Rochefort: Memoiren
Fünf
Ich ging hinaus.
Der Regen hatte aufgehört. Ich saß auf der feuchten Erde, meinen schweren Mantel über den Schultern und lehnte mit dem Rücken an der Stallwand. Lange Zeit starrte ich einfach nur in die Dunkelheit.
Nach einer Stunde bemerkte ich, dass selbst das Nieseln aufgehört hatte. Ich blickte in den klaren Nachthimmel hinauf. Über mir leuchteten die Sterne des Frühlings: Die Zwillinge waren im Aufstieg begriffen.
Das passt, dachte ich bitter. Ich bin zwei Männer. Einer will sich um die Katastrophe kümmern, die ich unwillentlich für mein Land provoziert habe. Ich will Sully und mich selbst schützen und zu gegebener Zeit gegen die Königin Zeugnis ablegen, sollte ich solch ein unmögliches Ereignis möglich machen können. Und der andere … oh, der andere Mann. Der kann nur an seinen Schwanz denken und an einen elenden Balg – an einen Jungen, der noch nicht einmal achtzehn ist, gütiger Gott! Dieser freche, unverschämte Junge.
Um mich herum verloschen die Lichter in den Häusern, doch nicht überall. Die Menschen verbrauchten ihre billigen Binsenlichter oder teure Kerzen, um beisammenzusitzen und darüber zu diskutieren, was nun aus Frankreich werden sollte, da das Land von den Höflingen einer Frau und dem Parlament regiert wurde und nicht vom Großen Heinrich.
Und ich sitze hier und zerbreche mir den Kopf über meinen Schwanz.
Ich schnaufte leise, schüttelte angewidert den Kopf und stand auf. Der feuchte Nebel hatte meinen Hut und mein Haar durchnässt. Haarbüschel hingen mir nass in die Augen. Ich wischte sie weg, ging leise um das Gebäude herum und blickte durch das Fenster in den Schankraum.
Monsieur Dariole saß in der Nähe des Feuers, das Gesicht hell über den Würfeln, und spielte mit ein paar Männern um Geld.
Ich sah ihn nur kurz. Der Schankraum war bemerkenswert voll. Alles Männer, mit denen Dariole trinken und spielen konnte – und reden.
Ja, er war dumm genug, Gerüchte über die Regentin zu verbreiten, die Heinrich hatte ermorden lassen. Er würde lachen und sagen, Ich weiß etwas, das ihr nicht wisst … und schon würde man Rochefort in Gewahrsam nehmen, den Duc de Sully anklagen, und alle Angestellten und Diener des Herzogs wären ruiniert – all das nur wegen eines einzigen unverantwortlichen, jungen Mannes. War ihm überhaupt klar, dass auch er in Gefahr schwebte?
Solange hier so viele Zeugen sind, kann ich nichts tun. Wenn man mich schnappt und einkerkert, wäre das eine Katastrophe.
Aus beiläufig mitangehörten Gesprächen schloss ich, dass der Wirt mehr als nur seine Ställe als Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt hatte. Nicht nur die üblichen Reisenden fanden sich hier, sondern auch Diener und Dienerinnen, Lehrlinge und Tagelöhner, und alle flohen sie von Rennes oder Alençon nach Hause zu ihren Familien, weil niemand mehr wusste, was nun geschehen würde. Würde man bald päpstliche Truppen auf den Straßen sehen? Die Habsburger vielleicht? Würden Heinrichs Landsleute gegen seine Frau rebellieren? Würde es wieder zum Bürgerkrieg kommen? In solchen Zeiten war man besser daheim.
Ein kalter Wind wehte durch die Straßen der Stadt. Eingewickelt in meinen Mantel ging ich zum Fluss hinunter, die Hand auf dem Schwert. Kein Mann störte oder forderte mich heraus. Ohne auch nur in eine einzige Schlägerei geraten zu sein, kehrte ich irgendwann wieder in den Gasthof zurück … Dabei hätte ich mich über einen Kampf gefreut, dachte ich bei mir. Ich hätte mich darüber gefreut, schlicht, um meine Erinnerungen damit auszulöschen.
