Rochefort: Memoiren
Vierzehn
»Mademoiselle … Monsieur Dariole.« Ich korrigierte mich ihrer Kleidung entsprechend. »Ihr seid weniger … weniger auffällig als Monsieur Saburo oder ich. Würde es Euch etwas ausmachen, meine Börse zu nehmen und uns eine entsprechende Unterkunft zu suchen? Ich nehme an, dass auch Ihr keine weitere Nacht auf dem kalten Kirchhof verbringen wollt.«
Sie hatte das Wehrgehänge vollständig angelegt. »Ihr habt Geld? Und das wollt Ihr mir anvertrauen? Messire, seid Ihr sicher, dass Ihr nicht im Mondlicht geschlafen habt?«
»Ich habe zwischen viel zu vielen Flöhen geschlafen, Mademoiselle, selbst für Southwark, und deshalb hätte ich gerne eine neue Unterkunft.« Und wer weiß schon, wie schnell Fludd von dieser Unterkunft erfahren wird? »Aber wenn Ihr nicht wollt …«
Sie zeigte mir ihre Zähne. »Oh, ich bin durchaus bereit, mir Euer Geld zu nehmen.«
Ich tat so, als würde ich die Börse nur widerwillig vom Gürtel nehmen und ihr geben. Sie enthielt nicht mehr als ein Viertel dessen, was Robert Fludd mir gegeben hatte. Den Rest hatte ich gleichmäßig auf meine Stiefel, meine Wamsfutter und die Seiden- und Lederhandschuhe verteilt, die ich extra zu diesem Zweck gekauft hatte.
»Nennt uns einfach einen Ort, den Ihr hier kennt«, sagte ich, »damit wir uns später dort treffen können.«
Dariole zuckte mit den Schultern – eine Bewegung, die sowohl ihre Gefühle ausdrückte, als auch das Wehrgehänge zurechtrückte. Sie steckte die Börse in die Brust ihres – oder besser meines scharlachroten Wamses.
»Eines der Speisehäuser oben bei den Bullenkämpfen. Ich bin halbverhungert. Ich werde Euch schon finden!«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte über das nasse Gras des Kirchhofs. Saburo machte ein knurrendes Geräusch, das ich nicht deuten konnte. Seine seltsamen schwarzen Augen wanderten von ihr zu mir.
»Rochefort-san.« Saburo hatte meinen richtigen Namen benutzt, wie er es schon auf dem Schiff einmal getan hatte. »Verschwörung. Verrat. Ihr und ich, wir müssen reden, Ronin. Es ist nicht so einfach, wie … wie Ihr es vor Dari-oru-sama klingen lasst.«
»Es ist ganz und gar nicht einfach«, pflichtete ich ihm bei, »und ich wäre gerne weg von der Straße, bevor ich mit Euch darüber rede. Kommt.«
Wir – oder besser, ich – aßen das Tagesgericht in dem Speisehaus, das der Bullenkampfarena am nächsten gelegen war. Wie bei allen englischen Gerichten fragte ich mich, ob sie schlicht die Überreste des unterlegenen Tieres zu einem Eintopf verarbeitet hatten.
»Meine Angelegenheit ist inzwischen dringend geworden, Roshfu-san. Ich darf nicht eher ruhen, bis ich mit Kaiser-König James gesprochen habe.« Saburos Aussprache des Namens war inzwischen wenigstens erkennbar. Ich hätte gewünscht, es wäre anders gewesen. Zum Glück sprach er als Möchtegern-Gesandter. Hoffentlich besaß er auch genügend Verstand, nicht von Verschwörung zu reden, während wir Ellbogen an Ellbogen mit anderen Gästen saßen.
Saburo erklärte unvermittelt: »Ich schwöre! Ich werde weder essen, schlafen noch baden, bevor ich mich nicht vor diesem König auf den Boden geworfen und mich bei ihm im Namen des Shogun Hidetada entschuldigt habe.«
Ein wenig verblüfft blickte ich von dem Essen auf. »Ich würde auf solch übereilte Schwüre verzichten, wenn ich an Eurer Stelle wäre, Monsieur. Wenn das letzte Mal, da ich hier war, typisch ist, dann kann es einige Zeit dauern, eine Audienz beim König zu bekommen. Vielleicht ist er ja noch nicht einmal in London. Der Hof könnte genauso gut in Newmarket oder Hatfield sein.«
Saburos Gesichtsausdruck war wieder einmal nicht zu deuten. »Dann werde ich essen und schlafen, da ich den Kaiser ja lebend erreichen muss.«
Untröstlich stocherte er in den Überresten seines Essens herum, und da er nichts zu seiner Zufriedenheit fand, nahm er sich schließlich ein Stück Brot.
»Ich werde jedoch nicht baden«, verkündete er. »Das ist mein Schwur. Ich werde stinken wie ein Gaijin.«
Er konnte so viele fremdartige Schwüre leisten, wie er wollte, doch ich war nicht bereit, ihm gewisse Ungenauigkeiten durchgehen zu lassen.
Ich ignorierte die Blicke der Engländer am Tisch und sagte steif, aber leise: »Ihr werdet herausfinden, dass Franzosen nicht stinken. Was diese Engländer betrifft, so habt Ihr jedoch Recht. Sie stinken. Aber sie sind ja auch Barbaren.«
»Ihr Männer und Frauen von Franz esst Fleisch.« Saburo zuckte mit den breiten Schultern. »Ihr stinkt wie ein Friedhof toter Tiere.«
Möglicherweise nahm ich ihm noch immer übel, dass er auf den Friedhof so überstürzt blankgezogen hatte; auf jeden Fall legte ich meine Hand an den Dolch. »Ich stinke nicht!«
»Doch, das tut Ihr, und Dari-oru-sama auch.« Er brach das Brot entzwei und roch an der Kruste. »Das beleidigt eine zivilisierte Nase. In meinem Land essen wir Fleisch nur aus medizinischen Gründen. Etwas Brühe, wenn wir krank sind. Als ich zum ersten Mal Gaijin gesehen habe, habe ich geglaubt, ihr wärt ständig krank, weil ihr so viel Fleisch esst.«
Ein Mann weiter den langen Tisch hinunter lachte. Ich hielt Saburos Worte für lächerlich genug, dass ich glaubte, den Dolch wieder loslassen zu können, ohne meine Ehre zu verlieren. Ich nahm die Gelegenheit jedoch war, mich von den Einheimischen beleidigt zu zeigen und mit Saburo an den am weitesten entfernt gelegenen Tisch zu gehen. Ich wies den Schankburschen an, uns Bier zu bringen. Dem Wenigen nach zu urteilen, was ich in dem allgemeinen Lärm von den Gesprächen der anderen Gäste mitbekam, hielt ich es für sicher zu sprechen.
