Rochefort: Memoiren
Zehn

Sie war sofort wieder auf den Beinen, kreischte und spie. Ihre Kleider trieften von einer bösartigen braungelben Flüssigkeit, und Pissetropfen flogen durch die Luft, als sie sich schüttelte.

»Cochon! Hundeficker …« Letzteres sagte sie in schlechtem Englisch, und wieder spie und prustete sie. Das Zeug an ihrem Leib war wirklich ekelhaft.

Stahl blitzte auf.

Der dürre Diener warf Rapier und Dolch sorglos neben Dariole in den Dreck.

Die drei Männer gingen wieder zum Haus der Markhams, traten ein und schlossen die Tür hinter sich.

Dariole schlurfte vorwärts und rutschte aus. Erneut rappelte sie sich auf und rannte über die Straße. Ich hörte ihre Stiefel durch den Dreck platschen. Sie schlug mit dem Dolchknauf gegen die Tür und schrie unzusammenhängendes Zeug. Dass sie ihr Rapier auf dem Boden hatte liegen lassen, verriet mir, wie nah sie der Hysterie wirklich war.

Sie wirkte geradezu winzig vor der großen Tür. Ich beobachtete, wie sie dagegen hämmerte. Mademoiselle Dariole: über und über mit Schleim bedeckt. Ihr Leinenwams war braun vom Saum bis zum Kragen, und ihre venezianische Hose war vollkommen durchnässt und klebte an ihren Beinen.

Selbst von hier kann ich riechen, wie sehr sie stinkt.

Der Morgenregen hatte den Straßenkanal zu einem Fluss anschwellen lassen, einem Fluss voll unidentifizierbarer, fester Klumpen, vielleicht so tief, wie der Arm eines Mannes lang ist. Mademoiselle Dariole war von Kopf bis Fuß voll Scheiße. Spritzer flogen aus ihrem nassen Haar, während sie schrie und weiter auf die Tür eindrosch.

Kurz öffnete sich ein Fenster über ihrem Kopf, und begleitet von einem lauten, männlichen Lachen ergoss sich der Inhalt eines Nachttopfes auf die Pflastersteine.

Sie werden wieder herauskommen und sie zum Schweigen bringen.

Ich beobachtete, wie sie vor Wut in Tränen ausbrach. Ist es wirklich so leicht, sie fertig zu machen?, fragte ich mich. Und warum habe ich das selbst nicht gekonnt?

Ihr Hut lag im Dreck. Ein kräftiger Tritt hatte ihn unwiderruflich aus der Form gebracht. Das Schwert steckte vergessen im Schlamm. Es wird rasch poliert werden müssen, wenn es nicht rosten soll.

Saburo rückte den Stoffgürtel unter seinem Mantel zurecht. Ich schüttelte den Kopf.

»Wartet.«

»Auf was?«

Darauf, dass ich mich an dem Spektakel sattgesehen habe. Natürlich sagte ich das nicht laut. Der Nihonese blickte mich aus den Augenwinkeln heraus an.

»Es werden Männer kommen und uns sehen«, protestierte er.

Ich war mir bei weitem nicht sicher, ob er das wirklich gerade gedacht hatte. Allerdings sah ich tatsächlich zwei Lehrlinge an der Straßenecke stehen bleiben und zu dem über und über mit Scheiße beschmierten Jüngling blicken, der wie von Sinnen gegen eine Tür hämmerte. Und London verfügte über eine Stadtwache.

»Giri«, bemerkte Saburo mit rauer Stimme und setzte sich in Bewegung.

Pflicht? Ehre? Irgendetwas in der Art bedeutete das wohl. Wie es scheint, ist er niemand, der seine Schulden vergisst. Ich hielt kurz inne, unschlüssig, was ich tun sollte.