Der junge Mann spielte noch immer, diesmal mit einer anderen Gruppe Männer. Alles war ruhig, als ich zur Tür hineinsah. Er hat noch nichts gesagt.
Dariole ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, und sein Mundwinkel zuckte, als er mich sah. Offenbar konnte er sich ein Lächeln einfach nicht verkneifen.
Ich habe nicht von dir verlangt, Paris mit mir zu verlassen! Gütiger Gott, hätte ich nur schon längst Gelegenheit gehabt, dich umzubringen!
Ich stapfte in den Stall zurück. Dariole hatte sich dort ein Strohbett bereitet. Er würde wohl mit seinen Waffen schlafen.
Ich ging wieder auf den Hof und setzte mich erneut mit dem Rücken zur Wand und legte die Arme auf die Knie. Ich hatte mir eine Flasche Branntwein aus meiner Satteltasche geholt, und nun brannte der Alkohol in meiner Kehle. Das musste auch der Grund dafür sein, dass mein Gesicht sich so warm anfühlte.
Ich schlief nicht.
Zehn Mal stand ich auf und ging in den Stall, fest entschlossen, die Stute zu satteln und einfach aus der Stadt zu reiten. Und zehn Mal ging ich wieder hinaus. Die Stadttore sind jetzt geschlossen, und vor Sonnenaufgang wird man niemanden hindurchlassen, noch nicht einmal einen Mann, der beim Duc de Sully akkreditiert ist – nicht in Zeiten wie diesen.
Abgesehen von den Pferden war der Stall leer. Von Dariole war keine Spur zu sehen. Inzwischen ein wenig steif von der Kälte der Nacht schlurfte ich erneut zum Fenster des Schankraums.
Dariole lag in seinen halbtrockenen Mantel gewickelt auf der Bank am Feuer und unterhielt sich fröhlich mit den anderen Männern, die Decken und Laken ausbreiteten, um auf dem Tavernenboden zu schlafen. Der Wirt würde durch diese Krise nicht gerade ärmer werden. Dariole streckte die Füße in Richtung Feuer aus.
Er ist dort, weil er weiß, dass ich ihn in einem Raum voller Menschen nicht töten kann.
Ich wandte mich von dem schwach beleuchteten Raum ab, und meine Augen mussten sich erst wieder an die Dunkelheit draußen gewöhnen. Die Uhr schlug Mitternacht, als ich wieder in den Stall wankte und mich neben der Andalusierstute auf einen Strohballen fallen ließ. Ich zog den Dolch, drehte ihn in meiner Hand und starrte ihn an.
Das Heft war schwarz ebenso wie Stichblatt und Knauf. Der Griff war mit Draht umwickelt. Wenn man einen Handschuh trug, rutschte einem ein solches Heft nicht aus der Hand. Und dann die breite, polierte Klinge, ein viertel Zoll dick und so lang wie der Unterarm eines Mannes; sie war so gut geschärft, dass sie silbern schimmerte. Das letzte Mal hatte ich sie an jenem Morgen mit dem Wetzstein bearbeitet, da ich meine Unterkunft verlassen hatte, um Heinrich IV. zu ermorden.
Ich sollte es so einfach wie möglich erledigen, dachte ich bei mir, am Besten sobald er den Gasthof verließ. Den Dolch einfach zwischen die Rippen und direkt ins Herz. Damit wäre das Problem erledigt.
Der Tod ist ein unbekümmert Ding. Ich habe Männer in Duellen einfach erschlagen, wenn ich mich dazu entschlossen hatte, sie nicht am Leben zu lassen. Maria di Medici wiederum hatte einfach beschlossen, mich zu töten und den Befehl zu geben: Rochefort weiß Dinge, die er nicht wissen sollte. Sorgt dafür, dass er nicht lange genug lebt, um sie irgendjemandem zu erzählen. Monsieur Dariole zu töten, wäre kein großes Dilemma für mich.
