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Sofort nach unserer Ankunft legten wir mit Volldampf wieder los; jedenfalls kam es uns so vor. Dieses Mal bezogen wir mehrere Wohnungen in der Ladbroke Grove. Mal und Angus teilten sich eine, und Phil und ich wohnten ganz in der Nähe, um die Ecke von der Portobello Road mit ihrem berühmten Trödelmarkt. Uns blieb ein Tag, um uns einzurichten, und dann ging es weiter nach Edinburgh, wo am 18. Februar unsere Dirty Deeds Done Dirt Cheap-Tour begann. Wie ich schon sagte – AC/DC auf Tour waren wie ein schweres Geländefahrzeug, das nicht aufzuhalten war, wenn es sich erst einmal in Bewegung gesetzt hatte.

Die Tour bestand aus 26 Auftritten, mit denen das in England frisch veröffentlichte Album beworben werden sollte, das allerdings ebenso wenig große Wellen machte wie High Voltage. Es stellte sich heraus, dass wir zwar draußen beim Publikum gut ankamen, dass es aber mit dem so wichtigen Radio-Airplay und mit den Fernsehauftritten haperte. Und so mussten wir eben der erprobten AC/DC-Vorgehensweise treu bleiben und ein Konzert nach dem anderen geben.

Unser scheinbar endloser Terminkalender prägte unsere Denkweise, vereinte uns (dachte ich jedenfalls) und half uns, die gute, alte „AC/DC gegen den Rest der Welt“-Maxime zu kultivieren, die uns immer wieder neue Energie verlieh. Wir mussten uns ständig neue Territorien erschließen, in denen wir zunächst mal völlig unbekannt waren, und um die Bodenhaftung nicht zu verlieren, gab es nichts Besseres. Auch, wenn wir immer wieder kleine Erfolgserlebnisse hatten, verführten sie uns nicht zur Überschätzung, weil wir anschließend garantiert wieder irgendwo spielten, wo uns keine Sau kannte, und wo wir wieder ganz von vorn mit der Überzeugungsarbeit anfangen mussten. Und wenn sich mal jemand wie ein Popstar aufführte, dann stutzten ihn die anderen sofort zurecht. Der Standard-Spruch lautete: „Was glaubst du, wer du bist, du Arsch – **** oder was?“ Die Lücke wurde wahlweise mit Namen wie Frank Sinatra, Jimi Hendrix, Ringo Starr, Paul McCartney oder eben jenem gefüllt, der in der betreffenden Situation am besten passte.

Auf der Dirty Deeds-Tour spielten wir an den verschiedensten Veranstaltungsorten, in Universitäten, technischen Hochschulen, Ballsälen oder Clubs (von denen witzigerweise mehrere den Namen „Top Rank Suite“ trugen). An der Art der Halle ließ sich gewöhnlich ablesen, wie beliebt wir in der betreffenden Gegend waren – oder eben auch nicht. Bei den beiden ersten Gigs in Edinburgh und Glasgow handelte es sich um gut besuchte Uni-Konzerte, aber je weiter wir nach Süden kamen, desto mehr stießen wir in bisher unerschlossenes Gebiet vor. Die Reaktion des Publikums reichte von begeistert bis zu „voll öde“, und was die Hallen anging, gab es richtig tolle Läden und absolute Dreckslöcher.

Den Platz am untersten Ende der Skala belegte der Electric Circus in Manchester – und glaubt mir, der war wirklich unterste Schublade. Den Club hätte man zumachen sollen. Hat man wahrscheinlich inzwischen auch. Es war eine kleine, dreckige, feuchte Höhle, vergammelt und verkommen. Die Bühne war eng und sehr feucht, was angesichts der Tatsache, dass AC/DC eine ordentliche Portion elektrischer Spannung für ihre Riesendosis Rock’n’Roll benötigten, nicht besonders Vertrauen erweckend war.

Die sogenannte Garderobe war erst recht der Brüller. Für die Bands hatte man notdürftig eine Plattform über die Bar gezimmert und an drei Seiten eingefasst, sodass der Blick nach vorn auf diese Stromfalle von Bühne frei blieb. Wie alles im Electric Circus war es auch hier eng und roch schlecht (und passte von daher, würden sicher viele sagen, gut zu AC/DC). In diesen Raum, wenn man ihn denn überhaupt so bezeichnen wollte, gelangte man nur von der Bar aus über eine wacklige Leiter. Aber das Schlimmste waren die Klos, die so verdreckt waren, dass man zum Pinkeln jeden anderen Ort im bekannten Universum vorgezogen hätte. Das vorherrschende Aroma war eine eigenwillige Mischung aus Kacke mit einem Hauch Meeresbrise, vielleicht Seetang, was ein bisschen komisch war, da Manchester ja im Landesinneren liegt. An das Konzert kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern, aber der Electric Circus hat sich unauslöschlich in meine Erinnerung und mein Geruchsgedächtnis eingebrannt.

Es gab nur wenige Gigs auf der Dirty Deeds-Tour, die wirklich erinnerungswürdig waren, obwohl einer tatsächlich ein gewisses geschichtsträchtiges Flair hatte. The Who hatten ihr herausragendes Live-Album Live At Leeds 1970 in der Universität von Leeds aufgenommen. Die Platte gehörte zu den Standardwerken, die man als Möchtegern-Rocker meiner Generation gehört haben musste, und ich würde vermuten, auch noch in der Generation danach. Dass wir nun mit AC/DC in derselben Halle spielten, fand ich als echter Who-Fan wahnsinnig aufregend. Live At Leeds war ein Riesending, und ich hatte 10.000 Meilen entfernt in Australien auch immer angenommen, die Leeds University wäre ein Riesending. Ich meine, hey, dort waren The Who aufgetreten! Tja, und nun standen AC/DC auf dieser Bühne, und wir stellten fest, dass die Halle vielleicht 1.000 Zuschauer fasste, wenn es hoch kam. War es überhaupt dieselbe Halle? Jedenfalls hielt es uns wieder einmal vor Augen, dass wir gar nicht in einer so viel anderen Liga spielten als die großen Jungs, und zwar in erster Linie, weil die großen Jungs gar nicht so groß oder so weit vorn waren, wie wir immer geglaubt hatten.

