28. Kapitel
Als ich in die Lobby von Mako Technologies
spazierte, waren die meisten Mitarbeiter schon gegangen. Auf dem
großen Parkplatz standen nur noch ein paar vereinzelte Fahrzeuge.
Die Schwarzweißfotos an den Wänden waren im Dämmerlicht kaum zu
erkennen, und ein Hausmeister schob seinen Putzkarren durch die
Eingangshalle. Die Rezeption war unbesetzt. Doch eine Sekunde
später trat Amber Gibbs aus der Damentoilette.
Sie strahlte mich an. »Wie sind die Dessous?«
»Kratzig. Und deine?« Seit meiner Brautparty waren
wir sozusagen Busenfreundinnen.
»Ich fühle mich wie eine Prinzessin.«
Sie wuselte um die Theke und wirkte dabei
aufgeweckter und energischer als je zuvor. Vielleicht besaß
Countess Zara Kräfte, die mir verborgen geblieben waren.
»Ich suche Kenny Rudenski«, sagte ich.
»Ich weiß nicht, ob der noch da ist.«
»Kannst du nicht anrufen und es rausfinden?«
Sie verzog das Gesicht. »Ich hab es eilig.«
»Bitte.«
»Es ist nur, weil Papa Rudenski Unterlagen braucht
…«
»Amber, bitte.«
»… und er hat mich gebeten, sie ihm ins Büro zu
bringen, bevor ich gehe.«
»Dann komme ich mit.«
»Von mir aus.«
Nervös griff sie nach einem Ordner, gab den Code an
der Sicherheitstür ein, und schon waren wir im Gang zu Kenny
Rudenskis Büro. Am Automat warf ein Wachmann Münzen in den Schlitz.
Er nickte uns zu.
Der Schreibtisch von Kennys Vorzimmerdame war nicht
besetzt. Wenn ich Glück hatte, war Kenny selbst auch schon weg.
Während Amber weitertrippelte, blieb ich stehen, klopfte und
öffnete die Tür. Das Licht war aus. Ich trat ein und schloss die
Tür hinter mir. Dann schaute ich mich um. Es roch nach Aftershave
und Tennisbällen. Der Computermonitor war dunkel. Ich setzte mich
an den Schreibtisch.
Was jetzt? Ich öffnete ein paar Schubladen. Stifte,
Gummibänder, eine Flasche Rum. Das war sinnlos.
Vor der Tür klirrte ein Schlüsselbund. Ich fuhr
zusammen. Die Klinke wurde gedrückt, und ein Wachmann
erschien.
»Was tun Sie hier?«
Mein Puls raste. Nur nichts anmerken lassen,
Delaney.
»Ich suche nach einem Zettel, damit ich Kenny eine
Nachricht hinterlassen kann.«
Ich wühlte im Schreibtisch und fand tatsächlich
einen Block. Unter dem wachsamen Blick des Mannes nahm ich einen
Stift aus dem Halter auf dem Schreibtisch. Leider rührte sich der
Kerl nicht von der Stelle. Mist!
Hinter ihm tauchte Amber auf. Er drehte sich um.
Sie lächelte, und er richtete sich plötzlich sehr gerade auf und
zupfte seinen Gürtel zurecht.
Sie warf mir über seine Schulter einen Blick zu.
»Ist der Junior nicht da?«
»Ich schreibe ihm gerade eine Nachricht.« Ich war
die geborene Lügnerin.
»Okay.« Sie sah den Wachmann an. »Len, kannst du
mir helfen, das Zeug zum Auto zu tragen?«
»Klar doch.«
Die beiden entschwanden und ließen die Tür offen.
Ihre Stimmen wurden leiser. Nur Lens Schlüsselbund klirrte noch im
Gang.
Wie lange hatte ich? Im Schreibtisch war nichts zu
holen. Was ich suchte, musste sich auf Kenny Rudenskis Computer
befinden. Ich tippte gegen die Tastatur, und der Monitor erwachte
zum Leben.
Passwort eingeben. Verdammt. Der Cursor
blinkte höhnisch.
Ich überlegte fieberhaft. Rudenski junior war nicht
dumm, aber überheblich. Ich hob die Tastatur an und hoffte, dass er
das Passwort dort festgeklebt hatte. Fehlanzeige.
Wenn ich auf die Dateien zugreifen wollte, musste
ich das Passwort wohl erraten. Zum Glück wusste ich aus den
Recherchen für meine Bücher, dass ich gute Chancen hatte.
Passwörter haben normalerweise sechs bis acht Zeichen. Die meisten
Menschen wählen unsichere Passwörter wie die Namen ihrer Kinder,
Haustiere oder ihre Hobbys, weil sie leicht zu merken sind.
Allerdings musste ich davon ausgehen, dass ich
höchstens drei Versuche hatte. Wie konnte ich das Feld
einschränken? Zunächst einmal musste ich eruieren, wie viele
Zeichen vorgeschrieben waren. Kenny Rudenski würde diese
Information nicht herumliegen lassen, dafür war er zu
gewieft.
Ganz im Gegensatz zu Amber.
Würde die Zeit reichen?