Die Dunkelheit in dem von Spinnweben überwucherten Stall war bedrückend. Ich sprang auf und erschreckte damit die Stute. Sie scharrte mit dem Vorderhuf, drehte dann den kleinen Kopf auf dem geschwungenen Hals und knabberte an meinem Arm. Ich zog ein, zwei Büschel Heu aus der Futterkrippe und fütterte sie damit. Dann schlang ich den Mantel enger um die Schultern und ging auf den Hof hinaus.
Die plötzlichen Schreie von Männern ließen mich augenblicklich das Schwert ziehen. Nein … Das ist draußen auf der Straße. Ich hörte das Klirren von Schwertern, Laufen, einen gebrüllten Befehl und dann ein Schluchzen gefolgt von Stimmen, die gut zehn Minuten lang Befehle erteilten. Die Stadtmiliz hatte eine Schlägerei beendet.
Das Heft des Rapiers lag tröstend in meiner Hand. Ich machte ein paar Schwünge damit in der Dunkelheit des Hofes, hörte, wie die Klinge durch die kalte Nachtluft zischte, und steckte das Schwert dann wieder weg. Das Sternenlicht spiegelte sich schwach im Wassertrog. Ich ging hinüber, zog die Handschuhe aus und nahm zwei Hand voll eiskaltes Wasser, um sie mir ins Gesicht zu spritzen. Der Schock fuhr mir durch den ganzen Körper. Ich kann es nicht einfach wegwaschen.
Die Stille wurde erneut durchbrochen. Es klang, als würde man ein Baby ausweiden.
Schweiß rann mir über den Rücken, obwohl ich das Geräusch sofort identifizieren konnte. Körper und Geist sind bisweilen weit voneinander entfernt. Eine Füchsin, erkannte ich. Sie rief in die Mainacht hinaus, um sich zu paaren. Wenigstens ist es eine ›sie‹!
Die Liebe der Griechen kennt ausgereifte klassische Präzedenzfälle; die Bibel verbietet sie; aber wie auch immer, meine Leidenschaft war sie nie. Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr habe ich mich nicht mehr zu jungen Männern hingezogen gefühlt, sondern mich abwechselnd Huren für drei Livre und den Ehegattinnen entgegenkommender Freunde gewidmet.
Und doch saß ich nun hier, und da war dieser Junge, und ich begehrte ihn. Wie konnte ich ihn nur begehren, wo er mich doch wieder und wieder beschämte? Wie konnte es mich nach Schande verlangen? Hatte er mich vielleicht meiner Männlichkeit beraubt, meines Mutes, ja, meiner Selbst?
Der Wirt erschien an der Hoftür, das Gesicht im Schatten der Laterne verborgen, die er in der Hand hielt. Seine Stimme klang besorgt. »Monsieur, kann ich Euch etwas bringen?«
»Macht, dass Ihr mir aus den Augen kommt!«, schnappte ich, und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nach meinem Schwert griff wie einer der dummen Schläger in Les Halles. Der Wirt schüttelte den Kopf, murmelte etwas vor sich hin und verschwand wieder nach drinnen. Ich hörte, wie im oberen Stock die Fensterläden geschlossen wurden.
Mit zwei Schritten war ich wieder am Fenster des Schankraums. Ich warf einen letzten Blick durch das Bleiglas. In Decken gehüllte Menschen bedeckten den Boden, dunkle Klumpen im schwachen Licht des Kaminfeuers, das ein Diener gerade löschte. Ich hörte Stimmen, die sich im Dunkeln unterhielten. Was wird nun mit uns geschehen? Werden die Religionskriege erneut ausbrechen? Immerhin haben wir erst zehn Jahre Frieden. Wird es eine Invasion von jenseits der Grenze geben? Feuer, Flut, Kometen am Himmel … Die Menschen rechneten mit allem.