Während meiner ganzen Karriere habe ich niemanden kennen gelernt, der die Musik so ernst nahm wie Angus, und von daher war es eine ziemliche Überraschung, dass – Achtung, Trommelwirbel – ausgerechnet er daran schuld war, dass wirklich beinahe einmal ein AC/DC-Konzert abgesagt werden musste, weil er zu viel gefeiert hatte. Am 10. März 1977, kurz vor dem Ende der Dirty Deeds-Tournee, stand ein Auftritt in der St. Andrews Hall in Norwich an, drei Stunden nordöstlich von London. Das Konzert dort wurde von ein paar typischen East-End-Boys aus Walthamstow organisiert, die auch die Bands für das Cambridge Corn Exchange buchten. Ich erinnere mich nicht mehr, wie sie hießen, was vermutlich damit zu tun hatte, dass sie gewöhnlich äußerst gastfreundlich waren, vor allem, was Getränke betraf.

Um genug Zeit für die Fahrt, den Soundcheck und die üblichen Vorbereitungen vor dem Konzert zu haben, hatten wir gleich nach dem Mittagessen in London aufbrechen wollen. Aber unsere Abfahrt verzögerte sich weiter und weiter und weiter, weil Angus Young einen Kater hatte – ein Ereignis, das etwa so selten eintrat wie die Sichtung des Halleyschen Kometen. Es war außerdem ein echtes Spektakel. Ich kann mich ums Verrecken nicht mehr erinnern, was an jenem Tag in Angus gefahren war, dass er sich so die Kante gab, aber die wenigen Male, die ich ihn betrunken erlebt hatte, hatte sich das stets ganz spontan ergeben. Plötzlich, zack, hatte er sich einen nach dem anderen eingeschenkt. Ich habe den Verdacht, dass dieses Mal eine hübsche, junge Lady im Spiel gewesen war. Angus vertrug verdammt wenig Alkohol, und dem sich anschließenden Kater war er noch weniger gewachsen. Außerdem war er ohnehin kein Frühaufsteher, und mit einem ausgewachsenen Megakater wollte Angus nirgendwo hin.

„Scheiß auf den Gig“, stöhnte er und zog sich wieder die Decke über den Kopf.

Malcolm versuchte ihm gut zuzureden, während Phil und ich warteten. Zwischendurch hielt uns Mal über die Fortschritte der Verhandlungen auf dem Laufenden, und nein, es sah nicht gut aus für Norwich. Mal wurde langsam richtig sauer auf seinen kleinen Bruder, und in seiner Verzweiflung schlug er sogar vor, ich sollte mal reingehen und Angus überzeugen, dass er langsam mal den Arsch hochkriegen musste. Phil brach in lautes Lachen aus. Das war wirklich eine absurde Vorstellung.

Aber andererseits liebe ich Herausforderungen, also trabte ich die Treppe hinunter, klopfte an Angus’ Tür und spähte in das dunkle Zimmer. Es stank nach Kotze. Bevor ich ihm eine Tasse Tee anbieten konnte, hörte ich ein leises Wimmern: „Verpiss dich.“ Na ja, dachte ich, man kann’s ja trotzdem mal probieren.

„Hey Angus, wie wär’s mit einer …“

„VERPISS DICH!“

Das reichte mir. Ich berichtete Mal und Phil, dass wir wohl am besten in Erwägung zogen, den Gig zu streichen. Aber irgendwann gelang es Mal dann doch, Angus auf die Beine zu bringen und ins Auto zu schaffen, und Phil raste mal wieder im besten Tiefflieger-Modus mit uns nach Norwich. Angus war völlig grün im Gesicht und sprach auf dem ganzen Weg kein Wort. Und so blieb es, bis wir auf die Bühne gingen. Dann begann ich mit dem Bass-Intro von „Livewire“, wir legten los und Angus stieg voll ein. Ihm war kotzübel, aber er ließ es genauso krachen wie immer. Er war voll in Fahrt. Der durchgedrehte Schuljunge mochte ja den ersten Startschuss verpennt haben, aber wegen ihm ein Konzert abzusagen – das kam nicht in Frage.

Die Dirty Deeds-Tour führte weiter nach London, wo wir dieses Mal nicht im Hammersmith Odeon spielten, sondern am 11. März im Rainbow in Finsbury Park. Das Konzert war gut besucht, aber nicht ausverkauft. Und aus irgendeinem Grund ging das Publikum zwar gut mit, rastete aber nicht so aus, wie wir es erwartet hatten. Wir kämpften mit ein paar technischen Problemen, und das kann jede Band ein bisschen aus dem Tritt bringen. Zusammen mit der zurückhaltenden Reaktion der Zuschauer sorgte das für eine leicht gedrückte Stimmung, und die war in der Garderobe nach dem Gig auch deutlich zu spüren. Es war mucksmäuschenstill.

Und in dieser Situation leistete ich mir noch einen Schnitzer. Es wäre schlau gewesen, bei den anderen zu bleiben und mit ihnen den Gig noch einmal Revue passieren zu lassen. Aber das tat ich nicht. Auf mich warteten in der Bar backstage noch ein paar Kumpels, die ich auf keinen Fall in die Garderobe holen wollte, solange dort diese Totengräberstimmung herrschte. Dass ich die Tür hart, laut und ein bisschen zu früh hinter mir zuknallte, hatte aber auch damit zu tun, dass ich bereits in der Woche vor der Rainbow-Show ziemlich unter Strom gestanden hatte.

