Erfreulicherweise änderte sich das Erscheinungsbild der Band zu der Zeit meines Einstiegs ein wenig. Keine Ahnung, wer diese Glam-Rock-Idee überhaupt mal aufgebracht hatte, aber ganz am Anfang traten AC/DC in Plateauschuhen und Glitzerklamotten auf. Ich sollte außer einer roten Satinjacke auch noch eine rote Mütze tragen – George Young hatte, wenn er als Aushilfsbassist einsprang, auch immer eine aufgehabt, und man sagte mir, kein Mensch würde den Unterschied merken, wenn nun auch ich mit einer roten Mütze auf die Bühne käme. Das konnte ich noch abbiegen – ich hatte nicht viel für Kopfbedeckungen übrig. Aber die scheußliche rote Satinjacke blieb mir nicht erspart, auch wenn ich sie Gott sei Dank nur noch für kurze Zeit überziehen musste.
Wahrscheinlich zeichnete sich schnell ab, dass uns das Glam-Outfit auch in abgeschwächter Form Probleme bereiten würde, weil die harten Jungs aus den Vorstädten, die einen großen Teil unserer Anhängerschaft ausmachten, für solche Sperenzien nichts übrig hatten. Auch ohne Satinjacken war es manchmal in den Bierkellern von Melbourne ziemlich haarig, und um sich in so ausgefallener Garderobe in diese Läden hineinzuwagen, musste man entweder sehr gut auf sich aufpassen können oder war komplett bescheuert (oder beides). Es war keine bewusste Entscheidung oder ein Befehl „von oben“, der uns dazu brachte, unseren Look zu ändern – wir entwickelten uns einfach in eine andere Richtung, die besser zum Sound und Image der Band passte. Mit Glitzerjacke konnte man ja wohl kaum ein Typ von der Straße sein, oder? Der frühe Look von AC/DC passte nie zu dem, was ich hörte. Wenn ich die Augen schloss, dann hörte ich eine laute, dreckige, Blues-Rock-Band, und wenn ich sie wieder aufmachte, sah ich Satin, Seide und Plateauschuhe. Das haute nicht hin.
Wie ich hörte, war Malcolm ein großer Fan von Marc Bolan und T. Rex, von daher ist diese peinliche Idee vielleicht zumindest zum Teil darauf zurückzuführen. Herm Kovac, der Drummer der Ted Mulry Gang, die auch bei Albert Productions unter Vertrag stand, hatte früher einmal mit Malcolm in einer Band gespielt, bevor es AC/DC gab; sie nannten sich etwas unglücklich The Velvet Underground, mit allem schuldigen Respekt vor Lou Reed und Co. – und er schwor, dass damals in Malcolms Zimmer ein Foto von Marc Bolan hing. Zu Malcolms Ehrenrettung fügte Herm stets hinzu, es sei nur ein sehr kleines Foto gewesen. (Tatsächlich gaben wir unseren ersten Fernsehauftritt in England in Marc Bolans Comeback-Show, und wir spielten hundertprozentig live, worauf ich heute noch sehr stolz bin.)
Mein erster offizieller Gig mit AC/DC fand am Donnerstag, den 20. März 1975, im Waltzing Matilda Hotel an der Heatherton Road in Springvale statt, einem Vorort im Südosten von Melbourne. Es war ein typischer Bierkeller-Auftritt, mit zwei Sets zwischen zehn und halb zwölf Uhr abends. Das Waltzing Matilda war ein riesiger Laden, der zu einem Motel-Komplex gehörte und 1.200 Zuschauer fasste. Solche Gigs wurden zum Lebenselixier für AC/DC in Melbourne. In großen Vorstadt-Pubs wie diesem spielten in der Regel donnerstags, freitags und samstags zwei Live-Bands. Der Eintritt kostete zwei Dollar, und die Hauptattraktion war, dass man bis halb zwölf saufen konnte, während normale Pubs um zehn Uhr Sperrstunde hatten.
Ich war an diesem Abend ein wenig nervös, aber kaum, dass wir die Bühne betraten und loslegten, war alle Unruhe wie weggeblasen. Im Grunde musste ich auch nichts weiter tun, als mich an Malcolm und Phil zu halten, und sie spielten extrem solide und machten es mir leicht. Mit ihnen flog man wirklich erster Klasse. Wenn Bon gerade nicht sang oder versuchte, sich aus dem Publikum schon einmal eine Begleitung für den Rest des Abends auszusuchen, dann unterstützte auch er mich sehr. Dann kam er während eines Songs an meine Seite und raunte mir zu: „Na, alles klar, Mike?“ Vielleicht war alles klar, aber ich hätte mich auch gefreut, wenn Bon mich mit meinem richtigen Namen angesprochen hätte. (Aber vielleicht wusste er auch einfach mehr als ich – die ersten Goldenen Schallplatten, die ich bekam, waren alle mit der Inschrift „Mike Evans“ versehen.) Auf der Bühne schaukelten sich Bon und Angus gegenseitig hoch, und das aus meiner Perspektive mitzubekommen, war der helle Wahnsinn.
Während dieses ersten Gigs spielten wir das ganze High Voltage-Album, ergänzt um ein paar Cover, darunter „Jailhouse Rock“ und „Jumpin’ Jack Flash“ von den Stones. Zum Abschluss brachten wir eine ausgedehnte, wirklich extrem lange Fassung von „Baby Please Don’t Go“. Es waren recht viele Leute da, darunter eine Menge harte Typen aus der Gegend. Das Publikum wusste damals allerdings oft nicht, was es von uns halten sollte. Normalerweise reagierten die Zuschauer eher zurückhaltend, und Zugaben waren die Ausnahme. An jenem Abend im Waltzing Matilda trommelte man uns jedenfalls nicht noch einmal raus, aber wir bekamen 250 Dollar Gage. Nicht schlecht für einen Abend.
Um sich als noch unbekannte Band in Australien einen Namen zu machen, war die Fernsehsendung Countdown von größter Bedeutung, und von daher war es ein großes Glück für AC/DC, dass uns der Countdown-Moderator Ian „Molly“ Meldrum unter seine Fittiche nahm und sehr oft in seiner Sendung präsentierte. Molly und Bon waren alte Bekannte; wir anderen lernten Molly erst bei den ersten Fernsehauftritten kennen. Er war eine schillernde Persönlichkeit, voller verrückter Einfälle und stets darauf bedacht, seinen Spaß zu haben – und ich bin mir sicher, dass sich das über die Jahre nicht geändert hat. Auf mich wirkte er damals wie ein angespanntes, hyperaktives Energiebündel. Es war nicht so, dass wir uns mit Molly privat getroffen hätten, dazu verkehrten wir offenkundig in zu verschiedenen Kreisen, aber wenn sich unsere Pfade kreuzten, dann war es immer sehr lustig. Molly schob unsere Karriere aktiv an, und er war es letztlich auch, der mitverantwortlich dafür war, dass wir einmal den „Aufstand“ probten, wie er es nannte: Bei einer Neujahrssendung in Adelaide spielten wir so lange und überzogen unsere Zeit derart, dass man uns schließlich den Strom abstellte.
