7. Kapitel
Der Kaffee war ein Fehler.
Den Nachmittag verbrachte ich auf dem Rücksitz
meines Explorers vor dem Gefängnis in Goleta und erledigte
Büroarbeiten. Ich tätigte längst überfällige Telefonate,
durchforstete das Handschuhfach nach Quittungen für das Finanzamt
und verputzte eine Packung Erdnuss M & M zum Mittagessen. Dann
skizzierte ich in groben Zügen das Seminar zum Thema Konflikt, das
ich bei dem Schriftstellerkongress leiten sollte. Im Prinzip ganz
einfach. Am besten ließ ich die Teilnehmer zur Veranschaulichung
bei meinen Einsätzen zusehen, damit sie sich Notizen machen
konnten. Schließlich schrieb ich an Chromium Rain weiter, an
dem Kapitel, in dem die Heldin aus den Ruinen von Cheyenne
Mountain, Colorado, entkommt. Dabei behielt ich stets das Gefängnis
und das benachbarte Büro des County Sheriffs im Auge. Ich wollte
nur ungern von einem neugierigen Deputy gefragt werden, ob ich
wirklich das Nordamerikanische Luft- und
Weltraumverteidigungskommando in die Luft jagen wollte.
Leider war der Kaffee inzwischen durchgelaufen. Ich
musste dringend zur Toilette. Immer wieder spähte ich zum Gefängnis
hinüber. Hoffentlich kam Brand bald heraus.
Plante er tatsächlich unterzutauchen? Ich hatte
keine Ahnung. Trotz Adams Aufregung war es durchaus denkbar,
dass auch ein Millionär eine Viertelmillion nicht so einfach
abschreiben wollte. Und der Gedanke, einen Kopfgeldjäger im Nacken
zu haben, mochte ebenfalls abschreckend wirken. Außerdem war ich
immer noch davon überzeugt, dass Brand in Santa Barbara eine
Rechnung offen hatte.
Um drei Uhr wäre ich am liebsten aus der Haut
gefahren; und Adam hatte sich immer noch nicht gemeldet. Als mein
Handy klingelte, griff ich hektisch danach.
»Du warst auch schon mal freundlicher«, sagte mein
Bruder. Offenbar hörte man mir die Anspannung deutlich an.
»Brian.« Ich rutschte auf dem Sitz hin und her.
»Wie geht’s in Washington?«
»Das Wetter ist so feucht, dass man am Stuhl
festklebt.«
Brian saß im Pentagon. Das war eine der üblichen
Stationen in der Karriere eines Marinefliegers, aber er hasste die
Schreibtischarbeit. Ein Posten im Pentagon war in den heutigen
Zeiten zwar kein sicherer und dafür langweiliger Bürojob mehr,
trotzdem ließ er sich logischerweise nicht mit einer F/A-18
vergleichen.
»Ev, ich wollte dir nur sagen, dass du Besuch
kriegst.«
»Wirklich? Das ist ja toll, Bri. Ich freu mich
schon auf dich und Luke!«
»Leider wirst du mit Cousine Taylor vorliebnehmen
müssen.«
Meine Hochstimmung verflog schlagartig. »Das ist
doch nicht dein Ernst!«
»Tut mir leid, Schwesterchen. Das größte
Klatschmaul aller Zeiten ist im Anmarsch.«
Auf der anderen Straßenseite fuhr ein schwarzer
Porsche Carrera beim Gefängnis vor. Der Fahrer stieg aus. Ich war
plötzlich hellwach. Kenny Rudenski.
»Ich habe gerade mit Mom gesprochen. Taylors
Ehemann wird auf eine Ölplattform im Santa Barbara Channel
versetzt.«
Rudenski strich sich das Haar glatt und verschwand
im Gefängnis. Ich kletterte über den Schalthebel auf den
Fahrersitz, was meiner Blase gar nicht gefiel. Dann steckte ich den
Schlüssel ins Zündschloss und erstarrte.
»Moment mal. Soll das heißen, Taylor zieht
um?«
»Du klingst ja schon wieder so pampig«, beschwerte
sich Brian.