Am 2. März 1977 war mein 21. Geburtstag. Eigentlich hätten wir ein Konzert in Swansea geben sollen, aber aus irgendeinem Grund war der Gig abgesagt worden. Die ganze Truppe, allen voran Coral Browning, organisierte daraufhin eine Überraschungsparty für mich in London. Am frühen Abend fingen sie mich ein, und Phil, Mal und ich suchten uns ein Taxi. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit Mal schon ein bisschen was getrunken. Na gut, vielleicht auch ein bisschen mehr. Jedenfalls endeten wir, wenn ich mich recht erinnere, in irgendeinem deutschen Bierkeller in Maida Vale. Unsere Kumpels, die Müllmänner aus Barnes, waren da, außerdem Leute von der Plattenfirma, unsere Roadies, meine aus Amerika stammende Freundin Risa und ein paar andere Gestalten, die es geschafft hatten, die umfassenden Verteidigungsanlagen der Festung AC/DC zu durchdringen.

Der Abend ließ sich ganz gut an. Ich hasste Geburtstagsfeiern, und seit ich in der Band war, hatte ich es erfolgreich geschafft, ihnen aus dem Weg zu gehen. Bis heute finde ich es grässlich, wenn sich Leute vor mir hinstellen und „Happy Birthday“ grölen. Gewöhnlich sage ich dann, wenn mir jemand etwas vorsingen will, dann doch bitte die Vereinshymne vom Carlton Football Club. Seit Jahren suche ich nach einer Erklärung für dieses Phänomen. Das einzige, was mir einfällt, ist eine Geschichte, die sich ereignete, als ich drei Jahre alt war und wir den achten Geburtstag meiner Schwester Judy feierten. Am nächsten Morgen entdeckte ich die Reste von ihrer Geburtstagstorte oben auf dem Kühlschrank, und mir kam die Idee, eine Geburtstagsparty für mich selbst zu veranstalten. Ich kletterte auf einen Stuhl und zündete die Kerzen an, leider aber die vorderen zuerst. Als ich mich dann reckte, um an die Kerzen weiter hinten heranzukommen, fing mein Schlafanzug Feuer. Meine Mutter hörte mich schreien, rannte in die Küche und löschte die Flammen. Das ist meine erste lebhafte Erinnerung: dass ich brenne. Dank viel kaltem Wasser und dem Erste-Hilfe-Einsatz des örtlichen Apothekers kam ich ohne sichtbare Narben davon. Aber wenn mir jemand „Happy Birthday“ vorsingt, wird mir heiß und kalt. Vor allem heiß.

Und so stand ich an diesem 21. Geburtstag in London da und fürchtete schon, dass es gleich so weit sein würde. Ich lehnte mit Paul „Scotty“ White, unserem Tourmanager und Kumpel, an der Bar; wir unterhielten uns und kippten uns ordentlich einen hinter die Binde. Scottys Bruder war auch dabei, und er stellte mir einige so komische Fragen hinsichtlich der Band, dass ich ruckartig mein Bierglas absetzte. Und dann kam der Hammer.

„Ihr scheint euch doch alle so gut zu vertragen. Wieso willst du denn aussteigen?“

Was? Ich wandte mich zu Scotty um, der plötzlich aussah, als ob ihn der Schlag getroffen hätte. Einen Augenblick schwiegen wir uns an, dann bat Scotty mich nach draußen. Und so standen wir auf dem Bürgersteig vor dem deutschen Bierkeller, von dem ich noch immer glaube, dass er sich in Maida Vale befindet.

„Verdammte Scheiße, was läuft da, Scotty?“, fragte ich.

Scotty war besoffen, heulte und war längst über den Punkt hinaus, dass er Wert aufs Protokoll gelegt hätte.

„Du kannst ihnen nicht trauen, Mark.“

Mehr bekam er nicht heraus.

Ich hätte wieder reingehen und die Sache klären oder zumindest am nächsten Tag nachhaken sollen, was es mit all dem auf sich hatte. Auf jeden Fall hätte ich wieder reingehen müssen – immerhin war es mein 21. Geburtstag, verdammte Scheiße. Stattdessen winkte ich mir ein Taxi und ließ die Party Party sein. Zumindest entging ich auf diese Weise dem grässlichen „Happy Birthday“.

Ein echter Scheiß-Geburtstag, aber wirklich.

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Anfang April 1977 begann in Paris unsere Europa-Tour im Vorprogramm von Black Sabbath – damals immer noch mit Ozzy Osbourne am Mikrofon, dem „Prince Of Darkness“, der sich selbst allerdings gern statt Fürst der Finsternis als Klempner der Finsternis bezeichnete, als kleinen Hinweis auf den Beruf, den er vor seiner Karriere als Musiker ausgeübt hatte. Die Tour führte durch Frankreich, Deutschland, die Schweiz, Dänemark, Belgien, Holland, Schweden und Norwegen und endete am 24. April mit einem Auftritt in Helsinki. Anschließend sollten wir in die USA fliegen. Wieder einmal waren wir schwer beschäftigt, so wie wir es gern hatten.

Über meinen frühen Abgang bei meinem Geburtstag hatte niemand ein Wort verloren. Darüber war ich ziemlich erleichtert, da ich mir schon ein wenig schäbig vorkam. Wegen der anderen Sache hoffte ich, dass es ein Missverständnis gegeben und Scotty sich geirrt hatte. Auf alle Fälle hatte sich der Staub gelegt, und wir gingen wieder an die Arbeit. Zumindest dachte ich das, und bisher hatte ich nichts gesehen oder gehört, was mich zu einer anderen Überzeugung gebracht hätte. Trotzdem hallten Scottys Worte in mir nach. Oft träumte ich, dass die Band mich hinauswarf, und wenn ich aufwachte, war mir richtiggehend übel.