Ich rannte zur Lobby, klemmte ein Stück Papier in
die Sicherheitstür, damit sie nicht ins Schloss fiel, und stürzte
zur Rezeption. Ein Blick nach draußen verriet mir, dass der
Wachmann draußen immer noch mit Amber flirtete. Die beiden hatten
keine Ahnung, dass sie kurz davor standen, ihren Job zu
verlieren.
Ich hob Ambers Tastatur an, fuhr mit der Hand unter
dem Monitor, dem Schreibtisch und dem Stuhl entlang. Nichts. Noch
ein Blick nach draußen. Amber stieg gerade in ihr Auto.
Dann entdeckte ich den kleinen Plüschfrosch direkt
neben dem Monitor. Volltreffer. An seinem Hintern klebte ein
Post-it. Dazzl*ng. Zurück in Kennys Büro.
Das Passwort hatte eine Länge von acht Zeichen.
Vermutlich musste eines davon eine Zahl oder ein Sonderzeichen
sein.
Was wusste ich über Kenny Rudenski? Was mochte er?
Sich selbst. Kokain. Schmutziges Geld, Sex, Autos.
Ich gab McQueen1 ein.
Passwort falsch.
Nächster Versuch. Carrera*.
Passwort falsch.
Der Porsche, der Porsche war seine große
Leidenschaft. Mir fiel das Wunschkennzeichen ein. Mit den Fingern
zählte ich die Zeichen. Und tippte los.
2KPSECUR.
Der Bildschirm leerte sich. Ich war drin.
Eine neue Eingabeaufforderung erschien. Mir fiel
ein, dass Jax von verschiedenen Sicherheitsstufen gesprochen hatte.
Das erste Passwort gewährte nur Zugriff auf unkritische Dateien.
Für den Zugriff auf vertrauliche Dokumente war ein zweites Passwort
erforderlich.
Der Cursor blinkte mich an.
Ich setzte auf Rudenskis Überheblichkeit.
Vermutlich konnte er sich nicht vorstellen, dass jemand überhaupt
so weit kam, und hatte sich daher für die bequemste Lösung
entschieden.
Ich betätigte die Return-Taste.
Und war drin. Auf dem Bildschirm tauchte eine
Meldung auf. Werden neunzig Sekunden lang keine Eingaben
vorgenommen, wird die Sicherheitsstufe automatisch zurückgesetzt.
Eine erneute Anmeldung ist erst nach zehn Minuten
möglich.
Ich startete eine Suche nach »Segue«. Drei Ordner
wurden angezeigt.
Der erste enthielt zahlreiche Briefe, Memos und
Tabellen. Während ich ständig auf das Klirren eines Schlüsselbunds
im Gang lauschte, öffnete ich mit rasender Geschwindigkeit ein
Dokument nach dem anderen. Gründungsurkunden von den Cayman
Islands. Firmenleitung Kenneth Rudenski, Maricela Vasquez de
Diamond und Mikhail Yago …
Dann fand ich die Buchhaltungsunterlagen.
Hunderttausende von Dollar liefen durch diese Firma. Zahlungen an
Mako, von Mako, an eine Reihe anderer Unternehmen. Sie hatten
allesamt Hightechnamen und klangen nach Risikobeteiligung. Und
vermutlich hatten sie dieselbe Firmenleitung wie Segue.
Ich holte tief Luft. Segue war also tatsächlich
eine an Mako angeschlossene Strohfirma. Eine schwarze Kasse für
I-Heist-Geld. Das FBI würde sich für diese Informationen
interessieren. Jesse wäre entlastet.
Offenbar hatte I-Heist Kenny Rudenski fest im
Griff. Sie waren Partner geworden. Oder eher Parasit und Wirt?
Arbeitete
er freiwillig mit diesen Leuten zusammen oder unter Zwang?
Auf jeden Fall musste ich dieses Material an die
Polizei weiterleiten. Sofort. Sobald sich Rudenski einloggte, würde
er bemerken, dass jemand seine Dateien geöffnet hatte. Und dann
würde er dafür sorgen, dass sie verschwanden. Oder dass dieser
Jemand verschwand.
Aber wo sollte ich die Dokumente speichern?
Ausdrucken kam nicht infrage, außer ich wollte unbedingt erwischt
werden.
Nun, ich hatte schließlich E-Mail, und das FBI
auch. Ich suchte in meiner Handtasche nach Dale Van Heusens
Visitenkarte, aber die lag zu Hause. Also Plan B.
Webmail war eine großartige Sache. Ich warf jede
Vorsicht über Bord und loggte mich in mein Konto ein. Die Adresse
konnte ich später aus Rudenskis Browserverlauf löschen, aber jeder
Softwareentwickler konnte sie mühelos wiederherstellen. Egal.
Sollte er ruhig wissen, dass ich am Werk gewesen war.
Ich wählte die Option »Neue Nachricht« und hängte
den Ordner mit den Segue-Dokumenten an.
Ein Schlüsselbund klirrte im Gang. Len pfiff vor
sich hin. Hatten er und Amber ihr Glück wirklich den Dazzling
Delicates zu verdanken?
Das Klirren hörte auf. Ganz schlecht. Ich hatte die
Mail noch nicht versendet.
Unter den Schreibtisch. Rudenskis Chefmodell hatte
eine geschlossene Walnussfront, hinter der ich mich verstecken
konnte.