»Und Ihr wascht Euch nie!« Tanaka Saburo betrachtete den mit Pech abgedichteten Lederbecher wie eine Hofdame eine Laus. »Roshfu-san, ich will hier fertig werden. Diese Stadt ist schmutzig. Ich kann den Gestank nicht ertragen. Er macht mich krank.«
»London dreht auch mir den Magen ein wenig um«, räumte ich ein, als ich mich neben den Samurai auf die Bank setzte und das Schwert an meiner Seite zurechtrückte. In einem respektableren Etablissement hätte ich mein sächsisches Rapier ausgezogen und neben die Tür gehängt. Ich bezweifele, dass ich es wiedersehen würde, sollte ich das hier tun. »Auch wenn Paris nicht viel besser ist … Nun, jeder Mann bevorzugt seinen eigenen Gestank. Und jetzt, Messire Saburo …«
»Ihr seid mein Ronin.« Plötzlich lächelte er breit. »Mein shinobi, ne?«
»Euer was?«
»Shinobi-no-momo – geheimer Attentäter!« Als ich ihm widersprechen wollte, wurde er wieder ernst. »Aber Roshfu-san, man hat Euch nun angeheuert, den Mann zu töten, den zu sehen ich gekommen bin.«
»Ich bin nicht angeheuert worden«, erwiderte ich grimmig, »und ich habe nicht die geringste Absicht, mich mit dieser Verschwörung von Narren auseinander zu setzen, dessen könnt Ihr versichert sein! König James' Sekretär kann gerne alle Informationen über Fludd und dessen Mitverschwörer haben, über die ich verfüge, und der Sache ein Ende bereiten.«
Saburo grunzte nachdenklich. »Hidetada hat mich zu diesem König geschickt, nicht in ein Land … ein Land des Krieges, Kriege um die Nachfolge.«
Ich dachte an das Meer im Süden und daran, was jenseits davon lag: Frankreich.
»Wie auch immer«, fügte Saburo hinzu. »Wenn Ihr das doch tun müsst, Roshfu-san, dann rate ich Euch, ihn nur zu verstümmeln. Tötet den König nicht. Blendet ihn, oder verstümmelt ihn auf andere Art und schickt ihn in irgendein Kloster. Auf diese Art könnt Ihr den alten König wieder auf den Thron setzen, wenn sein Sohn sich als Narr erweist.«
Ich trank einen Schluck des dünnen, bitteren Biers – ein Gebräu passend zum englischen Charakter.
»Ich glaube nicht, dass sie in diesem heidnischen Land Klöster haben«, sagte ich, nachdem ich mich wieder gefasst hatte. »Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass die Verschwörer ihr Ziel aus irgendeinem Grund am Leben lassen würden. Ich nehme an, in Nihon ist das anders.«
Er nickte. »Man weiß nie, wie ein Mann ist, bevor er nicht Kaiser oder Shogun ist. Deshalb ist es gut eine … Alternative zu haben.«
Es könnte durchaus möglich sein, Maria di Medici in ein Kloster außerhalb Frankreichs zu schicken, dachte ich, falls der Rat der Regenten sich als unwillig erweisen sollte, die Königin hinzurichten. Was mich betrifft, so würde mich ihr Exil freuen, wenn auch nicht so sehr wie ihr Tod.
»In jedem Fall werde ich mich nicht an Fludds Verschwörung beteiligen«, wiederholte ich für den Fall, dass Saburo mich nicht richtig verstanden hatte. »Ich habe … andere Dinge in London zu tun.«
Ich fühlte die übliche Anspannung, die entsteht, wenn man nicht weiß, ob man einem Fremden zur Gänze vertrauen kann, egal wie gut man glaubt, ihn zu kennen. Das ist die Krux des Spions. In solchen Augenblicken habe ich mir schon oft gewünscht, ich könnte den Menschen in die Herzen blicken – oder zumindest ihre zukünftigen Taten sehen.
Wenn ich könnte, was dieser Fludd vorgibt zu tun können …
»Ihr müsst erst tun, was Ihr geschworen habt … Ihr seid mein Ronin!« Saburo funkelte mich an. Das säuerliche Bier ließ er unberührt. »Sonst muss ich denken, dass kein namban Ehre besitzt.«
Von den unterschiedlichen Begriffen für Europäer spie er diesen auf eine Art aus, die deutlich machte, dass es sich um eine Beleidigung handelte. Ich hielt ihn für viel zu reif, um wie ein jugendlicher Duellant vor seinem ersten Kampf zu prahlen, doch irgendetwas schien ihn tief zu berühren. Und obwohl ich eine gewisse Neugier entwickelt hatte, was seinen Kampfstil betraf, und mich fragte, wie ich die Fehler darin herausfinden konnte … Das ist nicht der rechte Morgen, um einen Kampf um seiner selbst willen zu beginnen.
»Ihr habt mich als Führer angeheuert«, sagte ich in sanftem Ton. »Ist es nicht das, was ein ›Ronin‹ ist? Ein Führer? Ich bin bereit, Euch an den Hof zu helfen. Es gibt nur einige Dinge, die ich zuerst regeln muss.« Dann fügte ich leicht scherzhaft hinzu: »Und ich möchte Euch daran erinnern, dass Ihr mich noch nicht bezahlt habt.«
Saburos Augen waren dunkel und strahlten in dem niedrigen Raum. Er sprach, und die Ernsthaftigkeit seines Tonfalls erstaunte mich.
»Ich habe Euch auf Euer Ehrenwort hin angeheuert, wie es üblich ist! Ihr seid ein schlechter Ronin, Roshfu-san. Wenn ich Euch nicht für einen verrückten Gaijin halten würde und für einen Ronin, der sich noch zum Guten entwickeln wird, würde ich auf der Stelle an den Anghrazi-Hof gehen und Euch beim ersten Beamten, der mir über den Weg läuft, als Mörder aus Franz benennen.«
Mon Dieu!, dachte ich grimmig. Mein Freund, ich habe Euch sowohl über- als auch unterschätzt.
Wenn ich Euch wieder als normalen Mann betrachten kann, wird mein Urteilsvermögen vielleicht zu mir zurückkehren.
Er fügte hinzu: »Ihr seid nicht loyal!«
Ich muss gestehen, dass ich kurz davor stand, mein Rapier zu ziehen, ganz kurz davor, und damit würde ich einem Mann ebenso leicht den Kopf nehmen können wie mit dem östlichen Säbel.
»Ich bin loyal. Ich bin Sullys Mann!«, spie ich.