Wenn er ein, zwei Köpfe abschlägt, erregen wir peinlich viel Aufmerksamkeit …

Dariole schlug mit der flachen linken Hand auf die schwere Tür, so hart, dass es wehtun musste. Nasse Handabdrücke blieben auf dem Holz zurück. In der rechten hielt sie noch immer den Dolch, dessen Knauf inzwischen Dellen in der Maserung hinterlassen hatte. Mit gebrochener Stimme rief sie: »Aufmachen! Macht die verdammte Tür auf!«

Ihr Englisch hatte sie vergessen. Sie rief in wütendem Französisch und noch dazu im miesesten Pariser Dialekt. Die Tränen rannen ihr über die Wangen; sie hatte vollkommen die Beherrschung und alle Würde verloren.

Ich lächelte schief.

In Wahrheit war es so, wie sie gesagt hatte: Ich hätte die Nachtstunden auf der St Willibrod nutzen sollen, um ihr und Saburo die Kehlen durchzuschneiden und sie über Bord zu werfen.

Doch da ich das nun einmal nicht getan hatte …

Dank meiner längeren Schritte hatte ich Saburo sofort eingeholt. »Holt ihr Schwert.«

Er zog die Augenbrauen zusammen. Einen Augenblick lang glaubte ich, ein Duell ausfechten zu müssen. Dann presste er die Lippen aufeinander und nickte knapp. Während er sich nach dem Rapier in der Scheiße bückte, ging ich zu Dariole.

Ich packte die Hand mit dem Dolch und zog ihre Knöchel über das Holz. Die Waffe fiel ihr aus der Hand. Ich überließ sie Saburo. Dann drehte ich Dariole den Arm auf den Rücken, packte mit dem anderen Arm ihren triefendnassen Leib und hob sie hoch.

Sie schrie: »Wage es ja nicht!«

Ich veränderte meinen Griff, sodass ich mit einem Arm ihre beiden Arme an den Leib drücken und mit dem anderen die Knie halten konnte. Ich hatte das Gefühl, als hielte ich einen Sack mit Aalen in den Armen. »Dariole! Mademoiselle …!«

Sie erschlaffte. Fast schien sie in Ohnmacht gefallen zu sein, nur dass ich ihren schnellen Atem an meiner Brust spürte.

Saburo kehrte wieder zu mir zurück. Angewidert hatte er die verdreckten Waffen in seinem Mantel verborgen – in meinem Mantel, um genauer zu sein. Ich marschierte strammen Schrittes davon und nahm Seitenstraße auf Seitenstraße, um schnell genug von neugierigen Blicken wegzukommen.

Warum? Warum in Gottes Namen mache ich das alles eigentlich?

Beunruhigend war jedoch, dass Messire Saburo mein Handeln keineswegs in Frage stellte.

Instinktiv wandte ich mich in Richtung Süden durch die verschlungenen Gassen zur Themse. Ich blickte auf Arcadie-Fleurimonde-Henriette de Montargis de la Roncière in meinen Armen. Sie war ein heißes, nasses, schweres Bündel. Ihr trocknendes Haar hätte genauso gut mit einfachem Schlamm verklebt sein können, wäre da nicht der Übelkeit erregende Gestank gewesen. Gelbbraune Exkremente waren durch ihr Wams gedrungen – und durch meins.

Die ganze Vorderseite meines roten Samtwamses, das ich eigentlich angezogen hatte, um bei Darioles englischen Verwandten einen guten Eindruck zu hinterlassen, war voller Scheiße. Auch meine Manschetten und der Kragen waren verdreckt, und wo sie mit dem Kopf auf meiner Brust lag, bekam ich auch Scheiße in die Haare.

Sie konnte sich nicht bewegen, so fest hielt ich sie, aber sie versuchte es auch gar nicht. Sie hatte den Kopf nach vorn gelegt, sodass ich nicht sehen konnte, ob sie weinte oder nicht. Ihr Atem fühlte sich matt an.

Natürlich könnte ich mich jetzt an ihrem Leid weiden.

Die Scheide baumelte leer an ihrem Wehrgehänge, an zwei Stellen gebrochen. Nur die Lederumhüllung hielt sie noch zusammen. Ich warf einen Blick zu Saburo, der neben mir ging. Er hielt Darioles Rapier und Dolch in der Hand.