Countdown war eine einstündige Sendung, die am frühen Sonntagabend auf ABC lief, dem einzigen australischen Sender, der in den frühen Siebzigern wirklich im ganzen Land zu sehen war. Wenn man einigermaßen regelmäßig bei Countdown auftrat, dann war so gut wie sicher, dass man einen kleinen Hit landete und außerdem eine halbwegs erfolgreiche, landesweite Tournee starten konnte. Die Sendung ist unter anderem dafür berühmt, dass sie ABBA in Australien bekannt gemacht hat – inwieweit ihr das als Verdienst zuzurechnen ist, liegt allerdings im Auge des Betrachters. Die vier Schweden hatten ja auch ziemlich ausgefallene, extreme Bühnenklamotten, und wenn ich heute daran denke, wie Mal am Anfang auf die Bühne ging, dann hatten wir vielleicht mehr mit ABBA gemeinsam, als ich damals dachte.
Offiziell wurde Countdown als „Live“-Show präsentiert, und das stimmte auch insofern, als sie vor einem Live-Publikum aufgezeichnet wurde und die Künstler in der Reihenfolge auftraten, in der sie später auch zu sehen waren; wenn man sich also Schnitzer leistete, dann gingen die in der Regel später auch über den Bildschirm. Es war eine Mischung aus Filmclips, die von den Plattenfirmen bereitgestellt wurden, und Bands im Studio, die zu Halbplayback auftraten – nur der Gesang war live. Heute klingt das natürlich alles ziemlich putzig, aber ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig die Sendung damals für uns war. Sie bedeutete eine enorme Abkürzung auf dem langen Weg zum Ruhm und war für jeden, der darauf hoffte, in Australien durchzustarten, unverzichtbar. Ich weiß nicht, was sonst noch, wenn überhaupt, hinter den Kulissen gemauschelt wurde, um AC/DC nach vorn zu bringen, aber ob wir es ohne Countdown bis an die Spitze geschafft hätten, das erscheint mir heute zumindest zweifelhaft.
Meinen ersten Samstagnachmittag als frisch gebackenes Bandmitglied verbrachte ich in den ABC-Studios in Ripponlea, ganz in der Nähe des Prahran Hilton, und nahm meinen ersten Countdown-Auftritt auf, der am Sonntag, dem 23. März 1975, ausgestrahlt wurde. Damals hatte ich erst zwei Gigs mit der Band gespielt. Die Sendung prägte sich natürlich zum einen deswegen so bei mir ein, weil sie mein Kamera-Debüt war, aber auch, weil Bon sich mal wieder einen seiner typischen Späße leistete.
Wir sollten mit „Baby Please Don’t Go“, unserer aktuellen Single, die gerade ziemlich gut lief, die Show eröffnen, und wir probten den Song natürlich vorher, während das Kamerateam alle Einstellungen überprüfte. Das Studio wurde staatlich subventioniert und war dementsprechend gut ausgestattet, wenn auch nach heutigen Maßstäben primitiv. Nach ein paar Durchgängen wurde das Publikum hereingeholt, und die Kameras liefen an. Und wo ich gerade „primitiv“ sagte – ein paar von den jungen Damen im Publikum benahmen sich auch ein bisschen steinzeitlich. Wir spielten das Intro, sahen uns um … und Bon war plötzlich verschwunden. Die Crew bekam Panik: Wo zum Teufel war der Kerl? Nach einer gefühlten Ewigkeit, die wahrscheinlich nur ein paar Sekunden dauerte, erschien er dann auf der Bühne: Er trug ein Schulmädchenkleid, Make-up und eine völlig abgedrehte Perücke mit geflochtenen Zöpfen, dazu hielt er einen riesigen Gummihammer in der Hand und paffte eine Zigarette. Er sah unglaublich aus.
Wir anderen gaben uns alle Mühe, bei seinem Anblick nicht in lautes Lachen auszubrechen und so cool auszusehen, wie es sich für eine Rockband gehörte, aber verdammt, das war nicht einfach. Angus war besonders kribblig und nervös, aber Bon trat ans Mikrofon und war einfach nur er selbst, wenn man davon absah, dass er eben wie ein unartiges Schulmädchen angezogen war. Zu einer Zeit, in der die Musikszene von aufgeblasenen, pompösen Acts wie Queen, Yes und King Crimson beherrscht wurde, fielen wir ziemlich auf – eine ungewaschene Rockband aus Australien, deren Gitarrist in Schuluniform auftrat und die seit neuestem auch noch einen Sänger hatten, der als Schulmädchen verkleidet vor laufender Kamera der ganzen Nation seinen Schlüpfer zeigte. Das war mein erster Fernsehauftritt. Für mich lief es prächtig, kein Problem.
Mein Vater Pat stammt aus Sydney, von daher habe ich mich dieser Stadt stets sehr verbunden gefühlt. Als kleiner Junge hatte ich Stunden damit zugebracht, die Harbour Bridge zu zeichnen, viele hundert Male – immer wieder dasselbe Motiv, die Brücke unter strahlend blauem Himmel und bei leuchtendem Sonnenschein, der die Fähren auf dem Wasser schimmern ließ. Als Teenager war ich zweimal in Sydney gewesen, auf Ausflügen mit ein paar Kumpels, und von daher war ich begeistert, als die erste Tour mit AC/DC anstand und ich wusste, dass sie mich nach Norden führen würde.
Anfang Mai 1975 stellten AC/DC ihre neue Besetzung in ihrer Heimatstadt vor. In den sechs Wochen, die ich nun in der Band war, hatte ich schon gemerkt, dass sich Mal und Angus in Melbourne nicht hundertprozentig wohl fühlten. Sie vermissten Sydney, ihre Familie und ihr gemütliches Zuhause in Burwood. Aber nachdem Michael Browning als ihr Retter in der Not eingesprungen war und AC/DC vor dem Untergang bewahrt hatte, war es unvermeidlich gewesen, dass die Band eine Weile in Melbourne residierte. Mal und Angus waren nicht gern von zu Hause ausgezogen, und jede Möglichkeit, einmal wieder in ihre Heimatstadt zurückzukehren, hießen sie daher begeistert willkommen – wobei sich die Young-Brüder ihre Begeisterung, so wie es ihre Art war, gerade mal so sehr anmerken ließen, dass man leicht den seltenen Augenblick verpassen konnte, wenn man zufällig gerade nieste.
Wir hatten stets einen ziemlich vollen Terminkalender, aber die Woche in Sydney war besonders hektisch. Michael hatte versucht, so viele Auftritte wie möglich hineinzustopfen, aus zwei Gründen: Zum einen wollte er natürlich die Fan-Gemeinde der Band vergrößern, indem wir immer wieder live spielten und High Voltage überall vorstellten – da „Baby Please Don’t Go“ inzwischen öfters im Radio lief und bei Countdown gezeigt worden war, zogen auch die Albumverkäufe allmählich an. Der andere Grund war etwas egoistischer. Michaels Vertrag mit der Band sah vor, dass er für unsere Spesen aufkam, den Bandmitgliedern einen festen Lohn zahlte und alle Einkünfte, die darüber hinausgingen, selbst einstrich. Die Gleichung war von daher sehr einfach: Mehr Gigs erhöhten seinen Gewinn.