Black Sabbath waren neben Deep Purple Anfang der Siebziger eine meiner Lieblingsbands gewesen. Ich hatte sie dann ein wenig aus den Augen verloren, als ich Free entdeckte und mich wieder für die Rolling Stones begeisterte, aber mich interessierte immer noch sehr, was Sabbath inzwischen boten. Nun, da Punk und New Wave gerade den Siegeszug antraten, galt ihr düsterer Hard Rock zunehmend als überholt, aber das hielt mich nicht davon ab, gespannt an der Seite der Bühne zu stehen und der Dinge zu harren, die da kommen sollten.

Schnell merkte ich, dass Sabbath musikalisch nicht mehr auf der Höhe waren. Gut, es war das erste Konzert auf dieser Tour, aber zeitweise klang es wirklich grausig. Es war laut, lärmend und rotzig, aber es hatte einfach keinen Biss. Die Jungs verdienten eine Menge Respekt für das, was sie bisher geleistet hatten, aber ich bekam stark den Eindruck, dass ihre beste Zeiten vorüber waren. Ich bin mir sicher, dass keiner von uns beeindruckt war. Auf der Rainbow-Tour hatte Blackmore so gespielt, wie nur er es konnte, Cozy Powell hatte alles gegeben, und der zuckende, unberechenbare Leucht-Regenbogen hatte zusätzlich für ein wenig Unterhaltung gesorgt. Aber bei Sabbath gab es keinen anderen Hingucker als allenfalls Ozzy, der auf seine unverwechselbare Weise beinahe roboterhaft von einer Bühnenseite zur anderen stakste. Er war sicherlich keine Rampensau erster Güte, aber er war Ozzy, ein echtes Original und eine Legende des Rock.

Dem Sabbath-Bassisten Geezer Butler gingen wir wahrscheinlich ziemlich auf die Nüsse. Gelegentlich standen wir hinter der Bühne und johlten, wenn er zu seinem Bass-Solo ansetzte (ich konnte schon nicht begreifen, wofür man überhaupt so was wie ein Bass-Solo brauchte). Zuerst kam das noch ganz spaßig rüber, aber je weiter die Tour voranschritt und je öfter wir bei einem Schnitzer gejubelt und geklatscht hatten, desto grimmiger wurde Geezer deswegen. Zur Ehrenrettung der Jubelfront muss ich sagen, dass das Ganze nicht böse gemeint war, aber mal ganz ehrlich, wenn man sich vor ein paar tausend Leuten hinstellt und ein Bass-Solo spielt, dann sollte man es schon richtig hinbekommen. Aber trotzdem war unser Kumpel Geezer so ganz und gar nicht glücklich.

Wir fanden schnell in die übliche AC/DC-Tourneeroutine zurück – rechtzeitig für die Abfahrt des Busses runter in die Hotellobby, dann auf der Fahrt ein bisschen schlafen oder die Nase in ein Buch stecken (beziehungsweise in Bons Fall, in ein Comic-Heft). Die Band war in Höchstform, und wir kamen wirklich gut an. Nichts von dem, was wir von Black Sabbath sahen und hörten, konnte uns wirklich beeindrucken. Im Gegenteil – das, was sie auf der Bühne boten, steigerte unser Vertrauen in das eigene Potenzial und machte uns noch arroganter. Wir hatten nur ein Ziel: jeden Abend da rauszugehen und Sabbath von der Bühne zu fegen. Das mag egoistisch klingen, aber es ist nun einmal die Mission einer jeden Vorgruppe, jeden Abend ein Stück weiter zu kommen.

Allmählich sickerte es auch bis zu mir durch (obwohl ich gewissermaßen ganz hinten an der Tür stand und sie schon, ohne es zu wissen, für meinen Nachfolger aufhielt), dass die Abreise von Helsinki Richtung USA mit einem großen Fragezeichen versehen war. Wir fletschten die Zähne. Schließlich waren wir noch immer gebrannte Kinder, weil Dirty Deeds Done Dirt Cheap von ATCO in den USA abgelehnt worden war, und wir wollten es den Yankees unbedingt zeigen.

Auf der Tour gab es noch richtig Stress. In Kopenhagen waren wir abends noch ein wenig mit dem örtlichen Vertreter von Atlantic Records unterwegs; er war ein netter Kerl, aber irgendwie ein bisschen sehr zurückhaltend. Die ersten Drinks nahmen wir an der Hotelbar, und als wir uns auf den Weg zum Rotlichtbezirk machten, waren wir schon ordentlich vorgeglüht. Wir schäkerten ein bisschen mit den Ladys dort und gönnten uns dann in einer Bar die nächste Runde. Auf dem Weg nach draußen gerieten wir mit ein paar Deutschen aneinander, die ebenso besoffen waren wie wir, und was soll ich sagen, irgendwie gab ein Wort das andere. Einer der Deutschen hatte etwas gegen mich und wollte mir unbedingt eins auf die Glocke hauen. Ich hatte eigentlich gar keine Lust auf ein Gerangel, aber Phil kam voll in Fahrt.

„Hau ihm die Rübe weg, Herbie!“, brüllte er.

Der Deutsche ging schon in Kampfstellung, aber ich sagte ihm, er sollte nach Hause gehen und machte ein paar unterstützende Handbewegungen. Offenbar kam das bei ihm anders an. Da ich die Vorzeichen zu deuten weiß, sah ich gleich, dass er zum Schlag ausholen wollte und kam ihm mit einem starken linken Haken zuvor. Als er nach hinten taumelte, versetzte ich ihm noch einen kräftigen Tritt in die Eier, und dann war der Kerl erledigt; er lag auf dem Pflaster und kotzte. Michael Browning hatte einen seiner Kumpels auf die Bretter geschickt, sich allerdings dabei einen Finger gebrochen. Der Typ von unserer Plattenfirma dachte wahrscheinlich gerade darüber nach, frühzeitig in Rente zu gehen. Aber Phil war so richtig in Stimmung.