»Kitsune«, grunzte er. »Ihr hättet sie nicht allein lassen sollen.«

»Unsinn!«

Dariole schien nichts von alledem mitzubekommen. Ihr schwaches Zittern verriet mir, dass sie vollkommen in der Demütigung verloren war. Und ich machte mir nicht die Mühe, über die Wirkung nachzudenken, die die Worte des Samurais auf mich hatten. Jetzt halte ich sie in meinen Armen.

Der Gestank ließ mich würgen. Fliegen schwirrten um mich herum. Sie waren früh dran, und sie hatten richtig gerochen. Die Frühlingssonne brachte den Gestank der Scheiße deutlich hervor. Ich spürte, wie die junge Frau plötzlich in meinen Armen schauderte. Schmerz? Scham? Oder war sie einfach nur wütend darüber, von Monsieur Rochefort getragen zu werden, ohne etwas dagegen tun zu können?

»Gibt es hier öffentliche Badehäuser?«, erkundigte sich Saburo.

»Nicht innerhalb der Stadt – jedenfalls nicht mehr, seit die Syphilis sich so weit verbreitet hat.«

Das Gesicht des Nihonesen mochte ja fremd sein, doch seine Abscheu war ihm mehr als deutlich anzusehen. »Wo waschen wir uns dann?«

Vor uns erhoben sich die Dächer nicht mehr so dicht beieinander. Es freute mich, dass mein Orientierungssinn mich nicht im Stich gelassen hatte, zumal ich zum letzten Mal gut sechs Jahre zuvor in London gewesen war.

»Dort.« Ich sah eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern und dahinter das Glitzern von Wasser. »Der Fluss.«

Saburo grunzte wieder. »Wenn ihre Verwandten sie abweisen, hat sie das Recht, wütend zu sein. Es jedoch so zu zeigen … Das ist die Dummheit der Jugend.«

Die hic mulier war nicht leicht in meinen Armen. Ich verstärkte meinen Griff, als ich sie durch die Gasse trug.

Saburo fügte hinzu: »Ein weiser Mann würde schweigen – und heute Nacht wieder zurückkehren, das Haus niederbrennen und nicht erwischt werden.«

Wieder fiel mir diese unvorhersehbare Mischung aus Ehrgefühl und Pragmatismus auf, die ihm zueigen war. Aus Gewohnheit und Müdigkeit sprach ich Französisch, aber das war wohl auch ganz gut so. »Irgendwo weit, weit im Osten gibt es ein ganzes Land mit Männern wie dir … Gütiger Gott!«

Wir erreichten das Flussufer. Ein alter Kai war fast völlig zusammengebrochen und in den Fluss gestürzt. Stützbalken ragten aus dem Wasser zwischen dem, was von dem Steg noch übrig war. Fische schossen dicht unter der Wasseroberfläche vorbei. Ich sah sie durch die zerbrochenen Bretter hindurch, als ich auf den Kai hinausging.

»Verzeiht mir, Mademoiselle.« Mein Herz schlug gegen meine Rippen, als ich mich so an sie wandte; ich vermochte nicht zu sagen, woher diese plötzliche Sorge kam.

Mit belegter Stimme murmelte sie: »Leck mich, Rochefort.«

Sie war ein träges Gewicht in meinen Armen, nass, verdreckt, und sie sonderte einen schier unglaublichen Gestank ab. Ihr Kopf blieb von mir abgewandt. Ich wusste nicht, ob sie zum Fluss blickte, zu den Booten, den Häusern. Breitbeinig stellte ich mich auf den zerstörten Kai und nutzte meine Kraft, um Mademoiselle Dariole über den Fluss zu halten.

Dann ließ ich los.

Sie fiel wie ein Stein.

»Rochefort …!«

Ich wandte mich von dem Platschen und Fluchen ab. Allein ihre Lautstärke verriet mir schon, dass sie schwimmen konnte.