Unsere Ochsentour in Sydney begann am Montag, dem 5. Mai, mit einem Auftritt in jenem Club, der später unser Wohnzimmer wurde: dem berüchtigten Bondi Lifesaver, kurz Swap genannt, was sich wiederum von Bondi Wifeswapper, also Bondi Frauentausch, ableitete. Mitte der siebziger Jahre war es für Fans wie auch für Musiker der angesagteste Club der ganzen Stadt. Hier ging man hin, wenn man Jungs aus anderen Bands treffen wollte, um sich nach einem Gig noch ein bisschen was auf die Lampe zu gießen und sich ein Playmate für die Nacht zu suchen. Im Swap gab es alles, natürlich zu einem gewissen Preis. Es sei denn, deine Band hatte es schon geschafft: Dann war alles umsonst.
Die kleine Halle besaß auf der rechten Seite, wenn man hereinkam, eine sehr lange Bar, die bis an die Bühne heranreichte. Im hinteren Teil führten ein paar Stufen zu einem leicht erhöhten Restaurantbereich hinauf, in dessen Mitte ein großes Aquarium mit einer beeindruckenden Sammlung Tropenfischen stand, die den ganzen Stolz der Besitzerin darstellten. Gegenüber der Bar befand sich ein großer Biergarten, und insgesamt gab es jede Menge kleiner Winkel, in denen man nicht gleich gesehen wurde und ein bisschen was anstellen konnte.
Im Lifesaver waren wir für vier aufeinanderfolgende Nächte gebucht, von Montag bis Donnerstag. Nach der Zahl der Zuschauer zu urteilen, die sich am ersten Abend einfanden (oder eben auch nicht), war man in Sydney noch nicht wirklich scharf auf uns. Über den Abend verteilt verliefen sich vielleicht 50 Leute in dem Club, und wir spielten ziemlich lange – vier Sets, jeweils 45 Minuten. Außer den Songs von High Voltage hatten wir noch nicht viel Material, und deshalb walzten wir das so lang wie möglich aus und ergänzten es um alles mögliche andere, was uns gerade in den Kopf kam. Beim ersten Set an jenem Montag jammten wir vor einem halben Dutzend Leute, allerdings in der typischen, ohrenzerfetzenden Lautstärke, wie sie bei AC/DC nun mal so üblich war (und ist). Wir trieben die tapferen sechs Gäste ziemlich zügig in den Biergarten. Nachdem sie abgehauen waren, kümmerten wir uns nicht mehr um sie – von uns aus konnten sie bleiben, wo der Pfeffer wuchs.
Als wir schließlich wieder aufhörten, kam die Managerin des Clubs, ein kleines, blondes Energiebündel, auf uns zu. Und sie rastete so richtig aus. Ihre Ausdrucksweise war so unflätig, wie ich es danach nie wieder gehört habe. „Ihr verdammten kleinen Wichser, für wen zum Teufel haltet ihr euch, ihr Arschlöcher? Was glaubt ihr, wer ihr seid, ihr Schwanzlutscher?“ Und so ging es weiter. Wir hatten ihre einzigen Gäste vertrieben, und jetzt war sie richtig sauer. „IHR VERDAMMTEN ARSCHFICKER!“
So endete unser erster Set im Lifesaver. 15 weitere lagen noch vor uns. Die Tropenfische überlebten unsere viertägige Auftrittsreihe offenbar auch nicht.
Ein bisschen angenehmer wurde unser Aufenthalt dadurch, dass wir unsere Zimmer im Squire Inn hatten, das an den Parkplatz des Lifesavers grenzte. So konnten wir uns, wenn wir etwas Dringendes zu erledigen hatten, schnell einmal dorthin zurückziehen. Bon, Phil und ich teilten uns zum ersten und letzten Mal ein Zimmer. Bon pochte darauf, dass er der Älteste war, und bestand darauf, dass er das Doppelbett bekam; ich sicherte mir das Einzelbett, von dem aus man den besten Blick auf den Fernseher hatte. Mal und Angus pennten zu Hause in Burwood; sicherlich nicht die schlechteste Idee. Dort wurden sie anständig verpflegt, konnten ihre Klamotten waschen und sich neue Schuluniformen schneidern lassen … sie genossen eben alle Vorzüge eines gemütlichen Heims.
Es wurde eine lange Woche mit ein paar richtig langen Nächten. Das bisschen Unschuld, das ich mir vielleicht noch bewahrt haben mochte, verflüchtigte sich im Squire Inn, wo ich lernte, mein Energielevel zu erhöhen. Denn schließlich machte mich das ganze Geschniefe um mich herum doch ziemlich neugierig. Was war das denn für ein weißes Zeug? Es dauerte nicht lange, bis ich es herausfand. Gentlemen, starten Sie Ihren Motor! Meiner fuhr schon im höchsten Gang.
Als dann nach und nach doch mehr Gäste kamen, wurde die Stimmung im Lifesaver besser und besser. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie sich die Laune einer Clubbesitzerin aufhellen kann, wenn ein ständiger Strom Bargeld in die Kasse fließt – da sieht man sogar über den tragischen Verlust einiger Tropenfische hinweg. Zwar standen wir in der Rangordnung in Sydney noch ganz unten, aber wir merkten schon, dass unsere Position sich allmählich besserte. Und mehr Zuschauer, mehr Airplay und mehr Countdown brachten uns schließlich … noch mehr Zuschauer, Airplay und Countdown.
Nach den vier Abenden im Lifesaver spielten wir am Freitag und Samstag jeweils zwei Gigs – zunächst einmal eine Show ohne Altersbeschränkung in einem Jugendzentrum (keine Ahnung, wo das war, aber es gab wenigstens keine Tropenfische), dann später noch einmal in einem Pub. Herzlich willkommen in Sydney! Schnief, schnief.
Ich hatte mich inzwischen gut in die Band eingefügt und folgte dem Beispiel der anderen, indem ich mich zwar nicht direkt unfreundlich gegenüber anderen Musikern zeigte, aber sie weitgehend ignorierte, da sie einfach nicht besonders wichtig zu sein schienen. Das grenzte nicht nur an Verachtung, die meiste Zeit war es genau das. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Einstellung Bons Persönlichkeit wirklich entgegenkam – er pflegte viele Kontakte außerhalb der Band und schrieb sich beispielsweise regelmäßig mit seiner Ex-Frau Irene, seinem Bruder Graeme und engen Freundinnen wie Mary Walton.