„Los, hauen wir die nächsten weg!“

Ach, Phil, weißte, ich habe gerade erst einen erledigt … mir reicht’s …

Es war dann eine andere Schlägerei, oder vielmehr, eine Beinahe-Schlägerei, die das Ende der Black-Sabbath-Tour für AC/DC besiegelte. Diese Geschichte kann ich leider nicht aus erster Hand berichten, weil ich nicht mit dabei war, aber das war vielleicht auch besser so. Wir waren in Brüssel (glaube ich jedenfalls, zu der Zeit kippte ich wieder ziemlich viel Scotch) und aufgrund irgendeiner seltsamen Wendung der Dinge war Mal im gleichen Hotel gelandet wie die Jungs von Sabbath. Das war absolut ungewöhnlich, und ich habe keine Ahnung, wie sich das ergeben hatte; wahrscheinlich hatte er ziemlich getankt. Nach dem, was ich später hörte, ärgerte sich Geezer Butler über irgendetwas, das Mal sagte, und bedrohte ihn daraufhin mit einem Messer. Woraufhin Mal ihm dann angeblich eine reinhaute, und das war’s dann. Mit Sicherheit weiß ich, dass Mal am nächsten Morgen ganz zerknirscht zu Sabbath ins Hotel ging und sich entschuldigte, was ebenfalls eigentlich gar nicht seinem Wesen entsprach.

Eins stand jedenfalls fest: Die Black-Sabbath-Tour war für uns vorbei, und aus der Weiterreise in die USA wurde ebenfalls nichts. Wir waren auf ein paar ernste Hindernisse gestoßen, und der Corpsgeist war ziemlich im Keller. Statt endlich Amerika zu knacken, kehrten wir mit eingeklemmtem Schwanz nach London zurück.

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Also hockten wir in London und hatten nichts zu tun. Zwar war es Frühling, aber für einen Aussie wie mich war das Wetter immer noch saukalt. Es kam mir gar nicht so vor, als ob erst ein Jahr vergangen war, seit wir hier zum ersten Mal gelandet waren – dabei hatten wir in dieser Zeit eine Platte aufgenommen, waren einmal durch Australien und zweimal durch Europa getourt und hatten darüber hinaus überall in Großbritannien gespielt, wo es eine Steckdose gab.

Unsere USA-Pläne lagen immer noch auf Eis, von daher war Zeit, ein wenig auszuspannen. Allmählich kannte ich mich in London recht gut aus, vor allem in der Innenstadt und im West End. Mir wurde es nie langweilig, mit der U-Bahn von Notting Hill Gate die kurze Fahrt zum Piccadilly Circus oder zum Trafalgar Square zu machen, dort wieder auszusteigen und mich zwischen Doppeldeckerbussen, schwarzen Taxis und Bobbys wiederzufinden. Von der Nelsonsäule guckte ich über meine Schulter durch den Admirality Arch, schlenderte die Mall zum Buckingham-Palast hinunter oder bummelte an den Ministerien in Whitehall vorbei zum Big Ben. Von diesen Sehenswürdigkeiten hatte ich als Kind geträumt. Allmählich fühlte ich mich in der Stadt zu Hause – aber wie lange würde ich noch hier sein? Eine Woche? Egal, an diesem Tag war ich es.

Ich verbrachte viel Zeit in den Musikgeschäften auf der Denmark Street und der Shaftesbury Avenue und gab viel Geld für Gitarren aus; vor allem Bässe und Gitarren aus früheren Jahrzehnten faszinierten mich. Noch wusste ich nicht, dass dies der Beginn einer spannenden Entwicklung war, die allmählich zu einer neuen Leidenschaft werden sollte.

Meine Freizeit verbrachte ich mit Ellen, einer jungen Frau, die ich in Stockholm kennen gelernt hatte; sie war, ohne sich bei mir anzukündigen, nach London geflogen und hatte mich dann über die Leute vom Marquee ausfindig gemacht. Wir waren uns schon ein Jahr zuvor das erste Mal begegnet, als sie gerade erst 18 war und vor unserem Stockholmer Hotel wartete; sie sah phantastisch aus und war mir daher sofort aufgefallen. Ellen war ein Stück größer als ich (was nun nicht besonders schwer war), sehr reserviert und kühl, sah aber mit ihren langen, dunklen Locken nicht unbedingt typisch schwedisch aus.

Unsere Beziehung war von Anfang an nicht unbedingt einfach. Sie konnte nur wenig Englisch, und mein Schwedisch beschränkte sich auf Standards wie „vier Bier, bitte“, „wo ist denn hier das Klo?“ oder auch „du hast wirklich zwei sehr hübsche Glocken, Süße“. Die ersten beiden Sprüche kamen bei Ellen nicht unbedingt zum Einsatz, dafür passte der dritte umso besser. Bei unserem ersten Treffen waren ihre Brüste fast auf meiner Augenhöhe – na ja, ein bisschen tiefer schon, aber mir reichte ein leicht gesenkter Blick, und ich war fasziniert. Sie lächelte mich kess an, und danach war die Sprachbarriere kein Problem mehr.

Ein bisschen kitzlig wurde es dann später, als sie mich zu sich nach Hause mitnahm. Auch da sprach niemand so recht Englisch, aber es gab jede Menge schwedische Fleischklöße, und ihr Vater schenkte mir ein ziemlich gutes Bier ein. Übers Essen und Trinken wurde es spät, halb elf oder so, obwohl es draußen immer noch hell war. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich mich befand. Sollte ich mir vielleicht ein Taxi rufen? Falls ja, wie wollte ich das wohl anstellen? Ich war wirklich ein bisschen blöd: ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, wie liberal manche Skandinavier ganz offensichtlich waren. Schon bald begriff ich aber, dass ich bei Ellen schlafen würde – und zwar nicht nur bei, sondern auch mit ihr. Später versuchten wir dann aus Rücksicht auf ihre Eltern, möglichst leise zu sein, als wir uns an einigen sehr lebhaften Runden schwedischen Volkstanzes in der Horizontalen übten.