Wir befanden uns an einem verlassenen Seitenarm, der zwischen den umliegenden Gebäuden vom Hauptstrom verborgen lag. Ich nutzte die Gelegenheit, um mein Wams auszuziehen wie auch meine Manschetten und den Kragen und zu sehen, ob ich das Leinen wieder säubern konnte. Das Holz, auf dem ich kniete, war kühl. Der Mann aus Japan saß auf eine Art auf den Fersen, die schmerzhaft aussah. Mit nach wie vor angewidertem Gesicht machte er sich daran, Darioles Waffen im Fluss zu reinigen. Das kam mir für solch einen kräftigen Soldaten irgendwie weibisch vor. Kein Mann liebt Scheiße, aber kein Mann kann den Kontakt mit ihr vermeiden.

Das Mannweib zog sich aus dem Fluss und setzte sich angekleidet und triefendnass auf die Bretter am Ende des Stegs. Wasser sammelte sich um sie herum. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Entfernung zu ihr abschätzte, als wäre sie bewaffnet und auf Rache aus. Die Erinnerung an Zaton schmerzte mich noch immer.

Aber nicht mehr so sehr wie bisher. Warum?

Dariole zog die Stiefel aus und wusch sie im Fluss. Ein vorbeikommender Kahnfahrer blickte in ihre Richtung und rief etwas in unverständlichem Englisch. Sie ignorierte den Tonfall. Ich beobachtete, wie sie das Wehrgehänge mitsamt der zerbrochenen Scheide auszog und dann rasch die gut vierzig Knöpfe an der Vorderseite ihres hellen Wamses öffnete.

Ich bemerkte, dass ich wie erstarrt war und nicht länger meine Kleider säuberte. Die Erinnerung an den Stall in Ivry kehrte derart lebendig wieder zurück, dass mir schwindelig wurde. Ihre warme Haut an meiner, die straffen Muskeln darunter, ihr heißer, enger, schmutzig-nasser Arsch …

Mademoiselle Dariole zog Wams und Hose aus und warf sie auf einen Haufen. Der Maiwind war kalt. Sie rieb sich die Arme. Und dann zog sie das Hemd über den Kopf.

Die Männerunterhose war noch immer an ihrer Hüfte zugebunden und bedeckte ihren Unterleib bis hin zum Knie. Die Sonne strahlte hell auf ihrem blassen Fleisch. Die Rundungen ihrer Hüfte, die schmale Taille, alles mit der sanften Fülle der Jugend … Ihre Brüste waren klein und rund mit kleinen braunrosa Warzen. Auch sie besaßen die Festigkeit der Jugend, bevor Kindsgeburt sie erschlaffen ließ.

Sofort ließ das Verlangen meinen Schwanz steif werden.

Dariole grinste breit genug, dass man ihre weißen Zähne sehen konnte. Dann sprang sie auf und glitt kopfüber ins Wasser.

Ich fuhr fort, mein Wams und meine Hose zu waschen, und nutzte das, um mein lüsternes Fleisch so zu drehen, dass man es nicht sofort sehen konnte.

»Solches Verhalten kenne ich nicht«, bemerkte Saburo und nickte zu der blassen, jungen Frau, die wie ein Delfin durchs Wasser tollte. »Die Gaijin in Japan schämen sich für ihre nackten Körper.«

»Es wird als Sünde betrachtet.« Ich beendete das Waschen und kam zu dem Schluss, dass meine Sachen nur noch für den Lumpensammler taugten. Ruhiger, als ich mich fühlte, sagte ich: »Sie will damit provozieren, Messire. Ignoriert sie einfach.«

Die junge Frau schwamm wieder zum Steg zurück und hielt sich mit den Händen an den Brettern fest. Alles außer ihrem Kopf und den Armen war unter Wasser, und ihr nasses, nach hinten liegendes Haar ließ sie wie einen Otter aussehen. Sie prustete, als wäre ihr kalt. Dann nickte sie zu dem Haufen mit ihren Kleidern und drehte sich zu mir um.

»Wascht das bitte, ja, Messire? Schließlich seid Ihr derjenige, der den Diener spielt.«

Ich stand auf.

Ich konnte nicht anders, als in das klare Wasser nach unten zu starren.

