenwerte Dame.«
Mein erster Gedanke war: Er versteht die Sprache nicht.
Er war ein Seefahrer, der aus Gott weiß was für einem weit entfernten Land im Osten kam. Kein Wunder, dass er sich mit einer Mischung der Sprachen Englands, Spaniens und Portugals nicht richtig verständlich machen konnte.
Der Seewind wehte über den aufgewühlten Strand, doch er vertrieb nicht den Geruch von Blut und Scheiße. Der junge Mann Dariole stand reglos da, das blutige Rapier noch immer in der rechten Hand, während sein Dolch nach wie vor aus einem Leichnam ragte. Das Blut trocknete bereits auf seinem Gesicht und seinem Kragen.
Ein Leuchten erschien in seinen Augen.
Er lachte, holte sich seinen Dolch und wischte beide Klingen an der Hose ab, damit sie nicht zu schnell rosteten. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, und ihr Licht enthüllte jeden einzelnen Makel auf seiner Haut.
In diesem intensiven Licht sah ich den Schatten von Haar auf seiner Oberlippe. Und es war nicht mehr als ein Schatten – nicht mehr als ein Dreckfleck, den man einfach so wieder abwischen konnte. Die Menschen sehen schlicht, was sie zu sehen erwarten.
Die schwarzen Augen und das flache Gesicht des geretteten nihonesischen ›Dämons‹ wandten sich mir zu. Er stammte aus einem weit entfernten Land mit anderen Sitten, anderer Kleidung und dergleichen, und doch sah er sofort …
»Ich habe geglaubt, sie sei Euer Schwertlehrer, ehrenwerter Herr«, sagte der missgestaltete Mann in schlechtem Englisch. »Ich habe gedacht, Ihr seid Samurai und sie Euer Lehrer mit der Klinge.«
Dariole lächelte.
Es war einfacher, ihn als Mann zu sehen. Das Haar, das ihm frei bis auf die Schultern fiel, da er den Hut verloren hatte, war kürzer geschnitten als es bei jeder Frau der Fall ist. Er trug Hosen, kämpfte … Was für eine Frau kämpft?
Es war, als würde ich die Welt von einem neuen Standpunkt aus sehen.
Das war kein junger Mann mit viel zu breitem Hintern, sondern ein heranwachsendes Mädchen, das gerade weibliche Rundungen entwickelte. Und der Mund, der bei einem Jungen weibisch wirkte, war für eine Frau normal. Gleiches galt für die Augenbrauen. Der Schnitt des Wamses betonte zwar nicht ihren Busen, aber …
Ich hatte das Gefühl, als würde meine Welt zerbrechen. Nachdem ich es erst einmal gesehen hatte, konnte ich nicht aufhören, es zu sehen. Ich konnte nicht verstehen, wie ich es je nicht hatte sehen können.
»Danke.« Sie verneigte sich in spöttischer Bescheidenheit, aber ob vor dem ›Dämon‹ oder vor mir, das vermochte ich in meinem Schrecken nicht zu sagen.
»Messire Dariole.« Nach dem Kampf und dieser Enthüllung war meine Stimme nur noch ein peinliches Krächzen. »Messire Dariole, Ihr seid eine Frau.«