Irrtum. Der Schreibtisch stand nicht direkt auf dem
Boden, sondern auf etwa fünfzehn Zentimeter hohen Füßen.
Von der Tür aus konnte also jeder meinen Hintern sehen.
Bestimmt keine schmeichelhafte Perspektive.
Ich stemmte die Füße gegen die eine
Schreibtischhälfte, den Rücken gegen die andere und rutschte nach
oben. Die Tür öffnete sich. Ich hielt den Atem an. Das Licht wurde
eingeschaltet, und langsame Schritte näherten sich. Was trieb der
Kerl? Mir zitterten schon die Oberschenkel.
Wieso verschwand er nicht endlich?
Wie lange hatte ich keine Eingabe mehr vorgenommen?
Nach neunzig Sekunden wurde die Sicherheitsstufe zurückgesetzt.
Wenn dieser Len sich nicht bald verzog, flog ich aus dem System und
konnte mich erst nach zehn Minuten wieder einloggen.
Nun hörte ich direkt über mir Geräusche. Er wählte
eine Nummer.
»Harry? Hier ist Len. Ist an der Hintertür eine
Frau rausgekommen? Um die dreißig, hellbraunes Haar … Nein, die
hatte keinen Besucherausweis und hat im Büro vom Junior
rumgeschnüffelt. Hier ist sie aber nicht mehr.«
Hoffentlich trat er nicht um den Schreibtisch
herum.
»Okay, wir treffen uns am
Lieferanteneingang.«
Ich ließ mich auf den Boden gleiten und schlüpfte
aus meinem Versteck. Der Monitor war noch aktiv. Ohne mich
aufzurichten, tastete ich nach dem Keyboard und klickte auf
»Senden«.
Ich musste weg und konnte nur hoffen, dass das
Material Van Heusen reichen würde.
Schon auf dem Sprung schloss ich den Browser. Dabei
erschien ein neues Fenster, das mit »Mistryss Cam« überschrieben
war. Ein körniges Schwarzweißbild von einer
Webcam, das einen Schreibtisch vor einem Panoramafenster zeigte.
Das Fenster ging auf einen Hof und eine Einfahrt im spanischen Stil
hinaus.
Das musste Kenny Rudenskis privates Arbeitszimmer
sein. Wieso öffnete sich das Fenster von selbst?
Auf dem Monitor erschien eine Meldung.
Haustür.
Wie gebannt starrte ich auf den Bildschirm. Durch
das Fenster war eine Gestalt vor der Tür zu erkennen. In der
Einfahrt parkte ein Toyota Pick-up.
Adam, verschwinde da!
Dann hörte ich den Schlüsselbund im Gang.
Ich hetzte zur Tür. Jetzt hieß es schnell sein.
Ohne mich noch einmal umzudrehen, flitzte ich durch den Gang.
»He, Sie da …«, rief Len mir nach.
Ich rannte weiter, durch die Sicherheitstür in die
Lobby. Die Schlüssel hinter mir klirrten wie ein Glockenspiel. Ich
stürzte nach draußen und raste zu meinem Auto. Als ich mit
quietschenden Reifen vom Parkplatz fuhr, sah ich im Rückspiegel,
wie der Wachmann meine Nummer notierte.
Auch schon egal. Ich steckte sowieso bis zum Hals
in der Sache drin.
Ich musste unbedingt zu Kenny Rudenski. Rudenski
junior arbeitete mit I-Heist zusammen. Falls Adam versuchte, ihn
zur Rede zu stellen, konnte es für ihn gefährlich werden. Sehr
gefährlich. Ich raste durch Goleta und lenkte auf den Freeway. Nach
zwanzig Minuten hatte ich das elegante Villenviertel in den
Vorbergen erreicht. Ich packte das Lenkrad fester, trat auf die
Bremse und schleuderte um die letzte Spitzkehre. Vor dem
Hintergrund der Berge erhob sich im goldenen Sonnenlicht Rudenskis
Villa: Mistryss.
Adams Pick-up war verschwunden.
Ich verlangsamte das Tempo, um auf das Grundstück
einzubiegen, überlegte es mir aber anders. Das Webcam-System
informierte Kenny Rudenski über eventuelle Besucher. Wenn sich das
Fenster automatisch auf dem Monitor im Büro öffnete, erschien es
vielleicht auch auf einem Laptop. Ich wollte nicht, dass jemand von
meiner Anwesenheit erfuhr. Während ich noch überlegte, bemerkte
ich, dass das Garagentor offen stand. Der Porsche war
verschwunden.
Mittlerweile hatte ich nichts mehr zu verlieren.
Also setzte ich alles auf eine Karte.
Ich wendete und steuerte wieder bergab, bis ich an
eine Abzweigung kam. Von dort führte ein Fußweg zu dem Hang hinter
dem Haus. Ich stellte den Wagen ab und folgte dem Pfad. Nach einer
Weile schlug ich mich seitwärts in die Büsche und kletterte einen
Hang hinauf, der so steil war, dass ich mich an Grasbüscheln
hinaufziehen musste. Außer Atem erreichte ich den Kamm des Hügels,
wo ich hinter einem Baum in Deckung ging. Von meinem Versteck aus
musterte ich die Rasenflächen.