Es war, als fänden sie Trost und im Austausch von Gerüchten und in der körperlichen Nähe, wie Hennen in einem Hühnerstall.
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch ich erkannte Darioles schlafende Gestalt. Er lag auf dem Rücken. Ein Fuß ragte über die Bank hinaus, und ein Arm baumelte herab. Er war vollkommen entspannt und schlief tief und friedlich.
Als ich zum Stall zurückkehrte, schlossen sich auch die anderen Fensterläden. Der Gasthof versank in Dunkelheit, wenn auch nicht in Stille. Auf der Straße schimmerte ein schwankendes Licht und erhellte die überhängenden Obergeschosse der umliegenden Häuser. Das waren die Nachtwächter, erkannte ich. Ich bezweifelte, dass sie ihren Auftrag vor dem 14. Mai mit solcher Sorgfalt erfüllt hatten. Ihre Schritte verhallten auf dem nassen Straßenpflaster. Einer von ihnen brüllte laut in die Nacht hinaus.
Ich zog erneut den Dolch aus der Scheide und strich mit dem Zeigefinger über die Schneide. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen verließ ich den Stallhof wieder, und die Bewegung trieb schmerzhaft die Kälte aus meinen Füßen. Ich hob die Waffe, um mit dem Knauf auf die verriegelte Gasthoftür zu hämmern, ließ den Dolch jedoch wieder sinken, ohne ihn benutzt zu haben.
Wenn er heute Nacht nicht herauskommt, bleibt immer noch morgen. Doch bis dahin wird er vielleicht schon geplappert haben.
Ich schlief nicht.
Die Sterne zogen von Osten nach Westen über den Himmel. Aus Italien waren dieses Jahr mystische Gerüchte gekommen: Durch ein Glas hatte man Welten gesehen, die den Stern Jupiter umkreisten. Kurz fragte ich mich, ob wohl Menschen auf diesen Welten lebten, und falls ja, ob es auch unter ihnen solche Narren wie Rochefort gab?
Ich werde ihn töten. Das wird allem ein einfaches Ende bereiten. Nur um seines Vergnügens willen kann er Menschen nicht wie Spielzeug behandeln.
Die Lederflasche mit dem Branntwein war noch nicht leer. Ich setzte mich wieder, nahm den Hut ab und lehnte mich erneut gegen die Wand. Sie bestand aus schmalen, römischen Ziegeln, im Sternenlicht kaum zu erkennen. Einst hatte man aus ihnen vermutlich die Villa eines Prokonsuls gebaut; nun bildeten sie eine Unterkunft für Pferde. Die Wand fühlte sich kalt in meinem Rücken an. Ich setzte die Flasche an, legte den Kopf zurück und hustete, als der Alkohol sich meinen Hals hinunterbrannte.
Ich hatte noch niemanden hier gesehen. Doch das hatte nichts zu bedeuten. Immer wieder versuchte ich, Sully Informationen zukommen zu lassen wohlwissend, dass meine Boten jederzeit getötet und meine Briefe abgefangen werden konnten. Mir zu folgen, wäre somit ein Leichtes gewesen. Ich hätte genauso gut Wegweiser hinterlassen können. Aber was hätte ich sonst tun sollen?
Ein wenig amüsiert dachte ich: Immerhin bin ich Sullys Schwarzer Hund.
Der Herzog musste den Mann identifizieren und beseitigen, den Maria di Medici bei ihm eingeschleust hatte. Und abgesehen davon …
Selbst verschlüsselt schrieb ich nicht, dass ich wusste, wer für Ravaillacs Tat verantwortlich war. Keine Namen. Sollte ich es ihm sagen, und der Agent der Königin wird nicht sofort enttarnt, wird dieser gezwungen sein, den Herzog zu töten.
Ich trank einen weiteren Schluck Branntwein, und die Nachtluft fühlte sich kalt auf meinem erhitzten Gesicht an.
Wenn ich doch nur in Paris sein könnte!