Als Ellen mich ein Jahr später in London aufspürte, hatte sich ihr Englisch marginal verbessert, mein Schwedisch war noch immer so gut wie nicht vorhanden, und sie sah noch umwerfender aus als zuvor. Wir verbrachten einen ausgesprochen gelungenen Abend im Speak, wo ich zu ihrer Erheiterung die meiste Zeit damit verbrachte, die Hälfte der anwesenden Gitarristen/Schlagzeuger/Sänger/Bassisten von ihr wegzubeißen und dabei noch möglichst cool zu bleiben, und anschließend begleitete ich sie in ihr Hotel in Soho.

„Mack, du hast so viele Freunde!“, sagte sie und lächelte mich strahlend an.

Hatte ich schon erwähnt, dass sie nicht „Mark“ sagen konnte? Ich war Mack. Was völlig okay war, und viel besser als Mike.

In der Lobby ihres Hotels prangte ein großes Schild mit der Aufschrift: GÄSTE AUF DEN ZIMMERN NICHT GESTATTET. Aber solche Verbote nimmt ja niemand ernst. Außerdem hatte ich gerade ein paar Runden Nahkampf hinter mir; es war wirklich nicht einfach gewesen, die ganzen Drecksäcke im Speak von Ellen fernzuhalten. Ich blieb.

Am nächsten Morgen weckte uns allerdings eine dicke Hotelangestellte mit breitestem Cockney-Akzent, die brüllte: „Gäste sind hier nicht gestattet!“ Sie hätte Eliza Doolittles dickärschige Enkelin sein können, jedenfalls hörte sie sich so an. Zwei Hausdetektive erschienen hinter ihr und befahlen mir, etwas überzuziehen.

„Haben wir dich erwischt, Kleiner!“

Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Scheiße, die machten richtig auf knallhartes Bullengespann! Schnell gab ich Ellen einen Kuss und bat sie, mich in meinem Verlies im Tower zu besuchen. Das kapierte sie zwar nicht, aber Dumm und Dümmer verstanden, was ich meinte, und sie fanden das gar nicht witzig.

„Das gibt richtig Ärger, Bürschchen!“, verkündeten sie und führten mich ab, als sei ich Ronnie Biggs.

Was sollte denn der Scheiß! Das war völlig albern. Ich konnte mir nicht helfen, die Situation wurde mit jeder Sekunde bescheuerter. Also wehrte ich mich spaßeshalber ein bisschen und brüllte: „NICHT MEHR SCHLAGEN, BITTE! ICH ZAHLE AUCH! ABER NICHT MEHR SCHLAGEN!“ Dümmer sah zu den anderen Hotelgästen, die schon ein bisschen komisch guckten. „Wir haben ihn nicht geschlagen, ehrlich!“, erklärte er und hob in aller Unschuld seine Hände.

Daraufhin schubsten sie mich ins Büro, wo sie mich dann richtig in die Mangel nahmen.

„Wir könnten dir alles Mögliche anhängen und die Bullen rufen“, sagte D1.

„Die Übernachtung kostet hier nämlich 25 Pfund“, ergänzte D2.

Ich dachte darüber nach. „Wie wär’s, wenn ich jedem von euch 25 gebe und wir die ganze Sache vergessen?“

Die beiden Spezis dachten darüber nach. „Nee, einmal 25 reicht. Das teilen wir.“

Verdammte Scheiße! Am liebsten hätte ich darauf bestanden, dass sie beide 25 bekamen, nur so aus Spaß. Wie waren zwei solche Kasper überhaupt je an diesen Job herangekommen? Aber dann wickelte ich die passenden Scheine von der Rolle Geld, die ich für Gitarrenkäufe einstecken hatte, und sie kippten beinahe aus den Latschen.

„Donnerwetter, ihr Südafrikaner schleppt aber verdammt viel Bargeld mit euch rum.“

Ich war schon wieder die Treppe hinauf und sprang zu Ellen ins Bett.

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Als Ellen schließlich nach Stockholm zurückkehrte, hatte ich mal wieder Lust, um die Häuser zu ziehen und fragte Phil, ob er Lust hatte, mitzukommen. Er lehnte ab. Das überraschte mich, denn er hatte gerade erst geduscht und sah so aus, als ob er sich für einen schönen Abend fein gemacht hätte.

„Sicher?“, hakte ich nach.

„Nee, Alter, ich bleibe heute Abend hier.“

Na gut, dachte ich, vielleicht kriegt er noch Damenbesuch. Also fuhr ich mit der U-Bahn nach Soho und ging ins Marquee. Die Band, die dort spielte, taugte nichts, und nach ein paar Bierchen mit Simon, dem Bar-Manager, zog ich weiter ins Ship, dem nächsten Wasserloch auf der Wardour Street, für noch mehr Bier, Scotch und ein paar Runden Darts mit den Stammgästen. Dann machte ich mich auf ins Speak. Dort war die Band auch scheiße, aber ich setzte mich trotzdem ein bisschen an den Tresen, bevor ich ins Restaurant ging, um mir ein Steak und einen Gutenachtschluck zu genehmigen. (Vorher sah ich mich gründlich um, ob nicht vielleicht wieder Steve von den Sex Pistols da war und bei mir schnorren wollte.) Als ich wieder aus dem Restaurant kam und mir ein Bier und einen Scotch bestellte, entdeckte ich Michael Browning, Mal und Angus auf der anderen Seite der Bar. Hä? Was war das denn? Angus auf freier Wildbahn, in einer Bar? Da war doch irgendwas faul. Ich winkte, aber nichts passierte. Also rief ich zu ihnen herüber, aber es kam keine Reaktion. Michael war inzwischen verschwunden, wahrscheinlich war er pinkeln, und ich war mir nicht sicher, ob er mich gesehen hatte. Aber Mal und Angus hatten das ganz sicher getan. Okay, Jungs, wie ihr wollt, dachte ich. Scheiß drauf. Ich bestellte mir noch einen.

Am nächsten Morgen sagte mir Phil, dass ein Treffen in der Wohnung von Mal und Angus angesetzt war. Das war ungewöhnlich, aber na gut, warum nicht.