In diesem Augenblick trat Rudenski mit Franklin
Brand aus dem Gefängnis. Ich ließ den Motor an. Selbst aus dieser
Entfernung war zu erkennen, dass Brand nicht gerade fröhlich
wirkte. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Wortlos stieg er
mit Rudenski in den Porsche.
»Ich ruf dich zurück, Brian.«
Der Porsche fuhr los. Ich wartete, bis ein
silberner Mercedes-Geländewagen vorbei war, der mir Deckung gab,
bevor ich mich in den Verkehr einreihte.
Der Porsche fuhr auf den Freeway in Richtung
Westen. Als er die Ausfahrt nach Goleta nahm, folgte ich ihm, hielt
mich jedoch hinter dem Mercedes. Die Ampel schaltete auf Rot, aber
der Porsche bog unverdrossen in die Patterson Avenue ein. Da ich in
beiden Fahrspuren Autos vor mir hatte, blieb mir nichts anderes
übrig, als zu bremsen. Ich versuchte verzweifelt auszumachen, in
welche Richtung Rudenski fuhr. Der silberne Mercedes wartete direkt
neben mir in der rechten Spur. Und wie ich bemerkte, taten Fahrer
und Beifahrerin genau dasselbe wie ich.
Sie starrten dem Porsche nach.
Die Beifahrerin war eine drahtige junge Frau mit
kurz
geschorenem schwarzem Haar, die mich an einen Windhund erinnerte.
Der Fahrer war ein übergewichtiger Mann, dessen bebrilltes Gesicht
die Farbe von Pfannkuchenteig hatte. Unter dem Bärtchen schwabbelte
ein kürbisartiges Doppelkinn. Die Frau reckte den Hals und deutete
auf Rudenskis Auto. Daraufhin kurbelte der Fahrer am Lenkrad,
manövrierte den Wagen um die Fahrzeuge vor ihm aufs Bankett und bog
ebenfalls ab.
Die beiden verfolgten Rudenski. Für einen
Augenblick trieb mich ein absurder Ehrgeiz, es ihnen nachzutun.
Aber dann meldete sich die Vorsicht und befahl mir, den Fuß auf der
Bremse zu lassen. Abwarten und die Situation im Auge
behalten.
Als die Ampel grün wurde, bog ich in die Patterson
Avenue ein. Weit vor mir fuhr der Porsche um eine Ecke und
verschwand hinter einer Avocadopflanzung. Der Mercedes folgte
ihm.
Ich raste an der Pflanzung, einer Feuerwehrstation
und Neubausiedlungen vorbei, die auf einstigen Feldern aus dem
Boden sprossen. An der nächsten Kreuzung verließ ich mich auf mein
Glück und brauste geradeaus in ein Gewerbegebiet mit Geschäften,
Motels und Restaurants. Keine Spur von Rudenski oder dem Mercedes.
Allmählich geriet ich in Panik. Brand durfte mir nicht noch einmal
durch die Lappen gehen.
Dann trat ich auf die Bremse. Unter dem Vordach
eines Holiday Inn stand der Porsche. HUMMERBUFFET 9,99 DOLLAR UND
WILLKOMMEN, FAMILIE GARCIA hieß es auf der Markise davor. Ich
rollte auf den Parkplatz, stellte meinen Wagen ab und beobachtete
den Porsche im Rückspiegel.
Brand stieg aus, knallte die Autotür zu und
verschwand
in der Lobby. Der Porsche ließ den Motor aufheulen und brauste
davon.
Ich wartete.
Kein Mercedes, der die Verfolgung des Porsches
aufnahm. Auf dem Parkplatz befand er sich allerdings auch nicht.
Keine Spur von der Frau mit dem Kurzhaarschnitt und dem
Dicken.
Ich hatte gewonnen.
Ich staffierte mich mit Baseballkappe und
Sonnengläsern aus und steuerte die Lobby an.
Als ich eintrat, stand Brand gerade mit dem Rücken
zu mir an der Rezeption. Ich marschierte an ihm vorbei.