Im Haus war keine Bewegung zu entdecken, nur in der
Küche brannte Licht. Ich joggte über den Rasen am Pool entlang zur
Küchentür. Sie war nicht abgeschlossen.
Da Rudenski sonst solch ein Sicherheitsfanatiker
war, erledigte er vermutlich nur schnell etwas. Oder er musste sich
um einen Notfall kümmern. Ansonsten hätte er das Haus nicht
unverschlossen gelassen. Falls es sich um eine Besorgung handelte,
war er bestimmt gleich wieder da.
Ich schlich mich in die Küche, schnappte mir ein
Geschirrtuch von der Arbeitsfläche und hastete durch den Gang, bis
ich auf das Arbeitszimmer stieß. Dort drapierte ich das
Geschirrtuch über der Webcam, schloss die Jalousien und setzte
mich an den Computer.
Ich startete eine Suche nach »Segue«.
Zwei Treffer. Der Rechner ging online und rief eine
Internetauktion auf. Es lief mir eiskalt über den Rücken.
Das war keine normale Auktionssite, sondern eine
morbide Ecke des Internets, die sich auf Todessouvenirs
spezialisiert hatte. Gebote, verbleibende Zeit bis zum Ende der
Auktion – alles wirkte ganz normal. Nur dass es sich bei den
versteigerten Objekten ausschließlich um Andenken an verstorbene
Prominente handelte. Der Filmstar, der in seinem Pool ertrunken
war. Der Footballspieler, der die Kurve zu schnell genommen hatte.
Die Rhythm-and-Blues-Sängerin, deren Maschine in einem Hagelsturm
abgestürzt war.
In einem separaten Fenster wurden Rudenskis Gebote
automatisch verfolgt. Mir wurde ganz schlecht, als ich die Liste
las.
Yazminh/persönlicher Besitz vom Unfallort … USD
47.500
Bobby Kleig/Ferrarri-Bremsscheibe … USD
29.650
Alaska Air/Verschiedenes … USD 74.900
Das waren keine normalen Andenken, sondern
Reliquien, Erinnerungen an den gewaltsamen Tod, der die Sängerin,
den Quarterback und Passagiere und Besatzung des
Alaska-Airline-Jets ereilt hatte, der achtzig Kilometer von hier
vor Point Mugu ins Meer gestürzt war.
Kenny Rudenski war krankhaft veranlagt.
Ich fühlte mich wie in einer eisigen Gruft, wenn
ich daran dachte, wie er vor Yvette Vasquez’ Grab gekniet hatte und
mit den Fingern über den in Stein gemeißelten Namen gefahren war.
Jetzt fiel mir auch wieder ein, wie unruhig er beim Anblick des
Rollstuhls geworden war. Er war davon überzeugt,
dass ich Jesses Behinderung erregend fand. Der Gedanke daran, wie
er mich auf dem Friedhof gepackt hatte, gab mir den Rest. Mir
drehte sich der Kopf.
Aber was hatte all das mit I-Heist zu tun? Wieso
hatte sich das Auktionsprogramm geöffnet, als ich nach I-Heist
suchte? Segue war eine Scheinfirma, die I-Heist-Gelder durch
Hightechfonds schleuste … eine Geldwaschanlage. Und etwas von
diesem Geld wurde wiederum für diese perverse Online-Auktion
abgezweigt.
Half I-Heist Kenny Rudenski dabei, Überreste aus
tödlichen Unfällen zu ersteigern, um ihn für seine Dienste zu
entschädigen? Mir zitterten die Knie. Damit hatten sie ihn also in
der Hand. Und er war mit Begeisterung bei der Sache.
Ich schloss das Auktionsprogramm und suchte nach
einem Namen, an den ich von Anfang an hätte denken müssen: Jesse
Blackburn.
Der Bildschirm füllte sich mit Treffern.
Mein Mund war wie ausgedörrt, als sich Jesses Leben
vor mir auf dem Monitor ausbreitete. Finanzen, Hypothekenzahlungen,
Bonitätsbericht. Arztberichte aus der Zeit nach seiner Verletzung.
Das Patientenblatt aus der Notaufnahme, die Einweisung in die
Rehaklinik, sogar ein psychologisches Gutachten. Bei dem
Patienten handelt es sich um einen vierundzwanzigjährigen Mann.
Unvollständige Querschnittslähmung … fühlt sich schuldig, weil er
den Unfall überlebt hat, und hat Schwierigkeiten, sich mit der
Situation abzufinden … möglicherweise klinische Depression,
Sarkasmus als Bewältigungsmechanismus …
Die Informationen reichten aus, um ihn über Jahre
hinweg zu manipulieren oder unter Druck zu setzen.
Da ich schon dabei war, gab ich »Evan Delaney«
ein.
Hilflos starrte ich auf meine eigenen
Finanzunterlagen, Kreditkartenkäufe und Websites, die ich von
meinem Computer zu Hause aus besucht hatte. Angewidert klickte ich
mich durch die Liste. Schließlich stieß ich auf ein Icon, das mit
D Cam bezeichnet war. Delaney-Kamera? Ich klickte auf
»Ansicht«.
Mir stockte der Atem.