Die Ironie dessen – der Mörder von Sullys König beteuert seine Treue zu Sully – nahm mir den Zorn, noch während ich sprach. Wieder ruhiger hob ich die leere Hand, Handfläche nach außen.
»Lasst uns nicht streiten, Messire.«
Saburo zog die dichten Augenbrauen zusammen. »Ich bin der, der dient! ›Samurai‹! Und Ihr auch. Ihr seid ein Diener.«
Unglauben machte mich sprachlos. Außer, »Ich bin kein Diener!«, bekam ich nichts heraus.
»Ihr dient Eurem Herrn, ich diene meinem. Ihr seid mein Ronin, der Samurai, den ich angeheuert habe. Ihr kümmert Euch zuerst um meine Dinge!«
»Das war mir in der Normandie nicht klar.« Ich trank erneut einen Schluck und blickte zu Saburo hinunter. »Es ist nicht überraschend, dass wir einander nicht richtig verstehen, Monsieur. Ich bin … Ich bin bereit, mich an die Abmachung zu halten, von der ich geglaubt habe, sie getroffen zu haben, wenn Euch das zufrieden stellt.«
Ihm blieb keine andere Wahl, wenn er einen Verbündeten in England haben wollte, und es ist meine Gewohnheit, mir keinen Feind zu machen, wo ich einen Verbündeten haben kann – es sei denn, es ist vorteilhaft für mich.
Saburo blickte mir herausfordernd in die Augen. »Ihr habt einen Eid des Vertrauens geschworen, Roshfu-san.«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe lediglich eingewilligt …«
Er legte die Hand auf das mit Seide umwickelte Heft seiner seltsamen Kattanklinge.
»Das Schwert ist der Atem des Samurai. Nein, nicht Atem … Seele. Das habe ich Dari-oru-sama auf dem Schiff erklärt. Ihr habt bei Eurer Seele das Vertrauen zwischen uns beschworen, Ronin und Herr. Ich habe auf das Schwert geschworen.«
»Habt Ihr?« Trotz der Situation war ich auf gewisse Weise amüsiert. »Aber dann müsste ich ja auch auf irgendetwas geschworen haben; aber ich habe nichts. Ich bin schon viel zu lange ein entehrter Ehrenmann, als dass ich von irgendjemandem erwarten würde, mich beim Wort zu nehmen.«
Das erwartete ich von niemandem, nur von einem, und der war in Frankreich, vielleicht in Paris, vielleicht aber auch in irgendeiner der Provinzen. Vielleicht war er aber auch tot und musste gerächt werden.
»Mein Schwert ist nicht meine Seele«, schloss ich höhnisch. »Hier ist das Zeitalter der Ritter schon lange vorbei.«
Er hob die Schultern und stieß nach kurzer Zeit eine Mischung aus Grunzen und resigniertem Seufzen aus.
»Roshfu-san. Ihr werdet tun, was Ihr gesagt habt. Auch wenn Ihr in Franz nicht geschworen habt, so habt Ihr mir doch ein Verreden gegeben.«
»Ein ›Versprechen‹«, korrigierte ich den Nihonesen. Ich war überrascht, verbarg es jedoch. »Ich habe Euch ein Versprechen gegeben.«
Ich nehme an, in der Normandie und auf der Reise seitdem hatte er in der Tat einen sehr untypischen Eindruck von Valentin Raoul Rochefort bekommen.
Saburo funkelte mich an. »Ihr habt mir Euer Versprechen gegeben, Euer Wort. Ihr seid mein Ronin. Ihr habt mich hierher gebracht. Ich schulde Euch ein halbes Pferd.«
Unerwartet brach sich ein Lachen aus meinem Bauch Bahn. Ich lehnte mich zurück. »Ein halbes Pferd?«
Hätte er nicht diese seltsamen Augen und solch ein fremdartiges, rundes Gesicht gehabt, hätte ich zu meiner eigenen Zufriedenheit wohl bestätigen können, dass er ebenfalls amüsiert war.
»Nun denn!« Ich zuckte mit den Schultern. »Ja, ich habe Euch mein Wort gegeben, auch wenn ich nicht gewusst habe wozu.«
Kurz überkam mich eine angenehme Melancholie, die jedoch rasch wieder verschwand. Als ich noch ein Junge war, hatte ich jedes Mal ein großes Spektakel gemacht, wenn es um mein Wort ging; ich wäre eher gestorben, als dass ich es gebrochen hätte. Tatsächlich hatte ich aus diesem Grund mehrere unsinnige Duelle ausgefochten. Aus Melancholie wurde Bitterkeit, als ich daran dachte, wie einfach das damals gewesen war, und wie bedauerlich es ist, dass mir das Leben als Spion gezeigt hat, wie lächerlich solche Dinge sind. Leere Worte, mehr nicht. Ich bin Sullys Mann. Ich werde Monsieur Saburo sofort verraten, sollte es notwendig sein.
»Wie es aussieht, haben wir beide vor unseren Herrn versagt«, bemerkte ich leise. »Egal wie unvermeidlich es auch gewesen sein mag. Und beide arbeiten wir daran, es wieder gutzumachen.«
Tanaka Saburo nickte. »Hai. Aber dieser Mann, der den König töten will, ist nicht so wichtig wie der Auftrag, dass ich an den englischen Hof gehe.«
»Lasst mich offen zu Euch sein, Messire Samurai.« Ich schaute mich um, ob jemand uns zuhörte. »Dann werdet Ihr verstehen, warum dieser … dieser Astrologe, dieser Beschwörer … Fludd und seine Verschwörung eine armselige, dumme Angelegenheit sind, aber dennoch eine Gefahr darstellen, vielleicht für uns alle. Zunächst einmal kennt er Euren Namen und den von Mademoiselle de la Roncière …«
»Umbringen!«, unterbrach mich der Samurai.
»Das habe ich versucht«, erwiderte ich trocken und ignorierte den Schmerz in meinem Bauch bei der Erinnerung an Fludd mit einem Schwert. »Was auch immer er über das Okkulte wissen mag oder nicht, ich – ich! – war nicht in der Lage, ihn mit einem Schwert zu töten.«
Im Schatten der Kapuze meines Mantels hob Saburo die dichten schwarzen Augenbrauen, die sein Gesicht beherrschten. Er wirkte interessiert. »Er ist ein kami?«
»›Kami‹?«
»Ein Geist. Einen kami kann man nicht töten.«
»Ah. Nein. Es gibt aber sicherlich eine Möglichkeit, ihn zu einem Geist zu machen«, sagte ich. Ich schob die Nervosität beiseite, welche die Gedanken an Fludd hervorriefen, und winkte dem Schankburschen, mir noch Bier zu bringen; guter Wein war ein Mythos in diesem unzivilisierten Land. Als der Becher wieder gefüllt war, wandte ich mich erneut an Saburo.