»Irgendwelche Nachrichten für mich?«
»Ihre Zimmernummer?«
»Hundertsiebenundzwanzig.«
Manchmal muss man eben Glück haben. Er war also
Gast im Hotel und wartete auf Nachrichten. Ich schlenderte zu einem
Drehständer mit Tourismusbroschüren, schnappte mir eine davon und
notierte mir die Zimmernummer.
Schon nach ein paar Sekunden wurde mir klar, dass
sich der Gang zur Toilette nicht mehr aufschieben ließ. Ich warf
einen Blick über die Schulter. Brand stand noch an der Rezeption
und las seine Nachrichten. Die Sanitärräume befanden sich in einem
Gang zu meiner Linken. Ich überlegte. War dieser Stopp Teil eines
raffinierten Fluchtplans? Vielleicht fuhr Kenny Rudenski nur um den
Block und wollte Brand am Hintereingang aufsammeln.
Und vielleicht hätte ich das Handbuch für Detektive
besser lesen sollen. Erst pinkeln, dann beschatten lautete
eine der Grundregeln.
Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Mit
unziemlicher Hast strebte ich den Toiletten zu, wobei ich darauf
achtete, dass Brand mein Gesicht nicht sah. Als ich die Tür
öffnete, wurde mir klar, dass heute mein Glückstag sein musste.
Eine der Kabinen war tatsächlich leer, auf einer Damentoilette eine
Seltenheit. Ich verriegelte die Tür und hängte meine Tasche über
den Kleiderhaken. Als ich mich endlich niederließ, traten mir die
Tränen in die Augen, und ich hätte jubilieren können vor
Freude.
Draußen näherten sich Schritte. Unter der Tür
wurden Doc-Martens-Schuhe sichtbar. Dann griff eine Frauenhand über
die Kabinentür und fischte meine Tasche vom Haken.
»He!«, brüllte ich, aber die Diebin war schon
weg.
Ein alter Trick. Ich beeilte mich nach Kräften und
stürzte auf den Gang hinaus, wo ich so heftig mit Brand
zusammenprallte, dass mir die Luft wegblieb. Ich spürte, wie mir
der Schweiß ausbrach. Er war ein massiger, großer Mann, dessen
schwerer Körperbau von seinem Kaschmir-Sportsakko kaum kaschiert
wurde. Säuerlicher Gefängnisgeruch klebte an ihm, und seine Wangen
waren von grauen Stoppeln bedeckt.
»Passen Sie doch auf«, fuhr er mich an.
Seine Augen hatten eine merkwürdige Farbe, eine
geradezu kaleidoskopartige Mischung aus Grün und Braun. Wütend
stieß er mich beiseite und stapfte in Richtung Pool.
Ich sah Sterne. Es dauerte ein paar Sekunden, bis
meine Benommenheit verflogen war. Dann folgte ich ihm, immer auf
der Suche nach der Frau mit den Doc-Martens-Schuhen. Das Hotel war
um einen Innenhof mit Rasen, hohen Palmen und einem türkisfarbenen
Swimmingpool angelegt, in dem Kinder spielten. Die Sonne glitzerte
auf dem Wasser. Auf der
anderen Seite des Hofes erspähte ich Brand mit einer Codekarte in
der Hand.
Die Frau war nirgends zu entdecken.
Verdammt noch mal! Ich rannte zurück und durch die
Lobby nach draußen. In einem Blumenkübel vor dem Haupteingang fand
ich meine halb geöffnete Tasche. Daneben meine Brieftasche.
Bargeld, Führerschein, Sozialversicherungsausweis und Kreditkarten
waren verschwunden. Und mein Handy auch.
Draußen auf der Straße brauste ein silberner
Mercedes-Geländewagen davon.
Ich lief zurück in die Lobby und bat den
Rezeptionisten, die Polizei zu rufen.
Die Geschäftsführerin kam an die Rezeption und
entschuldigte sich verlegen.
»Das tut mir wirklich furchtbar leid.
Selbstverständlich werden wir Ihnen den Aufenthalt nicht
berechnen.«
Ein Silberstreif am Horizont, wenn auch nur ein
schmaler. »Ich wollte gerade einchecken«, sagte ich. »Mein Name ist
Delaney. Haben Sie etwas in der Nähe von Zimmer
hundertsiebenundzwanzig?«