Mary hatte eine angesagte Boutique auf der Greville Street in Prahran, ganz in der Nähe des Station Hotels, und sie bot Bon die Rückzugsmöglichkeit, die er brauchte. Die beiden blieben sein ganzes Leben lang Freunde. Er war ein fleißiger Briefschreiber, der einen kleinen Kreis enger Freunde regelmäßig über alle Ereignisse rund um die Band und über seine Eroberungen auf dem Laufenden hielt und sich besonders gern darüber ausließ, mit wessen Körper er sich gerade beschäftigte, auch wenn es nur sein eigener war. Er nannte diese kleinen Berichte „Nachrichten von meiner Front“. Es war seltsam, dass ein so geselliger Mensch wie er nicht mehr echte Freunde hatte.
Einen davon, Patrick Francis Xavier Pickett, lernte ich am 4. Juni 1975, einem Mittwoch, kennen. Ich weiß das deswegen noch so genau, weil es bei einem AC/DC-Gig im Sundowner Hotel in Geelong war. Pat, der in einem Schlachthof arbeitete, tauchte an diesem Abend im Hotel auf, um sich wieder einmal mit Bon zu treffen, den er in Adelaide zu Bons Fraternity-Zeiten kennen gelernt hatte. Danach war es für Pat, wie er sich ausdrückte, „ein bisschen tropisch geworden“, und auch wenn nichts Genaueres bekannt wurde, so sickerte dann doch irgendwann durch, dass er eine Weile gesessen hatte und nun keinen Wert mehr darauf legte, noch einmal die Gastfreundschaft Ihrer Majestät in Anspruch zunehmen. Pat war der einzige, soweit ich mich erinnern kann, den Bon mir je als „mein Kumpel“ vorstellte.
Wir standen also an der Bar im Sundowner, als Pat mich schließlich ansprach.
„Willste’n Schweineohr, Alter?“
Sofort klingelten bei mir alle Alarmglocken. Vor mir stand ein Metzger mit einem irren Funkeln in den Augen und bot mir ein Schweineohr an. Doch dann begriff ich, dass der Ausdruck zum Rhyming Slang gehörte, den Pat gern benutzte: Pig’s ear = beer. Mit seiner Einladung begann eine lange Freundschaft, die bis zum heutigen Tag andauert.
Pat hatte die Statur einer Gottesanbeterin und verrückte Laserstrahlaugen, und sein dürrer Körper war überall tätowiert. Diese eigenwillige Erscheinung wurde von einer vorzeitig schütter werdenden Haarpracht gekrönt. Mit seiner Größe überragte er uns alle, seinen neuen kleinen Kumpel Angus glatt um 30 Zentimeter. Wie Pat selbst gern einräumte, sah er zwar aus wie „ein Stück unasphaltierte Straße“, aber deswegen hatte er trotzdem verdammt viel Erfolg bei Frauen. Ich frage mich bis heute, wie dieser hässliche Sack das anstellt.
Im Sundowner gönnte sich Pat also das besagte Schweineohr, oder vielmehr mehrere, bevor er sich dann in den AC/DC-Bus schleppte. Ralph, der Roadie, eröffnete ihm, dass die nächste Haltestelle das Freeway Gardens Motel in North Melbourne sei. Pat blieb trotzdem im Bus, weil wir, wie er das nannte, „ein paar hübsche Sachen am Kochen“ hatten.
Es wurde eine extralange Nacht im Freeway Gardens. Irgendwann nach viel zu vielen Schweineohren pennte ich auf der Couch ein und erwachte am nächsten Morgen zum Soundtrack eines Tennis-Kommentars.
„Aufschlag Newcombe, er wirft den Ball hoch in die Luft …“
Ich sah auf. Der Kommentar kam von Pat, der dazu die passenden Bewegungen machte – splitterfasernackt. Er hatte nichts an außer einem Paar nicht zusammenpassender Socken. Als Tennisschläger benutzte er eine Bratpfanne. Nach dem gelungenen Aufschlag und dem anschließend gewonnenen Satz brüllte er „Newk, du Wahnsinniger!“ und schleuderte die Bratpfanne durch die Scheibe des Wohnzimmerfensters. Ich kannte Pat erst seit zwölf Stunden, hatte mich in der Zeit wunderbar mit ihm betrunken und erlebte jetzt, wie er ein Fenster zertrümmerte, während er nackt dastand und so tat, als sei er John Newcombe in Wimbledon. Das fing schon mal gut an.
Pat sah mich an und sagte: „Jetzt springe ich vom Eiffelturm und verpasse meinem Yogi-Bär eine Zitronenlimo, denn es ist ja schon halb zehn.“ Das war natürlich wieder Rhyming Slang. Kleiner Tipp zum Verständnis: Eiffel tower reimt sich auf shower wie Dusche; was sich auf yogi bear und lemon squash reimt, müsst ihr selbst rausfinden.
Später fanden wir uns dann wieder am Bus ein und machten uns auf den Weg nach Adelaide, wo wir vier Abende hintereinander im Largs Pier Hotel gebucht waren. Wir setzten Pat am Bahnhof Kensington ab und verabschiedeten uns. Als wir dann zwölf Stunden später in Adelaide ankamen, erfuhren wir, dass für uns vier Zimmer reserviert worden waren, drei Dreier- und ein Einzelzimmer.
„Oh, und Ihr Lichttechniker ist schon angekommen, er hat sich schon mal das Einzelzimmer genommen.“
Das war ein wenig seltsam. Wir hatten keinen Lichttechniker, wir hatten nicht mal ein paar Scheinwerfer. Also fragten wir vorsichtig nach: Wo konnten wir denn wohl unseren Mitarbeiter finden?
„Der sitzt in der Bar und hat sich etwas zu essen bestellt.“
Und tatsächlich, dort in der Bar stießen wir auf Pat, der seinen hageren Körper über den Poolbillard-Tisch gebeugt hatte. Er versenkte die schwarze Kugel in einer Ecktasche und verkündete dem ganzen Saal: „Die ist richtig schön auf dem Arsch reingerutscht.“
Wir hatten keinen neuen Lichttechniker, wir hatten viel mehr: Wir hatten Pat Pickett in unserem Team. Zu Anfang war er eine Art Hofnarr, der nebenbei auf Angus aufpasste, aber im Lauf der Zeit wurde er zu unserem Bühnenroadie, Beschützer und Allround-Assistent. Er wurde zur Legende in der australischen Musikszene, ein Typ, den jeder in seiner Crew haben wollte – unkonventionell, exzentrisch und einfach jemand, den man gern in seiner Nähe wusste, wenn alles in die Grütze ging. Der zwar ziemlich unberechenbar war, aber immer auch sehr unterhaltsam. Vielleicht war es ein Segen, dass Pat der einzige von Bons Kumpels war, den ich je kennen lernte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch einen weiteren überlebt hätte.
Als ich zu AC/DC stieß, war die Band mit einem alten, umgebauten Greyhound-Bus unterwegs. Der hintere Teil war abgeteilt, um Stauraum für das Equipment und die Bühnenklamotten zu schaffen, und vorn saßen Band und Crew. Der Bus war die meiste Zeit in der Werkstatt, was die Band immer wieder ziemlich lustig fand, weil die ganze Geschichte ein ziemliches Loch in die Finanzen von Michael Brownings Management-Agentur Trans Pacific riss.