Der Grund des Flusses bestand aus ockerfarbenem Kies. Zwischen ihm und der Wasseroberfläche befand sich Dariole, ihr Körper im Wasser leicht verzerrt und ihre Haut unnatürlich weiß, doch ihr nackter Oberkörper war deutlich zu erkennen. Der Anblick ihrer festen Brüste ließ mich daran denken, wie kalt und nass ihr Fleisch sein würde, wenn sie den Fluss wieder verließ, und wie groß und warm meine Hände sich wohl anfühlen würden, wenn ich sie um ihren Busen legte.

Ich hätte sie einfach so aus dem Wasser ziehen und ficken können.

Mit einem Ausdruck jungenhafter Kameraderie blickte sie zu mir hoch. Ich war nicht sicher, ob da ein Funkeln in ihren Augen war oder nicht. Mannweib oder weibischer Kerl …

»Ich dachte, Ihr mögt keine Mädchen, Messire.«

Ihr neckischer Tonfall war unverkennbar. Saburo schien sich nicht um uns zu kümmern, zumal wir Französisch sprachen. Unentschlossen starrte ich einen Augenblick lang einfach nur nach unten.

In übertrieben weinerlichem Tonfall sagte sie: »Mir ist kalt, Messire.«

Verlegen drehte ich mich um und ging zu ihren Kleidern. Zuerst warf ich ihr das verhältnismäßig trockene Leinenhemd zu, dass sie vom Hals bis zu den Knien verhüllen würde.

Unmöglich! Nein, das ist unmöglich, dachte ich. Es kann doch nicht mein Wunsch sein, ihr die Verlegenheit zu ersparen!

Nur ein Waschhaus und ein fähiger Schneider würden ihre Kleider retten können. Ich öffnete mein Gepäck und suchte nach dem Wams, das ich eigentlich Saburo hatte leihen wollen – hätte er sich nicht aus unerfindlichen Gründen geweigert, es zu tragen –, sowie die Wollhose, die sie sich schon in Ivry von mir geborgt hatte. Als ich die Wolle berührte, konnte ich nicht anders, als mich an das Gefühl ihrer Haut auf meiner zu erinnern.

So ausdruckslos wie möglich ging ich zurück, um ihr meine Ersatzkleider zu geben, und schaute zu, wie sie sich anzog. Mit dem Hemd am Leib wirkte sie wieder einigermaßen anständig; aber die viel zu große Wollhose und mein Wams machten sie zu einer Witzfigur vom Jahrmarkt. Der Kragen reichte ihr bis zu den Ohren und die Ärmel bis zu den Fingernägeln.

»Da passe ich ja dreimal rein«, knurrte sie.

»Gott verhüte, dass es Euch mehr als einmal gibt, Mademoiselle«, sagte ich. »Aber Gott weiß, dass eine von Euch mehr als genügt.«

Sie öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern, schloss ihn dann jedoch wieder und schaute mich seltsam an. »Habt Ihr da etwa gerade einen Scherz gemacht? Messire Rochefort hat einen Scherz gemacht?«

Ohne weiteren Kommentar packte ich meine Sachen wieder zusammen.

»Lasst uns hoffen«, sagte ich zu Saburo, »dass wir noch genug Geld haben, um uns mit einem Kahn auf die andere Flussseite, nach Southwark übersetzen zu lassen.«

Er nickte. Dariole begann, hinter mir zu singen. Die Ereignisse der vergangenen Stunde hatte sie offenbar schon vergessen: die Demütigung ebenso wie die Tatsache, dass sie wie ein Kind geweint hatte.

Unmöglich, wiederholte ich für mich selbst und schloss die Riemen meiner Satteltaschen.

Körperlich mag ich mich ja in sie vernarrt haben, aber mehr auch nicht. Eifersucht beweist gar nichts!

Und nun, da du gesehen hast, wie sie misshandelt und gedemütigt worden ist?, fragte eine Stimme in meinem Geist.