Und wenn ich dort wäre? Der Herzog würde mich anhören, bis ich den Namen von Ravaillacs Hintermann enthüllen würde. Und dann … dann würde er mich nach den genauen Umständen von Heinrichs Tod befragen, und ich würde sagen müssen: Monseigneur, um Euer Leben zu retten, habe ich das des Königs in Gefahr gebracht, und die Dinge entwickelten, sich so, dass er tatsächlich gestorben ist …
Beschämt flüsterte etwas in meinem Hinterkopf: Ich kann nicht nach Paris zurückkehren mit der Erinnerung an das, was Dariole mir dort angetan hat.
Die Pflastersteine strahlten eine feuchte Kälte aus, und das Stroh, auf dem ich saß, hielt mich kaum warm. Ich fühlte mich an die Nächte erinnert, die ich in den Niederlanden im Krieg gegen Spanien auf Wache verbracht hatte, als ich noch ein junger Mann gewesen war.
Ein Skandal stirbt, ein Mann muss das nicht. Wo war Gabriel Santon nun, um mir das noch einmal zu sagen? Aber auch wenn er in dieser Nacht mit mir im Stall gewesen wäre, wäre es ihm schwer gefallen, mir zu erklären, wie ich die Demütigung überleben sollte, die Monsieur Dariole mir zugefügt hatte.
»Vielleicht muss ich mich ja gar nicht darum sorgen, sie zu überleben«, bemerkte ich laut und tröstete mich mit Branntwein. Maria di Medici wollte mich tot sehen. Solange ich verschwunden blieb, war ich ein Finger, der anklagend auf den Herzog von Sully deutete. Fasste man mich lebendig, würde der gleiche Finger auf sie deuten. Daher hatten Maignans Mörder und die anderen Männer mit Sicherheit den Befehl, den Leichnam von Monsieur Rochefort irgendwo in der Normandie oder der Bretagne zu verscharren.
Tatsächlich war das die Art von Grab, die ich stets für mich erwartet habe … Aber ich werde mein Bestes tun, das noch für Jahre hinauszuzögern.
Vielleicht würden sie sich aber auch meiner Leiche bedienen, um damit den Druck auf den Duc de Sully zu erhöhen. Vielleicht würden sie verkünden, leider sei ich auf der Flucht getötet worden – auf der Flucht nach der Ermordung des Königs.
Aber wie auch immer, inzwischen wollten mich eine bemerkenswerte Anzahl von Menschen tot sehen. Ich wünschte nur, ich hätte jemand anderem als mir die Schuld dafür geben können.
Der Branntwein vermittelte mir eine trügerische Wärme. Während die Nacht immer kälter wurde, drang er in meine Knochen. Ich stand auf und lief herum: über den Stallhof, den Tavernenhof und wieder in den Stall zurück, wo ich in meiner Satteltasche nach der Laterne kramte. Meine beiden Pferde schliefen im Stehen. Monsieur Darioles Strohsack lag unberührt daneben.
»Ihr Arm mag ja lang sein«, murmelte ich der Stute ins Ohr. Ich war davon ausgegangen, frei mit dem Herzog kommunizieren zu können, sobald ich eine fremde Hauptstadt erreichte, egal ob London, Den Haag oder sonst eine. Nun dachte ich: Die Agenten der Medici werden nicht lockerlassen und irgendwann auch jenseits des Kanals nach mir suchen.
Sie braucht mich tot oder vermisst, nicht lebendig.
Ich schloss die Augen und ergab mich kurz einem mitleiderregenden Tagtraum, so schön er auch war: Sullys Position bei Hofe würde gefestigt bleiben; seine Verbündeten würden an seiner Seite stehen, und er würde Monsieur Rochefort wieder nach Frankreich zurückholen, um dort in Sicherheit Zeugnis wieder die Medici-Königin ablegen zu können.
Die Stute schlief weiter. Ihre Flanke fühlte sich warm an meiner Stirn an. Ich richtete mich wieder auf.