Trans Pacific Management hörte sich zwar ziemlich großartig an, aber eigentlich war es nur eine kleine Klitsche, die Michael mit seinem damaligen Geschäftspartner Bill Joseph aufgebaut hatte, um von East St. Kilda aus die nötige Infrastruktur für die Band bereitzustellen. Michael und Bill waren der Rettungsanker, den die Band damals so dringend brauchte; ohne ihre finanzielle und logistische Unterstützung wäre die Geschichte von AC/DC vermutlich wesentlich kürzer ausgefallen – wenn es sich überhaupt gelohnt hätte, sie zu erzählen.
Browning war auf AC/DC aufmerksam geworden, als er die Band, die gerade für ein paar vermutlich schlecht bezahlte Gigs auf dem Weg von Sydney nach Adelaide war, für einen Auftritt im Hard Rock Café in Melbourne buchte. Er war von ihrem Gig spontan ziemlich beeindruckt und freundete sich ein wenig mit Malcolm an, und so kam es dann, dass Malcolm ein SOS an Michael funkte, als der damalige AC/DC-Manager Denis O’Laughlin den Laden an die Wand fuhr und die Band in Adelaide sitzen ließ. Michael fuhr sofort zu ihnen und rettete ihnen den Arsch. So jedenfalls wurde es mir erzählt.
Der Vertrag mit TPM zahlte sich für AC/DC aus. Als sie nach Melbourne zogen, gab es nur noch den harten Kern von Malcolm, Angus und Bon; die anderen Mitglieder waren während der turbulenten Ereignisse der vorangegangenen Wochen verloren gegangen. Michaels Entscheidung war von daher ein echter Vertrauensbeweis – er war bereit, in eine Band zu investieren, die völlig ihre Richtung verloren hatte. Ihnen standen harte Zeiten bevor – aber immerhin harte Zeiten, in denen von Langeweile nicht die Rede sein konnte.
Michaels Regime sah so aus: Alle Bandmitglieder bekamen einen festen Satz von 60 Dollar die Woche, von denen Malcolm und Angus noch jeweils 15 abgezogen wurden, um Altschulden zu begleichen. Die Band wurde in dem besagten Haus in der Lansdowne Road untergebracht, das in der Nähe der Innenstadt lag, aber vor allem um die Ecke vom Hard Rock Café und dem TPM-Büro. TPM stellten auch die PA und die Crew (Beleuchtung gab es noch nicht, die sollte später folgen, als auch der Rest der Ausrüstung aufgestockt wurde), und besorgten schließlich auch den Greyhound-Bus – genau das richtige Transportmittel für diese „Band von Vagabunden und Dieben“, wie Angus uns bezeichnete. Und so hatten wir alles: Geld, ein Zuhause, Equipment, eine Crew, einen fahrbaren Untersatz, Manager, Agenten und vor allem immer wieder neue Gigs, die Michael für uns organisierte. Und dann war da ja auch noch Brownings Club in der Innenstadt von Melöbourne, das Hard Rock Café, das wir als Basis zum Aufbau einer großen Fan-Gemeinde nutzen konnten. So sah die Lage der Band aus, als ich im März 1975 hinzustieß.
Phil war einen Monat vorher angeheuert worden; das erste Album High Voltage war da bereits eine ganze Weile im Kasten. Bon hingegen war schon wesentlich länger dabei und hatte an der Platte entscheidend mitgewirkt; unter anderem hatte er aus den handgeschriebenen „dirty ditties“, die er sich in einem Stapel Schulhefte notiert hatte, die Texte zusammengestellt. Es war inzwischen eine ganz andere Band als jene, die am Silvesterabend 1973 ihren ersten Auftritt in Sydney absolviert und dabei ein paar eigene Songs, vor allem aber Cover-Versionen von den Stones und Chuck Berry gespielt hatte.
Aber kommen wir mal wieder auf den Bus zurück. Es war ein wirklich temperamentvolles Gefährt. Als Malcolm es das erste Mal erwähnte, lag ein kleines bisschen Frust in seiner Stimme: „Ich glaube, wir haben das Scheißding inzwischen schon weiter geschoben, als wir damit gefahren sind.“ Das klang für mich nicht gerade Vertrauen erweckend, aber nach ein paar Wochen kam Uncle Gus, wie wir den Bus nannten, wieder aus der Werkstatt und war einsatzbereit.
Zwar habe ich auch ein paar schöne Erinnerungen an dieses Ding, aber trotzdem bin ich überzeugt, dass es von Anfang an verflucht war. Ein Problem war beispielsweise, es im Innenraum halbwegs warm zu bekommen, weil der Bus keine Heizung hatte. Ich versuchte alles Mögliche, um der Kälte zu entkommen. Auf einer Fahrt von Melbourne nach Gippsland im Osten lud ich ein paar Mädels ein, mir Gesellschaft zu leisten. Wir waren eigentlich nur gute Kumpels, aber dann hockten wir miteinander in Uncle Gus, tranken ein bisschen was, und weil es wirklich sehr, sehr kalt war, rückten wir ein bisschen zusammen – und bevor ich mich versah, war mir gar nicht mehr so kalt, und wir waren wirklich sehr, sehr gute Freunde. Pat Pickett nannte diese Taktik „Marks Schwesternsandwich“, und ich kann sie auch nur empfehlen, aber man musste schon diskret sein. Es war ja eine Sache, wenn man so viel Nettigkeit erfuhr, aber ich war mir ziemlich sicher, dass die Ladys keinen Wert darauf legten, dass der ganze Bus mitbekam, was zwischen uns lief. Da wäre sofort die Hölle los gewesen. Als Gentleman, der ich nun mal bin, will ich auch ihre Namen hier verschweigen, aber ich weiß, dass zumindest eine der beiden sich noch immer sehr gern an diese Tour erinnert – sogar noch mit genau demselben Zungenschlag, wie ich feststellte, als wir uns ein paar Jahre später bei einer Party wiedersahen. Übrigens auch eine sehr angenehme Erfahrung.
Aber trotzdem fror man sich die meiste Zeit in dieser Scheißkarre den Arsch ab, und insgesamt entgingen wir dem Tod durch Unterkühlung nur knapp, davon bin ich heute überzeugt. An einem Montagmorgen, als wir von Sydney aus nach Goulbourn unterwegs waren, waren die Scheiben von innen befroren – es sah aus, als säßen wir in einer riesigen Kühltasche.
Und wir waren enorm viel unterwegs. Wenn wir beispielsweise am Sonntagabend in Melbourne gespielt hatten, packten Ralph und Tana den ganzen Kram hinten auf die Ladefläche, und dann düsten wir auf den Highway 31 Richtung Sydney. Ralph der Roadie war der einzige, der sich hinters Steuer setzte. Er fuhr die ganze Nacht durch und hielt nur zum Tanken oder Kaffeetrinken; jedenfalls dachte ich damals noch, dass es Kaffee war, was er sich reinzog. Während wir zuerst noch vom „Boxenstopp“ sprachen, war irgendwann nur noch von „Pinkelpause“ die Rede. Ralph bestellte sich einen Kaffee, verschwand auf dem Klo, holte den Kaffee an der Theke ab und erwartete, dass wir bis dahin alle wieder im Bus saßen. Es gab keine richtigen Mahlzeiten, keine Snacks, nur Ralph, seinen „Kaffee“ und Kilometer um Kilometer Autobahn.