Der Monitor hatte sich in mehrere Ansichten meines
Hauses geteilt. Live-Ansichten. Eine Kamera zeigte mein Wohnzimmer,
eine andere ein leicht verzerrtes Bild von meinem Bett. Vermutlich
eine Faseroptikkamera, die im Rauchmelder in meinem Schlafzimmer
versteckt war. Eine dritte war offenbar über dem Medizinschränkchen
in meinem Bad angebracht. Nun wurde mir einiges klar. Kenny
Rudenski hatte mich im Bett und unter der Dusche beobachtet.
Die amerikanische Industrie ist Big Brother.
Alles nur, weil er mir zusehen wollte, wenn ich wirklich erregt
war? Wie hatte er diese Dinger installiert? Und wann?
Plötzlich beugte ich mich entsetzt vor. Der
Patchworkquilt auf meinem Bett bewegte sich rhythmisch. Als ich
mich noch weiter vorbeugte, hörte ich sogar den Ton dazu. Marvin
Gaye sang mit Samtstimme Let’s Get It On. Ich glotzte auf
die bockende Bettdecke. Marvin Gaye. Das Album gehörte Jesse. Mir
dröhnte der Kopf. Das konnte nicht sein. So was würde er mir nicht
antun. Mit zu Schlitzen verengten Augen starrte ich auf den
Monitor. Bitte nicht Harley, bitte nicht …
Die Decke erbebte und flog zur Seite. Eine Frau
richtete sich auf, und ihre Brüste wogten spektakulär ins
Bild.
»Ja, Baby. Gib’s mir.«
»Taylor, du Miststück!«, fluchte ich.
»Ich reite dich zu. Besorg es mir, du starker
Hengst.«
Sie hatte sich ein Bandana um den Hals gebunden und
trug zwei sechsschüssige Revolver. Sonst nichts. Billy the Kid. Sie
hob den Arm und schwang ihn wie ein Cowboy auf einem ungebärdigen
Mustang.
Ein Stöhnen riss mich aus meiner Erstarrung. Mein
Blick wanderte von Taylors kreisenden Brüsten zu dem Mann, der
unter ihr keuchte. Er war an die Bettpfosten gefesselt. Ich fühlte
mich merkwürdig erleichtert. Das konnte nicht Jesse sein, der hätte
sich niemals die Arme fesseln lassen. Also war es wohl Ed Eugene,
und ich hatte schon viel zu viel gesehen.
»Oh. Oh …« Taylor geriet in lautstarke
Ekstase.
»Weiter, Cowgirl«, stöhnte der Mann. Er atmete
schwer. »Gib mir die Sporen. Dale war ein böses Pferd.«
Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Special Agent
Dale Van Heusen vom FBI. Der Mann, der noch nicht einmal in die
Knie ging, weil er sich nicht die Bügelfalten ruinieren
wollte.
Taylor hopste wild auf und ab. »Du böser Junge!
Taylor wird kommen und dich bestrafen müssen.«
Der böse Junge alias Agent Dale Van Heusen bockte
unter ihr. Und dann wieherte er tatsächlich.
Ich klatschte mir die Hand vor den Mund. Hastig
schnappte ich mir die Maus und klickte wild auf dem Monitor herum.
Irgendwie musste das doch abzustellen sein!
»Weiter so, Baby! Hör bloß nicht auf, sonst muss
ich meine Revolver ziehen.«
Dann hörte ich ein vertrautes Geräusch. Meine
Türklingel.
Taylor fuhr hoch. »Schscht.«
Aber Dale war richtig in Fahrt.
»Bin gleich so weit«, keuchte er. »Taylor, hör
nicht auf …«
Sie hielt ihm den Mund zu. Es klingelte erneut.
Einen Augenblick später klopfte jemand an die Haustür.
»Taylor? Mach auf!«, rief eine Männerstimme in der
Ferne.
Der Quilt rutschte zu Boden. Taylor flog aus dem
Bett, als hätte Van Heusen sie wirklich abgeworfen.
»Was ist?«, fragte er.
Taylor sammelte hektisch ihre überall im
Schlafzimmer verstreuten Kleidungsstücke ein. »Das ist Ed
Eugene.«
»Dein Mann?«
Das Hämmern an der Tür hörte nicht auf. »Taylor,
ich weiß, dass du da drin bist.«
»Was will der denn hier?«, fragte Van Heusen.
»Dich umbringen, wenn ich nicht gleich
verschwinde.« Sie riss sich das Holster herunter und schleuderte es
in eine Ecke.
Die Haustür bebte. »Komm sofort her, Taylor!«
Van Heusen zerrte an seinen Fesseln. »Bind mich
los!«
»Leise!« Sie zog ihre Bluse an, schlüpfte in Slip
und Rock.
»Bind mich los!«
»Willst du wohl still sein? Wenn er dich findet,
bringt er uns um.«
»Oh, mein Gott, hol meine Waffe aus deinem
Holster«, sagte Van Heusen. »Die ist geladen!«
Taylor gab einen entnervten Laut von sich und
kniete sich auf das Bett.
»Taylor!«, brüllte Ed Eugene.
Sie stürzte aus dem Zimmer und schlug die Tür
hinter sich zu. Ich hörte Ed Eugene toben. Ich musste unbedingt
nach Hause, bevor er Van Heusen umbrachte. Im Blick des FBI-Agenten
erkannte ich die nackte Verzweiflung. Taylor hatte
ihn ans Bett gefesselt liegen lassen und ihm eine Trense zwischen
die Zähne geschoben.