»Über welches Wissen er auch immer verfügen mag, ich werde mich von diesem Pockenarzt Fludd nicht von dem abhalten lassen, was ich tun muss. Mein Herr schwebt noch immer in Gefahr. Meine Briefe sind vielleicht verloren oder nie angekommen. Oder er traut mir nicht mehr … Vielleicht glaubt er sogar, dass ich Maignan aus dem Haus geschafft und umgebracht habe! Er hat ja keinen Beweis dafür, dass sich noch immer ein Mörder in seinem Haus befindet und nur auf ein Zeichen wartet, dass er ihn umbringen soll. Es gibt Gründe, die dafür sprechen, dass dieses Zeichen in Bälde kommt. Ich beabsichtige, dies zu verhindern und seinen Feind zu Fall zu bringen.«
»Den Feind seines Herrn zu töten, ist gut.« Saburo nickte knapp. »Wegzurennen ist unehrenhaft, selbst vor einem kami.«
In jüngeren Jahren hätte ich an dieser Äußerung Anstoß genommen. Nun waren die Beulen und Wunden jedoch noch frisch, die mir Abrahams Männer beigebracht hatten, und ich fühlte mich nicht geneigt, Saburo zu widersprechen.
Trocken sagte ich: »Ich bin ›weggerannt‹, weil dieser Doktor Fludd weit mehr weiß, als er wissen sollte – woher auch immer. Und ich muss meinem Herrn alle Informationen übermitteln, die ich besitze, damit er sie nutzen kann, bevor es zu spät ist.«
Saburo blickte wieder in den Becher und steckte den Finger hinein, um das Bier zu probieren. »Ah? Dann bleibt Ihr in London?«
»Das ist die Frage. Messire Saburo, ich werde nicht weiterkommen, bevor ich keine genauen Informationen darüber habe, was daheim vor sich geht – in ›Franz‹. Ich bin von den anderen Agenten abgeschnitten, aber hier kenne ich mehr Männer in einflussreichen Positionen als in jedem anderen Land außerhalb meines eigenen. Auch wenn es unklug ist, diese Männer direkt anzusprechen.«
»Hai!« Er versuchte zu trinken, ohne den Lederbecher zu berühren. Als er bemerkte, dass ich ihn befremdet beobachtete, hob er die breiten Schultern. »Toter Tierbecher.«
Leder, erkannte ich nach kurzer Verwirrung. »Ja. In gewissem Sinne könnte man das wohl so nennen …«
Er wischte sich über den nassen Mund. In der Mitte des Raums wurden die Gespräche mal lauter, mal leiser. Bänke kratzten über den Boden, und eine neue Wolke Essensgeruch strömte aus der Küche, als der Koch die Klappe öffnete.
»Jetzt zum Wesentlichen. Diese Männer von Macht hier … Ihr wollt also, dass ich zu diesen Leuten gehe.« Die Stimme des Samurai wurde tiefer und leiser. »Seit diesem Ort in Franz glaube ich, dass das Schicksal will, dass wir zusammen sind. Ich werde Euch helfen und tun, was Ihr von mir wollt. Nur eine Bedingung: Ich muss den englischen Kaiser sehen. Ihr müsst … mich retten, sollte man mich einsperren, oder dafür sorgen, dass ich seppuku begehen kann, bevor ich hingerichtet werde.«
Ich erinnerte mich an den Begriff. Er hatte ihn schon einmal am Strand der Normandie benutzt. Jetzt glaubte ich, ihn zu verstehen. »Ihr wollt Euch selbst töten?«
Er legte den Kopf zur Seite und suchte offenbar in seiner Erinnerung nach den richtigen Worten. »Meine Zeit ist … geborgt. Ich bin gestorben, als das Schiff gesunken ist. Mir bleibt nur, den Kaiser-König hier um Verzeihung für mein Versagen zu bitten und nach Hause zurückzukehren, um dort Bericht zu erstatten. Wenn ich Glück habe, wird Shogun Hidetada mir gestatten, mich zu töten.«
»Solche Stimmungen kommen immer, wenn man versagt …« Ich zuckte mit den Schultern, trank einen Schluck und machte eine weit ausholende Geste. »Sie sind allen Männern eigen, aber sie gehen vorbei, Messire, sie gehen vorbei. Und dann muss man etwas tun, man muss handeln.«
Er grunzte auf eine – wie ich glaubte – aggressive Art. »Für Gaijin ist der Tod keine Ehre?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Der Tod in der Schlacht ist etwas für Gentlemen, die zu dumm sind zu überleben, und ein ehrenhafter Tod beim Duell ist jenen vorbehalten, die nicht genug können, um den Kampf zu gewinnen.«
Nach kurzem Schweigen sagte er: »Was, Rochefort-san?«
»Nichts. Nur ein Gedanke.«
Jene, die nicht genug können … oder die einem Mann gegenüberstehen, der jede Bewegung vorhersagen kann.
Ich blickte zu dem Mann neben mir, in sein fremdes Leinen gewickelt und mit guter spanischer Wolle darüber. Ein Scharlatan konnte vorhersagen, was er wollte, ohne jemanden wirklich damit zu beeindrucken. Doch die Erinnerung an Fludds Timing und wie er mir das Schwert abgenommen hatte …
»Zweimal hat Fludd nun gegen mich gekämpft. Einmal er selbst, dann seine Mietlinge. Und … Und diese Kämpfe haben tatsächlich so geendet, wie er vorausgesagt hat.«
»Schwertkami?«, grunzte Saburo. »Tengu?«
»›Tengu‹?«
Saburo wedelte mit der Hand. »Egal. Ich bin ein Verbündeter. Ihr auch. Und als Verbündete, was müssen wir da tun?«
Mit gedämpfter Stimme sagte ich: »Es ist nicht klug, Cecil oder irgendwem sonst am englischen Hof offen mein Gesicht zu zeigen. Jemand könnte sich an meinen letzten Besuch hier erinnern. Königin Maria muss noch immer nach mir suchen – nicht nur in Frankreich, sondern auch außerhalb –, auch wenn sie mich lieber vergessen würde. Es gibt noch d'Epernon als Zeugen sowie des Vernyes und Bazanez, falls sie noch leben. Man wird nicht zulassen, dass sie einen Zeugen ignoriert, besonders nicht wenn der Mörder unter der Folter meinen Namen nennt. Sie muss mich töten.«
Saburo neigte den Kopf zur Seite und stieß ein Grunzen aus, das je nach Zusammenhang – soviel hatte ich inzwischen herausgefunden – ›ja‹, ›nein‹ oder ›vielleicht‹ bedeutete.