Ralphs unermüdliche Ausdauer am Steuer beeindruckte mich. Er erzählte gelegentlich von einem Kumpel, der Lkw-Fahrer war, und gab immer damit an, wie putzmunter er bei diesen Nachtfahrten war, während wir alle eine Mütze Schlaf nahmen. Entweder war er Superman, oder aber er griff gelegentlich auf ein klein wenig chemische Unterstützung zurück. Das zeigt, wie naiv ich Anfang 1975 noch war: Ich dachte wirklich, dass es lediglich Kaffee war, der ihn wach hielt.
Aber das mit der Naivität erledigt sich recht zügig, wenn man eine Zeitlang auf Tour ist. Und das war ich; von dem Augenblick an, da ich zur Band stieß, bis zu unserem Ausflug nach England ein gutes Jahr später waren wir ständig auf Achse. Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie viele Gigs wir in der Zeit gaben, obwohl mir viele der beinharten AC/DC-Experten da sicher mit der genauen Zahl aushelfen könnten. Mehr als 300 waren es bestimmt.
Eine Pause on the road war allerdings garantiert und sozusagen Kult: Auf dem Weg von Melbourne nach Sydney hielten wir immer an, um den Bunyip von Ettamogah anzuschauen. Erst war es Malcolm, der immer darauf bestand, und als ich später mit anderen Bands unterwegs war, machte ich es genauso. Den Bunyip von Ettamogah konnte man nördlich von Albury an der Grenze von Neusüdwales beobachten. Auf einer Nachtfahrt Richtung Norden kamen wir einmal um drei Uhr nachts durch Ettamogah, aber das hielt Malcolm nicht davon ab, seine lieben Mitreisenden aus dem Schlaf zu reißen. Wir versammelten uns vor einem Unterstand auf dem Parkplatz und verfolgten gespannt, wie Malcolm 20 Cent in den Schlitz des dort befindlichen Apparats warf.
Durch den Maschendraht hinter dem kleinen Häuschen konnte man auf eine kleine, modrige Lagune blicken, in der sich der legendäre Bunyip aufhalten sollte, jenes Fabeltier, das nach den Sagen der Aborigines in Flüssen und Sümpfen lauert und Menschen verschlingt. Dann taten die 20 Cent ihre magische Wirkung und brachten den Bunyip dazu, tatsächlich zu erscheinen, nachdem einige unheimliche Geräusche aus den sehr billigen Lautsprechern gedrungen waren. Ein paar Meter entfernt begann das stinkende Wasser zu blubbern, und dann erhob sich knurrend und grollend der Bunyip.
Er sah aus wie ein großer Frosch, noch dazu der blödeste, dämlichste Frosch, den man sich vorstellen konnte. Besonders albern war es aber vor allem deswegen, weil sich ganz offensichtlich jemand richtig viel Mühe gegeben hatte, damit das Ganze furchterregend aussah. Dabei war es natürlich viel zu sehr zusammengestoppelt, um auch nur halbwegs echt zu wirken. Und genau deswegen fanden Mal und Angus es jedes Mal wieder so großartig. Sie lachten sich kaputt und steckten mich damit immer an. Das war die lustige Seite der Youngs, scheißkomisch, ansteckend und leider, leider äußerst selten.
Wir rissen mit dem Bus einige ewiglange Nachtfahrten ab. An einem Samstagabend spielten wir zum Beispiel in Whyalla in Südaustralien, dann packte unsere Crew das Equipment ein und wir zuckelten die 400 Kilometer zurück nach Adelaide, dann wieder nach Melbourne, noch mal 600 Kilometer weiter, um am Sonntagnachmittag in Victoria Park aufzutreten. Wir kamen zwar zu spät, aber die Show fand trotzdem statt. Vielleicht war sie ein bisschen weniger „high voltage“ als üblich. Ich zumindest war vor, während und nach dem Gig völlig gerädert, aber Bon und Angus legten sich richtig ins Zeug und rockten wie die Wilden. Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln – wie sie das schafften, war mir ein Rätsel. Vielleicht schaffte mich aber auch einfach Victoria Park – immerhin war es das Zuhause des Collingwood Football Clubs, dem Erzrivalen meines Teams, Carlton. Das letzte Mal, dass ich hier gewesen war, hatte man mich anschließend mit ein paar Stichen am Kopf nähen müssen. Ich wünschte, ich könnte jetzt erzählen, dass ich in eine Riesenschlägerei geraten war, weil ich so ein verdammt harter Kerl bin, aber die Wahrheit ist leider die, dass mir eine alte Dame eins mit dem Regenschirm überzog. Diese Collingwood-Omas sind nämlich ganz schön hart drauf.
Vom Bus aus sah ich auch zum ersten Mal in meinem Leben Schnee. Wir hatten irgendwo auf dem Land gespielt und waren auf dem Weg zurück nach Melbourne, als Ralph mich mit einem Brüller weckte: „Was zur Hölle ist das denn!“ Zunächst dachte ich, er hätte vielleicht ein bisschen viel Trucker-Glück genascht und sei jetzt durchgedreht, aber nein, wir kamen aus voller Fahrt zum Stehen, was bei einem Bus voller Lautsprecher, Band und Crew eine reife Leistung war. Draußen schneite es. Das war alles. Unter wildem Geheul stürmten Mal und Angus nach draußen und tollten in der weißen Pracht herum wie Kinder.
Sie waren schon zwei widersprüchliche Gestalten, diese zwei kleinen Drecksäcke. Die Youngs konnten äußerst schlecht gelaunt, griesgrämig und miesepetrig sein, richtig schlechte Gesellschaft eben, aber wenn man ihnen zusah, wie sie im Schnee herumhüpften (oder zumindest in dem bisschen Weiß, was in Australien als Schnee durchgeht), dann war ihre gute Laune ansteckend. Kaum saßen sie wieder im Bus, war der Augenblick aber auch schon wieder vorbei und sie zogen wieder ihre üblichen, muffligen Gesichter, als sei gar nichts gewesen. Trotzdem war es immer mal wieder erfrischend, wenn sie zwischendurch mal alle Fünfe gerade sein ließen. Wenn die zwei nämlich richtig aufdrehten und Spaß hatten, dann war richtig Party angesagt und man konnte sich großartig mit ihnen amüsieren. Allerdings wünschte ich mir, ich hätte das öfter erlebt.