Motorengeräusch holte mich in die Wirklichkeit
zurück. Durch die Jalousien sah ich Mari Diamonds weißen Jaguar in
der Einfahrt parken. Mari, Kenny Rudenski und die Hunde stiegen
gerade aus.
Adam trat mit den Schlüsseln in der Hand auf seine
Haustür zu. Kenny Rudenski war nicht zu Hause gewesen, und er
zermarterte sich das Gehirn, wo der Mistkerl stecken mochte.
Drinnen fing das Telefon an zu klingeln. Hastig schloss er auf. Der
Anrufbeantworter hatte sich bereits eingeschaltet.
Eine Frauenstimme sprach. »Dr. Sandoval, wir kennen
uns nicht, aber ich weiß, dass Sie im Augenblick brutal unter Druck
gesetzt werden. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass ich das nicht mehr
mit …«
Er griff nach dem Telefon. »Wer ist da?«
»Das spielt keine Rolle. Ich will nur sagen, dass
ich aussteige.«
»Sind Sie …« – wie war noch der Name gewesen? –
»Cherry Lopez?«
»Das ist unwichtig. Die Autopsiefotos haben mir den
Rest gegeben. Ich bin draußen.«
»Sie arbeiten doch mit Brand zusammen.«
»Nicht mehr. Nicht seit er uns übers Ohr gehauen
hat. Deswegen rufe ich Sie auch an. Sie können ihn haben. Der Kerl
ist einfach krank.«
»Wo ist er? Sagen Sie mir, wo er ist.«
»Sie wollen ihn sich vorknöpfen? Da sind Sie nicht
der Einzige.« Sie lachte freudlos. »Was ist Ihnen das wert?«
Was war es ihm wert, Isaacs Mörder zu finden?
Alles.
Er umklammerte den Hörer. »Sagen Sie mir, was Sie
wollen. Was muss ich tun?«
Ich war in der Küche, als ich sie die Haustür
öffnen hörte.
»… außer Kontrolle geraten. Ich habe es satt«,
sagte Mari.
»Es dauert doch nicht mehr lange«, erwiderte
Rudenski. »Willst du was trinken?«
Ich flitzte aus der Küchentür, rannte am Pool
vorbei über den Rasen und sprang hinunter auf den Hang. In der
Dämmerung wirkten Bäume und Felsbrocken gespenstisch
lebendig.
Einer von ihnen sprach mich an. »Pass auf die
Steine auf. Die sind gefährlich rutschig.«
Ich fühlte mich, als wäre ich in eine
Hochspannungsleitung gelaufen. Ich landete schief und stürzte auf
die Knie. Fluchend rappelte ich mich auf.
Tim North stand im Halbschatten mit einem winzigen
Nachtsichtgerät hinter einem Baum. Am liebsten hätte ich geschrien.
War ich denn keine Sekunde meines Lebens unbeobachtet? Irgendwann
würde ich in aller Ruhe über diesen bizarren Abend nachdenken, aber
im Augenblick musste ich verhindern, dass Dale Van Heusen von einem
eifersüchtigen Ehemann zu Patchworkflicken verarbeitet wurde.
»Was tust du denn hier?«, fragte ich.
»Ich genieße die Vorstellung.«
»Ich muss weiter«, sagte ich. Mir standen immer
noch die Haare zu Berge.
Er lehnte sich gegen den Baum. »Weißt du noch, was
ich dir über Selbstverteidigung gesagt habe?«
Sie beginnt mit der Wahrnehmung der Bedrohung.
»Was ist damit?«
Er deutete zum Haus. »Ich glaube, dir ist ein
Dobermann auf den Fersen. Er hat gerade Witterung
aufgenommen.«
Ich wirbelte herum. Ein Muskelpaket mit furchtbar
scharfen Zähnen schnellte über den Rasen auf mich zu. Ich hastete
an Tim vorbei rutschend und stolpernd den Abhang hinunter. Hinter
mir knurrte der Hund, das Keuchen kam von mir selbst. Wild mit den
Armen rudernd, rammte ich die Fersen in den Hang, dass Steine und
Staub spritzten. Bloß nicht das Gleichgewicht verlieren.
Wo war Tim? Ich hörte keinen Mucks von ihm. Hatte
ihm der Hund direkt die Kehle durchgebissen?
Ich zögerte keine Sekunde, denn das Bellen wurde
immer lauter. Den Hund dicht hinter mir, raste ich den Hang
hinunter und auf den Pfad. Ich hörte das Tier sabbern und knurren
und beschleunigte noch mehr. Vor mir tauchte der Explorer auf. Der
Hund grub die Zähne in meine Jeans. Ich strauchelte, fiel halb hin
und spürte heißen Atem und Speichel auf meiner Haut. Das Viech
hatte tatsächlich mein Bein im Maul.
Ich holte mit dem freien Bein aus und trat zu. Der
Hund ließ meine Jeans los, aber als ich zum Auto stürmen wollte,
schnappte er erneut zu. Diesmal nach meinem Fuß. Ich zog. Der Hund
auch, hatte jedoch nur den Schuh erwischt. Ich kletterte auf die
Motorhaube und rutschte prompt auf dem Metall ab.