Ich fuhr fort: »Dank meiner Erfahrung kann ich Euch erklären, wie Ihr als Gesandter am englischen Hof auftreten solltet, wen es zu bestechen gilt …«
»Bestechen?«
Ich blickte ihn spöttisch an. »Nähert man sich den Edelleuten an Eurem Hof, ohne ihnen Geschenke zu geben?«
»Ah. Geschenke. Das ist höflich.«
Ich nickte. »In Robert Fludds Börse sollte noch ein wenig Höflichkeit übrig sein, genug, um Euch in eine Position zu bringen, wo Ihr eine Audienz beim König bekommen werdet. Das ist nicht leicht, da Ihr im Gegensatz zu Sully damals über keinerlei diplomatische Papiere verfügt, aber es ist machbar. Ihr wiederum müsst nichts weiter für mich tun, als einen Brief an den Minister mitzunehmen, den Ihr vorher werdet sehen müssen: Robert Cecil.«
»Robuta Seso? Seso-sama?«
»Cecil!«
»Das habe ich doch gesagt. Spion-Seso?«
Mir war das Lächeln vergangen. »Ja, der Spion-Cecil. Ich werde Euch alles erläutern, was ich über Master Fludds Verschwörung weiß, und Minister Cecil kann dann damit machen, was er will. Auch hoffe ich, auf diese Art die Antwort auf einige Fragen zu erhalten, die ich ihm schreiben werde, und die er Euch mündlich geben kann.«
»Und mein Kopf? Wird der abgeschlagen?« Saburo machte eine Bewegung mit der Hand, die mir verriet, dass er zumindest einmal in seinem Leben Zeuge einer Hinrichtung gewesen war.
»Unwahrscheinlich.« Ich setzte meinen Becher ab und blickte hinein. Es war besser, den Nihonesen zu beobachten, ohne es allzu offensichtlich zu machen. »Aber es könnte eine gewisse Gefahr bestehen; das ist wahr.«
Ihm könnten Verlies und Folter drohen, sollte bekanntwerden, dass er sich mit einem Meuchelmörder eingelassen hatte. Aber ich glaube nicht, dass ich hier schon bekannt bin.
Ich sagte: »Solltet Ihr auch nur halb so klug sein, wie ich glaube, werdet Ihr keinerlei Schwierigkeiten haben, den unwissenden Fremden zu spielen, wenn Ihr den Brief aushändigt – einen Brief, dessen Sprache Ihr ja noch nicht einmal lesen könnt.«
Saburo schaute mich auf eine mir unverständliche Art an, und ich wusste nicht zu sagen, ob er an mir zweifelte oder ob er mir schlicht demonstrieren wollte, wie unwissend er dreinblicken konnte.
»Wenn ich einen Brief mitnehme, will ich wissen, was in ihm steht.« In seiner Stimme lag etwas, was ich nicht deuten konnte. »Ich bin allein hier, Roshfu-san. Nehmen wir einmal an, Ihr wärt in Edo, und ich würde Euch einen Brief an einen Minister des Shoguns geben. Dann würde ich Euch sagen, es gehe um eine Verschwörung, aber sonst nichts! Ich würde Euch weder sagen, ob der Minister glauben würde, dass Ihr in die Verschwörung verstrickt seid, noch ob in dem Brief steht, dass man Euch hinrichten soll. Jetzt erzählt Ihr mir von diesem namban Doktor. Schreibt den Brief, lasst ihn unversiegelt, und ich werde ihn nehmen und nachdenken.«
Sein wettergegerbtes Gesicht war entschlossen. »Nun …«, erwiderte ich. »Das kann ich Euch wohl kaum zum Vorwurf machen, nehme ich an. Es wäre allerdings besser für Euch, wenn Ihr bestimmte Dinge nicht wissen würdet.«
»Ich werde es niemandem erzählen, den ich kenne.«
Was auch immer ich für eine Reaktion erwartet haben mochte, doch dass er sich auf die Schenkel schlug und so laut auflachte, dass kurz alle Gespräche im Speisesaal zum Erliegen kamen, damit hatte ich nicht gerechnet. Köpfe drehten sich in unsere Richtung, und ich konnte nur froh sein, darauf bestanden zu haben, dass er die Kapuze anbehielt.
»Ihr habt nur einen Verbündeten in diesem Land«, sagte ich in leicht bissigem Tonfall. »Legt es nicht darauf an, dass er verhaftet wird.«
Saburo lehnte sich zurück und verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Zwei Verbündete, Rochefort-san. Euch und die Lady-sama.« Er hielt kurz inne. »Ihr habt sie weggeschickt, bevor Ihr mir diese Dinge erzählt.« Ich ging auf den Themenwechsel ein. Vermutlich wollte er sich so nur Zeit verschaffen, um darüber nachzudenken, ob er zu Cecil gehen würde oder nicht. »Ich betrachte sie an sich schon als Gefahr, besonders in der Gesellschaft von … in der Gesellschaft, in der sie sich befindet. Fügt dem noch Fludd und seine ›Verschwörung‹ hinzu … Es ist besser, sie durch die Bankside streifen und spielen zu lassen, als Schlimmeres heraufzubeschwören?«
»Hilft Dari-oru nicht beim Kämpfen?«
Ich fragte mich, ob er sie wirklich als Frau betrachtete. Irritiert antwortete ich: »Sie ist immerhin eine Frau, Messire Saburo, und noch dazu eine sehr junge. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist ein hitzköpfiger Jüngling, der blind in den nächstbesten Kampf stürmt – zumal dieser Jüngling ja auch noch ein Mädchen ist. Messire, wenn ich den Brief schreibe und ihn Euch unversiegelt gebe, um ihn später in Eurer Gegenwart zu versiegeln, würdet Ihr dann einwilligen, ihn an den Hof zu bringen?«
Saburo musste sich in England geradezu schrecklich isoliert vorkommen. Seine Kameraden waren tot, und jeder Engländer, der ihn sah, würde ihn vermutlich für eine Missgeburt halten oder einen Narren nach Art der Zwerge am spanischen Königshof. In diesem Land würde er keinen Jesuiten finden, dem Nihon vertraut war. Das erklärte womöglich auch sein grimmiges Gesicht. Ich dachte darüber nach, wie ich die Angelegenheit so regeln konnte, dass es uns beiden zugute kam.