Zwischen den zahllosen Auftritten blieben wir auch immer wieder mit Countdown in Kontakt. Das Team war sogar so nett, zwei kurze Clips für uns zu produzieren, noch dazu aufwändige Aufnahmen unter freiem Himmel. Bestimmt gab es auch andere Bands, für die sie das taten, aber so sehr ich auch darüber nachdenke – mir fällt keine ein. Allerdings kümmerte ich mich damals sowieso nicht so sehr darum, was sich außer uns in der Musikszene so tat: Ich war ein ziemlicher Ignorant, ein großkotziger, pickelgesichtiger Klugscheißer. Den Maskenbildnern vom Countdown-Team hatte ich wirklich eine Menge zu verdanken, denn sie richteten mich jedes Mal, wenn wir in der Sendung auftraten, halbwegs pickelfrei her. Außerdem muss ich meinem Glücksstern danken, dass ich zu einer aufstrebenden Rockband gehörte, andernfalls hätte ich wohl nie eine Frau ins Bett gekriegt.
Die Countdown-Jungs sorgten sogar dafür, dass wir Passbilder hatten. Bei einer Aufnahme ließen sie einen Fotografen kommen, der Porträts von uns machte, und die nutzten wir später für unsere Pässe und auch für das Innencover des TNT-Albums. Wenn man genau hinsieht, dann erkennt man, dass Bon zwar eine Krawatte trägt, aber kein Hemd. Damals waren die Standards für ein halbwegs akzeptables Passfoto allerdings auch noch anders als heute.
Bei Countdown hatte man dann auch die Idee, uns für die Präsentation des Songs „Long Way To The Top“ auf die Ladefläche eines Trucks zu stellen, der dann anschließend durch die Swanston Street tuckerte, Melbournes Hauptschlagader, um uns dabei abzufilmen. Das machten wir an einem Montagmorgen rund um die Veröffentlichung von TNT, das im Januar 1976 bis auf Platz 2 der australischen Charts stieg. Mich haute es um, wie ruhig es auf der Swanston Street war; auf dem Video sieht sie aus wie eine Provinzstraße. Nun war Melbourne nicht gerade New York, Paris oder Rom, und wird es auch nicht werden, aber es ist trotzdem eine Weltstadt mit weit über zwei Millionen Einwohnern. Das war schon seltsam.
Egal, wir standen dank der netten Unterstützung von Countdown auf der Ladefläche des Trucks und rollten durch die Hauptstraße meiner Heimatstadt, begleitet von drei Dudelsackpfeifern der Rats Of Tobruk Pipe Band. Zuerst war mir die ganze Chose ja ein bisschen peinlich, aber als wir schließlich loslegten und Bon so richtig in die Vollen ging, machte es viel Spaß. Ich meine, wie ernst kann man sich überhaupt nehmen, wenn man mit drei Dudlern auf einem Lkw steht, einer der Gitarristen eine Schuluniform trägt und auch der Sänger mit einem Dudelsack kämpft?
Auf dem Sattelschlepper hatten wir eine PA aufgebaut, über die wir das Playback hören konnten, damit wir eine ungefähre Ahnung hatten, an welcher Stelle des So-tun-als-ob wir gerade waren. Als die Soundcrew den Ton auf das typische AC/DC-Level zog, fielen uns die armen Dudelsackpfeifer beinahe vom Truck. Wir hatten vergessen, dass sie gewissermaßen Zivilisten waren; vielleicht wäre es fair gewesen, ihnen eine kleine Vorwarnung zu geben. Andererseits hatten die Rats Of Tobruk uns gegenüber auch nicht mit offenen Karten gespielt – zwei der drei so genannten Dudelsackpfeifer waren insgeheim nämlich als Schlagzeuger aktiv, die kleinen Ärsche. Als wir die Straße entlangzuckelten, erzählte ich meinen Bandkollegen voller Stolz, dass ich nur ein paar hundert Meter entfernt im Royal Women’s Hospital zur Welt gekommen war. Wie bei AC/DC nicht anders zu erwarten, wurde diese Eröffnung mit dem üblichen coolen Achselzucken aufgenommen.
Die Passanten waren verblüfft, und es waren Kommentare zu hören wie: „Was zum Teufel soll denn so was?“ oder „Was sind denn das für Clowns?“ Aber das störte uns nicht, und wir machten einfach unser Ding. Nachdem wir dreimal die Swanston Street rauf- und runtergefahren waren, zogen wir auf den größten Platz von Melbourne, stellten uns dort auf und ließen noch drei Durchgänge filmen. Von diesen Bildern nahmen wir aber später gar nichts – wieso auch, wo doch die Aufnahmen mit dem Lkw so klasse waren? Die Zeiten der Glitzerklamotten waren übrigens endgültig vorbei, obwohl Mal noch ein paar Schaftstiefel einschmuggelte.
Countdown ermöglichte uns auch ein Video zu „Jailbreak“. Auch das drehten wir draußen, in einem Steinbruch bei Sunshine, einem Vorort im Westen von Melbourne. Für die damalige Zeit war es eine recht aufwändige Produktion, bei der sogar eine Kulisse mit Gefängnisfassade und Haupttor aufgebaut wurde. Das Drehbuch sah vor, dass Bon und Angus bei ihrem Ausbruch durch das Tor stürmten, während ich und Mal als Bullen verkleidet hinter ihnen her ballerten.
Andere Einstellungen sahen vor, dass die gesamte Band oben am Hang auf ein paar wackligen Steinbrocken stand, während hinter uns ein paar Explosionen gezündet wurden. Die Crew brüllte dabei die ganze Zeit: „Lasst euch von den Bomben nicht irritieren!“, was wir mit einem lauten „Fuck off!“ quittierten. Es kostete allerdings ganz schöne Überwindung, dabei wirklich völlig cool zu bleiben, das kann ich euch sagen – nicht nur wegen dem ohrenbetäubenden Krach, sondern auch, weil die Explosionen eine ungeheure Hitze freisetzten. Jedes Mal, wenn wieder eine Charge losging, strömte eine heftige Hitzewelle über uns hinweg, und ich spürte, wie meine Haare knisterten. Eine Super-Behandlung gegen Spliss war das! Und es war auch nicht so einfach, in sechs Metern Höhe auf ein paar schwankenden Felsen das Gleichgewicht zu halten, während einem der Hintern angesengt wurde.
Zwischen den einzelnen Drehs sah ich mir die so genannten „Bomben“ einmal genauer an. Es handelte sich um große O-Saft-Flaschen aus Plastik, die man mit Benzin gefüllt und dann in ein dickes Metallrohr geschoben hatte, sozusagen in eine Mini-Kanone. BUMM! Wenn sie abgefeuert wurden, schoss ein dicker Feuerschwall, Hitze und jede Menge Dreck in die Luft, und wir zuckten zusammen. Ein Brandschutzbeauftragter war bei dem Dreh natürlich auch nicht dabei.
Angus machte sich wegen einer der letzten Aufnahmen Sorgen, bei der eine besonders große Saftpulle das Gefängnistor aufsprengen sollte. Das klappte auch; jedenfalls flogen überall Trümmer herum, und Bon und Angus brachen wie vorgesehen durch die Überbleibsel des Tores. Bon rannte als erster los – wieso wollen Sänger eigentlich immer überall die ersten sein? – und Angus stolperte hinter ihm her, ein sehr junger Ausbrecher in einem Schlafanzug, der vor den Resten der brennenden Gefängniskulisse ziemlich wenig Schutz bot.