Zwei Füße schwangen vom Dach, und eine Hand
streckte sich mir entgegen.
»Halt dich fest«, sagte Jax.
Sie zog mich neben sich aufs Dach. Von dort aus
beobachteten wir, wie der Köter meinen Schuh zu Tode
schüttelte.
»Der Dingo hat dein Baby«, stellte meine unerwartet
aufgetauchte Begleiterin fest.
Meine Jeans waren völlig durchnässt vom Sabber. Ich
steckte meine Finger durch die Risse im Stoff und stellte zu meiner
Überraschung fest, dass die Haut unversehrt war.
Der Hund ließ den Schuh fallen und fing an, am
Stoßfänger herumzuschnüffeln.
»Ich würde sagen, wir haben fünf Sekunden, bis er
springt. Irgendwelche Vorschläge?«, fragte ich.
»Zwei Sekunden«, verbesserte sie, steckte zwei
Finger in den Mund und pfiff.
Der Hund riss den Kopf hoch und schnellte im
nächsten Moment nach oben. Entsetzt zog ich die Beine an. Jax hielt
eine kleine Dose hoch und sprühte dem Hund ins Gesicht. Er jaulte
und fiel vom Wagen.
»Pfefferspray«, erklärte sie.
Wir sprangen vom Dach und kletterten ins Auto. Der
Hund wälzte sich winselnd auf dem Boden und rieb den Kopf im Staub.
Ich ließ den Motor an und fuhr den ganzen Fußweg in flottem Tempo
rückwärts. Auf der Straße wendete ich und bremste.
»Raus«, sagte ich zu Jax.
»Bitte, gern geschehen«, erwiderte sie.
»Danke. Und jetzt raus.«
Sie öffnete die Tür. »Tim ist da oben. Der findet
schon raus, was du gesehen hast.«
»Super. Ruf mich an. Wir können ja mal was essen
gehen.«
Ich ließ sie am Straßenrand stehen und raste nach
Hause. Hoffentlich lebte Dale Van Heusen noch, wenn ich
ankam.
Ich rannte über den Plattenweg zu meinem Haus. In
meinem Wohnzimmer brannte kein Licht, und die Haustür war
geschlossen. Da ich weder Sirenen noch Blaulicht ausmachen konnte
und sich auch keine Nachbarn auf dem Rasen versammelt hatten, ging
ich davon aus, dass zumindest keine Schüsse gefallen waren.
Ich öffnete die Tür und horchte. Im Haus war es
still. Das Wohnzimmer zeigte keine Spuren eines Kampfes. An einer
Vase auf dem Kaminsims entdeckte ich jedoch die Videowanze. Ich
ließ sie auf das Sofa fallen und marschierte zur Schlafzimmertür,
hinter der dumpfe Geräusche zu hören waren. War Ed Eugene dabei,
Van Heusen zu Tode zu prügeln? Ich öffnete die Tür.
Der FBI-Agent war allein. Arme und Beine waren an
die Bettpfosten gefesselt. Er warf sich hin und her, um die Fesseln
zu zerreißen, aber Countess Zara war ihm über.
Als er mich bemerkte, lag er plötzlich ganz still.
Er wirkte erleichtert, aber entsetzlich verlegen. Ich deckte ihn
mit dem Laken zu. Dabei murmelte er etwas durch die Trense und
schleuderte den Kopf hin und her. Ich legte den Finger auf die
Lippen.
Dann stellte ich einen Stuhl unter den Rauchmelder,
stieg hinauf und entfernte die Abdeckung. Tatsächlich fand ich ein
winziges Faseroptikkabel. Ich riss daran und zog es einen halben
Meter weit aus der Decke. Van Heusen lag bewegungslos auf dem Bett,
nur die Augen traten ihm fast aus dem Kopf. Ich sprang vom Stuhl
und holte eine Gartenschere aus der Küche, mit der ich das Kabel
durchtrennte.
Die dritte Wanze war wie erwartet im Bad über dem
Medizinschränkchen angebracht. Ich zog das Kabel aus der Wand und
schnitt es durch. Wann hatten Rudenskis Handlanger
mein Haus verkabelt? Als ich in Las Vegas war? Ich ging zurück ins
Schlafzimmer und nahm Van Heusen die Trense aus dem Mund.
»Was ist mit Taylor passiert?«, fragte ich. »Hat Ed
Eugene sie an den Haaren weggeschleift?«
»Die beiden haben sich gestritten, dann sind sie
verschwunden.« Er zerrte an seinen Fesseln. »Binden Sie mich
los.«
»Er ist nicht ins Schlafzimmer gekommen? Hat noch
nicht mal die Tür geöffnet?«
»Nein. Binden Sie mich auf der Stelle los.«
»Wie hat sie denn das verhindert?«
»Sie hat gesagt, Sie sitzen mit mir in der
Badewanne. Und jetzt lassen Sie mich frei.«
Fast hätte ich gelacht. Taylor war nicht so dumm,
wie ich gedacht hatte.
»Und wie hat sie erklärt, dass sie selbst im
Schlafzimmer war?«, fragte ich.