»Ich habe keine gute Verhandlungsposition«, begann ich und lächelte schwach. »Selbst ein Hauptmann der hashagar, der kein Spion ist, kann eines voraussehen: Mit Euch als Freund statt als Feind verbessert sich meine Position drastisch. Ich habe allen Grund, Euch dankbar dafür zu sein, dass Ihr in Frankreich an unserer Seite gekämpft habt. Ihr wiederum habt allen Grund dankbar dafür zu sein, dass wir Euch das Leben gerettet haben. Auch wenn wir einander nicht mehr vertrauen, als es bei vernünftigen Männern üblich ist, können wir im Augenblick als Verbündete agieren. Deshalb ist es im Moment sehr wahrscheinlich, dass ich Euch an den englischen Hof helfen werde, egal ob Ihr mir meine Bitte nun erfüllt oder nicht.«
»Ich werde Euren Brief nehmen.«
Hätte er ein europäisches Gesicht besessen, hätte ich in ihm nach seinen Motiven suchen können. Ich hätte gewusst, ob er froh war, dass ich ihm diese Entscheidungsmöglichkeit eingeräumt hatte, sodass sein Stolz keinen Schaden nahm.
Er hob den Blick.
Eine schmale Gestalt stieß gegen die Bank und den Tisch und warf sich neben den Samurai.
Mademoiselle Dariole war voller Straßenstaub und hatte wunde Füße, was vermutlich daher rührte, dass sie sämtliche Speisehäuser zwischen Falcon Stairs und London Bridge abgesucht hatte. Ich hatte dieses Etablissement nicht nur gewählt, weil es nahe an den Bärenarenen lag, sondern auch weil es nicht sonderlich auffällig oder stark besucht war.
»Ganz ruhig«, sagte ich in fröhlichem Tonfall. »Ihr hättet uns auch gar nicht finden können …«
Dariole warf mir einen Blick zu, der ein Bleiglasfenster zum Schmelzen gebracht hätte, und legte die Stiefel auf den Tisch. »Ich find's nett hier!«
Ihre Reitstiefel waren staubig. Plötzlich musste ich lachen, als ich erkannte, dass wir alle drei nicht mit dem Rücken zur Tür sitzen wollten – nicht Duellant, nicht Hauptmann der Infanterie, nicht Spion.
Wie drei Krähen auf einem, Zaun.
Dariole wischte sich über die Stirn, leerte Saburos noch fast vollen Becher Bier und sagte: »Ich habe eine Unterkunft gefunden. Das hat mich weniger Zeit gekostet, als Euch zu finden. Weshalb seid ihr beiden so ernst?«
Der Nihonese stieß wieder einmal ein Grunzen aus, das ich nicht zu interpretieren vermochte. Bevor ich ihn unter dem Tisch treten konnte – auch wenn ihn das wohl nicht davon abgehalten hätte, meine Geheimnisse zu verraten –, meldete er sich zu Wort.
»Ich habe Roshfu-san gesagt, dass er ein schlimmer Mann ist. Er tut seine Ehrenpflicht nicht, und die Ehre verlangt, dass er augenblicklich seppuku begeht, da er eine Gefahr für seinen Herrn darstellt.«
Saburo deutete auf mein Rapier.
»Damit. Oder mit einem Dolch wie eine Frau. Tötet Euch selbst, Roshfu. Das ist das Beste, was Ihr tun könnt.«
»Mich töten …?« Ich konnte weder meine Augenbrauen noch meine Stimme davon abhalten, sich zu heben.
Dariole grölte.
Soweit ich es beurteilen konnte, meinte Saburo es todernst. »Ihr seid eine Gefahr für den Herrn, dem Ihr die Treue geschworen habt. Wenn Ihr tot seid, wer kann dann noch die Verbindung zwischen Euch, ihm und dem Mord beweisen? Niemand! Das ist, was ich sage. Nehmt Euch ehrenhaft das Leben. So jetzt wie möglich!«
»›So schnell wie möglich‹«, korrigierte ich ihn instinktiv. Ich wusste nicht, woran ich war. Er hatte hervorragend von Mademoiselle Darioles Frage abgelenkt, und doch schien er es vollkommen ernst zu meinen.
Ich schüttelte den Kopf. »Diese Lösung ist mir ein wenig zu drastisch, als dass ich darüber nachdenken will, Messire! Und außerdem, auch wenn das Messire de Sully entlasten würde, würde es ihm nicht helfen, seine alte Stellung wiederzuerlangen, sollte er noch immer in der Bastille sein …«
Bevor Dariole mich unterbrechen konnte, fügte ich an sie gewandt hinzu: »Bringt uns zu dieser Unterkunft. Wir könnten ein wenig Privatsphäre gebrauchen.«
Damit verließen wir das Speisehaus und traten in die stickige Mittagsluft hinaus. Wir drängten uns durch die Menge und gingen schließlich eine schmale Nebenstraße hinunter zu einem dreistöckigen Haus in ähnlichem Stil wie dem in More Gate, nur älter und in weit schlechterem Zustand. Als ich Saburo und Mademoiselle Dariole die dunkle Treppe ins Haus hinauf folgte, kam mir der Gedanke, dass wir eigentlich ganz gut miteinander zurechtkamen, obwohl wir uns in einer Sprache unterhielten, die keinem von uns in die Wiege gelegt worden war. Portugiesisch sollten wir im Augenblick ohnehin lieber meiden. Zu viele Engländer neigten dazu, es als Spanisch misszuverstehen, und dann würde man uns als Spione oder Verräter aufhängen.
Dariole betrat die Zimmer vor mir. »Ihr könnt die Miete bezahlen, wenn sie das nächste Mal fällig ist, Messire! Ich will verdammt sein, wenn ich auch nur noch eine Nacht in dem Schuppen verbringen muss.«
»Ohne Zweifel werdet Ihr verdammt sein«, erwiderte ich auf Französisch. Ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie schon mit solch einem Kommentar gerechnet hatte. Sie lachte, und das empfand ich als seltsam angenehm.
Ich blieb stehen und schnüffelte.
Ich bemerkte den Gestank und ein lautes Bellen und Knurren vor dem Haus.
Ich ging zu einem der Fenster. Von dort konnte ich in den Hinterhof sehen. Er war von einer Art Pferdeställe umgeben, wenn sie denn nicht so klein gewesen wären. Wilder Lärm hallte aus ihnen heraus, und es stank nach Exkrementen.
»Mademoiselle Dariole!«, protestierte ich.
»Die Zimmer sind nicht ohne Grund so billig, Rochefort.« Sie gesellte sich zu mir ans Fenster und blickte ebenfalls in den großen Hof hinunter. »Niemand will ein Quartier am Dead Man's Place mieten.«
Als ich sie daraufhin nur verständnislos anschaute, deutete sie in Richtung Bear Garden, dessen reetgedecktes Dach jenseits der Hecken und Bäume zu sehen war, die den Hof begrenzten.