Dementsprechend zog der jüngere Young ziemlich den Kopf ein – ich hätte mir wohl auch in die Hosen gemacht. Aber Bon zuckte mit keiner Wimper; vielleicht hatte er so was irgendwo schon mal erlebt, oder aber er war einfach ziemlich gut im Method Acting. Mal und ich rannten hinter ihnen her, blieben ihnen dicht auf den Fersen und schwenkten unsere Revolver. Und das waren echte Sechsschüsser, sauschwer. (Memo an mich: Auf alle Fälle vermeiden, mal eins mit einem Revolver übergezogen zu bekommen.) Wir bekamen keinerlei Anleitung, wie man damit umgeht, wir sollten sie einfach spannen und dann ein bisschen rumballern. Es war schon eine tolle Erfahrung, auch wenn die Waffen nicht scharf waren.
Am Set gab es auch eine Maschinenpistole, die mit Druckluft betrieben wurde und aus deren Mündung ein beeindruckender Feuerstrahl schoss, die aber verdammt schwer zu bändigen war. Für eine Szene verkabelte mich die Crew mit dem Druckluftschlauch, der durch den Ärmel meiner Polizeijacke und durchs Bein der ziemlich gewaltigen Hosen führte, die man mir gegeben hatte. Als ich die MP abfeuerte, wurden die Luftschläuche unter meiner Kleidung lebendig, und es fühlte sich an, als ob eine lebendige Schlange an meinen Beinen herumzuckte. Super Sache – ich klammerte an einer Maschinenpistole, während eine Gummipython in meinen Hosen randalierte. Ein typischer Büroalltag sah anders aus.
Countdown ging beim „Jailbreak“-Dreh wirklich in die Vollen. Am nächsten Tag holten sie Bon noch einmal und verdrahteten ihn mit Blutkapseln für das große Finale und die Stelle, wo er singt: „And he made it out … with a bullet in his back.“ So zahm das heute vielleicht aussehen mag, damals war das eine ziemlich große Sache, und das Video gab uns einen ganz schönen Schub. Das ganze Theater beim Dreh hatte sich wirklich gelohnt.
Rund um die Dreharbeiten waren wir aber auch wieder ganz schön unterwegs. Wir gaben eine Reihe von Konzerten, donnerstags bis sonntags, im Largs Pier Hotel in Adelaide, und unser Terminkalender war ziemlich eng. Aber Alberts, das Familienunternehmen, das die Geschicke von AC/DC, den Angels und vielen anderen Bands lenkte, bestand darauf, dass wir auch noch einen Clip für den Song „High Voltage“ drehten, mit ein paar „Live-Shots“ aus dem Studio, die ältere Aufnahmen von einem Gig in der Festival Hall von Melbourne ergänzen sollten. Zudem war noch ein zweiter Clip zu „Jailbreak“ vorgesehen – und all das lange, bevor MTV erfunden wurde.
Es wurde vereinbart, dass wir die Clips an einem Freitag in Sydney drehen wollten, während unseres Engagements im Largs Pier Hotel. Das Problem war dabei, dass zwischen Adelaide und Sydney knapp 1.500 Kilometer liegen. Wir spielten an jedem der vier Abende zwei Sets und machten immer erst sehr spät Schluss. Deshalb hieß es schließlich, wir sollten Freitagmorgen sehr früh in Adelaide aufbrechen, nach Sydney fliegen, dort zwei Videos drehen und rechtzeitig zurück sein, um gegen acht Uhr wieder auf der Bühne zu stehen. Kein Problem. Theoretisch.
Unser morgendlicher Flug ging über Melbourne. Auch das war eigentlich kein Problem: Eine halbe Stunde Aufenthalt und dann war wieder Abflug. Aber über Melbourne lag Nebel, und wir wurden nach Tasmanien umgeleitet, das noch einmal 600 Kilometer weiter südlich lag. Dann flogen wir wieder nach Melbourne, gammelten da ein bisschen rum, flogen die restlichen 900 Kilometer nach Sydney und erreichten das Studio um kurz vor zwei. Die Kameras liefen an, wir drehten die Clips, rasten zurück zum Flughafen, erwischten dort tatsächlich den Direktflug nach Adelaide, und um acht Uhr abends ging im Largs Pier Hotel der Vorhang hoch. Geschafft. Locker.
Yep, ein ganz normaler Tag auf Schicht. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wegen des ganzen Stresses viel gemeckert wurde – wir zogen unser Ding einfach durch. Wir hatten 4.300 Kilometer Flug hinter uns, ein paar Drinks in vier verschiedenen Bundesstaaten genommen, zwei Musikvideos gedreht und dann zwei Sets High-Voltage-Rock in derselben Stadt absolviert, die wir morgens um sechs verlassen hatten. Das war schon ein ziemlich weiter Weg.
Unser großer blauer Bus verreckte uns schließlich in Canberra, oder tat zumindest so. Wir ließen ihn – sicherlich zu Michael Brownings großem Ärger – am Flughafen zurück und sprangen ins nächste Flugzeug. Was mit unserem ganzen Kram passierte, weiß ich nicht mehr. Ralph musste natürlich vor Ort bleiben, um sich darum zu kümmern; wie immer war er großartig darin, das Chaos zu beseitigen, das die Band hinter sich zurückließ. Eine ziemlich umfassende und oft auch undankbare Aufgabe. Manchmal denke ich, dass sich für Ralph die Geschichte sicherlich ziemlich oft wiederholte. Er hatte Bon schon bei Fraternity begleitet und war mit ihnen durch England gereist – in einem umgebauten, blauen Greyhound-Bus. Seine Arbeit mit AC/DC muss ihm wie ein immer wiederkehrender Albtraum vorgekommen sein. Der gute, alte Uncle Gus hat übrigens überlebt – vor kurzem ist er auf Ebay aufgetaucht. Irgendjemand hatte ihn wohl am Flughafen Canberra geborgen und wieder zusammengeflickt; inzwischen hat er bei Neil Smith, dem allerersten AC/DC-Bassisten, ein Zuhause gefunden.
Auch wenn ich unseren Bandbus natürlich sehr zu schätzen wusste, sah ich mich gelegentlich doch nach anderen Reisemöglichkeiten um. Einmal fuhr ich von Sorrento, das ein paar Stunden südlich von Melbourne liegt, mit einem Charger zurück nach Hause. Der Charger war die australische Version des Mustangs, vielleicht ein bisschen größer. Ich hatte es mir mit einem besonders engagierten weiblichen Fan auf dem Rücksitz bequem gemacht, dessen Schwester vorn am Steuer saß und uns mit großer Geschwindigkeit über die Straßen lenkte. Sie hatte den Rückspiegel so eingestellt, dass sie sehen konnte, was im Fond vor sich ging, und kommentierte die Geschehnisse wie ein Sportmoderator. Sehr unterhaltsam. Wahrscheinlich machte ich meine Sache ganz gut, denn irgendwann hielt sie am Straßenrand und bestand darauf, mit ihrer Schwester zu tauschen. Und warum hätte ich mich dagegen sperren sollen?