„Hey Phil“, fragte ich. „Was hast du denn gestern Abend noch getrieben? Du siehst echt Scheiße aus.“

„Nichts, Alter, gar nichts.“

„Ich habe Mal und Angus mit Browning im Speakeasy gesehen. Komisch, was?“, fuhr ich fort.

Phil stand in Unterhosen da und sagte keinen Ton. Er war weiß wie eine Wand.

Anschließend gingen er und ich zur Wohnung der beiden Youngs. Es war ein schöner Tag, mit ganz ruhigem Wetter. Auf dem Weg sprachen wir kein Wort. Das war nicht nötig. Tief in mir ahnte ich schon, was nun kommen würde. Wir klopften und traten ein. Michael und Bon waren auch da. Scheiße. Michael saß am Esstisch nahe der Küchentür. Mal, Angus und Bon hockten auf dem Sofa. Phil setzte sich auf einen Stuhl neben Bon, und damit war nur noch ein Platz frei, am Tisch neben der Tür.

„Ich hol dir mal einen Tee“, sagte Michael und verschwand in der Küche.

Das alles wurde immer komischer. Phil beugte sich vor, die Hände inein­ander geschlungen, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, und starrte auf den Fußboden. Bon hatte sich mit verschränkten Armen zurückgelehnt. Mal und Angus saßen so dicht nebeneinander, als seien sie an der Hüfte zusammengewachsen.

Michael kam mit der Tasse aus der Küche und eröffnete das Gespräch.

„Mark, bei diesem Treffen geht es vor allem um dich.“

Vor allem?

„Malcolm … die Jungs wollen einen anderen Bassisten in die Band holen.“

Scheiße. Mir war, als müsste ich kotzen.

„Wie denkst du darüber, Mark?“

Wieso fragte er mich nach meiner Meinung? Die Band, meine Kumpels, schossen mich ab. Was glaubte er denn, wie ich mich dabei fühlte?

Als ich endlich etwas sagte, fühlte es sich an, als ob die Worte aus dem Mund eines anderen kamen.

„Wenn die Jungs das so wollen, Michael …“

Scheiße, verdammt, es war das letzte, was ich wollte.

Nun meldete sich Bon zu Wort. Er beugte sich vor.

„Mark, du musst verstehen, das ist jetzt nichts Persönliches, es ist nur so …“ Er verstummte wieder. Erst hatte er mir direkt ins Gesicht gesehen, aber nun wandte er den Blick ab und schüttelte den Kopf.

Jetzt war Mal an der Reihe.

„Wir wollen einen Bassisten dazuholen, der singen kann. Das ist alles.“

Als letzter hob nun Phil den Kopf. Er zuckte lediglich die Achseln und sagte mir damit, was ich schon wusste. Es gab nichts, was er hätte tun können. Angus sagte und tat gar nichts. Kein Blick, kein Wort, kein Nichts. Null.

Als ich meine Teetasse nahm, zitterte ich wie Espenlaub, und es gelang mir nicht einmal, sie bis zum Mund zu führen. Eine Überraschung war diese Eröffnung natürlich nicht, aber trotzdem ein verdammter Schock. Ich war am Boden zerstört. Bisher hatte ich einen Traum gelebt. Nun befand ich mich mitten in einem Albtraum.

Ich konnte gar nicht schnell genug aus der Wohnung rauskommen. Michael schlug vor, dass ich in die Ebury Mews mitkommen sollte, wo er seine Wohnung und sein Büro hatte, um „alles zu arrangieren“. Was das wohl heißen sollte? Wir nahmen ein Taxi und redeten auf der Fahrt ein wenig. Ich stand noch immer unter Schock. Meine eigene Band warf mich raus. Michael erklärte, er hätte eigentlich geglaubt, dass es bei dem Treffen am Vorabend im Speak um Bon gehen sollte und um den Druck, den man in den USA wegen unserem – halt, ihrem Sänger ausübte.

„Ich war ganz überrascht, dass es um dich ging, Mark. Es tut mir wirklich leid.“

Aber die Entwicklung war nicht von ihm ausgegangen, das war mir klar, dafür musste er sich nicht entschuldigen. Schon eher für den Satz, den er hinterher schob:

„Ich habe gehört, Eddie & The Hot Rods suchen einen neuen Bassisten. Wäre das nicht was für dich?“

Mein Blick sagte wahrscheinlich schon alles. Ich hatte das Gefühl, als ob die Tasse Tee oben wieder raus wollte.

Mein Hirn raste. Ich saß mit Michael in einem Taxi, aber ich konnte immer noch nicht glauben, was da gerade passiert war. Mir war, als ob ich aus einem der Träume erwachte, in denen ich aus der Band geflogen war, und mir war schlecht.

Hätte ich noch irgendwas ändern können? Vielleicht konnte ich die Jungs fragen, ob sie mir noch eine Chance geben würden, und wenn sie nein sagten, dann war’s eben so. Warum hatte ich bei dem Treffen nichts gesagt? Meine Zukunft war gerade das Klo hinuntergespült worden, und ich hatte schweigend zugesehen.

Also fragte ich Michael, ob noch etwas zu machen sei.

Er dachte eine kleine Weile darüber nach und sagte dann: „Mark, würdest du unter diesen Umständen wirklich weitermachen wollen?“

Vor dem Taxifenster glitt das Londoner West End vorüber. Ich dachte über Michaels kluge Antwort nach, und plötzlich passierte es. Die schlechten Gefühle, die Anspannung und der Stress strömten aus meinem Körper heraus. Beinahe konnte ich es hören und schmecken. Ein riesiges Gewicht fiel mir von den Schultern, und einen Herzschlag später überkam mich wunderbare Erleichterung. Das Taxi fuhr in die richtige Richtung – weg von den Jungs. Natürlich war ich am Boden zerstört, aber es kam nicht in Frage, dass ich darum bettelte, wieder mit dabei sein zu dürfen. Ich war auf dem Arsch gelandet, und je schneller ich wieder auf die Beine kam, desto besser.