Ich muss mit Sully sprechen! Er wird das Attentat als den größten Verrat betrachten: Wie konnte ausgerechnet sein Mann das Heinrich antun? Ich musste ihm verständlich machen, dass es keine Absicht gewesen war, dass das Attentat hatte scheitern sollen, dass nur purer Zufall dazu geführt hatte, dass es überhaupt eine Chance auf Erfolg gehabt hatte. Ich würde jedwede Strafe annehmen, die das für mich mit sich brachte, aber ich würde ihn nicht glauben lassen, dass ich ihn verraten hatte.
Die Laterne flackerte, verlosch und ließ mich in der Dunkelheit zurück. Ich konnte meine Hand nicht mehr vor Augen sehen. Vorsichtig tastete ich mich wieder in den Hof hinaus. Im trüben Sternenlicht konnte ich wenigstens die verschlossenen Fensterläden, den dunklen Giebel und den Wassertrog erkennen. Eine Zeit lang setzte ich mich auf den Rand des Troges, der in der kalten Luft weiß von Reif war. Die Kälte drang durch meinen spanischen Mantel, durch mein Wams und durch mein Leinenhemd hindurch.
Soll sie ruhig, dachte ich. Wenn mein Leib mich verriet, konnte ich ihn bestrafen. Vielleicht würde er dann in Zukunft nicht mehr so leidenschaftlich sein.
Allein schon bei dem Gedanken an Monsieur Dariole wurde mir wieder ein wenig warm, und mein Fleisch zuckte. Es war eine Qual. Ich mochte den jungen Mann ja von ganzem Herzen hassen, aber der Schwanz eines Mannes lässt sich nicht so leicht beherrschen.
Wenn das Wahnsinn ist, so lässt es sich einfach beheben: Tote Jungen haben keine Freunde und keine Liebhaber.
Die Zeit verstrich unendlich langsam. Schließlich dämmerte es am Horizont. Reif glitzerte auf den Grasbüscheln, die zwischen den Pflastersteinen wuchsen, und die ersten Vögel sangen am Himmel. Ich fühlte mich vollkommen abgespannt und hörte die Diener im Gasthof rumoren. Der letzte Rest Branntwein brannte mir im Mund.
Ich warf die Flasche quer über den Hof und verschränkte die Hände, als könne ich so das Leben wiederfinden, das mir durch die Finger geronnen war. Mein Fleisch war blau und weiß vor Kälte. Als ich die Lederhandschuhe über die steifen Gelenke zog, zuckte ich unwillkürlich vor Schmerz zusammen und fluchte über meine eigene Dummheit: Ein Duellant ließ seine Hände niemals kalt und steif werden.
Langsam wurde es heller. Ich roch Essen aus der Küche. Ich kehrte wieder in den Stall zurück, um mir ein sauberes Hemd aus meiner Satteltasche zu holen und lehnte mich kurz an die Heuballen.
Eine Hand voll Stroh traf mich mitten ins Gesicht.
Ich stöhnte, setzte mich auf und erkannte, dass ich mich hingelegt hatte. Ich musste bei dem Versuch eingeschlafen sein, mein Wams von der Hose zu lösen. Dem Licht nach zu urteilen, hatte ich jedoch nicht länger als eine drei viertel Stunde hier gelegen.
Dariole grinste mich an. Er stand neben dem Falben und klopfte sich Stroh vom Wams. »Gut geschlafen, Messire? Ich ja.«
Wortlos stand ich auf, ging aus dem Stall und tauchte den Kopf in den Wassertrog.
Als ich mir die nassen Haare aus dem Gesicht strich, den Kopf schüttelte und leise vor mich hin fluchte, sah ich, dass Monsieur Dariole mir gefolgt war. Er lehnte am Stalltor, die Arme vor der Brust verschränkt und die Lippen fest aufeinander gepresst, als müsse er ein Lächeln unterdrücken.