»Diese Hunde sind für die Bärenhatz, Messire. Das hier sind ihre Zwinger. Wenn ich schon Euer Geld ausgebe, dann bitte günstig!«
Ihre Spöttelei ging an mir vorbei. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich Eis im Bauch.
»Ihr werdet mit den Hunden schlafen, bis es an der Zeit ist, dass wir uns wiedersehen.«
Das war kein Satz, wie er der nachlassenden Erinnerung eines Mannes entspringt. Ich hatte ihn schwarz auf weiß auf einem verdreckten Stück Papier, das ich in meiner Börse mit mir trug. Mit den Hunden.
»Robert Fludd.« Ich sprach seinen Namen laut aus.
Das Mannweib runzelte die Stirn, während der Samurai sich pflichtbewusst nichts anmerken ließ. Seiner Selbstbeherrschung konnte ich zumindest vertrauen, schloss ich.
»Es ist äußerst schwer, sich vorzustellen, wie jemand eine Zufallsbegegnung durch ein auf Grund gelaufenes Schiff wie Eures herbeiführen will«, sagte ich. »Deshalb habe ich Euch auch nie verdächtigt, Fludds Verbündeter zu sein. Aber Dariole …«
»Fludd?«, verlangte Dariole scheinbar amüsiert zu wissen.
»Ich habe Euch seinen Namen genannt. Dieser Astrologe und Verschwörer, der König James ermorden will.«
Falls sie nicht auf Kommando erröten konnte, war ihr verärgertes Gesicht wohl echt. Ich sah ihr in die weit auseinander stehenden Augen. Doch ich bin niemand, der einen festen Blick als Zeichen für Ehrlichkeit wertet.
»Ihr habt diesen Namen vorher noch nie gehört?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nein.«
»In Paris vielleicht?«
Sie presste die Lippen aufeinander, bis die Haut um ihren Mund herum weiß wurde. »Messire … Seid nicht so dumm. Glaubt Ihr wirklich, ich hätte gewusst, dass ich Paris an jenem Morgen würde verlassen müssen, da ich auf Euch getroffen bin?«
»Und doch habt Ihr diese Zimmer gefunden.«
»Was hat denn das damit zu tun?«
Ich reichte ihr die zerknüllte Notiz. Sie las sie laut.
Ist es nicht ungewöhnlich, dachte ich, dass ich sie instinktiv als den jungen Mann behandele, dem sie ähnelt, und nicht als die junge Frau, die sie ist? Und als Frau war sie der Ehrlichkeit genauso wenig fähig wie der Keuschheit.
Außerdem ist sie nicht gerade die Klügste. Sie ist einfach zu sorglos, um eine Rolle durchzuhalten … nur dass sie mich in ihrer Rolle als Mann bereits einmal getäuscht hatte.
»Das ist …« Sie hielt mir das Papier wieder hin und sah ungewohnt ernst aus.
»Ihr werdet nicht darüber sprechen. Keiner von Euch.« Ich wartete, bis beide nickten.
Es war nicht Darioles offenkundige Unschuld, die mich überzeugte, sondern mehr ihr Unverständnis, dass sie überhaupt verdächtigt wurde. In meiner Profession lernt man, einen Schuldigen zu erkennen.
Sie neigt nicht zum Lügen; sie erlaubt anderen nur, sich selbst zu täuschen. Durch ihr Aussehen, ihre Kleidung, ihre Manieren … Aber Dariole selbst hatte keinerlei Interesse an Täuschungsmanövern wie ein Spion.
Ich fertigte meinen Bericht für Minister Cecil auf die gleiche Art an, wie ich solche Berichte auch immer für den Duc de Sully verfasst hatte. Dabei baute ich genügend Informationen ein, um zwar nicht meine Identität zu verraten, aber Cecil zu verstehen zu geben, dass ich mich mit den Spionagenetzen Englands und Europas auskannte.
Wenn Minister Cecil schon nicht an die Verschwörung glauben sollte, würde er wenigstens von Robert Fludd erfahren und ihn als politische Gefahr einstufen.
Dann sollte Cecil mir meine Frage beantworten: Wie sah es in Frankreich zehn Tage nach der Ermordung des Königs aus? Vielleicht würde ich dann endlich handeln können!
Der Brief war rasch geschrieben, und unversiegelt gab ich ihn Monsieur Saburo.
In dem gesellschaftlichen Labyrinth herauszufinden, wer über Zugang zum Minister und zu König James verfügte und wie ich das nutzen konnte, um den nihonesischen Abgesandten an den Hof zu bringen, erwies sich als weitaus schwieriger. Am zweiten und dritten Tag unseres Aufenthalts in London führte ich Saburo durch die Tavernen und Gasthöfe von Eastcheap und Cheapside auf der Suche nach einer Spur von Little Edmonds. Der Mann war einst als Spion und Diplomat für Königin Elisabeth tätig gewesen, und mein Herzog hatte sich seiner auch schon einmal in einer delikaten Angelegenheit bedient. Doch es war nichts von ihm zu hören. Dann sprach ich mit anderen Männern, die ich für nützlich hielt; doch auch Beaumont war nicht zu finden.
»Zurückgerufen. Oder unter Bewachung. Little Edmonds könnte auch tot sein«, bemerkte ich, als wir in jener Nacht zum Dead Man's Place zurückkehrten. »Solche Dinge geschehen bisweilen.«
Ich hielt die Laterne beim Gehen mit der linken Hand hoch, sodass wir nicht geblendet wurden. Ohne darüber gesprochen zu haben, hatten wir alle die Schwerter gezogen und gingen in der Mitte der verschlammten Straße, unmittelbar neben dem Kanal. Sollte sich uns irgendjemand aus den übel beleumdeten Häusern oder aus einer der Gassen dazwischen nähern, musste er sich uns über eine freie Fläche nähern.
Trotz seiner Weigerung, etwas anderes als Leinen unter dem Mantel zu tragen, schien Monsieur Saburo London nach zwei Tagen Aufenthalt schon ein wenig angenehmer zu finden. Er warf die Kapuze zurück und schwankte ein wenig, obwohl er meiner Meinung nach nicht viel getrunken hatte.
»Ein Mann!« Er deutete mit seiner Kattanklinge.
Im Licht der Laterne erhob sich eine dünne, kleine Gestalt von den Treppenstufen einer Tür und wurde zu einem Pagen in schwarzem Samt; hinter ihm erschien pflichtbewusst ein Bewaffneter in Livree.