Ich wandte mich wieder an Michael.

„Buch mir den ersten Flug nach Melbourne, ja?“

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Es war für mich ein entscheidender Moment, als ich mich in Heathrow von Mal und Phil verabschiedete. Zu ihrer Ehrenrettung muss ich sagen, dass sie angeboten hatten, mich hinzufahren und noch einen mit mir zu trinken, bevor ich den Rückflug antrat. Eine nette Geste, die ich sehr zu schätzen wusste.

Wir versicherten uns, in Australien oder wo auch immer bei Gelegenheit mal wieder zusammenzukommen. Mal bedankte sich, wünschte mir alles Gute und hoffte, dass ich ihnen nichts nachtrug. Phil hatte zwar seit der Besprechung eigentlich seine normale Gesichtsfarbe zurückgewonnen, guckte jetzt aber schon wieder etwas grünlich aus der Wäsche. Ich auch. Es war ein trauriger Augenblick, und ich merkte, dass Phil die Sache ebenso an die Nieren ging wie mir. Ich wusste, dass ich sie beide wahnsinnig vermissen würde – wir hatten so viel gemeinsam erlebt. Umso mehr schmerzte es, dass ich nun offenbar überflüssig war. Die Gang hatte mich ausgestoßen. Inzwischen hatte ich einen oder zwei Tage Zeit gehabt, über das Geschehene nachzudenken, und ich war ziemlich sauer, aber gleichzeitig spürte ich auch Erleichterung, dem Auge des Sturms entkommen zu sein. Allmählich konnte ich es akzeptieren: Wenn ich der Richtige für den Job gewesen wäre, dann wäre ich auch noch dabei und stünde nicht hier, um von ein paar Kumpels in den nächsten Flieger nach Melbourne verfrachtet zu werden.

Von Bon hatte ich mich am Abend zuvor verabschiedet. Er und Silver hatten mir angeboten, bei ihnen zu wohnen, falls ich eine Bleibe in London brauchte. Bon hatte nachdrücklich immer wieder betont:

„Es ist ein Rückschritt, wenn du nach Hause fährst. Guck dich in England nach etwas Neuem um. Man weiß doch nie, was hier passieren kann, Mark.“ Das waren seine Worte. In seinem eigenen Fall sollten sie sich traurigerweise als wahr erweisen.

Allerdings beabsichtigte ich tatsächlich, nach einer Erholungspause in Melbourne wieder nach London zurückzukehren. Meine Mutter hatte am 2. Mai Geburtstag, und ich wollte sie mit einem Besuch überraschen. Daher sagte ich Bon, dass ich gern auf sein Angebot zurückkommen wollte, wenn ich wieder in der Stadt sei. Er nickte und sagte, dass Silver sich über Gesellschaft freute, wenn er unterwegs sei, aber ich bin mir sicher, dass das überhaupt nicht stimmte. Wahrscheinlich wollte er mir damit zeigen, dass er weiterhin mit mir befreundet bleiben wollte. Das war typisch Bon, dass er jemandem eine Hand reichte, dem es dreckig ging. Und es hatte auch den beabsichtigten Effekt.

Im Flugzeug machte ich es mir erst einmal gemütlich und hatte alle Zeit der Welt, um über die jüngsten Geschehnisse nachzudenken. An die Zukunft dachte ich nicht, dazu hing mir noch viel zu sehr nach, wie schnell ich abgeschossen worden war. Da hatte ich mich so auf die lang erwartete Reise in die USA gefreut, und nun war die Axt gefallen. Innerlich war ich wie tot. Hatten die Jungs die Entscheidung gefällt, weil die Gelegenheit zum Besetzungswechsel gerade günstig war? Wäre ich vielleicht noch dabei, wenn wir gleich in die USA gereist wären? Ich hatte nicht nur einen Job in der Band verloren – AC/DC hatte mein ganzes Leben dominiert. Das Leben, wie ich es kannte, war vorüber. Ich war draußen, und es tat beschissen weh.

Eigentlich war ich ja der Sandmann. Oder ich war es zumindest gewesen. Während meiner Zeit bei AC/DC hatte ich die Fähigkeit entwickelt, überall sofort einzuschlafen, wo ich wollte, im Auto, im Bus, im Studio oder im Flugzeug. Aber jetzt saß ich 38 Stunden lang in diesem Flieger und bekam kein Auge zu. Nicht einmal die beschissenen Spielfilme im Bordprogramm halfen beim Einnicken. Und auch der Scotch nicht. Meine Stimmung wechselte immer wieder von tiefer Verzweiflung über meinen Rauswurf zu ebenso tiefer Erleichterung darüber, dass ich draußen war und mein Leben wieder selbst in der Hand hatte.

Abgesehen von der Band wusste niemand, dass ich auf dem Weg nach Melbourne war, und ich freute mich darauf, meine Mutter zu überraschen. Frühmorgens an ihrem Geburtstag kam ich am Hilton an. Als ich an der Tür vom Club 56 klopfte, kapierte sie erst gar nicht, dass ich es war, oder jedenfalls dachte ich das. Doch nach ein paar Sekunden brach sie in Tränen aus und zog mich heftig in ihre Arme. Aua! Ich hatte nicht gewusst, dass meine Mutter solche Kräfte hatte. Die Umarmung und die Tränen dauerten viel zu lange. Ganz offensichtlich hatte ich sie ziemlich durcheinander gebracht, sehr sogar, und ich hatte genau das Gegenteil von dem ausgelöst, was ich eigentlich gehofft hatte.

Wir tranken einen Tee, und ich fragte sie, wie es ihr ginge. Sie sei erschüttert, sagte sie.

„Markie, ich habe dich erst erkannt, als du ‚alles Gute zum Geburtstag, Mama’ gesagt hast. Du siehst schrecklich aus.“