»Ich hätte Euch ja zum Frühstück geweckt, Messire Rochefort, aber Ihr habt so friedlich ausgesehen.«
Sowohl mein Dolch als auch mein Rapier hatten sich beim Schlafen in meine Seite gedrückt; das spürte ich. Ich fragte mich, ob ich nicht nur von einer Hand voll Stroh geweckt worden wäre, hätte ich sie vorher abgelegt.
»Hört mir zu«, verkündete ich grimmig. »Die Männer, die uns verfolgen, suchen nach einem Mann, nicht nach zweien. Deshalb habe ich auch beschlossen, Euch vorerst am Leben zu lassen. Von nun an werden wir als junger Edelmann mit Begleitung reisen – als Onkel und Neffe wäre wohl ganz gut.«
Dariole zog die Mundwinkel hoch. »Ist das kein Inzest?«
Ich ignorierte seinen Spott. »Ich habe den Wirt befragt. Wie ich gehofft habe, gibt es im Norden ein paar Fischerdörfer an der Küste. Wenn wir uns beeilen, werden wir in weniger als einer Woche dort sein. Einmal auf See könnte ich sonstwohin gehen, ohne dass meine Verfolger es wissen. Gehen wir dann wieder an Land, brauchen wir einander nicht mehr.«
Dariole legte den Finger unter dem Hut an die Stirn. Im Morgenlicht wirkte seine Haut so glatt und geschmeidig wie die eines Mädchens. »Was habe ich hier stehen, Messire? ›Idiot‹? Ich weiß, dass Ihr mich töten müsst. Ihr könnt mich nicht zurücklassen, damit sie nicht aus mir herausbekommen, was ich weiß. Und ich habe mir schon eine Menge zusammengereimt.«
Ich musterte sein Gesicht. Verachtung und Freude mischten sich dort zu gleichen Teilen. Er nahm den Gedanken an seinen eigenen Tod nicht ernst, das konnte ich deutlich sehen.
Ich schickte mich an, in den Stall zurückzukehren, und er trat vom Tor weg, um ein paar Schritt Abstand zwischen uns zu halten. Nein, er war kein Idiot. Aber musste ausgerechnet jetzt einer jener seltenen Augenblicke sein, da dieser aufgekratzte junge Kerl den Verstand walten ließ?
»Messire Dariole, Ihr wollt den endgültigen Beweis, wer von uns der Bessere mit dem Schwert ist. Wartet damit, bis wir an die Küste kommen«, sagte ich zu ihm. »Dort werden wir unser letztes Duell ausfechten. Wenn ich gewinne, seid Ihr tot und Euer Schweigen gesichert. Gewinnt Ihr, dann haben weder der Duc de Sully noch die Königin noch etwas von mir zu befürchten. Klingt das fair?«
Er schaute mich auf eine Art an, die tatsächlich an Ernsthaftigkeit grenzte. Fast instinktiv strich er mit den Fingern über das Heft seines Rapiers. Er nickte knapp.
Ich ging, um die Stute zu satteln.
Monsieur Dariole ist noch jung, dachte ich. Zwar muss ich ihm seine Tapferkeit zu Gute halten, aber er ist und bleibt ein Narr.
Ich streichelte den geschwungenen Hals der andalusischen Stute. Eine ihrer Qualitäten war ihr auf den ersten Blick nicht anzusehen: Ich hatte sie als Jagdpferd ausgebildet, und so hatte sie keinerlei Probleme damit, wenn in unmittelbarer Nähe eine Waffe abgefeuert wurde.
Ja, wir werden ein Duell austragen, bevor ich nach England segele, dachte ich und blickte zu Monsieur Dariole, der ebenfalls aufsattelte.
Oder besser gesagt, wir werden an einen abgeschiedenen Ort reiten, und wenn wir absteigen, um die Schwerter zu ziehen, werde ich zwei geladene Pistolen bereit haben. Die werde ich beim Absteigen ziehen und Monsieur Dariole über den Hals der Stute hinweg erschießen.