Ich steckte mein Rapier weg und nahm den Brief entgegen, den der Junge mir gab, dessen Blick die ganze Zeit über auf Saburos unenglisches Gesicht fixiert war.
Das gelbe Licht zeigte mir das Siegel des Earl of Salisbury, des Außenministers und Schatzkanzlers … Robert Cecil.
Saburo blickte der Leibwache und dem Pagen nach, die sich ausgesprochen professionell wieder aus dem Staub machten. Rasch las ich den Brief.
»Hört zu, Messire Saburo. Ihr werdet Lord Cecil sehen. Freitag Morgen zur zehnten Stunde … was morgen ist.«
Monsieur Saburo demonstrierte sein Talent, die Gossensprache aufzuschnappen, und bemerkte verträumt: »Catso!«
Am folgenden Tag war ich sichtlich nervös, während die sonnigen und eigentlich unbeschwerten Stunden vorübergingen. Vorsicht um Monsieur Saburos willen hielt mich davon ab, ihn auf dem Weg zum Whitehall-Palast und Cecil zu beschatten. Mangels Beschäftigung blieb mir so nichts anderes zu tun, als dem Bellen der Hunde zu lauschen und Frankreich und Messire Sully aus meinen Gedanken zu verdrängen.
Wie funktionieren die Beschwörungen und Tricks von Master Fludd?
Wie viele Männer hat er noch ›auswendig lernen‹ lassen? Und warum?
Vermutet er bereits, dass ich ihn verraten habe?
Er wäre ein Narr, würde er etwas anderes glauben. Doch auch wenn ein Mann kein Narr ist, kann er bisweilen Dingen gegenüber blind sein, die nicht in sein Konzept passen.
Er kennt die Namen von Tanaka Saburo und Mademoiselle de la Roncière.
Dariole lag auf dem Bett und schlief. Gut eine Stunde später ging sie hinaus, und ich folgte ihr, um zu sehen, ob sie sich mit Fludd traf. Doch ich fand heraus, dass sie all ihre freie Zeit in den Spielhäusern, der Bärenarena oder in unterschiedlichen Fechtschulen verbrachte.
»Das Einzige, was zur ›Erziehung‹ eines jungen Mannes fehlt, ist das Hurenhaus«, sagte ich laut, nachdem ich wieder in das leere Zimmer zurückgekehrt war, das nach Staub roch und dessen Bodenbretter knarrten, als ich auf und ab ging.
»Roshfu-san!« Saburos tiefe Stimme und die sich öffnenden Tür ertönten gleichzeitig.
Als ich herumwirbelte, sah ich, dass er allein war. Vielleicht war das gar keine Eile in seiner Stimme. Er ist der am schwersten zu deutende Mensch, dem ich je begegnet bin!
»Und?«, verlangte ich zu wissen.
»Ich werde den Kaiser-König sehen. Bald.« Was Saburo aus dem Ärmel holte, war mein Brief, wie ich sah – zerknittert und mit gebrochenem Siegel. Zumindest war er gelesen worden.
»Ihr …« Saburo sprach, als wäre es in diesem Fall von besonderer Wichtigkeit, dass er die richten Worte wählte. »Ihr, Roshfu-san, werdet morgen Lord Seso-sama sehen.«
Der Morgenwind aus Richtung Themse wehte mir ins Gesicht. Immer wieder schob ich mir Haarsträhnen über die Schulter und richtete mein Wams. Der Fährmann ruderte uns langsam an den vertäuten Heringsfischern vorbei, während die Sonne Lichtflecken auf dem Wasser tanzen ließ.
»Ihr seid … glücklich.« Saburo wählte seine Worte noch immer mit Bedacht. »Ein Mann, der tut, was er nicht tun will, ist … glücklich?«
Ich zuckte mit den Schultern, lächelte und starrte weiter den Fluss hinunter. Im hellen Morgendunst konnte ich die Umrisse von Flussbarken erkennen. »Ich habe ehrlich gesagt nicht erwartet, dass viel dabei herumkommen würde, und außerdem … Das ist mein Beruf.«
Ich war noch immer besorgt genug, um wachsam zu bleiben, aber wahrlich nicht mehr.
Saburo verlangte zu wissen: »Das da. Dort. Sind das Barken?«
»Ja.«
London hatte sich in den vergangenen sechs Jahren kaum verändert, seit ich zum letzten Mal hier gewesen war. Die Rufe der Straßenhändler an den Ufern; die Rauchwolken und kurz darauf der Kanonendonner, wenn die Artillerie im Tower einen edlen Besucher ankündigte; der Monolog des Fährmanns, der ein obszönes Englisch sprach, wobei ich über das zweifelhafte Privileg verfügte, ihn zu verstehen … Es fiel mir leicht, mir vorzustellen, nach dem Treffen heute wieder ins Arundelhouse zurückzukehren, zu Andre, Artaud und Maignan, alle im Dienste des Herzogs.
An diesem Morgen hatte ich mich nicht sonderlich gut angezogen. Ich trug das inzwischen verstaubte burgunderrote Wams im englischen Stil und eine Pluderhose, und meine Stiefel waren zerkratzt. Das, so dachte ich, passte sehr gut zu meiner Rolle als mittelloser Spion des Doktor Fludd. Ich hatte nicht die Absicht, Cecil von meiner Stellung als Sullys erster Agent und bester Fechter zu erzählen, wenn er es nicht wusste. Es gibt Zeiten, da ist ein mittelmäßiges Aussehen durchaus von Nutzen. Nun muss ich nur noch darauf vertrauen, dass der Blick des Herrn Ministers scharf genug ist, eine Verkleidung zu durchschauen.
Ich musste dieses Risiko eingehen. Was auch immer Messire Cecil wissen mochte, in jedem Fall wusste er besser, was in Paris geschah, als sonst jemand in England. Und ohne diese Information war ich blind.
Das Fährboot drehte und ging steuerbord längsseits einer langsam fahrenden und reich geschmückten Barke. Ich stand auf und achtete auf Schwert und Sporen. Angetrieben von vielen Rudern glitt die Barke den Fluss hinauf. Der Bug reichte ein gutes Stück höher hinauf als ich, und ich hatte ein wenig Zeit, mir den Schmuck aus Samt, Seide und Gold anzusehen.
Mit einer geschickten Ruderbewegung legte der Fährmann am Heck der Barke an. Saburo und ich sprangen gemeinsam an die Holzreling und hievten uns an Deck. Ich warf dem Bootsmann eine Börse für sein Können zu. Es ist schon ganz gut, dass ich eine königliche Barke nicht klatschnass betrete.
Als ich mich umdrehte, sah ich, wie sich Saburo auf die Knie fallen ließ.