Du hast dich so darüber gefreut, so sehr darüber gefreut … und dann wieder nicht. Warst du nicht bereit, auf einen hämischen Kommentar dazu zu verzichten, als wärst du ihr Kamerad und nicht ihr Feind?

Bei diesem Gedanken hockte ich mich unwillkürlich hin, die Hände auf den Satteltaschen und das Themsepanorama vor meinen nicht sehenden Augen. Wenn ich vor gut zwei Wochen in Paris gesehen hätte, wie sie ähnlich behandelt worden wäre …

Ich hätte das gnadenlos gegen sie ausgenutzt. Ich hätte sie damit verspottet, bis ihr keine andere Wahl geblieben wäre, als das Schwert zu ziehen. Doch nun tat ich es nicht … schlimmer noch: Mir war noch nicht einmal der Gedanke daran gekommen. Wie konnte das sein?

Ihr Gewicht in meinen Armen. Nass, stinkend und ungeschützt. Dank all des Drecks eine äußerst unangenehme Erfahrung. Doch seit ich sie gehalten hatte, seit ich sie auf meinen Armen getragen hatte und sie ganz von meiner Stärke abhängig gewesen war …

Gütiger Gott. Mein Hass hatte die Kraft verloren.

Die Kirchenuhren schlugen die Stunde, während wir uns säuberten und so gut es ging wieder zurechtmachten. Ich brachte es einfach nicht fertig, mit ihr zu sprechen. Und wenn es nicht zu vermeiden war, ließ ich es so klingen, als richte sich die Bemerkung auch an Monsieur Saburo.

Du benimmst dich, als wärst du noch grün hinter den Ohren!, tadelte mich die Stimme in meinem Kopf. Sie gehörte jenem Teil von mir, der die Heuchelei der Menschen klar durchschaute.

Eine Stunde vor Mittag traf ich den Entschluss aufzubrechen. Wir gingen am Pier des Seitenarms entlang und bezahlten einen Flussschiffer, um uns auf die andere Seite zu bringen. Dariole hatte mein Wams nicht an der Hose festgeknöpft. Sie trug es darüber und hatte den Gürtel darumgeschnallt. Sie sah noch immer wie ein kleiner Junge in Männerkleidern aus, als sie die Treppe von St Mary Overy betrat, nicht weit entfernt vom Bear Garden.

Du Narr!, dachte ich und wandte mich von ihr ab. Ich versuchte, mich auf das zu konzentrieren, was ich bei meinem letzten Besuch in England über Southwark gelernt hatte. Wo konnte ein Mann wohl unterkommen, ohne die Aufmerksamkeit der Behörden zu erregen?

Wir waren schon ein gutes Stück weit gekommen, und ich wusste nicht mehr so recht, wo wir eigentlich waren, als ein schlecht gekleideter Mann zu Pferd uns zubrüllte: »Macht Platz!«

Sein graues Pferd drehte sich auf der schmalen Straße. Ich trat zur Seite und wurde so mehrere Schritt von Monsieur Saburo und Mademoiselle Dariole getrennt.

Die anderen Passanten stießen gegen mich, atmeten mir ins Gesicht und drückten mich gegen die Wand eines Gebäudes. Das Gebäude ähnelte einem Turm mit seinen glatten Wänden; nur war es deutlich breiter und eckig anstatt rund. Die Engländer nennen so etwas ein ›Schauspielhaus‹. Um ein echtes Theater zu bauen, fehlt ihnen schlicht der Kunstverstand.

Ich blickte über die Köpfe der Menge hinweg und sah, wie Dariole und der Samurai von den Menschen enger zueinander gedrängt wurden.

Als ich versuchte, zu ihnen zu gelangen, geriet ich in einen Strom von Menschen, die in das Schauspielhaus drängten. Der Zufall wollte es jedoch, dass ein weiterer fluchender Reiter auf einer braunen Stute mich ein, zwei Schritt zurückdrängte.

Eine Frau in Blau trat hinter der Theatermauer hervor und vor mich.