»Sie hat den Quilt mitgenommen und behauptet, sie
wollte ihn sich heimlich holen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Haben Sie ein Glück,
Mann.«
Er atmete hechelnd. Ich schaltete eine Lampe ein,
zog mir einen Stuhl heran und setzte mich. Dann ließ ich die Schere
spielerisch auf- und zuschnappen.
»Jetzt unterhalten wir uns erst mal in Ruhe.«
Wieder warf er sich hin und her. »Wenn Sie mich
nicht sofort losbinden, ist das Geiselnahme.«
Ich seufzte. »Sie haben ja so recht. Rufen wir ein
Einsatzteam zur Hilfe. Ich sehe schon vor mir, wie sich die Leute
vom Helikopter abseilen, das Fenster eintreten und Meldung
erstatten. ›Quantico, wir haben ein Problem. Dale war ein böses
Pferd.‹«
Er schloss die Augen und verzog das Gesicht.
»Das war ein sehr informativer Abend.« Ich griff
nach dem Faseroptikkabel und fing an, es in kleine Stücke zu
zerschneiden. »Ich erfahre nicht nur, dass mein Haus mit
Überwachungskameras verseucht ist, sondern muss obendrein
feststellen, dass ein Bundesagent in meinem Bett ein kleines Rodeo
veranstaltet. Dieser Agent hat mich befragt und angedeutet, mein
Lebensgefährte sei in kriminelle Machenschaften verwickelt. Nun
finde ich ebendiesen Agenten im Adamskostüm. Zu allem Überfluss hat
er seine Waffe abgelegt, und zwar so, dass Dritte Zugriff darauf
haben.«
»Sie können doch nicht …«
Ich lehnte mich vor und wieherte. Seine Lippen
zitterten.
»Darüber hinaus zeigt sich, dass die Rodeoshow des
Agenten von einer Überwachungskamera an das Computersystem eines
weiteren Verdächtigen übertragen wurde.« Ich schnitt noch ein Stück
Kabel ab.
»Großer Gott. An wen?«, fragte er. »Wer hat die
Wanzen versteckt?«
Ich beugte mich zu ihm. »Hören Sie auf, Jesse zu
bedrohen.«
»Aber er ist für die Ermittlungen von
Interesse.«
»Sie wissen ganz genau, dass die Vorwürfe gegen ihn
aus der Luft gegriffen sind.«
»Ich kann nicht einfach …«
»Was ist eigentlich mit Ihnen los? Sie legen sich
ungebeten in mein Bett, treiben es mit einer verheirateten Frau und
entschuldigen sich noch nicht mal.« Ich platzierte meine Hand neben
ihm auf dem Bett, sodass die Schere mit der Spitze auf seine
Achselhöhle wies. »Wie kommen Sie dazu, mein Haus für Ihre
Eskapaden zu benutzen?«
»Taylor hat gesagt, zu ihr können wir nicht, weil
ihr Mann das merken würde.«
»Schon mal was von Motels gehört?«
»Ich bin auf einer Geschäftsreise. Eine
Motelrechnung kann ich unmöglich als Spesen …«
Ich atmete laut aus und ließ den Kopf sinken.
»Halten Sie sich einfach zurück. Hören Sie auf, Jesse mit der
Beschlagnahmung seines Vermögens zu drohen. Schützen Sie ihn
endlich vor den Gangstern, die es auf ihn abgesehen haben.«
Er starrte an die Decke. Seine Nasenlöcher bebten.
Vermutlich wollte er sich seine Niederlage nicht eingestehen und
überlegte schon, wie er mich austricksen konnte, sobald er mein
Bett verlassen hatte.
»Van Heusen?«
»Ja, in Ordnung. Wir ermitteln nicht weiter gegen
Blackburn.«
»Sie pfeifen Ihre Leute zurück.«
»Ja.«
»Und zwar wirklich. Keine Tricks, keine Versuche,
die Sache ins Gegenteil zu verkehren, sobald Sie hier raus
sind.«
»Warum sollte ich so was tun?«
»Weil Sie machtgeil sind und gerne Leute
schikanieren. Aber diesmal nicht. Sie stehen nicht nur in meiner
Schuld, Sie brauchen mich.«
»Nach heute Abend sind wir quitt. Ich will Sie nie
wiedersehen.«
»Falsch. Ich kann Ihnen nämlich sagen, wie Sie an
Material gegen I-Heist kommen. Und ich kann die Verbindung zu Mako
nachweisen.«
Jetzt hatte ich sein Interesse geweckt.
»Wie?«
»Wenn Sie Ihr Wort halten und Jesse in Zukunft
tatsächlich in Ruhe lassen, erzähle ich es Ihnen.«
Er blinzelte. »Ja, ja. Geht in Ordnung.«
»Nur damit wir uns nicht missverstehen: Ich habe
das Video auf einem Computer gesehen, aufgezeichnet und per E-Mail
an mehrere Personen versandt. Leute bei der Marine, der CIA
…«
»Das haben Sie nicht.«
Hatte ich nicht, aber das brauchte ich Van Heusen
ja nicht auf die Nase zu binden.
»Und vergessen Sie nicht, dass ich das Material
jederzeit weiterverschicken kann. Zum Beispiel an einen gewissen Ed
Eugene Boggs.«
Ich lächelte wissend. Er biss sich auf die
Lippen.
»Yippie Yippie Yeah, Van Heusen.«
Dann schnitt ich ihn los.