Sofort hatte ich die Hand am Dolch; für das Rapier war es in der Menge viel zu eng. In meinem Leben habe ich schon alle möglichen Arten von Huren gesehen. Diese englische Hure war ungefähr so alt wie ich. Die ist nun wirklich nicht mehr voll im Saft. Vermutlich dient sie nur noch als Ablenkung für einen Beutelschneider.

Sie sagte etwas. Ich ließ meinen Blick über die Männer und Frauen schweifen, die mir am nächsten waren.

So leise, dass ich sie in dem allgemeinen Geplapper kaum hören konnte, sagte sie: »Ich würde gerne mit Euch sprechen, Monsieur Rochefort.«

Habe ich da gerade gehört, wie …

Ihr Kleid und ihr Mieder waren in dem für das einfache Bürgertum typischen Blau gefärbt. Schwarzes Haar lugte aus ihrer Haube hervor, das an den Schläfen bereits grau wurde, und ihre Haut war so blass, wie es typisch für einen Iren ist. Ich blickte ihr in die Augen. Ich hatte blaue erwartet, doch sie waren dunkelbraun. Ich legte den Dolch in die linke Hand und die rechte auf das Heft meines Schwertes.

»Mit wem wollt Ihr sprechen?«, entgegnete ich in gespielt verwirrtem Ton, während ich mir gleichzeitig aufmerksam die Männer in der Umgebung anschaute.

»Mein Name ist Aemilia Lanier, und Ihr seid Valentin Raoul Rochefort.« Ihr Französisch war recht passabel. »Macht Euch keine Sorgen, Monsieur. Ich komme nicht von Königin Maria.«

Ich trat zur Seite und wirbelte herum, so weit ich konnte … und ein Holzknüppel traf mich auf die Schulter und betäubte meinen rechten Arm bis in die Fingerspitzen. Meine Hand glitt vom Schwert.

Im selben Augenblick wurde ich von einem zweiten Knüppel auf den Kopf getroffen, unmittelbar hinter dem Ohr, und ein weiterer Mann packte meine Hand und nahm mir den Dolch aus den Fingern.

»Es hat funktioniert!«, rief eine Männerstimme neben mir. Er klang erstaunt. »So ein großer Mann, aber schaut ihn euch jetzt nur an!«

Ich verlor nicht das Bewusstsein, doch die Kraft wich aus meinen Beinen. Zwei oder drei Männer packten mich unter den Armen und um den Leib, und die Frau in Blau – Lanier? Ich kenne diesen Namen nicht – nickte zufrieden und ging davon. Benommen taumelte ich im Griff der Männer fort von dem Schauspielhaus und in die schmalen Straßen der Bankside.

Ich bin es gewohnt, ein Mann der Gewalt zu sein, der jenseits der Welt existiert, in der Gewalt normalerweise nicht vorkommt. Die beiden Männer, die mich nun stützten wie einen Betrunkenen, und die drei hinter ihnen sahen jedoch ganz und gar nicht wie Straßenschläger oder Duellanten aus – eher wie Ladenbesitzer, dachte ich benommen. Und die Frau? Als Frau eines Kaufmanns gab sie vermutlich eine bessere Figur ab denn als Hure! Was ging hier vor?

Der Schlag hinter mein Ohr war gut gezielt gewesen. Ich schluckte das Verlangen hinunter, mich zu übergeben, das für gewöhnlich mit Kopfverletzungen einhergeht.

Pech, dachte ich benommen. Und Glück im Unglück: Das sind keine berufsmäßigen Räuber und Diebe!

Ich habe in meinen Hut einen Stahlring eingearbeitet, der den Hut verstärkt und fast die Funktion eines Helmes erfüllt. Ohne Zweifel war das von einem Mann erfunden worden, dem man einmal zu viel auf den Kopf geschlagen hatte. Natürlich hilft das nichts, wenn man unterhalb der Hutkrempe getroffen wird.

Ich stolperte mehr, als notwendig war, und wartete auf eine Gelegenheit, mich loszureißen. Es mag seltsam erscheinen, dass ich nicht besorgter oder überraschter war. Der Vorteil eines großen, kräftigen Leibes besteht darin, dass man eine Menge Prügel einstecken kann, wenn man nicht gerade ins Gesicht, auf die Hände oder an den Eiern getroffen wird. Ich wusste, dass ich viel Schaden einstecken konnte.

Aber wie auch immer: Ist ein Mann erst einmal gefangen, kann man ihn auf eine Art behandeln, die ihm nicht gefällt. Ich wankte in die eine und stolperte in die andere Richtung, während ich auf eine Gelegenheit wartete, den beiden Männern die Schädel zusammenzuschlagen und zu fliehen. Sie waren dumm genug gewesen, mir mein Schwert zu lassen. Ich konnte es ziehen und mir fast im selben Augenblick meinen Dolch zurückholen, und dann würde es nichts geben, mit dem ich nicht zurechtkommen konnte – auch wenn sie allesamt englische Rapiere und Breitschwerter am Gürtel trugen.

Aber die Frau kennt meinen Namen.

Ich ließ den Kopf hängen und blickte auf die neue Straße hinunter, durch die sie mich schleppten. In Southwark führt nur an wenigen Stellen mehr als eine Straße am Fluss entlang. Südlich davon erstreckt sich offenes Weideland.

Werden Mademoiselle Dariole und Monsieur Saburo dort warten, wo wir uns zuletzt gesehen haben?

Ich stolperte über ein Loch im Pflaster. Warum denke ich zuerst an sie beide? An Dariole?

Wir entfernten uns wieder von dem offenen Land und kamen auf eine geschäftigere Straße, die von Nord nach Süd verlief.

Der jüngere der beiden Männer, die mich hielten, hob den Blick, als suche er nach einer Landmarke, und verpasste mir mit überraschender Kraft einen Schlag in die Rippen.

Ich schnappte nach Luft. Es ist ein wahrhaft furchtbares Gefühl, atmen zu wollen, und es nicht zu können. Ich konnte nicht mehr klar sehen. Ich weiß nicht, wie weit wir noch gegangen sind. Meine Füße schleiften hinter mir her.

Schließlich ließen sie mich fallen.

Ich landete auf Gras, wie ich durch die Handschuhe fühlte. Nasses Gras, das vom Regen der vergangenen Nacht noch nicht getrocknet war. Es roch nach Frühling, und ich lag auf allen vieren …

Mein Blick klärte sich wieder. Niemand hielt mich davon ab, mich wieder aufzurappeln. Die Männer hatten sich zurückgezogen, wie ich bemerkte, als ich mich dümmlich umschaute.

Hecken umschlossen einen Rasen. Ein Teil davon war geschnitten, ein anderer nicht. Ein Mann stand mir gegenüber, die Hände auf etwas, was ein marmorner Grabstein hätte sein können; dann sah ich, dass es sich um eine Sonnenuhr handelte. Der Gnomon war dunkel von Grünspan.

Der blonde Mann hob den Blick vom Gnomon in exakt demselben Augenblick, da ich ihm ins Gesicht schaute.

»François Ravaillac ist tot.« Für einen Gelehrten klang seine Stimme ungewöhnlich voll. Sein Bart war nach englischer Mode kurzgeschnitten, und seine blauen Augen fixierten mich.

»Ihr seid Monsieur Valentin Raoul Rochefort, obwohl das nicht Euer vollständiger Name ist, und Ihr seid der Mann, der den König von Frankreich ermordet hat und damit durchgekommen ist.«

Ich starrte ihn an.

»Ich werde nicht zulassen, dass Ihr mir verweigert, um was ich Euch nun bitten werde«, sagte er und nahm die Hände von der marmornen Sonnenuhr. Er war vielleicht ein paar Jahre jünger als ich – Mitte Dreißig vielleicht –, doch er trug die Gelehrtenrobe eines alten Mannes.

Lächelnd blickte er mir ins Gesicht. »Ich bin Robert Fludd, und Ihr seid Valentin Rochefort. Ihr habt bereits einen König erfolgreich ermordet, und jetzt möchte ich, dass Ihr die Ermordung eines weiteren arrangiert.«